Antonina oder der Untergang Roms
Band 2
Erstes Buch.
O, wo ist Gnade, wo ist Mitleid jetzt?
Wohin ist
die Barmherzigkeit geflohen?
Sackville’s »Gorboduc.«
Kapitel I.
Die Gothen.
Es war kein falsches Gerücht, welches die Einwohner der Vorstädte zur Flucht hinter die schützenden Stadtmauern getrieben hatte. Es war kein unbegründeter Schrei des Entsetzens, welcher an Ulpius Ohr schlug, als er an Numerians Fenster stand. Der Name Rom’s hatte in der That seinen ursprünglichen Schrecken verloren, die Mauern Rom’s, die Mauern, welche durch ihren Ruhm das Reich moralisch, wie die Hauptstadt desselben durch ihre Stärke physisch bewahrt hatten, waren endlich ihrer alten Unverletzlichkeit beraubt. Ein Barbarenheer war, rächend und erobernd, bis nach der Hauptstadt der Welt vorgedrungen. Das Resultat, nach welchem seit sechshundert Jahren alle Einfalle vergebens gestrebt hatten, war jetzt ausgeführt und zwar von denjenigen, deren Vorfahren einst von den Legionen der Cäsaren, gejagten Stieren gleich, in ihre undurchdringlichen Wälder geflohen waren — die Gothen standen vor den Thoren von Rom!
Und welche Empfindungen regten sich jetzt in dem Herzen Alarich’s, als seine Krieger um ihn her ihr Lager aufschlugen, als er die gewaffneten Schaaren, die sein Befehl zusammengerufen und seine Energie vorwärts geführt hatte, den feilen Senat, der ihn betrogen, und das prahlerische Volk, welches ihn verachtet, vor ihren Thoren bedrohen sah? Welches hohe Streben, welche kühnen Entschlüsse erwuchsen und kräftigten sich, als die Worte des kriegerischen Commando’s von seinen Lippen sielen und seine Augen die Bewegungen der ihn umgebenden Massen beobachteten, in dem Geiste des Mannes, welcher der Vorläufer der gewaltigen Revolution war, die aus einem Viertel der Welt die Herrschaft, die Civilisation das Leben und den Geist Jahrhunderte langer Gewalt vermischte? In seinem Geiste drängten sich hohe Gedanken, in seinem Innern entfaltete sich ein kühner Ehrgeiz —— nicht der Ehrgeiz des barbarischen Räubers, sondern der des Rächers, welcher gekommen war, um zu strafen, nicht der des Kriegers, welcher um des Kampfes willen kämpfte, sondern der des Helden, der sich gelobt hatte, zu erobern und zu herrschen. Von den fernen Tagen, wo Odin durch die Römer aus seinem Gebiet vertrieben wurde, bis zu der durch das Hinschlachten der Geißeln in Aquileja befleckten Nacht war die Stunde der gerechten, furchtbaren Vergeltung für das den Gothen angethane Unrecht lange, lange Jahre hindurch, und unter warnenden Convulsionen erbitterter Kämpfe verzögert worden, um endlich unter ihm zu nahen. Der einzige Eroberer seit Hannibal, von welchem die hohen vor ihm liegenden Mauern erblickt worden waren, fühlte er im Schauen auf dieselben, daß sein neues Streben ihn nicht trog, daß seine Träume der Herrschaft zu einer herrlichen Wirklichkeit aufgingen, daß sein Schicksal sich ruhmvoll mit dem Sturze des kaiserlichen Rom’s verkettete.
Aber selbst in dem Augenblick des nahen Triumphes war der Anführer der Gothen noch in seinen Absichten schlau und in seinen Handlungen gemäßigt. Seine ungeduldigen Krieger erwarteten nur ein Zeichen, um den Sturm zu beginnen, die Stadt zu plündern und die Einwohner niederzumetzeln, aber er hielt es zurück. Das Heer war kaum vor den Thoren Rom’s zum Halt gekommen, als sich unter seinen Reihen die Nachricht verbreitete, daß Alarich aus geheimen Absichten die Stadt durch eine Blockade einzunehmen beschlossen habe.
Seine Streitkräfte, die sich während seines Marsches durch dreißigtausend Mann Hilfstruppen verstärkt hatten, wurden jetzt in Schlachthaufen getheilt, deren Stärke je nach dem von ihnen geforderten Dienste wechselte. Diese Abtheilungen lagerten sich um die Stadtmauern und waren, wiewohl getrennte Posten einnehmend und getrennten Pflichten geweiht, so aufgestellt, daß sie sich auf ein gegebenes Zeichen in jeder beliebigen Anzahl aus jedem beliebigen Punkte vereinigen konnten. Vor einem jeden von den zwölf Hauptthoren wurde ein besonderes Lager aufgeschlagen. Große Schaaren beobachteten in jeder möglichen Richtung mit unermüdlicher Wachsamkeit die Schifffahrt auf dem Tiber und keiner von den gewöhnlichen Zugängen Rom’s, wie unbedeutend er auch erscheinen mochte, wurde übersehen. Hierdurch gelang es, jeden Verkehr zwischen der belagerten Stadt und den dieselbe umgebenden ausgedehnten fruchtbaren Landstrichen vollkommen abzuschneiden. Wenn man bedenkt, daß dieser verwickelte Blockadeplan gegen eine Stadt geübt wurde, die nach der niedrigst möglichen Schätzung zwölfmalhunderttausend Einwohner enthielt, die innerhalb ihren Mauern Mangel an Magazinen hatte, deren Bedarf durch regelmäßige Zufuhren vom platten Lande gedeckt werden mußte, die von einem unentschlossenen Senate regiert und von einer verweichlichten Armee vertheidigt wurde, so lassen sich die jetzt den belagerten Römern bevorstehenden Schrecken leichter vorstellen, als beschreiben.
Unter den Heerestheilen, welche jetzt die dem Untergange geweihte Stadt umringten, wird zur Bewachung des Pincischen Thores bestimmte sich unter den jetzigen Verhältnissen der Aufmerksamkeit des Lesers am würdigsten erweisen, da Einer von den Unterbefehlshabern derselben der junge Häuptling Hermanrich war, welchen Goiswintha seit der Zeit, wo wir ihn an der Grenze oder italienischen Alpen verließen, durch alle Mühen und Gefahren des Marsches hin begleitet hatte.
Die Wachen warm ausgestellt, die Zelte aufgeschlagen, die Schutzwehren auf der Strecke, welche man gewählt hatte, um jeden möglichen Zugang zu dem Pincischen Thore besetzt zu halten, aufgerichtet worden, als sich Hermanrich zurückzog, um an Goiswinthens Seite die weiteren Befehle zu erwarten, welche ihm seine Vorgesetzten im gothischen Lager zugehen lassen würden. Die Stelle, auf welcher sich das einfache Zelt des jungen Kriegers befand, war eine geringe Anhöhe, etwas von den durch seine Kameraden gewählten Stellungen abgelegen, östlich vom Stadthore, und man überschaute von ihr aus in einiger Entfernung die verlassenen Gärten der Vorstädte und die stattlichen Paläste des Monte Pincio. Hinter seiner zeitweiligen Wohnung befand sich das durch die Flucht seiner erschreckten Bewohner in eine furchtbare Einöde verwandelte platte Land, und zu beiden Seiten sah man nichts als kriegerische Rüstungen, die, so weit das Auge reichte, ihre belebte Verwirrung von Soldaten, Zelten und Kriegsmaschinen ausbreiteten. Es war jetzt Abend. Die Mauern von Rom stiegen, von einem sich erhebenden Nebel verschleiert, sonnenlos und majestätisch vor den Augen der Gothen empor.
Das Geräusch in der belagerten Stadt wurde leiser und tiefer; es schien von der herniedersinkenden Finsterniß der Herbstnacht gedämpft zu werden und desto mehr an Hörbarkeit zu verlieren, je länger die wachsamen Belagerer von ihren verschiedenen Posten aus darauf lauschten.
In dem gothischen Lager zeigten sich allmälig in unregelmäßigen Zwischenräumen grelle Lichter. Der schmetternde Ruf der Signaltrompete erschallte rauh und kurz abgebrochen von Schaar zu Schaar und durch die nebelige, dicke Luft erhob sich in den Zwischenräumen der wichtigeren Klänge das Schlagen schwerer Hämmer und die Rufe kriegerischer Befehle. Wo die Blockadevorbereitungen noch unvollständig waren, durfte weder das Einbrechen der Nacht, noch der Vorwand der Ermüdung auch nur einen Augenblick ihren Fortgang hindern. Alarich’s unbezähmbarer Wille besiegte jedes Hinderniß der Natur, jeden Mangel des Menschen. Die Finsternis konnte ihn nicht zur Ruhe zwingen, die Müdigkeit nicht zum Zögern verlocken.
In keinem Theile des Heeres waren die Befehle des Gothenkönigs schneller und verständiger ausgeführt worden, als in dem zur Bewachung des Pincischen Thores bestimmten. Das Zusammensein Hermanrich’s und Goiswinthens in dem Zelte des jungen Häuptlings blieb daher lange Zeit hindurch von neuen Geboten aus dem Hauptquartier des Lagers ununterbrochen.
Der äußern Erscheinung nach, hatten sowohl der Bruder wie die Schwester eine Veränderung erlitten, die bedeutend genug war, um selbst in dem ungewissen Lichte der Fackel, die sie jetzt beschien, als sie zusammen an der Thür des Zeltes standen, sichtbar zu sein. Die Züge Goiswinthens, welche zu der Zeit, wo wir sie am Ufer des Gebirgssee’s zum ersten Male erblickten, trotz ihrer tiefen Leiden, noch viel von der erhabenen, imposanten Schönheit bewahrten, durch welche sie sich in ihren glücklichen Tagen ausgezeichnet hatten, besaßen jetzt nicht mehr die mindeste Spur von ihrem früheren Reize. Die Frische ihres Teints war verwelkt, die Fülle ihrer, Gestalt verschwunden. Ihre Augen hatten einen starren, Finstern Ausdruck tückischer Verzweiflung angenommen und ihr Benehmen war mürrisch, zurückstoßend und mißtrauisch geworden. Diese Veränderung in ihrem äußern Aussehen war nur die Folge einer noch gefahrvolleren in der Stimmung ihres Herzens. Der Tod ihres letzten Kindes, gerade in dem Augenblick, wo ihre Flucht sie glücklich unter den Schutz ihres Volkes gebracht, hatte sie noch verderblicher berührt, als alle ihre früher erlittenen Verluste. Die Schwierigkeiten und Gefahren, welche sie bei der Rettung ihres Sprößlings aus dem Blutbade bestanden, die trübe Gewißheit, daß das Kind von allen frühem Gegenständen ihrer Neigung der einzige war, welchen sie noch lieben konnte, das wilde Trinmphgefühl, welches sie bei der Erinnerung daran empfand, daß in diesem Falle ihre einzelnen ununterstützten Bemühungen die barbarische Hinterlist des römischen Hofes vereitelt, hatten ihr eine fast an Wahnsinn grenzende Hingebung für dieses letzte Mitglied ihrer Familie eingeflößt, und jetzt, wo ihr geliebtes Kind, ihr unschuldiges Opfer, ihr künftiger Krieger nach allen ihren Anstrengungen, es zu erhalten, dahingesiecht und gestorben, jetzt, wo sie wirklich kinderlos war, jetzt, wo die Grausamkeit der.Römer, trotz aller Geduld, alles Muthes, aller Standhaftigkeit, ihren Zweck erreicht hatte, sank jedes edle Gefühl ihres Herzens von diesem Schlage vernichtet zusammen. Ihr Kummer nahm die verderbliche Form an, welche beim Weibe alle milderen und besseren Empfindungen unwiederbringlich zerstört —— er verwandelte sich in die Verzweiflung. welche keine Theilnahme verlangt, in den Schmerz, der keine Thräne kennt.
Mit weniger hohem Geiste und nicht so empfänglichem Charakter begabt, hatte die jetzt an Hermanrich sichtbare Veränderung« zu einem mürrischen Ausdrucke und kurz angebundenen Benehmen ihren Ursprung eher in seiner beständigen Betrachtung der düsteren Verzweiflung Goiswinthens, als in einer wirklichen Revolution seines eigenen Charakters. Wie viele Punkte äußerer Aehnlichkeit auch jetzt zwischen dem Bruder und der Schwester sichtbar werden mochten, so zog die verschiedene Stufe ihres moralischen Standpunktes von selbst die Verschiedenheit in der Stärke des inneren Kummers eines Jeden nach sich. Hermanrich besaß bei allen Prüfungen und Kümmernissen, die ihn bestürmten, die gesunde Elasticität der Jugend, die durch die kriegerischen Beschäftigungen seines Geschlechts ausfrecht erhalten wurde. Goiswintha konnte sich weder auf die eine, noch aus die andere stützen. Ihre Gedanken wurden von keiner Beschäftigung in Anspruch genommen, als von der bitteren Erinnerung. Ohne ein liebevolles Streben, ohne beschwichtigende, das Herz erfüllende Hoffnung war sie unwiderruflich dem Einflusse ungetheilten Schmerzes und rachsüchtiger Verzweiflung anheimgefallen.
Das Weib sowohl, wie der Krieger standen eine Zeitlang schweigend neben einander da. Endlich redete Hermanrich, ohne seine Augen von der darüber dämmernden, formlosen Masse, die alles war, was die Nacht noch von der dem Verderben geweihten Stadt erkennen ließ, abzuwenden, Goiswinthen an.
»Hast Du keine Worte des Triumphes, wenn Du auf die Wälle blickest, die, so in seinen Händen zu sehen, Dein Volk Generationen hindurch gekämpft hat? Kann ein gothisches Weib schweigen, wenn es vor Rom steht?«
»Ich bin hierher gekommen, um Rom plündern und Römer schlachten zu sehen! was nützt mir das blockirte Rom?« entgegnete Goiswintha zornig. »Die Schätze in jener Stadt werden ihre Sicherheit von unserm Könige erkaufen, sobald die zitternden Feiglinge auf den Wällen Herz genug fassen, um in ein gothisches Lager zu dringen. Wo ist die Rache in jenen fernen Palästen, die Du mir versprochen hast? Sehe ich Dich in die Häuser von Rom die Vernichtung tragen, welche die Soldaten jener Stadt durch die Wohnungen der Gothen gebracht haben? Ist das Heer hier, um zu plündern oder um sich Ruhm zu erwerben? Ich hatte in meiner weibischen Verblendung geglaubt, daß es da sei, um Rache zu nehmen.«
»Schmach wird Dich rächen —— Hungersnoth wird Dich rächen —— Pestilenz wird Dich rächen!«
»Sie werden meine Nation rächen, aber nicht mich. Ich habe das Blut gothischer Frauen um mich vergießen sehen —— ich habe die blutenden Leichen meiner Kinder zu meinen Füßen erblickt! —— wird mir eine Hungersnoth, die ich nicht sehen und eine Pest, die ich nicht beobachten kann, dafür Rache gewähren! Schau her! hier ist der Helmschmuck meines Gatten, Deines Schwagers —— der Helmschmuck, der mir als Zeuge, daß ihn die Römer erschlagen hatten, zugeworfen worden ist —— seit dem Blutbade von Aquileja hat er meinen Busen nie verlassen. Ich habe geschworen daß das Blut, welches ihn färbt und verdunkelt, im Blute des römischen Volkes abgewaschen werden soll. Selbst wenn ich vor diesen verfluchten Mauern umkäme, selbst wenn Du mir in Deiner muthlosen Geduld Schutz und Hilfe versagtest, würde ich, so verwitwet, schwach und verlassen ich auch bin, mich doch an die Erfüllung meines Eides halten.«
Hiermit umhüllte sie den Helmschmuck mit ihrem Mantel und wendete sich in bitterer, unverhohlener Verachtung kurz von Hermanrich ab. Alle Eigenschaften ihres Geschlechts, sowohl dem Gedanken, wie dem Ausdrucke und Wesen nach, schienen sie verlassen zu haben. Selbst die Töne, welche sie aussprach, waren rauh und unweiblich.
Jedes von ihr ausgestoßene Wort, jede ihrer Gebärden waren tief in das Innerste des jungen Kriegers, welchen sie anredete, gesunken, und hatten die wildesten Leidenschaften seines Herzens aufgeregt. Das erste Nationalgefühl, welches sich in der Frühlingszeit der gothischen Geschichte entdecken läßt, ist die Liebe zum Kriege, das zweite aber die Verehrung der Frauen. Dieses letztere, unter einem so rauhen, wenig für Gefühle empfänglichen Volke äußerst auffallende Gefühl hatte nicht den mindesten Zusammenhang mit den starken, fesselnden Banden, welche die natürliche Folge der wärmeren Temperamente der südlicheren Nationen sind, denn die Liebe gehörte bei dem kalten, abgehärteten Charakter des nordischen Kriegers zu den niedrigen, unedeln Leidenschaften. Es war das Resultat von Schlußfolgerungen und Beobachtungen, nicht von instinktmäßiger Empfindung und momentanem Triebe. In dem wildpoetischen Codex des altgothischen Glaubens befand sich eine Lehre, die sich auffallend dicht einer wichtigen Theorie in dem christlichen Systeme näherte —— die Wachsamkeit eines allmähligen Schöpfers über einem endlichen Geschöpfe. Jede Handlung des Körpers, jede Regung des Geistes war, dem Religionssysteme der Gothen zufolge, die Wirkung des direkten, wiewohl unsichtbaren Einschreitens der Götter, welche sie anbeteten. Als sie daher bemerkten, daß der Körper der Frauen den räthselhaften Gesetzen der Natur und des Temperaments stärker unterworfen war, und ihr Geist mächtiger von den angeborenen, universellen Instinkten der Menschheit beherrscht wurde, als ihr eigner, so zogen sie daraus den unvermeidlichen Schluß, daß das weibliche Geschlecht von den Göttern ihres Glaubens unablässiger berücksichtigt und beständiger und auffallender beeinflußt werde, als das männliche. In dieser Ueberzeugung übertragen sie das Studium der Medicin, das Auslegen der Träume und in vielen Fällen die Geheimnisse des Verkehrs mit der unsichtbaren Welt der Sorge ihrer Frauen. Das Weib wurde ihr Rathgeber in schwierigen Fällen ihr Arzt in der Krankheit, ihre Gefährtin vielmehr als ihre Geliebte, mehr der Gegenstand ihrer Verehrung, als die Vermittlerin ihrer Freuden. Wenn auch in späteren Jahren die Nationalwanderungen der Gothen das Temperament der Nation veränderten, wenn sie auch ihre alte Mythologie mit der Christusreligion vertauschten, so wurden sie doch nie vollkommen von dieser seit ihrer frühesten Existenz als Volk bei ihnen herrschenden Empfindung verlassen, sondern sie behaupteten mit verschiedenen Modificationen und in verschiedenen Formen bei allen Veränderungen der Sitten und Gebräuche einen großen Theil ihrer alten Herrschaft, die sich bis auf ihre Nachkömmlinge unter den jetzigen Völkern Europa’s in der Gestalt des allgemein eingeführten Gesetzbuches der Höflichkeit gegen die Frauen erhalten hat, welche für einen Hauptunterschied zwischen den Socialsystemen der Bewohner civilisirter und uncivilisirter Länder gilt.
Diese mächtige, auffallende Herrschaft des Weibes über den Mann bei den Gothen konnte sich kaum schlagender zeigen, als bei Hermanrich. Man erblickte sie nicht nur an dem verschlimmernden Einflusse der beständigen Gesellschaft Goiswintha’s auf seinem mannhaften Charakter, sondern auch in der starken Wirkung, welche die letzten von ihr gesprochenen Worte auf seinen Geist ausgeübt hatten. Seine Augen blitzten zornig, seine Wangen glühten beschämt, als er auf die Theile ihrer ingrimmigen Reden hörte, welche den bittersten Bezug auf ihn hatten. Sie schwieg und war im Begriff, sich in das Zelt zurückzuziehen, als er sie festhielt und in lauten, anklagenden Tönen entgegnete:
»Du thust mir durch Deine Worte Unrecht! Habe ich Dir meinen Schutz verweigert, als ich Dich in den Alpen erblickte? Habe ich das verwundete Kind ohne Hilfe dulden lassen? Habe ich es, als es starb, auf der Erde verfaulen lassen oder seiner Mutter die Bereitung seines Grabes anheimgegeben. Habe ich vergessen, daß das Schwert an meiner Schulter hing, als wir uns Aquileja näherten und an Ravenna vorüber marschierten? Ist es durch meinen Willen in der Scheide geblieben? Bin ich durch meinen Willen nicht in die Thore der römischen Städte getreten, sondern in Eile an ihnen vorübergegangen? War es nicht der Befehl des Königs, welcher mich zurückhielt, und konnte ich, sein Krieger, ihm den Gehorsam versagen? Ich schwöre Dir es zu, daß ich mich nach Ausübung der Rache sehne, welche ich Dir versprochen habe, aber geziemt es mir, die Beschlüsse Alarich’s zu verändern? Kann ich allein die Stadt stürmen, welche wir nach seinen Befehle blockieren sollen? Was willst Du von mir?«
»Ich will, daß Du Dich erinnerst,« erwiderte Goiswintha entrüstet, »daß die Römer Deinen Schwager getödtet und mich kinderlos gemacht haben! Ich will, daß Du Dich erinnerst, daß ein öffentlicher Krieg, wenn er auch jahrelang dauert, nicht im Stande ist, das auch nur einstündige Nagen der Privatrache zu vermindern! Ich will, daß Du Dich weniger der Weisheit Deines Generals unterwerfen und stärker das Dir widerfahrene Unrecht berücksichtigen möchtest! Ich wollte, daß Du gleich mir nach dem Blute des ersten Bewohners jener Verrätherhöhle dürstete, der, sei es nun zum Frieden oder zum Kriege, aus ihren schützenden Mauern hervorkäme!«
»Sie brach ab, um seine Antwort zu hören. Hermanrich aber sprach keine Silbe. Das muthige Herz des jungen Häuptlings schrak vor dem vorbedachten Morde zurück, welcher ihm in Goiswinthens verschleierter aber ausdrucksvoller Rede angerathen wurde; —— mit seinen Kameraden gemeinschaftlich die Stadt im Sturme zu nehmen, in der Hitze der Schlacht die schlimmsten Schrecken des Blutbades von Aquileja zu übertreffen, würden Thaten gewesen sein, die mit seinem wilden Geiste und seiner kriegerischen Erziehung im Einklange standen, sich aber in Goiswinthens Pläne zu fügen, war ein Opfer, welches gerade die Eigenthümlichkeiten seines martialischen Charakters seinem Geiste zuwider machten. Diese Gedanken würde er seiner Gefährtin in demselben Maße mitgetheilt haben, wie sie durch seinen Geist gingen; in der furchtbaren ominösen Veränderung ihres Charakters, seit er ihr auf den Alpen begegnet war, in ihrem rasenden, unatürlichen Lechzen nach Blut und Rache lag jedoch etwas, wodurch sie einen geheimnißvollem mächtigen Einfluß auf seine Gedanken, Worte und selbst Thaten erhielt. Er zauderte und schwieg.
»Bin ich nicht geduldig gewesen?« fuhr Goiswintha fort, indem sie ihre Stimme zu Lauten eindringlicher, bewegter Bitte senkte, welche mißtönig in Hermanrich’s Ohr klangen, als er bedachte, wer die Bittende sei und was der Gegenstand ihres Verlangens sein würde; —— »bin ich nicht die ganze lange Reise von den Alpen her geduldig gewesen? Habe ich nicht selbst vor den schutzlosen Stadien, an denen wir auf dem Marsche vorüberkamen, die Stunde der Vergeltung abgewartet? Habe ich nicht aus Deinen Antrieb meine Sehnsucht nach Rache bis zu dem Tage beherrscht, wo Du mit den Kriegern der Gothen jene Mauern ersteigen würdest, um die stolzen Verräther von Rom mit Feuer und Schwert zu züchtigen? Ist dieser Tag erschienen? Soll diese Blockade die Vergeltung bilden, welche Du mir bei der Leiche meines gemordeten Kindes versprochen hast? Erinnere Dich an die Gefahren, denen ich Trotz bot, um das Leben des Letzten meines Hauses zu bewahren —— und willst Du nichts wagen, um seinen Tod zu rächen? Sein Grab ist ungepflegt und einsam. Weit von den Wohnungen seines Volkes, im Morgen seiner Schönheit geknickt, im Keime seiner Kraft geschlachtet, liegt der Sprößling Deines Schwagers da, und die Uebrigen —— die beiden Kinder, die noch an der Mutter Brust lagen, der Vater, der tapfer in der Schlacht und weise im Rathe war —— wo sind sie? Ihre Gebeine bleichen auf der obdachlosen Erde oder vermodern unbegraben am Strande des Ozeans. Bedenke, wie glücklich, wenn sie am Leben geblieben wären, Deine Tage mit ihnen zur Zeit des Friedens verstrichen sein würden! wie gern Dein Schwager mit Dir zur Jagd hinausgezogen wäre! wie freudig sich seine Söhne an Deine Knie geschmiegt haben würden, um von Deinen Lippen die ersten Lehren zu lesen, welche sie für das Leben des Kriegers ausbilden sollten. Denke an solche Genüsse und dann bedenke, daß römische Schwerter Dich ihrer aller beraubt haben!«
Ihre Stimme bebte, sie hielt einen Augenblick inne und schaute wehmüthig in Hernianrich’s abgewendetes Gesicht auf. Jeder Zug aus dem Antlitze des jungen Häuptlings verkündete die Aufregung, welche ihre Worte in seinem Herzen hervorgebracht hatten. Er versuchte zu antworten, seine Zunge war aber in diesem Augenblicke kraftlos. Der Kopf sank ihm auf die wogende Brust und er seufzte schwer, indem er stumm Goiswinthens Hand ergriff. Der Zweck ihres Verlangens war seiner Erreichung nahe —— er begann sich in die gut gespannten Netze der Bersucherin zu verfangen.
»Bist Du immer noch stumm?« fuhr sie düster fort, »wunderst Du Dich immer noch über meinen Durst nach Rache, über mein Lechzen nach römischem Blut. Ich sage Dir, daß mein Verlangen sich in mir in Folge von Eingebungen der Stimmen einer andern unbekannten Welt erhoben hat. Sie spornen mich an, gegen das Volk, welches mich gatten- und kinderlos gemacht hat, Vergeltung zu suchen —— dort in seiner prahlerischen Stadt an ihren üppigen Bürgern, in ihren prächtigen Häusern, —— an der Stelle, wo ihre schändlichen Rathschläge Wurzel schlagen und wo ihre grausamen Verräthereien ihre blutige Quelle haben! Ich habe in dem Buche, welches unsere Lehrer anbeten, lesen hören, daß vergossenes Blut zum Himmel aufschreit! Das ist die Stimme, Hermanrich, das ist die Stimme, die ich gehört habe. Ich habe geträumt, daß ich an, einem Meere von Blut, auf einem Strande von Leichen wandelte —— ich habe aus diesem Meere die Leichen meines Gatten und meiner Kinder von römischen Wunden zerfleischt auftauchen sehen! Sie haben mir durch den sie umgebenden blutigen Dunst zugerufen: Sind wir noch ungerächt? Ist Hermanrich’s Schwert noch in der Scheide? Eine Nacht nach der andern habe ich diese Visionen gesehen und jene Stimmen gehört und hoffte aus keine Erlösung davon vor dem Tage, der das Heer vor den Mauern von Rom gelagert und mit Aufrichtung der Sturmleitern beschäftigt sehen würde! Und wie ist jetzt nach aller meiner Geduld dieser Tag gekommen? Verflucht sei die Habsucht! Sie steht den Kriegern und Dir höher als die Gerechtigkeit der Rache.«
»Höre mich an! höre mich an!« rief Hermanrich flehend.
»Ich will nichts mehr hören,« unterbrach ihn, Goiswintha, »die Sprache meines Volkes ist meinen Ohren fremd geworden, denn sie redet nur von Beute und Frieden, von Gehorsam, Geduld und Hoffnung. Ich will nichts mehr hören, denn die Verwandten, denen ich mein Ohr zu leihen liebte, sind dahin —— sie sind bis auf Dich alle von den Römern erschlagen —— und von Dir sage ich mich los.«
Durch den Aufruhr, der in seinem Herzen durch Goiswinthens wilde Enthüllungen der schlimmen Leidenschaft, welche sie verzehrte, erweckten Gefühle, aller Ueberlegungskraft beraubt, murmelte der junge Gothe, am ganzen Körper bebend, und immer noch abgewendetem Gesichte mit heiserer schwankender Stimme:
»Verlange von mir, was Du willst! ich habe keine Worte, um Dir es abzuschlagen, keine Macht, um Dich zu tadeln, verlange von mir, was Du willst!«
»Versprich mir,« rief Goiswintha, indem sie Hermanrich’s Hand ergriff und mit einem Blicke wilden Triumphes in sein verstörtes Antlitz schaute, »daß diese Blockade der Stadt meiner Rache keinen Eintrag thun soll! Versprich mir, daß das erste Opfer unserer gerechten Rache, der erste Bewohner Rom’s sein soll, der, sei es nun zum Kriege oder Frieden, vor Dir erscheint!«
»Ich verspreche es!« rief der Gothe. Und diese drei Worte besiegelten das Schicksal seines künftigen Lebens.
Während der jetzt zwischen Goiswintha und Hermanrich eingetretenen Stille und des tiefen Nachdenkens, in welches Beide versunken waren, begann sich die um sie her ausgebreitete Gegend langsam von einem weichen, klaren Lichte zu erhellen. Der Mond, dessen trübe, große Scheibe sich, in eine düstere Röthe gekleidet, in dem Abendnebel erhoben hatte, war jetzt über die höchsten Ausdünstungen der Erde gestiegen und strahlte nieder, mit seiner gewohnten bleichen Farbe angethan, am Nachthimmel. Allmälig, aber doch wahrnehmbar, rollte sich eine Dunstschicht nach der andern von den hohen Zinnen der römischen Paläste und die höchst gelegenen Orte der mächtigen Stadt begannen, so zu sagen, in dem weichen, friedlichen, geheimnißvollen Lichte aufzudämmern, während die niedriger stehenden Abtheilungen der Mauern, die verödeten Vorstädte und ein Theil des gothischen Lagers, noch in die Dunkelheit des Nebels getaucht, in einem großartigen finsteren Kontraste mit dem glänzend erleuchteten Bilde, welches fast über ihnen zu schweben schien, dalagen. Erhöhte, offene Orte hinter dem Zelte Hermanrich’s begannen stellenweise sichtbar zu werden und von Zeit zu Zeit vernahm man jetzt aus der Ferne von den einzeln stehenden Bäumen her den Gesang der Nachtigall. Die Natur versprach, nach welcher Richtung hin man sie auch beobachten mochte, eine wolkenlose stille Nacht des herbstlichen Klima’s im alten Italien.
Hermanrich war der Erste, welcher zur Betrachtung der Außenwelt zurückkehrte. Er bemerkte, daß die noch neben seinem Zelte lodernde Fackel sich, seit sich der Mond erhoben und die Dünste zerstreut hatte, nutzlos geworden war, schritt auf dieselbe zu und löschte sie aus und blickte darauf über die langsam vor ihm aufdämmernde Ebene hin. Er war erst kurze Zeit damit beschäftigt gewesen, als er eine menschliche Gestalt in geringer Entfernung langsam über eine theilweise erleuchtete hügelige Stelle hinschreiten zu sehen glaubte. Es war unmöglich, daß dieselbe zu seinen Leuten gehören konnte —— sie waren alle an ihren Posten versammelt und er wußte, daß sein Zelt an der äußersten Grenze des Lagers vor dem Pincischen Thore liege.
