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Namenlos



Achtes Capitel.

Bei der Rückkunft nach Hause erhielt Hauptmann Wragge eine bedeutsame Meldung durch das Dienstmädchen.

—— Mr. Noël Vanstone würde um zwei Uhr Nachmitttags wiederkommen, wenn er auf das Vergnügen hoffen dürfte, Mr. Bygrave zu Hause zu treffen.

Die erste Frage des Hauptmanns, als er diese Meldung erhielt, bezog sich auf Magdalenen.

—— Wo ist Miss Bygrave?

—— Auf ihrem Zimmer.

—— Wo ist Mrs. Bygrave?

—— In dem Hinterstübchen.

Hauptmann Wragge richtete sofort seine Schritte nach der letzteren Seite hin und fand seine Frau zum zweiten Male in Thränen. Sie war den ganzen Tag aus Magdalenens Zimmer fortgeschickt worden, und sie konnte sich nicht enträthseln, womit sie das verdient haben sollte. Indem er ohne Weiteres ihre Klagen unterbrach, schickte sie ihr Gatte sofort nach oben, mit der Weisung, an die Thür zu klopfen und zu fragen, ob Magdalene für eine wichtige Frage, welche vor zwei Uhr erledigt werden müsse, fünf Minuten Gehör geben wolle.

Die zurückgebrachte Antwort war abfällig. Magdalene ersuchte ihn, ihr den Gegenstand, worüber sie wegen der Entscheidung gefragt werden solle, schriftlich mitzutheilen.

Sie versprach ebenso zu antworten, wohl verstanden, wenn Mrs. Wragge, nicht das Dienstmädchen, das Billet überbrächte und die Antwort zurücknähme.

Hauptmann Wragge öffnete sofort sein Schreibzeug und setzte folgende Zeilen auf:

Empfangen Sie meine wärmsten Glückwünsche betreffs des Erfolges Ihrer Unterredung mit Mr. N. V. Er wird um zwei Uhr wiederkommen: ohne Zweifel um seinen Antrag in der schicklichen Form zu stellen. Die Frage, die jetzt entschieden werden muß, ist nun die: ob ich ihn wegen des Leibgedinges drängen soll oder nicht. Die Erwägungen für Ihr eigenes Ermessen sind zwei an der Zahl. Einmal, ob der besagte Druck —— ohne dabei Ihren Einfluß über ihn im Mindesten zu gering anschlagen zu wollen, —— nicht eine lange Zeit ausgeführt werden müsse, ehe er aus Mr. N. V. Geld herauspreßt. Dann zum Zweiten, ob wir in Anbetracht Ihrer gegenwärtigen Stellung zu einem gewissen schlauen Mitbewerber in der Haube überhaupt die Gefahr des Verzugs laufen wollen Ueberlegen Sie diese Punkte und lassen Sie mich Ihren Entschluß wissen, sobald es Ihnen genehm ist.

Die Antwort auf diese Zeilen war in zitternden verwischten Zügen geschrieben, welche von Magdalenens gewöhnlicher fester und klarer Handschrift auffallend abwichen. Sie enthielt nur folgende Worte:

Bemühen Sie sich gar nicht wegen des Leibgedinges Ueberlassen Sie die Art und Weise, wie er sein Geld in Zukunft anwenden soll, lediglich meiner Leitung.

—— Sahest Du sie? frug der Hauptmann, als ihm seine Frau die Antwort behändigt hatte.

—— Ich versuchte, ihrer ansichtig zu werden, sagte Mrs. Wragge mit einer neuen Thränenfluth, aber sie öffnete die Thür nur soweit, um ihre Hand herauszustrecken. Ich ergriff sie und drückte sie leise, aber, ach! ich Aermste, sie fühlte sich so kalt an!

Als Mrs. Lecounts Herr um zwei Uhr erschien, fühlte er sich in beängstigender Weise des schmerzstillenden Wedelns von Mrs. Lecounts grünem Fächer benöthigt. Die Aufregung; in welche ihn das Magdalenen gemachte Geständniß seiner Liebe versetzt hatte, der Schreck, daß er von seiner Haushälterin ertappt wurde, der quälende Argwohn, daß ihm Magdalenens Verwandter und Beschützer harte Geldopfer auferlegen werde: alle diese Gemüthsbewegungen, welche in ihm um die Oberhand kämpften, hatten die Kraft seines schwächlichen Herzens höchst bedenklich auf die Probe gestellt und angestrengt. Er schnappte nach Luft, als er im Besuchszimmer auf Nordsteinvilla saß, und jenes unheimliche bläuliche Weiß, welches in Augenblicken der Aufregung stets sein Gesicht überzog, kam aufs Neue unheilverkündend zum Vorschein. Hauptmann Wragge ergriff in seiner Herzensangst die Brandyflasche und nöthigte seinem Gaste ein volles Weinglas dieses Getränkes auf, ehe noch von einer Seite ein Wort gesprochen wurde.

