Mann und Weib



Achtzehntes Kapitel - Noch näher dran!

Blanche trat durch eine der Balconthüren leise in die Bibliothek ein. »Was machen Sie hier?« fragte sie Arnold.

»Nichts! Ich wollte eben in den Garten gehen um nach Ihnen zu sehen!«

»Im Garten ist es heute Morgen unerträglich!« Bei diesen Worten fächelte sie sich mit dem Taschentuch und bemerkte Geoffrey’s Gegenwart im Zimmer mit einem Ausdruck sehr schlecht verhehlter Ungeduld. »Warte Du nur, bis ich seine Frau bin!« dachte sie, »wenn Du nicht viel schlauer bist, als ich es Dir zutraue, wirst Du dann nicht viel von Deinem Freunde zu sehen bekommen!«

»Es ist heute ein wenig gar zu warm, nicht war!« sagte Geoffrey, der ihre Blicke auf sich geheftet fühlte und doch etwas sagen zu müssen glaubte. Als er sich dieser Pflicht entledigt hatte, ging er ohne eine Antwort abzuwarten von dannen und setzte sich mit seinem Brief an einen der in der Bibliothek stehenden Schreibtische.

»Sir Patrick hat vollkommen Recht mit seinem Urtheil über die jungen Leute von heutzutage«, sagte Blanche zu Arnold gewandt. »Da fragt mich Der da etwas und wartet nicht einmal auf meine Antwort und da draußen im Garten sind drei Andere, die sich seit drei Stunden von nichts unterhalten, als von Pferde-Stammbäumen und von menschlichen Muskeln. Wenn wir erst verheirathet sein werden, lieber Arnold bitte, führen Sie nur keinen von Ihren Freunden bei uns ein, der nicht mindestens sechzig Jahre alt ist. Was wollen wir bis zum Frühstück anfangen? Hier bei den Büchern ist es schön kühl und ruhig, ich möchte etwas mild’ Anregendes vornehmen und habe absolut nichts zu thun. Lesen Sie mir doch etwas Poesie vor!«

»In seiner Gegenwart?« fragte Arnold, indem er auf den personificirten Gegensatz zu aller Poesie, mit andern Worten auf den am andern Ende des Zimmers sitzenden und ihm den Rücken zukehrenden Geoffrey hindeutete.

»Ach was! erwiderte Blanche, »wer wird sich an diesen Grobian kehren.«

»Ei, Ei!« sagte Arnold, »Sie sind ja diesen Morgen so scharf wie Sir Patrick; was wollen Sie erst von mir sagen, wenn wir verheirathet sind, wenn Sie so von meinem Freund sprechen!«

Blanche legte verstohlen ihre Hand in die Arnolds und drückte sie ausdrucksvoll »Gegen Sie werde ich immer freundlich sein«, flüsterte sie mit einem Blick, der eine Welt voll schöner Versprechungen in sich faßte.

Arnold gab den Blick zurück. Geoffrey war ihnen offenbar im Wege. Ihre zärtlichen Blicke begegneten sich; warum konnte auch dieser große unbequeme Mensch seine Briefe nicht anderswo schreiben, als hier? Mit einen: schwachen Seufzer sank Blanche resignirt in einen bequemen Lehnsessel und verlangte erröthend in einem sanften zitternden Tone nach »etwas Poesie.«

»Was für Poesie soll ich Ihnen vorlesen?« fragte Arnold.

»Was Sie wollen«, erwiderte Blanche, »ich muß durchaus etwas Poesie hören, ich weiß nich! warum!«

Arnold trat sofort an das nächste Bücherbret und nahm den ersten besten Band herunter, den seine Hand erfaßte; es war ein solider, in braunes Leder gebundener Quartband.

»Nun!« fragte Manche, »was haben Sie da?«

Arnold öffnete den Band und las den Titel genau so, wie er dastand: »Das verlorene Paradies. Ein Gedicht, von John Milton.«

»Ich habe noch nie etwas von Milton gelesen«, sagte Blanche, »Sie?«

»Nein!«

Wieder eine Sympathie zwischen uns; Jeder wohlerzogene Mensch sollte Milton kennen. Lassen Sie uns wohlerzogene Menschen sein und fangen Sie, bitte, an!«

»Von vorn?« .

»Natürlich! Aber warten Sie, Sie müssen nicht so weit von mir weg sitzen, Sie müssen so sitzen, daß ich Sie sehen kann. Ich kann nicht aufmerksam sein, wenn ich die Leute, die mir vorlesen, nicht ansehen kann.« Er setzte sich auf einen Schemel zu Blanche’s Füßen und öffnete das erste Buch des »Verlorenen Paradieses.« Seine Weise, Verse zu lesen war die kindlichste von der Welt. Beim Vorlesen von Versen denken ja die Meisten nur an den Klang und nur Wenige an den Sinn. Arnold gehörte zu den Ersteren. Am Ende eines jeden Verses machte er unerbittlich Halt und eilte diesem Halte unabänderlich mit so großer Geschwindigkeit zu, wie es die, doch nicht zu umgehenden Worte nur irgend zulassen wollten. Er fing an:

»Vom ersten Ungehorsam von der Fruncht ——
»Des untersagten Baum’s, von dem Genuß ——
»Der uns den Tod und jeglich Weh’ beschied ——
»Und Eden raubte, bis ein höh’rer Mensch ——
»Den Sitz des Segens wied’ rum uns gewinnt ——
»Sing’, o Du Himmelsmuse. —— ——«

»Wie schön!« sagte Blanche, ist es nicht eine wahre Schande, Milton in der Bibliothek stehen und nie etwas davon gelesen zu haben? Arnold, wir müssen ganze Vormittage Milton lesen! Es ist wahr, es wird zwar etwas lange dauern, aber wir sind Beide noch jung und, wer weiß, vielleicht leben wir lange genug, um ihn zu Ende zu bringen. Wissen Sie was, lieber Arnold? Wenn ich Sie recht ansehe, kommt es mir vor, als wären Sie nicht in der besten Laune nach Windygates zurückgekommen.«

»So? daß ich nicht wüßte.«

»Ich aber weiß; es ist Sympathie mit mir, ich bin auch ganz Verdrießlich!«

»Sie?«

»Ja! Seit ich Anne in Craig-Fernie gesehen habe, werde ich mehr und mehr besorgt um sie. Sie werden mich nach dem, was ich Jhnen heute Morgen gesagt habe, verstehen!«

Arnold heftete schleunigst den Blick wieder auf Milton. Er empfand diese abermalige Anspielung auf die Ereignisse in Craig-Fernie als einen neuen Vorwurf gegen sich wegen seines Benehmens im Gasthofe. Er versuchte es durch Hinweisen auf Geoffrey, Blanche zum Schweigen zu bringen: »Vergessen Sie nicht«, flüsterte er ihr zu, »daß noch Jemand hier im Zimmer ist!«

Blanche zuckte verächtlich die Achseln. »Was geht uns Der an! Was weiß Der von Anne! Was kümmert sie ihn?«

Jetzt gab es nur ein Mittel, Blanche von dem Gespräch über diesen delikaten Gegenstand abzubringen. Arnold fing in seiner überstürzenden Weise zu lesen an, zwei Zeilen weiter, als er eben vorher aufgehört hatte, diesmal noch ausschließlicher nach dem Klang und mit noch weniger Rücksicht aus den Sinn:

»Belehrt, wie aus dem Chaos im Beginne ——
Der Himmel und die Erde sich erhob,
Wenn Zion’s Hügel —— —— —— —— —— ——«

Bei »Zion’s Hügel« unterbrach ihn Blanche wieder. »Warten Sie einen Augenblick, Arnold; ich kann es wirklich nicht aushalten, Milton in dieser Weise hinunter zu schlingen, überdies habe ich Ihnen etwas zu sagen!

Habe ich Ihnen schon mittgetheilt, daß ich meinen Onkel wegen Anne consultirt habe!«

»Ich glaube nicht!«

»Vorhin im Zimmer bin ich seiner habhaft geworden und habe ihm Alles gesagt, was ich Ihnen erzählt habe; ich zeigte ihm Anne’s Brief und fragte ihn, was er dazu meine. Er ließ sich ziemlich viel Zeit und nahm viele Prisen Taback, ehe er sich entschloß, mir seine Meinung zu sagen, die dahin ging: »ich könne leicht mit meinem Verdacht, daß Anne’s Gatte ein abscheulicher Mensch sein müsse, Recht haben. Einmal sei schon sein Verstecken vor mir, gerade wie ich es aufgefaßt hatte, ein sehr verdächtiger Umstand, und dann gar das plötzliche Auslöschen der Lichter, als ich in’s Zimmer trat! —— Mrs. Inchbare und ich glaubten, es sei der Wind gewesen, aber Sir Patrick glaubt, der elende Mensch selbst habe das gethan, um mich zu verhindern, ihn, als ich in’s Zimmer trat, zu sehen und jetzt bin ich fest überzeugt, daß Sir Patrick Recht hat. Was meinen Sie dazu?«

»Ich glaube wir thäten besser, weiter zu lesen, sagte Arnold, den Kopf noch immer über das Buch gebeugt, »wir vergessen ja Milton ganz!«

»Ach! Sie sind langweilig mit Ihrem Milton. Die letzten Paar Verse waren nicht so schön wie die ersten; kommt etwas von Liebe im »verlorenen Paradies vor?«

»Vielleicht finden wir etwas der Art, wenn wir weiter lesen!«

»Dann fahren Sie fort, machen Sie aber rasch!«

Arnold machte so rasch, daß er es gar nicht bemerkte, daß er, anstatt weiter zu lesen, wieder zurückging und die schon gelesenen Verse noch einmal vorlas:

»Belehrt wie aus dem Chaos im Beginne ——
»Der Himmel und die Erde sich erhob ——
»Wenn Zion’s Hügel —— —— —— —— —— ——«

»Das haben Sie ja schon einmal gelesen!«

»Das glaube ich nicht!«

»Ach! ganz gewiß! Ich erinnere mich, als Sie »Zionshügel« lasen, sofort an Methodisten gedacht zu haben. Wie sollte ich an Methodisten gedacht haben, wenn Sie nicht »Zionshügel« gelesen hätten?«

»Ich will es mit der nächsten Seite versuchen, die kann ich noch nicht gelesen haben, denn ich habe noch gar nicht umgeschlagen.«

»Blanche warf sich in den Sessel zurück und bedeckte sich, voll Resignation, das Gesicht mit ihrem Taschentuch »Die dummen Fliegen!« sagte sie zur Entschuldigung. Ich will nicht schlafen, versuchen Sie es mit der nächsten Seite.«

Arnold fuhr fort:

»O sage mir zuerst (es birgt der Himmel ——
»Und auch die tiefste Hölle nichts vor Dir) ——
»Was unser erstes Aelternpaar, so glücklich ——
»Vom Himmel so beseeligt, einst bewog —— —— —— ——«

Da plötzlich riß sich Blanche das Schnupftuch vom Gesicht und setzte sich kerzengrade auf. »Bitte machen Sie das Buch zu, ich kann es nicht länger aushalten. Hören Sie auf, hören Sie auf!«

»Was ist Ihnen denn?«

»Dieser glückliche Zustand«, sagte Blanche, »was soll dieser glückliche Zustand bedeuten, natürlich heirathen! Und bei Heirathen muß ich wieder an Anne denken. Ich will Nichts weiter hören. Das verlorene Paradies ist traurig! Machen Sie das Buch zu. —— Also meine nächste Frage an Sir Patrick war natürlich, was er wohl glaube, daß Anne’s Mann gethan habe; der Elende müsse sich ja auf irgend eine Weise schlecht benommen haben; aber auf welche Weise? Hatte das etwas mit ihrer Heirath zu thun? —— Mein Onkel dachte wieder nach; er hielt das für durchaus möglich. Geheime Heirathen sagte er, seien etwas sehr Gefährliches namentlich in Schottland und er fragte mich, ob sie sich in Schottland geheirathet hätten. Das wußte ich nicht. Ich antwortete nur: »Und wenn Sie es hätten, was dann?« In diesem Fall, erwiderte Sir Patrick, wäre es sehr leicht möglich, daß Miß Silvester nicht ohne Besorgniß wegen ihrer Heirath wäre. Sie zweifelt vielleicht gar und möglicherweise mit Recht, ob ihre Heirath überall eine wirkliche Heirath ist!«

Arnold fuhr zusammen und sah sich nach Geoffrey um, der ihnen noch immer, am Schreibtisch sitzend, den Rücken zukehrte. Trotz ihrer irrthümlichen Auffassung von Anne’s Situation in Craig-Fernie, waren Blanche und Sir Patrick doch dahin gelangt über die Frage zu discutiren, bei welcher Geoffrey und Miß Silvester besonders interessirt waren: die Frage der Eheschließung in Schottland. Es war für Arnold unmöglich, Geoffrey in Blanche’s Gegenwart zu sagen, daß er gut thun würde, auf Sir Patricks Meinung selbst, in ihrer Vermittlung durch die zweite Hand zu hören. Vielleicht aber hatten die Worte ihren Weg bis zu ihm gefunden, vielleicht horchte er schon aus eigenem Antriebe.

In der That horchte Geoffrey. Blanche’s Worte waren in sein Ohr gedrungen, während er über seinem halbvollendeten Briefe an seinen Bruder brütete. Er wartete, die Feder in der Hand haltend, ohne sich zu rühren, ob sie nicht noch mehr sagen würde. Blanche fuhr fort, indem sie Arnold, der noch immer ihr zu Füßen saß, mit den Fingern durch die Haare fuhr. »Es war mir auf der Stelle klar, daß Sir Patrick das Richtige getroffen habe und das sagte ich ihm auch. Er lachte und meinte, ich dürfe nicht so vorschnelle, Schlüsse ziehen, wir tappten ja noch völlig im Dunkeln und alle die traurigen Dinge, die ich ihm aus dem Gasthofe mitgetheilt, konnten sich möglicherweise ganz anders erklären lassen. Er würde fortgefahren haben in seiner bekannten Manier, den ganzen Morgen haarsträubende Erklärungen zu machen, wenn ich ihm nicht Einhalt gethan hätte. Ich war vollkommen logisch; ich sagte ihm, ich hätte Anne gesehen und er nicht und das sei ein großer Unterschied und fügte hinzu: »Alles, was mich in dem Benehmen der armen Freundin irre führte und erschreckte, ist jetzt erklärt. —— Das Gesetz soll und muß diesen Menschen erreichen, Onkel, und wenn ich die Kosten tragen sollte.« Es war mir so ernst mit der Sache, daß ich wohl ein wenig bewegt ausgesehen haben mag und, was meinen Sie, daß der alte Mann that? Er nahm mich auf seinen Schooß und küßte mich und sagte im freundlichsten Tone, daß er sich, wenn ich ihm versprechen wolle, nicht mehr zu weinen, für den Augenblick zu meiner Ansicht bekennen und —— warten Sie, das Beste kommt noch, —— mir, sobald ich mich beruhigt haben werde, die Sache in einem ganz neuen Lichte darstellen wolle. Sie können sich denken, wie rasch ich meine Thränen trocknete und wie vollkommen beruhigt ich auf der Stelle aussah. »Nehmen wir es als ausgemacht an, fing Sir Patrick wieder an, daß dieser unbekannte Mann wirklich, wie Du und ich glauben, den Versuch gemacht hat, Miß Silvester zu hintergehen. Aber selbst wenn das der Fall, so ist es doch, wie ich Dich versichern kann, gar nicht unwahrscheinlich, daß er bei seinem Versuch, sie hinter’s Licht zu führen, ohne eine Ahnung davon zu haben, dahin gelangt ist, sich selber hinter’s Licht zu führen«

Geoffrey horchte scharf auf; die Feder entfiel seiner Hand: jetzt kam es! Das Licht, das sein Bruder über die Sache zu verbreiten nicht im Stande gewesen war, fing plötzlich an ihm aufzugehen.

Blanche fuhr fort: »Die Sache interessirte mich so und machte einen solchen Eindruck auf mich, daß ich kein Wort vergessen habe. »Ich darf Deinen armen kleinen Kopf«, fuhr mein Onkel fort, »nicht mit schottischem Recht quälen, ich will die Sache einfach machen. Es giebt in Schottland sogenannte unregelmäßige aber erlaubte Heirathen; eine abscheuliche Einrichtung, die aber in unserm Fall das Gute hat, daß es außerordentlich schwer für einen Mann in Schottland ist, sich das Ansehen zu geben, als ob er heirathen wolle, wenn er es nicht wirklich zu thun beabsichtigt. Auf der andern Seite kann es außerordentlich leicht in Schottland geschehen, daß ein Mann dazu kommt, verheirathet zu sein, ohne selbst die leiseste Ahnung davon zu haben.« Das waren genau seine Worte. Wir wollen uns nicht in Schottland verheirathen.«

Geoffrey erbleichte. Wenn das richtig war, so konnte er sich leicht selbst in der Falle gefangen haben, die er Anne gestellt hatte.

Blanche fuhr in ihrer Erzählung fort und Geoffrey horchte weiter zu.

»Mein Onkel fragte mich, ob ich ihn, verstanden habe. Die Sache war vollkommen klar; natürlich hatte ich ihn völlig verstanden.

»Nun gut«, fuhr Sir Patrick fort, »jetzt die Nutzanwendung »Nehmen wir also wieder an, daß wir auf der richtigen Fährte sind, so ist es sehr wohl denkbar, daß Miß Silvester sich, ohne wirklichen Grund, mit Besorgnissen wegen ihrer Heirath quält. Wenn der Unsichtbare Mann in Craig-Fernie so weit gegangen ist, ich sage nicht, sie zu heirathen, sondern nur sie glauben zu machen, daß er sie heirathen wolle —— und wenn er das in Schottland gethan hat, —— so sind die Chancen zehn gegen eins (wenn auch weder er noch sie eine Ahnung davon haben), daß er sie in der That bereits geheirathet hat. Wieder meines Onkels eigene Worte. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß ich eine halbe Stunde nach dieser Unterhaltung mit meinem Onkel, den Inhalt derselben Anne in einem Briefe nach Craig-Fernie übermittelt habe.«

Geoffrey’s dumpf starrende Augen fingen plötzlich an zu glänzen, ein höllisches Licht war ihm aufgegangen, ein teuflischer Gedanke war ihm durch den Kopf gefahren. Verstohlen blickte er nach dem Manne, dessen Leben er einst gerettet hatte und der ihm zum Dank dafür mit voller Ergebenheit in einer schwierigen Situation einen wichtigen Dienst leistete. Ein widerwärtiger Ausdruck von lauernder Schlauheit zuckte um seinen Mund und in seinen Augen. Arnold Brinkworth hatte sich im Gasthofe zu Craig-Fernie das Ansehen gegeben als ob er mit Anne verheirathet sei!

»Bei Gott im Himmel, das ist ein Ausweg, an den ich noch nicht gedacht habe!«

Mit diesem Gedanken machte er sich daran, seinen Brief an Julius zu vollenden.

Zum ersten Mal in seinem Leben war er heftig aufgeregt und das von seinen eigenen Gedanken. Er hatte an Julius unter dem Eindruck der gebieterischen Nothwendigkeit geschrieben, Zeit zu gewinnen, um Anne zu überreden, Schottland zu verlassen, bevor er es wagte, sich um Mrs. Glenarm’s Hand zu bewerben. Sein Brief enthielt eine Menge plumper Entschuldigungen, zu dem Zweck, es zu erklären, wenn sich seine Ankunft auf dem Gute seines Bruders noch verzögern sollte.

»Nein«, sagte er sich, als er das Geschriebene wieder überlas, »ich weiß noch nicht, was ich schreiben will, so geht es nicht!«

Er blickte sich wieder nach Arnold um und zerriß dabei leise den Brief.

Inzwischen war Blanche noch immer mit ihrer Erzählung nicht zu Ende. Als Arnold einen Gang in den Garten vorschlug, sagte sie: »Nein, ich habe Ihnen noch etwas zu sagen und zwar etwas, das Sie persönlich interessirt.«

Arnold ergab sich darein weiter zuzuhören und was schlimmer war, wenn es durchaus nöthig werden sollte, ihr in der Eigenschaft eines ganz Unbetheiligten zu antworten, der den Gasthof zu Craig-Fernie niemals betreten hätte.

»Nun«, fuhr Blanche fort: »Und was glauben Sie, daß aus meinem Briefe an Anne geworden ist?«

»Nun was denn?«

»Ich habe nichts wieder darüber gehört.«

»Wirklich nicht?«

»Absolut nichts. Ich weiß, daß sie den Brief gestern bekommen hat und ich hätte diesen Morgen Antwort erhalten müssen.«

»Vielleicht hat sie keine Antwort für erforderlich gehalten.«

»Das ist mir aus bekannten Gründen unmöglich; überdies habe ich sie in meinem gestrigen Brief flehentlich gebeten, mir, wenn auch nur in einer Zeile zu sagen, ob Sir Patrick und ich mit unserer Vermuthung über den Grund ihres Kummers Recht haben oder nicht, und jetzt ist es gleich Mittag und ich bin noch ohne Antwort. Was soll ich daraus schließen?«

»Das weiß ich wahrhaftig nicht!«

»Halten Sie es für möglich, daß wir schließlich doch nicht auf der rechten Fährte sind? Sollte der Mann, der die Lichter ausgeblasen hat, nichtswürdiger sein, als wir glauben? Der Gedanke ist so fürchterlich daß ich fest entschlossen bin ihn nicht länger zu ertragen. Wenn ich bis morgen keine Antwort habe, so rechne ich auf Ihren Beistand.«

Arnold war sehr betroffen. Offenbar drohte ein Netz von neuen Verwicklungen sich über ihn auszuspannen. Ruhig und auf das Schlimmste gefaßt, wartete er das Weitere ab. Blanche beugte sich vorüber und flüsterte ihm zu: »Was ich Ihnen jetzt sage, ist ein Geheimniß. Wenn das Geschöpf da am Schreibtisch auch schwerlich für etwas Anderes in der Welt Sinn hat als für Ruderschläge und Pferdegetrappel, so darf er das doch nicht hören. Vielleicht kommt Anne im Geheimen heute zu mir während sie Alle beim Frühstück sind; wenn sie nicht kommt und ich nichts von ihr höre, so müssen wir das Geheimniß ihres Unglücks aufklären und Sie müssen mir helfen!«

»Ich?«

»Machen Sie keine Schwierigkeiten; wenn Sie den Weg nach Craig-Fernie nicht zu finden wissen, so kann ich Ihnen dabei behülflich sein. Was Anne betrifft, so wissen Sie, was für ein liebenswürdiges Mädchen sie ist und Sie können eines freundlichen Empfanges um meinetwillen gewiß sein. Ich muß und will Nachricht von ihr haben; ich darf die Hausordnung nicht zum zweiten Mal brechen. Sir Patrick hat zwar Sympathie für die Sache, will sich aber nicht mehr rühren. Lady Lundie ist Anne’s bittre Feindin; die Domestiken sind sämtlich mit dem Verlust ihrer Stellen bedroht, wenn Einer sich untersteht, sich zu Anne schicken zu lassen. Es bleibt also Niemand übrig als Sie und Sie müssen etwas von Anne sehen oder hören.«

Das Alles sagte sie dem Manne, der in Craig-Fernie für Anne’s Gatten gegolten hatte und dem die genaueste Kenntniß ihres traurigen Geheimnisses ohne sein Zuthun aufgedrängt worden war.

Arnold erhob sich mit der Ruhe der Verzweiflung um Milton wieder wegzustellen. Jedes andere Geheimniß hätte er schlimmsten Falls der Discretion einer dritten Person anvertrauen können, aber das Geheimniß eines Mädchens, dessen Ruf von der Bewahrung dieses Geheimnisses abhing, durfte er unter keinen Umständen irgend Jemandem anvertrauen. Wenn Geoffrey mir da nicht heraushilft« dachte er, »so bleibt mir nichts übrtig, als Windygates morgen zu verlassen.« Während er das Buch wieder an seine Stelle setzte, trat Lady Lundie aus dem Garten in die Bibliothek »Was machst Du hier? fragte sie ihre Stieftochter.

»Ich arbeite an meiner Bildung«, erwiderte Blanche »Herr Brinkworth und ich haben eben im Milton gelesen.«

»Ist es Dir nach dieser hohen literarischen Beschäftigung möglich, Dich soweit herabzulassen, mir bei den Einladungen zu dem Diner für nächste Woche zu helfen?«

»Wenn Sie sich dazu herbeilassen, Lady Lundie, nachdem Sie die Hühner den ganzen Morgen gefüttert haben, so muß ich ja die Demuth selbst sein, nachdem ich mich nur mit Milton beschäftigt habe.« Nach diesem kleinen Austausch bittersüßer weiblicher Reden setzten sich Stiefmutter und Stieftochter an einen Schreibtisch, um der Tugend der Gastfreundschaft gemeinschaftlich obzuliegen. Arnold ging nach dem andern Ende der Bibliothek auf seinen Freund zu.

Geoffrey saß, die Ellbogen auf den Schreibtisch stützend und seine geballten Fäuste in die Backen bohrend da; dicke Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn und die Fragmente eines Briefes lagen zerstreut um ihn her. Zum ersten Mal in seinem Leben zeigte er Spuren einer nervösen Reizbarkeit. Er fuhr zusammen, als Arnold ihn anredete: »Was giebt’s, Geoffrey?«

»Ich habe einen Brief zu beantworten und weiß nicht, was ich schreiben soll!«

»An Miß Silvester?« fragte Arnold, doch so leise, daß Niemand es am andern Ende des Zimmers hören konnte.

»Nein!« antwortete Geoffrey noch leiser.

»Hast Du gehört, was Miß Blanche mir eben von Miß Silvester erzählt hat?«

»Etwas davon!«

»Hast Du gehört, daß Blanche mir angekündigt hat, ich müsse, wenn sie heute keine Nachrichten von Miß Silvester bekäme, morgen nach Craig-Fernie?«

»Nein!"

»So sage ich es Dir jetzt!«

»Nun?«

»Es giebt eine Grenze, über die hinaus ein Mensch selbst von seinem besten Freunde nichts mehr verlangen kann. Ich hoffe, Du verlangst nicht, daß ich morgen Blanches Boten abgebe. Wie die Dinge jetzt stehen, kann und will ich nicht nach dem Gasthofe gehen!«

»Du hast genug davon gehabt? Wie?«

»Ich wünsche nicht, Miß Silvester noch unglücklicher zu machen, und noch weniger, Blanche noch ärger zu betrügen.«

»Was meinst Du damit Miß Silvester noch unglücklicher zu machen? Was willst Du damit sagen?«

»Sie nimmt es nicht so leicht, wie Du und ich, daß ich sie vor den Leuten im Wirthshaus für meine Frau ausgegeben habe.«

Geoffrey griff ganz in Gedanken nach seinem Federmesser. Mit gesenktem Kopf fing er an, ein vor ihm liegendes Stück Papier zu zerknittern.

Dann brach er plötzlich sein Schweigen mit den leise geflüsterten Worten: »Höre einmal!«

»Nun?«

»Wie hast Du Dich eigentlich dabei benommen, als Du sie für Deine Frau ausgabst?«

»Das habe ich Dir ja schon erzählt, als wir von der Station zusammen hierher fuhren.«

»Ach damals habe ich an etwas Anderes gedacht, erzähle es mir doch noch einmal!«

»Arnold erzählte ihm nun noch einmal die Vorgänge im Wirthshause. Geoffrey hörte, ohne ihn zu unterbrechen ruhig zu, und ließ dabei das Federmesser auf seinen Finger balanciren.

»Das ist nun Alles vorbei!« sagte Arnold, indem er Geoffrey an den Schultern faßte und schüttelte; »jetzt kommt es Dir zu, mich aus der fatalen Lage zu befreien, in der ich Blanche gegenüber gerathen bin. Die Sache mit Miß Silvester muß noch heute in Ordnung gebracht werden?

»Sie soll auch in Ordnung gebracht werden.«

»Soll?« »Weshalb wartest Du denn!«

»Ich warte, bis ich das gethan habe, wozu Du mir gerathen hast! Hast Du mir nicht gerathen Sir Patrick zu consultiren bevor ich sie heirathe?«

»Gewiß habe ich Das gethan.«

»Nun gut, ich warte eben aus eine Gelegenheit Sir Patrick zu sprechen.«

»Und dann?«—— ——

»Jetzt zum ersten Male sah er Arnold an: »Dann«, sagte er, »kannst Du darauf mehrten, daß die Sache in Ordnung kommt!«

»Wie, die Heirath?«

»Ja, die Heirath«, erwiderte Geoffrey, indem er plötzlich wieder den Blick auf den Tisch senkte, »ja, die Heirath!«

Arnold reichte ihm die Hand zum Glückwunsch. Geoffrey aber nahm keine Notiz davon. Er hatte die Augen wieder aufgeschlagen und sah zu dem Fenster, an dem er saß, hinaus.

»Höre ich da nicht Stimmen?« sagte er.

»Ich glaube unsere Freunde sind im Garten«, erwiderte Arnold. »Vielleicht ist Sir Patrick bei ihnen, ich will zusehen«.

Kaum hatte Arnold den Rücken gewandt, als Geoffrey nach einem Blatt Papier griff. »Ehe ich es vergesse«, sagte er zu sich selbst. Er schrieb: »Memorandum: Er fragte nach ihr bei seiner Ankunft als nach seiner Frau. Er sagte bei Tisch der Wirthin und dem Kellner: »ich miethe diese Zimmer für meine Frau; zu denselben Zeit veranlaßt: er sie zu sagen, daß rr ihr Mann sei; dann blieb er die ganze Nacht dort. —— Wie nennt man das nach schottischen Recht: »Eine Heirath?« Nachdem er das Papier zusammengefaltet hatte, zauderte er einen Augenblick. »Nein, dachte er, es genügt nicht, sich auf das zu Verlassen, was Fräulein Lundie erzählt hat, ich kann meiner Sache nicht gewiß sein, bis ich Sir Patrick selbst um Rath gefragt habet« Er steckte das Papier in die Tasche und wischte sich die hellen Schweißtropfen von der Stirn. Er sah auffallend bleich aus, als Arnold zurückkam.

»Ist Dir etwas begegnet, Geoffrey? Du siehst ja aschgrau aus?«

»Das kommt von der Hitze; wo ist Sir Patrick?«

»Du kannst ihn dort sehen« und dabei deutete Arnold auf das Fenster. Sir Patrick kam eben über den Rasen mit einem Zeitungsblatt in der Hand auf die Bibliothek zugegangen und die Gäste von Windygates begleiteten ihn.

Sir Patrick lächelte und sagte nichts. Die Gäste aber sprachen sehr laut und waren ersichtlich in großer Aufregung. Offenbar hatte ein Disput zwischen der alten und der neuen Schule stattgefunden.

Arnold machte Geoffrey auf den Zustand der Dinge aus dem Rasen aufmerksam. »Wie willst Du es anfangen, ihn in Gegenwart aller dieser Leute um Rath zu fragen?«

»Ich will Sir Patrick um Rath fragen und wenn ich ihn am Genick packen und in die nächste Grafschaft schleppen müßte.«

Mit diesen Worten, denen er durch einen leise ausgestoßenen Fluch noch einen besonderen Nachdruck gab, sprang er auf.

Sir Patrick trat eben, von den Gästen begleitet, in die Bibliothek.


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