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Namenlos



Drittes Capitel.

Nachdem Magdalene das zweite Gedeck gelegt hatte, wartete sie mit Ungeduld und Spannung auf das Zeichen mit der Klingel.

Die Rückkehr Mr. Bartrams konnte aller Wahrscheinlichkeit nach in dem Leben des Hauses eine Veränderung hervorbringen, aber eine wieartige Veränderung? Gleichviel wie gering sie auch sei, konnte Etwas zu verhoffen sein. Der Neffe konnte vielleicht Einflüssen zugänglich sein, für welche der Oheim unempfindlich war. Auf jeden Fall würden die Beiden bei Tische von ihren Angelegenheiten sprechen, und durch dies Gespräch, das Tag für Tag in ihrer Gegenwart statt fand, konnte früher oder später der Weg zur Entdeckung, der jetzt schlechterdings in Dunkel gehüllt war, sich offenbaren.

Endlich ertönte die Klingel, die Thür ging auf, und die beiden Herren traten zusammen ins Zimmer.

Magdalene ward durch George Bartrams Aehnlichkeit mit ihrem Vater nach dem Bilde auf Combe-Raven, das Andreas Vanstone in seinen jüngeren Jahren darstellte, gerade so betroffen, wie ihre Schwester. Das helle Haar und die blühende Gesichtsfarbe, die glänzenden blauen Augen und die ritterliche schlanke Gestalt, die ihr auf dem Bilde wohlbekannt waren, wurden ihr ins Gedächtniß zurückgeführt, als der Neffe seinem Oheim durchs Zimmer folgte und seinen Platz bei Tische einnahm. Sie war auf diese plötzliche Erinnerung an die zerrissenen Familienbande nicht vorbereitet. Ihre Aufmerksamkeit schweifte ab, als sie jenen Eindruck zu verbergen suchte, und sie beging bei der Bedienung zum ersten Mal, seit sie ins Hans gekommen, ein Versehen.

Ein nicht unzarter Berweis des Admirals, halb im Scherz, halb im Ernst, gab ihr Zeit, sich zu fassen. Sie sah George Bartram noch einmal an. Der Eindruck, den er auf sie hervorbrachte, machte ihre Neugier Augenblicks rege. Sein Gesicht und Wesen sprachen deutlich Verlegenheit und Zerstreutheit aus. Er sah öfters auf seinen Teller, dann auf seinen Oheim, und Magdalenen sah er außer einer flüchtigen Musterung des neuen Zimmermädchens, als der Admiral mit ihr sprach, gar nicht an. Eine gewisse Ungewißheit machte ihn ersichtlich unaufmerksam, irgend ein Druck lag auf seinem sonst so offenen Wesen. Was war das für ein Druck? —— Sollten irgendwelche persönliche Mittheilungen nach und nach während des Tischgesprächs zu Tage kommen?

Nein. Ein Gang mit Gerichten folgte nach dem andern, aber Nichts von der Art einer persönlichen Mittheilung fand statt.

Die Unterhaltung schwankte in Unterbrechungen und und geringfügigen häuslichen Gesprächsstoffen auf der andern Seite hin und her. Innere und auswärtige Politik wechselten ab mit der kleinen Hausgeschichte von St. Crux. Die Häupter der Staatsumwälzung welche Philipp vom französischen Throne stieß, gingen in dem Tischgespräch friedlich selbander mit dem alten Mazey oder den Rüben. Der Nachtisch wurde hereingebracht, der alte Seemann trat ein, trank seinen Toast als guter Unterthan, machte seinen Diener ver »Junker George« und ging wieder hinaus. Magdalene folgte ihm nach den Gesindestuben, nachdem sie in dem Gespräch vom Anfang bis zum Ende Nichts gehört hatte, was für ihren Plan irgendwie fördersam gewesen wäre. Sie mußte sich gewaltsam zusammennehmen, um nicht gleich am ersten Tage Muth und Geduld zu verlieren. Sie konnten morgen nicht wieder, konnten doch wahrlich morgen nicht wieder anfangen von der französischen Revolution und den Hunden! Die Zeit konnte Wunder thun, und die Zeit gehörte ihr ganz und gar.

Als Onkel und Neffe bei ihrem Weine endlich allein waren, zogen sie ihre Lehnstühle an die beiden Ecken des Kamins, und nun begann in Magdalenens Abwesenheit gerade die Unterhaltung, auf die sie so gespannt gewesen war.

