Der Mondstein



Zweites Capitel.

»Betteredge!« rief ich, indem ich auf das wohlbekannte Buch auf seinen Knieen hinwies, »hat Robinson Crusoe Ihnen diesen Abend vorausgesagt, daß Sie Franklin Blake zu erwarten hätten?«

»Bei dem Allmächtigem Herr Franklin!« rief der alte Mann, »gewiß und wahrhaftig hat Robinson Cruso das gethan!«

Mit meiner Hilfe stand er auf und blickte einen Augenblick abwechselnd aus mich und auf Robinson Crusoe, ersichtlich ungewiß darüber, wer von uns Beiden ihn am meisten überrascht habe. Seine Entscheidung fiel endlich zu Gunsten des Buches aus. Mit beiden Händen hielt er es offen vor sich in die Höhe und betrachtete das wundervolle Buch mit dem Ausdruck einer großen Erwartung, als ob er darauf gefaßt sei, Robinson Crusoe selbst aus den Seiten hervor und leibhaftig zwischen uns treten zu sehen.

»Da steht es, Herr Franklin!« sagte er, sobald er seine Sprache wiedergewonnen hatte. »So wahr ich lebe, Herr Franklin, hier steht die Stelle, die ich, einen Augenblick, ehe Sie hereinkamen, gelesen habe! Seite 156 wie folgt: »Ich stand wie vom Blitz gerührt oder als ob ich eine Erscheinung gesehen habe.« Wenn das nicht so viel heißt, als auf die plötzliche Erscheinung des Herrn Franklin Blake vorbereiten, so hat die englische Sprache gar keinen Sinn mehr,« sagte Betteredge, indem er das Buch zuschlug und endlich eine seiner Hände frei bekam, um damit meine dargebotene Rechte zu ergreifen.

Ich war natürlich unter den obwaltenden Umständen darauf gefaßt gewesen, von ihm mit Fragen überhäuft zu werden. Aber der mächtigste Antrieb bei dem alten Diener war doch der der alten Gastlichkeit, sobald ein Mitglied der Familie (gleichviel in welcher Veranlassung) als Besucher in dem Hause erschien.

»Treten Sie näher, Herr Franklin,« sagte er, indem er die Thür hinter sich mit einer sonderbaren altmodischen Verbeugung öffnete. »Was Sie herführt, sollen Sie mir später» erzählen, vor allen Dingen muß ich es Ihnen bequem machen. Die Dinge haben sich traurig verändert, seit Sie abgereist sind. Das Haus ist zugeschlossen und die Dienstboten sind fort. Aber einerlei! Ich will Ihnen Ihr Mittagessen. kochen; und die Gärtnersfrau wird Ihnen Ihr Zimmer in Ordnung halten —— und wenn noch eine Flasche von unserm famosen Latour im Keller liegt, so sollen Sie sie ausstechen, Herr Franklin. Ich heiße Sie willkommen Herr Franklin, herzlich willkommen!« sagte der gute Alte, der mannhaft darnach rang, den trüben Geist des verlassenen Hauses keine Gewalt über sich gewinnen zu lassen und mich mit der verbindlichen und gastfreien Ausnahme vergangener Tage zu empfangen.

Es that mir leid, ihm nicht zu Willen sein zu können, aber das Haus gehörte jetzt Rachel. Durfte ich nach dem, was in London vorgefallen war, darin essen oder schlafen? Das einfachste Gefühl der Selbstachtung machte es mir absolut unmöglich, die Schwelle zu betreten.

Ich ergriff Betteredge’s Arm und führte ihn in den Garten. Es half nichts, ich mußte ihm die Wahrheit sagen. Die Wendung der Dinge rief einen schweren Conflict zwischen seiner Anhänglichkeit für Rachel und seiner Anhänglichkeit für mich hervor. Seine Meinung sprach er dann in seiner gewöhnlichen geraden Weise aus, sie athmete den Geist der positivsten mir bekannten Philosophie — der Philosophie der Betteredge’sschen Schule.