Er blickte wieder hin. Die Gestalt kam immer noch näher, befand sich aber in zu großer Entfernung, um ihm in dem ungewissen Lichte, welches ihn umgab, ihre Nation, ihr Geschlecht oder Alter entdecken zu lassen. Das Herz pochte ihm, als er seines Goiswintha gegebenen Versprechens gedachte und die Möglichkeit vor Augen sah, daß es ein armer Sklave sei, den die Flüchtlinge, die am Morgen aus den Vorstädten geflohen waren, seinem Schicksale überlassen hatten und der sich jetzt als letztes Auskunftsmittel seinen Feinden im Lager nähere, um bei ihnen Gnade und Schutz zu suchen. Er wendete sich, als die Idee seinen Geist durchzuckte, Goiswinthen zu und bemerkte, daß sie noch immer in Gedanken versunken war. Durch ihren Anblick überzeugt, daß sie die Flüchtlingsgestalt noch nicht bemerkt hatte, lenkte er seine Blicke wieder mit einem Uebermaße von Besorgniß, welches er sich kaum zu erklären vermochte, der Gegend zu, wo er sie zuerst bemerkt hatte, aber sie war nicht mehr zu sehen. Sie hatte sich entweder in einen Versteck zurückgezogen oder näherte sich durch eine Baumgruppe, womit der Abhang bekleidet war, immer noch seinem Zelte.
Die Minuten schleppten sich langsam hin und noch immer war nichts wahrzunehmen. Endlich, als Hermanrich schon zu zweifeln begonnen, ob ihn nicht seine Sinne in dem, was er bisher zu sehen geglaubt, getäuscht hatten, kam die flüchtige Gestalt plötzlich unter den Bäumen hervor, eilte schwankenden Ganges über die ebene, bethaute Stelle, welche sie noch von dem jungen Gothen trennte, erreichte sein Zelt und fiel dann mit einem schwachen Schrei ohnmächtig zu seinen Füßen aus den Boden nieder.
Der Schrei, so schwach er auch war, erregte Goiswinthens Aufmerksamkeit. Sie wendete sich augenblicklich um, stieß Hermanrich bei Seite und hob die Fremde in ihren Armen auf. Die leichte, schlanke Gestalt, die schöne Hand und der weiße Arm, welche bewegungslos herabhingen, die langen, tiefschwarzem von der feuchten Nachtluft schweren Locken verriethen augenblicklich das Geschlecht und Alter des Flüchtlings. Es war ein junges Mädchen.
Goiswintha gab Hermanrich ein Zeichen, die verlöschte Fackel an seinem nahen Wachtfeuer wieder anzuzünden und trug das noch bewußtlose Mädchen in sein Zelt. Als ihr der Gothe schweigend gehorchte, zuckte ein unbestimmter plötzlicher Argwohn, dem er Worte zu verleihen schaudern, durch seinen Geist. Seine Hand zitterte so stark, daß er kaum die Fackel anzuzünden vermochte und so kühn und kräftig er auch war, schwankten doch seine Glieder unter ihm, als er langsam in das Zelt zurückkehrte.
Als er in das Innere seiner zeitweiligen Wohnung gelangte, beschien das Licht seiner Fackel eine seltsame, eindrucksvolle Scene.
Goiswintha saß auf einem rohen Eichenkasten, hielt die Gestalt des jungen Mädchens aus ihren Knieen und blickte mit dem Ausdrucke der innigsten, alle ihre Gedanken fesselnden Interessen auf sein blasses, eingefallenes Gesicht. Das zerissene Gewand, welches bisher den Flüchtling umhüllt hatte, war zurückgesunken und zeigte das weiße Kleid, aus dem allein ihre sonstige Bedeckung bestand. Gesicht, Hals und Arme hatten von der Kälte die reine, weiße Färbung des Marmors angenommen. Ihre Augen waren geschlossen und ihre feinen, zarten Züge befanden sich in starrer Ruhe.
Wenn nicht ihr rabenschwarzes Haar gewesen, welches das gespenstische Aussehen ihres Gesichts noch erhöhte, so hätte man sie, als sie so in den Armen des Weibes dalag, für eine köstlich gemeißelte Statue der Jugend im Tode halten können.
Als die so erzeugte Gruppe sich um die Gestalt des jungen Krieger, der in seiner Rüstung mit offenbarer Verwunderung und Besorgniß neben dem bewußtlosen Mädchen stand, vermehrte —— als Goiswinthens hoher, kräftiger, in dunkle Gewänder gekleideter und über die zarte Figur und das weiße Kleid der Flüchtigen gebeugter Körper durch den wilden flackernden Schein der Fackel erleuchtet wurde, —— als die gerötheten Wangen, abgemagerten Züge und der begierige Ausdruck des Weibes hier beschattet, dort erhellt, in den nächsten Kontrast mit dem blassen, jugendlichen, ruhevollen Antlitz des Mädchens traten, entstand ein solches Zusammentreffen von blendenden Lichtern und tiefen Schatten, daß die ganze Scene einen zugleich geheimnißvollen und erhabenen Charakter erhielt. Sie zeigte eine harmonische Abwechselung ernster Farben, die durch die unübertreffliche Kunst der Natur zu einer großartigen, aber einfachen Anordnung der Formen verbunden wurden. Es war ein von Rembrands Hand ausgeführtes und von Raphaels Geiste gedachtes Gemälde.
Plötzlich schrak Goiswintha von ihrer langen, eindringlichen Betrachtung der Fremden auf und begann Mittel anzuwenden, um ihren bewußtlosen Schützling in’s Leben zurückzurufen. So lange sie damit beschäftigt war, verharrte sie in ununterbrochenem Schweigen. Eine athemlose Erwartung, die alle ihre Sinne nur nach einer Richtung hin in Anspruch nahm, schien sich ihres Herzens bemächtigt zu haben. Sie mühte sich in ihrer Arbeit mit der mechanischen, ununterbrochenen Energie Derjenigen, deren Aufmerksamkeit mehr von ihren Gedanken, als von ihren Handlungen in Anspruch genommen wird. Langsam und widerstrebend dämmerte die erste schwache Morgenröthe wiederkehrenden Lebens in der zartesten Farbe auf der bleichen Wange des Mädchens auf. Allmälig begann ihr Athem eine dünne Haarlocke welche über ihr Gesicht gefallen war, zu bewegen. Noch ein Weilchen und die geschlossenen friedlichen Augen öffneten sich plötzlich und warfen mit einem wilden Ausdruck von Verwirrung und Schrecken einen scharfen Blick im Zelte umher. Als Goiswintha sodann aufstand und sie auf einen Sitz zu bringen versuchte, riß sie sich von ihr los, blickte sie einen Moment schreckensvoll und spähend an, sank dann zu ihren Füßen nieder und murmelte mit klagender Stimme:
»Erbarme Dich meiner, ich bin von meinem Vater verstoßen, ich weiß nicht warum. Die Thore der Stadt sind mir verschlossen. Meine Wohnung in Rom ist mir für immer versperrt!«
Sie hatte diese wenigen Worte kaum gesprochen, als sich auf Goiswinthens Gesicht eine ominöse Veränderung zeigte. Sein früherer Ausdruck glühender Neugier verwandelte sich in einen Blick boshaften Triumphes, ihre Augen hefteten sich mit stierer, wie von einem Zauber gefesselten Betrachtung auf das erhabene Antlitz des Mädchens. Sie hielt das hilflose Geschöpf fest, wie das Raubthier seine Beute. Ihre Gestalt dehnte sich aus, auf ihre Lippen trat ein hämisches Lächeln, in ihren Wangen stieg eine heiße Röthe auf und von Zeit zu Zeit flüsterte sie leise vor sich hin:
»Ich wußte, daß sie eine Römerin war! aha, ich wußte, daß sie eine Römerin war!«
Hermanrich war die ganze Zeit über stumm geblieben. Sein Athem kam in kurzen, vollen Stößen, sein Gesicht erbleichte und sein Auge wanderte, nachdem es eine Minute auf dem Weibe und dem Mädchen geruht, langsam und ängstlich im Zelte umher. In der einen Ecke desselben lag eine schwere Streitaxt; er blickte mit dem heftigsten Schrecken von der Waffe auf Goiswintha, schritt dann langsam durch das Zelt, und bemächtigte sich mit fester, wiewohl bebender Hand des Todeswerkzeuges.
Als er wieder aufsah, näherte sich ihm Goiswintha. In der einen Hand hielt sie den blutigen Helmschmuck, während sie mit der andern auf die zusammengesunkene Gestalt des Mädchens deutete. Ihre Lippen trugen noch jenes unnatürliche Lächeln und sie flüsterte leise dem Gothen zu:
»Gedenke Deines Versprechens! —— gedenke Deiner Verwandten! —— gedenke des Blutbades von Aquileja!«
Der junge Krieger antwortete nicht. Er trat schnell um ein paar Schritte vorwärts und winkte dem jungen Mädchen, hastig durch die Thüre zu entfliehen. Es war jetzt aber durch seinen Schrecken aller Wahrnehmungs- und Fassungskraft beraubt. Es blickte wie blödsinnig zu Hermanrich auf und kauerte dann, heftig schaudernd, in einen Winkel des Zeltes nieder. Während der kurzen, jetzt eingetretenen Stille hörte sie der Gothe frösteln und seufzen, als er so mit ängstlicher Besorgniß Goiswinthens sich verdunkelndes Gesicht beobachtete.
»Sie ist eine Römerin —— sie ist die erste Bewohnerin der Stadt, die vor Dir erscheint —— gedenke Deines Versprechens! —— gedenke Deiner Verwandten! —— gedenke des Blutbades von Aquileja!« sprach das Weib in wilden, gepreßten, zischenden Tönen.
»Ich gedenke, daß ich ein Krieger und ein Gothe bin!« erwiederte Hermanrich geringschätzig; »ich habe Dich zu rächen versprochen, aber mein Versprechen muß an einem Manne erfüllt werden —— an einem gerüsteten Manne, der mit den Waffen in der Hand auftreten kann —— an einem starken, muthigen Manne, den ich vor Deinen Augen im Zweikampf erschlagen werde! Das Mädchen ist zu jung zum Sterben, zu schwach, um angegriffen zu werden.«
Keine Silbe seiner Rede war unbeachtet an der Flüchtigen vorübergegangen. Jedes Wort schien ihre erstarrten Geisteskräfte neu zu beleben. Sobald er schwieg, stand sie auf und lief mit dem schnell erweckten Instinkte des Schreckens zu dem jungen Gothen heran. Hierauf ergriff sie seine Hand —— die Hand, welche immer noch die Streitaxt gefaßt hielt, kniete nieder und küßte sie und stieß, dieselbe an ihren Busen pressend, hastige, gebrochene Worte aus, die durch das Beben ihrer Stimme vollkommen unverständlich wurden.
»Haben die Römer meine Kinder für zu jung zum Sterben, oder für zu schwach, um angegriffen zu werden, gehalten?« rief Goiswintha. »Bei dem Herrn des Himmels! sie mordeten sie um so lieber, weil sie jung, und hieben um so grimmiger auf sie ein, weil sie schwach waren! Mein Herz hüpft vor Freuden, wenn ich auf das Mädchen blicke! Ich bin doppelt gerächt, wenn ich an einem unschuldigen jugendlichen Wesen gerächt werde. Ihre Gebeine sollen auf den Ebenen von Rom verwesen wie die meiner Kinder auf der von Aquileja! Vergieße mir ihr Blut! Gedenke Deines Versprechens! Vergieße mir ihr Blut!«
Sie schritt mit ausgestreckten Armen und funkelnden Augen auf die Flüchtige zu. Sie rang nach Athem, ihr Gesicht nahm plötzlich eine leichenartige Blässe an, der Fackelschein fiel auf ihre verzerrten Züge, sie sah in jenem furchtbaren Augenblicke gespenstisch aus, aber der Gott der Gnade hatte jetzt die Entschlossenheit des jungen Gothen für alle Fälle gestählt. Sein helles, festes Auge zuckte nicht, als er dem rasenden Blicke der vor ihm stehenden Furie begegnete. Mit der einen Hand hielt er Goiswinthen zurück, die andere konnte er nicht von dem Mädchen losmachen, welches sie jetzt eifriger als je umfaßt hielt und küßte.
»Du thust dies nur, um mich zum Zorne zu reizen,« sagte Goiswintha, indem sie ihr Benehmen mit plötzlicher, sichtbarer Schlauheit veränderte, welche für die Flüchtige gefahrverkündender war. als die bisher kund gegebene Wuth. »Du scherzest mit mir, weil ich es an Geduld habe mangeln lassen, wie ein Kind! Aber Du wirst ihr Blut vergießen —— Du bist ein Mann von Ehre und wirst Dich an Dein Versprechen halten! Du wirst ihr Blut vergießen!«
»Und ich,« fuhr sie triumphierend fort und setzte sich, ihre geballten Fäuste auf ihre Kniee legend, auf den eichenen Kasten, welchen sie früher eingenommen hatte, nieder. »Ich werde warten, bis ich es sehe!«
In diesem Augenblicke vernahm man Stimmen und Schritte vor dem Zelte. Hermanrich hob schnell das zitternde Mädchen auf, unterstützte es mit seinem Arme und schritt vor, um den Grund der Störung zu ermitteln. Ein alter Krieger von hohem Range, der zu Alarich’s Umgebungen gehörte, stand mit einer kleinen Abtheilung gemeiner Soldaten aus dem Lager vor ihm.
»Zu den Frauen, die der König für diese Nacht bestimmt hat, die Kranken und auf dem Marsche Verwundeten zu pfegen, gehört Goiswintha, die Schwester Hermanrich’s. Wenn sie hier ist, so möge sie hervorkommen und mir folgen!« sprach der Anführer mit gebieterischem Tone, während er am Eingange des Zeltes stehen blieb.
Goiswintha erhob sich. Sie stand einen Augenblick unentschlossen da. Hermanrich in einem solchen Augenblicke zu verlassen, war ein Opfer, welches ihr wildes Herz zerriß; aber sie kannte die Strenge von Alarich’s Disciplin; sie sah die Bewaffneten, welche sie erwarteten,und wich nach heftigem Kampfe der gebieterischen Notwendigkeit, dem Befehle des Königs Gehorsam zu leisten. Vor unterdrücktem Zorn und bitterem Unmuth bebend, flüsterte sie Hermanrich im Vorübergehen zu:
»Du kannst sie nicht retten, wenn Du es auch willst, Du wagst sie nicht der Obhut Deiner Gefährten anzuvertrauen; sie ist zu jung und schön, um ihrem zweifelhaften Schutze überlassen zu werden. Du kannst nicht mit ihr fliehen, denn Du mußt hier an Deinem Posten auf Wache bleiben. Du wirst sie nicht allein gehen lassen, denn Du weißt, daß sie, ehe der Morgen erscheint, vor Kälte und Hunger umkommen würde. Wenn ich morgen zurückkehre, so werde ich sie im Zelte sehen. Du kannst Deinem Versprechen nicht ausweichen, Du kannst es nicht vergessen —— Du mußt ihr Blut vergießen!«
»Die Befehle des Königs,« sagte der alte Krieger, indem er seiner Abtheilung das Zeichen gab, sich mit Goiswinthen, die jetzt in erzwungener Fassung dastand und ihre Leitung erwartete, zu entfernen, »werden früh dem Häuptling Hermanrich mitgetheilt werden. Erinnere Dich,« fuhr er leise fort, indem er verächtlich auf das zitternde Mädchen deutete, »daß die Wachsamkeit, welche Du im Aufstellen Deiner Abtheilung vor jenem Thore bewiesen hast, keine Nachlässigkeit entschuldigen wird, zu der Dich Dein Fang dort jetzt veranlassen könnte! Genieße Deine jugendlichen Freuden, wie Du willst, aber erinnere Dich Deiner Pflichten! Lebe wohl!«
Nachdem der Veteran diese Worte mit strengem, ernstem Tone gesprochen, entfernte er sich. Bald verklangen die letzten Töne der Schritte seiner Begleiter und Hermanrich war mit der Entflohenen im Zelte allein.
Während der Anrede des alten Kriegers hatte sich das Mädchen schweigend von ihrem Beschützer losgemacht und hastig nach dem Innern des Zeltes entfernt. Als sie sah, daß sie wieder allein waren, schritt sie zaudernd auf den jungen Gothen zu und blickte mit stummer Frage in sein Gesicht auf.
»Ich bin sehr elend,« sagte sie nach einer Pause mit weichen, klaren, wehmüthigen Tönen. »Wenn Du mich jetzt verlässest, so muß ich sterben —— und ich habe erst so kurze Zeit auf Erden verlebt, ich habe so wenig Glück und Liebe gekannt, daß ich zum Sterben noch nicht geeignet bin, aber Du wirst mich beschütze. Du bist gut und tapfer; ein starker Mann mit Waffen in der Hand und von Mitleid erfüllt. Du hast mich vertheidigt und gütig von mir gesprochen —— ich liebe Dich wegen des Mitleids, das Du mir bewiesen hast!«
Ihre Sprache und Bewegung waren trotz ihrer Einfachheit für Hermanrich, dessen Erfahrungen über ihr Geschlecht sich fast völlig auf die Frauen seines eigenen, strengen, kalten Volkes beschränkt harten, doch so neu, daß er, als, die Bittende auf seine Antwort wartete, ihr nur eine kurze Versicherung seines Schutzes geben konnte. Vor seinen Augen war ein neues Blatt in der Geschichte der Menschheit aufgeschlagen und er blickte forschend und in verwunderter Stille, aus dasselbe.
»Wenn das Weib zurückkehren sollte,« fuhr das Mädchen, ihre dunkeln, beredten Augen»auf das Gesicht des Gothen heftend, fort, »so führe mich schnell an einen Ort, wohin sie nicht kommen kann. Das Herz erstarrt mir, wenn ich sie anblicke. Sie wird mich tödten, wenn sie mir wieder nahen kann! Der Zorn meines Vaters ist sehr furchtbar, aber der ihre entsetzlich —— entsetzlich —— entsetzlich! Horch, ich höre sie schon zurückkommen —— laß uns gehen —— ich werde Dir folgen, wohin Du willst —— laß uns aber nicht zögern, solange wir noch Zeit haben, uns zu entfernen. Sie wird mich umbringen, wenn sie mich jetzt sieht, und ich kann noch nicht sterben! O mein Retter, mein mitleidiger Beschützer, ich kann noch nicht sterben!«
»Es soll Dir Niemand ein Leides thun —— es soll Dir diese Nacht Niemand nahen, Du bist in meinem Zelte vor allen Gefahren sicher,« sagte der Gothe, indem er sie mit unverhohlenem Staunen und Bewunderung anblickte.
»Ich will Dir sagen, weshalb der Tod mir so furchtbar ist,« fuhr sie fort, und ihre Stimme nahm jetzt einen Ton wehmüthigen Ernstes an, welcher bei einem so jungen Geschöpfe einen seltsamen Eindruck machte; »ich habe so viel allein gelebt und keine Gefährten gehabt als meine Gedanken und den Himmel, zu dem ich aufblicken, und die Dinge auf Erden, die ich beobachten konnte. Wenn ich den heitern Himmel und die grünen Felder gesehen und den Duft der Blumen eingesogen und die Stimmen der fernen Singvögel gehört habe, so wunderte ich mich, warum derselbe Gott, der alles dies gemacht und mich dazu geschaffen, auch Kummer und Schmerz und die Hölle —— die furchtbare, ewige Hölle, von der mein Vater in seinen Predigten spricht, geschaffen hat. Wenn ich auf den Sonnenschein blickte, oder aus dem Schlafe erwachte, um die fernen Sterne zu betrachten und an sie zu denken, sehnte ich mich stets, etwas zu lieben, was meine Freude anhören könne. Aber mein Vater verbot mir, glücklich zu sein, er runzelte die Stirn, selbst als er mir meinen Blumengarten gab, und Gott hat doch die Blumen gemacht. Er zerschlug meine Laute und Gott hat doch die Musik gemacht. Mein Leben ist ein einsames Sehnen nach Freundesstimmen gewesen. Mein Herz hat mir in der Brust gebebt, weil ich, wenn ich im Garten umherwandelte und auf die Felder und Wälder und hohen, grünen Berge, die mich umgaben, schaute, das Bewußtsein hatte, daß ich sie allein liebe! Weißt Du nun, weshalb ich noch nicht sterben darf? Weil ich erst das Glück finden muß, welches Gott, wie ich fühle, für mich gemacht hat, weil ich leben muß, um diese schöne, wundervolle Welt mit Andern, die sie genießen, wie ich es könnte, zu preisen! weil meine Heimath unter Denjenigen gewesen ist, welche seufzen, aber nie unter Denen, welche lächeln! Deshalb fürchte ich mich vor dem Tode. Ich muß Gefährten finden, deren Gebete singend und freudig gehalten werden, ehe ich in das furchtbare Jenseits gehe, vor welchem sich Alle entsetzen. Ich darf noch nicht sterben! ich darf noch nicht sterben!«
Bei diesen letzten Worten begann sie bitterlich zu weinen. Der junge Gothe war vor Erstaunen und Mitleid stumm. Er blickte auf die kleine, weiche Hand hinab, die sie während ihrer Rede aus seinen Arm gelegt hatte und sah, daß sie zitterte, er drückte sie und fühlte, daß sie kalt war und in dem ersten Antriebe des Mitleids, welches diese Bewegung hervorrief, fand er die Fähigkeit der Rede, nach welcher er bis jetzt umsonst gerungen hatte.
»Du zitterst und siehst bleich aus,« sagte er, »an der Thür des Zeltes soll ein Feuer angezündet werden. Ich will Dir Kleider bringen, die Dich wärmen und Nahrung, die Dir Kraft bringen soll, Du sollst schlafen und ich werde Dich bewachen, damit Dir Niemand etwas zu Leide thut.«
Das Mädchen blickte hastig auf. Ein Ausdruck unaussprechlicher Dankbarkeit trat auf das kummervolle Gesicht desselben. Sie murmelte mit gebrochener Stimme:
»O wie barmherzig —— wie barmherzig Du bist!« und dann bedeckte sie, nach einem deutlich wahrnehmbaren Kampfe mit sich selbst, ihr Gesicht mit den Händen und brach von Neuem in Thränen aus.
Mehr und mehr verlegen, machte sich Hermanrich mechanisch damit zu thun, von denjenigen seiner Untergebenen, welche nicht mit Dienstpflichten beschäftigt waren, Feuer, Nahrung und Kleidung, wie er es versprochen hatte, herbeibringen zu lassen. Sie nahm die Gewänder an, näherte sich der lodernden Flamme und genoß begierig die einfachen Erquickungen, welche ihr der junge Krieger bot. Hierauf saß sie eine Zeitlang still in tiefes Nachdenken versunken und zusammengekauert am Feuer, ohne, wie es schien, die Neugier, womit sie der Gothe immer noch betrachtete, zu bemerken.
Endlich blickte sie plötzlich auf, nahm wahr, daß er seine Augen auf sie geheftet hatte, erhob sich und winkte ihm aus den Sitz neben sich.
»Wenn Du wüßtest, wie gänzlich verlassen ich bin, so würdest Du Dich nicht so wundern, daß ich, eine Fremde und eine Römerin, Dich in dieser Weise aufgesucht habe. Ich habe Dir erzählt, wie einsam meine Heimath war, aber doch war für mich diese Heimath eine Freistätte und ein Schutz bis zum Morgen des langen, jetzt vergangenen Tages, wo ich für immer daraus verstoßen wurde! Ich wurde plötzlich in meinem Bette aufgeweckt —— mein Vater trat zornig ein —— er nannte mich ——
Sie zauderte, erröthete und hielt dann schon im Anfange ihrer Erzählung inne. So unschuldig sie auch war, sprachen die natürlichen Instinkte ihres Geschlechts mit räthselhaftem, aber doch warnendem Tone in ihrem Herzen und legten ihr ein Schweigen auf, dessen Gründe sie weder erforschen noch erklären konnte; sie faltete ihre zitternden Hände auf ihrem Busen, wie um dessen Wogen zu unterdrücken, schlug die Augen nieder und fuhr mit leiser Stimme fort:
»Ich vermag Dir nicht zu sagen, weshalb mich mein Vater aus seinem Hause getrieben hat. Er ist gegen mich immer schweigsam und betrübt gewesen, hat mir lange Aufgaben in traurigen Büchern gestellt, mir verboten, die Grenzen seiner Wohnung zu überschreiten und zu ihm zu sprechen, wenn ich ihn mitunter gebeten habe, mir etwas von meiner längst verlorenen Mutter zu erzählen. Aber er hat mir nie gedroht, mich nie von seiner Seite vertrieben, außer an dem Morgen, von welchem ich Dir erzählt habe. Da war sein Grimm entsetzlich, seine Augen blitzten, seine Stimme war drohend! Er gebot mir zu gehen und ich gehorchte ihm mit Schrecken, denn ich glaubte, daß er mich tödten würde, wenn ich bliebe! Ich floh aus dem Hause, ohne zu wissen, wohin ich ging, und lief durch jenes Thor, welches dicht bei unserer Wohnung ist. Als ich in die Vorstädte kam, traf ich große Menschenmengen, die alle nach Rom hereineilten. Ich war vor Furcht und der mich umgebenden Verwirrung ganz von Sinnen, erinnere mich aber doch, daß man mir laut zurief, nach der Stadt zu fliehen, ehe die Thore vor dem Angriffe der Gothen gesperrt werden würden. Und andere stießen mich an und verspotteten mich, als sie vorüber kamen und mich in den dünnen Nachtgewändern sahen, in welchen ich aus meinem Hause verbannt worden war.«
Hier hielt sie inne und lauschte einige Augenblicke hindurch. Jedes zufällige Geräusch, welches sie vernahm, erweckte in ihr die Besorgniß vor Goiswinthens Rückkehr. Durch Hermanrich und ihre eigene Beobachtung des vor dem Zelte Vorgehenden wieder beruhigt, nahm sie nach einiger Zeit ihre Erzählung wieder auf und sprach jetzt mit festerer Stimme:
»Ich dachte, daß mir das Herz brechen würde,« fuhr sie fort, »als ich ihnen zu entfliehen suchte. Vor meinen Augen drehte sich Alles im Kreise. Ich konnte nicht sprechen —— ich konnte nicht stehen bleiben, —— ich konnte nicht weinen. Ich floh und floh, ohne zu wissen, wohin, bis ich erschöpft an der Thür eines kleinen Hauses am äußersten Rande der Vorstadt niedersank; dann rief ich um Hilfe, aber Niemand vernahm meine Stimme. Ich kroch in das Haus —— denn ich konnte nicht mehr stehen. Es war leer. Ich blickte aus den Fenstern, aber keine menschliche Gestalt durchschritt die schweigenden Straßen. Von den Mauern der Stadt erhob sich immer noch das Brausen einer ungeheuren Verwirrung, aber ich hörte dasselbe allein von Außen an. Im Hause sah ich einige Brodstücke und ein altes Gewand auf dem Boden umherliegen. Ich nahm Beides, stand dann auf und entfernte mich, denn die Stille des Ortes war mir furchtbar und ich gedachte der Felder und Wiesen, auf die ich einst so gern hinausgeschaut hatte, und dachte, vielleicht dort die Zuflucht zu finden, welche mir in Rom versagt worden war. Ich brach also von Neuem auf und als ich auf das weiche Gras gelangte, und mich neben den schattigen Bäumen niedersetzte und die glänzend auf die Erde fallenden Sonnenstrahlen sah, wurde mir das Herz schwer und ich weinte bei dem Gedanken an meine Einsamkeit und bei der Erinnerung an den Zorn meines Vaters.
»Ich war noch nicht lange an meinem Rastorte, als ich in der Ferne Trompetengeschmetter vernahm und beim hinaus blicken weither über die Ebene eine ungeheure Menschenmenge mit in der Sonne blitzenden Waffen herbeikommen sah. Ich versuchte bei ihrem Anblicke aufzustehen und selbst zu den Vorstädten, deren Einsamkeit mich erschreckt hatte, zurückzukehren, aber die Glieder versagten mir den Dienst; ich sah eine kleine, von den Bäumen rund umher versteckte Vertiefung, ich trat in dieselbe und lag dort den einsamen Tag hindurch verborgen. Ich hörte das lang anhaltende Marschiren als Euer Heer auf den Wegen unterhalb an mir vorüber kam und dann nach jenen Stunden der Furcht stellten sich die langen Stunden der Einsamkeit ein!
»O, jene einsamen —— einsamen —— einsamen Stunden! Ich habe ohne Gefährten gelebt, aber jene Stunden waren mir furchtbarer, als die ganzen Jahre meines früheren Lebens. Ich wagte nicht, meinen Versteck zu verlassen, ich wagte nicht, zu rufen! —— Völlig allein in der Welt, lag ich in meiner Zufluchtsstätte, bis die Sonne unterging. Dann kam der Nebel und die Dunkelheit und die Kälte. Der schneidende Nachtwind durch fröstelte meinen ganzen Körper. Die einsame Finsterniß um mich. her schien von Gespenstern erfüllt zu sein, die ich nicht erblicken konnte, die mich anrührten und über meine Haut hinraschelten, —— sie machten mich halb wahnsinnig. Ich stand auf, um mich zu entfernen, um meinen zornigen Vater oder dem Heere, das an mir vorübergegangen war, oder der Einsamkeit auf den kalten, hellen Wiesen —— welchen, war mir gleichgültig —— entgegen zu treten, als ich das Licht Deiner Fackel im Augenblicke vor ihrem Erlöschen bemerkte. So finster es auch damals war, fand ich doch Dein Zelt. Und jetzt weiß ich, daß ich noch mehr gesunden habe —— einen Gefährten und einen Freund.«
Sie blickte bei diesen Worten mit demselben dankbaren Ausdrucke, welcher sich schon auf ihrem Gesicht gezeigt hatte, zu dem jungen Gothen aus, diesmal waren ihre Augen aber nicht von Thränen getrübt, schon hatte ihr Gemüth, so gering auch die Aussicht auf Glück war, welche jetzt vor ihr lag, mit fast kindlicher Veränderlichkeit die stärkenden Einflüsse heiterer Empfindungen zurückgespiegelt. Schon begann die kurze Ruhe der Gegenwart ihren verwischenden Zauber über die Aufregungen der Vergangenheit zu erstrecken. Die Verzweiflung gehörte nicht zu den Empfindungen, welche um jenes kindergleiche Herz keimten, Schmach, Frucht und Schmerz ließen, wie sehr sie es auch auf eine Zeitlang überschatten mochten, keine Spur ihrer Gegenwart auf seiner hellen, schönen Oberfläche zurück. Zart, für jedes Gefühl wahrhaft gefahrvoll empfänglich, dankbar wie sie von Natur war, hatte sie die Einsamkeit, zu welcher sie verurtheilt gewesen, trotz ihrer Jugend, mit Märtyrerstandhaftigkeit und stoischer Geduld im Schmerze begabt.
»Traure jetzt nicht um mich,« unterbrach sie sanft einige Worte des Mitleids, welche von den Lippen des jungen Gothen fielen; »wenn Du barmherzig gegen mich bist, so werde ich Alles, was ich gelitten habe, vergessen. Ist auch Dein Volk in Feindschaft mit dem meinen, so fürchte ich doch nichts, so lange Du mein Freund bleibst. Ich kann jetzt Deine große Gestalt, Dein schwarzes Schwert und Deine schwere Rüstung ohne Zittern anblicken. Du gleichst nicht den Soldaten Rom’s —— Du bist größer, stärker, herrlicher angethan, wie sie! Du gleichst der Statue einem griechischen Krieger, die ich einst gesehen habe. Dein Blick fordert Gehorsam und Deine Gestalt ist gebietend!«
Sie schaute die männliche, kräftige Gestalt des jungen Kriegers und die Rüstungsstücke, mit welchen er angethan war, in kindischer Theilnahme und Erstaunen an, fragte ihn nach dem Namen und Zwecke aller Theile derselben, welche ihre Aufmerksamkeit erregten und erkundigte sich endlich begierig nach seinem Namen.