—— Rothwein, George? fragte der Admiral, indem er die Flasche über den Tisch hinüber schob. Du siehst niedergeschlagen aus.

—— Ich bin ein wenig in Angst und Sorge, Sir, versetzte George, indem er sein Glas leer ließ und geradeaus ins Feuer starrte.

—— Freut mich, Dies zu vernehmen, fuhr der Admiral fort. Ich bin mehr als bloß ein wenig in Angst und Sorge, das kannst Du mir aufs Wort glauben. Da stehen wir nun bei den letzten Tagen des März —— und es ist noch rein gar Nichts geschehen! Deine Frist läuft am dritten Mai ab, und Du sitzest nun da, als ob Du noch Jahre vor Dir hättest, um einzulenken.

George lächelte und schenkte sich gleichgültig etwas Wein ein.

—— Soll ich es denn wirklich und wahrhaftig glauben, Sir, frug er, daß es Dir Ernst ist mit dem, was Du mir im November sagtest? —— Bist Du in der That entschlossen, mich an eine unbegreifliche Bedingung zu binden?

—— Ich nenne sie nicht unbegreiflich, sagte der Admiral in gereiztem Tone.

— Wirklich nicht, Sir? —— Ich soll Dein Gut ohne Vorbehalt erben, wie Du es großmüthig von Anfang an festgestellt hast. Aber von dem Vermögen, das Dir der arme Noël hinterließ, soll ich keinen Heller bekommen, wenn ich nicht innerhalb einer gewissen Zeit verheirathet bin. Das Haus und die Ländereien sollen Dank Deiner Freundlichkeit unter allen Umständen mein Eigenthum werden. Aber das Geld, mit welchem ich erst Beides in einen bessern Stand setzen könnte, soll mir willkürlich vorenthalten werden, wenn ich nicht am dritten Tage des Mai Ehemann bin. Mein Wissen ist freilich schlimm genug eitel Stückwerk, kann ich wohl sagen; aber ein unbegreiflicheres Verfahren ist mir noch niemals zu Ohren gekommen!

Noël— Nur nicht gebrummt und gemurrt, George! Sag Deinen Spruch nur heraus. Wir verstehen keine Sticheleien, wir von Ihrer Majestät Flotte!

—— Ich denke nicht daran, Dich zu beleidigen, Sir. Aber ich glaube, es ist ein wenig hart, mich so durch einen Wechsel Deines Verfahrens, der mir an Deinem Charakter ganz neu und fremd ist, in Erstaunen zu setzen, um dann, wenn ich natürlich um eine Erklärung bitte, Dich kalt abzuwenden und mich im Dunkeln herum tappen zu lassen. Wenn Du und Vetter Noël zu einem geheimen Abkommen unter einander gelangt seid, ehe er seinen letzten Willen aufsetzte, warum sagst Du mir es da nicht? Warum da ein Geheimniß zwischen uns stellen, wo keines von nöthen ist?

—— Ich wills aber nicht haben, George, rief der Admiral mit dem Nußknacker ärgerlich auf dem Tische trommelnd. Du versuchst mich wie einen Dachs anzubohren, aber ich will nicht angebohrt sein. [Bei der Jagd auf Dachse wird das in seinem Bau aufgespürte Wild, wenn man mit Spaten und Hacke dessen »Bau« von oben herab aufgegraben und das Thier in seinem »Kessel« oder an einem andern Teile seiner unterirdischen Wohnung aufgefunden hat, und nur im Stande ist, dasselbe durch die Dächsel festhalten zu lassen, mittelst Ladestöcken oder besonderen Stäben, die am unteren Ende eingekerbt sind, beim Fell gefaßt, das Letztere angedreht oder angebohrt und das Thier so herausgezogen W.] Ich will jede Bedingung stellen, die mir beliebt, und will Niemandem darüber Rede stehen, bis es mir gefällt. Es ist gerade schlimm genug, Sorgen und Verantwortungen auf meinen unglücklichen Schultern tragen zu müssen, um die ich nie ein Glied gerührt habe —— es gebt Dich Nichts an, was das für Sorgen sind, sie sind meine, nicht Deine Sache —— ohne daß ich die Kreuz und Quer gefragt werde, als ob ich ein Zeuge vor den Schranken des Gerichts wäre!