»Fräulein Rachel hat ihre Fehler, das habe ich nie geleugnet,«« fing er an, »und einer ihrer Fehler besteht darin, daß sie sich zuweilen zu sehr auf’s hohe Pferd setzt. Sie hat es versucht, Sie zu überreiten, und Sie haben es sich gefallen lassen. Mein Gott, Herr Franklin, kennen Sie die Frauen noch nicht besser? Sie haben mich doch von meiner Seligen reden hören?«

Ich hatte ihn oft genug von seiner verstorbenen Frau reden hören, immer als von seinem mustergültigen Vorbild der eingeborenen Schwachheit und Verderbtheit des andern Geschlechts. In dieser Eigenschaft führte Er sie auch jetzt vor.

»Nun wohl, Herr Franklin, hören Sie mich! Verschiedene Frauenzimmer haben verschiedene Arten, sich auf’s hohe Pferd zu setzen. Meine Selig; pflegte dieses Lieblingsthier der Frauen zu reiten, so oft ich ihr irgend etwas versagt hatte, woran ihr Herz hing. So oft ich an diesen Tagen von meiner Arbeit nach Hause zurück kehrte, rief mir meine Frau von der Küche aus zu, daß sie nach der brutalen Behandlung, die ich ihr habe widerfahren lassen, nicht im Stande gewesen sei, mir mein Mittagessen zu kochen. Ich ertrug das eine Zeitlang, gerade wie Sie es jetzt von Fräulein Rachel ertragen. Endlich war meine Geduld erschöpft. Ich ging hinunter, nahm meine Frau, natürlich ganz freundschaftlich, auf den Arm, trug sie ohne Weiteres in das beste Zimmer, wo sie ihre Gesellschaften zu empfangen pflegte, und sagte: »Hier ist der rechte Platz für Dich, liebes Kind!« und ging dann in die Küche zurück, schloß mich dort ein, zog meinen Rock aus, krempelte meine Hemdsärmel auf und kochte mir selbst mein Mittagessen.

Als es fertig war, servirte ich es mir so gut ich es verstand und genoß es von ganzem Herzen. Dann steckte ich mir meine Pfeife an und trank mein Glas Grog; und dann räumte ich den Tisch wieder ab, wusch das Geschirr, reinigte Messer und Gabeln, legte die Sachen weg Und fegte den Heerd. Als die Sachen dann wieder so rein und glänzend waren, wie sie es nur sein konnten, öffnete ich die Thür und ließ Mrs. Betteredge wieder ein.

»Jetzt habe ich zu Mittag gegessen, liebes Kind,« sagte ich, »und ich hoffe, Du wirst zugeben, daß ich die Küche dabei so rein gehalten habe, wie Du es nur irgend wünschen kannst.« Darnach brauchte ich, so lange meine Frau lebte, mein Mittagessen nicht wieder selbst zu kochen, Herr Franklin. Moral: Sie haben« sich Fräulein Rachel in London gefügt, fügen Sie sich ihr nicht auch in Yorkshire Kommen Sie wieder in’s Haus!«

Vergebens! Ich konnte meinen alten Freund nur versichern, daß selbst seine Ueberredungskunst an mir in diesem Falle verloren sei.

»Es ist ein schöner Abend,« sagte ich, »ich werde nach Frizinghall gehen und dort im Hotel absteigen und Sie müssen morgen früh zu mir kommen und mit mir frühstücken. Ich habe Ihnen etwas zu sagen.«

Betteredge schüttelte bedenklich den Kopf.

»Das thut mir herzlich leid,« sagte er, »ich hatte gehofft, zu hören, das Alles zwischen Ihnen und Fräulein Rachel wieder in schönster Ordnung sei. Wenn Sie durchaus Ihren Willen haben müssen,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »so brauchen Sie eines Bettes wegen heute Abend nicht nach Frizinghall zu gehen, das können Sie näher haben. Kaum zwei Meilen von hier ist die Hotherstone’sche Meierei. Gegen dieses Haus können Sie, in Rücksicht auf Fräulein Rachel, kaum etwas einzuwenden haben,« fügte der Alte schlau hinzu. »Hotherstone wohnt auf seinem eigenen Grund und Boden.«

Ich erinnerte mich des Hauses sofort. Es stand in einem geschützten Thal, an den Ufern des hübschesten Flusses in jenen Theilen Yorkshire’s, und der Eigenthümer hatte ein Fremden-Schlaf- und Wohnzimmer, welche er an Künstler, Angler und sonstige Touristen zu vermiethen pflegte. Eine angenehmere Wohnung während meines Aufenthalts in der Gegend hätte ich mir nicht wünschen können.

