Die Heirat im Omnibus



Drittes Kapitel

Es vergingen einige Wochen Margarethe und ich hatten uns wieder unsern frühern Beschäftigungen und Vergnügungen gewidmet. Das Leben in der Nordvilla verging in so eintöniger Ruhe wie gewöhnlich, und ich erfuhr über die Geschichte und den Charakter des räthselhaften Mr. Mannion so wenig als vorher. Oft fand er sich Abends ein, aber meistentheils, um mit Mr. Sherwin in dessen Zimmer zu sprechen, und nahm nur selten die Einladung an, die sein Prinzipal stets an ihn ergehen ließ, sich der Gesellschaft in dem Salon anzuschließen.

In diesen seltenen Zwischenzeiten, wo wir ihn sahen, war seine äußere Erscheinung und sein Benehmen gerade so, wie während jenes Abends, wo ich ihn zum ersten Male gesehen hatte. Er sprach eben so wenig und sträubte sich mit derselben höflichen und ehrerbietigen Festigkeit gegen die vielfachen Versuche, die ich machte, ihn redseliger zu stimmen und ihn zur Theilnahme an der Conversation zu bewegen. Wenn er wirklich gesucht hätte, mein Interesse zu erregen, so hätte ihm dies nicht besser gelingen können. Ich befand mich vollkommen in der Lage eines Menschen, der sich in einem Labyrinthe verirrt hat und dessen Beharrlichkeit, den Ausweg zu suchen, mit den Schwierigkeiten jedes neuen Versuches wächst.

Margarethe jedoch theilte die Neugier, die mich beherrschte, durchaus nicht. Ich wunderte mich über die Gleichgültigkeit, welche sie in Bezug auf Mannion an den Tag legte; denn wenn das Gespräch auf ihn kam, so verfehlte sie, so oft es von ihr abhing, es fortzusetzen oder nicht, niemals, der Conversation eine andere Wendung zu geben.

Mistreß Sherwins Benehmen dagegen war ein ganz verschiedenes. Sie hörte stets Alles, was ich sagte, aufmerksam an, ihre Antworten aber waren unabänderlich kurz, verworren und zuweilen geradezu unverständlich. Es kostete mir viel Mühe, sie zu dem Geständnisse zu bringen, daß sie eine Antipathie gegen Mr. Mannion hatte.

Aber woher kam diese Antipathie? Sie konnte es nicht sagen. Argwöhnte sie Etwas? Wenn ich diese Frage an sie richtete. so stammelte sie, anstatt zu antworten, zitterte und wendete ihre Blicke von mir ab.

Niemals erhielt ich von ihr verständlichere Antworten als diese. Was ihre Verwirrung betraf, so brachte ich diese auf Rechnung der nervösen Gereiztheit, die sich allemal bei ihr entwickelte, wenn sie über irgend einen Gegenstand sprach. Ich hörte deshalb sehr bald auf, sie zu einer nähern Erklärung bringen zu wollen. und beschloß fernerhin, Niemandes Beistand mehr zu suchen, um Mr. Mannion's eigentlichen Charakter zu durchschauen.

Endlich verschaffte mir der Zufall eine günstige Gelegenheit, Etwas über seine Gewohnheiten und Geschmacksrichtungen zu erfahren und demzufolge auch den Mann selbst ein wenig besser kennen zu lernen.

Eines Abends traf ich ihn in dem Salon der Nordvilla, gerade in dem Augenblicke, wo er selbst nach einer geschäftlichen Besprechung aus Mr. Sherwins Zimmer trat. Wir lenkten unsre Schritte gemeinschaftlich nach der Hausthür.

Der Himmel war schwarz und die Nachtluft schwül und drückend. Ferner Donner ließ sich rund um den ganzen Horizont herum vernehmen. Die Blitze, welche rasch nach einander auf zuckten, machten das dunkle Firmament einem dichten Vorhang ähnlich, der vor einem von blendendem Lichte strahlenden Himmel unaufhörlich sich hob und senkte.

Wir beschleunigten unsern Schritt, aber wir waren noch nicht weit gekommen, als ein furchtbarer Regen herabzuströmen begann und der Donner in lauten Schlägen gerade über unsern Häuptern losbrach.