»Hermanrich! wiederholte sie, als er ihr denselben gesagt hatte, die rauhen gothischen Silben mit einiger Mühe aussprechend; »Hermanrich! das ist ein strenger, ernster Name, —— ein Name, wie er einem Krieger und Manne geziemt! Nach einem solchen klingt der meine werthlos, er heißt nur Antonina!«
So tiefen Antheil Hermanrich auch an jedem von dem Mädchen ausgesprochenen Worte nahm, konnte er doch nicht länger die deutlichen Spuren von Erschöpfung unbemerkt lassen, welche sich jetzt in allen ihren Bewegungen zeigten. Er holte aus einer Ecke des Zeltes einige Felle, bereitete neben dem Feuer eine Art von rohem Lager, häufte frisches Brennmaterial auf die Flamme und rieth ihr dann sanft, ihre erschöpften Kräfte durch Ruhe zu stärken. In seinem Benehmen lag etwas so Offenes, in den Tönen seiner Stimme etwas so Aufrichtiges, als er der Fremden, welche bei ihm Zuflucht gesucht hatte, dieses einfache Anerbieten der Gastlichkeit machte, daß das mißtrauischste Weib es mit eben so geringem Zaudern angenommen haben würde, wie Antonina, die sich dankbar und ohne weiteres Besinnen auf das Bette niederlegte, welches er ihr zu ihren Füßen ausgebreitet hatte.
Sobald er sie sorgfältig mit einem Mantel bedeckt und ihr Lager so geordnet hatte, daß sie die volle Wärme des Feuers erhielt, zog sich Hermanrich auf die andere Seite desselben zurück und überließ sich, auf sein Schwert gelehnt, den neuen tiefen Gedanken, welche die Gegenwart des Mädchens natürlicher Weise erweckte. Er dachte nicht an die Pflichten, welche ihm die Blockade auferlegte, er entsann sich weder der wüthenden, zornigen Scene, die der Umgehung seines leichtsinnigen Versprechens gefolgt war, noch der wilden Entschlossenheit welche Goiswintha kundgegeben hatte, als sie ihn für die Nacht verließ. Die Sorgen und Mühen, welche ihm der nächste Morgen bringen und die ihn nöthigen mußten, den Flüchtling der Tücke ihrer rachsüchtigen Feindin auszusetzen, die tausend Zufälle, welche die Verschiedenheit ihres Geschlechts, ihres Volkes und Lebens der Fortdauer des Schutzes, welchen er ihr versprochen hatte, entgegensetzen konnte, verursachten ihm keine ahnenden Vorgefühle Antonina —— Antonina allein nahm jede Fähigkeit seines Geistes und jedes Gefühl seines Herzens in Anspruch. In ihrem Namen schon lag für sein Ohr ein weicher, melodischer Klang!
Er war früh schon mit der lateinischen Sprache bekannt geworden, hatte aber die ganze Rundung ihres Tones und der Eleganz ihrer Wortfügung nicht eher entdeckt, als bis er sie von Antonina sprechen hörte. Er ging in seinem Geiste Wort für Wort ihre verschiedenartigen, natürlichen und glücklichen Wendungen des Ausdrucks durch, rief sich dabei die beredten Blicke, die schnellen Gestikulationen, die wechselnden Töne, welche diese Worte begleitet hatten, zurück, und dachte über den weiten Unterschied zwischen dieser jungen Tochter Rom’s und den kalten, schweigsamen Frauen seines Volkes nach. Selbst das ihre Geschichte umhüllende Geheimnis, welches den Argwohn oder die Verachtung civilisirterer Männer erregt haben würden, erweckte in ihm keine Empfindung als die der Bewunderung und des Mitleids. Kein Gefühl niederer Art, als diese, regte sich in seinem Herzen für das Mädchen. Sie war sicher unter dem Schutze des Feindes und des Barbaren, nachdem sie die Einwirkung des Römers und Senators in’s Verderben gestürzt hatte.
Für den einfachen Geist des Gothen war die Entdeckung so vielen Verstandes im Verein mit so großer Jugend, so vieler zu so vollkommener Einsamkeit verurtheilter Schönheit, die Entdeckung eines geistigen Wesens, welches ihn blendete, nicht die eines Weibes, weiches ihn bezaubern, Er hätte nicht einmal die Hand des hilflosen Geschöpfes, welches jetzt unter seinem Zelte ruhte, berühren können, wenn es dieselbe nicht freiwillig nach ihm ausstreckte Er konnte nur mit einem Entzücken, dessen Uebermaß selbst abzuschätzen er weit entfernt war, an das einsame, geheimnißvolle Wesen denken, welches zu ihm gekommen war, um Schutz und Hilfe zu suchen, welches in ihm bereits neue Quellen der Empfindung erweckt hatte und sich in seiner Einbildungskraft plötzlich für immer mit dem Schicksal seines künftigen Lebens verwebt zu haben schien.
Er war noch in tiefe Gedanken versunken, als ihn eine plötzlich auf seinen Arm gelegte Hand aus demselben aufschreckte. Er blickte auf und sah, daß Antonina, die, wie er geglaubt hatte, auf ihrem Lager schlief, an seiner Seite stand.
»Ich kann nicht eher einschlafen,« sagte das Mädchen mit leiser, ängstlicher Stimme, »als bis ich Dich gebeten habe, meines Vaters zu schonen, wenn Du nach Rom kommst. Ich weiß, daß Ihr hier seid, um die Stadt zu verheeren, und werdet sie vielleicht schon diese Nacht stürmen und Verwüsten. Willst Du Versprechen, mir es zu sagen, ehe die Mauern bestürmt werden? Ich werde Dir dann den Namen und die Wohnung meines Vaters mittheilen und Du wirst seiner schonen, wie Du mich gnädig verschont hast. Er hat mir seinen Schutz versagt, aber er ist immer noch mein Vater und ich erinnere mich, ihm einmal ungehorsam gewesen zu sein, als ich mir den Besitz einer Laute verschaffte. Willst Du mir versprechen, seiner zu schonen? Meine Mutter, die ich nie gesehen habe und die daher todt sein muß, wird mich vielleicht in jener Welt lieben, weil ich für meines Vaters Leben gebeten habe.«
Hermanrich beschwichtigte mit wenigen Worten ihre Besorgnisse, indem er ihr die Natur und den Zweck der gothischen Blockade erläuterte, und sie kehrte stumm auf das Lager zurück. Nach kurzer Zeit verkündete ihr leises, regelmäßiges Athmen dem jungen Krieger, welcher neben dem Feuer wachte, daß sie endlich das Unglückserbtheil des Tages über der willkommenen Ruhe des Schlafes vergessen hatte.
Kapitel II.
Zwei Unterredungen.
Die Zeit ist der Abend des ersten Tages der Blockade durch die Gothen, der Ort Vetranio’s Palast in Rom. In einem von den Privatgemächern seines Hauses, befindet sich der feingebildete Eigenthümer, endlich von der langen Sitzung erlöst, welche der Senat in Bezug auf die unerwartete Belagerung der Stadt gehalten bat. Wiewohl trotz der Gefahr, welche jetzt in Rom Reiche und Arme bedroht, noch dieselbe vollkommene Disciplin, dieselbe elegante Regelmäßigkeit und der gleiche üppige Pomp, wodurch sich der Palast des Senators in den Zeiten der Sicherheit auszeichnete, darin herrschen, scheint Vetranio selbst doch weit entfernt zu sein, die Ruhe seiner patricischen Haushaltung zu theilen. Sein Wesen hat eine ungewöhnliche Strenge und sein Gesicht einen bei ihm ganz neuen Unmuth angenommen, während er so mit seinen stummen Gedanken beschäftigt und gegen Alles, was um ihn her vorgeht, völlig achtlos dasitzt. Zwei Damen, welche seine Gesellschafterinnen im Zimmer bilden, bieten alle ihre Lockungen auf, um ihn wieder zur Heiterkeit zurückzuführen, aber vergebens. Die Dienste seiner aufmerksamen Musiker werden nicht in Anspruch genommen, die Delikatessen auf seinem Tische bleiben unberührt und selbst das »unschätzbare Kätzchen von der bei den alten Egyptern am höchsten verehrten Race,« springt unbeachtet und unbelobt zu seinen Füßen umher. Es liegt klar am Tage, daß, für jetzt wenigstens, der gewohnte philosophische Gleichmuth aus dem Geiste des Senators gewichen ist.
Eine Zeitlang hatte das Schweigen —— bisher in den Gemächern des Palastes etwas Fremdartiges —— ununterbrochen in demselben geherrscht, als der Freigelassene, Carrio, Vetranio’s Gedanken unterbrach und die bei ihm befindlichen Damen in die Flucht schlug, indem er mit wichtiger Stimme meldete, daß der Präfekt Pompejanus eine Privatunterredung mit dem Senator Vetranio wünsche.
Im nächsten Augenblicke trat die erste Magistratsperson von Rom in das Zimmer. Es war ein kurzer, dicker, würdeloser Mann. Trägheit und Ungewißheit waren leserlich seinem Aeußern und Gesichtsausdrucke ausgeprägt. Man sah augenblicklich, daß sein Geist wie ein Spielball durch die Kräfte Anderer nach jeder Richtung hin getrieben werden könne, für sich selbst aber des Wollens völlig unfähig sei. Es war uns ein einziges Beispiel im Leben des Präfekten Pompejanus vorhanden, wo derselbe ohne Beistand zu einem positiven Entschlusse gekommen war —— nämlich bei einem hitzigen Streite zwischen einem Bischofe und einem Generale über die relativen Vorzüge zweier rivalisierender Seitänzer von gleicher Berühmtheit.
»Ich komme, mein geliebter Freund« sagte der Präfekt mit bewegter Stimme, »um in dieser Zeit entsetzlicher Verantwortlichkeit für uns Alle nach Deiner Ansicht über den Operationsplan zu fragen, welchen der Senat bei der heutigen Sitzung vorgeschlagen hat. Zuerst aber,« fuhr er hastig fort, da er mit dem unfehlbaren Instinkte eines alten Gastronomen wahrnahm daß die einladenden Erfrischungen auf Vetranio’s Tische unberührt geblieben waren, »zuerst gestatte mir, meine erschöpften Kräfte durch eine Heimsuchung Deiner stets delikaten Tafel zu starken. Ach, mein Freund, wenn ich an den jetzigen furchtbaren Mangel an Mundvorräthen in der Stadt und die Länge der Zeit, welche diese fluchwürdige Blockade dauern kann, denke, so bin ich zu der Ansicht geneigt, daß nur die Götter wissen —— ich meine St. Peter —— wie lange wir noch unsere Verdauungskräfte anwenden und unsern Köchen werden Beschäftigung geben können.
»Ich habe bemerkt,« fuhr der Präfekt nach einiger Zeit fort, indem er mit von gedämpftem Pfau angefülltem Munde sprach, »ich habe, mein werthgeschätzter College, die Traurigkeit Deinen Wesens und Dein heutiges, absolutes Schweigen bei unsern Berathungen bemerkt. Haben wir Deiner Ansicht nach einen irrigen Beschluß gefaßt? Es ist nicht unmöglich. Unsere Verwirrung bei diesem unerwarteten Erscheinen der Barbaren kann unsern gewohnten Scharfsinn geblendet haben. Wenn Du vielleicht von unsern Plänen abweichen solltest, so bitte ich Dich, mir es rückhaltslos mitzutheilen.«
»Ich weiche von nichts ab, weil ich nichts gehört habe,« antwortete Vetranio mürrisch. »Ich wurde während der Sitzung des Senats von einer wichtigen Privatsache so in Anspruch genommen, daß ich für dessen Berathungen taub war. Ich weiß, daß uns die Gothen belagern; warum werden sie nicht von den Mauern fortgetrieben?«
»Für unsere Berathungen taub? —— Die Gothen von den Mauern forttreiben!« —— wiederholte der Präfekt mit schwacher Stimme; »kannst Du in einem solchen Augenblicke noch an eine Privatsache denken, —— kennst Du unsere Gefahr! —— weißt Du, daß unsere Freunde über dieses entsetzliche Unglück so erstaunt sind, daß sie wie halb im Traume liegende Menschen umhergehen? —— Hast Du nicht die Straßen mit entsetzten, entrüsteten Menschen angefüllt gesehen? —— Hast Du nicht die Wälle erstiegen und die zahllose Menge von unbarmherzigen Gothen erblickt, die uns auf allen Seiten umgeben, unsere Zufuhr vom Lande abschneiden und uns mit einer baldigen Hungersnoth bedrohen, wenn nicht unsere gehofften Befreier von Ravenna ankommen.
Weißt Du nicht, daß die Legionen, die wir in der Stadt haben; nicht hinreichend sind, um mehr als die Hälfte der Mauern zu bewachen. Hat Dir Niemand mitgetheilt, daß es, wenn der Anführer der Barbaren Lust haben sollte, seine Blockade in einen Sturm zu verwandeln, mehr als wahrscheinlich ist, daß wir ihm nicht mit Erfolg widerstehen können? Taub für unsere Berathung, wenn Dir morgen Dein Palast über dem Kopfe angezündet werden kann, wenn wir ausgehungert wenn wir zum Abschließen eines« Friedens gezwungen, ewiger Schmach geweiht werden können? Taub für unsere Berathungen, wenn ein so unerwartetes Unglück wie dieser Einfall, einem Donnerkeile gleich, dicht vor unsern Mauern niedergefallen ist! Du setzest mich in Erstaunen! Du bringst mich vom Verstande! Du entsetzest mich!«
Und der verblüffte Präfekt verließ im Uebermaß der Verwunderung sogar seinen gedämpften Pfau und trat mit dem Weinbecher in der Hand auf seinen unbeweglichen Wirth zu, um dessen Züge näher zu betrachten.
»Wenn wir nicht stark genug sind, um die Gothen aus Italien zu vertreiben,« erwiderte Vetranio kaltblütig, »so weißt Du und der Senat, daß wir Reichthümer genug besitzen, um ihre Entfernung bis an die entlegensten Grenzen des Reiches zu erkaufen. Wenn wir nicht Schwerter genug zum Fechten zu haben, so ist doch Gold und Silber genug zum Bezahlen da.«
»Du scherzest! Bedenke doch unsere Ehre und die Hilfstruppen, welche wir noch von Ravenna hoffen,« sagte der Präfekt tadelnd.
»Das Wort Ehre hat jetzt die Bedeutung verloren, welche es in der Zeit der Cäsaren besaß,« entgegnete der Senator, »Unsere Kampfestage sind vorüber. Wir haben für unsern Ruhm Helden genug gehabt. Was die Hilfstruppen betrifft, auf welche Du noch immer hoffst, so wirst Du keine erhalten! So lange sich der Kaiser in Ravenna sicher befindet, wird er sich nicht um die schlimmste Noth kümmern, die dem römischen Volke zustoßen kann.«
»Aber Du vergissest Deine Pflichten,« drängte der erstaunte Pompejanus vom Tadel zu Vorstellungen übergehend »Du vergissest, daß wir in einer Zeit leben, in welcher alle Privatinteressen aufgegeben werden müssen! Du vergissest, daß ich hierher gekommen bin, um Dich um Rath zu fragen, daß ich durch tausend mir von allen Seiten aufgedrungene Pläne zur gehörigen Regierung der Stadt, während der Blockade, verblüfft bin, daß ich von Dir als Freunde und Mann von Ruf Hilfe zur Entscheidung über die mir heute im Senate gegebenen zahlreichen Rathschläge erwarte! Willst Du mich wirklich überreden, daß Du nicht weißt, daß alle unsere Wachen auf den Mauern schon verdoppelt sind. Willst Du ernsthaft gegen mich behaupten, daß Du den, Plan des Saturninus, die täglichen Rationen unbemerklich zu vermindern, nicht gehört hast? oder die Empfehlung des Emilianus, daß das Volk vom Denken an die es jetzt bedrohenden Gefahren und Nöthe durch unablässig, öffentliche Vergnügungen in den Theatern und Rennbahnen abgehalten werden soll? Bist Du wirklich gegen die Schrecken unserer jetzigen Lage gleichgültig? —— Bei den Seelen der Apostel, Vetranio, ich fange zu denken an, daß Du nicht an die Gothen glaubst.«
»Ich habe Dir bereits gesagt, daß mich jetzt Privatangelegenheiten so in Anspruch nehmen, daß ich von öffentlichen nichts wissen will,« sagte Vetranio unmuthig, »debattiert wie Ihr wollt,«— billigt, welche Pläne Ihr wollt«— ich ziehe mich von aller Einmischung in Eure Berathungen zurück!«
»Dies,« murmelte der zurückgeschlagene Präfekt vor sich hin, als er wieder mechanisch seinen Platz am Tische einnahm, »dies ist das Ende und der höchste Gipfel des Unglücks! Jetzt, wo Rath und Beistand für mich kostbarer sind als Juwelen, erhalte ich keines von Beiden. Ich erlange von Keinem die weisen, rettenden Rathschläge, welche ich als erste Amtsperson dieser kaiserlichen Stadt von Allen zu verlangen das Recht habe, und derjenige, auf den ich mich am meisten verließ, ist der, welcher mich am ersten verläßt! Aber höre mich noch einmal an, Vetranio,« fuhr, er zu dem Senator gewendet fort; »wenn unsere Gefahren außerhalb der Mauern Dich nicht berühren, so ist doch soeben innerhalb derselben eine gewichtige Sache ausgemacht worden, welche Dich bewegen muß. Nachdem Du den Senat verlassen hattest, wurde Serena, Stilicho’s Wittwe, wie schon ihr Gatte vor ihr, des geheimen verrätherischen Verkehrs mit den Gothen angeklagt, und ist, wie früher ihr Gatte, zur Todesstrafe verurtheilt worden. Ich selbst sah keine Beweise vor mir, um sie zu überführen, aber der Pöbel schrie in allgemeiner Raserei, daß sie schuldig sei, daß sie sterben müsse und daß die Barbaren, wenn sie die ihrer geheimen Anhängerin auferlegte Strafe erführen, sich entsetzt von Rom zurückziehen würden. Dies war ebenfalls ein streitiger Punkt, über welchen ich umsonst eine Entscheidung zu geben versuchte, aber der Senat und das Volk waren klüger als ich, und Serena wurde verurtheilt, morgen vom Henker erwürgt zu werden. Sie war früher ein Frauenzimmer von gutem Rufe und ist die adoptierte Mutter des Kaisers. Viele bezweifeln jetzt, ob Stilicho, ihr Gatte, je des Einverständnisses mit den Gothen, dessen er angeklagt wurde, schuldig gewesen sei und ich meinerseits bin sehr unschlüssig, ob Serena die Todesstrafe an uns verdient hat. Ich flehe Dich an, Vetranio, mich wenigstens in diesem Punkte durch Deine Ansicht zu erleuchten.«
Der Präfekt wartete ängstlich auf eine Entgegnung, aber Vetranio blickte ihn weder an, noch ließ er ihm eine Erwiderung zu Theil werden. Offenbar hatte der Senator kein Wort von seinen Reden gehört.
Diese Aufnahme seiner letzten Bitte um Beistand brachte auf den Bittsteller die Wirkung, welche dadurch vielleicht beabsichtigt wurde, hervor; der Präfekt Pompejanus verließ verzweiflungsvoll das Zimmer.
Er war noch nicht lange fort, als Carrio wieder eintrat und zu seinem Herrn sagte:
»Es ist mir schmerzlich, verehrter Patron, Dir mittheilen zu müssen. daß Deine Sklaven ohne Resultat von der Nachsuchung zurückgekehrt sind.«
»Gib die Beschreibung des Mädchens einer frischen Abtheilung von denselben und laß sie ihre Bemühungen die Nacht hindurch nicht nur auf den Straßen, sondern auch an allen öffentlichen Orten der Stadt fortsetzen, Sie muß in Rom sein und gefunden werden!« sagte der Senator düster.
Carrio verbeugte sich tief und wollte sich eben entfernen, als ihn die Stimme seines Herrn an der Thür festhielt.
»Wenn ein alter Mann, der sich Numerian nennt, mich zu sehen wünschen sollte, so lasse ihn augenblicklich ein!«
»Sie hatte das Zimmer erst kurze Zeit verlassen, als ich sie zurückzubringen versuchte,« fuhr der Senator vor sich hinsprechend fort, »und doch war sie, als ich in’s Freie gelangte, nirgends zu sehen. Sie muß sich unabsichtlich unter die Menge gemischt haben, welche die Gothen in die Stadt trieben und so meiner Beachtung entgangen sein! So jung und so unschuldig! Sie muß gefunden werden! sie muß gefunden werden!« Er hielt wieder, in tiefes, trübes Nachdenken versunken, inne. Nach einem langen Zwischenraum wurde er durch den Ton von Schritten auf dem Marmorfußboden aus seiner Zerstreuung geweckt. Er blickte auf.
Die Thür war, ohne daß er es bemerkte, geöffnet worden und ein alter Mann trat mit langsamen, schwankenden Schritten auf sein Lager zu. Es war der verlassene, unglückliche Numerian.
»Wo ist sie? — hat sie sich gefunden?« fragte der Vater, sich ängstlich im Zimmer umschauend, als habe er seine Tochter dort zu finden erwartet.
»Meine Sklaven suchen immer noch nach ihr!« sagte Vetranio trübe.
»Ach, wehe! —— wehe —— wehe! —— Wie habe ich ihr Unrecht gethan! wie habe ich ihr Unrecht gethan! rief der Greis, sich zur Entfernung wendend.
»Höre mich an, ehe Du gehst,« sagte Vetranio, indem er ihn sanft zurückhielt, »Ich habe Dir großes Unrecht gethan, aber ich werde es noch wieder gut machen, indem ich Dir Dein Kind aufsuche! So lange es noch Weiber gab, die in meiner Bewunderung ihren Triumph gefunden haben würden, hätte ich keinen Versuch machen sollen, Dich Deiner Tochter zu berauben! Erinnere Dich, wenn Du sie wieder erhältst —— und Du sollst sie wieder erhalten, —— daß sie von der Zeit an, wo ich sie zuerst verlockte, meiner Laute zuzuhören, bis zu der Nacht, wo mich Dein verrätherischer Diener in ihr Schlafgemach geführt hat, in dieser übel angesehenen Sache unschuldig gewesen ist. Ich allein bin der Schuldige. Sie war kaum erwacht, als Du sie in meinen Armen entdecktest, und mein Erscheinen in ihrer Kammer kam ihr eben so unerwartet wie Dir. Ich war noch von den Dünsten des Weines und dem Erstaunen über Dein plötzliches Erscheinen verwirrt, sonst würde ich sie vor Deinem Zorne gerettet haben, ehe es zu spät war! Die Ereignisse dieses Morgens haben mich, so verworren sie auch gewesen sind, doch überzeugt, daß ich mich in Euch Beiden getäuscht hatte. Ich weiß jetzt, daß Dein Kind zu rein war, um für meine Bewerbung geeignet zu sein, und glaube, daß Deine Absicht aufrichtig war, als Du sie so, wie Du es gethan hast, abschlossest, wie übel berathen Du auch dabei erscheinen mochtest! Ich habe während meines ganzen Strebens nach Vergnügen nie einen verderblicheren Irrthum begangen, als das Eintreten in Dein Haus!«
Vetranio drückte durch diese Worte nur die Gefühle aus, von welchem sie ihm wirklich eingegeben wurden. Wie schon bemerkt, war er zwar aus Leichtsinn in der ihm durch seine sociale Stellung gestatteten Freiheit ausschweifent, aber weder herzlos, noch von Natur böse. Väter hatten wohl gewüthet, aber seine Freigebigkeit sie bisher stets beschwichtigt, Töchter hatten geweint, aber bei allen bisherigen Anlässen im Glanze seines Palastes und der Liebenswürdigkeit seines Charakters Trost gefunden. Als er daher die Entführung Antoninens versuchte, hatte er sich zwar auf ungewöhnliche Hindernisse gefaßt gemacht, aber von seiner neueren Eroberung keine schlimmeren Resultate erwartet, als diejenigen, welche bisher seinen früheren Galanterien gefolgt waren. Als er sich jedoch in der Einsamkeit seines Hauses und im vollen Besitz seiner geistigen Fähigkeiten, alle Umstände seines Versuches von der Zeit an, wo er sich zu dem schlummernden Mädchen geschlichen, bis zu dem Augenblicke, wo sie aus dem Hause geflohen war, in’s Gedächtniß rief, als er sich an den strengen auf einen Punkt zusammengezogenen Zorn Numerian’s und die Qual und Verzweiflung Antoninens erinnerte, als er an die Reue des zu Boden gedrückten, betrogenen Vaters und die Flucht der mißhandelten Tochter dachte, kam er sich wie ein Mann vor, der nicht bloß eine Indiskretion begangen, sondern sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatte —— er wurde überzeugt, daß er die furchtbare Verantwortlichkeit auf sich geladen, das Glück eines Vaters, der wirklich tugendhaft, und das eines Kindes, welches wahrhaft unschuldig, war, vernichtet zu haben. Für einen Mann, dessen ganzes Leben sich nur damit beschäftigte, sich ungetrübte Freuden zu verschaffen, dessen einziger Trieb es war, nie verfeinerte Sinnlichkeit, welche die Gewohnheit eines ganzen Lebens zu dem Material, aus welchem sein Herz bestand, gemacht hatte, durch Verbreitung von Ueppigkeit und Erweckung von Lächeln, wohin er nur immer seine Schritte wendete, zu nähren, war die bloße, geistige Unruhe, welche dem Mißlingen seines Versuches auf Numerian’s Tochter folgte, in ihrem Einfluss e eben so peinlich wie die bitterste Reue, welche einen Mann von höheren Grundsätzen hatte quälen können. Er stellte also jetzt die Forschungen nach Antonina an und gab ihrem Vater seine Zerknirschung in der echten Ueberzeugung zu erkennen, daß nichts als die vollkommenste Entschädigung für den von ihm begangenen Irrthum ihm die üppige Ruhe wieder geben könne, deren Verlust ihn, wie er es selbst ausdrückte, taub für die Berathung des Senates und achtlos gegen. den Einfall der Gothen gemacht hatte.
»Sage mir,« fuhr er nach einer Pause fort, »wohin sich Ulpius begeben hat. Ist es nöthig, ihn aufzusuchen? Er könnte uns vielleicht über Antoninens Zufluchtsort aufklären. Er soll festgenommen und ausgefragt werden.«
»Er hat mich plötzlich verlassen. Ich sah ihn sich, als ich das Fenster verließ, unter die Menge auf der Straße mischen, weiß aber nicht, wohin er sich begeben hat,« entgegnete Numerian, und sein ganzer Körper erbebte, als er von dem unbarmherzigen Heiden sprach.
Wiederum herrschte eine kurze Stille. Der Schmerz des zu Boden gedrückten Vaters besaß in seiner Demuth und Verzweiflung eine tadelnde Stimme, vor welcher der Senator, so sorglos und ausschweifend er auch war, instinktmäßig bebte. Er bemühte sich, eine Zeitlang umsonst den mißbilligenden Einfluß zu bekämpfen, welchen die bloße Gegenwart des schmerzbekümmerten Mannes, dem er so unwiderbringliches Unrecht zugefügt, hervorgebracht hatte. Endlich erlangte er wieder Fassung genug, um einige weitere Ausdrücke des Trostes und der Hoffnung an Numerian zu richten, aber er sprach zu Ohren, welche ihn nicht hörten. Der Vater war wieder in seine trübe Zerstreuung versunken und als der Senator inne hielt, murmelte er er die Worte vor sich hin:
»Sie ist verloren! leider ist sie für immer verloren!«
»Nein, sie ist nicht für immer verloren!« rief Vetranio warm. »Ich besitze Vermögen und Macht genug, um sie bis an’s Ende der Welt suchen zulassen Ulpius soll festgenommen und verhört —— wenn es nöthig ist, eingekerkert und gefoltert werden. Deine Tochter muß sich wieder finden, es giebt für einen Senator von Rom nichts Unmögliches.«
»Ich wußte nicht eher, daß ich sie liebte, als bis zu dem Morgen, wo ich sie vertrieb und ihr so großes Unrecht that. Ich habe alle Spuren von meinen Eltern und meinem Bruder verloren —— meine Gattin ist auf ewig von mir getrennt —— ich habe weiter nichts als Antonina, und jetzt ist sie ebenfalls fort!« sprach der alte Mann noch immer vor sich hin. »Selbst mein Ehrgeiz, den ich einst für mein Alles in Allem hielt, ist kein Trost für meine Seele, denn ich liebte ihn —— liebte ihn leider, meiner unbewußt, in meinem Kinde. Ich zerschlug ihre Laute —— ich hielt sie für schamlos —— ich trieb sie aus meinem Hause! O, wie sehr habe ich ihr Unrecht gethan! wie sehr habe ich ihr Unrecht gethan!«
»Bleibe hier und ruhe in einem von den Schlafgemächern aus, bis meine Sklaven morgen früh zurückkehren werden. Du sollst dann ohne Verzug das Resultat ihrer nächtlichen Forschungen erfahren,« sagte Vetranio mit freundlichem, mitleidigem Tone.
»Es wird finster —— finster!« stöhnte der Vater, indem er nach der Thür schwankte, »aber das ist nichts, das Tageslicht selbst gleicht für mich jetzt der Finsterniß! Ich muß gehen, ich habe Pflichten in der Kapelle zu erfüllen. Für Dich bringt die Nacht Ruhe —— für mich bringt sie Pein und Gebet!«
Er entfernte sich mit diesen Worten. Langsam schritt er durch die nach seiner Kapelle führenden Straßen und blickte mit durchdringendem Auge auf jeden Bewohner der belagerten Stadt, welcher unterwegs an ihm vorüberkam. Es kostete ihm einige Mühe, an seinen Bestimmungsort zu gelangen, denn Rom war noch von Bewaffnetem welche hin und her eilten, und mit Haufen von tumultuösen Bürgern gefüllt, die sich überall, wo Raum genug für sie vorhanden war, versammelten. Das Gerücht von dem ihm zugestoßenen Unglück hatte sich bereits unter seinen Hörern verbreitet und sie flüsterten besorgt mit einander, als er in die einfache, schwach erleuchtete Kapelle trat und langsam auf die Kanzel stieg, um den Gottesdienst durch Lesung des Bibelkapitels, welches für diesen Abend angesetzt war und zufällig im fünften des Evangelium St. Marci bestand, zu eröffnen.
Seine Stimme bebte, sein Gesicht war mit gespenstischer Blässe überzogen und seine Hände zitterten merklich, als er begann, aber er las in leisen. gebrochenen Tönen und mit offenbarer Pein und Mühe weiter, bis er zu dem Verse kam, welcher die Worte enthielt: —— »Meine Tochter liegt in den letzten Zügen.« —— Hier hielt er plötzlich inne, strengte sich einige Minuten an, weiter zu lesen, aber vergebens, bedeckte darauf sein Gesicht mit den Händen, sank in der Kanzel nieder und schluchzte laut. Seine bekümmerten, erschreckten Zuhörer sammelten sich augenblicklich um ihn, richteten ihn in ihren Armen auf und wollten ihn nach seiner Wohnung führen. Als sie jedoch an die Thür der Kapelle gelangten, forderte er sie sanft auf, ihn zu verlassen und ohne ihn zu dem Gottesdienste zurückzukehren.
Stets selbst seinen leisesten Wünschen gehorsam, leisteten ihm die Personen seiner kleinen Gemeinde, durch den Anblick der Leiden ihres Lehrers zu Thränen bewegt, Folge, und zogen sich schweigend auf ihre früheren Plätze zurück. Sobald er fand, daß er allein war, schritt er über die Schwelle und flüsterte vor sich hin:
»Ich muß mich Denen, die sie suchen. anschließen, ich muß ihnen selbst bei der Nachsuchung beistehen,« und mischte sich wieder unter die sich auf den finsteren Straßen drängenden Bürger.