»Sind die Zimmer frei?« fragte ich.

»Mrs. Hotherstone selbst,« sagte er," »hat mich noch gestern gebeten, ihr Haus zu empfehlen.«

»Ich nehme die Zimmer mit dem größten Vergnügen, Betteredge.«

Wir gingen wieder nach dem Hof zurück, wo ich meinen Reisesack gelassen hatte. Nachdem er einen Stock durch den Griff gesteckt und den Sack über die Schulter genommen hatte, schien Betteredge wieder in das fassungslose Erstaunen zu verfallen, welches mein plötzliches Erscheinen, als ich ihn im Lehrstuhle überraschte, hervorgerufen hatte. Er blickte mit dem Ausdruck noch größerer Ungläubigkeit nach mir.

»Ich habe eine gute Anzahl Jahre in der Welt gelebt,« sagte dieser beste und theuerste aller alten Diener, »aber was ich jetzt erlebe, hofften meine Augen nie zu sehen. Da steht das Haus und hier steht Herr Franklin Blake —— hol mich der Teufel! —— kehrt der eine dem andern den Rücken und geht in eine gemiethete Wohnung!«

Er ging kopfschüttelnd und bedeutungsvoll murrend voran.

»Nun kann nur noch eine wunderbarere Sache passiren,« sagte er, indem er den Kopf über die Schulter umdrehte. »Das Nächste, was Sie thun werden, Herr Franklin, wird sein, daß Sie mir die 7 Shillinge 6 Pence zurückzahlen, die Sie als Knabe von mir geborgt haben.«

Dieser sarkastische Hieb brachte ihn in bessere Laune gegen sich selbst und gegen mich. Wir verließen das Haus und gingen am Pförtnerhause vorbei zum Gitter hinaus. Nachdem er Haus und Garten verschlossen hatte, legten die Pflichten der Gastfreundschaft Betteredge keinen Zwang mehr auf und konnte er seiner Neugierde freien Lauf lassen.

Er stand einen Augenblick still, bis ich neben ihm ging. »Schöner Abend für einen Spaziergang, Herr Franklin,« sagte er, als ob wir uns in diesem Augenblick zufällig begegnet wären, »angenommen, Sie wären nach dem Hotel in Frizinghall gegangen.«

»Ja?«

»So hätte ich die Ehre gehabt, morgen mit Ihnen zu frühstücken.«

»Nun, so frühstücken Sie jetzt mit mir in Hotherstone’s Meierei.«

»Sehr verbunden, Herr Franklin, für Ihre Güte. Aber es war nicht grade das Frühstück, worauf es mir ankam. Ich meine, Sie hätten vorhin bemerkt, daß Sie mir etwas zu sagen haben. Wenn es kein Geheimniß ist,« sagte Betteredge, indem er plötzlich den krummen Weg verließ und den graden betrat, »ich brenne vor Begierde, zu erfahren, was Sie so unvermuthet hierher geführt hat.«

»Was hat mich denn früher hierher geführt?« fragte ich.

»Der Mondstein, Herr Franklin Aber was führt Sie jetzt hierher?«

»Wieder der Mondstein, Betteredge.«

Der alte Mann stand plötzlich still und sah mich in dem grauen Dämmerlicht an, als ob er s« seinen eigenen Augen nicht traue.

»Wenn das ein Scherz sein soll,« sagte er, »so fürchte ich, ich bin auf meine alten Tage ein wenig stumpf geworden. Ich verstehe ihn nicht.«

»Es ist kein Scherz« antwortete ich; »ich bin hergekommen, um die Untersuchung wieder aufzunehmen, die man fallen gelassen hatte, als ich England verließ. Ich bin hergekommen, zu thun, was vor mir noch Keiner gethan hat —— herauszufinden, wer den Diamanten gestohlen hat.«

»Lassen Sie es mit dem Diamanten gut sein, Herr Franklin! Folgen Sie meinem Rath! Lassen Sie es damit gut sein! Dieser verwünschte indische Edelstein hat noch Jedermann, der ihm nahe gekommen ist, irre geleitet. Verschwenden Sie nicht Ihr Geld und Ihre Laune in Ihrer besten Lebenszeit damit, sich mit dem Mondstein zu befassen. Welchen Erfolg können Sie sich versprechen, wenn —— mit aller Achtung vor Ihrer Person sei es gesagt —— Sergeant Cuff selbst daran gescheitert ist? Sergeant Cuff!« wiederholte Betteredge, indem er den Zeigefinger bedeutungsvoll vor mir erhob, »der größte Polizei-Beamte in England!«