Gestärkt durch dieses Reizmittel und ermuntert durch die Schnelligkeit, mit welcher der Hauptmann jedes Wort, das er zu sagen hätte, ihm aus dem Munde nahm, war Mr. Noël Vanstone im Stande, den ernsten Gegenstand seines Besuches in erträglich deutlichen Ausdrücken vorzubringen. Alle von der Sitte hierbei vorgeschriebenen Einleitungen wurden nun ohne Weiteres erledigt. Die Familie des Antragstellers war achtbar, seine Lebensstellung war unleugbar zufriedenstellend, seine Neigung, obgleich etwas überstürzt, war ersichtlich uneigennützig und aufrichtig. Alles was der Hauptmann thun konnte, war, daß er mit einer vor Bewegung zitternden Stimme und schön gewählten Worten und Wendungen diese verschiedenen Erwägungen aussprach. Und Das gelang ihm denn vortrefflich. In der ersten halben Stunde der Unterredung wurde keinerlei Anspielung gemacht auf die zarte und verfängliche Seite der Frage. Der Hauptmann wartete, bis er seinen Besucher beruhigt hatte, und als dieser Erfolg erreicht war, berührte er leise diesen Punkt mit folgenden Worten:

—— Nun ist nur noch eine kleine Schwierigkeit, Mr. Vanstone, welche, denke ich, wir beide bisher übersehen haben. Das neueste Verhalten Ihrer Haushälterin läßt mich fürchten, daß sie die bevorstehende Veränderung in Ihrem Leben durchaus nicht mit freundlichen Augen ansehen werde. Wahrscheinlich haben Sie es nicht für nöthig befunden, sie von dem neuen Band, welches sie zu schließen beabsichtigen, in Kenntniß zu setzen?

Mr. Noël Vanstone wurde blaß bei dem bloßen Gedanken einer persönlichen Erklärung gegen Mrs. Lecount.

—— Ich kann nicht sagen, was ich thun werde, sagte er mit einem verstohlenen Blicke nach dem Fenster, als ob er erwartete das Gesicht der Haushälterin durch die Scheiben hereinschauen zu sehen. Wir sind alle unerquicklichen Verhältnisse verhaßt; dies aber ist das aller unerquicklichste Verhältniß, indem ich mich je befunden habe. Sie wissen nicht, was für ein schreckliches Weib die Lecount ist. Ich fürchte mich nicht vor ihr, denken Sie ja nicht, ich fürchte mich vor ihr....

Bei diesen Worten faßte ihn die lautere Furcht bei der Kehle und strafte ihn direct Lügen, indem sie ihm den Mund verschloß.

—— Ich bitte Sie, geben Sie sich keine Mühe mit Erklärungen, sagte Hauptmann Wragge, indem er ihm zu Hilfe kam. Dies ist ja die gewöhnliche Geschichte, Mr. Vanstone. Hier ist eine Frau, welche in Ihren Diensten und vor Ihnen in Ihres Vaters Diensten alt geworden ist, eine Frau, welche seit langen, langen Jahren nach einem festen Plane durch allerhand kleine Kunstgriffe und heimliche Schachzüge sich ihre Stellung zu verschaffen gewußt hat, kurz eine Frau, der Sie in Ihrer unüberlegten, aber ganz natürlichen Herzensgüte ein gewisses Eigenthnmsrecht auf sich eingeräumt haben....

—— Eigenthumsrecht! schrie Mr. Noël Vanstone, indem er den Hauptmann mißverstand und, schlechterdings unfähig seine Furcht länger zu verbergen, sich die Wahrheit entlocken ließ, —— ich weiß nicht, bis zu welchem Grade sie wohl ein Eigenthumsrecht beanspruchen mag. Sie will, ich soll für meinen Vater so gut als für mich selbst zahlen Tausende, Mr. Bygrave, Tausende von Pfund Sterlingen aus meiner Tasche!!!

Er schlug seine Hände zusammen in heller Verzweiflung über das Schreckbild solcher Gelderpressung das seine Einbildungskraft heraufbeschworen hatte, das Bild, wie sein goldenes Lebensblut in großen Strahlen von ihm sprang unter dem Aderlaßschnepper von Mrs. Lecount!

—— Gemach, Mr. Vanstone, gemach! Die Frau weiß noch Nichts, und das Geld ist noch nicht fort.

—— Nein, nein, das Geld ist noch nicht fort, wie Sie sagen. Ich bin nur aufgeregt darob, ich kann mir nicht helfen, ich komme allemal in Aufregung. —— Sie wollten eben Etwas sagen, Sie wollten mir einen Rath geben. Ich weiß Ihren Rath zu schätzen, Sie glauben gar nicht, wie sehr ich Ihren Rath zu schätzen weiß.

Er sagte diese Worte mit einem einschmeichelnden Lächeln, welches mehr als kläglich aussah, es war geradezu kriechend und stellte ihn ganz in Abhängigkeit von seinem gewitzigten Freund.

—— Ich versicherte Ihnen nur, lieber Herr, daß ich Ihre Lage wohl begreife, sagte der Hauptmann. Ich sehe Ihre Schwierigkeit so deutlich wie Sie selber. Sagen Sie einem Weibe, wie Mrs. Lecount, daß es von seinem häuslichen Throne herabsteigen, daß es einer jungen schönen Nachfolgerin Platz, machen solle, welche mit der Macht der Hausfrau ausgerüstet ist —— und eine unliebsame Scene muß unvermeidlich folgen. Eine unliebsame Scene, Mr. Vanstone, wenn Ihre Meinung von der Vernünftigkeit Ihre Haushälterin begründet ist. Etwas weit Schlimmeres, wenn meine Meinung, daß ihr Verstand erschüttert ist, sich als richtig erweist.