Kapitel III.
Die Mauerspalte.
Als Ulpius an dem Morgen, wo die Belagerung begann, plötzlich Numerian’s Haus verließ, geschah es nicht in der bestimmten Absicht, sich nach irgend einem besonderen Orte zu begeben, oder irgend ein Geschäft vorzunehmen. Es geschah, um seiner Freude —— dem Triumphe, welcher sein Herz jetzt bis zum Zerspringen anfüllte, Luft zu machen, daß er die offenen Straßen aufsuchte. Sein ganzer Geist war von dem Triumphgefühle exaltiert, welches den Körper zum Handeln antreibt. Er eilte in die freie Luft hinaus, wie ein Kind an einem hellen Tage auf das Feld läuft. Sein Entzücken war zu groß, um sich unter einem Dache entfalten zu können. Das Uebermaß seines Glückes schwoll unwiderstehlich über alle künstlichen Schranken des Raumes hinaus an. Die Gothen waren in Sicht. Noch wenige Stunden und ihre Sturmleitern würden gegen die Mauern angesetzt werden. Bei einer so schwach vertheidigten Stadt, wie Rom, mußte ihr Angriff fast augenblicklichen Erfolg haben. Sie würden beutedürstend in wüthenden Schaaren durch die unvertheidigten Straßen strömen. Wenn»sie auch Christen waren, würden doch die Fesseln der Religion in dem Augenblicke wilden Triumphes bei einer solchen Räubernation gegen die Versuchung zum Beutemachen ohnmächtig sein. Kirchen würden verheert und zertrümmert, Priester bei dem Versuch, ihre Kirchenschätze zu bewahren, ermordet werden, Feuer und Schwert den Hauptort der Christenheit bis in seine entlegensten Grenzen verwüsten und die kühnsten Gläubigen des Christenthums in Tod und Vergessenheit hinabziehen! Dann, wenn der Orkan der Zerstörung und des Verbrechens über der Stadt verbraust, wenn ein neues Volk für eine andere Regierung und Religion herangereist war —— dann würde es Zeit sein, die verbannten Götter des alten Rom’s wieder mit ihrer früheren Herrschaft zu bekleiden, die Ueberlebenden an das Strafgericht Gottes zu erinnern, welches der Abfall von ihrem alten Glauben erforderlich gemacht und erlitten hatte; Zeit sein, selbst die Erinnerung an das Kreuz aus dem Gedächtniß der Menschen zu verwischen; und das Heidenthum durch seine frühen Verfolgungen noch mächtiger, durch seine plötzliche Wiedereinführung noch allgemeiner, wie in der größten Herrlichkeit seiner alten Herrschaft, wieder aus seinen Opferthron zu sehen und unter sein goldenes Dach zurück zu führen.
Dergleichen Gedanken zogen durch den Geist des Heiden, als er achtlos gegen alle äußeren Ereignisse durch die Straßen der belagerten Stadt schritt. Schon sah er das Heer der Gothen als bewußtlose Vorläufer der wiederkehrenden Götter, der mächtigen Revolution, welche er anzuführen entschlossen war, den Weg bahnen. Die Wärme seiner früheren Beredtsamkeit, die Gluth seines alten Kampfesmuthes zuckten durch sein Herz, als er sich die Aussicht vorstellte, welche sich bald vor ihm ausbreiten würde —— eine verwüstete Stadt, ein entsetztes Volk, eine verwirrte Regierung, eine zerstörte Religion. Dann wollte er sich in dieser Finsterniß, diesem Verderben, aus dieser Einsamkeit, Verödung und Vernichtung erheben und sein herrliches Vorrecht sollte es sein, das ungläubige Volk aufzufordern, zur Herrin seiner alten Liebe zurückzukehren, von seinem Sturze unter der zerstörten Kirche aufzustehen und in neu bevölkerten Tempeln, an wiederhergestellten Heiligthümern sein Glück zu suchen.
Die Erinnerung an die jüngsten Ereignisse verschwand jetzt völlig aus seinem Geiste. Vetranio, Numerian, Antonina waren über dem denkwürdigen Erscheinen der Gothen gänzlich vergessen. Seine Sklaverei in den Bergwerken, sein letzter Besuch in Alexandrien, seine früheren Wanderungen, selbst diese, bis zur Ankunft des Feindes, seinem Gedächtnisse so gegenwärtige Dinge, waren jetzt von der Oberfläche desselben verwischt. Alter, Einsamkeit, Gebrechlichkeit, bisher die traurigen Empfindungen, welche ihm Beweise waren, daß er noch existierte —— verschwanden plötzlich aus seinem Wahrnehmungsvermögen, wie Dinge. die keine Existenz besaßen und nun vergaß er endlich, daß er ein Ausgestoßener sei, und gedachte mit Triumph daran, daß er noch ein Priester war. Er fühlte sich von denselben Hoffnungen beseelt, von denselben Bestrebungen erhoben, wie in den frühen Tagen, wo er die schwankenden Heiden im Tempel angeredet und zuerst auf den Umsturz der christlichen Kirche gesonnen hatte.
Es war ein furchtbarer, warnender Beweis des allmächtigen Einflusses, welchen eine einzige Idee auf ein ganzes Leben üben kann, wenn man den Preis nach Jahren des Leidens und der Einsamkeit, der Herabwürdigung und des Verbrechens noch immer in den Banden des Ehrgeizes, welche die Blüthe seiner Jugend geknickt hatte, unter der ihn umgebenden Menge umherwandern sah.
Es war ein ehrfurchtgebietendes Zeugnis von der ewigen, räthselhaften Natur des Gedankens, wenn man jene abgezehrte geschwächte Gestalt erblickte und dann bemerkte, wie der unbesiegbare Geist im Innern immer noch die Trümmer des ihm gebliebenen Körpers beherrschte, —— wie treulich sich die letzten erschöpften Hilfsquellen der sinkenden Thatkraft auf dessen strenges Gebot zum Kampfe schaarten, —— wie schnell auf seine trügerische Stimme das eingesunkene Auge sich wieder von einem Strahl der Hoffnung entzündete und auf die blassen, dünnen Lippen mechanisch ein triumphierendes Lächeln trat.
Die Stunden vergingen, aber noch immer schritt er vorwärts —— wohin oder unter wem, wußte er weder, noch kümmerte es ihn. Sein Herze fühlte keine Reue über die Zerstörung, welche er in das Haus des Christen, der ihn bei sich aufgenommen, gebracht hatte, —— kein Schrecken entsetzte seine Seele bei der Betrachtung des Elendes, welches, seinem Glauben nach, der Stadt von dem Feinde vor ihren Thoren drohte —— der Zweck, welcher ihm die lange Reihe seiner früheren Sünden und Leiden geheiligt hatte, verwischte jetzt die so eben vergangenen Frevel und entkleidete die unmittelbar bevorstehenden Schändlichkeiten aller ihrer Schrecknisse.
Für Andere mochten die Gothen Zerstörer sein, für ihn waren sie aber Wohlthäter, denn sie waren die Boten des Verderbens, welches das Material seiner Reform und die Quelle seines Triumphes sein sollte. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß er als Bewohner Rom’s die nahen Gefahren der Bürger theilte und im Augenblicke des Sturms ihr Schicksal theilen könne, er erblickte nur die neuen, glänzenden Aussichten, welche ihm Krieg und Plünderung eröffneten. Er dachte nur an die Zeit, welche vergehen mußte, ehe seine neuen Anstrengungen beginnen konnten, an die Stände des Volks, unter welchen er zuerst seine Stimme vernehmen lassen wollte —— an die Tempel, welche er zur Wiederherstellung auswählen würde —— an den Theil Rom’s, welcher zuerst zur Aufnahme seiner kühnen Reform bestimmt werden sollte.
Endlich blieb er stehen; seine erschöpften Kräfte wichen den ihnen auferlegten Anstrengungen und zwangen ihn, an Erquickung und Ruhe zu denken. Es war jetzt Mittag, seine Wanderung hatte ihn unmerklich in die Nähe seines alten, bekannten Wohnplatzes zurückgeführt, er befand sich auf der Rückseite des Monte Pincio und war nur durch einen Streifen unebenen, beholzten Bodens vom Fuße der Stadtmauern getrennt. Die Stelle war sehr einsam. Sie wurde von den Straßen und Wohnungen über diese durch dichte Haine und ausgedehnte Gärten, welche sich auf den wellenförmigen Hügelabhänge hinstreckten, abgeschieden. Etwas westlich von ihm lag das Pincische Thor, aber eine scharfe Biegung der Mauer und einige in deren Nähe wachsende Olivenbäume verschlossen alle Aussicht nach jener Richtung hin den Augen gänzlich.
Auf der andern Seite, nach Osten zu, sah man die Wälle eine ziemliche Strecke weit in gerader Linie hinlaufen, bis sie sich plötzlich in einem rechten Winkel nach innen bogen und, durch die Mauern eines entfernten Palastes und die Pinien eines öffentlichen Gartens, weiterer Beobachtung verborgen wurden. Die einzige lebende Gestalt, welche man in der Nähe dieser einsamen Stelle erblickte, war die einer Schildwache, die zuweilen auf den Mauerzinnen hin- und herschritt, die, da sie zwischen zwei Soldatenposten, den am Pincischen Thore und dem, wo die Mauer den bereits beschriebenen Winkel bildete, lagen, nur von, dem Wachtposten besetzt waren, in dessen Bezirk sie sich befanden. Hier vergönnte der Heide auf kurze Zeit seinem müden Körper Ruhe und erwachte unmerklich aus den Betrachtungen, die ihn bisher für das verwirrte Aussehen der ihn umgebenden Welt blind gemacht hatten.
Jetzt hörte er zum ersten Male deutlich den verwirkten Lärm, welcher sich immer noch aus allen Theilen Rom’s erhob. Derselbe unablässige Streit von um die Oberhand ringenden Stimmen und eiligen Schritten, welcher am Morgen sein Ohr getroffen hatte, zog jetzt seine Aufmerksamkeit an. Mit ihm vermischte sich aber kein Nothgeschrei, kein Waffengeklirr, keine Rufe der Wuth und Herausforderung, wiewohl, wie er an dem Stande der Sonne bemerkte, der Tag hinreichend vorgerückt war, um das gothische Heer längst schon an den Fuß der Mauern gebracht haben zu können. Was konnte der Grund der Verzögerung des Sturmes, der ominösen Ruhe auf den Wällen über ihm sein? War die Kampfeshitze der Gothen beim Anblicke von Rom plötzlich verschwunden? Hatte man beim ersten Erscheinen der Eroberer Friedensunterhandlungen begonnen?
—— Er lauschte wieder.
Sein Ohr vernahm keine Klänge von anderer Art, als die von ihm bis jetzt gehörten. Wiewohl belagert, war die Stadt doch offenbar aus irgend einem geheimen Grunde nicht einmal von einem Angriffe bedroht.
Plötzlich erschien auf einem schmalen Pfade neben ihm, welcher um den Fuß der Mauer führte, ein Weib mit einem voraus laufenden Kinde, welches ihr ungeduldig zartes:
»Eile, Mutter, eile! Hier sind keine Menschen, dort ist das Thor, wir, werden eine prächtige Aussicht auf die Gothen haben!«
In der Anrede des Kindes lag etwas, wodurch Ulpius schon jetzt eine Spur von der Entdeckung erhielt, welche bald nachher auf ihn eindrang. Er stand auf und folgte ihnen. Sie gingen an der Mauer unter den Olivenbäumen hin und gelangten dann auf den freien Raum vor dem Pincischen Thore. Hier hatte sich eine große Menge von Menschen versammelt, der der Reihe nach von einigen Soldaten, welche die Treppe, über die man hinaufstieg, bewachten, gestattet wurde, in Abtheilungen auf die Mauern zu gehen. Nach kurzem Verweilen durfte Ulpius, nebst den ihn umgebenden Neugierigen seine Schaulust eben so befriedigen, wie es Andere schon vorher gethan hatten. Sie stiegen auf die Mauern und erblickten innerhalb und außerhalb der Vorstädte die weit ausgebreiteten gothischen Linien.
So furchtbar und fast erhaben auch der Anblick jener ungeheuren Menge in der strahlenden Beleuchtung der Mittagssonne war, machte sie doch nicht Eindruck genug auf die Römer, um die in ihrem Charakter eingewurzelte stürmische Geschwätzigkeit zum Schweigen zu bringen. Männer, Weiber und Kinder machten ihre lärmenden, einander widerstreitenden Bemerkungen über den Anblick vor ihnen in jeder Verschiedenheit des Tones, von den behenden Klängen des Schreckens an bis zum lauten Geschrei der Herausforderer. Einige sprachen prahlerisch von den Thaten, welche die Römer verrichten würden, wenn ihre erwarteten Hilfstruppen von Ravenna ankamen. Andere ahnten mit unverhohlenem Entsetzen einen Sturm im Schleier der Nacht. Hier schmähte eine Gruppe in leisen vertraulichen Tönen die Politik der Regierung in ihren früheren Beziehungen zu den Gothen, dort unterhielt sich eine Gruppe von zerlumpten Vagabunden damit, daß sie sich gegenseitig ihre positive Ueberzeugung mittheilte, daß in diesem Augenblicke die Barbaren bei dem bloßen Anblick der allmächtigen Hauptstadt der Welt in ihrem Lager zittern müßten. Auf der einen Seite hörte man die Leute lärmend debattieren, ob die Gothen durch die Soldaten Rom’s von den Mauern hinweggetrieben oder mit einer Einladung beehrt werden würden, Frieden mit dem Kaiserreiche zu schließen, in welches sie so verrätherischer Weise einzufallen gewagt hatten. Aus der andern sprachen die Nüchterneren und Achtbareren unter den Zuschauern hörbar ihre Besorgnisse vor Hungersnoth, Schande und Niederlage aus, im Fall die Behörden der Stadt tollkühn genug sein sollten, Widerstand gegen Alarich und sein Barbarenheer zu wagen.
So weit aber auch die Verschiedenheit zwischen den Ansichten der Bürger war, stimmten sie doch alle in der einen unvermeidlichen Gewißheit überein, daß die Stadt nur deshalb mit einem Sturme verschont geblieben sei, um von den Schrecknissen einer Blockade bedroht zu werden, im Falle die von Ravenna her erwarteten Legionen ausblieben.
In dem ihn umgebenden Stimmengewirr drang nur das Wort Blockade zu den Ohren des Heiden. Es brachte eine Fluth von Bewegungen mit, in welcher er gänzlich unterging. Alles, was er sah und hörte, verknüpfte sich unmerklich mit diesem Ausdruck. Eine plötzliche Finsterniß, welche sich weder zerstreuen ließ, noch ein Ausweichen gestattete, schien augenblicklich über seine Geisteskräfte hereingebrochen zu sein. Er drängte sich mechanisch durch die Menge, stieg von der Mauer herab und kehrte nach der einsamen Stelle zurück, wo er das Weib mit dem Kinde zuerst erblickt hatte.
Die Stadt war blockiert! Die Gothen wollten also einen Frieden erzwingen; nicht aber eine Eroberung! Die Stadt war blockiert! es war kein Irrthum der unwissenden Menge. Er hatte mit eigenen Augen die Zelte und Positionen des Feindes erblickt. Er hatte die Soldaten auf der Mauer über die treffliche Vertheilung der Streitkräfte Alarich’s, über die Unmöglichkeit, die mindeste Verbindung mit der Umgegend herzustellen, die strenge Wache, welche über die Schifffahrt auf dem Tiber gesetzt worden war, sprechen hören. Die Sache ließ sich nicht mehr bezweifeln —— die Barbaren hatten sich zu einer Blockade entschlossen.
Noch geringere Ungewißheit herrschte über die Resultate, welche diese ungeahnte Politik der Gothen haben mußte —— die Stadt konnte gerettet werden! Rom hatte früher keinen Anstand genommen, die Entfernung aller Feinde aus seinen entlegenen Provinzen zu erkaufen, und jetzt, wo der Mittelpunkt seines Ruhmes, die Zinne seiner abnehmenden Macht mit plötzlichem unerwarteten Verderben bedroht war, würde es an die Gothen die Schätze des ganzen Reiches verschwenden, um von ihnen den Frieden zuerkaufen und sie zum Rückzuge zu bewegen.
Der Senat konnte vielleicht aus Hoffnungen auf Beistand, die sich nie erfüllen würden, die nöthigen Zugeständnisse hinausschieben, früher oder später mußte aber die Stunde des Unterhandelns kommen, die nordische Habgier mit dem südlichen Reichthume befriedigt werden und der Ruin, welcher die Quelle der heidnischen Revolution werden sollte, sich in demselben Augenblicke, wo er unvermeidlich schien, sich von den Kirchen Rom’s abwenden.
Konnte der alte Ruhm des Römernamens von seinem frühem Einflusse noch soviel bewahrt haben, daß er die kühnen Gothen schreckte, nachdem sie so glücklich durch das Reich bis zu den Mauern seiner berühmten Hauptstadt vorgedrungen waren; konnte Alarich eine so übertriebene Ansicht von den Streitkräften in der Stadt besitzen, daß er mit allen seinen Heerschaaren daran verzweifelte, sie erfolgreich zu bestürmen. Etwas Anderes war unmöglich!
Keine andere Rücksicht konnte den Barbarengeneral bewogen haben, eine so ruhmvolle That wie die Zerstörung Rom’s aufzugeben. Mit der Möglichkeit eines Sturms hatten sich auch die Aussichten des Heiden erhellt, mit der Gewißheit einer Belagerung versanken sie augenblicklich in zu Boden schmetterndes Dunkel.
Von diesen Gedanken erfüllt, schritt Ulpius in seiner Einsamkeit, von dem Triumphgefühl, welches seinen Geisteskräften am Morgen die lange verlorene Spannung ihrer Jugend zurückgegeben hatte, gänzlich verlassen, auf und ab. Er fühlte wieder die Gebrechlichkeit seines Alters, —— er erinnerte sich von Neuem des Elends, welches seine Existenz zu einem endlosen Märtyrerthum gemacht hatte, er fühlte nochmals die Gegenwart seines Ehrgeizes gleich einem Urtheilsspruche, welchen willkommen zu heißen er bestimmt, gleich einem Fluche, den an seiner Brust zu hegen er geschaffen war. Wenn man sagen wollte, daß seine Gefühle in diesem Augenblicke die des Verbrechers waren, welcher den Befehl zu seiner Hinrichtung vernimmt, nachdem man ihm Gnade zugesagt hatte, so würde man nur eine schwache Idee von dem Grimm, Schmerz und der Verzweiflung geben, welche sich jetzt vereinigten, um das Herz des Heiden zu zerfleischen.
Vor Müdigkeit an allen Gliedern zitternd, warf er sich im Schatten des Gebüsches nieder, welches eine Strecke weit den Fuß der über ihm aufragenden Mauer bekleidete. Während er in seiner schweren Ermattung so still, daß ihn das Leben selbst verlassen zu haben schien, dalag, kroch eine von den in Italien gemeinen, langen, grünen Eidechsen über seine Schulter. Er ergriff das Thier, für den Augenblick in Zweifel, ob es nicht etwa zu der giftigen Art gehöre und betrachtete es. Auf den ersten Blick entdeckte er, daß es eines von den unschädlichen seines Geschlechts war und würde es unbekümmert von sich geworfen haben, wenn ihm nicht etwas im Aussehen desselben bei der launischen Reizbarkeit seiner gegenwärtigen Stimmung bewogen hätte, es mit einem seltsamen Vergnügen zu betrachten.
Er konnte durch die schöngezeichnete, durchsichtige Haut des Thieres die Bewegung seines Herzens bemerken und sah, daß es von der Furcht, welche die Gefangenschaft desselben in seiner Hand erzeugte, heftig klopfte. Als er darauf niederblickte und bedachte, wie beständig ein so furchtsames Wesen in seinen bescheidenen Bestrebungen, in seinen kleinen Anstrengungen, in seinen kurzen Reisen von einem Grasflecken zum andern auf hundert Hindernisse stoßen müsse, die, wenn auch für Geschöpfe von höheren Klassen Kleinigkeiten, doch für solche wie dieses, von verderblicher Wichtigkeit sein mußten, begann er eine unvollkommene aber auffallende Analogie zwischen seinem Schicksale und dem dieses kleinen Pünktchens in der Schöpfung zu finden. Er fühlte, daß das kurze Leben des kleinen Thieres vor ihm, in seinem engumgrenzten Kreise, eine Beute von Durchkreuzungen und Täuschungen seiner Absichten gewesen sein müsse, die für dasselbe eben so ernst waren, wie die schwereren vernichtenden Trübsale, deren Opfer er in seiner Existenz gewesen war, und als er die schattenartige Bewegung des kleinen pochenden Herzens der Eidechse beobachtete, fand er eine grausame Freude an der Wahrnehmung, daß es bis zu den unbedeutendsten Wesen der Schöpfung hinab noch andere gebe, die einen Theil seines Elends geerbt hatten und einen Theil seiner Verzweiflung litten.
Bald nahmen jedoch seine Empfindungen eine strengere, dunklere Färbung an. Der Anblick des Thieres langweilte ihn und er warf es verächtlich bei Seite. Es verschwand in der Richtung der Mauer hin, und fast in demselben Augenblicke hörte er ein leises Geräusch wie das Fallen einiger kleinen Ziegelstücke oder Steine, welches von der Mauer hinter ihm zu kommen schien.
Es war ihm unerklärlich, daß ein solches Geräusch von einem so massiven Bauwerke ausgehen konnte, er stand auf, theilte das Gebüsch und trat dicht an die Fläche der hohen Mauer. Zu seinem Erstaunen fand er, daß die Ziegel an vielen Stellen so völlig verwittert waren, daß er sie leicht mit den Fingern bewegen konnte. Der Grund des leichten Geräusches, welches er gehört hatte, war jetzt vollständig erklärt. Hunderte von Eidechsen hatten zwischen den Spalten der Ziegel ihre Wohnungen aufgeschlagen, das Thier, welches er freigelassen, hatte in einer von diesen Höhlungen Zuflucht gefunden und in der Eile seiner Flucht mehrere von den lockeren krümeligen Bruchstücken, welche seinen Versteck umgaben, abgelöst.
Mit der bereits gemachten Entdeckung indes noch nicht zufrieden trat er ein wenig zurück, blickte zwischen einigen Bäumen hinauf, welche an dieser Stelle am Fuße der Mauer standen und sah, daß die Fläche derselben vielfach von großen, unregelmäßigen Ritzen durchzogen war, die sich theilweise fast bis zu ihrer ganzen Höhe hinauf erstreckten. Außerdem sah er noch, daß sich das Gebäude gerade an diesem Punkte bedeutend aus der Perpendikulärlinie neigte. Ueber das, was er gesehen, verwundert hob er einen Stock vom Boden auf, schob ihn in eine von den niedrigsten und engsten Ritzen und es gelang ihm leicht ihn völlig in die Mauer zu stoßen, welche zum Theil hohl und zum Theil aus denselben verwitterten Ziegeln zu bestehen schien, die anfänglich seine Aufmerksamkeit erregt hatten. Es ließ sich jetzt deutlich wahrnehmen, daß die ganze Mauer auf eine Breite von mehreren Schritten entweder schwach und leichtsinnig gebaut war, oder in einer früheren Periode einen plötzlichen heftigen Stoß erlitten hatte. Er ließ den Stock in der Mauer, um die Stelle zu bezeichnen, und wollte sich eben entfernen, als er den Schritt der Schildwache auf der Mauer gerade über sich vernahm. Plötzlich vorsichtig geworden, wiewohl er in jenem Augenblicke kaum zu erklären vermocht hätte, aus welchem Grunde, blieb er in seinem Baum- und Buschversteck, bis der Soldat weiter gegangen war, verließ dann leise seinen Ort, zog sich eine Strecke weit davon zurück und versank in eine Reihe ernster, ihn gänzlich absorbierender Gedanken.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Um dem Leser die Erscheinung zu erklären, welche jetzt die Aufmerksamkeit des Heiden in Anspruch nahm, wird es nöthig sein, eine kurze Abschweifung zur Geschichte der Mauern von Rom zu machen.
Der Umfang der ersten durch Romulus erbauten Festungswerke der Stadt betrug sechs Stunden. Der größte Theil dieses großen Flächenraumes war jedoch mit Feldern und Gärten bedeckt, welche der Gründer des Reiches für den Ackerbau vor den Einfällen der verschiedenen Feinde, die ihn von Außen bedrohten, bewahren wollte. Als Rom allmälig an Größe zunahm, wurden seine Mauern von späteren Herrschern erweitert und verändert. Erst unter der Regierung des Kaisers Aurelian (270 nach Christus) trat jedoch eine außerordentliche wichtige Veränderung in den Schutzwehren der Stadt ein. Dieser Herrscher begann zehn Stunden im Umkreise haltende Mauern zu errichten, die endlich unter der Regierung des Probus (276 nach Christus) vollendet, von Belisar (537 nach Christus) ausgebessert wurden und noch heutzutage theilweise in den Festungswerken der modernen Stadt zu sehen sind.
Zur Zeit unserer Geschichte (408 nach Chr.) befanden sich die Mauern also gerade in dem Zustande, wie sie unter Aurelian und Probus erbaut worden waren. Sie bestanden größtentheils aus Ziegeln und vielleicht war auch an einigen Stellen eine Art von weichem Sandstein zu dem herrschenden Material gefügt worden. An verschiedenen Punkten in ihrem Umkreise, besonders an dem Theile hinter dem Monte Pincio, waren diese Mauern bogenartig gebaut, bildeten tiefe Nischen und standen zuweilen in doppelten Reihen. Die bei ihnen angewendete Constructionsart war meist die von Vitruv, zu dessen Zeit sie entstand, als Opus reticulatum bezeichnete.
Das Opus reticulatum bestand aus kleinen Ziegeln oder Steinen, die statt horizontal, aus ihren Kanten zusammen gestellt wurden und der Oberfläche einer Mauer, das Aussehen einer Art von festem Netzwerk verliehen. Einige Baumeister des Alterthums betrachteten dies als eine unhaltbare Konstruktionsweise und Vitruv behauptet, daß einige Gebäude, an denen er sie angewendet gesehen habe, eingestürzt seien. Nach den unvollständigen Proben davon, welche jetzt noch existieren, läßt sich schwer eine Ansicht über ihre Vorzüge abgeben. Daß sie jedenfalls ungenügend war, um die Last des Abhanges des Monte Pincio, welcher sich unmittelbar dahinter erhob, zu tragen, ist noch aus der Betrachtung der Mauer in diesem Theile der Stadt zu ersehen, da dieselbe stark aus der Perpendikulärlinie getrieben und an einigen Stellen fast von der Spitze bis zum Fuße gerissen ist. Diese Ruine wird von den modernen Italienern mit dem ausdrucksvollen Titel il muro torto oder die verkrümmte Mauer bezeichnet.
Wir wollen hier bemerken, daß es höchst unwahrscheinlich ist, daß das Vorhandensein dieser natürlichen Breschen in den Festungswerken von Rom zur Zeit unseres Romanes vom größten Theile der leichtsinnigen indolenten Einwohner bemerkt, oder wenn man sie bemerkte, nur mit der leisesten Besorgniß oder Aufmerksamkeit betrachtet wurde. Sie soll schon zur Zeit Aurelian’s sichtbar gewesen sein, wird aber erst bestimmt von Procopius, einem Geschichtsschreiber des sechsten Jahrhunderts erwähnt, welcher erzählt, daß Belisar, als er die Stadt gegen eine Belagerung der Gothen rüstete, diesen schwachen Punkt der Mauer auszubessern versucht habe, aber in seiner beabsichtigten Arbeit von dem frommen Volke verhindert worden sei, welches erklärt habe, daß er unter dem, besonderen Schutze des heiligen Petrus stehe und daß es demnach gottlos sein würde, Hand daran zu legen. Der General unterwarf sich der Entscheidung der Einwohner, ohne Grund zu seiner Nachgiebigkeit zu finden, da, um uns der Worte des oben erwähnten Schriftstellers zu bedienen, während der Belagerung weder der Feind noch die Römer den Ort ansahen. Es ist anzunehmen, das ein so außerordentliches Ereigniß, wie dieses, der Mauer den heiligen Charakter verlieh, welcher spätere Regenten davon abschreckte, ihre Ausbesserung zu versuchen, so daß sie, alle Umwälzungen des Mittelalters hindurch, zerspalten und verkrümmt blieb und noch existirt, um die Wahrhaftigkeit der Geschichtsschreiber zu bezeugen, indem sie an die alterthumsforschende Neugier des Reisenden unserer Zeit appelliert.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Wir kehren jetzt zu Ulpius zurück. Es ist eine Eigenthümlichkeit, welche man im Charakter von unter dem Einfluß einer herrschenden Idee lebenden Männern Wahrnimmt, daß sie unwillkürlich Alles —— was in der äußern Welt ihre Aufmerksamkeit erregt, in eine mehr oder weniger vertraute Verbindung mit dem Gegenstande ihrer geistigen Betrachtungen bringen. Seit seiner Verbannung aus dem Tempel hatten die Gedanken des Heiden, ihm selbst unbewußt, einzig in Bezug auf die kühne Absicht gewirkt, welche zu hegen das Geschäft seines ganzen Lebens war. Unter dem Einflusse der Verschrobenheit dieses Moralgefühls hatte er kaum die so eben am Fuße der Stadtmauer gemachte Entdeckung bemerkt, als auch sein Geist augenblicklich zu den ehrgeizigen Betrachtungen überging, welche ihn am Morgen in Anspruch genommen hatten, und im Augenblicke darauf begannen die ersten dämmernden Umrisse eines kühnen gefahrvollen Planes, seine ruhelosen, leidenschaftlichen Gedanken zu absorbieren. Er dachte über die Eigenthümlichkeit und Lage der Mauer vor ihm nach. Wiewohl die weiteste und wichtigste von den Spalten, welche er darin bemerkt hatte, der Zinne zu nahe war, um ohne Beihilfe einer Leiter erreicht werden zu können, befanden sich doch andere dicht am Boden und konnten, wie ihm der bereits gemachte Versuch gezeigt hatte, durch die gewöhnlichste Anstrengung und Ausdauer erfolgreich und angemessen erweitert werden.«
Das Innere der Mauer konnte, dem Zustande der Oberfläche nach zu urtheilen, einem sich auf eine Höhe und Breite von ein paar Fuß beschränkendem Versuche keine unüberwindlichen Hindernisse darbieten. Die Brustwehr würde in Folge ihrer Lage zwischen zwei Wachthäusern nicht mit neugierigem Volke besetzt sein. Das einzige menschliche Wesen, welches aller Wahrscheinlichkeit nach an der Stelle nach Einbruch der Nacht vorbei kommen würde, war die Schildwache, in deren Bezirk sie gehörte, und zu einer solchen Stunde mußte bei der Lage, in welcher sich die Stadt jetzt befand, die Aufmerksamkeit des Wächters sich nothwendiger Weise eher auf die Gegend außerhalb der Stadt als auf den Boden unterhalb und hinter ihm richten. Es schien daher fast gewiß zu sein, daß ein vorsichtiger, unter dem Schutze der Nacht arbeitender Mann am Fuße der Mauer alle beliebige Untersuchungen anstellen könne.