»Ich wohne hier ganz in der Nähe,« sagte mein Begleiter in demselben ruhigen, besonnenen Tone, der ihm niemals untreu ward. »Ich bitte Sie daher, mit zu mir zu kommen, bis das Ungewitter vorüber ist.« -

Ich folgte ihm in eine Seitengasse Er zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete damit eine Thür, und einen Augenblick später sah ich mich unter Mr. Mannion’s Dache geborgen.

Er führte mich sofort in ein Parterrezimmer. Ein lustiges Feuer brannte in dem Kamin. In der Ecke desselben stand ein großer Lehnsessel mit einem Lesepulte. Die Lampe war schon angezündet. Das Theegeschirr stand auf dem Tische, dichte Vorhänge von dunkler Farbe verdeckten vollständig das Fenster und, wie um dieses Bild häuslicher Behaglichkeit vollständig zu machen, wärmte sich eine große schwarze Katze vor dem Kamin liegend mit wollüstiger Trägheit.

Während Mr. Mannion sich entfernte, um, wie er sagte, seiner Dienerin einige Befehle zu ertheilen, hatte ich Muße, das Zimmer genauer in Augenschein zu nehmen. Das Zimmer eines Menschen zu studieren, ist oft eben so gut als das Studium seines Charakters selbst.

Mr. Sherwin’s Person bot einen ziemlich auffallenden Contrast zu der seines Geschäftsführers der Contrast aber, welcher zwischen den Dimensionen und der Ausstattung ihrer Zimmer bestand, war nicht weniger außerordentlich.

Das Gemach, welches ich in diesem Augenblicke musterte, war kaum halb so umfangreich als das Wohnzimmer der Nordvilla. Rothdunkle Tapeten bedeckten die Wände. Die Vorhänge waren von derselben Farbe, auf der Diele lag ein brauner Teppich, dessen Muster, wenn er eins hatte, nicht darauf berechnet war, das Auge zu fesseln, denn bei dem Lampenscheine sah man gar Nichts davon.

Eine der vier Wände war vollständig durch ein Brettgestell von Ebenholz in Anspruch genommen, welches vollständig mit Büchern besetzt war. Die meisten derselben waren wohlfeile Ausgaben von klassischen Werken der alten und neuen Literatur.

Die gegenüber befindliche Wand verschwand unter dicht geschlossenen Reihen von Palisanderrahmen mit Kupfer- und Stahlstichen, die nach den Werken der modernen englischen und. französischen Maler aufgeführt waren.

Alle Geräthschaften waren von guter Qualität, aber von der einfachsten Gattung; selbst die porzellanene Theekanne und die auf dem Tische stehenden Tassen waren ohne Muster oder Malerei.

Welch einen Contrast bot dieses Gemach zu dem Salon der Nordvilla.

Als Mr. Mannion wieder eintrat, bemerkte er, daß ich die Augen auf seine Theegeräthschaften geheftet hielt.

»Ich kann nicht leugnen, Sir, daß ich verdiene, in zwei Dingen des Epikuräismus und der Verschwendung beschuldigt zu werden,« sagte er; »des Epikuräismsus in Bezug auf den Thee, und der Verschwendung —— wenigstens wenn man meine Stellung ins Auge faßt —- in Bezug auf Bücher. Indessen, mein ziemlich guter Gehalt gestattet mir, meine Geschmacksrichtungen, wie sie nun einmal sind, zu befriedigen und sogar noch ein wenig Geld zu sparen. Womit kann ich Ihnen dienen, Sir?«

Da ich die auf dem Tische gemachten Vorbereitungen sah, so verlangte Thee. Während er noch mit mir sprach, bemerkte ich eine neue Eigenthümlichkeit in seiner Person.

Die meisten Menschen legen, wenn man sie in ihrer Häuslichkeit sieht, mehr oder weniger und ohne daran zu denken, die Manieren ab, welche sie außerhalb ihres Hauses affectiren. Die steifsten und förmlichsten zeigen sich an ihrem Herd ein wenig gemüthlicher, die kältesten werden ein wenig wärmer.

Mit Mr. Mannion aber war dies nicht der Fall, denn er war zu Hause ganz derselbe wie bei Mr. Sherwin.