—— Ich sage nicht, daß ich das nicht auch glaube, versetzte Mr. Noël Vanstone. Namentlich nach Dem, was heute vorgefallen ist.

Hauptmann Wragge bat sofort, ihm mitzutheilen, was das für ein Vorfall sei, auf den er anspiele.

Mr. Noël Vanstone erklärte darauf hin unter unendlich vielen Einschaltungen in Bezug auf sich selbst, daß Mrs. Lecount die gefürchtete Frage bezüglich des kleinen Billets in ihres Herrn Tasche kaum eine Stunde zuvor gestellt habe. Er hatte ihr gerade so geantwortet, wie Mr. Bygrave ihm gerathen hatte. Als Mrs. Lecount hörte, daß die Genauigkeit der Personalbeschreibung richtig auf die Probe gestellt worden sei und in dem einen wichtigen Punkte der Male auf dem Nacken nicht zugetroffen hätte, habe sie ein wenig nachgedacht und ihn dann gefragt, ob er ihr Billet Mr. Bygrave gezeigt habe, ehe der Versuch gemacht wurde. Er hatte verneinend geantwortet, weil dies die einzig sichere Art der Erwiderung, die er im Drange des Augenblicks hatte finden können, gewesen sei. Die Haushälterin hatte dann folgende wunderbare und auffallende Worte an ihn gerichtet.

—— Sie verhehlen mir die Wahrheit, Mr. Noël. Sie vertrauen sich fremden Leuten an und zweifeln an Ihrer alten Dienerin und Ihrer alten Freundin. Jedes Mal, wenn Sie in Mr. Bygraves Wohnung gehen, jedes Mal, wenn Sie Miss Bygrave sehen, gehen Sie Ihrem Untergange näher und näher entgegen. Sie haben Ihnen trotz meiner Bemühungen eine Binde über die Augen gelegt, aber sagen Sie ihnen nur, daß ich sie, bevor einige Tage vergangen sein werden, abreißen werde!

Auf diesen außerordentlichen Ausbruch, begleitet wie er war, von einem nie vordem gesehenen Ausdruck in Mrs. Lecounts Zügen, hatte Mr. Noël Vanstone keine Antwort gefunden. Mr. Bygraves Ueberzeugung, daß der Haushälterin ein schlummernder Keim von Wahnsinn im Blute stecke, war ihm wieder eingefallen, und er hatte bei erster Gelegenheit das Zimmer verlassen.

Der Hauptmann hörte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf die Erzählung, die ihm hier mitgetheilt wurde. Er konnte nur einen Schluß daraus ziehen: es war eine deutliche Mahnung für ihn, das Ende zu beschleunigen.

—— Ich bin nicht überrascht, sagte er mit ernster Salbung, zu hören, daß Sie sich mehr und mehr meiner Meinung zuneigen. Nach dem, was Sie mir eben erzählt haben, Mr. Vanstone, hätte kein Mann von Gefühl anders handeln können. Dies wird nunmehr ernsthaft. Ich weiß kaum, welche Folgen die Mittheilung Ihrer nahen Lebensveränderung an Mrs. Lecount nach sich ziehen kann. Meine Nichte darf nicht in diese Folgen verwickelt werden. Sie ist nervenreizbar, sie ist feinfühlend im höchsten Grade; sie ist der unschuldige Gegenstand von dieses Weibes unvernünftigem Haß und Mißtrauen. Sie beunruhigen mich, Sir! Ich verliere nicht leicht meine Seelenruhe, aber ich gestehe, Sie beunruhigen mich wegen der Zukunft.

Er runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und sah seinen Gast wie ganz außer Fassung an.

Mr. Noël Vanstone fing nun an, ebenfalls unruhig zu werden. Die Veränderung in Mrs. Bygraves Benehmen schien ihm unheilverkündend für seinen Antrag von einem neuen ungünstigen Gesichtspunkte aus. Er zog seine angeborene Feigheit und seine angeborene Schlauheit zu Rathe und schlug nun eine Lösung der Schwierigkeit, die ganz seine Erfindung war, vor.

—— Warum sollen wir es der Lecount überhaupt sagen? frug er. Was hat die Lecount für ein Recht es zu wissen? Können wir uns nicht verheirathen, ohne sie ins Geheimniß zu ziehen. Und kann es ihr nicht nachher, wenn wir aus ihrem Bereiche sind, jemand Anders mittheilen?

Hauptmann Wragge nahm diesen Vorschlag mit einem Ausdruck der Ueberraschung auf, welche seiner Verstellungskunst alle mögliche Ehre machte. Sein hauptsächlichstes Augenmerk während der ganzen Unterredung war gewesen, sie unvermerkt bis zu diesem Punkt zu lenken, oder mit anderen Worten den ersten Gedanken, die Verheirathung von Mrs. Lecount geheim zu halten, nicht von sich, sondern von Noël Vanstone ausgehen und aussprechen zu lassen. Niemand wußte besser als der Hauptmann, daß die einzige Verantwortung, welche ein schwacher Mann immer auf sich nimmt, eine solche ist, welche beständig ihm als ausschließlich ihm zugehörend zugeschoben werden kann.