Er besichtigte den Boden, auf welchem er jetzt stand. Es konnte nichts Einsameres geben, als sein gegenwärtiges Aussehen. Die Privatgärten auf dem Hügel oberhalb desselben schlossen alle Verbindung mit jener Seite aus. Man konnte sich ihm nur auf dem Fußpfade nähern, der um den Monte Pincio und am Fuße der Mauern hinlief. Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge in der Stadt war es nicht wahrscheinlich, daß irgend Jemand diese einsame Stelle aufsuchen würde, wo nichts zu sehen und wenig zu hören war, statt sich unter die aufregende Verwirrung auf den Straßen zu mischen, oder das gothische Lager von solchen Stellen auf der Mauer aus zu beobachten, welche Allen leicht zugänglich waren.
Außer dem Geheimnisse, welches die Unbesuchtheit dieser kleinen Stelle jeder darauf unternommenen Beschäftigung versprach; gewährten die das untere Ende derselben bedeckenden Bäume und Dickichte noch den weiteren Vortheil, daß sie in der Dunkelheit der Nacht Jeden, der sich darunter befand, selbst vor der schärfsten Beobachtung von der Mauerhöhe schützen würden.
Von diesen Gedanken erfüllt, bezweifelte er nicht, daß ein kluger und entschlossener Mann ungestraft eine von den unteren Spalten in der Mauer so erweitern könne, daß er eine Höhlung, die groß genug war, um einen Menschen durchzulassen, bis zur äußern Fläche derselben brechen und die Fähigkeit, die Stadt zu verlassen und in das gothische Lager zu dringen, welche die verschlossenen Thore jetzt allen Einwohnern ohne Unterschied versperrten, erlangen könne. Die Entdeckung der Ausführbarkeit eines solchen Versuches war für einen mit denen des Heiden ähnlichen Bestrebungen erfüllten Geist eben so viel, wie der unwiderrufliche Entschluß seiner sofortigen Ausführung. Er beschloß, sobald die Nacht eintrat, seine Arbeiten an der Mauer zu beginnen; wenn die Bresche durchgebrochen war und die Dunkelheit ihn begünstigte, Alarich’s Zelt aufzusuchen, einmal dort angelangt, ihn mit der Schwäche der Materialien zur Vertheidigung in der Stadt bekannt zu machen, und ihm die Verfallenheit der Festungswerke am Monte Pincio zu verrathen; als Bedingung seiner Verrätherei aber auf dem Versprechen des Gothen zu bestehen, welches dieser ihm, wie er nicht zweifelte, gern und augenblicklich geben würde, die christlichen Kirchen zu zerstören, die Besitzungen der Christen zu plündern und die christlichen Priester niederzumetzeln. Er zog sich vorsichtig von der einsamen Stelle, welche jetzt der Mittelpunkt seiner neuen Hoffnungen geworden war, zurück, betrat wieder die Straßen der Stadt und ging, um sich mit einem Werkzeuge zur Erleichterung seiner bevorstehenden Arbeit und mit Nahrung zu versehen, damit er, von Ermattung unbedroht, Kräfte erhielte, seine beabsichtigten Anstrengungen auszuführen. Als er an die kühne Verrätherei seines Planes dachte, begann sich das Triumphgefühl des Morgens wieder bei ihm einzustellen. Alle seine früheren Versuche, die Wiederherstellung seiner Religion zu organisieren, versanken vor seinem jetzigen Plane in plötzliche Unbedeutsamkeit. Seine Vertheidigung des Serapistempels, seine Verschwörung in Alexandrien, seine Intrigue mit Vetranio waren Versuche eines Menschen, aber diese beabsichtigte Vernichtung der Priester, Kirche und Schätze einer ganzen Stadt durch die Vermittlung einer von den Umtrieben eines einzigen Inividuums bewegten, mächtigen Armee, würde die blendende That eines Gottes sein.
Die Stunden schlichen langsam dahin. Die Sonne verbleichte am purpurnen Himmel und ging, von rothen, dicken Wolken umgeben, unter. Dann kam Schweigen und Finsterniß. Die Wachtfeuer der Gothen flammten allmälig in der nebeligen Luft auf. Die Wachen an den verschiedenen Posten wurden verdoppelt, man trieb das Volk von den Wällen und die Festungswerke der Stadt hallten jetzt von keinem Tone mehr wieder, als von dem Schritte der ruhelosen Schildwachen und dem Klirren der Waffen in den fernen Wachthäusern, mit welchen die lange Linie der hohen Mauern besetzt war.
Jetzt gelangte Ulpius, vorsichtig durch die unbetretensten Straßen gehend, unbemerkt bis an den Ort seiner Bestimmung. Ueber der einsamen, morastigen Stelle lag ein dichter Nebel. Es war in demselben jetzt nichts mehr zu unterscheiden, als der unbestimmte Umriß der oberhalb gelegenen Paläste und die Masse der verwitterten Festungswerke, welche so in Finsterniß versunken war, daß sie selbst wie eine dunkle Nebelschicht aussah. Das Gesicht des Heiden überzog mit einem triumphierenden Lächeln, als er die willkommene, Alles verhüllende Undurchdringlichkeit der Atmosphäre bemerkte. Er tastete sich leise durch das Dickicht bis an den Fuß der Mauer. Einige Minuten lang schritt er langsam daran hin, und befühlte die Weite der verschiedenen Spalten, welche er mit seiner Hand erreichen konnte. Endlich blieb er vor einer, welche bedeutender war, als die übrigen, stehen, zog eine dicke an dem einen Ende zugespitzte Eisenstange unter seinen Gewändern hervor und begann eine Bresche zu brechen.
Der Zufall hatte ihn an die für seine Absicht passendste Stelle geführt. Der Boden, auf welchem er stand, trug dicht an der Mauer nur geiles Unkraut und niedriges Gebüsch und bestand hauptsächlich aus feuchtem, weichem Rasen. Die Ziegel machten, als er sie sorgfältig ablöste, beim Fallen daher kein größeres, als das leichte Geräusch, welches ihre plötzliche Berührung mit den Zweigen, durch welche sie herabsanken, erzeugte. So unbedeutend dieser Ton auch war, erregte er doch die Besorgnisse des vorsichtigen Heiden. Er legte sein Brecheisen nieder und entfernte das Gebüsch durch Ausreißen oder Abbrechen desselben an den Wurzeln, bis er am Fuße der Mauer eine einige Fuß im Umfang haltende Stelle gereinigt hatte. Hierauf kehrte er zu seiner mühseligen Aufgabe zurück und setzte mit von den Wunden, die ihm die Dornen des herausgerissenen Gebüsches zugefügt hatten, blutenden Händen seine Arbeit an dem Mauerwerke fort. Er trieb seine Beschäftigung mit vollkommener Straflosigkeit, die Finsterniß schützte ihn vor Beobachtung, er wurde durch keinen sich der einsamen Stelle seiner Bemühungen nahenden Schritt gestört, und von den zwei Schildwachen, welche in der Nähe des Theiles der Mauer, der der Mittelpunkt aller seiner Anstrengungen war, ausgestellt waren, blieb die Eine bewegungslos am fernsten Ende ihres Postens, während die Andere ruhelos auf der Brustwehr hin und her schritt und ein wildes, phantastisches Lied von Krieg, Weibern und Wein sang, welches, wenn es auch ihren Gesichtsorganen alle Freiheit ließ, sie doch an dem wachsamen Gebrauch ihres Ohres hinderte.
Ulpius sah einen Ziegel nach dem andern seinen kräftigen und gut abgemessenen Anstrengungen weichen. Er hatte bereits in schiefer Richtung eine Höhle gemacht, welche weit genug war, um hindurch zu kriechen und bereitete sich eben darauf vor, noch weiter einzudringen, als ein Theil des verwitterten Materials im Innern der Mauer plötzlich in einer zusammenhängenden Masse einem zufälligen Drucke seines Brecheisens wich und langsam nach Innen in ein Bett sank, welches, nach den schwachen Tönen zu urtheilen, die sich in demselben Augenblicke vernehmen ließen, zum Theil aus Wasser, zum Theil aus morastiger Erde und verwittertem Mauerwerk bestanden haben mußte.
Nachdem Ulpius gelauscht hatte, um sich zu überzeugen, daß das durch dieses Ereigniß verursachte, geringe Geräusch nicht zu den Ohren der sorglosen Schildwachen gedrungen war oder deren Verdacht erregt hatte, kroch er in die von ihm gemachte Höhlung und tastete sich dort mit seinem Brecheisen vorwärts, bis er an den Rand eines Abgrundes gelangte, dessen Tiefe er nicht erforschen konnte und dessen Breite er nicht zu ermitteln vermochte.
Er blieb unentschlossen stehen. Die ihn umgebende Finsterniß war undurchdringlich. Er konnte fühlen, wie Kröten und Molche über seine Füße krochen. Die feuchte Atmosphäre des Ortes, wo er sich befand, begann ihn bis auf die Gebeine zu durchfrösteln, sein ganzer Körper zitterte von dem Uebermaße seiner bisherigen Anstrengung Ohne Licht konnte er weder einen Versuch zum Vordringen wagen, noch die Größe und den Umfang des Abgrundes, welchen er theilweise ausgefüllt hatte, zu entdecken hoffen. Die Zeit schritt rastlos vorwärts. Es wurde nöthig zu einem Entschlusse zu gelangen, ehe es zu spät sein würde.
Er kroch aus der Höhlung; eben als er in die freie Luft gelangt war, blieb der Wachtposten gerade über der Stelle, wo er sich befand stehen und hielt plötzlich in seinem Liede inne. Es entstand eine augenblickliche Stille, während welcher der Heide im Innersten unter einer Furcht zusammenzuckte, welche eben so heftig war wie die, welche im Herzen der verachteten Eidechse gepocht hatte, deren Flucht ihn zu seiner Entdeckung an der Mauer geleitet. Bald daraus hörte er jedoch die Stimme des Soldaten seinem Kameraden heiter zurufen:
»Kamerad, siehst Du den Mond? Er geht auf, um unsere Wache zu erheitern.«
Es war nichts entdeckt worden! —— er war immer noch sicher! konnte er aber, wenn er in der Höhlung verweilte, bis der Nebel im Mondschein verschwand, der Bewahrung seiner Sicherheit gewiß sein? Er fühlte, daß er es nicht könne.
Was kam es, für einen Plan wie der seinige, auf eine Nacht mehr oder weniger an? Es konnten Monate vergehen, ehe sich die Gothen von den Mauern entfernten. Es war besser Verzögerung zu leiden, als es auf Entdeckung ankommen zu lassen. Er beschloß, sich zu entfernen und in der nächsten Nacht mit einer Laterne zurückzukehren, deren Licht er verbergen wollte, bis er die Höhlung betrat. Einmal dort angelangt, konnte es nicht mehr von den Wachen auf der Brustwehr bemerkt werden und würde ihn durch alle Hindernisse führen, ihn durch alle Gefahren behüten. So massiv die Mauer auch war, fühlte er sich doch überzeugt, daß sich das Innere derselben in eben so ruinenhaften Zustande wie das Aeußere befand. Vorsicht und Ausdauer waren Alles, was nöthig sein würde, um seinen Anstrengungen den schnellsten und vollkommensten Erfolg zu sichern.
Er wartete bis der Posten sich wieder nach der fernsten Grenze seines Bezirks begeben hatte, sammelte dann leise das um ihn her liegende Buschholz und verbarg damit die Mündung der Höhle in der äußern Mauer und die Ziegelfragmente, welche auf den Rasen unterhalb derselben gefallen waren. Sobald er dies gethan hatte, lauschte er wieder, um sich zu überzeugen, daß man ihn nicht beobachtet und entfernte sich dann, mit der äußersten Vorsicht auftretend, auf dem Wege, welcher um den Abhang des Monte Pincio führt.
»Kraft, —— Geduld —— und die morgende Nacht!« murmelte der Heide vor sich hin, als er aus die Straße trat und sich wieder unter die Bürger von Rom mischte.
Kapitel IV.
Goiswinthens Rückkehr.
Es war Morgen. Die Sonne war aufgegangen, aber ihre Strahlen wurden theilweise durch dicke, schwere Wolken verdunkelt, welche bereits über der mit ihnen kämpfenden Helligkeit des östlichen Horizonts drohten. Allmälig verbreitete sich die Geschäftigkeit und das Leben des neuen Tages nach allen Richtungen hin im gothischen Lager. Das einzige Zelt, dessen Thür noch geschlossen blieb und um welches sich keine geschäftige Menge zu Gesprächen oder Arbeit versammelt hatte, war das Hermanrich’s.
An den verglimmenden Kohlen seines Wachtfeuers stand der junge Häuptling mit zwei Kriegern, denen er einige hastige Anweisungen zu geben schien. Sein Gesicht drückte Veängstigung und Unzufriedenheit aus, welche er zwar in Gegenwart seiner Gefährten theilweise unterdrückte, die aber nicht nur in seinen Zügen, sondern auch in seinem Benehmen völlig sichtbar wurden, als ihn Jene verlassen hatten und er allein vor seinem Zelte stand.
Eine Zeitlang schritt er regelmäßig auf und ab, blickte ängstlich an den westlichen Linien des Lagers hin und flüsterte sich zuweilen ein hastiges Wort des Zweifels und des Unmuthes zu. Das Licht des neuen Morgens hatte schnell die entzückenden Gedanken zerstreut, welche ihn während der Dunkelheit der Nacht bei seinem Wachtfeuer beschäftigt hatten. Und jetzt, wo die Stunde der erwarteten Rückkehr allmälig näher rückte, verbannte das Bild Goiswinthens Alles, was von den friedlichen, glücklichen Betrachtungen, in welche er bisher versunken gewesen war, noch übrig blieb. Je mehr er über sein verderbliches Versprechen, über die Nation, zu welcher Antonina gehörte —— über seine Pflichten gegen sein Heer und Volk nachdachte, desto zweifelhafter erschien ihm die Aussicht, die junge Römerin aus die Dauer schützen zu können, ohne seine Degradation als Gothe und seinen Ruin als Krieger vor Augen zu haben, und desto finsterer und Unglück weissagender erschallte die unbestreitbare Wahrheit der Abschiedsworte Goiswintha’s in sein Ohr. Du mußt Deines Versprechens gedenken, Du kannst sie nicht retten, wenn Du es auch willst.«
Des Beharrens auf Ueberlegungen müde, welche nur seinen Trübsinn tiefer und seine Zweifel größer machten und darauf bedacht, die ihm trotz seiner selbst überwältigenden ahnenden Gedanken in vorübergehendes trügerisches Vergessen zu versenken, indem er die Gesellschaft seines unglücklichen Schützlings aufsuchte, so lange ihm noch der Genuß desselben freistand, näherte er sich seinem Zelte, zog den dicken, schweren Vorhang von Häuten, welcher die Oeffnung desselben verschloß, zurück und beugte sich über das Lager, auf welchem Antonina immer noch schlief.
In diesem Augenblicke brach ein einzelner Sonnenstrahl durch die schweren Wolken und stahl sich in die Oeffnung des Bettes, wo er das schlummernde Mädchen betrachtete. Er strömte über ihre unbedeckte Hand und ihren Arm, flog über ihren Busen und Hals und badete ihre stillen, ruhigen Züge in eine helle, frische Gluth. Allmälig begannen sich ihre Glieder zu bewegen, ihre Lippen theilten sich sanft und mit halbem Lächeln, wie um den Gruß des Lichtes willkommen zu heißen. Ihre Augen öffneten sich ein wenig und schlossen sich dann von der durch ihre erhobenen Lider fließenden Helligkeit geblendet zitternd von Neuem. Endlich vollkommen erwacht, beschattete sie ihr Gesicht mit den Händen, richtete sich in eine sitzende Stellung auf und begegnete dem Blickes Hermanrich’s, welcher in glühendem, trübem Forschen auf sie geheftet war.
»Deine schimmernde Rüstung und Dein herrlicher Name und Deine barmherzigen Worte sind selbst in meinem Schlafe bei mir geblieben,« sagte sie verwundert, »und jetzt wo ich erwache, sehe ich Dich wieder vor mir! Es ist ein Glück, von der Sonne, die mich, so lange ich lebe, stets erheitert hat, erweckt zu werden, um auf Dich, von dem mir in meiner Noth Schutz zu Theil geworden ist, zu blicken! Warum aber,« fuhr sie mit verändertem forschenden Tone fort; »warum blickst Du mich mit so zweifelndem trüben Augen an?«
»Du hast gut und sicher geschlafen,« sagte Hermanrich ausweichend; »ich hatte die Oeffnung des Zeltes geschlossen, um Dich vor dem Nachtthau zu bewahren, habe sie aber jetzt wieder erhoben, denn die Luft wird von der aufgehenden Sonne erwärmt.«
»Bist Du vom Wachen ermüdet?« unterbrach sie ihn sich erhebend und mit einem besorgten Blicke in sein Gesicht. Er gab ihr jedoch keine Antwort, sein Kopf war nach der Thür des Zeltes gewendet. Er schien auf einen erwarteten Laut zu lauschen. Offenbar hatte er ihre Frage nicht gehört. Sie folgte der Richtung seiner Augen. Der Anblick der großen Stadt, welche halb erhellt, halb verdunkelt war, je nachdem ihre Myriaden Gebäude das Licht der Sonne zurückwarfen oder die Schatten der Wolken bewahrten, rief dieser die köstliche Bitte um Beschützung ihres Vaters ins Gedächtniß zurück. Sie legte ihre Hand auf den Arm ihres Gefährten, um seine Aufmerksamkeit zu erwecken,und fuhr hastig fort:
»Du hast doch nicht vergessen, was ich gestern Abend zu Dir sagte —— meines Vaters Name ist Numerian, er wohnt auf dem Monte Pincio. —— Du wirst ihn retten! Du wirst ihn retten! Du wirst Dich Deines Versprechens erinnern.«
Die Augen des jungen Kriegers senkten sich bei ihren Worten und sein ganzer Körper wurde von einem unwiderstehlichen Schauder durchfröstelt. Der letzte Theil von Antoninens Anrede war in dieselben Worte gefaßt, wie eine frühere Berufung auf ihn, von andern Lippen und in andern Tönen, welche immer noch in seinem Gedächtniß haftete. Dieselbe Aufforderung: Gedenke Deines Versprechens! welche Goiswintha am vorigen Abend an ihn gestellt hatte, um ihn zum Blutvergießen zu treiben, wurde jetzt von Antonina erhoben, um ihn zum Mitleid zu bewegen. Die Bitte der Liebe war in dieselben Ausdrücke gefaßt, wie die Bitte der Rachsucht. Als er an beide dachte, erhoben sich das menschliche Mitleid der Einen und die dämonische Grausamkeit der Andern in düsterem, bedeutungsvollem Kontrast vor dem Geiste des Gothen, verwirklichten in allen seinen Gefahren den Kampf, welcher eintreten mußte, sobald Goiswintha zurückkehrte und zerstreuten augenblicklich die letzten Hoffnungen, welche er noch für den Flüchtling an seiner Seite zu hegen gewagt hatte.
»Es ist kein Sturm auf die Stadt befohlen —— man beabsichtigt keinen Sturm. Das Leben Deines Vaters ist vor dem Schwerte der Gothen sicher,« antwortete er düster auf Antoninens letzte Worte.
Das Mädchen lenkte, während er so sprach, ihren Blick von seinem Gesichte ab und sah sich zerstreut im Zelte um. Die Streitaxt, weiche Hermanrich während des Auftritts vom vorigen Abend an sich genommen hatte, lag immer noch in einer Ecke ans dem Boden. Der Anblick derselben führte eine Fluth von entsetzlichen Erinnerungen in ihren Geist zurück. Sie schrak heftig zusammen, ihre Züge überzogen sich mit einer plötzlichen Veränderung des Ausdrucks und ais sie Hermanrich wieder anredete, zitterten ihre Lippen so, daß sie kaum Worte bilden konnte.
»Ich weiß jetzt, weshalb Du so düster auf mich blickst« sagte sie, »das Weib wird zurückkehren. Ich war so von meinen Träumen und Gedanken, von meinem Vater und Dir und meinen Hoffnungen auf künftige Tage erfüllt, daß ich beim Erwachen das Weib vergessen hatte. Aber jetzt weiß ich wieder Alles. Sie kommt zurück —— ich sehe es in Deinen trüben Augen sie kommt zurück, um mich zu ermorden! Ich werde gerade in dem Augenblicke sterben, wo ich solche Hoffnung von meinem Leben hatte! Für mich gibt es kein Glück! keines! —— keines!«
Das Gesicht des Gathen begann sich zu verdüstern, Er flüsterte mehrere Male vor sich hin:
»Wie kann ich sie retten?«
Auf einige Minuten herrschte ein tiefes nur durch Antoninens Schluchzen unterbrochenes Schweigen. Nach einiger Zeit blickte er wieder auf das Mädchen. Sie hatte die Hände vor den Augen gefaltet, die Thränen strömten zwischen ihren Fingern herab, ihr Busen wogte, als ob ihre Empfindungen sich in einer greifbaren Form einen Weg durch denselben bahnen wollten, und ihre Glieder bebten so, daß sie sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte. Er schlang, als er sie so anblickte ohne es selbst zu wissen, seinen Arm tm ihre schlanke Gestalt, zog ihr sanft die Hände vom Gesicht und sagte; wiewohl sein Herz die Worte Lügen straften:
»Fürchte nichts! Vertraue auf mich!«
»Wie kann ich ruhig sein?« rief sie flehend zu ihm aufblickend, »ich war gestern Abend so froh, so gewiß, daß Du mich beschützen könntest, so hoffnungsvoll auf das Morgen —— und jetzt sehe ich aus Deinen trauernden Blicken, ich höre an Deiner zweifelnden Stimme, daß Du um meine Angst zu beschwichtigen, mehr versprochen hast, als Du halten kannst! Das Weib, Deine Gefährtin, besitzt über uns Beide eine Macht, an die auch nur zu denken entsetzlich ist. Sie wird zurückkehren, sie wird aus Deinem Herzen alle Gnade reißen, sie wird mich mit ihren furchtbaren Augen anstarren, sie wird mich zu Deinen Füßen tödten. Ich werde nach Allem, was ich gelitten, nach Altem was ich gehofft habe, doch noch sterben! O Hermanrich, laß uns fliehen, so lange es noch Zeit ist! Du bist nicht zum Blutvergießen geschaffen. Du bist zu barmherzig! Gott hat Dich nicht zum zerstören gemacht! Du, kannst Dich nicht nach Grausamkeit und Unheil sehnen, denn Du hast mich unterstützt und mir Schutz gewährt. Laß uns fliehen! ich werde Dir folgen, wohin Du willst! ich werde thun, was Du verlangst! ich werde mit Dir über jene fernen, schimmernden Berge hinter uns hinaus nach jedem fremden, weit entlegenen Lande gehen, denn es gibt überall Schönheit, es gibt auf der ganzen Oberfläche dieser großen weiten Erde Wälder, in denen man wohnen, und Thäler, die man lieben kann! Denke, wie viele Freuden wir genießen würden, wie viel wir sehen könnten! Wir könnten wandern wohin wir wollten, wir würden nie einsam, nie traurig, nie müde werden! Ich könnte Dir tagelang zuhören, während Du mir von dem Lande erzähltest, wo Dein Volk geboren ist; ich könnte Dir süße Lieder, die ich auf der Laute gelernt habe, singen. O wie habe ich in meiner Einsamkeit geweint, ein solches Leben zu führen. Wie habe ich mich gesehnt, daß solche Freiheit und Freude mein werden möchte. Wie habe ich an die fernen Lande gedacht, die ich besuchen, an die glücklichen Nationen, die ich entdecken, an die Berglüftchen, die ich athmen, an die schattigen Orte, wo ich ruhen, an die Flüsse, deren Laufe ich folgen, an die Blumen, die ich pflanzen und die Früchte, die ich pflücken wollte. Wie habe ich auf eine solche Existenz gehofft! wie habe ich mich nach einem Gefährten gesehnt, der sie genießen könnte wie ich! Hast Du, der doch immer gehen konnte, wohin es ihm gefiel, nie die Freude empfunden, welche ich mir vorgestellt habe? Wir wollen diesen Ort verlassen und ich werde Dir sie lehren, wenn Du sie nicht hast. Ich werde so geduldig, so gehorsam, so glücklich sein! Ich werde nie Kummer haben, nie zurücksehnen —— aber laß uns fliehen —— o Hermanrich, o laß uns fliehen, so lange es noch Zeit ist! Willst Du mich hier behalten, damit ich erschlagen werde! Kannst Du mich allein in die Welt hinaus treiben? Bedenke, daß die Thore der Stadt und die Thüren meines Hauses mir jetzt verschlossen sind! Bedenke, daß ich keine Mutter habe und von meinem Vater verstoßen bin! Bedenke, daß ich ein Fremdling auf der Erde bin, die dazu geschaffen ist, damit ich mich darauf freuen sollte. Denke, wie bald das Weib, das mich zu ermorden geschworen hat, zurückkehren wird! Denke, wie entsetzlich es ist, in Todesfurcht zu schweben, und laß uns fliehen, so lange es noch Zeit ist, Hermanrich, Hermanrich! wenn Du Mitleid für mich hast, so laß uns fliehen!«
Sie faltete die Hände und blickte flehendlich zu seinem Gesichte auf. Das Benehmen Hermanrich’s hatte ihre durch die Gefahr geschärften Sinne mehr ausgedrückt sals seine Worte vermocht haben würden, selbst wenn er ihr den Grund des Zweifels und der Besorgniß, wovon sein Geist bedrückt war, gestanden hätte. Es konnte kein schlagenderes Zeugniß für die Unschuld« ihres Charakters und die Abgeschlossenheit ihres Lebens geben, als ihren Versuch mit ihrer Flucht vor Goiswinthens Grimm, die Erlangung eines Gefährten, wie es der Gothe war, zu verbinden. Hätte aber dem einsam stehenden, liebevollen Mädchen welches sich, den Gesetzen der socialen Existenz ihrer Nebenmenschen fremd, plötzlich freundlos in die kalte Welt hinausgestoßen sah, das Herz wohl einen andern Wunsch eingegeben haben, als das Verlangen, sich in dem neu entdeckten Beschützer einen Gefährten zu verschaffen, in der Schuldlosigkeit ihres Charakters, in der absoluten Unbekanntschaft mit den Menschen, dem Einflusse der Sitten der verschiedenen Formen, welche das Gefühl bei den verschiedenen Geschlechtern annimmt, stellte sie sich fälschlich vor, daß die ruhige Existenz, welche sie Hermanrich vorgeschlagen, zur Erreichung ihres zweckes genügen würde, indem sie ihm, einem Krieger und Gothen, dieselben Lockungen bot, welche dieselbe für sie, ein einsames, seinen Gedanken hingegebenes, träumerisches Mädchen, besaß. Und doch war die Herrschaft, welche sie durch den Zauber ihrer Gegenwart, die Frische ihrer Schönheit und die Neuheit ihres Benehmens auf das Herz des jungen Häuptlings erlangt hatte, so wunderbar, daß er, der jedes andere Weib, welches eine Bitte, wie die Antoninens, an ihn gerichtet hätte, mit Verachtung von sich gestoßen haben würde, bekümmert auf das Mädchen hinabblickte, als es schwieg und für einen Augenblick in seiner Wahl schwankte.
In diesem Augenblick, als die Aufmerksamkeit eines Jeden auf das Andere geheftet war, trat eine dritte Person leise in die Oeffnung des Zeltes und brach, als sie sie so zusammen erblickte, in ein bitteres, spöttisches Lachen aus.
Hermanrich erhob sofort die Augen, aber der Klang jener rauhen, unweiblichen Stimme war für Antoninens Sinne Zeugniß genug. Sie verbarg ihr Gesicht an der Brust des Gothen und murmelte athemlos:
»Sie ist zurückgekehrt, ich muß sterben! ich muß sterben!«
Sie war zurückgekehrt. Sie bemerkte Hermanrich und Antonina in einer Stellung, welche ihr keine Zweifel ließ, daß ein stärkeres Gefühl, als der bloße Wunsch, das Opfer ihrer beabsichtigten Rache zu beschützen, während ihrer Abwesenheit in der Brust ihres Bruders entstanden war. Die langen Stunden der Nacht während sie an den Betten der kranken Soldaten Alarich’s ihre Pflicht erfüllte, hatte sie über ihre Rache und Blutpläne gebrütet Weder die Krankheit, noch der Tod, den sie um sich her erblickte, hatte einen Einfluß besessen, der kräftig genug gewesen wäre, um die halsstarrige Wuth, welche jetzt allein ihre Natur erfüllte, zu beschwichtigen, sie zur Gnade zu bewegen, oder zur Reue zu bringen.Durch die Zögerung gekräftigt und durch den Mangel an Befriedigung verstärkt, hatte die schlimme Leidenschaft, welche sie verzehrte, an Macht zugenommen und während der stummen Wache, die sie gehalten hatte, alle ihre noch schlummernde Energie aufgerufen. Sie hatte das Mädchen am vorigen Abend seiner Nation wegen verabscheut, jetzt haßte sie es um seiner selbst willen.
»Was hast Du mit der Rüstung eines gothischen Kriegers zu schaffen?« rief sie spöttisch, indem sie mit einem langen Jagdmesser, welches sie in der Hand hielt, auf Hermanrich deutete; »warum bist Du hier in einem gothischen Lager. Gehe klopfe an die Thore von Rom, flehe die Wachen auf Deinen Knieen an, Dich unter die Bürger zuzulassen, und wenn sie Dich fragen warum, so zeige ihnen das Mädchen dort! sage ihnen, daß Du sie liebst, daß Du sie heirathen willst, daß es Dir gleichgültig ist, daß ihr Volk Deinen Schwager und seine Kinder gemordet hat! Und dann, wenn Du selbst Söhne erzeugt hast, mit römischem Blut angesteckte gothische Bastarde, so sei selbst von Herzen ein Römer, schicke Deine Kinder aus, um zu vollenden, was das Volk Deines Weibes in Aquileja angethan gelassen hat, indem sie mich ermorden!«
Sie schwieg und lachte höhnisch. Dann veränderte sich ihre Stimmung plötzlich, sie trat um einige Schritte vor und fuhr mit lauterem, strengerem Tone fort:
»Du hast Dein Wort gebrochen, Du hast mich belogen, Du hast das Dir und mir widerfahrene Unrecht vergessen, aber meine letzten Worte, als ich Euch gestern Abend verließ, werden Dir noch nicht entschwunden sein! Ich habe Dir gesagt, daß sie getödtet werden müsse und seht, wo Du Dich geweigert hast, mich zu rächen, werde ich meine Worte dadurch erfüllen, daß ich sie mit meiner eignen Hand tödte. Wenn Du sie vertheidigen willst, so mußt Du mich ermorden. Du mußt ihr Blut vergießen oder das meine!«
Sie that einen Schritt vorwärts. Ihre imposante Gestalt richtete sich in ihrer höchsten Länge empor, die Muskeln an ihren nackten Armen schwellten sich an, als sie dieselben über ihrem Kopfe erhob. Einen Moment heftete sie ihre blitzenden Augen fest auf die zusammengesunkene Gestalt des Mädchens —— im nächsten stürmte sie gegen dasselbe heran und führte einen wüthenden Streich mit dem Messer gegen seinen nackten Hals. Als die Waffe herabsank, ergriff Hermanrich ihr Handgelenk. Sie rang heftig, um sich von ihm loszureißen aber vergebens.
