Antonina oder der Untergang Roms



Band 3

Zweites Buch.

O promesse! o manace! o ténébreux mystére!

ou sont les traits, que tu lances,
Grand-Diu, dans ton juste Courroux?
N’es-tu plus le Dieu jaloux?
N’es—tu plus le Dieu des vengeances?
Racine.

Kapitel I.
Das Grab und das Lager.

Während sich die zweite und letzte Gesandtschaft des Senats nach dem Zelte des Gothenkönigs begibt, während die Straßen Roms außer den Todten von Allen verlassen sind und die lebende Einwohnerschaft sich in sprachloser Erwartung hinter den Schranken des Pincischen Thores zusammengedrängt hat, haben wir Gelegenheit unsern Blick einem Orte zuzuwenden, von welchem er lange entfernt gewesen ist, einen Besuch in dem Bauernhause der Vorstadt zu machen und nochmals das Grab Hermanrich’s zu betrachten.

Die Stille des hellen warmen Tages ist um den abgelegenen Pfad, der zu dem kleinen Gebäude führt, am reinsten. Hier steigt der Duft wilder Blumen er quickend von dem wallendem Grase auf, das einschläfernde monotone Summen des Insektenlebens durchzieht die laue, ruhige Luft, die hier und da von den dicht belaubten Bäumen aufgefangenen Sonnenstrahlen fallen in unregelmäßigen hellen Flecken auf den schattigen Boden, und außer den Vögeln, die mitunter singend durch die Luft ziehen, zeigt sieh auf dem stillen Plätzchen kein lebendes Wesen, bis wir das Gitterpförtchen, welches in den Garten führt, erreichen und auf das, was im Innern desselben vorgeht, blicken. Hier zeigt sich die Gestalt eines einsamen Weibes, welches auf dem kleinen kreisförmigen Fußpfade, den seine eignen, ausdauernden Schritte bereits deutlich ausgetreten haben, langsam um den berasten Hügel wandert, welcher das Grab des Häuptlings bezeichnet.

Eine Zeitlang beschreibt sie ihren engen Kreis mit einer mechanischen Regelmäßigkeit, als, ob sich jenseits dieses schmalen Raumes eine Schranke erhebe, die sie für immer verhindere, den Fuß auf die Erde darüber hinauszusetzen. Endlich bleibt sie auf der dem Pförtchen nächsten Stelle stehen, macht einige Schritte auf dasselbe zu, geht dann wieder zurück und beginnt ihren einförmigen Gang von Neuem, worauf sie, ihre Runde wieder unterbrechend, sich endlich von den Umgebungen des Grabes losreißt, durch die Thür geht, und dem Pfade nach der Landstraße folgend, sich langsam nach den östlichen Grenzen des gothischen Lagers begibt. Der starre, gespenstische unweibliche Ausdruck ihrer Züge bezeichnet sie als dasselbe Weib, welches wir jüngst als die Meuchlerin in dem Bauernhause erblickt haben; außer dem aber ist sie kaum wieder zu erkennen. Ihr sonst kräftiger, aufrechter Körper ist gebeugt und hager, ihr Haar flattert in verwirrten weißen Locken um ihr runzelvolles Gesicht. Alle rauhe Majestät ihrer Gestalt ist verschwunden, nichts bewiese, daß es noch Goiswintha ist, die den Schauplatz ihres Verbrechens heimsucht, wenn nicht der ingrimmige Ausdruck auf ihrem Gesichte zeigte, daß das böse Herz im Innern in seinem Durst nach Vernichtung und Rache noch nicht nachgelassen hat.

Seit der Zeit, wo wir sie zum letzten mal erblickten, als sie in der Gefangenschaft der Hunnen von der Leiche ihres Verwandten fortgeführt wurde, war das Bauernhaus beständig das Ziel ihrer Wanderungen aus dem Lager, die erwählte Zufluchtsstätte gewesen, wo sie einsam über ihren rachsüchtigen Wünschen brütete.

Alarich hatte es für zu kleinlich gehalten, ein Weib, welches er für wahnsinnig hielt, die weder für das Heer, noch für ihn persönlich von Bedeutung war, wegen einer Abwesenheit von den Zelten der Gothen zu bestrafen, und sie unmuthig entlassen, als sie vor ihn geführt wurde. Die Soldaten, die zurückgekehrt waren, um die Leiche ihres Häuptlings im Garten des Bauernhauses zu begraben, fanden Mittel, sie insgeheim von der Liebesthat zu benachrichtigen, welche sie auf ihre eigne Gefahr ausgeführt hatten, über dies hinaus aber blieb Keiner von ihren früheren Gefährten weiter mit ihr im Verkehr.

Alle ihre Handlungen unterstützten den schnell gefaßten Glauben Jener, daß ihr Geist in Verwirrung gerathen sei und Andere vermieden sie, wie sie Jene vermied. Man stellte ihr täglich ihre Nahrung an einen gewissen Ort im Lager, wie einem Thiere, welches zu wild ist, um von der Hand des Menschen gepflegt zu werden, und zu gewissen Perioden kehrte sie heimlich von ihren Wanderungen zurück, um es zu holen. Ihr Obdach für die Nacht war nicht das Obdach ihres Volkes vor den Mauern, ihre Gedanken waren nicht Jener Gedanken. Verwittwet, kinderlos, freundlos, die Meuchlerin ihres letzten Verwandten, bewegte sie sich abgesondert in ihrer eignen geheimen Welt der inneren Oede, Einsamkeit und des Verbrechens.

Mit der düsteren einsiedlerischen Existenz, welche sie jetzt führte, hatte aber weder Wahnsinn noch Reue über ihren Antheil an dem Tode Hermanrich’s etwas zu schaffen. Von dem Augenblicke an, wo der junge Krieger seine Achtlosigkeit für die Feindschaft seiner Nation und das seiner Familie widerfahrene Unrecht mit dem Tode gebüßt hatte, dachte sie an ihn nur noch als ein weiteres Opfer, dessen Schmach und Verderben sie an den Römern mit römischen Blut vergelten müsse, und reifte, ihre Rachepläne mit einer finsteren Entschlossenheit, welche Zeit, Einsamkeit und körperliche Schwäche nicht zu stören vermochten.

Sie konnte stundenlang in stiller Nacht oder am hellen Mittag um das Grab des Kriegers schreiten und ihre rachsüchtigen Gedanken nähren, bis eine grimmige Freude über ihren voraussichtlichen Triumph ihre Schritte beschleunigte und ihre spähenden Augen erglänzen ließ. Dann trat sie in das Haus, zog das Messer aus seinem Versteck in ihren Gewändern und strich es langsam auf dem Heerde hin und her, wo sie den Häuptling mit eigener Hand verstümmelt hatte und vor welchem er ohne Beben den Schwertern der Hunnen entgegengetreten war. Zuweilen stand sie, wenn Finsterniß auf die Erde herabgesunken war, wie eine drohende, Unheil verkündende Erscheinung auf dem Grabe selbst und sang stöhnend in den stöhnenden Wind Bruchstücke von alten nordischen Legenden, deren Inhalt stets von Pein und Verbrechen, von Foltern in Kerkerhöhlen und Tod durch das vernichtende Schwert sprach, und vermischte mit ihnen die dunkle Geschichte von dem Gemetzel zu Aquileja, und ihre zornigen Racheschwüre gegen die Bewohner von Rom. Der Fourageur hörte, wenn er auf seinem späten Heimwege nach dem Lager an dem Bauernhause vorüber kam, die rauhen mißtönigen Klänge ihres Gesanges und beschleunigte seinen Schritt. Der dreiste Bauer des platten Landes, der sich unter dem Schleier der Nacht näherte, um aus der Ferne auf das gothische Lager zu blicken, sah, wenn er in die Gegend des Gartens kam, ihre schattenhafte drohende Gestalt und floh erschreckt die unheimliche Stätte. Weder Fremder noch Freund störte ihre schaurige Einsamkeit. Die Gegenwart des Verbrechens und der Grausamkeit verletzte ungestört das Heiligthum welches einst der Zärtlichkeit und Liebe geweiht, einst der Aufenthalt der Schönheit und Jugend gewesen war.

Jetzt ist aber der Garten einsam, der Geist des Bösen ist von dem Grabe geschieden, die Schritte Goiswinthens haben dieselben Pfade nach der Vorstadt betreten, auf welchen der junge Goethe einst so sehnsüchtig dem Asyl seiner Liebe zugeeilt war, und schon erheben sich vor ihren Augen, finster, nahe und verhaßt, die Mauern von Rom. An diesen nutzlosen Bollwerken der gefallenen Stadt wandert sie jetzt hin, wie sie früher schon oft gewandert ist und wartet auf das Oeffnen der lange geschlossenen Thore. Folgen wir ihrem Gange.

Ihre Aufmerksamkeit war jetzt bloß auf die starken Mauern geheftet, während sie langsam an den gothischen Zelten hin nach der Lagerabtheilung am Pincischen Thore schritt. Dort angelangt wurde sie durch eine rund umher herrschende, ungewohnte Bewegung und Verwirrung aus ihrer Apathie geweckt. Sie blickte auf das Zelt Alarich’s und sah vor demselben die abgezehrten, gebeugten Gestalten derjenigen, die sich der Gesandtschaft angeschlossen hatten, und die ihren Urtheilsspruch von dem Anführer der nordischen Heerschaaren erwarteten.

In wenigen Augenblicken erfuhr sie aus den Worten der um diesen Theil des Lagers versammelten Gothen, daß es das Pincische Thor war, welches den bittenden Römern den Ausgang verstattet hatte und daher aller Wahrscheinlichkeit nach auch wieder geöffnet werden würde, um sie in die Stadt zurückzulassen. Mit diesem Gedanken begann sie die Zahl der besiegten Feinde, welche Um das Zelt des Königs versammelt waren, zu berechnen und fügte dann im Geiste diejenigen zu derselben, welche bei der Zusammenkunft im Innern zugegen sein mochten, wobei sie sich mechanisch näher nach dem wüsten Raume vor den Stadtmauern zurückzogen.