—— Ich bin gewohnt, mich stets von allem heimlichen Wesen abzuwenden, sagte Hauptmann Wragge. Aber es giebt auch für die strengsten Regeln Ausnahmen, und ich muß zugestehen, Mr. Vanstone, daß Ihre Lage in dieser Sache eine so außerordentliche ist, wie es nur je eine gegeben hat. Das Verfahren, das Sie eben vorgeschlagen, würde, so ungeziemend es mir auch erscheinen mag, so unangenehm es mir selber ist, Ihnen nicht allein eine ernstliche Schwierigkeit —— um mich gelind auszudrücken —— ersparen, sondern Sie auch vor der persönlichen Geltendmachung der Geldansprüche seitens Ihrer Haushälterin schützen, auf welche Sie bereits angespielt haben. Dies sind Beides ganz wünschenswerthe Erfolge, ganz zu schweigen der dadurch bei mir selbst beseitigten Besorgniß, meine Nichte belästigt zu sehen. Auf der andern Seite muß freilich eine mit solcher Heimlichkeit, wie Sie vorhaben, betriebene Heirath rasch geschlossen werden; denn wie wir einmal stehen, muß, je größer der Verzug ist, desto größer auch die Gefahr sein, daß das Geheimniß uns entschlüpft. Ich bin nicht gegen rasche Heirathen, wo eine gegenseitige Gluth durch ein entsprechendes Vermögen genährt wird. Meine eigene Heirath war eine Herzensehe, eingegangen in großer Eile. Es gibt tausend Beispiele von kurzem Brautstande und schneller Heirath, welche sich als Trumpfe erwiesen, —— verzeihen Sie, welche trotz alledem zum Segen anschlagen. Aber wenn Sie und meine Nichte, Mr. Vanstone, die Zahl dieser Fälle vermehren sollen, so müssen die gewöhnlichen Einleitungen zur Ehe unter den höheren Ständen auf irgend eine Art beschleunigt werden. Sie verstehen ohne Zweifel, daß ich jetzt auf den Gegenstand des Ehevertrags komme?

—— Ich will noch einen Theelöffel voll Brandy nehmen, sprach Mr. Noël Vanstone, indem er sein Glas mit zitternder Hand hinhielt als das Wort »Ehevertrag« über die Lippen des Hauptmanns kam.

—— Ich will einen Theelöffel mit Ihnen trinken, sagte der Hauptmann, indem er rasch von dem erhabenen Standpuncte seiner Ehrbarkeit herabstieg und seinen Brandy mit dem größten Genuß hinunter schlürfte.

Mr. Noël Vanstone suchte, nachdem er in nervöser Aufregung das Beispiel des Hauptmanns befolgt hatte, sich soweit zu fassen, um die bevorstehende Feuerprobe durchzumachen, das Haupt zurückgesunken, die Hände krampfhaft geballt, ganz in der Haltung, welche in der gesamten gesitteten Welt ein Mensch einnimmt, dem ein Zahn herausgenommen werden soll.

Der Hauptmann setzte sein leeres Glas nieder und stellte sich wieder auf seinen erhabenen Standpunkt.

—— Wir sprachen eben vom Ehecontract, begann er aufs Neue. Ich habe bereits bei einer früheren Stelle unserer Unterredung bemerkt, Mr. Vanstone, daß meine Nichte dem Manne ihrer Wahl keine andere Mitgift bringt, als die kostbarste aller Gaben, nämlich: sich selber. Dieser Umstand nimmt mir indessen, wie Sie ohne Zweifel wohl selber wissen werden, keineswegs das Recht, die gewöhnlichen Verträge mit ihrem künftigen Ehegatten zu vereinbaren. Nach dem üblichen Laufe der Dinge in dieser Angelegenheit würde mein Advocat den Ihrigen besuchen, Verhandlungen würden stattfinden, Verzögerungen würden eintreten, Fremde würden in unsere Absichten eindringen, und —— Mrs. Lecount würde früher oder später der Wahrheit auf die Spur kommen, die Sie ihr doch verborgen halten wollen. Sind Sie soweit mit mir einverstanden?

Unaussprechliche Angst verschloß Mr. Noël Vanstone die Lippen. Er konnte nur durch Nicken antworten.

—— Sehr gut, sagte der Hauptmann. Nun, Sir, werden Sie wohl bemerkt haben, daß ich ein Mann von ganz eigenthümlicher Lebensanschauung bin. Wenn es Ihnen bis jetzt noch nicht so vorgekommen ist, so mag es dann nothwendig werden, zu erwähnen, daß es Gegenstände gibt, in Bezug auf die ich beharrlich meine eigenes Meinung habe. Die Eheverträge sind ein solcher Gegenstand. Was pflegt, will ich Sie fragen, ein Vater oder Vormund in meiner gegenwärtigen Lage zu thun? Nachdem er dem Manne, welchen er zu seinem Schwiegersohne erkoren hat, das Glück einer Frau als heiliges Vermächtniß anvertraut hat, wendet er sich jählings wieder ab von dem Manne und weigert sich, die weit geringere Verantwortung, die Sorge für deren künftiges Auskommen, ihm zu überlassen. Er macht seinen Schwiegersohn mit der bündigsten Urkunde, die der Advocat aufsetzen kann, fest und bedient sich gegenüber dem Gatten seines eigenen Kindes derselben Vorsichtsmaßregeln, als wenn er es mit einem fremden Menschen oder mit einem Schelm zu thun hätte. Ich nenne ein solches Benehmen wie dieses ungeziemend und unfolgerichtig im höchsten Grade. Sie werden nicht finden, daß ich andere Lehren predige, als ich befolge. Wenn ich Ihnen meine Nichte anvertraue, vertraue ich Ihnen jede andere Verantwortung gegen sie und mich an. Geben Sie mir Ihre Hand, Sir, erklären Sie mir aus Ihr Ehrenwort, daß Sie für Ihre Gattin sorgen wollen, wie es Ihrer Stellung und Ihrem Vermögen entspricht: und die Frage des Ehecontractes ist zwischen uns von diesem Augenblick ein für allemal erledigt!