—— Das ist ein hübscher Gesell! fuhr der Admiral fort, indem er seinen Neffen in der Rothglühhitze der Aufregung anredete aber sich dabei im Mangel eines bessern »Umstandes« an die Hunde auf der Kamindecke wandte —— das ist ein hübscher Bursche! Er wird ersucht, bei zwei ungewöhnlich netten Dingen zuzugreifen, einem Vermögen und einer Frau, er erhält sechs Monate Zeit, um sich die Frau zu nehmen —— auf Ihrer Majestät Flotte hätten wir eine in sechs Tagen mit Sack und Pack uns angeschafft —— er hat ein volles Dutzend allerliebster Mädchen, wie ich ganz gewiß weiß, in dem einen und in dem andern Theile des Landes, bei denen er mir anzuklopfen braucht: und was thut er? —— Da sitzt er Monate auf Monate mit übereinander geschlagenen Beinen müßig da, läßt die Mädchen schmachten und quält seinen Oheim um den Grund, das Warum? zu erfahren! Ich bedaure die armen unglücklichen Frauenzimmer. Die Männer sind aus Fleisch und Blut gemacht und noch obendrein viel Blut meiner Zeit. Jetzt sind es lauter Drahtpuppen.

—— Ich wiederhole nur, Sir, ich bedaure, Dich beleidigt zu haben, sagte George.

—— Ach was! Du brauchst mich nicht so kläglich anzusehen, wenn dies der Fall ist, gab der Admiral zurück.

Mach Dich über Deinen Wein, dann will ich Dir vergeben. —— Auf Dein Wohl, George! —— Freue mich recht, Dich wieder auf St. Crux zu sehen! —— Sieh mal den Teller mit Blättergebacknem an! Die Köchin hat ihn ’rauf geschickt zu Ehren Deiner Rückkehr. Wir können sie unmöglich vor den Kopf stoßen und können uns auch nicht den Geschmack am Wein verderben. —— Hier!

Der Admiral schob in rascher Folge vier Stück von dem Blättergebackenen in die weiten Rachen der Hunde.

—— Ich bedaure, George, fuhr der alte err mit düsterem Ernst fort, ich beklage wirklich, daß Du nicht auf eins dieser hübschen Mädchen Dein Auge geworfen hast. »Du weißt nicht, was für einen Verlust Du Dir dadurch zuziehst, weißt auch nicht, welche Sorge und Bekümmerniß Du mir selber verursachst, und Alles nur durch dies Dein recht kaltes, nicht warmes Verhalten in dieser Sache.

—— Wenn Du mir nur erlauben wolltest, mich auszusprechen, Sir, so würdest Du mein Benehmen in einem ganz andern Lichte schauen. Ich bin ja bereit, schon morgen zu heirathen, wenn —— ja nun —— die Dame mich haben will.

—— Alle Wetter! Also hast Du doch Deine Augen auf eine Dame geworfen? Warum um Gottes Willen konntest Du mir das nicht eher sagen? —— Nimm mir’s nicht übel, —— wahrlich, ich vergebe Dir Alles, was Du willst, jetzt wo ich weiß, daß Du Dich an ein Frauenzimmer herangemacht hast. —— Schenk Dir wieder ein. —— Hier ist ein volles Glas auf das Wohl Deiner Dame! —— Wer ist sie denn übrigens?

—— Ich will es Dir gleich sagen, Admiral. Als wir unser Gespräch begannen, erwähnte ich, daß ich ein wenig besorgt wäre....

—— Sie ist keine aus meinem vollen Dutzend hübscher Mädchen? Aha, Monsieur George, ich sehe es Dir schon an den Augen an! Warum bist Du besorgt, he?

—— Ich fürchte, Du wirst meine Wahl nicht billigen, Sir.

—— Schlag mir nicht auf den Busch! Wie zum Henker kann ich sagen, ob ich mißbillige oder nicht, wenn Du mir nicht sagst, wer sie ist?

—— Sie ist die älteste Tochter von Andreas Vanstone auf Combe-Raven.

—— Wer?!!

—— Miss Vanstone, Sir.

Der Admiral setzte sein Glas Wein unberührt wieder nieder.

—— Du hattest Recht, George, sagte er. Ich mißbillige Deine Wahl, mißbillige sie strengstens.

—— Ist es das Unglück ihrer Geburt, Sir, das Du an ihr auszusetzen hast?