Allmälig wendete sie sich der Stadt näher zu. Sie verwirklichte sich einen kühnen Vorsatz, einen Entschluß, den sie während der Tage und Nächte ihrer einsamen Wanderungen längst schon mit sich herumgetragen hatte.

»Die Reihen der Gesandtschaft,« murmelte sie mit tiefem nachdenklichem Tone, »sind dicht gedrängt. Wo ihrer Viele sind, da herrscht Verwirrung und Hast, sie gehen zusammen und kennen ihre eigne Zahl nicht, sie bemerken nicht, ob unter ihnen einer mehr oder weniger ist.«

Sie blieb stehen. Seltsame, düstere Veränderungen der Farbe und des Ausdrucks gingen über ihr gespenstisches Gesicht. Sie zog den blutigen Helmschmuck ihres Gatten, welcher sie seit dem Todestage desselben nie verlassen hatte, aus ihrem Busen, ihr Gesicht erbleichte als sie denselben ansah, mit einem entsetzlichen Ausdrucke der Wuth und Verzweiflung, plötzlich blickte sie wild und trotzig zu der Stadt hinauf, als ob die hohen Mauern vor ihr tödtliche Feinde wären, gegen die sie sich im letzten Kampfe gestellt habe.

»Die Gatten- und Kinderlose wird Dein Blut trinken!« rief sie, indem sie ihre magere Hand gegen Rom ausstreckte, »wenn auch die Heere ihres Volkes ihre Rache für Säcke mit Silber und Gold an Dein Volk verkaufen! Ich habe in meiner Einsamkeit darüber nachgedacht und ein meinen Träumen davon geträumt, ich habe geschworen, daß ich nach Rom gehen, und wenn auch unter Tausenden allein, meine gemordeten Verwandten rächen würde. Seht, jetzt will ich meinen Eid erfüllen! Du blutbefleckte Stadt der Feiglinge und Verräther, der Feinde Schutzloser und Mörder der Schwachen. Du, die Du die Mörder meines Gatten und die Meuchler meiner Kinder nach Aquileja gesendet hast, ich warte nicht länger vor Deinen Mauern. Heute werde ich mich, Alles wagend, unter Deine zurückkehrenden Bürger mischen und mit den Römern in die Thore von Rom dringen! Den Tag über will ich schlau und wachsam in Deinen einsamen Orten liegen, um mich bei Nacht als geheime Dienerin des Todes hervorzuschleichen. Ich will Deinen Jungen und Schwachen an unbewachten Orten auflauern, ich will allein in der Finsterniß der Nacht Deinen Unbeschützten das Leben rauben, ich will Deine Kinder umbringen, wie ihre Väter zu Aquileja die Kinder der Gotben umgebracht haben! Dein Pöbel wird mich entdecken und gegen mich aufstehen, er wird mich in Stücke reißen und meinen zerfleischten Körper auf dem Pflaster der Straße mit Füßen treten, aber es wird geschehen, nachdem ich das Blut, das zu vergießen ich geschworen, unter meinem Messer fliehen gesehen habe. Meine Rache wird vollständig und Qualen und Tod mir Gäste, die ich bewillkommne, und Befreier sein, die ich erwarte.«

Von Neuem hielt sie inne —— der wilde Triumph des Fanatismus auf dem brennenden Scheiterhaufen loderte in ihrem Gesichte auf —— plötzlich fielen ihre Augen wieder auf den befleckten Helmschmuck und ihr Ausdruck wurde verzweifelt und ihre Stimme leise und stöhnend, als sie fortfuhr:

»Ich bin meines Lebens müde, wenn die Rache geübt ist, werde ich aus diesem irdischen Gefängnisse befreit werden —— in der Welt der Schatten werde ich meinen Gatten sehen und meine Kleinen werden sich wieder um meine Knie sammeln. Die Lebenden haben an mir keinen Theil, ich sehne mich nach den Geistern, die in den Hallen der Todten wandeln.«

Einige Minuten lang richtete sie noch ihren Blick thränenlos und stumm auf den Helmschmuck. Bald aber lebte der Einfluß des schlimmen Geistes in aller seiner Stärke wieder auf, sie erhob plötzlich den Kopf, blieb auf einen Augenblick in tiefe Gedanken versunken und begann dann schnell nach der Richtung, aus welcher sie gekommen war, zurückzugeben.

Zuweilen flüsterte sie leise:«Ich muß es thun, ehe mir die Zeit vorübergeht, mein Gesicht muß versteckt und meine Kleider müssen gewechselt werden. Dort in den Häusern muß ich suchen und schnell suchen.«

Zuweilen wiederholte sie ihre Rachedrohungen, ihre Ausrufe des Triumphs über ihren rasenden Vorsatz. Bei der Wiederholung desselben erinnerte sie sich an Antoninen und jetzt verdunkelte ein blutdürstiger Aberglaube ihre Gedanken und verlieh ihren Worten einen unbestimmten träumerischen Charakter.

Wenn sie jetzt sprach, so murmelte sie vor sich hin, daß das Opfer, welches ihr zweimal entgangen war, noch am Leben sein, daß die übernatürlichen Einflüsse, welche die alten Gothen am Tage der Vergeltung oft geleitet hatten, auch sie leiten noch den Streich ihrer Waffe, —— den letzten Streich, ehe sie entdeckt und getödtet werden würde —— mitten in das Herz des Mädchens lenken könnten.

Dergleichen Gedanken erhoben sich wirr und dunkel in schneller Folge in ihrem Innern, mochte sie ihnen aber in Wort und Gebärde Ausdruck geben, oder sie mit Schweigen unterdrücken, so schwankte oder zauderte sie doch nie in ihrem schnellen Gange. Ihre Kräfte waren für Alles gestählt und ihr starker Wille gestattete ihnen keinen Augenblick der Erschlaffung.

Sie gelangte in eine abgelegene Straße der verödeten Vorstadt, blickte sich um, ob sie unbeobachtet sei und trat in eines von den Häusern, die beim Nahen der Belagerer von ihren Bewohnern verlassen worden waren. Sie schritt schnell durch die äußern Hallen, bis sie endlich in eines von den Schlafgemächern gelangte und hier fand sie unter andern beider Flucht zurückgelassenen Besitzthümer den den Vorrath von Kleidern und Wäsche, welche der Eigenthümerin des Zimmers gehört hatte.

Aus diesem wählte sie ein römisches Gewand, einen Obermantel und Sandalen, Alles von der gemeinsten Farbe und Qualität, die sie finden konnte, wickelte diese Dinge auf ihren geringsten Umfang zusammen und verbarg sie unter ihren eigenen Gewändern. Hierauf kehrte sie, Allen, die sie unterwegs antraf, ausweichend, nach dem Zelte des Königs zurück, bog aber, als sie in die Nähe desselben gelangte, vorsichtig nach der Richtung von Rom ab und begab sich in ein auf halbem Wege zwischen der Stadt und dem Lager stehendes verfallenes Gebäude. In diesem Versteck legte sie ihre Verkleidung an und zog den Mantel dicht um ihren Kopf und ihr Gesicht und von diesem Punkte aus beobachtete sie ruhig, wachsam, entschlossen, die Hand an dem Messer unter ihrem Gewande und mit die Namen ihres ermordeten Gatten und ihrer hingeschlachteten Kinder murmelnden Lippen, die Straße nach dem Pincischen Thore.

Dort wollen wir sie auf kurze Zeit verlassen und in das Zelt Alarich’s treten, während noch der Senat vor dem Herrn des Reichs um Gnade und Frieden bittet.

In dem Augenblicke, von welchem wir schreiben, hatte die Gesandtschaft bereits ihre Vermittlungsfähigkeiten erschöpft. Wie es schien, ohne den Anführer der Gothen von seinem ersten mitleidslosen Entschlusse, das Lösegeld von Rom auf die Höhe jedes werthvollen Besitzthums, welches die Stadt enthielt, festzusetzen, abbringen zu können.

In dem großen Zelte war jetzt eine kurze Stille eingetreten. An dem einen Ende desselben standen in eine unregelmäßige Gruppe zusammengedrängt, die erschöpften niedergeschlagenen Mitglieder des Senats mit denjenigen von ihren Begleitern, welchen man verstattet hatte, ihnen vor Alarich zu folgen. An dem andern erblickte man die stattlichen Gestalten des Gothenkönigs und der Krieger, die ihn als Kriegsrath umgaben. Der freie Raum in der Mitte des Zeltes war mit umherverstreuten Waffen bedeckt, die die Vertreter der beiden Nationen von einander trennten und so zufällig, aber doch handgreiflich die grimmige Feindseligkeit versinnbildlichten, welche die Völker des Nordens in früheren Jahren von denen des Südens getrennt hatte und sie noch auf lange Jahre hinaus trennen sollte.

Der Gothenkönig stand etwas vor seinen Kriegern, auf sein großes, schweres Schwert gelehnt da. Sein festes Auge wanderte von einem der niedergeschlagenen Senatoren zum andern und erforschte mit kaltem, grausamem Scharfblick jedes Zeichen- der Entwürdigung welches das Leiden auf ihre äußere Erscheinung geprägt hatte. Ihre beschmutzten Gewänder, ihre bleichen Wangen, ihre zitternden Glieder erfuhren alle der Reihe nach die kaltblütige sarkastische Betrachtung des Eroberers.