Das Gesicht des jungen Kriegers wurde todtenbleich während er sie so hielt, einige Minuten lang blickte er, von Verwirrung und Verzweiflung gequält, begierig im Zelte umher. Die streitenden Interessen seiner Pflicht gegen seine Schwester und seine Besorgniß um Antonina erfüllten sein Herz zum Zerspringen. Noch einen Augenblick zauderte er und während dieses kurzen Zeitraumes erhielt der Despotismus der Gewohnheit Gewalt genug, um über die Eingebungen des Mitleids die Oberhand zu erhalten. Er rief dem Mädchen, indem er seinen Arm, welcher es bisher gestützt hatte, zurückzog, zu:
»Geh, habe Mitleid für mich ——« geh!«
Aber sie beachtete ihn weder, noch hörte sie ihn. Sie fiel zu den Füßen des Weibes auf die Kniee und sprach mit leiser, stöhnender Stimme:
»Was habe ich gethan, um den Tod zu verdienen? Ich habe Deine Kinder nicht gemordet! Ich habe nie ein Kind gesehen, das ich nicht geliebt hätte; wenn ich Deine Kinder gesehen hätte, so würde ich sie geliebt haben!«
»Wenn ich das Kind, welches ich aus den! Blutbade rettete, bis jetzt behalten und Du Dich ihm genähert hättest,« entgegnete das Weib grimmig so würde ich ihm gelehrt haben, mit seinen kleinen Händen nach Dir zu schlagen. Wenn Du zu ihm gesprochen hättest, hätte es Dich zur Antwort anspeien müssen, wie ich es thue.«
Zitternd, erschöpft, entsetzt, wie sie war, strömte doch das römische Blut des Mädchens in ihre blassen Wangen, als sie die Beleidigung fühlte. Sie wendete sich zu Hermanrich, blickte flehend zu ihm auf, versuchte zu sprechen, sank dann auf den Boden nieder und weinte bitterlich.
»Warum weinst Du und bittest und grimassierst gegen ihn?« schrie Goiswintha, indem sie mit ihrer freien Hand auf Hermanrich deuten. »Er hat weder den Muth, Dich zu beschützen, noch das Ehrgefühl, mir beizustehen. Denkst Du, daß ich mich von Deinen Thränen und Bitten bewegen lassen werde? Ich sage Dir, daß Dein Volk meinen Gatten und meine Kinder erschlagen hat und daß ich Dich dafür hasse. Ich sage Dir, daß Du Hermanrich zur Liebe für eine Römerin und Untreue gegen mich verlockt hast, und werde Dich dafür erschlagen! Ich sage Dir, daß es kein lebendes Wesen von dem Blute Deines Vaterlandes oder dem Namen Deines Volks im ganzen Umfange dieses Reiches giebt, das ich nicht vernichten würde, wenn ich die Macht dazu besäße! Wenn selbst die Bäume auf dem Wege hierher Gefühl gehabt hätten, so würde ich mit eigenen Händen die Rinde von ihren Stämmen gerissen haben. Wenn ein unter Deinem Himmel gebotener Vogel zahm an meinen Busen geflogen wäre, so würde ich ihn mit den Füßen zertreten haben! Und Du denkst, daß Du entrinnen wirst? Denkst Du, daß ich nach dem, was geschehen ist, nicht den Tod meines Gatten und meiner Kinder an Dir rächen werde?«
Bei diesen Worten öffnete sie mechanisch die Hände, das Messer fiel zu Boden, Hermanrich beugte sich augenblicklich nieder und bemächtigte sich desselben. Eine Minute lang stand sie, von seinem Griffe befreit, sprach und bewegungslos da, dann eilte sie, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen auf die Oeffnung des Zeltes zu und sagte in Tönen boshaften Triumphes:
»Du sollst sie doch nicht retten, Du bist Deiner Nation und Deines Namens unwürdig. Ich werde Deine Feigheit und Verrätherei Deinen Kameraden im Lager kund thun.« Und sie lief aus dem Zelte und rief mit lauter Stimme einer Gruppe junger Krieger, welche in einiger Entfernung vorüberging, zu:
»Halt, halt! Fritiger —— Athanarich! —— Colias —— Swerid —— Witherich —— Fravtta —— Eilt hierher! Hermanrich hat einen Gefangenen in seinem Zelte, über dessen Anblick Ihr Euch freuen werdet. Hierher, hierher!«
Die Gruppe, welche sie angerufen hatte, bestand aus einigen von den unruhigsten und leichtsinnigsten Jünglingen des ganzen gothischen Heeres. Sie waren so eben von ihren Pflichten der vergangenen Nacht abgelöst worden und hatten Muße genug, um Goiswinthens Aufforderung zu genügen. Sie war kaum ausgesprochen, als sie sich umwendeten und begierig zum Zelte heraneilten, indem sie Hermanrich zuschrieen, daß er ihnen seinen Gefangenen im Freien zeigen möge.
Wahrscheinlich hatten sie erwartet, mit dem komischen Entsetzen eines von ihrem Kameraden in der verlassenen Vorstadt entdeckten, römischen Sklaven regalirt zu werden, denn als sie in das Zelt traten und nichts als die zusammengesunkene Gestalt des unglücklichen Mädchens auf dem Boden zu Hermanrichs Füßen sahen, blieben sie plötzlich stehen, und blickten einander in sprachlosen Erstaunen an.
»Schaut sie an!« rief Goiswintha; das eingetretene Schweigen unterbrechend, »sie ist die römische Gefangene, die Euer tapferer Kamerad dort für sich behalten hat! Um des zitternden Kindes willen hat er die Feindschaft seines Volkes vergessen. Sie ist ihm bereits mehr als Heer, General oder Gefährten. Ihr habt die Nacht über vor der Stadt gemacht, aber er hat bei der Römerin Schildwache gestanden! Hofft nicht, daß er weiter an Euren Mühen oder Freuden Theil nehmen wird. Alarich und die Krieger haben seine Dienste verloren —— sein künftiger König kriecht dort zu seinen Füßen.«
Sie hatte erwartet, daß sie den Zorn und die Eifersucht der rauhen Zuhörerschaft, welche sie anredete, erregen würde; aber das Resultat ihres giftigen Hohnes täuschte ihre Erwartungen. Die Laune des Augenblicks forderte die Gothen zum Lachen auf, was für Antonina’s Interessen bei Hermanrich weit verderblicher war, als Drohungen oder Vorwürfe es hätten sein können. Von ihrem ersten Erstaunen wieder zurückgekommen, brachen sie in ein lautes, allgemeines Gelächter aus.
»Mars und Venus zusammengefangen! Aber bei St. Petrus, ich sehe den Vulkan und das Netz nicht!« rief Fravitta, der im römischen Heere gedient und dort eine weitläufige Bekanntschaft mit der alten Mythologie und der modernen Politik des Reiches erlangt hatte, und daher von seinen Kameraden als der klügste Kopf des Bataillons zu welchem er gehörte, betrachtet wurde.
»Ihre Figur gefällt mir,« brummte Fritigern, ein schwerfälliger, phlegmatischer Riese, der wegen seiner unzerstörbaren guten Laune und seiner Tapferkeit im Trinken berühmt war. »Das winzige Bischen, was davon vorhanden ist, sieht so schlapp aus, daß Hermanrich sie in sein leichtes Gepäck stecken und überall hin auf den Schultern mitnehmen könnte.«
»Durch welches Verfahren Du, alter Weinschlauch, sagen willst, daß er den doppelten Vortheil erlangen wird, sie stets für sich zu haben und stets warm zu halten,« unterbrach ihn Colias, ein dicker, leichtsinniger, sechzehnjähriger Junge, dem man aus Rücksicht auf seine Jahre das Recht gestattete, impertinent zu sein.«
»Ist sie eine Orthodoxe oder eine Arianerin,« fragte Athanarich, der sich etwas auf seine theologischen Kenntnisse und außerordentliche Frömmigkeit zu Gute that, ernsthaft.
»Welches Haar sie hat!«" rief Swerid sarkastisch, »es ist so schwarz, wie die Pferdehäute einer Schwadron von Hunnen.«
»Zeige uns ihr Gesicht. Wessen Zelt wird sie zunächst besuchen?« rief Witherich mit insolentem Lachen.
»Das meine!« antwortete Fritigern gemächlich.«
»Was sagt der Refrain des Liedes?
Geld und Wein
Machen die Schönheit mein!
ich habe von Beiden mehr, als Ihr Alle, sie wird in mein Zelt kommen.«
Während dieser unbeholfenen Scherze die einander Schlug auf Schlag folgten, trat an die Stelle der Verachtung, welche sich anfänglich auf Hermanrich’s Gesicht kund gab, allmälig eine Miene unwiderstehlichen Zornes. Bei Fritigern’s Worten verlor er alle Herrschaft über sich, ergriff sein Schwert und trat drohend auf den gutmüthigen Riesen zu, der weder zurückwich noch einen Versuch, sich zu vertheidigen, machte, sondern beschwichtigend ausrief:
»Geduld, Mann, Geduld! Willst Du einen alten Kameraden umbringen, weil er einen Spaß gemacht hat. Ich beneide Dich um Dein Glück! als Freund, nicht als Feind.«
Der Nothwendigkeit, sein Schwert vor einem Waffenlosen zu senken, nachgebend, wollte Hermanrich Fritigern eben eine zornige Antwort geben, als seine Stimme durch das Schmettern einer Trompete dicht vor dem Zelte übertäupt wurde. Das Signal, welches sie gab, wurde von der witzelnden Gruppe, die um den jungen Gothen herstand, augenblicklich begriffen. Sie wendeten sich ab und entfernten sich ohne Säumen. Der Letzte ihrer Zahl war kaum verschwunden, als derselbe Veteran, welcher bei Goiswinthens Entfernung am vorigen Abends mit Hermanrich gesprochen hatte, eintrat und ihn folgendermaßen anredete:
»Du erhältst hiermit den Befehl, Dich mit der Dich jetzt erwartenden Abtheilung an einer Stelle«östlich von Deinem gegenwärtigen Posten, welchen Dir ein Führer zeigen wird, aufzustellen. Mache Dich, sofort bereit, —— Du hast keinen Augenblick zu verlieren.«
Während die Wort über die Lippen. des Greises gingen, wendete sich Hermanrich und blickte Goiswinthen an. So lange die Gothen, im Zelte geblieben waren, hatte sie dagesessen und ihre rauhen Späße, mit unterdrückten Zorn und sprachloser Geringschätzung angehört. Jetzt stand sie auf und trat einige Schritte vor. Plötzlich aber zeigte sich eine ungewohnte Zögerung in ihrem Gange, ihr Gesicht war blaß, sie athmete schnell und schwer.
»Wo willst Du sie jetzt unterbringen?« rief sie Hermanrich zu, indem sie mit ausgestreckten Händen nach dem Mädchen hin drohte, »Du magst sie Deinen Kameraden übergeben oder sie mir da lassen —— auf beide Weisen ist sie verloren. —— Ich werde triumphieren —— triumphieren!«
In diesem Augenblicke senkte sich ihre Stimme zu einem unverständlichen Murmeln herab und sie schwankte. Offenbar hatten der lange Kampf der Leidenschaften während ihrer vergangenen Nachtwache und die wechselnden Bewegungen des Morgens, welche plötzlich durch ihren Triumph, als sie die Botschaft des alten Kriegers hörte, zu einer Krisis gebracht worden waren, endlich die Kräfte selbst ihres mächtigen Körpers überspannt. Noch einen Augenblick versuchte sie, vorwärts zu schreiten, zu sprechen, das Jagdmesser aus Hermanrich’s Hand zu reißen —— im nächsten stürzte sie bewußtlos zu seinen Füßen nieder.
Durch die vielfachen Prüfungen, welche er erlitten, fast bis zum Wahnsinn gestachelt, mit Goiswinthens wüthendem Versprechen, seine Absichten zu vereiteln, vor seinem, Geiste, den spöttischen Worten seiner Kameraden noch in seinen Ohren, und den ohne Rückhalt oder Zögerung seine Beachtung fordernden, unerbittlichen Pflichten, unterlag Hermanrich endlich den Schwierigkeiten seiner Stellung und gab verzweifelnd alle weiteren Hoffnungen, das Mädchen zu retten, auf. Er deutete auf einige in einer Ecke des Zeltes liegende Nahrungsmittel und nach der Gegend hinter ihm und sagte mit gebrochener, düsterer Stintme zu ihr:
»Nimm diese Mundvorräthe und fliehe so lange Goiswintha Dich noch nicht verfolgen dann, ich vermag Dich nicht weiter zu beschützen!.
Bis zu diesem Augenblick! hatte Antonina ihr Gesicht verborgen gehalten und war aus dem Boden zusammengesunken geblieben, ohne sich zubewegen, außer wenn ihr bei den lauten, rohen Späßen der Gothen ein Schauder durch den Körper zuckte, und sprachlos, außer daß sie, als Goiswintha bewußtlos niedergestürzt war, einen Ruf des Schreckens ausgestoßen hatte. Jetzt aber, wo sie ihr Verbannungsurtheil von denselben Lippen hörte, welche ihr erst am Abend vorher Schutz und Obdach zugesagt hatten, stand sie schnell auf, warf dem jungen Gothen einen solchen Blick von sprachlosem Elend und Verzweiflung zu, daß er unwillkürlich davor zusammenzuckte, und verließ dann ohne Thräne und Seufzer, ohne einen Blick des Vorwurfs, oder ein Wort der Bitte, versteinert und von Schrecken und Schmerz darniedergebeugt, das Zelt.
Hermanrich beeilte seine Handlungen mit der Energie eines Mannes, der entschlossen ist, seine Gedanken durch Beschäftigung zu verbannen, stellte sich an die Spitze seiner Abtheilung und marschierte schnell vom Pincischen Thore nach Osten zu. Zwei von seinen Dienern, die nach seiner Entfernung in das Zelt traten, brachten Goiswinthen, die noch auf dem Boden ausgestreckt dalag, nach dem Theile des Lagers, welchen die beim Heere befindlichen Frauen einnahmen, und dann war das kleine Zelt, welches die Wohnung des Gothen bildete und in so wenigen Stunden einen so großen Antheil menschlichen Elends und einen so erbitterten Kampf menschlicher Leidenschaften gesehen hatte, eben so stumm und einsam, wie die verlassene Gegend, in welcher Antonina jetzt eine Zufluchtsstätte und Heimath suchen sollte.
Kapitel V.
Der Weg durch die Mauer.
»Eine schöne Nacht, Balldus! Der Mond scheint hell und es ist kein Nebel zu sehen! Ich war gestern Abend am Ostia’schen Thore postiert, wo mich der Nebel halb erstickt hat.«
»Wenn »Du gestern Abend am Ostia’schen Thore warst, so befandest Du Dich an einem besseren Platze wie jetzt. Die Mauer hier ist so einsam, wie eine Ruine in den Provinzen. Hinter uns nichts als die Rückseite des Monte Pincio —— vor uns nichts als die leeren Vorstädte —— zu beiden Seiten nichts als Stein und Ziegel, —— auf unsern Posten nichts als wir selbst. Ich will mich kreuzigen lassen, wie St. Petrus, wenn ich glaube, daß es in der ganzen Runde der Mauer noch eine Stelle gibt, die so einsam und langweilig wäre, wie diese.«
»Du bist ein Mensch, der sich noch beklagen würde, wenn er auch in einem jener Paläste einquartiert wäre. Der Ort ist allerdings einsam genug, aber ob er langweilig oder nicht ist, hängt von uns selbst, den ehrenwerthen Anwesenden ab. Ich meinestheils bin entschlossen, seine Heiterkeit durch die lobenswerthe Anstrengung zu befördern, Dir, mein unzufriedener Freund, eine unerschöpfliche Reihe von den Geschichten zu erzählen, wegen welcher ich, wie ich ohne Anmaßung sagen kann, in der ganzen Länge und Breite der römischen Kasernen berühmt bin.«
»Du magst so viele Geschichten erzählen, wie Du willst, aber stelle Dir nicht vor, daß ich Dir zuhören werde.«
»Du kannst auf mich achten oder nicht, wie Du willst. Wenn Du auch nicht zuhörst, so werde ich doch meine Geschichten erzählen, um mich in der Uebung zu erhalten. Ich werde sie an die Mauern oder an die Lust oder an die alten Götter und Göttinnen von Rom richten, im Falle sie, wie uns einige Unbekehrte einreden wollen, wüthend über der Stadt schweben, oder an unsere Nachbarn die Gothen, wenn sie von einem plötzlichen Wunsche ergriffen werden, ihr Lager zu verlassen und die Festungswerke, welche zu stürmen sie so wenig Lust haben, in der Nähe zu betrachten. Wenn mir aber alle diese Bestandtheile einer geziemendem anständigen Zuhörerschaft ausbleiben, so werde ich meine Geschichten dem aufmerksamsten aller Zuhörer, mir selbst, erzählen.«
Und die Schildwache eröffnete ohne weitere Zögerung ihren Vorrath von Anekdoten mit der behaglichen Geläufigkeit eines Mannes, der ein gut angebrachtes Vertrauen auf seine Erzähltalente hat. Entschlossen, seinen mürrischen Kameraden zur Aufmerksamkeit zu bewegen, trotzdem, daß ihn derselbe nicht anhören wollte, sprach er mit erhöhter Stimme, indem er auf seinem angewiesenen Raume mit schnellen Schritten hin und her ging und bei jedem Spaß den er im Laufe seiner schlecht belohnten Erzählung machte, mit komischer Regelmäßigkeit und Selbstgefälligkeit zu lachen begann. Er ahnte bei seiner Geschichte nicht, daß der Beginn derselben von einem ungesehenen Zuhörer mit Empfindungen begrüßt worden war, die weit von denjenigen entfernt waren, welche die Bemerkungen seines unfreundlichen Wachkameraden diktiert hatten.
Seinem Entschlusse getreu hatte Ulpius mit einem Theile des Lohns, welchen er in Numerian’s Dienste erspart, in einem Laden eines Stadttheiles wo er nicht bekannt war, eine kleine Laterne gekauft, ihr Licht mit einem groben, dicken Tuche verhüllt und sich auf dem einsamen Wege zu seiner zweiten Nachtarbeit an die Mauer begeben. Er gelangte zu Anfang des oben erzählten Zwiegesprächs an die Bresche und hörte mit Freuden den lärmenden Beschluß der Schildwache, ihren Kameraden ihm selbst zum Trotz zu unterhalten, da, je lauter und länger der Mann sprach, desto geringer auch die Wahrscheinlichkeit war, daß seine Arbeiten im Innern der Mauer vermuthet oder gehört werden würden.
Er räumte leise das Reisig am Eingange des in der vorigen Nacht gebrochenen Loches hinweg, kroch so weit hinein, wie er damals gekommen war und nahm dann mit einem Gemisch von Erwartung und Besorgniß, welches ihn so mächtig in Anspruch nahm, daß er für den Augenblick kaum seiner Bewegungen Herr war, langsam und vorsichtig die Decke von seinem Lichte.
Sein erster Blick war unwillkürlich auf die Höhlung unter ihm gerichtet. Er sah sofort, daß sie an Breite wie an Tiefe geringer war, als er es sich vorgestellt hatte. Die Erde war an dieser Stelle unter den Grundlagen der Mauer gewichen, welche in den nachgiebigen Boden gesunken waren und durch ihr Gewicht den Abgrund noch tiefer gemacht hatten. Eine kleine Wasserquelle, —— wahrscheinlich die erste Ursache des Einsinkens der Erde —— war in dem Raume des Mauerwerkes, welches sie allmälig, und Jahr für Jahr mehr unterwühlt hatte, heraufgesprudelt. Sie blieb aber an dieser Stelle nicht stehen, sondern rieselte munter und still weiter —— ein Bächlein, das sich nur dazu aus einem Gefängnisse im Boden losgerungen hatte, um ein anderes in der Mauer zu betreten, das von keinem begrasten Ufer eingefaßt, von keinem heitern Tageslicht erhellt, von keinem menschlichen Auge bewundert wurde, dem in seinem engen Bette durch die inneren Spalten der Ziegel kein lebendes Wesen folgte, als etwa eine aufgeschwollene Kröte oder eine einsame Eidechse, das aber doch so glücklich seinen Weg durch Finsterniß und Ruinen verfolgte wie seine Brüder, die im Sonnenschein auf der Wiese murmelten oder in dem frischen Winde des freien Berghanges hüpften.
Ulpius erhob seine Augen von der kleinen Quelle und wendete zunächst seine Aufmerksamkeit der Aussicht über ihm zu.
Obgleich unmittelbar über seinem Kopfe das innere Material der Mauer eine glatte, ebene, harte Oberfläche zeigte, welche im Stande schien, selbst den kräftigsten Versuchen zu ihrer Zerstörung Widerstand zu leisten, bemerkte er doch auf der einen Seite und weiter nach innen eine dunkle, formlose Unregelmäßigkeit, die ihn zu weiteren Anstrengungen aufmunterte. Er stieg in das Bett des Baches hinab, kroch über einen Haufen von verwitterten Ziegeln hinauf und gelangte in ein Loch, welches er augenblicklich zu erweitern begann, um hindurch zu dringen. Zoll um Zoll erweiterte er die Spalten, kroch hinein und sah sich auf einem Bruchstück der Wölbung eines von den Bögen des Grundes, welches sich, wiewohl theilweise zerfallen, doch von aller Verbindung mit dem Theile der oberen Mauer, welchen es einst getragen, und der allmälig in die unteren Höhlungen gebröckelt war, isoliert, doch immer noch im Gleichgewichte hielt. Er blickte auf. Ueber ihm ging eine ungeheure Spalte hinauf, die ihre geschlängelten Verzweigungen an verschiedenen Punkten in jeden Theil der Mauer welcher ihm noch sichtbar war, erstreckte. Das ganze Gebäude schien an dieser Stelle einen plötzlichen furchtbaren Ruck erlitten zu haben. Wenn es nicht von den besser erhaltenen Befestigungen zu beiden Seiten gestützt worden wäre, so hätte es sich nach dem Stoße nicht mehr aufrecht erhalten können.
Der Heide blickte mit ununterdrückbarer Furcht in die breiten Spalten, die über ihm klafften, empor. Sein kleines flackerndes Licht war nicht hinreichend, um ihm ihre Endpunkte zu zeigen. Sie sahen, als er sie so im dunkeln Abstich gegen den übrigen ausgehöhlten Theil der Mauer erblickte, wie ungeheure Schlangen aus, die sich gerade hinauf bis zu den Zinnen wanden, und er selbst, mit seinem kleinen Lichte neben ihm, wurde von der wilden Großartigkeit der feierlichen Düsterkeit der dunkeln, phantastischen Gegenstände um ihn her zu Pygmäengröße zusammengedrückt. Wenn man ihn von den Zinnen oben hätte sehen können, wie er jetzt hinter seiner Laterne in die Höhlungen und Unebenheiten unter ihm hinabblickte, so würde er mit seinem flackernden Lichte ausgesehen haben, wie ein von einem Glühwurm geführter Maulwurf.
Er hielt an, um seine nächsten Bewegungen zu überlegen. Während er an einem Orte verharrte, war die feuchte Kälte der Atmosphäre fast unerträglich, aber er erlangte durch seine jetzige Unbeweglichkeit einen großen Vortheil, er konnte vor dem Geräusch der im Gehen unter ihm zerbröckelnden Ziegelsteine ungestört lauschen. Bald darauf hörte er einen feinen anhalten den Ton, der bald lauter, bald leiser war, sich bald näherte, bald entfernte, bald fast schrill wurde, schnell aber wieder zu einem schwachen, sanften Schwellen zurückkehrte. Plötzlich wurde diese seltsame, gespenstische Musik von einer Reihe langer, tiefer, rollender Töne unterbrochen, die großartig in den Spalten über ihm umherzogen, wie eingekerkerte Donner, die einen Ausgang suchten. Gänzlich damit unbekannt, daß das erste gehörte Geräusch durch den Nachtwind verursacht wurde, welcher sich durch die Spalten in den Ziegeln der äußern Mauerwand, und das zweite durch das Echo, welches die Tritte der Wachen über ihm in den unregelmäßigen Höhlungen derselben hervorbrachte —— durch den furchtgebietenden Ort und seine geheimnißvolle Beschäftigung einer fanatischen Exaltation erhoben, welche für den Augenblick geradezu seine Vernunft zum Schwanken brachte —— von dem rasenden Enthusiasmus seiner Pläne und den Legenden über unsichtbare Wesen und Welten, die die Grundlagen seiner Religion bildeten, erfüllt, glaubte Ulpius, als er die Laute über sich und um sich her vernahm, daß die Götter des Alterthums jetzt über ihm schwebten und ihm mit gespenstischer Stimme in unbekannter Sprache zuriefen, sein kühnes Unternehmen mit der vollen Gewißheit des nahen, herrlichen Erfolges fortzusetzen.
»Braust und murmelt und macht Euren Orkan zu Musik in meinen Ohren!« rief der Heide, seine welken Hände erhebend und seine Gottheiten mit wilder Energie anredend. »Euer Diener Ulpius hält nicht auf der Reise an, welche ihn zu Euren wieder bevölkerten Heiligthümern führt! Blut, Verbrechen, Gefahr, Pein —— Stolz und Ehre, Freude und Ruhe habe ich, Opfern gleich, an Euren Altären ausgestreut! Die Zeit ist an mir vorüber gewirbelt, die Jugend und das Mannesalter liegen längst schon in dem Lethe vergraben, welches das Erbtheil des Lebens ist —— das Alter hat seine Bande um die Kraft meines Körpers geschlungen, aber ich wache immer noch an Euern Tempeln und diene Eurer mächtigen Sache. Eure Rache ist nahe, Monarchen der Welt! Euer Triumph steht uns bevor.«
Er verweilte eine Zeit lang in derselben Stellung, blickte fest in die pfadlose Dunkelheit über ihm hinauf und sog die Laute ein, welche, abwechselnd steigend und fallend, immer noch um ihn schwebten. Der zitternde Schein seiner Laterne fiel roth und wild aus sein blasses Gesicht. Sein verworrenes Haar flatterte in dem kalten an ihm vorbei streichenden Winde. Er würde in diesem Augenblicke, von ferne betrachtet, ausgesehen haben, wie ein feuriges Phantom, welches in einem dunkeln Nebel untergeht, wie ein Gnome, der in den Eingeweiden der Erde anbetet, wie ein verstoßener Geist in einem einsamen Fegefeuer, welcher auf das Erscheinen eines Blickes der Schönheit oder das Kommen eines Lufthauches lauscht.
Endlich erhob er sich aus seiner Verzückung, putzte mit vorsichtiger Hand die ihn führende Laterne und schritt weiter, um durch die große, so eben betretene Spalte zu dringen.
Er kam in schiefer Richtung um mehrere Fuß breit weiter, wobei er bald über die Gipfel der Grundbogen kroch, bald hervorspringende Ecken in dem zerbröckelnden Mauerwerk vermied, bald in dunkle, schlüpfrige, von Trümmern halb ausgefüllte Schlünde hinabstieg, bis nach allen Seiten hin die Spalte plötzlich enger wurde.
Die Atmosphäre war an dcr Stelle, wo er sich jetzt befand, wärmer, er konnte schwache Flecken von feuchtem, dunklen Moos unterscheiden, die hier und da die unebene Mauerfläche bedeckten und ein paar mal wurden ihm lange Grashalme, die von einem Vorsprunge unmittelbar über seinem Kopfe herabwuchsen, von dem Winde, den er jetzt durch die schmale Ritze, welche er zu erweitern suchte, herein blasen fühlte, in’s Gesicht geweht. Offenbar hatte er sich der äußern Fläche der Mauer bis aus wenige Fuß genähert.
»Numerian sucht auf den Straßen nach seinem Kinde,« murmelte der Heide, als er seine Laterne neben sich niedersetzte, seine zitternden Arme entblößte und seine Eisenstange erhob. »Die Sklaven seines Nachbars, des Senators, sind ausgezogen, um mich zu verfolgen. Auf allen Seiten jagen mir meine Feinde nach, aber hier postiert. spotte ich ihres eifrigsten Suchers. Wenn sie mir bis zu meinem Versteck nachspüren wollen, so müssen sie die Mauern von Rom durchdringen. Wollen sie mich in meinem Lager niederjagen, so müssen sie mich heute bis zu den Gothen verfolgen. Die Thoren, sie mögen sich vorsehen! Mit dem letzten Ziegel, den ich von ihren schutzlosen Mauern reiße, besiegele ich das Schicksal ihrer Stadt!«
Er lachte vor sich hin, während er sein Brecheisen kühn in die Spalte stieß. An einigen Stellen wichen die Ziegel seinen Anstrengungen leicht, an andern ließ sich ihr Widerstand nur durch Anwendung seiner äußersten Kräfte besiegen. Er setzte entschlossen und unablässig seine Arbeiten fort, wobei er bald seine Hände an den zackigen Spitzen der weiter. werdenden Oeffnung verwundete, bald unwillkürlich sein Werkzeug vor Erschöpfung sinken ließ, aber doch, trotz jedes sich ihm entgegenstellenden Hindernisses, wacker fort arbeitete, bis er in das Innere der neuen Spalte gelangte.
Als er seine Laterne in die von ihm gemachte Höhlung nachzog, nahm er wahr, daß er, wenn er dieselbe nicht unmittelbar über sich erhöhte, selbst kriechend nicht weiter kommen konnte. Ueber diese unerwartete Nothwendigkeit zu heftigerer Anstrengung bereit, und in dem verzweifelten Entschlusse, auf alle Fälle noch in dieser Nacht durch die Mauer zu kommen, stieß er rücksichtslos mit aller seiner Kraft das Brecheisen aufwärts, statt allmälig und leise das Material der Oberfläche, welche sich ihm entgegenstellte, aufzulockern, wie er es früher gethan hatte.
Er hatte diese Arbeit kaum einige Augenblicke lang fortgesetzt als ein bedeutender Theil des Mauerwerkes in einer festen, zusammenhängenden Masse mit Blitzesschnelle herabstürzte. Sie schleuderte ihn aus den Gründungsbogen, welcher seine Stütze gewesen war, nieder, quetschte und renkte seine rechte Schulter aus und zertrümmerte seine Laterne.
Er stieß ein Stöhnen der Pein aus. Er befand sich in undurchdringlicher Finsterniß. Die Ziegelmasse rollte, nachdem sie ihn getroffen hatte, etwas seitwärts. Mit einer verzweifelten Anstrengung rang er sich unter derselben hervor, nur um von der neuen Qual, die ihm die Anstrengung verursachte in Ohnmacht zu fallen.
Eine kurze Zeitlang lag er in seiner kalten, dunkeln Einsamkeit besinnungslos da. Hierauf, als er nach dem ersten Stoße wieder zu sich kam, begann er in aller ihrer Schwere die Zuckungen, das dumpfe Nagen, die pochenden Schmerzen zu erleiden, welche die Folgen der erhaltenen Verletzung sein mußten. Sein Arm lag bewegungslos an seiner Seite; er besaß weder Kraft, noch Entschlossenheit genug, um eines von den gesunden Gliedern seines Körpers zu bewegen. In dem einen Augenblicke bildeten seine tiefen, stöhnendem halb erstickten Athemzüge entsetzliche, halb artikulierte Flüche —— im nächsten erstarb sein keuchender Athem plötzlich und dann konnte er das Blut mit grausiger Regelmäßigkeit langsam von seiner Schulter in eine kleine Lache, die es neben ihm bereits gebildet hatte, tröpfeln hören.
Der Nachtwind, welcher sich von außen durch die Mauerritzen drängte, war jetzt nur an seinem verwundeten Glied fühlbar. Er berührte dessen Oberfläche gleich unzähligen Splittern dünnen, scharfen Eises, er drang in sein Fleisch wie Funken, die aus einem See von geschmolzenem Blei hervor sprühten. Es gab während der ersten Qualen dieser Folter Augenblicke, wo er, wenn er eine Waffe und die Kraft, dieselbe anzuwenden, gehabt hörte, er seinen Ehrgeiz für immer aufgeopfert und sich das Leben genommen haben würde.
Aber dieser Wunsch, seine Schmerzen mit seiner Existenz zu enden, dauerte nicht lange. Allmälig erweckte seine Körperpein in seinem Geiste eine mildere, stärkere Krankheit und jetzt wütheten die körperlichen und Geistesqualen in wilder Rivalität in ihm, und beraubten ihn aller Gedanken, die nicht durch ihre Einwirkung erschaffen oder erweckt worden waren.