Nachdem er Magdalenens Weisungen in dieser stolzen Sprache ausgeführt hatte, schlug er seinen feierlichen Frack auseinander und saß da mit erhobenem Haupte und ausgestreckter Hand, das Muster väterlicher Empfindung und das Bild edelmenschlicher Uneigennützigkeit.

Für einen Augenblick blieb Mir. Noël Vanstone buchstäblich vor Erstaunen versteinert. Den nächsten Augenblick sprang er von seinem Stuhle auf und drückte in wahrer begeisterter Bewunderung die Hand seines großmüthigen Freundes. Noch nie in seiner langen, wechselvollen Laufbahn hatte Hauptmann Wragge solche Schwierigkeit empfunden, seine Fassung zu behaupten, als eben jetzt. Verachtung über den Ausbruch der elenden Dankbarkeit, deren Gegenstand er war, Siegesfreude wegen des Gelingens der Verschwörung gegen einen Mann, welcher das Erbieten seines Schutzes auf fünf Pfund zu schätzen sich unterfangen, Bedauern über die entgangene Gelegenheit, eine schöne Ernte »als moralischer Landwirth«, vulgo Industrieritter, zu halten, eine Gelegenheit, die er sich aus Furcht, in die kommenden Ereignisse verwickelt zu werden, nothgedrungen hatte entschlüpfen lassen müssen: alle diese verschiedenen Gefühle regten das Gemüth des Hauptmanns auf, alle strebten in ihm sich Luft zu machen durch Blick oder Wort. Er ließ Mr. Noël Vanstone sich so lange seiner Hand bemächtigen und eine Reihe von kreischenden Betheuerungen und Versprechungen herausstoßen, bis er seine gewöhnliche Selbstbeherrschung wiedererlangt hatte. Als Dies geschehen war, brachte er den kleinen Mann wieder an seinen Stuhl zurück und kehrte sofort zu der Frage betreffs Mrs. Lecount zurück.

—— Wir wenden uns nun wieder zu der einen Schwierigkeit zurück, die wir noch nicht überwunden haben, sagte der Hauptmann. Wir wollen einmal sagen, daß ich meinen eigenen Gewohnheiten und Gefühlen Gewalt anthue, daß ich die Erwägung, die ich bereits erwähnt habe, bei mir zur Geltung kommen lasse, und daß ich Ihren Wunsch, mit meiner Nichte vereinigt zu werden ohne Benachrichtigung der Mrs. Lecount, gut heiße. Erlauben Sie mir für diesen Fall zu fragen, welche Maßregeln Sie zur Erreichung Ihres Zweckes vorschlagen können?

—— Ich habe gar Nichts vorzuschlagen, versetzte Mr. Noël Vanstone in Verlegenheit. Wollen Sie mir nicht lieber Etwas vorschlagen?

—— Sie stellen ein kühneres Ersuchen an mich, als Sie denken, Mr. Vanstone. Ich thue niemals die Dinge nur halb. Wenn ich mit meiner gewöhnlichen Offenheit zu Werke gehe, so bin ich, wie Sie schon wissen, aufrichtig bis zu dem äußersten Grade der Unklugheit. Wenn außerordentliche Umstände mich zwingen, ein entgegengesetztes Verfahren einzuhalten, so gibt es keinen schlaueren Fuchs, als ich bin. Wenn ich auch Ihr ausdrückliches Ersuchen mein ehrbares englisches Kleid hier ausziehe und eine Jesuitenrobe anlege, wenn rein aus Mitgefühl für Ihre mißliche Stellung ich einwillige, Ihr Geheimniß vor Mrs. Lecount bewahrt zu sehen, so muß ich aber auch mit keinen uuvernünftigen Bedenklichkeiten von Ihrer Seite zu kämpfen haben. Wenn es bei mir heißt: entweder, oder ——, so muß es bei Ihnen auch heißen: entweder, oder ——!

—— Jedenfalls entweder, oder! sagte Mr. Noël Vanstone tapfer, —— wohlverstanden, wenn Sie vorangehen. Ich habe kein Bedenken dagegen, die Lecount im Dunkeln zu lassen, aber sie ist verteufelt schlau, Mr. Bygrave. Wie wollen wir es nur anfangen?

—— Sie sollen es gleich vernehmen, antwortete der Hauptmann, bevor ich meine Ansicht entwickle, möchte ich gern erst Ihre Meinung über eine rein moralische Frage kennen. Was halten Sie, lieber Herr von frommem Betrug im Allgemeinen?

Mr. Noël Vanstone sah etwas verlegen über diese Frage aus.