Er hätte mir nicht erst zu sagen gebraucht, daß er in Bezug aus den Thee Epikuräer war. Die Art und Weise, auf welche er denselben bereitete, hätte diese Thatsache hinreichend offenbart. Er nahm ziemlich das Dreifache der Quantität, welche gewöhnlich als für zwei Personen hinreichend betrachtet wird, und unmittelbar, nachdem er die Theekanne mit kochendem Wasser gefüllt, begann er die Flüssigkeit in die Tassen zu gießen, indem er auf diese Weise das ganze Aroma und die ganze Delikatesse des Parfüms bewahrte, ohne daß die bittere Eigenschaft der Pflanze sich damit vermischte.

Als wir unsre erste Tasse getrunken hatten, warf er den Bodensatz nicht heraus und goß auch kein Wasser auf die Blätter.

Eine Dienerin von gesetzten Jahren und sauberem Aeußern trat ein und nahm das Theebret weg, um es uns bald darauf mit Theekanne und Tassen in gereinigtem und leerem Zustande wiederzubringen, so daß nun ein Aufguß auf neue Blätter erfolgen konnte.

Es waren dies Kleinigkeiten, aber ich dachte an so viele andere Commis und Buchhalter, welche ihren zweiten Aufguß von denselben Blättern tranken, und dergleichen Einzelheiten schienen mir nicht unnütz zu beobachten, denn auch sie waren Anzeichen von dem Charakter des Mannes.

Unser Gespräch drehte sich anfangs um Alltäglichkeiten und ward von meiner Seite ziemlich nachlässig geführt, denn gewisse Eigenthümlichkeiten meiner gegenwärtigen Lage machten mich gedankenvoll.

Ein Mal gerieth die Unterhaltung völlig ins Stocken, und gerade in diesem Augenblicke brach der Gewittersturm in seiner größten Wuth los. Der Hagel mischte sich mit dem Regen und peitschte die Fenster. Der mit jedem Schlage lauter hallende Donner schien das Haus bis in seine Grundmauern zu erschüttern.

Während ich diesem furchtbaren Rollen lauschte, welches die unendlichen Räume der Luft mit seinem Getöse erfüllte, und als meine Augen sich sodann auf das ruhige Gesicht meines Wirthes richteten, ein Gesicht, auf welchem die Ruhe des Todes thronte und ich nicht die mindeste Spur von irgend einer menschlichen Gemüthsbewegung zeigte, fühlte ich mich von seltsamen Empfindungen ergriffen.

Unser Schweigen begann mir drückend zu werden und ich fühlte einen unklaren Wunsch, mich plötzlich einer dritten Person gegenüber zu befinden, mit welcher ich ein Wort und einen Blick wechseln könnte.

Er war der Erste, der das Gespräch wieder begann. Ich hätte geglaubt, es sei jedem Menschen, der einem so, betäubenden Kampfe der Elemente zuhörte, unmöglich, an etwas Anderes zu denken als an den Gewittersturm, und von etwas Anderem zu sprechen als von diesem.

Und dennoch, als er wieder das Wort nahm, geschah es, um von unsrer ersten Begegnung in der Nordvilla zu sprechen. Seine Aufmerksamkeit schien durch den furchtbaren Aufruhr der Elemente draußen eben so wenig angezogen zu werden, als wenn die Ruhe der Nacht auch nicht durch das mindeste Geräusch oder Murren unterbrochen worden wäre.

»Darf ich fragen, Sir,« sagte er, »ob ich Grund habe, zu fürchten, daß mein Benehmen gegen Sie seit unsrer ersten Begegnung bei Mr. Sherwin Ihnen sonderbar oder vielleicht sogar unhöflich erschienen ist?«

»In welcher Beziehung, Mr. Mannion?« fragte ich ein wenig verwundert über diese plötzliche Frage.

»Ich habe sehr wohl bemerkt, Sie, daß Sie in mehreren Fällen den Wunsch zu erkennen gegeben haben, nähere Bekanntschaft mit mir zu machen. Wenn ein Mann von Ihrem Range einem Manne von dem meinigen auf diese Weise entgegenkommt, so hat er das Recht, Dankbarkeit und gleiches Entgegenkommen zu erwarten.«

Warum stockte er? Wollte er mir sagen, daß er bemerkt, wie meine Annäherung ihren Grund in der Neugier hatte, über ihn mehr zu erfahren als er Lust hatte, mir zu sagen? Ich wartete, um ihn weiter sprechen zu lassen.