So erniedrigt und gedemüthigt sie auch waren, befanden sich unter den Gesandten doch auch Einige, die die ihnen auf diese Weise stumm und vorsätzlich zugefügte Kränkung gerade wegen ihrer Hilflosigkeit um so bitterer fühlten. Sie bewegten sich unbehaglich auf ihren Stellen und flüsterten in leisen bitteren Tönen mit einander. Endlich erhob Einer von ihnen seine niedergeschlagenen Augen und unterbrach die Stille. Der alte Römergeist, welchen lange Jahre der freiwilligen Beschäftigung mit Kleinlichem und der Weichlichkeit noch nicht gänzlich entwürdigt hatte, röthete sein blasses abgezehrtes Gesicht, indem er folgendermaßen sprach:

»Wir haben gebeten, wir haben angeboten, wir haben versprochen —— mehr können Menschen nicht thun! Von unserm Kaiser verlassen und von Pest und Hunger zu Boden gedrückt, bleibt uns jetzt nichts mehr übrig, als unter den Mauern von Rom in nutzlosem Widerstand unterzugehen. Es stand in Alarich’s Macht, durch Mäßigung gegen die Unglücklichen einer berühmten Nation ewigen Ruhm zu erringen, aber er hat es vorgezogen, die Plünderung einer herrlichen Stadt und die Unterjochung eines leidenden Volkes zu versuchen. Wenn aber auch Zerstörung seine Rache sättigt und Plünderung seine Schätze vernichtet, so möge er sich doch erinnern, daß der Tag der Vergeltung kommen wird. Es gibt noch Soldaten im Reiche und Helden, die sie zuversichtlich in die Schlacht führen werden, Wenn auch die Leichen ihrer Landsleute geschlachtet in den Straßen des geplünderten Rom um sie her liegen.«

Ein momentaner Ausdruck des Zornes und der Entrüstung zeigte sich auf Alarich’s Zügen, als er diese kühnen Worte vernahm, wurde aber fast augenblicklich wieder durch ein spöttisches Lächeln ersetzt.

»Wie! Ihr habt noch Soldaten, vor denen der Barbar für seine Eroberungen zittern muß —— wo sind sie? Sind sie auf dem Marsche oder im Hinterhalte oder verstecken sie sich hinter festen Mauern oder haben sie sich auf dem Wege nach dem gothischen Lager verirrt? — Ha, hier ist einer von ihnen!« rief er auf einen geschwächten, waffenlosen Krieger des Senats zutretend, der unter seinem zornigen Blicke erbebte; »kämpfe, Mann!« fuhr er lauter fort, »kämpfe für das kaiserliche Rom, so lange es noch Zeit ist! Du hast Dein Schwert verloren, nimm das meine und sei wieder ein Held!«

Mit rauhem Gelächter, welches von den Kriegern hinter ihm wiederholt wurde, warf er seine schwere Waffe nach dem elenden Gegenstande seiner Sarkasmen. Der Griff schlug schwer an die Brust des Mannes, er schwankte und fiel hilflos zu Boden. Das Gelächter der Gothen verdoppelte sich, jetzt aber stimmte ihr Anführer demselben nicht bei. Sein Auge leuchtete in triumphierendem Spott, als er, auf den niedergestreckten Römer blickend, rief:

»So fällt der Süden unter dem Schwerte des Nordens! So soll sich das Reich vor dem Scepter des Gothen beugen! Sagt, wenn Ihr auf diesen Römer vor uns blickt, ob unsere Beleidigungen nicht gerächt sind? Sie sterben nicht im Kampfe unter unsern Schwertern, sie leben, um unser Mitleid anzuflehen wie Kinder, die sich vor der Ruthe fürchten.«

Er schwieg. Sein massives, edles Gesicht nahm allmälig einen nachdenklichen Ausdruck an. Die Gesandten thaten ein paar Schritte vorwärts —— vielleicht um eine letzte Bitte zu stellen, vielleicht auch um sich in Verzweiflung zu entfernen, aber er winkte ihnen gebieterisch zu schweigen und stehen zu bleiben. Der Durst des Habgierigen nach gegenwärtiger Beute und das hohe Streben des Eroberers nach künftigem Ruhme traten jetzt in seinem Innern in heftigen Conflikt Er schritt aus die Oeffnung des Zeltes zu, schob den Fellvorhang bei Seite und blickte stumm auf Rom hinaus. Die blendende Majestät der Tempel und Paläste der herrlichen Stadt, die sich in den Strahlen der unbewölkten Sonne leuchtend vor ihm erhoben, hielt sein Auge lange gefesselt. Allmälig erfüllten Träume künftiger Herrschaft unter jenen einzig dastehenden Gebäuden, die jetzt bloß sein Wort erwarteten, um verheert und vernichtet zu werden, seine Seele, und retteten die Stadt vor seinem Zorne. Er wendete sich wieder den Gesandten zu und sprach mit erhabener Stimme und einem Blicke wie ein Wesen aus einer höheren Sphäre:

»Wenn der gothische Eroberer in Italien regiert, so sollen die Paläste der frühem Herrscher als Wohnungen für ihn vorhanden sein. Ich werde ein niedrigeres Lösegeld bestimmen, ich werde Rom verschonen.«

Unter den Kriegern hinter ihm erhob sich Gemurr. Ihr Anführer versagte ihnen zum ersten Male die Plünderung und Zerstörung, welche sie begierig erwartet hatten. Als ihre murmelnden Vorstellungen sein Ohr erreichten, heftete Alarich augenblicklich streng seine Augen auf sie, wiederholte in ruhigen, gebietenden Tönen: »Ich werde ein niedrigeres Lösegeld bestimmen, ich werde Rom verschonen!« und blickte forschend in die Gesichter seiner wilden Untergebenen. Ihren Lippen entfiel kein Wort, welches eine andere Ansicht verrathen hätte, in ihren Reihen zeigte sich keine Geberde des Unmuthes, sie bewahrten ein tiefes Schweigen, als der König wieder auf die Gesandten zutrat und fortfuhr:

»Ich setze das Lösegeld der Stadt auf fünftausend Pfund Gold, auf dreißigtausend Pfund Silber ——« hier hielt er plötzlich inne, als denke er weiter über das, was er verlangen solle,nach.

Die Herzen des Senats, die auf einen Augenblick durch Alarich’s unerwartete Verkündigung, daß er seine Forderungen mäßigen wolle, erleichtert worden waren, sanken wieder, als sie an den von ihm verlangten Tribut dachten und sich ihres erschöpften Schatzes erinnerten. Aber es war jetzt keine Zeit mehr, Einwendungen oder Zögerungen zu machen und sie antworteten, obgleich sie nicht wußten, woher sie die Mitte! zur Erfüllung ihres Versprechens nehmen sollten, einstimmig:

»Das Lösegeld soll gezahlt werden.«

Der König blickte sie wie erstaunt an, daß Leute, die er aller Freiheit der Wahl beraubt hatte, es noch wagten, eine solche zu behaupten, indem sie aussprachen, daß sie Bedingungen annähmen, welche sie nicht abzulehnen wagten. Der spöttische Geist belebte sich wieder von Neuem in ihm, als er so auf die hilflose, gedemüthigte Gesandtschaft blickte, und er lachte nochmals, als er, halb zu der stummen Schaar von Kriegern hinter ihm gewendet, fortfuhr:

»Das Gold und Silber sind bloß die ersten Theile des Tributs, meine Leute sollen mit mehr als dem Reichthum des Feindes belohnt werden. Ihr Römer habt unsere rauhen Bärenfelle und schweren Rüstungen verlacht, Ihr sollt uns in Eure Festgewänder kleiden. Ich füge zu dem Gold und Silber Eures Lösegeldes viertausend seidene Gewänder und dreitausend Stücke Purpurtuch. Meine Barbaren sollen nicht mehr Barbaren sein, ich werde Patrizier, Epikuräer, Römer aus ihnen machen!«

Die Mitglieder der unglücklichen Gesandtschaft blickten, als er inne hielt, mit stummer Bitte an die Gnade des triumphierenden Eroberers auf, aber sie sollten nicht so leichten Kaufes von dem Begehren seiner Habgier und Verachtung loskommen.

»Halt!« rief er, »ich will mehr haben —— noch mehr haben! —— Ihr seid ein Volk von Schwelgern —— wir wollen es Euch in Euern Gastmählern gleichthun, wenn wir Euch Eurer Festkleider entledigt haben. Zu dem Gold, dem Silber, der Seide und dem Tuche will ich noch mehr fügen, dreitausend Pfund Pfeffer, Eure kostbare Waare, die mit Eurem üppigen Reichthume in fernen Ländern gekauft ist! — seht zu, daß Ihr dieses Gewicht mit den übrigen Theilen des Lösegeldes bis auf das letzte Korn hierher bringt. Das Fleisch unserer Thiere soll uns gewürzt werden. wie Euch das Fleisch der Euern!« [Pfeffer war eine Lieblingswürze der kostbarsten römischen Speisen. - Gibbon.]

Er wendete sich mit den letzten Worten kurz von den Senatoren ab. Einige neigten mit stummer Resignation die Häupter, Andere Belebte, —— mit der Gedankenlosigkeit von durch das, was sie in der jetzt beendeten Zusammenkunft gesehen und gehört hatten, der Besinnung beraubten Menschen, —— unglücklicher Weise die Erinnerung an die gebrochenen Verträge früherer Jahre von Neuem, und sie fragten mechanisch, in den Ausdrücken der alten Friedensformulare, welche Bürgschaft der Belagerer für die Bezahlung seiner Forderungen verlange.

»Bürgschaft!« rief Alarich heftig, indem er sofort wieder in seine strengere Stimmung versank; »seht dort die künftige Bürgschaft der Gothen für die Treue Roms!« und er warf den Zeltvorhang bei Seite und deutete stolz auf die langen Zeltreihen seines Lagers, die sich um Alles, was von den Mauern der gefallenen Stadt sichtbar war, erstreckten.

Die Gesandten erinnerten sich der Niedermetzelung der Geißeln zu Aquileja und die Umgehungen der Tributzahlungen, welche in früheren Jahren versprochen worden waren, und blickten schweigend Durch die Oeffnung des Zeltes.