»Mein Entschluß ist gefaßt, mein alter Freund; selbst Sergeant Cuff kann mich nicht abschrecken Beiläufig, ich kann früher oder später in den Fall kommen, ihn sprechen zu müssen. Haben Sie kürzlich irgend etwas von ihm gehört?«

»Der Sergeant wird Ihnen zu nichts helfen, Herr Franklin.«

»Warum nichts«

»Seit Ihrer Abreise hat sich in der polizeilichen Welt etwas Merkwürdiges zugetragen. Der große Cuff hat sich von den Geschäften zurückgezogen Er hat sich ein kleines Landhaus in Dorking gekauft und lebt nur für die Rosenzucht. Das weiß ich von ihm selbst, Herr Franklin. Er hat die weiße Moosrose gezogen, ohne sie auf die wilde Rose zu pfropfen. Und der Gärtner Begbie soll nach Dorking kommen und sich endlich von dem Sergeanten für überwunden erklären.«

»Es kommt nicht viel darauf an,« sagte ich, »ich muß mich dann ohne Sergeant Cuff’s Beistand behelfen und damit beginnen, mich Ihnen anzuvertrauen.«

Vermuthlich hatte ich diese Worte etwas sorglos hingeworfen. Gewiß ist, daß Betteredge von der Antwort, die ich ihm eben gegeben hatte, etwas unangenehm berührt war.

»Sie könnten sich schlimmeren Leuten anvertrauen, Herr Franklin —— das kann ich Sie versichern,« sagte er etwas scharf.

Der Ton, in dem er dieses sprach, und eine gewisse Unsicherheit, die sich dabei in seinen Zügen malte, brachten mich dabei aus den Gedanken, daß er im Besitz einer Kunde sei, welche er mir mitzutheilen zaudere.

»Ich erwarte« sagte ich, »daß Sie mir behilflich sein werden, die Bruchstücke von Beweisen, welche Sergeant Cuff zurückgelassen hat, zusammenzulesen ich weiß, daß Sie das können. Können Sie nicht noch mehr thun?«

»Was können Sie noch mehr von mir erwarten?« fragte Betteredge mit dem Anschein der demüthigsten Ergebenheit.

»Ich halte mich durch das, was Sie eben selbst gesagt haben, zu mehr berechtigt.«

»Reine Renommage, Herr Franklin,« erwiderte der Alte eigensinnig »Manche Leute sind geborne Prahler und bleiben es bis an ihr Ende. Und so einer bin ich.«

Es gab nur ein Mittel, ihm beizukommen. ich appellirte an sein Interesse für Rachel und für mich.

»Betteredge, würde es Sie freuen zu hören, daß Rachel und ich wieder gute Freunde geworden seien?«

»Meine Dienste müssen Ihrer Familie von sehr geringem Nutzen gewesen sein, wenn Sie daran zweifeln können.«

»Erinnern Sie sich, wie Rachel mich behandelte, ehe ich England verließ?«

»So gut, als ob es gestern gewesen wäre.« Mylady, selbst schrieb Ihnen einen Brief darüber, und Sie hatten die Güte, mir den Brief zu zeigen. Er besagte, daß Fräulein Rachel sich durch den Antheil, welchen Sie an dem Versuch genommen, ihren Diamanten wieder ausfindig zu machen, tödtlich von Ihnen beleidigt glaube. Und weder Mylady noch Sie, noch sonst Jemand wußte, dieses Räthsel zu lösen.«

»Vollkommen richtig, Betteredge! Und nun kehre ich von meinen Reisen zurück und finde sie noch immer ebenso gegen mich gesonnen. Ich wußte im vorigen Jahr, daß der Diamant die Ursache dieses Grolls sei, und ich weiß, daß der Diamant auch jetzt noch die Ursache des fortdauernden Grolls ist. Ich habe versucht sie zu sprechen, aber sie will mich nicht sehen. Ich habe versucht ihr zu schreiben, aber sie will mir nicht antworten. Wie in aller Welt soll ich eine Aufklärung in dieser Angelegenheit erlangen? Die einzige Möglichkeit dazu, die Rachel selbst mir gelassen hat, ist, dem Verlust des Mondsteins weiter nachzuforschen.«

Mit diesen Worten hatte ich ihm augenscheinlich eine Ansicht über den Fall eröffnet, die ihm bis jetzt verschlossen gewesen war. Er that eine Frage, die mich überzeugt, daß ich nicht umsonst gesprochen hatte.