»Wenn ich,« hob er wieder an, »dieser Artigkeit, welche Sie von mir zu erwarten das Recht hatten, nicht genügt habe, so liegt der Grund davon darin, daß ich mich fragte, ob meine Gegenwart, wenn Sie bei Ihrer jungen Gattin sind, Ihnen wirklich so wenig lästig erschiene als Sie mich wohlwollender Weise vermuthen ließen.«

Gerade als er diese letzten Worte sprach, erdröhnte ein furchtbarer Donnerschlag unmittelbar über dem Hause. Ich sagte Nichts weiter, denn dieses Getöse ließ mich verstummen

»Da meine Erklärung Ihnen genügt, Sir,« sagte er mit seiner klaren, entschlossenen Stimme, welche kaum das noch andauernde Rollen des letzten Donnerschlags zu beherrschen vermochte, »so werden Sie vielleicht entschuldigen, wenn ich mich über Ihre gegenwärtige Stellung in dem Hause meines Chefs mit einiger Freiheit ausspreche. Ich möchte Sie aber vorher fragen, ob eine vollkommen freundschaftliche Freiheit in diesem Punkte Sie nicht verletzen würde?«

Ich bat ihn, sich so frei auszusprechen als es ihm beliebe, und wünschte aufrichtig, daß er auf diese Weise mit mir spräche, ohne deswegen zu glauben, daß ich ihn dadurch bewegen würde, mit eben so wenig Rückhalt und Zwang auch von sich selbst zu sprechen.«

»Die tiefe Ehrerbietung des Benehmens und der Sprache, deren Gegenstand ich von Seiten eines Mannes von seinem Alter war, erzeugte ein gewisses Unbehagen in mir. Wahrscheinlich war er in Bezug eins Kenntnisse meines Gleichen, und übrigens besaß er ganz die Manieren und den Ton eines Mannes Von Welt. Vielleicht war er auch von guter Familie, denn Nichts ließ mich auf das Gegentheil schließen.

Der einzige Unterschied zwischen uns beruhte daher in unsrer socialen Stellung Der Familienstolz meines Vaters hatte sich nicht in hinlänglichem Grade auf mich vererbt, um mich denken zu lassen, daß diese Ungleichheit allein einen Mann, der beinahe noch ein Mal so alt war als ich, und dessen Kenntnisse die meinigen vielleicht übertrafen, nöthigte, so mit mir zu sprechen, wie Mr. Mannion bis jetzt mit mir gesprochen.

»Ich kann Ihnen sagen,« hob er wieder an, »daß, obschon ich eifrigst wünsche, Ihnen während der Stunden, welche Sie in der Nordvilla zubringen, in Nichts lästig zu fallen, ich gleichzeitig bedaure, mich so entfernt halten zu müssen. Ich möchte Ihnen nützlich sein, so weit dies von mir abhängt. Nach meiner Meinung hat Mr. Sherwin Ihnen eine etwas harte Bedingung gestellt. Er stellt Ihre Discretion und Ihre Entschlossenheit auf eine fast zu schwere Probe, wie mir scheint, wenn man Ihr Alter und das Recht, das Ihnen zusteht, in Betracht zieht. Dies ist meine Ueberzeugung, und demzufolge wäre ich sehr glücklich, wenn ich den Einfluß, den ich vielleicht auf die Familie habe, benutzen könnte, um diese Zeit des Wartens und der Prüfung Ihnen weniger drückend zu machen. Sie werden sich nicht denken, Sir, wie viele Mittel mir zu diesem Zwecke zur Verfügung stehen.«

Sein Anerbieten überraschte mich ein wenig. Ich schämte mich fast, Wärme des Gefühls und offene Mittheilsamkeit bei einem Manne hervorzurufen, bei dem ich hiervon so wenig zu finden erwartete. Unmerklich ward ich weniger aufmerksam. aus den Sturm, der noch draußen tobte, und versuchte mehr und mehr, den Sinn seiner Worte zu durchdringen, denn er fuhr fort:

»Ich weiß recht wohl, daß ein Vorschlag, wie der meine, der von einem Manne ausgeht, welcher Ihnen fast ganz fremd ist, Ihnen auf den ersten Blick seltsam und sogar verdächtig erscheinen kann. Ich kann ihn nicht anders erklären, als indem ich Sie bitte, zu bedenken, daß ich die junge Dame von ihrer Kindheit an kenne, und daß ich, da ich ihren Geist bilden helfen und die Entwickelung ihres Charakters gefördert habe, für sie beinahe die Gefühle eines zweiten Vaters empfinde und weit entfernt bin, gleichgültig gegen die Interessen des Mannes zu sein, der sie zu seinem Weibe genommen.«

War ein leichtes Zittern in seiner Stimme bemerkbar, als er diese letzten Worte sprach? Ich glaubte es und erspähte in seinen Zügen den Schimmer eines lebhafteren Ausdrucks, welcher zum ersten Male seine starre Physiognomie milderte und« den eisigen Ausdruck derselben in den Hintergrund drängte.