»Erinnert Euch an die Bedingungen!« fuhr Alarich mit warnendem Tone fort, »und gedenkt an meine Bürgschaft für die schnelle Zahlung des Lösegeldes! So sollt Ihr noch eine Zeitlang in Sicherheit leben und wieder schmausen und spielen und lustig sein, so lange Euch noch Euer Reich gehört. Geht —— ich habe gesprochen —— es ist genug.«

Er wendete sich ohne ein weiteres Wort von den Senatoren ab und der Vorhang des Zeltes fiel hinter ihnen zu, als sie hinausgingen.

Die Verhandlung war vorüber, das Endurtheil gesprochen und die Zeit gekommen, um hinzugehen und ihm zu gehorchen.

Die Nachricht, daß endlich die Bedingungen des Friedens bestimmt seien, erfüllten die vor dem Zelte wartenden Römer mit einem Entzücken, welches weder durch Erinnerungen an die Vergangenheit, noch durch Ahnungen für die Zukunft vermindert wurde. Durch die sie im Lager umgebenden Gothen, an der Ausführung ihrer verzweifelten Absicht, nach dem platten Lande zu entfliehen, verhindert, von den Thoren, durch welche sie sich vorwitzig gedrängt hatten, von der Rückkehr nach Rom abgeschlossen, in ihrer Hilflosigkeit dem brutalen Hohne des Feindes ausgesetzt, während sie in langer peinlicher Ungewißheit auf den Schluß der gefahrvollen Verhandlung zwischen Alarich und dem Senate warteten, hatten sie den äußersten Gipfel des Leidens erstiegen und sich ohne Ausnahme der Verzweiflung ergeben und die Nachricht von dem abgeschlossenen Vertrage erklang in ihren Ohren also wie ein Versprechen der Erlösung. Unter die keine Ueberlegung verstattende Ekstase ihrer Freude über die Aussicht auf das Ende der Blockade mischte sich keine von den Besorgnissen, die die ungeheure Höhe des geforderten Tributs im Geiste ihrer Vorgesetzten erweckt hatte. Sie erhoben sich mit einem Geschrei der Ungeduld und des Entzückens um nach der Stadt zurückzukehren, aus der sie in Schrecken geflohen waren. Sie schmiegten sich gleich Hunden an die Gesandten und selbst an die wilden Gothen. Bei ihrer Entfernung von Rom hatten sie mechanisch einige Regelmäßigkeit in ihrem Zuge bewahrt, jetzt aber eilten sie ohne Auszeichnung des Platzes oder Disciplin des Marsches dahin und Senatoren, Soldaten und Plebejer waren in einen wirren Haufen zusammengedrängt.

Kein Einziger von ihnen bemerkte in seiner neugeborenen Sicherheit das verfallene Gebäude an der Straße, kein Einziger von ihnen beachtete die dicht umhüllte Gestalt, welche sich aus demselben hervorstahl um sich ihnen anzuschließen und sich bald mit leisem Schritte und bedecktem Gesicht in ihre dichtesten Reihen mischte. Die Aufmerksamkeit der Gesandten wurde noch gänzlich von ihren Ahnungen der Unmöglichkeit, das Lösegeld zusammenzubringen, in Anspruch genommen, die Augen ihrer Begleiter waren nur auf das Pincische Thor geheftet; ihre Ohren standen keinem Tone, als ihren eigenen Ausrufungen des Entzückens offen. Es hätte sich jetzt nicht nur ein verkleideter Fremder, sondern viele ungefragt und unbemerkt ihrem lärmenden Zuge anschließen können.

So traten sie hastig wieder in die Stadt, wo sich Tausende von geschwächten Augen anstrengten, um auf sie zu blicken, und Tausende von aufmerksamen Ohren sogen ihre frohe Nachricht aus dem gothischen Lager ein. Dann hörte man auf allen Seiten die Töne hysterischen Weinens und blödsinnigen Lachens, die leisen Seufzer der Schwachen, die als Opfer ihrer plötzlichen Freude starben und das wirre Durcheinander sprechen der Kräftigen, die alle Noth überlebt hatten und endlich ihre Erlösung vor Augen sahen. Immer noch stumm und ernst zogen die Gesandten jetzt langsam auf ihrem Rückwege nach dem Forum durch die Menge, welche sich zu beiden Seiten vor ihnen öffnete. Feinde, Freunde und Fremde —— Alle, die die schonungslose Hungersnoth bisher in ihren Interessen und Sympathien getrennt hatte, waren jetzt durch die Erwartung baldiger Hilfe gleich einer einzigen Familie verbunden.

Unter der Menge befand sich aber ein Wesen, welches in seinen unenthüllten Empfindungen allein unter den jubelnden Tausenden, die es umgaben, stand. Die Frauen und Kinder, die mit ihren eigenen Gefühlen beschäftigt auch bloß an Goiswinthen vorbeigingen, sahen nicht die begierige wilde Aufmerksamkeit in ihren Augen, welche sie verfolgten, bis sie aus dem Gesichtskreise verschwanden. Innerhalb der Thore wartete die Fremde und Feindin unbemerkt auf das dem Verräther günstige Dunkel der Nacht. Wo sie zuerst gestanden hatte, als sie von der dichten Menge eingeschlossen worden war, da blieb sie auch stehen, als die übrigen langsam weiter gingen und der Raum um sie her frei wurde. Aber unter dieser äußerlichen Ruhe und Stille lauerten die wildesten Leidenschaften, die je gegen die schwachen Schranken des menschlichen Willens gewüthet haben, selbst die starre Fassung Goiswinthens war erschüttert, als sie sich innerhalb der Mauern von Rom erblickte.

Es war kein argwöhnischer Blick auf sie geworfen worden, kein Mitglied der Menge hatte sich ihr genähert, um sie zurückzuweisen, als sie mit den verdachtlosen Bürgern um sie her durch das Thor schritt. Durch die sorglose Sicherheit ihrer Feinde eben so wirksam vor der Entdeckung geschützt, wie durch die List ihrer Verkleidung, stand sie auf den Straßen von Rom, wie sie sich es gelobt hatte, fern von den Heeren ihres Volkes, allein als Bluträcherin da.

Es war kein Traum, keine flüchtig kriegerische Vision. Das Messer befand sich in ihrer Hand, die Straßen dehnten sich vor ihr aus, die lebenden Wesen, welche dieselben erfüllten waren Römer; der Tag neigte sich bereits dem Abend zu, das Nahen ihrer Rache war eben so gewiß, wie das Nahen der Finsterniß, welche dieselbe zur freien Ausübung bringen sollte. Ein wilder Jubel trieb ihr das Blut schneller durch die Adern, während sie an die furchtbaren Pläne des geheimen Mordes und der Rache dachte, die jetzt sie, ein einzelnes Weib der schutzlosen Bevölkerung einer ganzen Stadt in Todfeindschaft gegenüberstellte.

Als ihre Augen langsam über die Menge hinschweiften, als sie an die Zeit dachte, die noch vergehen konnte, ehe sie Entdeckung und Tod —— das Märtyrerthum in der Sache des Blutes, welches sie erwartete und herausforderte, ereilen würde, zitterten ihre Hände unter ihrem Gewande und sie wiederholte flüsternd:

»Gatte, Kinder —— Bruder —— fünf Morde müssen gerächt werden! Gedenke an Aquileja! gedenke an Aquileja!«

Plötzlich hefteten sich, wie sie so von einer Gruppe des nach Hause ziehenden Volkes zur andern blickte, ihre Augen auf einen Gegenstand, sie trat schnell vorwärts, hielt sich dann wieder mit Gewalt zurück und mischte sich unter eine noch dichte Gruppe, indem sie fest fortwährend auf eine Stelle hinstarrte. Sie sah das ihren Händen zweimal —— im Lager und in dem Bauernhause —— entrissene Opfer, auf den Straßen von Rom zum dritten Male in ihrer Gewalt. Die zuletzt erwartete Möglichkeit der Rache war diejenige, welche sich zuerst eingestellt hatte. Ein unbestimmtes drückendes Gefühl von abergläubischer Ehrfurcht vermischte sich mit dem Triumphe ihres Herzens, eine übernatürliche Hand schien sie mit verderblicher Eile über jedes sterbliche Hinderniß hinweg auf den Gipfelpunkt ihrer Rache zu führen.

Sie versteckte sich hinter das Volk, sie beobachtete das Mädchen von dem entferntesten Punkte aus, aber längeres Verbergen war jetzt vergeblich —— ihre Augen hatten einander getroffen. Das Gewand war, als sie plötzlich vorwärts schritt, zurückgefallen und in diesem Augenblicke hatte sie Antonina gesehen.

Numerian der langsam mit seiner Tochter durch die Menge schritt, fühlte, wie ihre Hand die seine fester Umfaßte, und sah ihre Züge plötzlich erstarren. Aber die Veränderung dauerte nur einen Augenblick. Ehe er sprechen konnte, erfaßte sie ihn am Arme und zog ihn mit convulsivischer Energie vorwärts, dann hörte er sie in fast unartikulirtem leisen, athemlosen ihrer gewöhnlichen Stimme unähnlichen Tönen rufen:

»Sie ist dort! dort hinter uns! —— um mich zu tödten, wie sie ihn getödtet hat! —— Nach Hause! nach Hause!«

Schon durch lange Schwäche, natürliche Gebrechlichkeit und das rauhe Drängen der Menge erschöpft, durch Antonina’s Blicke und Bewegungen und die erschreckende Mittheilung von einer unbekannten Gefahr, die ihm in ihrem abgebrochenen Entsetzensrufe kund geworden war, in Verwirrung gesetzt, war Numerians erster Antrieb der, das ihn umgebende Volk um Schutz und Hilfe zu bitten. Selbst wenn er ihnen aber den Gegenstand seines Schreckens unter der bunten Menge aus allen Nationen hätte zeigen können, würde seine Aufforderung unbeantwortet geblieben sein. Von allen Folgen der furchtbaren Entbehrungen, die die Belagerten erlitten hatten, war keine gewöhnlicher als die Art von Verstandesverwirrung, welche so lebhafte Visionen von Gefahren, Feinden und Tod erzeugt, daß diejenigen, welche sie erblicken, gegen die Schöpfung ihres eignen Deliriums um Hilfe flehen. Die Meisten von denjenigen, an, welche Numerian seine Bitte richtete, gingen also vorüber, ohne Notiz davon zu nehmen. Einige sagten ihm nachlässig, er möge sich erinnern, daß jetzt keine Feinde mehr da seien, —— daß die Tage des Friedens herannahten —— und daß eine gute Mahlzeit, die er bald zu genießen erwarten könne, die einzige Hilfe für einen Hungernden wäre.