—— Gott behüte! Das Unglück ihrer Geburt ist nicht ihr Fehler, das arme Kind. Du weißt so gut als ich; George, was ich daran auszusetzen habe.

—— Du hast an ihr auszusetzen, daß sie eine solche Schwester hat?

—— Ganz gewiß! Der freidenkendste Mann auf Gottes Erdboden müßte sich gegen ihre Schwester verwahren.

—— Es ist hart, Sir, Miss Vanstone für ihrer Schwester Fehler büßen zu lassen.

—— Fehler nennst Du es? —— Du hast ein sehr verläßliches Gedächtnis George, wo es sich um Deine Interessen handelt!

—— Nenne es Vergehen, wenn Du willst, Sir, —— ich sage noch einmal, es ist hart für Miss Vanstone. Miss Vanstones Leben ist rein und makellos Von Anfang bis Ende hat sie ihr Loos mit solcher Geduld, solcher Sanftmuth, solchem Muth ertragen, wie unter Tausenden an ihrer Stelle nicht an den Tag gelegt hätten. Frage nur Miss Garth, die sie von Kindheit auf gekannt hat. Frage Mrs. Tyrrel, die den Tag segnet, wo sie in ihr Haus gekommen.

—— Frage Du doch Gott und alle Welt! —— Nimm es mir nicht übel, George; aber Du machst es auch darnach, um die Geduld eines Heiligen auf die Probe zu stellen. Mein guter Junge, ich stelle Miss Vanstones Tugenden gar nicht in Abrede. Will ja, wenn Du willst, zugeben, daß sie das beste Weib ist, das je eine Haube getragen hat. Darum handelt es sich ja nicht...

—— Erlaube, Admiral, darum handelt es sich erst recht wenn sie nicht meine Frau soll werden.

—— Höre mich zu Ende, George, sieh es nur von meinem Gesichtspunkte an, wie Du es bisher von dem Deinigen gethan hast. —— Was hat Dein Vetter Noël gethan? —— Dein Vetter Noël, der arme Kerl, fiel einem der erbärmlichsten Anschläge zum Opfer, von dem ich je gehört habe, und der Hauptanstifter dieses Anschlages war Miss Vanstones unselige Schwester. Dieselbe hat ihn auf die schändlichste Weise betrogen, und sobald sie sein Testament mit ihrem hübschen Vermächtniß in der Tasche hatte, hielt sie bereits das Gift in Bereitschaft, um ihm nach dem Leben zu trachten. Das ist die Wahrheit, wir wissen es von Mrs. Lecount, welche das Fläschchen auf deren Zimmer eingeschlossen gefunden hat. Wenn Du nun Miss Vanstone heirathest, so machst Du dieses elende Weib zu Deiner Schwägerin. Sie wird ein Mitglied unserer Familie. All das Unheil, das sie angerichtet hat, all das Unheil, das sie vielleicht noch anrichten wird, —— der Teufel, von dem sie besessen zu sein scheint, mag wissen, wie weit sie es noch treiben wird —— wird unser Unheil. Guter Gott, George, denke, was das für eine Lage ist! Bedenke, was für Pech Du anrührst, wenn Du dieses Weib zu Deiner Schwägerin machst!