Gerade aber, als ich ihn ansah, bückte er sich, um das Feuer zu schüren. Als er sich« wieder zu mir wendete, war sein Gesicht wieder so undurchdringlich und sein Auge so fest, schroff und ausdruckslos wie zuvor.

»Uebrigens,« fuhr er fort, »muß der Mensch einen Gegenstand für seine Sympathieen haben. Ich habe weder Weib noch Kind und eben so wenig nahe Verwandte. Außer meiner gewohnten Beschäftigung während« des Tages und meiner einsamen Lectüre des Abends an meinem Kamin, giebt es für mich Nichts. Unser Leben ist allerdings nichts Großes, aber dennoch ist es zu etwas Besserem als diesem bestimmt. Meine ehemalige Schülerin in der Nordvilla ist nicht mehr meine Schülerin. Ich kann nicht umhin, zu glauben, daß es für mich ein Grund zum Leben wäre, wenn ich mich mit Margarethens Glücke und mit dem Ihrigen, Sir, beschäftigte —— wenn ich zwei junge Leute, die in der Blüthe der Jugend und der Liebe stehen, von Zeit zu Zeit ihre Augen auf mich wenden sähe, um mir für die Erfüllung irgend eines ihrer Wünsche zu danken. Es giebt Freuden, die man Andern mit so wenig Mühe verschaffen kann. Alles Dies wird Ihnen seltsam und unbegreiflich erscheinen; wenn Sie aber in meinen Jahren ständen, Sir. und sich in einer der meinen ähnlichen Situation befänden, so würden Sie mich verstehen.«

War es möglich, daß er so ohne die mindeste Veränderung in seiner Stimme, und ohne daß sein Auge das Mindeste von seiner Unbeweglichkeit verlor, sprechen konnte? Ja, ich hielt meine Augen auf ihn geheftet, ich hörte ihm mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu, aber sein Ton blieb ganz derselbe, eben so wie seine Physiognomie vollkommen unverändert. Nichts in seiner äußern Erscheinung verrieth, ob dieser Mann fühlte, was er sagte, oder ob er es nicht fühlte. Seine Worte hatten meinem Gemüthe ein solches Bild von der Vereinsamung, in welcher er lebte, vorgeführt, daß ich unwillkürlich die Hand ausgestreckt hatte, um die seine zu ergreifen, während er mit mir sprach.

Sobald er aber aufgehört hatte, genügte es mir, seine eisige Miene zu sehen, um diese Aufwallung sofort wieder in mir ersterben zu fühlen.

Er schien meine unwillkürliche Gebärde eben so wenig bemerkt zu haben als die sofortige Unterdrückung derselben, und fuhr fort:

»Ich habe Ihnen vielleicht schon mehr gesagt als ich sollte. Wenn es mir indessen nicht gelungen ist, mich so verständlich zu machen, wie ich verstanden zu werden wünsche, so wollen wir von etwas Anderem sprechen und auf diesen Gegenstand erst dann zurückkommen, wenn Sie mich besser kennen gelernt haben.«

»O, ich bitte, Mr. Mannion, sprechen wir nicht von etwas Anderem!« rief ich, denn es lag mir viel daran, ihm zu beweisen, daß es nicht meine Absicht war, ihm mein Vertrauen vorzuenthalten. »Ich bin sehr dankbar für das Wohlwollen, welches Sie mir durch dieses Anerbieten beweisen, und für das Interesse, welches Margarethe und ich Ihnen einflößen. Ich stehe für sie, daß Ihre freundlichen Dienste von uns, Beiden werden angenommen werden.«

Ich schwieg. Der Gewittersturm hatte sich einigermaßen gelegt, aber ich ward von der Heftigkeit des Windes betroffen, der sich in demselben Maße erhoben hatte, wie der Donner und der Regen ruhiger geworden waren. Wie heulte er von einem Ende der Straße bis zum andern! Ich empfand seltsame Gefühle, welche mich bewogen, wider Willen zu schweigen, aber ich kämpfte dagegen und nahm nach einer Pause meinerseits das Wort.