Zu jener Zeit des Schreckens und der Leiden, die sich jetzt ihrem Ende zuneigte, sah Keiner etwas Ungewöhnliches in der Verwirrung des Vaters und dem Entsetzen des Kindes, sie setzten also ihre schwache Flucht unbeschützt fort und Goiswinthens Schritte folgten ihnen. Sie hatten bereits den Monte Pincio zu ersteigen begonnen,als Antonina plötzlich stehen blieb und zurück blickte. Die Straße unter ihr war noch von vielen Menschen angefüllt, aber ihre Augen drangen, von der Gefahr geschärft, unter dieselben ein und unterschieden schnell das weite Gewand und die hohe Gestalt, welche immer noch in gleicher Entfernung von ihnen war und stehen blieb, wie sie stehen geblieben waren. Auf einen Augenblick schaute das Mädchen mit dem wilden, hilflosen Stieren des Schreckens in das Gesicht ihres Vaters, im nächsten warnte sie aber der geheimnißvolle Instinkt der Selbsterhaltung, welcher mit dem Instinkt der Furcht zugleich existiert —— der das schwächste Thier mit List begabt, um seine Flucht so sicher als möglich zu machen, und an die Stelle der Vernunftreflexion und des Entschlusses tritt, wenn alle diese aus dem Geiste verbannt sind —— vor dem verderblichen Irrthum, der Verfolgerin zu gestatten, ihr bis nach ihrem Hause nachzuspüren.

»Nicht dort! nicht dort!« ächzte sie schwach, als Numerian sie den Abhang hinauf führen wollte. »Sie wird uns sehen, wenn wir in die Thür treten —— durch die Straßen, o Vater, wenn Du retten mich! Auf den Straßen können wir von ihr abkommen —— Die Wachen, das Volk sind dort, —— zurück! —— zurück!«

Numerian bebte, als er den Schrecken in ihren Blicken und Gebärden bemerkte, aber es war vergeblich, sie zu fragen oder ihr Widerstand zu leisten. Nur Gewalt konnte sie zurückhalten —— weder Befehle noch Bitten konnten ihr mehr entlocken als den athemlosen Ausruf:

»Weiter, Vater! weiter, wenn Du mich retten willst!«

Sie war jeder Empfindung außer der Furcht, jeder Anstrengung außer der der Flucht unfähig.

Sich drehend und wendend und stets mit dem gleichen schnellen Schritte vorwärts eilend, gingen sie mechanisch durch die Winkelstraßen, die an das Flußufer führten, immer noch aber folgte die Bluträcherin dem Opfer, beständig wie der Schatten dem Körper, wachsam und unermüdlich wie ein Bluthund auf einer warmen Führt!

Und jetzt hörte selbst der Klang der väterlichen Stimme auf in den Ohren der Tochter vernehmbar zu sein, sie fühlte nicht mehr den Druck seiner Hand, bemerkte selbst seine Gegenwart an ihrer Seite nicht mehr. Endlich blieb sie schwach zusammensinkend, verwirrt wieder stehen und blickte zurück.

Die Straße, welche sie erreicht hatten, war sehr still und öde, nur an ihrem fernsten Ende sah man zwei Sklaven gehen. So lange sie im Gesichtskreise waren, zeigte sich auf der andern Seite kein lebendes Geschöpf, sobald sie sich aber entfernt hatten, schlich ein Schatten über das Pflaster einer Säulenhalle in der Ferne und im nächsten Augenblicke erschien Goiswintha auf der Straße.

Die Sonne brannte grell auf ihre dunkle Gestalt, als sie stehen blieb und einen Augenblick umher spähte. Sie that einen Schritt vorwärts und Antonina sah weiter nichts. Von Neuem wendete sie sich, um ihre hoffnungslose Flucht fortzusetzen und von Neuem bereitete sich ihr Vater, der als die geheimnißvolle Ursache ihres Schreckens nur ein einziges Weib bemerkte, welches ihnen zwar folgte, aber keinen Versuch machte, sie anzuhalten oder auch nur anzureden, an allen übrigen Möglichkeiten, ihre Rettung zu bewirken, verzweifelnd, sie bis ans Ende zu begleiten. Immer vollständiger fesselte der Schrecken jetzt ihre Geisteskräfte, während sie bewußtlos ihren schnellen Weg durch die nach dem Tiber führenden Straßen fortsetzte. Nicht Numerian, —— nicht Rom —— nicht das Tageslicht einer großen Stadt standen vor ihren Augen —— es war der Sturm, die Ermordung, die Nacht in dem Bauernhause, welche sie jetzt wieder durchlebte.

Die schnelle Flucht und die unablässige Verfolgung wurden fortgesetzt, als ob keine je ihr Ende erreichen solle, aber der Schluß des Schauspieles war dessen ungeachtet nahe.

Während des eiligen Durchschreitens der Straßen hatte sich Numerian’s Geist allmälig von seinem ersten Erstaunen und Schrecken erholt und endlich bemerkte er die Nothwendigkeit augenblicklichen entschiedenen Handelns, so lange es noch Zeit war, Antoninen vor dem Sinken unter dem Uebermaße ihrer eignen Furcht zu retten. Wiewohl eine furchtbare unbestimmte Ahnung des Unheils und Todes sein Herz erfüllte, wurde doch sein Entschluß sofort auf jede Gefahr hin, das dunkle Geheimniß naher Gefahr zu durchdringen, welches die Worte und Handlungen seiner Tochter andeuteten, nicht wankend, denn er wurde von dem einzigen Beweggrunde erweckt, der kräftig genug war, um alle Energie seiner früheren Jahre, die noch nicht Durch Leiden und Gebrechlichkeit vernichtet war, neu zu beleben die Erhaltung seines Kindes. In seinen trüben Augen blitzte noch etwas von der früheren Festigkeit und Kraft des unerschrockenen Reformators der Kirche auf, als er jetzt stehen blieb, Antoninen in seine Arme schloß und sie in ihrer Flucht aufhielt.

Sie rang, um zu entrinnen, aber es war schwach und nur auf einen Augenblick. Kraft und Bewußtsein begannen sie zu verlassen. Sie machte keinen Versuch, zurückzublicken, sie fühlte in ihrem Herzen, daß Goiswintha noch hinter ihr sei und wagte die entsetzliche Ueberzeugung nicht mit ihren Augen zu bestätigen. Ihre Lippen bewegten sich, aber sie drückten eine andere, vergebliche Bitte aus.

»Hermanrich, o Hermanrich!« war Alles, was sie jetzt murmelten. Sie waren an die lange Straße gekommen, die am Ufer des Tiber hinlief. Das Volk hatte sich entweder in seine Behausungen zurückgezogen oder sich nach dem Forum begeben, um sich nach der Zeit zu erkundigen, wo das Lösegeld bezahlt werden würde. Außer Goiswinthen war Niemand zu erblicken, als sich Numerian umsah und Jene kam, nachdem sie die leere Straße sorgfältig durchforscht, mit schnelleren Schritten auf sie zu.

Auf einen Augenblick sah sie der Vater fest an, und in diesem Augenblicke war sein Entschluß gefaßt. Eine Treppe zu seinen Füßen führte nach der schmalen Thür eines kleinen Tempels, der das ihm zunächstliegende Gebäude war. Da er nicht wußte, ob nicht Goiswintha bei ihrer unablässigen Verfolgung insgeheim von Genossen unterstützt wurde beschloß er Antoninen wenigstens auf einige Zeit in diese Zufluchtsstätte zu bringen, während er, vor derselben stehend, das Weib nöthigen würde, seine Absicht auszusprechen, wenn es ihm selbst bis dorthin folgte. Im nächsten Moment hatte er mit dem erschöpften Mädchen an seiner Seite die Stufen zu ersteigen begonnen. Oben angelangt führte er es vor sich in die Thüre und blieb an der Schwelle stehen, um sich wieder umzuschauen.

Goiswintha war nirgends zu erblicken.

Numerian ließ sich durch das plötzliche Verschwinden des Weibes nicht zu dem Glauben bewegen, daß sie sich aus der Straße entfernt habe, sondern beharrte auf seinem Entschlusse seine Tochter nach einem Ruheorte zuführen, wo sie sich augenblicklich sicher fühlen und daher am leichtesten wieder ihre Fassung erlangen könne, und zog Antoninen mit sich in den Tempel. Dort verweilte er einen Augenblick, ehe er sich entfernte, um von der Vorhalle aus die Straße zu beobachten.

Das Licht in dem Gebäude war trübe —— es fiel nur durch eine kleine Oeffnung im Dache und durch die schmale Thür ein, wo es durch die äußere Säulenhalle verdunkelt wurde. In dem dämmernden Innern lag ein formloser Haufen von dunkeln, schwer aussehenden Gegenständen aus dem Boden und erhob sich hoch bis fast an die Decke. Von unregelmäßiger Form in seltsamer Unordnung über einander geworfen, zum größten Theile von dunkler Farbe, hier und da aber doch in metallischem Glanze schimmernd, besaß diese Masse von Gegenständen ein geheimnißvolles, unbegrenztes, überraschendes Aussehen. Es war unmöglich, auf den ersten Blick zu entdecken, welcher Art die Gegenstände waren, —— oder zu errathen, zu welchem Zwecke sie auf dem Fußboden eines verlassenen Tempels zusammengehäuft sein konnten. Von dem Augenblicke an, wo sie zuerst Numerians Aufmerksamkeit erregt hatten, wurde er unwillkürlich davon angezogen und ein schwaches, unerklärliches, unbestimmtes, scheinbar grund- und zweckloses Beben des Verdachts schlug emsig an sein Herz.