Eine Zeitlang lag er hilflos in seinem Elend da und machte abwechselnd durch unterdrücktes Stöhnen der Pein seiner Wunden Luft und beklagte unter Flüchen das Mißlingen seines Unternehmens in dem Augenblicke seines anscheinenden Erfolgs. Endlich schienen die ihn durchzuckenden Schmerzen allmälig weniger schnell hintereinander zu kommen; er wußte jetzt kaum mehr, in welchem Theile seines Körpers sie unmittelbar entstanden. Unmerklich stumpfte sich sein Denk- und Gefühlsvermögen ab, dann blieb er eine kurze Zeit in räthselhafter, unerquicklicher Ruhe des Körpers und Geistes liegen und dann wurden seine ungeleiteten und ungezügelten Sinne das Opfer eines plötzlichen furchtbaren Blendwerks.
Die Finsterniß um ihn her schien allmälig in ein trübes, dickes, nebeliges Licht, gleich dem Widerscheine von Gewitterwolken am Abend, überzugehen. Bald darauf war es, als ob diese Atmosphäre von einem phantastischen Gitterwerkt weißen, sich kräuselnden Dampfes durchkreuzt und durchstreift würde. Dann wurde die Ziegelmasse, welche ihn zu Boden geschlagen hatte, an seiner Seite, zu ungeheurer Größe angewachsen, sichtbar und schien mit einer Bewegungskraft begabt zu sein, durch welche sie geheimnißvoll größer und kleiner wurde und sich anschwellte und zusammenzog, ohne auch nur einen Augenblick ihre Lage neben ihm zu verlassen. Dann erhob sich von ihrer dunkeln, beweglichen Oberfläche ein langer Strom von Nebelgestalten, die sich um das Gitterwerk über ihm schlangen und die greifbare Form von menschlichen Gesichtern annahmen, die jede Altersverschiedenheit blicken ließen und von jeder Verschiedenheit des Leidens verzerrt wurden.
Er sah Kindergesichter mit Grabeswürmern umschlungen, die um sie her hingen wie Locken schmutzigen Haares, alte Gesichter mit Blut befleckt und von Wunden zerfleischt, junge von schwarzgelben Kanälen durchzogene Gesichter, in denen unaufhörliche Thränenströme herabflossen —— schöne Gesichter, die zum festen Ausdrucke zuckender Pein, wilder Bosheit und verzweifelnder Düsterkeit verzerrt waren. Kein Einziges von diesen Gesichtern glich dem Andern genau. Jedes unterschied sich durch einen eignen empörenden Charakter, Wie entstellt aber auch ihre anderen Züge sein mochten, waren doch die Augen Aller unverletzt geblieben. Sprachlos und körperlos schwebten sie in nie endenden Myriaden zu dem phantastischen Gitterwerk empor, welches seine ungeheuren Proportionen noch weiter aufschwellen zu lassen schien, um sie aufzunehmen. Dort hingen sie sich an ihren gespenstischen Amphitheater zusammen und starrten fest und schweigend ohne Ausnahme auf das Gesicht des Heiden herab.
Unterdessen begannen die Seitenwände von einem eigenen Lichte zu glimmen und zackige Grenzen für die Bühne der gespenstischen Gesichter zu bilden, dann erweiterten sich die Spalten ihrer Oberfläche und spieen ungestaltete Figuren von heidnischen Götzen und heidnischen Priestern aus, die in jeder häßlichen Entstellung des Aeußern hervorkamen und die Gesichtern auf dem Gitterwerk nachäfften, während hinter und über dem Ganzen gigantische, dunkle Formen heraufragten, die in düstere, wallende Nachahmungen von Häuten, wie sie die Gothen trugen, gekleidet waren und in dem zitternden Dunste mächtige, schattengleiche Kriegswaffen schwangen. Von dieser ganzen gespenstischen Versammlung stieg nicht der mindeste Laut aus. Eine Stille, gleich der einer todten, in Ruinen liegenden Welt, hielt das entsetzliche Schauspiel nach allen Seiten hin umfangen.
Die tiefen Echos von den Schritten der Schildwachen und das schwache Rauschen des Windes waren verklungen. Das Blut, welches bisher aus seiner Wunde geträufelt war, brachte in dem Ohre des Heiden jetzt keinen Ton mehr hervor, sogar sein eigenes Entsetzen war eben so stumm, wie die Dämonen der Vision, welche es erweckt hatten. Tage, Jahre, Jahrhunderte schienen zu vergehen, während er dalag und in wahnsinnigem Schrecken zu seinem Reiche bevölkerter, gespenstischer Dunkelheit emporblickte. Endlich unterlag die Natur der Prüfung, das Phantomschauspiel wirbelte plötzlich mit grausiger Schnelligkeit um ihn her und seine Sinne suchten vor der Folter ihrer eignen Schöpfung in tiefer, willkommener Bewußtlosigkeit Zuflucht.
Die Zeit war träge vorwärts geschritten, die scheltenden Winde hatten oftmals die trocknen Locken seines Haares auf seiner Stirn hin und her getrieben, wie um ihn erwachen und aufstehen zu heißen, ehe er wieder zum Bewußtsein gelangte. Von Neuem zur Kenntniß seiner Lage und dem Gefühl seiner Wunde erwacht, richtete er sich langsam auf seinem unverletzten Arme auf und blickte sich wild nach selbst der schwächsten Spur eines Lichtstrahles um, aber der gewundene und unebene Weg, welchen er sich durch die Mauer bereitet hatte, verhinderte die Mondstrahlen, welche jetzt in die äußerste von seinen Höhlungen strömten, den Ort, wo er jetzt lag, zu erreichen. Um ihn her war kein einziger Gegenstand auch nur schwach erkennbar. Auf allen Seiten war er von Finsterniß umgeben.
Die ersten Qualen seiner Verletzung hatten sich jetzt in ein dumpfes, schweres, wechselloses Schmerzgefühl aufgelöst. Die Vision, welche seine Sinne überwältigt hatte, war jetzt in schattenartiger, ungeheurer Form nur noch seiner Erinnerung gegenwärtig, erfüllte die Dunkelheit mit furchtbaren Erinnerungen, aber nicht mehr mit Schreckensgestalten und drängte ihn zu einem rastlosen Sehnen, sich aus dem einsamen, ungeweihten Grabe, dem Gefängnis der Einsamkeit und des Todes, zu retten, womit ihn seine eigenen Anstrengungen bedrohten, wenn er noch in den Höhlungen der Mauer liegen bleiben würde.
»Ich muß aus dieser Finsterniß an’s Licht kommen! Ich muß die Luft des Himmels einathmen, wenn ich nicht in der feuchten Kälte dieser Gruft umkommen soll!« rief er mit heiserer, stöhnender Stimme, indem er sich allmälig und mit peinlicher Anstrengung auf die Kniee erhob, sich langsam umwendete und seinen beabsichtigten Rückzug begann.
Sein Gehirn drehete sich immer noch, von den Aufregungen, die seinen Geist vor so Kurzem zu Boden geschmettert hatten, wie im Kreise herum; seine rechte Hand hing hilflos an seiner Seite herab, schleppte ihm nach, wie die Kette eines Gefangenen und wurde von der unebenen Fläche des Bodens, über welche sie langsam hinschleifte, zierfleischt, als er sich auf seinen linken Arm stützend und jedes mal nur um wenige Zoll vorwärts kriechend, seine mühselige Reife antrat.
Hier hielt er, verwirrt in der Dunkelheit, an, dort bewahrte er sich mir durch eine convulsivische Anstrengung vor dem Sturze in die unbekannten Tiefen unter ihm oder verlor den geringen Vortheil, welchen er mit Mühe und Noth erlangt hatte, dadurch, daß er, von einem unerwarteten Hindernisse gezwungen, eine Strecke weit zurück mußte. Bald knirschte er mit den Zähnen, bald war er athemlos vor Erschöpfung dessen ungeachtet aber ließ er mit einer Hartnäckigkeit welche etwas Heroisches an sich hatte, nie in dem festen Entschluß, sein Entkommen zu bewirken, nach.
Langsam und peinlich mit dem Schritte und der Ausdauer der Schildkröte, hoffnungslos und doch entschlossen, gleich einen Seefahrer in einem unbekannten Meere, kroch er vorwärts, bis er endlich für seine langen Leiden durch die plötzliche Entdeckung eines dünnen Strahles von blassem Licht, welcher sich durch eine Ritze im verwitterten Mauerwerk vor ihm ergoß, belohnt wurde. Kaum die Herzen der Weisen aus dem Morgenlande konnten entzückter gepocht haben, als der Stern des Ostens zuerst vor ihnen aufging, als das des Ulpius in dem Augenblicke, wo er den, leitenden und ermuthigenden Lichtstrahl erblickte.
Nur noch ein wenig Anstrengung —— noch ein wenig Geduld —— noch ein wenig Pein —— und seine gespenstische und verkrüppelte Gestalt stand wieder vor der äußern Höhlung der Mauer. Der Tag begann herauf zu dämmern, der Mond verblich mit kaltem Scheine am grauen Morgenhimmel —— ein dünner, dunstartiger Regen träufelte aus den formlosen Wolken herab, der Morgen zeigte sich der Erde kalt und trostlos, übte aber keinen trüben oder tadelnden Einfluß auf den Geist des Heiden. Er sah sich auf seinem einsamen Lauerorte um, erblickte aber keine menschliche Gestalt. Er schaute an den Mauern hinauf und sah. daß die Wachen schweigend und getrennt in ihre schweren Wachmäntel gehüllt und auf ihre Waffen gelehnt da standen. Es war nicht zu verkennen, daß die Ereignisse seiner Leidens- und Verzweiflungsnacht, von der äußern Welt unbemerkt, vergangen waren.
Er blickte mit einem Schauder ans seinen verwundeten, unbeweglichen Arm herab, dann hefteten sich seine Augen auf die Mauer. Nachdem er sie mit mißtrauischem, spähendem Blicke überschaute, bewegte er langsam mit seinem Fuße das Reisig gegen die kleine Höhlung in ihrer äußern Fläche.
»Tage vergehen, Wunden heilen, Aussichten verändern sich!« murmelte der alte Mann, als er sich mit langsamen, unsichern Schritten von der einsamen Stelle entfernte. »In den Bergwerken habe ich ohne Murren Streiche erlitten —— ich habe meine Ketten, mit jedem Tage die Geschwüre, welche ihre eisernen Zähne in mein Fleisch genagt hatten, erweitern sehen und doch habe ich es erlebt, meine Fesseln zu lösen und meine Geschwüre zu schließen! Soll diese neue Pein eine größere Gewalt haben, mich zu besiegen, als die andern, welche vergangen sind? Ich werde noch zurückkehren, um den Widerstand der Mauer zu besiegen! Mein Arm ist zerrissen, aber mein Vorsatz ist unerschüttert!«
Kapitel VI.
Das Haus in der Vorstadt.
Wir schreiten um einige Stunden zurück und wenden uns von der gespaltenen Mauer nach der Vorstadt und der Gegend, welche man von ihren Zinnen überschaut. Wir verlassen den verwundetem mit seinen finsteren Plänen beschäftigten Ulpius und unsere Aufmerksamkeit heftet sich jetzt auf die Schicksale Hermanrich’s und Antoninens.
Wiewohl der Abend kaum eingebrochen war, hatte der Gothe doch den Kriegern unter seinem Befehl bereits ihre Nachtstationen in der einsamen Vorstadt angewiesen. Nach Erfüllung dieser Pflicht blieb er der ununterbrochenen Einsamkeit des Gebäudes überlassen, welches ihm jetzt zur vorübergehenden Wohnung diente.
Das Haus, in welchem er sich befand, war das letzte der breiten, unregelmäßigen Straße, zu welcher es gehörte, und es ging nach der Mauer unterhalb des Monte Pincio, von welcher es durch einen, etwa eine Viertelstunde im Umfange haltenden öffentlichen Garten getrennt war. Dieser einst von Menschen erfüllte Vergnügungsort war jetzt gänzlich unbetreten. Seine dunkeln Haine wurden durch keine Menschengestalt erhellt, die bunten Sommerhäuser darin waren finster und öde, die Buden seiner Obst- und Blumenhändler standen leer auf den einsamen Rasenplätzen da. Traurig und verlassen erstreckte er sich als eine furchtbare Einöde bis unter die Mauern einer Meschenerfüllten Stadt.
Und doch lag ein unaussprechlich ernster und beschwichtigender Zauber in dem einsamen Anblick, welchen er gewährte, als sich seine Blumenbeete und Bäume jetzt allmälig in den Schatten der vorrückenden Nacht verdunkelten. Er gewann in seiner jetzigen Verschönerung, was er an seiner früheren Heiterkeit verloren hatte. Er hatte noch seine eigne einfache Anziehungskraft, obgleich er nicht mehr in seinen gewohnten Illuminationen funkelte, nicht mehr dem Ohre durch die Musik und das Gelächter, welche sich in Friedenszeiten daraus erhoben, gefiel. Als er von der Terrasse seiner neuen Wohnung darauf hinblickte, verschwand die Erinnerung an seine vergangenen, geschäftigen Stunden aus dem Geiste des jungen Gothen und seine Geisteskräfte bewillkommneten die Gedanken, welche die Nacht allmälig zu wecken und zu erzeugen begann.
Wohin konnten sich unter solchen Verhältnissen die Gedanken Hermanrich’s am Natürlichsten verirren?
Von dem Mondlichte an, welches bereits die höchsten zitternden Blätter der Bäume des Gartens zu färben; begann, bis zu den zarten, jetzt schattenartigen Blumen, die. sich an den Pfeilern der verlassenen Terrasse, auf welcher er stand, emporschlangen, verband sich jeder Gegenstand, den er erblickte, für seine lebhafte ungebildete Phantasie mit dem einen Wesen, dessen beredter, passender Typus ihm alles Schöne in der Natur zu sein schien. Er dachte an Antoninen, die er einst beschützt, an Antoninen, die er nachher verlassen, an Antoninen, die er jetzt verloren hatte.
Mit starker Einbildungskraft und schwacher Fähigkeit des Denkens, mit starker moralischer Empfänglichkeit und geringer moralischer Festigkeit begabt, zu leicht zu lenken und zu schwer zu einem Entschlusse zu bringen, hatte Hermanrich das Mädchen eher aus Charakterschwäche als aus Entschlossenheit des Willens aufgegeben. Als jetzt daher die Beschäftigungen des Tages seine Aufmerksamkeit auszufüllen aufgehört hatten, als jetzt die Stille und Einsamkeit sein Gedächtniß zu dem Verlassen seines hilflosen Schützlings zurückführte, flößte ihm diese That verderblichen Unmuths und unverantwortlicher Unentschlossenheit Kummer und Reue ein. Wenn Antonina während ihres Aufenthaltes unter seiner Obhut einen unmerklichen Einfluß aus sein Herz geübt hatte, so erfüllte jetzt ihr Bild, wo er über seinen verbrecherischen Antheil an ihrer Trennung nachdachte, alle seine Gedanken und betrübte und beschämte ihn zugleich, wenn er sich ihrer Verbannung aus dem Schutze seines Zeltes erinnerte.
Jedes Gefühl, welches seine Gedanken an Antoninen in der vorigen Nacht beseelt hatte, gewann doppelte Stärke, als er sich jetzt ihrer erinnerte. Er entsann sich von Neuem ihrer beredten Worte und des Zaubers ihres milden, unschuldigen Wesens; von Neuem verweilten seine Gedanken ans den Schönheiten ihrer äußern Form. Jeder warme Ausdruck, jeder wechselnde Ton der Stimme, welcher ihre Bitte ums Rettung und Anschluß an. sie begleitet hatte, jeder Ueberredungsgrund dessen sie sich bedient, um ihn zu erweichen, lebte jetzt wieder in seinem Gedächtnisse auf, und nahm in seinem Herzen an Einfluß und Gewalt zu. Alle unvollkommenen Bilder des Glückes, welche sie so hastig ausgemalt hatte, um ihn zu verlocken, färbten sich jetzt heller und sein Geist begann sich in Visionen zu ergehen, die bisher von keinen andern Bildern, als denen des Wetteifers, der Gewaltthat und des Kampfes erfüllt gewesen waren, Scenen, die selbst Antoninens leichtesten und hastigsten Ausdrücke heraufbeschworen hatten, erhoben sich jetzt schattenhaft und unbestimmt vor seinem brütenden Geiste. Liebliche Stellen der Erde, die er besucht und wieder vergessen hatte, kehrten jetzt, wo er an sie dachte, idealisiert und veredelt zurück. Sie erschien seinem Geiste in jedem Reize der Bewegung, wie sie alle Pflichten erfüllte und alle Freuden genoß, welche sie ihm versprochen hatte. Er stellte sie sich vor, wie sie glücklich und von Gesundheit erfüllt, mit rosiger Wange und elastischem Schritte heiter am frischen Morgen neben ihm hinschritt. Er stellte sich vor, wie sie ihn in der milden Stille des Abends durch ihre versprochenen Lieder entzückte, durch ihre beredten Worte erheiterte. Er stellte sich vor, wie sie sanft und warm und still in seinen schützenden Armen schlief, stets glücklich und stets mild, an Jahren ein Kind, an Verstand ein Weib, zugleich eine Geliebte und eine Gefährtin, eine Lehrerin und Schülerin, eine Geleitete und eine Führerin.
Das hätte sie ihm werden können! Was war sie jetzt?
Sank sie unter ihrer Einsamkeit danieder, ging sie in Kälte und Ermattung unter, von Hinterlistigen bedroht, von Grausamen zurückgestoßen, von Gedankenlosen verspottet! Allen diesen Gefahren, diesem ganzen Elend hatte er sie ausgesetzt und zu welchem Zwecke? Um die ungewisses Gunst, die unwillkommene Freundschaft eines Weibes zu bewahren, das selbst die gewöhnlichsten, instinktmäßigsten Tugenden ihres Geschlechts verlassen hatten, dessen rasender Rachedurst Gerechtigkeit mit Verrätherei, Unschuld mit Verbrechen, Hilflosigkeit mit Tyrannei verwechseln, dessen Ansprüche auf Nationalität und Verwandtschaft seiner Schätzung nach, durch die offen gestandene Tücke ihrer Absichten, in dem verderbenschwangern Augenblicke hätten verwirkt sein sollen, wo sie ihm dieselben in aller ihrer Schändlichkeit vor den Mauern Rom’s anvertraut hatte. Er stöhnte in Verzweiflung, als er dieser seiner unwürdigsten aller Nothwendigkeiten gedachte, denen das verlassene Mädchen geopfert worden wär.
Bald jedoch wendete sich sein Geist von diesen Gedanken ab und seinen Pflichten und seinem Kriegsruhme zu und hier erleichterte sich seine Reue theilweise, wie wohl sein Schmerz unverändert blieb. So wunderbar auch der Einfluß der Gegenwart und der Worte Antoninens auf den Gothen gewesen war, so hatten sie doch noch nicht Macht genug erlangt, um in ihm gänzlich die kriegerischen Instinkte seines Geschlechts und Volkes zu ersticken, oder die kräftigen, feindseligen Eingebungen der Erziehung und der Gewohnheit zu besiegen. Sie hatte ihn mit neuen Empfindungen begabt und zu neuen Gedanken erweckt, sie hatte alle schlummernde Sanftmuth seines Charakters zum Kampfe gegen die rohe Gleichgültigkeit, die rücksichtslose Energie aufgerufen, welche Lehre und Beispiel bisher seinem Herzen zur zweiten Natur gemacht hatten. Sie hatte sich einen Weg in seinen Geist gebahnt, die dunkeln Stellen desselben erleuchtet, seine engen Raume erweitert, seine polierten Schätze verschönert. Sie hatte während der kurzen Stunden des Verkehrs mit ihm geschaffen und veredelt, aber seine Neigung noch nicht gänzlich von seinen alten Gewohnheiten und Anhänglichkeiten abgelenkt; sie hatte den barbarischen Kampf noch nicht seines falschen Schimmers, den kriegerischen Ruhm noch nicht seines Pomp’s entkleidet; sie hatte die Niedrigerstehenden, Intellectuellen noch nicht zu der Hohe der erhabeneren, moralischen Fähigkeiten seines Charakters heraufgezogen. Fast unparteiisch der abwechselnden streitenden Herrschaft der beiden Herren, Liebe und Pflicht, ausgesetzt, bedauerte er zugleich Antonina und hielt sich doch mechanisch an seinen alten Gehorsam gegen jene tyrannischen Forderungen der Nationalität und, des Namens fest, welche ihren Verlust herbeigeführt-hatten.
Von diesen wechselnden Bewegungen bedrückt, und eben so rath- wie trostlos, machte ihn die Untätigkeit seiner gegenwärtigen Lage äußerst niedergeschlagen. Er stand ungeduldig auf, legte seine Waffen an und suchte seinen Gedanken zu entgehen, indem er den Ort verließ, unterdessen Einflusse sie sich erhoben hatten. Der Stadt den Rücken wendend, lenkte er seine Schritte planlos durch das verwickelte Straßenlabyrinth, welches die verlassene Vorstadt bildete.
Nachdem er durch die im Besitz der gothischen Linien befindlichen Gebäude gegangen war und diejenigen erreicht hatte, welche den verödeten Feldern näher lagen, wurde der Anblick der Dinge um ihn her eindrucksvoll genug, um die Aufmerksamkeit eines Jeden, der nicht gänzlich mit anderen, wichtigeren Gegenständen der Betrachtungen angefüllt war, zu erregen.
Die Einsamkeit, welche er jetzt auf allen Seiten erblickte, war nicht die Einsamkeit des Verfalls —— die Gebäude um ihn her befanden sich in vollkommen baulichem Zustande —— es war nicht die Einsamkeit der Pest —— auf den unbetretenen Straßen lagen keine Leichen; es war nicht die Einsamkeit der Absperrung —— nirgends waren vergitterte Fenster, und nur an seltenen Stellen verschlossene Thüren zu sehen; es war die Einsamkeit der menschlichen Vernichtung. Die offenen Hallen der Theater standen leer, den Säulengängen der Kirchen näherte sich Niemand, die Bänke vor den Weinläden waren unbesetzt, auf den Verkaufstischen der Straßenbuden standen immer noch bunte Ueberbleibsel von Hausrath, die von Keinem bewacht, von Keinem gekauft wurden, Brod- und Fleischstücke —— Schätze, die bald höheren Werth für das belagerte Rom erlangen sollten, als Gold und Silber —— verfaulten hier im Freien, wie Unrath auf Düngerhaufen. Kinderspielzeug Frauenzierathen, Börsen, Geld, Liebespfänder, kostbare Manuskripte lagen auf den Wegen verstreut, von ihren verschiedenen Besitzern in der Eile ihrer plötzlichen, allgemeinen Flucht fallen gelassen und nicht weiter berücksichtigt. Jede verödete Straße verkündete verzweifelt aufgegebene Lieblingspläne, kläglich verlassene, kostbare Arbeiten, unwiederbringlich verlorene, entzückende Genüsse; selbst die Hausthiere, die Penaten der Reichen und Armen, waren fortgezogen. Sie waren entweder ihren Besitzern in die Stadt gefolgt, oder hatten sich ungehindert und unbewacht im Lande verlaufen. Palast, Bad und Circus entwickelten umsonst ihre bunte Pracht und ihre üppige Bequemlichkeit, in der Nähe ihrer leeren Hallen war nicht einmal ein umherschweifender Gothe zu sehen, denn das Heer hatte in einer Aussicht, wie es die Unterjochung Rom’s war, den Enthusiasmus seines Anführers für dessen hohe Aufgabe angenommen und gehorchte gern seinen Geboten, die Plünderung der Vorstädte zu verschieben, indem es die im Vergleich werthlosen Schätze, von denen es umgeben war und die es jederzeit erlangen konnte, verschmähte, da es fühlte, daß die reichen Besitzthümer Rom’s selbst sich jetzt ihren begierigen Händen aufthaten. Stumm und geräuschlos, unbevölkert und unverheert lagen die weitberühmten Vorstädte der größten Stadt der Welt eben so in die Nacht der Natur, wie in die Nacht des Glückes und die des Ruhmes versunken da!
So traurig und eindrucksvoll auch der sich so den Augen des jungen Gothen bietende Anblick trat, vermochte er doch nicht den mächtigen Einfluß zu schwächen, welchen die Gedanken des Abends noch auf seinen Geist übten. Wie während der vergangenen Stunden das Bild des verlassenen Mädchens die Erinnerung an die erfüllten Pflichten vermischt und sich, der Betrachtung der noch auszuführenden Gebote entgegengesetzt hatte, so verweigerte es jetzt seinen Geisteskräften jeden Eindruck von der sich um ihn her ausbreitenden einsamen Scene, welche er erblickte, ohne sie zu berücksichtigen. Während er durch die düsteren Straßen schritt, beherrschten ihn immer noch seine vergeblichen Kümmernisse und Selbstanklagen, seine natürlichen Neigungen und angeeigneten Anhänglichkeiten und stritten in ihm eben so eifrig und unablässig, wie in den ersten Augenblicken, wo sie sich mit dem Abend während seines Verweilens auf der Terrasse des einsamen Hauses erhoben hatten.
Er war jetzt zur äußersten Grenze der Gebäude in den Vorstädten gelangt, vor ihm lag eine ununterbrochene Aussicht auf ebene, schimmernde Felder und weiche, nebelige, undurchdringliche Wälder. Auf der einen Seite befanden sich Weinberge und zu Häusern gehörende Gärten, auf der andern ein einzelnes Haus, das äußerste von Allen in seiner unmittelbaren Nähe. So finster und verödet es auch aussah, betrachtete er es doch eine Zeitlang mit der mechanischen Aufmerksamkeit eines Mannes, der mehr mit seinen Gedanken als seinen Beobachtungen zu thun hat —— er näherte sich ihm allmälig in der brütenden Zerstreuung seiner Reflexionen und blieb, ohne es selbst zu bemerken, vor der niedrigen Reihe unregelmäßiger Stufen, welche zur Eingangsthür hinaufführten, stehen.
Durch die plötzliche Nähe an dem Gegenstande, zu welchem er unwissentlich herangekommen war, aus seinem Sinnen aufgeschreckt, betrachtete er jetzt zum ersten Male die menschenleere Wohnung vor sich mit wirklicher Aufmerksamkeit.
Das Haus besaß nichts Bemerkenswerthes, außer der ungemeinen Verödung, deren Gepräge es trug, was zum Theil seiner einzelnen Lage, theilweise aber auch dem ungewöhnlichen Mangel an allen Zierathen auf der Straßenseite zu entspringen schien. Es war zu umfangreich, um die Wohnung eines Armen sein zu können, zu sehr von Prunk und Zierathen entblößt, um der Palast eines Reichen zu sein. Vielleicht hatte es einein Bürger der Mittelklasse gehört —— vielleicht auch einem mürrischen Nordländer, einem einsam lebenden Egypter, einem ränkesüchtigen Juden. Obgleich es aber an sich keinen auffallenden oder entschiedenen Charakter besaß, fühlte doch der Gothe eine räthselhafte fast unwiderstehliche Neugier, sein Inneres zu untersuchen. Er konnte sich keinen Grund für die Sache angeben, keinen Vorwand für die Handlung der Sinne, als er die vor ihm liegenden Stufen hinaufstieg. Wenn Alarich selbst plötzlich seine Rückkehr geboten, wenn Beweise unleugbarer Verrätherei um das einsame Gebäude sichtbar gewesen wären, als er die unverriegelte Thür desselben aufstieß, hätte er doch, wie er fühlte, seinen Weg fortsetzen müssen.
Im nächsten Augenblicke hatte er das Haus betreten. Das Licht fiel durch die offene Thür in den düsteren Hausgang, der Abendwind eilte seiner Spur nach, pfiff schrill und traurig zwischen den steinernen Säulen und in den verborgenen Ritzen und unbewohnten Gemächern im ersten Stock. Es war kein Lebenszeichen zu erblicken, man vernahm keinen Schritt, kein Gegenstand des Hausrathes war zu sehen. Außerhalb lagen die verlassenen Vorstädte wie eine Wüste und dieses leere Haus glich im Innern einem Grabmal denn es war zwar leichenleer, sprach aber doch mit beredter Stimme vom Tode.
Diese gruftartige einsame Halle besaß einen unerklärlichen Zauber für die Augen des Gothen. Er blieb bewegungslos am Eingange stehen und blickte träumerisch in die düstere, leere Räumlichkeit vor ihm, bis ein heftiger Windstoß plötzlich die äußere Thür weiter zurückwarf und zu gleicher Zeit einen stärkeren Lichtstrom einließ.
Das Haus war nicht leer. In einer Ecke des Hausgangs, die bisher in Dunkelheit versunken gewesen war, kauerte eine schattenartige Gestalt. Sie war in ein dunkles Gewand gehüllt und zu einer unerklärlichen und ungewöhnlichen Form zusammengesunken. Das Einzige an ihr, was verrieth, daß es ein menschliches Wesen war, bestand in einer weißen Hand, welche die schwarze Draperie zusammenhielt und im kalten Mondlichte fast einen gespenstischen Kontrast mit derselben bildete.
Unbestimmte Erinnerungen an den Aberglauben der alten Religion seines Volkes zogen beim ersten Anblicke des gespensterartigen Bewohners der Halle durch die Erinnerung des jungen Gothen. Als er in gefesselter Aufmerksamkeit vor der bewegungslosen Gestalt stand, begann sie bald denselben seltsamen Einfluß auf seinen Willen zu üben, welchen schon das einsame Haus gehabt hatte. Er schritt langsam auf die niedergekauerte Gestalt zu;
Das räthselhafte Wesen machte bei dem Geräusch seines Näherkommens keine Bewegung, die blasse Hand hielt immer noch mit derselben starren Unbeweglichkeit den Mantel über der zusammengesunkenen Gestalt, so tapfer er auch war, schauderte Hermanrich doch, als er sich niederbeugte und die blutleeren, eisigen Finger berührte. Bei dieser Berührung sprang die Gestalt, wie von einem elektrischen Funken getroffen, plötzlich auf.
Als die Falten des dunkeln Mantels zurücksanken, zeigte sich ein Gesicht, dessen Farbe eben so bleich war, wie die der steinernen Säulen ringsumher und die Stimme des einsamen Wesens wurde hörbar und sprach in leisen, eintönigen Klängen die Worte:
»Er hat mich vergessen und verlassen! —— tödte mich, wenn Du willst! — ich bin zum Sterben bereit!«
So gebrochen und tonlos sie auch war, ließ sich doch in dieser Stimme noch eine Spur von ihrem alten Wohllaut erkennen, strahlte in jenem ausdruckslosen, matten Auge doch noch etwas von der ihm innewohnenden Milde. Mit einem plötzlichen Rufe des Mitleids und der Ueberraschung that der Gothe einen Schritt vorwärts, richtete die zitternde Ausgestoßene in seinen Armen auf, verließ das einsame Gebäude, stand im nächsten Augenblicke im Freien unter dem Sternenhimmel und war wieder mit dem Schützling, welchen er verlassen, mit Antoninen, die er verloren hatte, vereinigt.
Er redete ihr zu, liebkoste sie, flehte sie um Verzeihung an, versicherte sie seiner künftigen Fürsorge, aber sie antwortete weder, noch erkannte sie ihn. Sie blickte kein einziges Mal in sein Gesicht aus, bewegte sich nicht in seinen Armen, bat nicht um Gnade. Sie gab kein Zeichen von Leben oder Besinnung, außer daß sie in regelmäßigen Zwischenräumen mit stöhnender Stimme rief:
»Er hat mich vergessen und verlassen!« als ob dieser eine Ausruf für sie zugleich das Geständniß der Nutzlosigkeit ihres Lebens und ihre Wehklage um ihren erwarteten Tod umfasse.