—— Soll ich mich deutlicher ausdrücken? fuhr Hauptmann Wragge fort. Was sagen Sie zu dem allgemein angenommenen Grundsatz, daß »in der Liebe und im Kriege alle Kniffe gelten«? Ja oder Nein?

— Ja! antwortete Mr. Noël Vanstone mit der größten Bereitwilligkeit «

—— Noch eine Frage, und ich bin fertig, sagte der Hauptmann. Haben Sie Etwas einzuwenden, gegen Mrs. Lecount einen frommen Betrug auszuführen?

Mr. Noël Vanstones Entschlossenheit begann ein wenig zu Wanken.

—— Wird es auch Mrs. Lecount nicht etwa herausbekommen? frug er vorsichtig.

—— Sie kann es unmöglich eher herausbekommen, als bis Sie verheirathet und aus ihrem Bereiche sind.

—— Sie sind dessen gewiß?

—— Vollkommen gewiß.

—— Spielen Sie der Lecount jeden Streich, den Sie wollen, sagte Mr. Noël Vanstone mit der Miene unaussprechlicher Freude. Ich habe neuerdings den Verdacht geschöpft, daß sie mich zu beherrschen sucht: ich beginne zu fühlen, daß ich es mit der Lecount just lange genug ausgehalten habe Ich wünsche sie nun los zu sein.

—— Sie sollen haben, was Sie wünschen, sagte Hauptmann Wragge. Sie sollen sie binnen einer Woche oder zehn Tagen los sein.

Mr. Noël Vanstone stand eifrig auf und kam auf den Stuhl des Hauptmanns zu.

—— Was Sie da sagen! rief er. Wie denken Sie dieselbe fortzubringen?

—— Ich denke sie auf eine Reise wegzuschicken, versetzte der Hauptmann Wragge.

—— Wohin?

—— Von Ihrem Hause zu Aldborough an das Bett ihres Bruders in Zürich.

Mr. Noël Vanstone fuhr bei der Antwort zurück und kehrte sofort auf seinen Stuhl zurück.

—— Wie können Sie Das bewirken? frug er in der größten Verwirrung. Ihr Bruder —— hol ihn der Henker! —— befindet sich viel besser. Sie hat erst diesen Morgen einen zweiten Brief von Zürich erhalten, welcher Dies besagt.

—— Sahen Sie den Brief?

— Ja. Sie ist immer besorgt um ihren Bruder, sie wollte ihn mir zeigen.

—— Von wem war er? und was besagt er?

— Er war von dem Arzte, er schreibt immer an sie. Ich kümmere mich keinen Pfifferling um ihren Bruder und entsinne mich nicht mehr genau des Briefes, außer daß er kurz war. Der Mensch befand sich weit besser, und wenn der Doctor nicht wieder schreiben würde, so möchte sie es für ausgemacht halten, daß es gut ginge. —— Das war das Wesentlichste daraus.

—— Bemerkten Sie, wohin sie den Brief that, als Sie ihn ihr wieder gaben?

—— Ja, sie that ihn in die Commode, wo sie ihre Rechnungsbücher aufhebt.

—— Können Sie zu dieser Commode gelangen?

—— Natürlich kann ich das! Ich habe einen Hauptschlüssel. ich muß stets einen Hauptschlüssel zu dem Orte haben, wo sie ihre Rechnungsbücher hat. Ich lasse niemals die Rechnungsbücher vor mir wegschließen, das ist eine Hausregel.

—— Seien Sie so gut und nehmen Sie den Brief heute an sich, Mr. Vanstone, ohne daß es die Haushälterin merkt, und haben Sie dann noch die Güte, mir ihn hier insgeheim auf ein bis zwei Stunden zu überlassen.

—— Wozu brauchen Sie ihn?

—— Ich habe noch einige Fragen mehr an Sie zu richten, ehe ich es Ihnen sagen kann. Haben Sie einen vertrauten Freund in Zürich, von dem Sie Beistand erwarten können, wenn es gilt, Mrs. Lecount eine Streich zu spielen?

—— Welcherlei Beistand meinen Sie? frug Mr. Noël Vanstone.

—— Denken Sie ich einmal, sagte der Hauptmann, Sie sollten einen an Mrs. Lecount in Aldborough gerichteten Brief, welcher in einem andern Briefe an einen auswärtigen Freund eingeschlossen wäre, abschicken. Und dann denken Sie sich, Sie wiesen jenen Freund an, damit er Ihnen dabei helfe, einen derben Schabernack auszuführen, indem er den Brief an Mrs. Lecount zu Zürich auf die Post gäbe? Kennen Sie Jemand, der das zuversichtlich thun würde?

—— Ich kenne zwei Personen, denen man Das zutrauen könnte! rief Mr. Noël Vanstone. Beides Damen, Beides alte Jungfern, Beides bittere Feindinnen der Lecount. Aber was haben Sie denn eigentlich vor, Mr. Bygrave? Obgleich ich für gewöhnlich nicht auf den Kopf gefallen bin, so sehe ich doch diesmal wirklich nicht ein, wohin Sie zielen.

—— Sie sollen es gleich sehen, Mr. Vanstone.

Mit diesen Worten erhob er sich, begab sich an sein Pult im Winkel des Zimmers und schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt Briefpapier. Nachdem er sie erst genau selbst gelesen, bat er Mr. Noël Vanstone zu kommen und sie auch zu lesen.