Er hatte einen Schritt vorwärts gethan, um den verborgenen Raum hinter der zusammengehäuften Masse zu untersuchen, als seinem weiteren Vordringen durch den Anblick eines Mannes, der hinter demselben hervorkam, Einhalt gethan wurde. Der Fremde war in das wallende purpurgesäumte Gewand und die weiße Stirnbinde der heidnischen Priester gekleidet. Ehe der Vater oder die Tochter sprechen, ja selbst ehe sie sich bewegen konnten, um sich zu entfernen, trat er zu ihnen heran, legte Beiden eine Hand auf die Schulter und blickte sie, ohne ein Wort zu reden an.

In dem Augenblicke, wo er sich näherte, erhob Numerian seine Hand, um ihn zurückzustoßen und heftete dabei, als eben ein Lichtstrahl von der Thüre her über das Gesicht des Fremden hinzog, seine Augen auf dasselbe. Sein Arm blieb starr ausgestreckt, sank dann an seiner Seite nieder und der Ausdruck des Schreckens auf dem Gesicht des Kindes spiegelte sich so zu sagen auf dem Gesicht des Vaters ab. Keines von Beiden bewegte sich unter der Hand des Tempelbewohners, als er sie schwer auf Beide legte und Beide standen stumm wie er selbst vor ihm da.



Kapiteltrenner

Kapitel II.
Der Tempel und die Kirche.

Es war Ulpius. Der Heide hatte sich in der Haltung und im Gesicht eben so sehr verändert, wie in seiner Kleidung. Er stand fester und straffer da. Eine bräunliche Farbe hatte sein Gesicht überzogen, seine sonst so eingesunkenen und glanzlosen Augen waren jetzt weit offen und von dem grellen Scheine des Wahnsinns erhellt. Es schien als ob seine Körperkräfte sich neu gestählt hätten, während sich seine Geistesfähigkeiten dem Untergange zuneigten.

Kein Menschenauge hatte je erblickt, durch welche geheimen widerlichen Mittel er die Hungersnoth überlebt, mit welcher Unnatürlichen Kost er die Forderungen des unerbittlichen Hungers befriedigt hatte, aber dort in seinem düsteren Asyle hatte der Wahnsinnige und Auswürfling gelebt und sich bewegt und plötzlich und seltsam gestärkt, nachdem die Bewohner der Stadt alle ihre vereinten Hilfsquellen erschöpft, vergeblich alle ihre vereinten Reichthümer verschwendet hatten und zu Tausenden um ihn her dahin gewelkt und gestorben waren.

Es vergingen mehrere Minuten und immer noch standen ihm Vater und Tochter stumm gegenüber, blickten ihn immer noch mit stieren, unbewegten Augen an. Seine Gegenwart übte auf sie einen lähmenden Zauber. Die bei Antoninen, als sie ihre übel gewählte Zufluchtsstätte betraten, gelähmte Bewegungskraft war jetzt auch bei Numerian unterdrückt, aber bei ihm hatte kein Gedanke an die Feindin auf der Straße in diesem Augenblicke an dem unwiderstehlichen Einflusse Theil, welcher ihn vor dem Feinde im Tempel bewegungslos erhielt. Es war ein Gefühl tieferen Entsetzens, denn jetzt, wo er die häßlichen Züge des Heiden erblickte, wo er das Priestergewand und die Binde, die längst schon durch die feierlichsten Gesetze verboten waren, sah, nahm er nicht nur den Verräther wahr, der so erfolgreich gegen das Glück seines Hauses complottirt hatte, sondern auch den Wahnsinnigen —— den Moralisch-Aussätzigen, der ganzen menschlichen Familie, —— den lebenden Körper und die todte Seele, —— den des göttlichen Lichtes des Lebens, welches der sterbliche Mensch mit den Engeln Gottes theilt, beraubten.

Er hielt Antoninen noch immer fest, aber es geschah vollkommen mechanisch. Allem äußern Anscheine nach war er eben so hilflos, wie sein hilfloses Kind, als Ulpius langsam seine Hand von Beider Schulter nahm, sie trennte, ihre Hände mit seinen kalten knochigen Fingern umschloß und zu sprechen begann.

Seine Stimme war tief und feierlich, aber seine Worte schienen in ihrem harten wechsellosen Tone keine menschliche Empfindung auszudrücken. Seine Augen versanken, statt sich, während er redete zu erhellen, wieder in dumpfe, geistesleere Bewußtlosigkeit. Bei ihm schien die Verbindung zwischen der Rede und der sie begleitenden und erläuternden Thätigkeit des Blickes, welche man bei allen Menschen bemerkt, verloren zu sein. Es war furchtbar, das todtenähnliche Gesicht zu erblicken und in demselben Moment die lebende Stimme zuhören.

»Sieh da, die Frommen kommen in den Tempel!« murmelte der Heide, »die guten Diener der mächtigen Religion versammeln sich auf den Ruf des Priesters. Aus den fernen Provinzen, wo die Feinde der Götter die geheiligten Haine entweihen, versammelt sich das zerstreute Volk des Nachts, um zum Tempel des Serapis zu reisen. Anbetende Tausende knieen in den hohen Vorhallen, während im Innern in der geheimen Halle, wo das Licht dämmerig ist, wo die Luft um die athmenden Götter auf ihren goldenen Fußschemeln bebt, liest der Hohepriester Ulpius die Geschicke der Zukunft, die vor seinem Auge aufgerollt sind, gleich einem Buche.«

Als er schwieg und ohne die Hände seiner Gefangenen loszulassen, dieselben fest anblickte, erglänzten seine Augen von Neuem, drückten aber keine Wiedererkennung des Vaters oder der Tochter aus. Das Delirium seiner Einbildungskraft hatte ihn nach dem Tempel in Alexandrien geführt, die Tage waren aufs Neue erschienen, wo sein Ruhm den Gipfelpunkt erreicht hatte, wo die Christen vor ihm als ihrem grimmigsten Feinde bebten und die Heiden ihn als ihre letzte Hoffnung umgaben.

Die Opfer seines frühem, vergessenen Verraths waren für ihn nur zwei von der Menge der Andächtigen, die durch den Ruf seiner Beredtsamkeit, durch die triumphierende Notorietät seiner Macht, die Anhänger des alten Glaubens zu beschützen, angelockt wurden.

Aber nicht immer gab sich sein Wahnsinn auf diese Weise kund. Es gab Augenblicke, wo er sich bis zu Entsetzen erregender Raserei erhob. Dann bildete er sich ein, daß er wieder die stürmenden Christen von den Mauerzinnen des belagerten Tempels herabschleudere —— in jener längst vergangenen Zeit, wo das Heiligthum des Serapis von dem Bischof von Alexandrien der Zerstörung geweiht worden war. Sein Wuthgeschrei. seine rasenden Verwünschungen des Trotzes waren weithin durch die feierliche Stille des pestgeschlagenen Rom zu hören. Diejenigen, welche während der schrecklichsten Tage der gothischen Blockade verhungert auf dem Steinpflaster vor dem kleinen Tempel niedersanken, wenn sie daran vorüber zu gehen versuchten, boten einige grausige Wirklichkeit des Todes, die die Träume des Wahnsinnigen von Schlacht und Kampf verkörperten. Die das Leben verhauchenden Opfer des Hungers auf der Straße hörten über ihnen seine Stimme, die sie als Christen mit rasenden Flüchen überschüttete, über sie als von seiner Hand gefallene, besiegte Feinde triumphierte und seine eingebildeten Anhänger ermahnte, die eben Erschlagenen auf die Todten unterhalb zu schleudern, bis die Leichen der Tempelbelagerer als Schranken gegen ihre lebenden Kameraden um die Mauern aufgehäuft sein würden. Zuweilen verherrlichte er in seinem Delirium die blutigen Ceremonien des heidnischen Aberglaubens, dann entblößte er seine Arme und schrie laut nach dem Opfer, er beging dunkle, namenlose Abscheulichkeiten, denn auch jetzt lagen die Todten und Sterbenden vor ihm, um die Schatten seiner schlimmen Gedanken zu verkörpern und Pest und Hunger lieferten ihm wie Geschöpfe seines Willens das Opfer für den Altar in die Hände.

Zu anderen Zeiten, wenn der Anfall der Tobsucht vorüber war, und er keuchend in der finstersten Ecke des Tempels lag, nahm sein Wahnsinn eine andere trauernde Form an. Seine Stimme wurde leise und klagend, die Trümmer seines umherschweifenden Gedächtnisses schwammen weit, weit zurück auf dem dunkeln Gewässer der Vergangenheit und seine Zunge sprach Fragmente von Worten und Phrasen aus, die er an den Knieen seines Vaters gemurmelt —— kindische Abschiedswünsche, die er in seiner Mutter Ohr gehaucht —— unschuldige besorgte Fragen, die er an Macrinus den Hohenpriester gerichtet hatte, als er zu Alexandrien in den Dienst der Götter getreten war. Seine jugendlichen Träumereien —— die sanfte Redeweise und die Poesie der Gedanken seiner ersten Jugendtage wurden jetzt durch die unerforschlichen, unwillkürlichen Einflüsse seiner Krankheit in seinen gebrochenen Worten neu belebt, in seinem trostlosen Greisenalter des Wahnsinns und Verbrechens erneuert, in unbewußtem Spotte von seinen Lippen ausgehaucht, während noch der Schaum an ihnen hing und die letzten Blitze der Raserei noch seine Augen erhellten.

Diese unnatürliche Ruhe der Sprache und Lebhaftigkeit der Erinnerung, dieser verrätherische Schein nachdenklicher wehmüthiger Fassung dauerte oft ununterbrochen lange Perioden hindurch fort, aber früher oder später stellte sich die plötzliche Veränderung ein, die trügerische Kette der Gedanken zerriß in einem Augenblicke, das Wort blieb unbeendet, die müden Glieder schnellten krampfhaft zu erneuter Thätigkeit auf, und wie der Traum der Gewaltthätigkeit zurückkehrte, und der Traum des Friedens verschwand, schwelgte der Wahnsinnige von Neuem in seiner Wuth und wanderte, wie ihn seine Visionen führten, in seinem Tempelheiligthume umher und wenn die Nacht am dunkelsten und der Tod in Rom am geschäftigsten war unter den Sterbenden in verödeten Häusern und den Leblosen auf den stummen Straßen herum.

Aber es gab andere spätere Ereignisse seiner Existenz, die sich nie in seinem Innern belebten. Das alte vertraute Bild des Serapis, welches ihn, als er wieder nach Rom kam, in den Tempel gezogen hatte, zehrte in sich und in den mit ihm verknüpften Erinnerungen alles was noch von seinen gelähmten Geisteskräften in Thätigkeit geblieben war, auf. Seine Verrätherei in Numerians Hause, sein Durchbrechen der geborstenen Mauer, seine zermalmende Zurückweisung im Zelte Alarich’s beschäftigte seine umherschweifenden Gedanken auf keinen Augenblick. Die Wolken, welche seinen Geist umschleierten, öffneten sich, um ihm kurze Blicke auf die Mühen und Triumphe seiner frühem Laufbahn zu gewähren, aber sie umhüllten alle späteren Tage seines traurigen Lebens mit undurchdringlicher Finsterniß. Dies war das Wesen, dessen Willen durch ein räthselhaftes Schicksal Vater und Kind jetzt verfallen waren —— dies die einsame hoffnungslose Abscheu erregende Existenz des schlauen, mitleidslosen Verräthers ihrer früheren Tage!

Seit er zu sprechen aufgehört hatte, war der kalte leichenähnliche Druck seiner Hand allmälig stärker geworden und er hatte angefangen, langsam und forschend von einer Seite zur andern zu blicken. Wenn diese Veränderung die nahe Rückkehr seines Tobparoxismus bezeichnet hätte, so würde Numerians und Antoninens Leben im nächsten Augenblicke verloren gewesen sein, aber er verkündete weiter nichts als die Erneuerung der hohen unbestimmten Ideen von Berühmtheit und Erfolg, von priesterlicher Ehre und Einfluß, von dem Glanze und der Herrlichkeit der Götter, welche ihm seine letzten Worte eingegeben hatte. Er machte eine plötzliche Bewegung und zog die Opfer seiner gefährlichen Laune um einige Schritte tiefer in das Innere des Tempels, und führte sie dann dicht zu der hohen Zusammenhäufung von Gegenständen, welche Numerians Augen beim Eintritt in das Gebäude zuerst auf sich gelenkt hatten.

»Kniet nieder und betet an!« rief der Wahnsinnige heftig, indem er seine Hände wieder auf ihre Schultern legte und sie auf den Boden niederdrückte. »Ihr steht vor den Göttern, Ihr befindet Euch vor ihrem Hohenpriester!«

Der Kopf des Mädchens sank vorwärts und sie verbarg ihr Gesicht in den Händen, aber ihr Vater blickte zitternd an der Zusammenhäufung hinaus. Seine Augen hatten sich unmerklich an das Dämmerlicht des Tempels gewöhnt und er sah jetzt die Gegenstände, welche die sich vor ihm erhebende Masse bildeten, deutlicher. Hunderte von Götterbildern aus Gold, Silber und Holz, —— viele aus dem letzteren Material von mehr als Lebensgröße, Thronhimmel, Gewänder, Möbel, Werkzeuge, Alle von altheidnischer Form waren unordentlich durch einander, volle fünfzehn Fuß hoch zusammengehäuft. In dem Aussehen der Masse lag etwas zugleich Abschreckendes und Groteskes. Die monströsen Gestalten der Götzen mit ihren roh geschnitzten Draperien und symbolischen Waffen lagen in der wildesten Verschiedenartigkeit der Stellung da und zeigten die auffallendsten Ungewöhnlichkeiten der Umrisse, besonders in den höheren Theilen der Masse, wo sie offenbar durch die Hand, welche den Haufen zusammengebracht hatte, vom Boden aus hinaufgeworfen worden waren. Die mit den Bildern und dem Hausrath vermengten Draperien waren bald schlangenartig um sie gewickelt, bald hingen sie auf den Boden nieder und bewegten sich langsam und feierlich in den Winden, welche durch die Tempelthür hiereindrangen. Die unregelmäßig in der Masse verstreuten kleineren goldenen und silbernen Gegenstände schimmerten aus derselben hervor wie glühende Augen, während der Haufen selbst an einem solchen Orte im dämmernden Lichte erblickt, wie ein großes, mißgestaltetes Ungeheuer«— die düstere Verkörperung des blutigsten Aberglaubens des Heidenthums, das Erzeugniß feuchter Lüfte und geil wuchernden Ruins, des Schattens und der Finsterniß verfluchter pesthauchender Einsamkeit —— aussah!

Selbst in ihrer Lage besaß die Zusammenhäufung so gut wie in den Gegenständen, aus welchen sie zusammengesetzt war, ein Unheil verkündendes Aussehen, ihre nach dein Gipfel zu breiter werdende Masse hing gegen die Thür hin furchtbar über, es schien als könne eine einzige Hand sie aus ihrem ungewissen Gleichgewichte bringen und sie augenblicklich in einer zusammenhängenden Masse zu Boden stürzen.

Es waren viele mühselige Stunden vorübergegangen und lange geheime Arbeit daraus verwendet worden, um diese schwankende, gespenstische Masse aufzurichten, aber sie war das Werk einer einzigen Hand. Allnächtlich war der Heide in die verlassenen Tempel der umliegenden Straßen gedrungen und hatte sie ihres Inhalts beraubt, um sein Lieblingsheiligthum zu bereichern. Die Entfernung der Statuen von ihren bestimmten Orten, die bei einem Geringern Heiligthumsschändung gewesen sein würde, war in seinen Augen das hohe Privilegium des Hohenpriesters allein. Er hatte schwere Lasten getragen und starke Befestigungsmittel auseinandergerissen und stundenlang durch dieselben finsteren Straßen gekeucht, ohne bei seiner Ausgabe zu verziehen. Er hatte Schätze und Statuen über einander gehäuft, er hatte die Basis dieser kostbaren, geheiligten Masse verstärkt und ihren Gipfel erhöht. Er hatte mit einer Geduld und Ausdauer, die kein Mißlingen, keine Ermüdung zu überwältigen vermochte, diesen neuen babylonischen Thurm, den er sich bis zum Olympus des Tempeldaches zu führen sehnte, ausgebessert und neugebaut, wenn derselbe zerfallen und zusammengestürzt war. Es war der liebste Zweck seiner heidnischen Träume, sich mit unzähligen Gottheiten zu umgeben, so wie unzählige Andächtige zu versammeln, das Heiligthum seiner Wohnung zu einem mächtigen Pantheon, so wie zu einem Punkte der Vereinigung für die verstreuten Gemeinden der heidnischen Welt zu machen. Dies war der grenzenlose Ehrgeiz, in welchem sich sein Wahnsinn zum wüthendsten Fanatismus anschwellte, und als er jetzt neben seinen knieenden Gefangenen aufrecht dastand, blickten seine flammenden Augen mit ehrerbietiger Scheu auf seine Idole, er erhob seine Arme in feierlichem verzückten Triumphe und ergoß an dem barbarischen Altare, welchen seine ununterstützten Kräfte errichtet hatten, in leisen Tönen seine wilden durcheinander gemengten, fragmentarischen Gebete aus.

Welche Wirkung seine verwirrten wilden Ausrufungen auch auf Numerian machen mochten, so blieben sie doch von Antonina unbemerkt, ja selbst ungehört, denn jetzt, wo die Stimme des Wahnsinnigen sich zu einem Flüstern herabsenkte und während sie alle Gegenstände um sich her, vor ihren Augen verbarg, erwachten ihre Sinne zu Tönen im Tempel, die sie noch nie wahrgenommen hatte.

Der schnelle Strom des Tiber bespülte die Grundmauern auf der einen Seite des Gebäudes, in welchem das einschläfernde Rieseln des Wassers mit merkwürdiger Deutlichkeit zu hören war. Außerdem schlug aber noch ein anderer lauterer Ton an das Ohr. An dem Dache des Tempels hingen noch Reihen von kleinen vergoldeten Glöckchen, die ursprünglich theilweise zur Zierde, theilweise aber auch dazu dort angebracht worden waren, um durch das Geräusch, welches sie, wenn sie vom Winde bewegt wurden, machten, die Vögel am Niederlassen auf dem geweihten Gebäude abzuhalten. Die Klänge dieser Glöckchen waren silbern und hoch; bald, wenn der Wind stark war, klangen sie munter und anhaltend zusammen, bald, wenn er sank, waren ihre Töne schwach, einzeln und unregelmäßig und in ihrer reinen metallischen Weichheit fast klagend. Wie sich aber auch ihr Ton unter dem launischen Einflusse des Windes verändern mochte, so schien er doch stets innerhalb des Tempels wunderbar mit dem leisen ewigen Rauschen des Flusses gemischt zu sein, welches selbst die geringsten Pausen in dem angenehmen Läuten der Glöckchen ausfüllte und selbst während derselben seine sanfte monotone Harmonie hörbar werden ließ.

In dieser ungewohnten Combination von Klängen, lag, wenn man sie in dem gewölbten Innern des kleinen Gebäudes vernahm, etwas seltsam Einfaches, Bezauberndes und Geistiges. Je länger man sie anhörte, desto vollkommener verlor der Geist die Erinnerung an ihren eigentlichen Ursprung und bildete sich allmälig immer wildere und wildere Phantasien aus ihnen, bis die Glöckchen mit ihrem leisen Geläute seligen Stimmen eines himmlischen Stromes zu gleichen, leicht auf seinen klaren Wellen dahin getragen zu werden und über die ihnen zumurmelnden Gewässer zu jubeln schienen.