—— Du hast nun Deine Ansicht von der Frage abgegeben, Admiral, fiel George rasch und entschlossen ein; laß mich nun auch die meinige abgeben. —— Ein gewisser Eindruck ist auf mich von einem jungen Fräulein gemacht worden, mit welchem ich unter sehr interessanten Nebenumständen zusammengekommen. Ich handle nicht jählings auf diesen Eindruck hin, wie ich gethan haben würde, wenn ich ein paar Jahr jünger gewesen wäre ——, sondern warte ab und stelle ihn erst aus die Probe. Jedes mal, wenn ich dies junge Fräulein sehe, wird der Eindruck stärker: ihre Schönheit wächst, ihr Charakter verklärt sich in meinen Augen. Wenn ich fern von ihr bin, fühle ich mich unruhig und unglücklich. Wenn ich bei ihr bin, werde ich der glücklichste Mann auf Erden. Alles, was ich von Denen, welche sie am Besten kennen, höre, bestätigt nur noch mehr die hohe Meinung, welche ich mir von ihr gebildet habe. Der einzige Nachtheil, den ich entdecke, ist durch ein Unglück verursacht worden, für das sie nicht kann, das Unglück, eine Schwester zu haben, die ihrer äußerst unwürdig ist. Macht denn diese Entdeckung —— eine höchst unangenehme Entdeckung, ich gebe es zu —— macht sie denn all die guten Eigenschaften in Miss Vanstone zu Nichte, um derentwillen ich sie liebe und anbete? ——— Nichts von der Art, es macht nur jene guten Eigenschaften in meinen Augen durch den Gegensatz noch um so werthvoller. Wenn ich mit einer Schattenseite zu kämpfen haben soll —— und wer erwartet etwas Anderes auf dieser Welt? —— so will ich tausend Mal lieber die Schattenseite bei meiner Gattin Schwester haben, denn an ihr selbst. Meiner Gattin Schwester ist für mein Glück nicht wesentlich, wohl aber ist es meine Frau! Nach meiner Meinung, Sir, hat Mrs. Noël Vanstone bereits gerade genug Unglück angerichtet. Ich sehe daher die Nothwendigkeit nicht ein, sie noch mehr Unglück anrichten zu lassen, dadurch, daß man mich ihrethalben um eine gute Ehefrau bringen will. Ob ich nun Recht habe oder Unrecht: Dies ist mein Gesichtspunkt. Ich wünsche Dich nicht mit Fragen, welche Gefühlssache sind, zu behelligen Alles, was ich Dir zu sagen wünsche, ist, daß ich jetzo alt genug bin, um zu wissen, was ich will —— und daß mein Wille feststeht. Wenn meine Verheirathung wesentlich ist für die Ausführung Deiner Pläne über meine Zukunft, so gibt es nur ein Weib auf Gottes Welt, das ich heirathen kann ——, und dies Weib ist Miss Vanstone.

Diesen klaren Worten gegenüber ließ sich Nichts einwenden. Admiral Bartram stand, ohne ein Wort zu sagen, von seinem Stuhle auf und schritt in ersichtlicher Bewegtheit im Zimmer aus und ab.

Die Lage war eine ausbündig ernste. Mrs. Girdlestone’s Tod hatte bereits einen von den beiden in dem Geheimartikel vorgesehenen Plänen zu Nichte gemacht. Wenn der dritte Mai kam und George unverheirathet traf, so würde auch der zweite und letzte Plan seinerseits scheitern. In weniger denn vierzehn Tagen mußten die Aufgebote in der Kirche zu Ossory erfolgen, sonst würde die Zeit nicht mehr langen, um einer in dem Geheimartikel erstellten Bedingung gerecht zu werden. So hartnäckig der Admiral von Haus ans war, so lebhaft er auch die Einwendungen fühlte, die sich gegen die beabsichtigte Verbindung seines Neffen geltend machen ließen ——: er mußte, wie er so das Zimmer mit seinen Schritten maß, doch wider seinen Willen zurückweichen und auf der andern Seite die Thatsachen unwandelbar sich ins Angesicht starren sehen.

—— Bist Du schon mit Miss Vanstone versprochen? frug er plötzlich.

—— Nein, Sir, versetzte George sich dachte, es sei gegenüber Deiner fortwährenden Freundlichkeit gegen mich meine Schuldigkeit, zuvor erst mit Dir darüber zu sprechen.

—— Sehr verbunden, natürlich. Und Du hast es bis auf den letzten Augenblick verschoben, wie Du alles Andere verschobst, —— mit mir zu reden. Denkst Du, Miss Vanstone wird Ja sagen, wenn Du sie fragst?

George zögerte.

—— Der Teufel hole Deine Bescheidenheit! polterte der Admiral. Jetzt ist doch wahrlich nicht Zeit dazu, bescheiden zu sein. Jetzt ist es Zeit, sich auszusprechen. Will sie Dich, oder will sie Dich nicht?

—— Ich meine, sie will mich, Sir.

—— Der Admiral lachte sardonisch und machte wieder einen Gang durch das Zimmer. Plötzlich blieb er stehen, steckte seine Hände in die Tasche und stand in einer Ecke tief in Gedanken versunken da. Nach Verlauf von wenigen Minuten klärte sich sein Gesicht ein wenig auf, ein neuer Gedanke dämmerte in ihm auf und machte sein Angesicht strahlen. Er ging jählings zu George hin und legte seinem Neffen freundlich die Hand auf die Schulter.

—— Du thust Unrecht, George, sagte er, aber es ist zu spät, Dich zurecht zu weisen. Am Sechszehnten des nächsten Monats müssen die Aufgebote in der Kirche zu Ossory erfolgen, sonst verlierst Du das Geld. Hast Du Miss Vanstone die Lage erzählt, in der Du Dich befindest? Oder hast Du das auch bis auf die elfte Stunde verschoben, wie alles Andere?

—— Die Lage ist so außerordentlich, Sir, und es konnte leicht zu vielen Mißverständnissen über meine Beweggründe führen, daß ich mich nicht entschließen konnte, darauf anzuspielen. Ich weiß kaum, ob ich es ihr überhaupt sagen kann.

—— Versuchs einmal damit, daß Du es ihren Freunden sagst. Laß es diese Leute wissen, daß es sich um Geld und Gut handelt, und dieselben werden schon, wenn Du es auch nicht kannst, deren Bedenken überwinden. —— Aber das ist es nicht, was ich Dir zu sagen hatte. Wie lange denkst Du diesmal hier zu bleiben?

— Ich dachte ein paar Tagen hier zu bleiben und dann...

— Und dann nach London zu gehen, um Deinen Antrag zu machen, nicht wahr? Wird eine Woche Dir denn Zeit genug geben, um Deine Gelegenheit bei Miss Vanstone zu ersehen, eine Woche von den vierzehn Tagen oder der Frist, die Du nur noch vor Dir hast?

—— Ich will eine Woche hier bleiben, Admiral, mit Vergnügen, wenn Du es wünschest.

—— Ich wünsche es nicht. Ich will, daß Du Dein Gepäck schnürst und morgen gehst.

George sah seinen Oheim in stummem Erstaunen an.

—— Du fandest einige Briefe vor, die für Dich bereit lagen, als Du hierher kamst, fuhr der Admiral fort. War einer von jenen Briefen etwa von meinem alten Freunde, Sir Franklin Brock?

— Ja, Sir.

—— War es eine Einladung für Dich, daß Du kommen und einen Besuch auf dem »Meierhof« machen möchtest?

—— Ja, Sir.

—— Sollst Du gleich abreisen?

—— Sogleich, wenn ich es möglich machen könnte.

—— Sehr gut, Ich will, daß Du es möglich machst. Ich will, daß Du Dich morgen nach dem »Meierhofe« aufmachst.

George sah nach dem Feuer zurück und seufzte ungeduldig.

—— Ich verstehe Dich jetzt, Admiral, sprach er. Du mißverstehst mich ganz und gar. Meine Neigung für Miss Vanstone wird auf diese Art und Weise nun und nimmermehr erschüttert.

Admiral Bartrain nahm seinen Quarterdeck-Gang wieder auf und schritt abermals das Zimmer auf und ab.

—— Ein gutes Wort verdient ein anderes, George, sagte der alte Herr. Wenn ich mich bereit finde, meinerseits Zugeständnisse zu machen, so ist das Mindeste, was Du thun kannst, mir auf halbem Wege entgegen zu kommen und Deinerseits Zugeständnisse zu machen.

—— Dessen will ich mich auch nicht weigern, Sir.

—— Sehr gut. Nun höre meinen Vorschlag. Schenk mir ein aufmerksames Ohr, George, ein aufmerksames Ohr kann jedermann mit Fug und Recht beanspruchen. Ich will vor allen Dingen gerecht sein. Ich will mir nicht die Mühe nehmen, in Abrede zu stellen, daß Du im Ernste glaubst, Miss Vanstone sei auf Gottes Welt das einzige Weib, das Dich glücklich machen könnte. Ich frage gar nicht darnach. Wonach ich frage, ist aber, ob Du wirklich Dein Herz in dieser Angelegenheit so gut kennst, als Du wohl denken magst. Du kannst nun ’mal nicht leugnen, George, daß Du Dein Leben lang in eine hübsche Anzahl Frauenzimmer verliebt gewesen bist? Unter Anderen warst Du auch einmal in Miss Brock verliebt. Vor nicht länger denn heuer vor einem Jahre war zwischen Dir und der jungen Dame gelind gesagt eine ausbündig »dicke« Freundschaft. Und auch ganz mit Recht! Miss Brock ist eine aus dem ganzen Dutzend hübscher Kinder, das ich bei dem ersten Glase Wein, das wir tranken, erwähnte.