»Sie tragen keinen Groll mehr gegen Fräulein Rachel im Herzen, Herr Franklin?«

»Ich war etwas aufgebracht,« antwortete ich, »als ich London verließ. Aber das ist jetzt völlig vorüber. Alles, was ich jetzt wünsche, ist, zu einer Verständigung mit Rachel zu gelangen.«

»Sie fürchten auch nichts, Herr Franklin, von etwaigen Entdeckungen, die Sie in Betreff Fräulein Rachel’s machen könnten?«

Ich verstand den gegen jeden Zweifel eifersüchtigen Glauben an seine junge Herrin, welcher ihm diese Worte eingab.

»Ich habe einen so festen Glauben an Rachel, wie Sie,« antwortete ich. »Die vollste Enthüllung ihres Geheimnisses kann nichts an den Tag bringen, was ihren Platz in Ihrer oder meiner Achtung verrücken könnte.«

Bei diesen Worten verschwanden Betteredges letzte Scrupel.

»Wenn ich Unrecht thue, Ihnen zu helfen, Herr Franklin,« erklärte er sich, »so ist Alles, was ich zu meiner Rechtfertigung sagen kann, daß ich in der Erkenntniß dieses Unrechts so unschuldig wie ein neugebornes Kind bin. Ich kann Sie auf die Bahn der Entdeckung bringen, wenn Sie dann nur allein aus derselben weiter gehen können. Sie erinnern sich des armen Mädchens, das bei uns im Hause war, Rosanna Spearman?«

»Gewiß!«

»Sie glaubten immer, sie trage sich mit einem Bekenntniß über die Mondstein-Angelegenheit, das sie Ihnen habe ablegen wollen?«

»Ich wußte mir wenigstens ihr sonderbares Benehmen nicht anders zu erklären.«

»Diesen Zweifel können Sie heben, Herr Franklin, sobald Sie wollen.«

Jetzt war es an mir, stillzustehen Vergebens versuchte ich es, in der einbrechenden Dämmerung in seinen Zügen zu lesen. In meiner Ueberraschung fragte ich etwas ungeduldig, was er damit meine.

»Nur ruhig, Herr Franklin!« erwiderte Betteredge. »Ich meine, was ich sage. Rosanna Spearman hat einen versiegelten, an Sie adressirten Brief hinterlassen.«

»Wo ist der Brief?«

»In den Händen einer Freundin von ihr in Cobb’s Hole. Sie müssen bei Ihrem letzten Aufenthalt von der hinkenden Lucis, einem lahmen Mädchen mit einer Krücke, gehört haben.«

»Der Tochter des Fischers?«

»Eben der, Herr Franklin.«

»Warum wurde mir der Brief nicht nachgeschickt?«

»Die hinkende Lucy hat ihren eigenen Kopf, Herr Franklin, Sie wollte den Brief nur Ihnen selbst übergeben, und Sie hatten England verlassen, bevor ich Ihnen deshalb schreiben konnte.«

»Lassen Sie uns umkehren, Betteredge, und gleich den Brief holen!«

»Heute Abend ist es zu spät, Herr Franklin. Die Leute an unserer Küste sind sehr sparsam mit dem Verbrauch von Licht und in Cobb’s Hole gehen sie früh zu Bette.«

»Dummes Zeug! In einer halben Stunde können wir da sein!«

»Vielleicht aber würden Sie, wenn Sie hinkämen, die Thür verschlossen finden. Dabei deutete er auf ein unter uns flimmerndes Licht, und in demselben Augenblick hörte ich durch die Stille der Nacht das Murmeln eines Baches.

»Hier ist die Meierei, Herr Franklin! Machen Sie es sich für die Nacht bequem und kommen Sie gefälligst morgen früh zu mir.«

»Wollen Sie dann mit mir nach der Fischerhütte gehen?«

»Ja, Herr Franklin.«

»Und recht früh?«

»So früh Sie wollen.«

Wir stiegen den Pfad hinab, der zu der Meierei führte.


Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte