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Gesetz und Frau



Siebzehntes Kapitel.

Im Licht.

Eine kleine Pause war mir ebenso erwünscht wie Mr. Dexter. Ich mußte mich beruhigen für das Kommende sammeln.

Nach einiger Zeit öffnete die Thür sich wieder; die Stimme meines Wirthes rief mich in das innere Zimmer zurück.

»Willkommen!« sagte Miserrimus Dexter. »Ich habe mich jetzt wieder vollkommen erholt.«

Während meiner kurzen Abwesenheit war wiederum eine vollkommene Umgestaltung mit seinem äußeren Menschen vorgegangen. Seine Augen glänzten seine Wangen glühten unter dem Einfluß einer neuen Erregung. Selbst seine Kleidung hatte er einer Veränderung unterworfen. Er trug eine Mütze von weißem Papier; seine Manchetten waren aufgeschlagen, und eine saubere weiße Schürze lag über der Decke seines Stuhles. Er deutete lächelnd und schweigend mit der Grazie eines Tanzmeisters nach einem Sessel, von dem ich Besitz nehmen sollte.

»Ich bin jetzt ein Koch,« sagte er. »Ehe wir unsere schwierige Arbeit wieder aufnehmen, bedürfen wir beide der Erfrischung. Ich habe bereits etwas Wein getrunken; darf ich Ihnen auch ein Glas anbieten?«

Er füllte ein altes venetianisches Glas mit purpurner Flüssigkeit.

»Burgunder,« sagte er. »Der König der Weine. Und dieses ist der König des Burgunders Eles Vougeot. Ich trinke ans Ihren Gesundheit und ihr Glück!«

Er füllte einen zweiten Pokal für sich selbst und leerte ihn bis auf den Grund. Jetzt verstand ich den Glanz seiner Augen und die Röthe seiner Wangen. Ich trank ebenfalls etwas von dem Wein.

Und nun geschah etwas so Komisches und Wunderliches, daß ich es kaum erzählen kann. Er bat mich, ihn zu einem kleinen Nebenverschlage zu folgen, der einen vollständigen Kochapparat nebst Allem, was zu einer Küche gehört, enthielt, und dort bereitete er für sich und mich Trüffeln in Burgunder, während er zugleich Vorlesungen über die mangelnde Kochkunst der Frauen hielt, die nie einem einzigen Gegenstande ihre ungetheilte Aufmerksamkeit schenken könnten.

Ich mußte ihn gewähren lassen. Wie konnte ich anders? Wußte ich doch, daß ich nie etwas Bestimmtes über die Angelegenheit, die mich so vollkommen in Anspruch nahm, erfahren würde, wenn ich seinen Launen und Phantasten nicht freien Spielraum ließe.

Endlich war auch dieses Zwischenspiel vorüber. Ich nahm allen meinen Muth zusammen und fragte plötzlich:

»Mr. Dexter, haben Sie in neuester Zeit nichts von Mrs. Beanly gehört?« .

Die fröhliche Behaglichkeit, der er sich während des eigenthümlichen Mahles überlassen hatte, schwand von Dexters Antlitz und ging aus wie ein verlöschtes Licht.

»Kennen Sie Mrs. Beanly?« fragte er mit verändertem Ton.

»Nur aus der Lesung des Prozesses,« sagte ich.

»Sie müssen doch irgend ein Interesse für sie haben, sonst würden Sie Sich nicht nach ihr erkundigen,« sprach Mr. Dexter weiter. »Ist dies das Interesse eines Freundes oder eines Feindes?«

Ein Blick auf ihn schickte mir abermals eine Warnung, vorsichtig zu sein, ehe es zu spät wäre.

»Wenn ich Ihnen die Frage beantworten soll,« entgegnete ich, »muß ich abermals auf den Prozeß zurückkommen.«

»Nur zu!« sagte er mit einem grimmigen Ausdruck seines Humors. »Ich bin hier Ihrer Barmherzigkeit preisgegeben. Ich bin ein Märtyrer auf dem Holzstoß. Schüren Sie das Feuer!«

»Ich bin nur ein unwissendes Weib,« warf ich ein, »aber es scheint mir doch, als wenn in einem Theile des Prozesses ein vollständiger Irrthum enthalten sei.«

»Ein vollständiger Irrthum?« wiederholte er, indem er die Sache leicht zu nehmen versuchte. Aber ich konnte dennoch bemerken, daß meine Aeußerung auf ihn gewirkt, denn ich sah seine Hand zittern, als er sein Glas zum Munde führte.

»Ich bezweifele nicht, daß meines Gatten erste Frau ihn wirklich ersucht habe, das Arsenik zu kaufen,« fuhr ich fort.

»Ich bezweifele nicht, daß sie es als Mittel gegen ihren schlechten Teint gebraucht habe. Was ich jedoch nicht glaube, ist, daß sie an einer aus Versehen genommenen zu starken Dosis des Giftes starb.«

Er setzte sein Glas so heftig auf einen Nebentisch, daß der größere Theil des Weines überfloß. Für einen Augenblick begegneten seine Augen den Meinigen; dann sah er zu Boden.

»Wie glauben Sie denn, daß sie starb?« fragte er so leise, daß ich ihn kaum versichert konnte.«

»Durch die Hand eines Vergifters,« antwortete ich.

Er machte eine Bewegung, als wenn er aus dem Stuhl springen wollte, sank dann aber aus Mangel an Kraft zurück.

»Meinen Gatten meine ich nicht,« beeilte ich mich hinzuzufügen. »Sie wissen ja, daß ich von seiner Unschuld überzeugt bin.«

Ich sah ihn zittern. Er mußte sich mit beiden Händen an den Stuhl halten.

»Wer vergiftete sie denn?« fragte er in seinem Stuhl zurückgelehnt.

In diesem kritischen Moment verließ mich mein Muth. Ich fürchtete mich, ihm zu sagen wen ich beargwöhnte.

»Wissen Sie es nicht?« fragte ich.

Es entstand eine Pause. Plötzlich fuhr er in seinem Stuhl empor. Seine Augen bekamen ihren alten Glanz, die Röthe kehrte auf seine Wangen zurück. Hatte er über das Interesse nachgedacht, das ich für Mrs. Beanly hegte? Und hatte er gerathen? Er hatte es!

»Antworten Sie auf Ihr Ehrenwort,« rief er. »Versuchen Sie nicht, mich zu hintergehen!«

Meinen Sie ein Weib?«

»Ja.«

»Welches ist der erste Buchstabe ihres Namens?«

»B.«

»Beanly?«

»Beanly!«

Er hielt beide Hände empor und brach in ein convulsivisches Lachen aus.

»Ich habe lange genug gelebt,« rief er wild. »Endlich habe ich doch Jemand entdeckt, der ebenso klar in der Sache sieht, wie ich. Sie grausame Mrs. Valeria! Weshalb haben Sie das nicht gleich gesagt?«

»Wie!« äußerte ich, auf seine Erregung eingehend. »Ihre Ideen sind also auch meine Ideen? Wäre es möglich, daß Sie ebenfalls Mrs. Beanly beargwöhnen?«

»Beargwöhnen?« wiederholte er mit Verachtung. »Da bleibt ja nicht ein Schatten von Zweifel übrig. Mrs. Beanly hat Mrs. Macallan vergiftet.«


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