—— Vor wenigen Minuten, sagte der Hauptmann, indem er verbindlich lächelnd mit der Feder auf seinen Entwurf hinzeigte, hatte ich die Ehre einen frommen Betrug gegen Mrs. Lecount in Vorschlag zu bringen. Da ist er!

Er überließ seinen Stuhl am Schreibtisch seinem Gast. Mr. Noël Vanstone setzte sich und las folgende Zeilen:

Meine liebe Madame!

Seitdem ich Ihnen zuletzt geschrieben, hat Ihr Bruder, wie ich zu meinem Leidwesen melden muß, einen Rückfall bekommen. Die Krankheitserscheinungen sind so ernster Art, daß es meine persönliche Pflicht ist, Sie augenblicklich an sein Krankenlager zu rufen. Ich mache jede Anstrengung, um dem erneuten Fortschreiten der Krankheit Einhalt zu thun, und habe noch nicht alle Hoffnung auf Erfolg aufgegeben. Aber ich kann es vor meinem Gewissen nicht verantworten, Sie in Unbekanntschaft zu lassen mit der gefährlichen Verschlimmerung, welche in dem Befinden meines Patienten eingetreten ist, und die Von traurigen Folgen begleitet sein kann. Mit herzlicher Theilnahme verbleibe ich

Ihr u. s. w. u. s. w.

Hauptmann Wragge wartete mit einiger Spannung den Eindruck ab, den dieser Brief hervorbringen möchte. So niedrig denkend, selbstsüchtig und feig Mr. Noël Vanstone auch war, so konnte doch sogar er noch einiges Bedenken fühlen, solch eine Täuschung auszuführen, wie sie hier vorgeschlagen wurde, und zwar gegenüber einem Weibe, das zu ihm in dem Verhältniß stand, wie Mrs. Lecount. Sie hatte ihm treu gedient, so eigennützig ihre geheimen Zwecke dabei auch sein mochten, sie hatte seit seinen Knabenjahren schon das vollste Vertrauen seines Vaters besessen, sie stand jetzt unter dem Schutze seines Daches. Konnte er Das vergessen, und wenn er es nicht vergaß, konnte er so ohne Weiteres seine Hilfe bieten zu dem Plane, der ihm jetzt unter den Fuß gegeben ward? Hauptmann Wragge hatte unbewußt noch Glauben genug an die Menschheit bewahrt, um Dies zu bezweifeln. Zu seiner größten Verwunderung und —— wie hinzugefügt werden muß —— zu seiner Freude erwiesen sich seine Besorgnisse als durchaus unbegründet. Die einzigen Gefühle, welche in Mr. Noël Vanstones Brust beim Lesen des Briefes rege wurden, waren eine aufrichtige Bewunderung des Gedankens seines Freundes und ein eitles Verlangen, das ehrenvolle Zutrauen zu verdienen, daß er die Person sei, welche ihn ausführte. Es können alle Tage Beispiele von Narren gefunden werden, die keine Schurken sind, gelegentlich kann man wohl auch Narren auftreiben, die keine Schlauheit besitzen; aber mit Fug und Recht kann man Zweifel hegen, ob es irgendwo ein Beispiel von einem Narren giebt, der nicht grausam ist.

— Vortrefflich! rief Mr. Noël Vanstone und schlug in seine Hände. Mr. Bygrave, Sie sind so prächtig wie Figaro in der französischen Komödie. Da ich einmal vom Französischen spreche, es ist ein starker Fehler in diesem Ihren pfiffigen Briefe, er ist in der unrechten Sprache geschrieben. Wenn der Doktor an die Lecount schreibt, so schreibt er allemal französisch. Wollen Sie vielleicht, daß ich ihn übersetze? Sie können ohne meine Hilfe damit nicht zu Rande kommen, nicht wahr? Ich schreibe französisch so fließend als englisch. Jetzt sehen Sie mich 'mal an! Ich will ihn übersetzen, während ich hier sitze, mit zwei Federstrichen.

Er vollendete die Uebersetzung beinahe so rasch, als der Hauptmann die Vorlage ausgesetzt hatte.

—— Warten Sie eine Minute! rief er in dem kritischen Hochgefühl, daß er noch einen Mangel an dem Entwurfe seines gescheidten Freundes entdeckte. Der Doctor datiert immer seine Briefe, hier steht kein Datum in dem Ihrigen.

—— Ich überlasse das Datum Ihnen, sagte der Hauptmann mit sardonischem Lächeln. Sie haben den Fehler entdeckt, lieber Herr, bitte, verbessern Sie ihn auch!

Mr. Noël Vanstone sah im Geiste in die große Kluft, welche die Fähigkeit, etwas Falsches zu entdecken, von der Fähigkeit, auch ein Mittel zur Abhilfe zu erfinden, trennt, und lehnte nach dem Beispiele manches gescheidten Mannes ab, sich darüber hinaus zu wagen.

—— Ich kann mir unmöglich diese Freiheit erlauben, sagte er höflich, vielleicht hatten Sie einen Grund, das Datum auszulassen.