—— Du verwechselst jetzt ein leichtes Hof machen mit einer ernsten Neigung, Sir, sagte George. Du bist durchaus im Irrthume, gewiß und wahrhaftig, Du irrst Dich!

—— Das ist wahrscheinlich genug; ich mache nicht den Anspruch darauf, unfehlbar zu sein; das überlasse ich jüngeren Leuten, als ich bin. Aber zufällig habe ich Dich, George, von der Zeit an gekannt, wo Du nicht größer warst, als mein altes Fernrohr, und ich will diese Deine »ernste Neigung« auf die Probe stellen. Wenn Du mich überzeugen kannst, daß Dein ganzes Denken und Sinnen auf Miss Vanstone gerichtet ist, wie Du Dir denkst —— so muß ich mich der Nothwendigkeit fügen und meine Einwendungen für mich behalten. Allein erst muß ich diese Ueberzeugung haben. Gehe also morgen nach dem »Meierhofe« und bleib eine Woche in Miss Brocks Gesellschaft. Gib dem reizenden Mägdelein eine hübsche Gelegenheit, die alte Flamme, wenn sie es überhaupt vermag, wieder anzuzünden und komm dann nach St. Crux zurück und laß mich das Ergebniß wissen. Sagst Du mir dann als Mann von Ehre, daß Deine Neigung für Miss Vanstone unerschütterlich dieselbe geblieben ist, so wirst Du mich von dem Augenblick an das letzte Mal Einwendungen machen gehört haben. Was ich auch innerlich dawider haben werde, ich will Dir Nichts weiter sagen, Nichts thun, was Deinen Wünschen zuwider wäre. —— Das ist mein Vorschlag. Vielleicht sieht er in Deinen Augen aus wie eines alten Mannes kindische Laune. Aber der alte Mann will Dich nicht länger quälen, George, und es wird vielleicht eine angenehme Erinnerung für Dich sein, wenn Du dereinst selber Kinder hast, —— daran zu denken, wie Du einst ihm in seinen alten Tagen entgegengekommen bist.

Er kam wieder an das Kamin zurück, als er diese Worte gesprochen hatte, und legte abermals seinem Neffen die Hand auf die Schulter. George ergriff die Hand und drückte sie leidenschaftlich. Im zärtlichsten und besten Sinne des Wortes war sein Oheim wie ein Vater gegen ihn gewesen. ——

—— Ich will thun, was Du von mir verlangst, Sir, antwortete er, wenn Du es ernstlich wünschest. Aber es ist nur meine Schuldigkeit Dir zu sagen, daß die Probe sich ganz unnütz erweisen wird. Wenn Du es jedoch lieber siehst, daß ich die acht Tage auf dem »Hofe« zubringe, als daß ich hier bin, so will ich auf den Hof gehen.

—— Ich danke Dir, George, sagte der Admiral derb. Ich erwartete dies von Dir, und Du hast mich in meinen Erwartungen nicht betrogen.

—— Wenn Miss Brock uns aus dieser Tinte nicht heraushilft, dachte der schlaue alte Herr, als er wieder seinen Platz bei Tische einnahm, so ist meines Neffen Wetterwendischer Kopf urplötzlich beständig geworden!

—— Wir wollen die Sache für heute Abend als abgemacht ansehen, George, fuhr er laut fort, und von etwas Anderem reden. Diese Familiensorgen machen die Blume meines alten Rothweins nicht besser. Die Flasche steht bei Dir. —— Was machen die Theater in London? Wir haben zu meiner Zeit in der Marine die Theater immer gepflegt. Wir pflegten zugleich auf ein gutes Trauerspiel zu halten und, wenn das Stück aus war, auf einen Dudelsack, um uns wieder aufzuheitern. ...

Und so floß die Unterhaltung für die noch übrigen Stunden des Abends in dem gewöhnlichen Geleise hin, Admiral Bartram kam auf den verbotenen Gesprächsstoff erst wieder zurück, als er und sein Neffe sich gute Nacht wünschten.

—— Du vergißt es doch nicht morgen, George?

—— Gewiß nicht, Sir. Ich will den leichten Wagen nehmen und nach dem Frühstück selber hinüber fahren.

Den Tag darauf vor Mittag hatte Mr. George Bartram das Haus verlassen, und die letzte Aussicht zu Gunsten Magdalenens hatte es mit ihm verlassen.


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