»Wenn ich Ihnen noch nicht geantwortet habe wie ich sollte,« sagte ich, »so müssen Sie dies auf Rechnung dieses Gewittersturms bringen, der, wie ich gestehe, meine Gedanken ein wenig verworren gemacht hat, so wie auch auf Rechnung des Erstaunens, eines sehr unzeitigen Erstaunens, wie ich bekenne, dessen ich mich aber nicht erwehren kann, indem ich Sie so lebhafte Sympathieen Dingen widmen sehe, die sonst in der Regel nur auf junge Leute Eindruck machen.«

»Bei Männern meines Alters erneut sich die Jugend des Herzens öfter als junge Leute glauben,« sagte er. »Sie sind vielleicht überrascht, einen Kaufmann, einen Buchhalter so sprechen zu hören —— ich bin aber nicht immer gewesen, was ich jetzt bin. Das Wissen ist mir, mit Leiden gemischt, langsam zugegangen. Ich bin vor der Zeit alt geworden und meine vierzig Jahre sind wie bei Andern fünfzig.« Mein Herz schlug schneller. Wollte er selbst den geheimnisvollen Schleier heben, der augenscheinlich sein vergangenes Leben bedeckte? Nein, er berührte diesen Gegenstand bloß und ging daran vorüber. Ich wollte ihn bitten, ihn wieder aufzunehmen, ward aber durch dieselbe Befangenheit, von welcher mir Mr. Sherwin gesagt, zurückgehalten und schwieg.

»Es handelt sich nicht von Dem, was ich früher gewesen bin,« fuhr er fort, »sondern von Dem, was ich für Sie thun kann. Allerdings kann ich Ihnen nur eine schwache Mitwirkung leihen, aber dennoch kann diese Ihnen nützlich sein. Zum Beispiel waren Sie kürzlich, wenn ich mich nicht irre, ein wenig ärgerlich darüber, daß Mr. Sherwin seine Tochter mit in eine Gesellschaft nahm, in welche die Familie eingeladen war. Es war dies sehr natürlich. Sie konnten nicht mitgeben, Sie konnten sich nicht in Ihrer wirklichen Eigenschaft zeigen, ohne ein Geheimniß zu verrathen, welches bewahrt werden muß, und dennoch wußten Sie auch nicht, was für jungen Männern Margarethe dort begegnen würde. Die, welche sie dort traf, mußten natürlich glauben, sie sei immer noch Miß Sherwin, und ihr Benehmen danach regeln. Nun glaube ich, daß ich unter dergleichen Umständen von einigem Nutzen sein könnte. Ich übe auf meinen Chef einen gewissen Einfluß, ich möchte sagen, einen großen Einfluß —— dies ist die strengste Wahrheit, und wenn Sie es wünschen, so werde ich diesen Einfluß zu Ihren Diensten verwenden, um den Vater zu bestimmen, seine Tochter nicht anders in Gesellschaft zu führen, als wenn Sie es gut finden. Noch Etwas. Ich glaube, daß ich mich nicht täusche, wenn ich annehme, daß Ihnen die Gesellschaft der Mistreß Sherwin bei Ihren Zusammenkünften mit der jungen Dame weit lieber ist als die des Vaters.»

Wie hatte er dies entdeckt? Auf jeden Fall war seine Vermuthung jedoch richtig und ich gestand es naiv zu.

»Diese Vorliebe scheint mir eine in mehr als Einer Beziehung vollkommen begründete,« hob er wieder an; »wenn Sie aber Mr. Sherwin Etwas davon bemerken ließen, so ist es klar, daß dies eine ungünstige Wirkung auf ihn äußern würde. Wie dem jedoch auch sei, so könnte ich auch hier vermitteln, ohne Argwohn zu erwecken. Ich könnte eine Menge Vorwände ausfindig machen, um Mr. Sherwin zu veranlassen, des Abends nicht im Salon anwesend zu sein, und diese Vorwände werde ich so oft benutzen, als Sie es wünschen. Endlich auch, wenn es Ihnen angenehm wäre, Ihre junge Frau in der Nordvilla öfter und länger zu sprechen, so mache ich mich anheischig, Sir, Ihnen dazu zu verhelfen. Wenn ich dies sage, so geschieht es nicht etwa, um den rechtmäßigen Einfluß, den Sie auf Mr. Sherwin besitzen, in Zweifel zu ziehen, wohl aber muß ich Ihnen sagen, daß mein Chef mich in Allem, was Ihr Verhältnis zu seiner Tochter betrifft, um meine Meinung gefragt hat und dies auch ferner thun wird. Bis jetzt habe ich jede Art von Recht, Rathschläge in Ihren Angelegenheiten zu geben, abgelehnt, dennoch aber werde ich sie zu Ihren Gunsten und zu Gunsten der jungen Dame geben, wenn es Ihnen Beiden recht ist.«

Ich dankte ihm, aber nicht mit jener herzlichen Wärme, die ich ihm bewiesen haben würde, wenn ich nur das mindeste Lächeln auf seinem Gesichte gesehen oder die mindeste Aenderung seines so gemessenen und phlegmatischen Tones während er sprach, bemerkt hätte.

Wenn seine Worte mich geneigt machten, das Eis zu brechen, so schreckte mich die Kälte seiner Blicke wider Willen zurück.

»Ich muß Sie auch noch bitten, Sir,« hob er wieder an, »sich Dessen zu entsinnen, was ich in Bezug aus die Beweggründe, welche mich zu diesen Anerbietungen bewogen, bereits gesagt habe. Wenn Sie jedoch in allem Diesem nur eine zudringliche Einmischung in Ihre Angelegenheiten sehen sollten, so werde ich mir sicherlich nicht eine Freiheit anmaßen, zu welcher ich durch Sie ermächtigt sein will, und Sie würden sich nicht wieder mit mir auf den Fuß stellen, auf welchem wir heute Abend stehen. Ich würde mich dann jedoch über Ihre Handlungsweise gegen mich nicht beklagen, sondern mich bemühen, Sie nicht als ungerecht gegen mich zu betrachten.«

Einer solchen Ansprache konnte ich nicht widerstehen. Ich antwortete ihm sofort und dies Mal, indem ich alle Zurückhaltung beiseite setze. Welches Recht hatte ich, lieblose Schlüsse aus der Physiognomie eines Menschen, aus seiner Stimme und seinen Manieren bloß deshalb zu ziehen, weil diese einen etwas ungewöhnlichen Eindruck auf mich machten? Wußte ich, ob diese äußeren Eigenthümlichkeiten, welche mich betroffen machten, nicht großenteils von den Mängeln seiner natürlichen Constitution oder von der schlummernden Wirkung des Kummers und des Leidens herrührten? Mit gutem Rechte hätte er mir, und zwar in energischen Worten vorwerfen können, daß ich ungerecht sei, wenn ich ihm nicht mit Herzlichkeit geantwortet hätte.

»Ich bin, Mr. Mannion,« sagte ich, »völlig außer Stand, Ihr Anerbieten mit anderem Gefühle als dem der lebhaftesten und offensten Dankbarkeit anzunehmen. Ich werde es Ihnen beweisen, indem ich Sie um Ihre guten Dienste für Margarethen und mich mit vollkommenem Vertrauen und vielleicht viel eher bitte als Sie glauben.«

Er verneigte sich und antwortete mir mit einigen cordialen Worten, die ich nicht recht verstand; denn während ich zu ihm sprach, heulte ein Windstoß, der heftiger war als alle vorhergegangenem durch die Gasse, erschütterte Fenster und Läden und verhallte mit einem unheimlichen gedehnten Pfeifen.

Als Mr. Mannion nach einer augenblicklichen Pause wieder anhob zu sprechen, geschah es, um auf einen andern Gegenstand zu kommen. Er sprach von Margarethen und verbreitete sich auf sehr lobende Weise über ihre moralischen Eigenschaften weit mehr als über die Vorzüge ihrer körperlichen Erscheinung; von Mr. Sherwin, indem er gewisse solide und anziehende Seiten seines Charakters hervorhob, die ich noch nicht an ihm bemerkt hatte. Was er von Mistreß Sherwin sagte, schien mir ebenfalls von Mitleid und Ehrerbietung eingegeben zu sein. Er spielte sogar auf die Kälte an, mit welcher sie ihm begegnete und die er einer unfreiwilligen Laune zuschrieb, welche in der nervösen Empfindsamkeit und fortwährenden Erschlaffung der armen Frau ihren Grund hätte.