—— Vielleicht ja, versetzte Hauptmann Wragge in seinem leichtesten, launigsten Tone. Das Datum muß von der Zeit abhängen, die ein Brief braucht, bis er in Zürich ankommt. Ich habe darin keine Erfahrung, Sie aber müssen das von Ihres Vaters Zeit her noch recht gut wissen. Lassen Sie mich Ihrer Belehrung theilhaftig werden, und wir wollen das Datum hinzusetzen, bevor Sie den Schreibtisch verlassen.

Mr. Noël Vanstones Erfahrung war, wie Hauptmann Wragge richtig vorausgesetzt hatte, ganz maßgebend, um die Zeitfrage zu erledigen. Die Eisenbahnverbindungen des Festlandes waren (im Jahre achtzehnhundertsiebenundvierzig) noch dürftig, und ein zu jener Zeit von England nach Zürich abgeschickten Brief und von Zürich zurück nach England brauchte volle zehn Tage, um die doppelte Reise auf der Post zu machen.

— Datiren Sie den Brief auf Französisch fünf Tage voraus von morgen an, sagte der Hauptmann, als er belehrt worden war. Sehr gut. Das Nächste ist, mir des Doktors Brief zu verschaffen, sobald es Ihnen möglich ist. Ich werde genöthigt sein, einige Stunden zu arbeiten, ehe ich Ihre Uebersetzung in einer genauen Nachahmung der Handschrift des Doctors ausführen kann. Besitzen Sie etwas ausländisches Briefpapier? Lassen Sie mir einige Bogen zukommen und schicken Sie zugleich ein Couvert mit Adresse an eine jener Ihnen befreundeten Damen in Zürich, begleitet von der dringenden Bitte, den Einschluß zur Post zu geben. Das ist Alles, womit ich Ihnen beschwerlich fallen muß, Mr. Vanstone. Ich möchte um Alles nicht ungastlich erscheinen, aber je eher Sie mich mit meinen Unterlagen versehen können, einen desto größeren Gefallen werden Sie mir thun. —— Wir verstehen doch einander vollkommen? Nachdem ich Ihre Bewerbung um die Hand meiner Nichte angenommen habe, gestatte ich eine heimliche Verheirathung in Erwägung der auf Ihrer Seite obwaltenden Umstände. Eine kleine harmlose Kriegslist ist nothwendig, um Ihre Absichten zu fördern. Ich erfinde die List auf Ihr Ersuchen, und Sie machen ohne das geringste Zaudern Gebrauch davon. Der Erfolg ist, daß Mrs. Lecount in zehn Tagen von morgen an gerechnet auf dem Wege nach der Schweiz sein, in fünfzehn Tageu von morgen ab in Zürich ankommen und den ihr gespielten Streich entdecken, darauf in zwanzig Tagen von morgen ab wieder zurück in Aldborough sein und auf ihrem Tische die Vermählungscarte ihres Herrn und ihren Herrn selbst auf der Hochzeitsreise abwesend finden wird. Ich habe es mit Zahlen ausgedrückt, um es klar auszudrücken. Gott befohlen. Guten Morgen!

—— Ich habe doch morgen das Glück, Miss Bygrave zu sehen? sagte Noël Vanstone, indem er sich in der Thür umdrehte.

—— Wir müssen vorsichtig sein, antwortete Hauptmann Wragge. Ich will das Morgen nicht abschlagen, aber ich mache keine weiteren Versprechungen darüber hinaus. Erlauben Sie mir, Sie zu erinneren, daß wir es noch zehn Tage mit Mrs. Lecount zu thun haben.

—— Ich wollte, die Lecount läge aus dem Grunde der Nordsee! rief Mr. Noël Vanstone hitzig aus. Es ist für Sie leicht, es mit ihr zu thun zu haben, Sie wohnen nicht bei ihr. Was soll ich aber thun?

—— Ich sage es Ihnen morgen, sprach der Hauptmann. Gehen Sie, um Ihren Morgenspaziergang allein zu machen, und sprechen Sie hier um zwei Uhr ein, wie Sie heute einsprachen Zugleich vergessen Sie nicht die Dinge, welche ich von Ihnen brauche. Siegeln Sie dieselbe in ein großes Couvert ein. Wenn Sie Das gethan haben, bitten Sie Mrs. Lecount mit Ihnen wie gewöhnlich auszugehen, und während sie oben ist, um ihren Hut aufzusetzen, schicken Sie das Mädchen zu mir herüber. Verstehen Sie? —— guten Morgen!

Eine Stunde später kam das versiegelte Couvert mit den Inlagen richtig in Hauptmann Wragges Hände. Die doppelte Aufgabe, eine fremde Handschrift genau nachzumachen und Worte in einer fremden ihm wenig geläufigen Sprache richtig abzuschreiben, machte ihm mehr Schwierigkeiten, als er anfänglich gedacht hatte. Es war sieben Uhr, ehe die Arbeit, welche er unternommen hatte, glücklich vollendet, und der Brief nach Zürich zum Abschicken fertig war.

Ehe er zu Bett ging, machte er noch einen Spaziergang auf der einsamen großen Promenade, um die kühle Nachtlust zu genießen. Alle Lichter waren ausgelöscht in Villa Amsee, als er dorthin sah, außer dem Licht im Fenster der Haushälterin. Hauptmann Wragge schüttelte sein Haupt argwöhnisch. Er hatte gerade jetzt Erfahrungen genug gemacht, um Mrs. Lecounts Wachsamkeit das Schlimmste zuzutrauen.


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