Das Gesicht des Gothen erbleichte bis an seine Lippen. Er begann zu fürchten, daß ihre Geisteskräfte so vielen Prüfungen unterlegen seien. Er eilte mit zitternden, ungewissen Schritten mit ihr dem Freien zu, denn er hegte eine träumerische, instinktmäßige Hoffnung, daß der Anblick jener Wälder und Felder und Berge, welche sie ihm bei ihren früheren Bitten um Schutz gepriesen hatte, jetzt durch ihren Anblick das Bewußtsein des Mädchens wiederherstellen könnten.
Er lief vorwärts, bis er die Vorstadt wenigstens eine Viertelstunde weit hinter sich und eine Anhöhe erreicht hatte, die auf beiden Seiten durch hohe beraste Abhänge und Baumgruppen begrenzt war und eine schmale, aber doch wechselvolle Aussicht auf das Thalgelände unterhalb und die jenseits desselben ausgebreiteten fruchtbaren Ebenen gestatten.
Hier hielt der Krieger mit seiner Bürde an, setzte sich auf den Rasen und versuchte von Neuem die fortdauernde Verwirrung und Furcht des Mädchens zu beseitigen. Er dachte nicht an seine Wachen, die er verlassen hatte —— an seine Abwesenheit von den Vorstädten, die durch einen unerwarteten Besuch seiner Vorgesetzten im Lager in seinem verlassenen Quartiere wahrgenommen und bestraft werden könne. Der sociale Einfluß, welcher die Welt beherrscht, das Götterbild, an dessen Altar der Stolz sich beugen und die Gefühllosigkeit empfinden lernt, der milde, liebliche Einfluß, der natürlichen, ewigen Regel —— der Einfluß des Weibes, die Quelle der Tugenden, wie der Verbrechen, der irdischen Herrlichkeit, wie des irdischen Unglückes, hatte in diesem Augenblicke der Pein und Erwartung in ihm die Stimme der Pflicht zum Schweigen gebracht und alle aus seinen selbstsüchtigen Gedanken hervorgehenden Hindernisse überwunden. Er sprach jetzt zu Antoninen so lockend, wie ein Weib, so sanft, wie ein Kind. Er liebkoste sie so warm, wie ein Liebhaber, so heiter, wie ein Bruder, so gütig, wie ein Vater —— er, der rauhe, nordische Krieger, der nur zu den Waffen erzogen worden war und dessen jugendliche Bestrebungen man aus Kampf und Blutvergießen und Ruhm gelenkt hatte, selbst er war jetzt mit der zarten Beredtsamkeit des Mitleids und der Liebe, mit geschickter, Alles berücksichtigender Fürsorge —— mit ruhiger, ausdauernder Geduld begabt! Sanft und unablässig fuhr er in seiner beschwichtigenden Aufgabe fort und bald erblickte er zu seiner Freude und seinem Triumph die nahe Belohnung seiner Versuche in der langsamen Veränderung, welche allmälig im Gesicht und Wesen des Mädchens wahrnehmbar wurde. Sie richtete sich in seinen Armen auf, blickte fest, aber ohne ihn zu kennen, in sein Gesicht und dann um sich auf die helle, stille Landschaft, dann wieder aufmerksamer auf ihren Gefährten und flüsterte endlich, heftig erhebend, leise, zu mehreren Malen den Namen des jungen Gothen, indem sie ihn ängstlich und furchtsam aufschaute, als ob sie ihn fürchte und an ihm zweifle, während sie ihn wieder erkannte.«
»Du führst mich zu meinem Tode,« rief sie plötzlich, »Du, der mich einst beschützt —— Du, der mich verlassen hat —— Du verlockst mich in die Gewalt des Weibes, welches nach meinem Blute dürstet, —— o es ist entsetzlich —— entsetzlich!«
Sie schwieg, wendete ihr Gesicht ab, schauderte heftig und machte sich aus seinen Armen los; nach einer Pause fuhr sie fort:
»Den langen Tag hindurch und den kalten Abend habe ich an dem einen einsamen Orte, auf den mir bevorstehenden Tod gewartet! Ich habe meine Stunden der Erwartung ohne Klage erlitten, ich habe mit geringer Furcht und ohne Schmerz auf das Nahen meiner Feindin gelauscht, die geschworen hat, mein Blut zu vergießen! Ich habe Keinen, der mich liebt, bin ein Fremdling im Lande meines eignen Volkes und besitze nichts, wofür ich leben möchte! Aber es ist ein bitterer Schmerz für mich, in Dir den Vollstrecker meines Urtheils zu erblicken, durch die Hand Hermanrich’s dem Erbtheil des Lebens entrissen zu werden, welches zu bewahren ich so lange gerungen habe.«
Ihre Stimme hatte beim Aussprechen dieser Worte eine eindrucksvolle Schwäche und Wehmuth des Tones angenommen, ihre ruhigen, trüben Klänge verkündeten fast göttliche Resignation und Betrübniß, sie schienen zu einer geheimnißvollem unerklärlichen Harmonie mit der wehmüthigen Stille der Nachtlandschaft gestimmt zu sein. Als sie jetzt dastand und mit blassem, ruhigem Gesicht und sanften, thränenlosen Augen in den Himmel aufblickte, dessen Mondstrahlen weich ihre Gestalt beschienen, konnte kaum die das Nahen ihres Engelsboten erwartende heilige Jungfrau mit einer reineren, einfacheren Schönheit geschmückt gewesen sein, als diejenige, welche jetzt auf den Zügen des von Numerian verstoßenen Kindes thronte.
Seiner Bewegung nicht länger Herr, mit Ehrfurcht, Schmerz und Verzweiflung erfüllt, als er auf das Opfer seines herzlosen Unmuths blickte, beugte sich Hermanrich zu den Füßen des Mädchens nieder und flehte mit den leidenschaftlichen Tönen echter Reue um Verzeihung, indem er sie seines Schutzes und seiner Liebe versicherte. Alles, was der Leser bereits erfahren hat, die bitteren Selbstvorwürfe des Abends, die bekümmerten Wanderungen der Nacht, die geheimnißvolle Anziehungskraft, welche ihn zu dem einsamen Hause geführt hatte, seine Freude, als er wieder seinen verlorenen Schützling —— entdeckte, alle diese Bekenntnisse schüttete er jetzt in der ungeschminkten Beredtsamkeit tief innerlicher Bewegung und wahrer Bekümmerniß aus.
Allmälig erwachte Antonina beim Vernehmen seiner Worte überrascht aus ihrer Zerstreuung. Der Ausdruck seines Gesichts und das Innige seines Wesens wirkte, mit dem instinktmäßigen Scharfsinn ihres Geschlechts und ihrer Lage betrachtet, mit freundlichem, heilendem Einflusse auf ihren Geist. Sie schrak plötzlich auf, eine helle Röthe flog über ihre farblosen Wangen, sie beugte sich nieder und blickte ernst und forschend in das Gesicht des Gothen. Ihre Lippen bewegten sich, aber ihre schnellen, convulsivischen Athemzüge erstickten die Worte, welche sie vergebens zu bilden versuchte.
»Ja,« fuhr Hermanrich, aufstehend und sie wieder an sich ziehend, fort, »Du sollst nie wieder trauern, nie wieder fürchten, nie wieder weinen! Obgleich Du Deinen Vater verloren hast und die Leute Deines Volkes Dir fremd geworden sind, obgleich Du bedroht und verstoßen worden bist, sollst Du doch schön, doch glücklich bleiben, denn ich werde über Dir wachen und Dir soll nie ein Leides widerfahren. Ich werde für Dich arbeiten und Du sollst nie Mangel haben. Ich will Volk und Verwandte, Ruhm und Pflicht verlassen, um Dir das Verlorene wieder zu ersetzen.«
Die jugendliche Frische und Hoffnung kehrte in das Herz des Mädchens zurück, wie Wasser in die lange versiegte Quelle, als der junge Krieger innehielt. Die Thränen standen in ihren Augen, aber sie seufzte weder, noch sprach sie. Ihr ganzer Körper bebte im Uebermaß ihres Erstaunens und Entzückens, während sie ihn anblickte und zu lauschen fortfuhr, als er weiter sprach:
»Fürchte also nichts mehr für Deine Sicherheit. Goiswintha, vor der Du Dich entsetzest, ist fern von uns. Sie weiß nicht, daß wir hier sind, sie kann jetzt unsere Schritte nicht mehr verfolgen, um Dir zu drohen oder weh zu thun. Denke nicht mehr daran, wie Du gelitten hast und ich gesündigt habe! Denke nur, wie bitter ich die Trennung des Morgens bereuet und wie freudig ich die Begegnung des Abends bewilllommne. O Antonina, Du bist mit wunderbarer Lieblichkeit bekleidet, Du besitzest eine vervollkommnete Jugend, die nichts vom Kinde an sich hat. Deine Worte sinken mit dem Wohlklange eines Liedes aus alter Zeit in meine Ohren, es ist wie ein Traum von den Geistern, die meine Väter anbeteten, wenn ich aufblicke und Dich an meiner Seite sehe.«
Ein aus Verwirrung, Freude und Ueberraschung gemischter Ausdruck zog über das halbabgewendete Gesicht des Mädchens, während es dem Gothen zuhörte. Antonina erhob sich mit einem Lächeln unnennbarer Dankbarkeit und Entzückung und deutete auf die vor ihnen liegende Aussicht, während sie leise entgegnete:
»Laß uns etwas weiter gehen, bis dahin, wo der Mond unten die Wiese bescheint. Das Herz will mir an diesem schattigen Orte zerspringen. Laß uns das Licht dort aufsuchen es scheint glücklich zu sein wie ich.«
Sie schritten weiter und unterwegs erzählte sie ihm wieder von den Kümmernissen des vergangenen Tages, von ihrem einsamen und verzweifelten Wege von seinem Zelte nachdem alleinstehenden Hause, wo er sie am Abend gefunden, und wo sie sich von Anfang an darein ergeben hatte, einen Tod zu erwarten, der zu der Zeit wenig Schreckliches für sie besaß. In dieser Erneuerung ihrer traurigen Geschichte lag keine Spur von Vorwurf oder von Klage. Es geschah nur um sich von Neuem an den entzückenden Ausdrücken der Reue und Hingebung zu erquicken, welche dieselbe, wie sie wußte, von Hermanrich’s Lippen locken würde, daß sie jetzt daran dachte, nochmals die Geschichte ihrer Schmerzen an ihn zu richten.
Während sie immer weiter gingen, während das Mädchen der rauhen, glühenden Beredtsamkeit der Sprache des Gothen lauschte, während es auf die stille Landschaft und den milden, durchsichtigen Nachthimmel blickte, gewann ihr Geist, der selbst unter dem Drucke der heftigsten Gefühle stets elastisch, stets bereit gewesen war, seine gewohnte gesunde Stimmung und Hoffnung wieder zu erlangen, von Neuem seine frühere Spannkraft und nahm sein gewohntes Gleichgewicht wieder an.
Von Neuem begann sich ihr Gedächtniß mit seinen geliebten Erinnerungen zu erfüllen, und ihr Herz sich seiner unschuldigen Wünsche und visionären Gedanken zu erfreuen. Trotz aller ihrer Befürchtungen und Leiden schritt sie jetzt dahin mit einem Charakter gesegnet, den der Schmerz nicht lange verdunkeln und die Vernachlässigung nicht zu verzerren vermochte, immer noch so glücklich in sich selbst, auch jetzt so vergeßlich für ihre Vergangenheit, so hoffnungsvoll für ihre Zukunft, wie an jenem ersten Abende, wo wir sie in ihres Vaters Garten zu den Klängen ihrer Laute singen hörten. Unmerklich, wie sie vorwärts gingen, waren sie vom Wege abgeschweift, hatten einen Nebenpfad betreten und standen jetzt vor einem Thore, das zu einem kleinen von Gärten und Weinbergen umgebenen Bauernhause führte, welches gleich den Vorstädten, aus denen sie so eben kamen, beim Herannahen der Gothen von seinen Bewohnern verlassen worden mir. Sie schritten durch das Thor, gelangten auf den Rasenplatz vor dem Hause und blieben einen Augenblick stehen um sich umzuschauen.
Die Gothen hatten bereits die Wiesen ihres Grases und die jungen Bäume ihrer Aeste beraubt, um ihre Pferde damit zu füttern, hierauf aber hatte sich die Zerstörung des kleinen Gutes beschränkt. Das Haus mit seinem netten Strohdache und seinen Fensterläden von buntem Holze, der Garten mit seinem kleinen Vorrathe von Obst und seinen sorgfältig gepflegten Beeten seltener Blumen, die wahrscheinlich dazu bestimmt gewesen waren, die festliche Tafel eines Adeligen oder die Statue eines Märtyrers zu zieren, hatten für den rohen Geschmack der Soldaten Alarich’s keine Lockung geboten.
Auf dem Rasen vor der Hausthür war keine Fußspur zu sehen, der Epheu rankte sich in seiner gewohnten Ueppigkeit um die Säulen der niedrigen Hausthür und als Hermanrich und Antonina nach dem Fischteiche am Ende des Gartens schritten, schwammen die wenigen Wasservögel welche die Besitzer des Bauernhauses dorthin gesetzt hatten, auf das Ufer zu, wie um in ihrer Einsamkeit den Anblick einer menschlichen Gestalt zu bewillkommnen.
Weit entfernt davon, Traurigkeit zu erwecken, lag etwas Beschwichtigendes und Anziehendes in der Einsamkeit des verlassenen Bauernhauses Seine verheerten Wirthsschaftsgebäude und abgegrasten Wiesen, die bei Tage hätten den Eindruck der Verödung hervorbringen können, waren durch die Atmosphäre der Nacht so in die Ferne gelegt, gemildert und verdunkelt, daß sie keinen Mißton mit der herrschenden Glätte und Ueppigkeit der umgebenden Landschaft bildeten. Als Antonina die erleuchteten Felder und beschatteten Haine hier gemischt, dort einander folgend sich weithin erstrecken sah, bis sie sich an die fernen Berge schlossen, sprach die beredte Stimme der Natur, deren Zuhörer das menschliche Herz und deren Thema die ewige Liebe ist, begeisternd zu ihren aufmerksamen Sinnen. Sie streckte ihre Arme aus, während sie mit festem entzückten Blicke auf die lichte Aussicht schaute, als sehne sie sich ihre Schönheiten in eine einzige lebende Gestalt, —— in einen Geist ausgelöst zu sehen, der menschlich genug wäre, um angeredet, und sichtbar genug, um angebetet werden zu können.
»Du schöne Erde!« murmelte sie leise vor sich hin, »Deine Berge sind die Markthürme der Engel, Dein Mondenlicht ist der Schatten Gottes!«
Ihre Augen erfüllten sich mit schimmernden, glücklichen Thränen, sie wendete sich Hermanrich zu, der in ihre Beobachtung versunken dastand und fuhr fort:
»Ist es Dir nie eingefallen, daß Licht und Luft und Blumenduft Ueberbleibsel von den Schönheiten des Paradieses enthalten könnten, die mit Eva entstehen, als sie in die einsame Welt hinauswandern? Sie glühten und athmeten für das Weib und dieses lebte und war in ihnen schön! Sie waren mit einander verbunden wie der Sonnenstrahl mit der Erde, die er erwärmt, und konnte sie das Schwert des Cherubs so plötzlich scheiden? Verschlossen, als Eva hinaus ging, die hinter ihr zufallenden Thore alle Schönheit, die sich an sie geschmiegt und um sie erhoben und geglänzt hatte, in dein leeren Paradiese? Stahl sich ihr kein Strahl ihres heimischen Lichtes in die öde Welt nach? Blieb kein Eindruck von den verlorenen Blumen auf dem Busen, an den sie einst gedrückt worden sein mußten, zurück? Es kann nicht sein. Ein Theil ihrer Besitzthümer des Paradieses müssen ihr mit einem Theile ihres Lebens gelassen worden sein. Sie muß die freudenleere Luft der Erde, als sie dieselbe betrat, mit einem Hauche der duftigen Winde und einem Strahle des Sonnenscheines ihres verlorenen Paradieses veredelt haben! Sie müssen sich verstärkt haben, und strahlender geworden sein und müssen sich. jetzt mit dem langsamen Verlaufe sterblicher Jahre immer noch verstärken und strahlender werden, bis sie zu der Zeit, wo die Erde selbst ein Paradies sein wird, wieder mit der verborgenen Welt der Vollkommenheit, von welcher sie noch getrennt sind, Eines gemacht werden. Seht, wo ich auf die Landschaft hinausblicke, besitzt das Licht, welches ich erschaue, in sich also einen Schimmer vom Paradiese und die Blume, welche ich hier pflücke, einen Hauch des Duftes, welcher einst die Sinne meiner Urmutter Eva erfreute.«
Wiewohl sie hier inne hielt, als ob sie eine Antwort erwarte, bewahrte der Gothe dennoch ein ununterbrochenes Schweigen. Er war weder durch seine Natur, noch durch seine Lage befähigt, die wilden Phantasien und hochfliegenden Gedanken zu theilen, welche durch die Einwirkungen der Außenwelt aus ihrer Verborgenheit in Antoninens Herzen hervorgelockt wurden.
Das Räthselhafte seiner gegenwärtigen Lage, seine dunkle Erinnerung an die Pflichten, welche er versäumt, die Ungewißheit seines künftigen Schicksals, die Gegenwart des einsamen Wesens, welches so unzertrennlich mit Seien vergangenen Empfindungen und seiner künftigen Existenz verknüpft war und das ihn durch sein Geschlecht, sein Alter, sein Aeußeres, sein Unglück und seine Geistesgaben so seltsam anzog —— Alles dies trug dazu bei, seine Geistesfähigkeiten in Verwirrung und Ungewißheit zu bringen. Goiswintha, das Heer, die belagerte Stadt, die verlassenen Vorstädte schienen ihn wie ein Kreis von schattenhaften, drohenden Urtheilssprüchen einzunehmen und mitten in ihnen stand die junge Römerin mit ihrem beredten Antlitz und ihren begeisternden Worten, um ihn, wohin, wußte er selbst nicht, zu treiben und ihn, ohne daß er zu sagen vermochte wie, zu lenken.
Antonina legte unwillkürlich das Schweigen ihres Gefährten als Wunsch aus, die Seene und den Gesprächsgegenstand zu verändern und ging, nachdem sie noch einen Augenblick bei der Aussicht vom Garten her verweilt, wieder nach dem unbewohnten Hause voran. Sie nahmen das hölzerne Vorlegeschloß von der Thür des Gebäudes und traten, durch die Strahlen des Mondes geleitet, in das Hauptgemach desselben.
Die einfachen Zierathen des kleinen Zimmers waren ungestört geblieben und verliehen demselben, so undeutlich sie jetzt auch sichtbar wurden, in den Augen der Fremden dasselbe Aussehen bescheidenen Wohlstandes, welcher es einst wahrscheinlich seinen vertriebenen Bewohnern theuer gemacht hatte. Als sich Hermanrich neben Antoninen aus das einfache Ruhebett setzte, welches das Hauptmöbel des Zimmers bildete, und aus dem Fenster auf dieselbe Naturscene blickte, welche sie im Garten vor sich gehabt hatten, begann die zauberische Stille und Neuheit der Situation jetzt auch sein langsames Wahrnehmungsvermögen zu berühren, wie es schon früher auf den gebildeteren, empfindlicheren Geist des gedankenvollen Mädchens gewirkt hatte. Neue Hoffnungen und ruhige Gedanken erhoben sich in seinem jungen Geiste und ertheilten seinen Ausdrücken eine ungewohnte Sanftheit, seiner Stimme eine ungewohnte Weichheit, als er seine jetzt schweigsame Gefährtin anredete.
»Sage mir, Antonina, würde nicht Dein Glück vollkommen sein, wenn Du ein Haus hättest, wie dieses, mit diesem Garten, mit jener Aussicht, ohne Krieg, ohne strenge Lehrer, ohne drohenden Feind, und dabei Gesellschaft und Beschäftigungen, die Du liebst, besäßest?«
Als er sich nach dem Mädchen umsah, um dessen Antwort zu hören, bemerkte er, daß sich ihr Gesicht verändert hatte. Der frühere Ausdruck tiefen Kummers war wieder auf ihre Züge zurückgekehrt, ihre Augen waren auf den kurzen Dolch geheftet, welcher über die Brust des Gothen herabhing und der plötzlich eine Reihe trüber, unwillkommener Gedanken in ihr erweckt zu haben schien. Als sie endlich sprach, geschah es mit trüber, veränderter Stimme und einem aus Resignation und Verzweiflung gemischten Ausdruck.
»Du mußt mich verlassen, —— wir müssen uns wieder trennen,« sagte sie; »der Anblick Deiner Waffen hat mich an Alles erinnert, was ich bis jetzt vergessen, an Alles, was ich in Rom und was Du vor den Stadtmauern zurückgelassen hast. Einst glaubte ich, daß wir zusammen der uns umgebenden Verwirrung und Gefahr hätten entfliehen können, aber jetzt weiß ich, daß es besser ist, wenn Du Dich entfernst. Ach, meine Hoffnungen und mein Glück sind verschwunden, ich muß wieder allein bleiben!«
Sie hielt einen Augenblick inne, bemühte sich, ihre Selbstbeherrschung wieder zu erlangen, und fuhr dann fort:
»Ja, Du mußt mich verlassen und auf Deinen Posten vor der Stadt zurückkehre, denn am Tage des Sturmes wird, außer Dir, Niemand da sein, der für meinen Vater sorgt. Ehe ich weiß, daß er gerettet ist, ehe ich ihn wieder sehen und um Verzeihung und um Liebe anflehen kann, wage ich es nicht, mich aus der gefahrvollen Nähe Roms zu entfernen. Kehre also zu Deinen Pflichten und Deinen Kameraden und Deinen kriegerischen Beschäftigungen zurück und vergiß, wenn die Stadt gestürmt wird, weder Numerian noch Antoninen, die auf dem einsamen Felde zurückbleibt, um an Dich zu denken.«
Sie stand auf, wie, um das Beispiel zur Entfernung zu geben, aber Kraft und Entschlossenheit verließen sie und sie sank wieder, ohne weiter eine Bewegung machen oder ein Wort sprechen zu können, auf das Ruhebett zurück.
Heftige, streitende Bewegungen zogen durch das Herz des Gothen. Die Worte des Mädchens hatten die Erinnerung an seine halbvergessenen Pflichten belebt und den verschwindenden Einfluß seiner alten Erziehungs- und Stammesneigungen verstärkt. Sowohl sein Gewissen, wie seine Wünsche verhinderten ihn jetzt ihre dringende, unselbstsüchtige Bitte zu bekämpfen. Er verharrte einige Minuten lang in Ueberlegung, stand dann auf und blickte aus dem Fenster und sodann auf Antoninen und das Zimmer, in welchem sie sich befanden. Endlich näherte er sich, wie von einem plötzlichen Entschlusse belebt, wieder seiner Gefährtin und sprach:
»Es geziemt mir, zurückzukehren; ich werde Dein Gebot erfüllen und nach dem Lager gehen, aber nicht vor Anbruch des Tages, während Du, Antoninen, hier verborgen und sicher zurückbleibt. Hier kann Dich Niemand stören. Die Gothen werden die bereits ihrer Vorräthe entkleideten Felder nicht wieder besuchen, der Landmann, welchem diese Wohnung gehört, ist in der belagerten Stadt festgehalten, die, Bauern des platten Landes wagen es nicht, dem feindlichen Heere so nahe zu kommen und Goiswintha, die Du fürchtest, kennt nicht einmal die Existenz eines Zufluchtortes wie dieser. Hier wirst Du zwar einsam, aber sicher sein, hier kannst Du meine Rückkehr erwarten, wenn mir die Nacht Gelegenheit giebt, mich aus dem Lager zu entfernen, und hier werde ich Dir im Voraus mittheilen, wenn die Stadt einem Sturme anheimfallen soll. Du wirst zwar einsam, aber nicht verlass en bleiben —— wir werden nicht von einander geschieden sein. Ich werde oft zurückkehren, um Dich zu sehen und Deinen Worten zu lauschen und Dich zu lieben! Du wirst hier an diesem einsamen Orte glücklicher sein, als in der früheren Heimath, welche Du durch den Zorn Deines Vaters verloren hast.«
»O, ich werde gern bleiben —— ich werde Dich mit Freuden erwarten!« rief das Mädchen, seine strahlenden Augen zu Hermanrich’s Gesicht erhebend. »Ich werde nie wieder traurig zu Dir sprechen, ich werde Dich nie wieder an das, was ich gelitten und verloren habe, erinnern! Wie barmherzig warst Du gegen mich, als ich Dich zum ersten Male in Deinem Zelte sah, wie doppelt barmherzig bist Du hier gegen mich! Ich bin stolz, wenn ich auf Deine Größe und Deine Kraft, und. Deine schweren Waffen blicke, und daß es Dir Freude macht, bei mir zu bleiben, daß Du meinem Vater beistehen wirst, daß Du aus Deinem glänzenden Lager nach diesem Hause, wo ich bleibe, um Dich zu erwarten, zurückkehren wirst. Schon habe ich alles Weh, was mit begegnete, vergessen, schon bin ich freudiger, als ich je in meinem Leben war. Sieh, ich weine nicht nicht vor Kummer. Wenn auf meinen Wangen Thränen stehen, so sind es die Thränen der Freude, welche Jeder willkommen heißt, Thränen über die man singen und jubeln muß.«
Sie schwieg plötzlich, als ob Worte nicht im Stande seien, ihr neues Entzücken auszusprechen. Alle düsteren Empfindungen, welche sie erst vor Kurzem noch bedrückt hatten, waren jetzt völlig verschwunden und das junge, frische Herz hüpfte, immer noch über Verzweiflung und Schmerz erhaben, wieder so glücklich in der ihm natürlichen Freudenatmosphäre, wie ein Vögelchen im Sonnenschein des Morgens und Frühlings.
Wie mild und leicht gingen dann, als nach einer Pause ihre frühere Ruhe zurückgekehrt war, die stillen Stunden der Nacht an den beiden Wachenden im einsamen Hause vorüber! Wie froh enthüllte das glückliche Mädchen seine verborgenen Gedanken und seine unschuldigen Geständnisse dem Sohne eines andern Volkes und anderer Eindrücke, als der ihrigen! Alle die verschiedenartigen Ideen, welche durch die Naturgegenstände, die sie insgeheim erforscht, durch den gewaltigen Bilderreichthum ihrer Bibelkenntniß, durch die düsteren Geschichten von heiligen Visionen und Märtyrerleiden, die sie an der Seite ihres Vaters gelernt und überdacht, in ihrem Geiste erweckt wurden, kamen jetzt aus ihren geheimen Orten in ihrem Gedächtnisse hervor und drangen in das Ohr des Gothen, Wie das Kind mit der Geschichte seines ersten Spielzeugs zu seiner Wärterin eilt, wie das Mädchen sich mit dem Geständnisse seiner ersten Liebe an die Schwester wendet, wie der Dichter mit dem Plane seines ersten Werkes zum Freunde geht, so suchte Antonina die Aufmerksamkeit Hermanrich’s mit den ersten äußerlichen Offenbarungen, welche ihre Geisteskräfte genossen und dem ersten Geständnisse der in ihrem Herzen freigewordenen Empfindungen auf.
Je länger ihr der Gothe zuhörte, desto vollkommener wurde der Zauber ihrer halb dichterischen Worte und ihrer fast der Musik gleichenden Stimme. Während ihre leisen, wechselnden Töne sich in sein Ohr schlichen, wendeten sich seine Gedanken plötzlich und instinktmäßig ihren früher mitgetheilten Erinnerungen an ihre verlorene Laute zu und regten ihn an, sie mit erneutem Antheil und erhöhter Lebhaftigkeit nach der Art zu fragen, wie sie ihre Kenntniß des Singens, welche sie, wie sie sagte, besaß, erlangt habe.
»Ich habe viele Lieder vieler Dichter gelernt,« sagte sie schnell und verwirrt, indem sie die Erwähnung Vetranio’s vermied, welche eine direkte Antwort auf Herrnanrich’s Frage hätte herbeiführen müssen; »aber ich weiß davon nur die vollständig, die von Geistern und andern Welten und der unsichtbaren Schönheit handeln, an die wir denken, die wir aber nicht wahrnehmen können. Unter den wenigen derartigen, die ich kenne, befindet sich eines, welches ich zuerst gelernt habe, und das ich am meisten liebe. Ich will es singen, damit Du sicher sein kannst, daß ich Dir in meiner versprochenen Kunst nicht ermangeln werde.
Sie zauderte einen Augenblick, wehmüthige Erinnerungen an die Ereignisse, welche den letzten Worten, die sie im Garten ihres Vaters gesungen hatte, gefolgt waren, schwellten in ihrem Innern an und gestatteten ihr nicht zu reden. Bald jedoch erlangte sie ihre Fassung wieder und begann mit leisem behenden Tönen, die mit dem Charakter der Worte und der Melodie, die sie gewählt hatte, im Einklang standen, zu singen.
Sie sang von der Thräne und ihrer Sendung:
»Die Mutter, die Freude, der Vater, der
Schmerz,
»Der Wohnort der Thräne ist jegliches Herz;
»Was
immer das Inn’re des Menschen bewegt,
»Das wird an den Tag von
der Thräne gelegt.
»Im Himmel geboren, zur Erde verbannt,
»So
wandert sie jetzt noch von Lande zu Land
»Besel’gend,
erleichternd bei Jedem der weint,
»Die Thrän’ als willkommene
Freundin erscheint.«
Die ersten Minuten nachdem sie geschlossen hatte, wußte Hermanrich kaum, daß sie zu Ende war, und als sie zu ihm aufblickte, hatte ihre stumme Bitte um Beifall eine Beredtsamkeit, welche für den Gothen in diesem Moment durch jedes Wort geschmälert worden sein würde. Entzücken, Begeisterung und neues Leben regte sich in seinem Innern, die Stunde und der Ort vollendeten, was der Zauber des Liedes begonnen hatte. seine Augen glühten jetzt von südlicher Wärme, seine Worte nahmen jetzt eine römische Gluth an. Allmälig wurde die Stimme des Mädchens weniger häufig vernehmbar. Eine Verwandlung kam über ihren Geist, aus der Lehrerin wurde eine Schülerin.
Während sie dem Gothen zuhörte, während sie bei seinen Worten die Geburt neuer Gefühle empfand, glühten ihre Wangen, erleuchteten sich ihre Züge, schien sich ihre ganze Gestalt zu erfrischen und zu entfalten. Kein sich aufdrängender Gedanke, keine erwachende Erinnerung störte ihre verzückte Aufmerksamkeit, kein kalter Zweifel, kein düsteres Zaudern war in den Worten ihres Gefährten zu bemerken. Die Eine lauschte, der Andere sprach mit ganzem Herzen, mit ungetheilter Seele. Während eine Weltrevolution ihre Organkräfte um sie her concentrirte, während die Hauptstadt eines Kaiserreichs bereits ihrem ungeheuren Falle zuschwankte, während Goiswintha auf neue Rache sann, während Ulpius sich für seine Revolution, voll Blut und Verderben, abmühte, während alle diese dunkeln Bestandtheile des öffentlichen Unglücks und des Privatkampfes um sie her wallten und sich verstärkten, konnten sie in sich versunken die stürmische äußere Welt so völlig vergessen, konnten Sie so heiter an eine ruhige Liebe denken, konnte der Kuß so leidenschaftlich gegeben und so zärtlich erwidert werden, als ob sie das Loos ihres Lebens in die stillen Tage der Hirtendichter versetzt hätte, und die Zukunft ihrer Pflichten und Freuden sie sicher in einem Lande ewigen Friedens erwarte.