Indem er nach einander diese Gegenstände berührte, war seine Sprache eben so frei von irgendwelcher Affection, wie ich sie bis jetzt durchgängig gefunden.

Die Zeit verging. Der Donner rollte noch dumpf in der Ferne, der Wind aber schien sich durchaus nicht beruhigen zu wollen.

Endlich hörte das Plätschern des Regens auf, sich an den Fenstern hörbar zu machen. Ich hatte nun keinen plausiblen Beweggrund mehr, noch länger zu bleiben, und wünschte auch nicht, einen zu finden. Ich glaubte Mr. Mannion nun hinreichend zu kennen, um überzeugt zu sein, daß alle Bemühungen, die ich fortan machen könnte, um ihm trotz seiner Zurückhaltung die Geheimnisse zu entreißen, die sich an sein vergangenes Leben knüpften, zu Nichts führen würden.

Wenn ich aber ein Urtheil über ihn fällen wollte, warum sollte ich ihn nicht lieber nach seinem jetzigen Benehmen beurtheilen als nach der Geschichte seiner Vergangenheit? Ich hatte Gutes und nur Gutes von ihm sprechen hören. Sein Chef kannte ihn besser als irgend Jemand, und hatte ihn seit langer Zeit erprobt. Er hatte Zartgefühl und den lebhaftesten Wunsch bewiesen, mir nützlich zu sein. Ganz gewiß hätte ich diesem Entgegenkommen sehr schlecht entsprochen, wenn ich eine ungerechtfertigte Neugier, Etwas von seinen Privatangelegenheiten zu erfahren, kund gegeben hätte.

Ich erhob mich, um mich zu entfernen. Er machte keinen Versuch, mich länger aufzuhalten, sondern, nachdem er den Fensterladen aufgestoßen und sich zum Fenster hinausgebeugt, bemerkte er bloß, der Regen habe nachgelassen und mein Regenschirm werde mir jetzt hinreichenden Schutz gewähren.

Er folgte mir ans den Corridor heraus, um mir zu leuchten. Als ich mich auf der Schwelle der Thür umdrehte, um ihm für seine Gastfreundschaft zu danken und ihn; gute Nacht zu wünschen, fiel mir ein, daß mein Benehmen ihm habe kalt und mißtrauisch erscheinen müssen, besonders als er mir seine Dienste anbot. Wenn ich wirklich diesen Eindruck auf ihn gemacht hatte, so war es, da er an Rang unter mir stand, grausam von mir, ihn dabei zu lassen. Ich wollte vielmehr mit einem bessern Eindrucke von ihm Abschied nehmen.

»Erlauben Sie mir, Ihnen noch zu versichern.« sagte ich, »daß es nicht meine Schuld sein wird, wenn Margarethe und ich nicht von Ihren guten Diensten mit der ganzen Dankbarkeit Gebrauch machen, welche man einem Freunde schuldig ist, der sich von so wohlwollenden Absichten beseelt zeigt.«

Es blitzte immer noch am Himmel, obschon nur in langen Zwischenräumen. In Folge eines seltsamen Zufalles geschah es, daß in dem Augenblicke, wo ich sprach, eben wieder ein Blitz aufzuckte und Mr. Mannion’s Gesicht grell beleuchten.

Dieser Lichtschein gab seinen Zügen eine so geisterhafte Farbe und zersetzte es mit so infernalischer Schnelligkeit, daß ich plötzlich ein Gespenst, einen Dämon zu sehen glaubte, der mich höhnisch angrinste. In diesem Augenblicke mußte ich mich daran erinnern, wie sehr das seinem Gesichte aufgeprägte unerschütterliche Phlegma mir bekannt war, um mich zu überzeugen, daß meine Augen bloß durch eine optische Täuschung geblendet wurden.

Als wieder Finsterniß herrschte, sagte ich ihm gute Nacht, indem ich ihm mechanisch und beinahe in denselben Ausdrücken wiederholte, was ich ihm schon ein Mal gesagt hatte.

Gedankenvoll kehrte ich nach Hause zurück. Diese Nacht gab mir viel zu überlegen.


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