Trotz der Gefahr ihrer Lage und des Schreckens, welcher sie noch sprachlos an den Boden heftete, war auf Antoninen der Eindruck der seltsamen gemischten Musik des Flusses und der Glöckchen, da sie dieselben zum ersten Male hörte, mächtig genug, um alle ihre übrigen Empfindungen in momentaner Verwunderung und Zweifel aufzulösen. Sie zog ihre Hände vom Gesicht und blickte mechanisch nach der Thür als ob sie sich einbilde, daß die Klänge von der Straße kämen.

Eben als sie dorthin blickte, überzog die untergehende Sonne zwischen zweien von den äußeren Säulen, die den Tempel umgaben, hereinfallend, die glatten Fließen vor dem Eingange mit einem hellen Glanze. In dem warmen milden Lichte flog müde ein Schwarm von Insekten umher und ihr schwaches, eintöniges Summen ließ das über allen äußeren Dingen ruhende vollkommene Schweigen eher noch tiefer erscheinen, als daß es dasselbe unterbrochen hätte. Bald aber sollte eine Veränderung in der Ruhe des stillen Ortes eintreten, es war während Antonina noch hinschaute, kaum eine Minute vergangen, als sie über das sonnige Pflaster einen dunkeln Schatten herangleiten sah, denselben Schatten, den sie erblickt hatte, als sie auf ihrer Flucht stehen geblieben war, um sich in der leeren Straße umzusehen. Zuerst wurde er langsam länger und immer länger, dann blieb er stehen, dann entfernte er sich und verschwand eben so allmälig, wie er herangekommen war, und dann war es dem Mädchen als höre sie einen schwachen Ton von Schritten, die sich in dem seitlichen Säulengange, nach dem den Fluß überschauenden Theile des Gebäudes, zurückzogen.

Ein leiser Schreckensschrei rang sich von ihren Lippen, als sie gegen ihren Vater hin zurücksank, aber er blieb unbeachtet. Die Stimme des Heiden hatte in der Zwischenzeit ihren hohlen lauten Ton wieder angenommen, er hatte Numerian vom Boden erhoben, sein starker, kalter Griff, der bis in das Herz des Greises zu dringen schien und ihn wie mit einem bösen Zauber hilf- und bewegungslos festhielt, war an seinem Arme ——

»Hört es! »Hört es!« rief der Wahnsinnige, indem er seine freie Hand ausstreckte, als rede er eine große Menschenmenge an. »Ich befördere diesen Mann zu einem Diener des Hohenpriesters! Er ist aus einem fernen Lande nach dem Heiligthume gekommen, er ist vor dem Altare der Götter gelehrig und gehorsam, das Los seines künftigen Lebens ist geworfen, seine Wohnung soll bis zum Tage seines Todes im Tempel sein. Er soll vor mir in weißen Gewändern dienen und das dampfende Rauchfaß schwingen und das Opfer zu meinen Füßen tödten.«

Er hielt inne. Ein düsterer, entsetzlicher Ausdruck trat in seine Augen, als das Wort Opfer über seine Lippen ging. Er murmelte zweifelnd vor sich hin:

»Das Opfer! ist die Stunde des Opfers schon gekommen?« und sah sich nach der Eingangsthüre um.

Die Sonne schien noch hell auf das äußere Steinpflaster, die Insekten kreisten noch langsam in dem milden Lichte, kein Schatten war jetzt sichtbar, man hörte keine fernen Schritte, man vernahm nichts als die frohe Musik des rieselnden Wassers und der läutenden Silberglöckchen. Einige Augenblicke lang schaute der Heide ängstlich nach der Straße hinaus, ohne ein Wort zu sprechen oder einen Muskel zu bewegen. Die Tobwuth war nahe daran, sich seiner wieder zu bemächtigen als der Gedanke an das Opfer durch seinen verdunkelten Geist zuckte, aber das Eintreten derselben verzögerte sich abermals. Er wendete langsam den Kopf nach dem Innern des Tempels.

»Noch scheint die Sonne hell in den äußeren Höfen,« murmelte er leise; »noch ist die Stunde des Opfers nicht erschienen! komm!« fuhr er lauter fort, indem er Numerians Arm schüttelte; »es ist Zeit, daß der Diener des Tempels die Opferstätte erblickt und vor Sonnenuntergang das Opfermesser schärft! Steh auf Sklave und folge mir!«

Bis jetzt hatte Numerian weder gesprochen noch einen Fluchtversuch gemacht. Die bisherigen Ereignisse waren, wiewohl es eine Zeitlang gedauert hat, sie zu beschreiben, in einer so kurzen Periode vorübergegangen, daß er sich noch nicht von dem ersten betäubenden Schrecken der Begegnung mit dem Heiden hatte erholen können. Jetzt aber fühlte er trotz seiner Verschüchterung, daß der Augenblick des Ringens um Freiheit gekommen war.

»Laß mich los! Wir wollen gehen! —— zwischen uns kann keine Gemeinschaft mehr existieren!« rief er mit dem rücksichtslosen Muthe der Verzweiflung, indem er Antoninens Hand ergriff und sich von dem Wahnsinnigen loszumachen rang. Die Anstrengung war aber vergeblich —— Ulpius hielt ihn nur um so fester und lachte triumphierend.

»Was!« rief er, »der Diener des Tempels ist vor dem Hohenpriester in Schrecken! und fürchtet sich an der Opferstätte zu wandeln? Fürchte nichts, Sklav!

Der Mächtige, der über Leben und Tod und Zeit und Zukunft herrscht, ist freundlich gegen den Diener seiner Wahl! Vorwärts! vorwärts! nach dem Orte der Finsterniß und des Todes, wo ich allein allmächtig bin und alle anderen Geschöpfe, die zittern und gehorchen! An Deine Aufgabe Schüler! Mit Sonnenuntergang muß das Opfer gekrönt sein!«

Er blickte auf Numerian, als er sich anschickte ihn vorwärts zu ziehen und ihre Augen begegneten einander. In seiner stolz gebietenden Gebärde und dem wilden Triumph seines Blickes sah der Vater nur in noch phantastischerer Form denselben Ausdruck und dieselbe Stellung wiederholt, welche er am Morgen, wo er sein Kind verloren, an dem Heiden erblickt hatte. Alle Umstände jener Unglücksstunde, das leere Schlafgemach, die verbannte Tochter, —— der Triumph des Verräthers —— die Qual des Verrathenen stürmten auf seinen Geist herein und erhoben sich vor seinen Augen mit den lebhaften Farben eines Gemäldes; er rang nicht weiter, seine geistigen und körperlichen Widerstandskräfte waren gleich zermalmt. Er machte einen Versuch Antoninen von sich zu stoßen, als wollte er, des verborgenen Feindes außerhalb vergessend, sie zur Flucht durch die offene Thür anspornen, so lange noch die Aufmerksamkeit des Wahnsinnigen nicht auf sie gelenkt war. Außer dieser letzten Anstrengung des starken Instinktes der Vaterliebe schien aber jeder andere Gedanke in ihm erstorben zu sein.

Umsonst hatte er sich bemüht, das Kind von dem Schicksale zu befreien. welches dem Vater bevorstehen mochte —— für sie war die Furcht vor dem dunkeln Schatten auf dem Pflaster stärker als alle übrigen Besorgnisse. Sie schmiegte sich jetzt noch dichter an ihren Vater und hielt seine Hand noch fester. Als der Heide also in das Innere des Tempels schritt, war es nicht bloß Numerian, der ihm nach der Opferstätte folgte, sondern auch Antonina.

Sie begaben sich hinter die aufgehäuften Götterbilder. Auf der Rückseite der Masse zeigte sich eine hohe Zwischenwand von vergoldetem und eingelegtem Holze, die bis zur Decke hinaufreichte und den äußern Raum des Tempels von dem inneren trennte. Eine niedrige Oeffnung, die durch geschnitzte Thüren gleich denen auf der Vorderseite des Gebäudes geschützt wurde, war in der Abtheilungswand angebracht, durch diese trat jetzt Ulpins mit seinem Gefangenen in den Raum jenseits derselben.

Dieses Gemach war bedeutend kleiner als die erste Halle des Tempels, welche sie so eben verlassen hatten. Die Decke wie der Boden gingen schief hinab und hier war das Rieseln der Tiberwellen ihnen deutlicher hörbar als in der äußeren Abtheilung des Gebäudes. In dem Augenblicke, wo sie hineintraten, war der Ort sehr finster, der Haufen von Götterbildern fing sogar das wenige Licht auf, welches durch den schmalen Eingang hätte fallen können, aber die dichte Finsterniß wurde bald zerstreut. Ulpins zog Numerian hinter sich nach der linken Seite der Abtheilung, er warf eine Art von hölzernen Laden zurück und augenblicklich strömte ein blendender Lichtstrahl durch eine kleine in diesem Theile des Tempels angebrachte kreisförmige Oeffnung.

Jetzt wurde am untern Ende des Gemachs eine weit aufklaffende Höhlung in der Mauer sichtbar, die hoch genug war, um einen Menschen aufrecht einzulassen, die aber fast perpendikular zu einer unteren Räumlichkeit hinabführte, welche man nicht zu sehen vermochte, da kein Licht von diesem steilen, künstlichen Abgrund heraufkam, in dessen Dunkelheit sich das Auge verlor, nachdem es auf einige Fuß von der Oeffnung eingedrungen war.

Am Fuße des so sichtbar gewordenen Raumes sah man den Anfang einer Treppe, welche offenbar tief in die Höhlung hinabführte. Auf den steil abfallenden Wänden, die sie von allen Seiten umgrenzten, waren in den glänzenden Farben der alten Fresken Darstellungen der Gottheiten der Mythologie gemalt. Sie befanden sich alle in Stellungen, als ob sie in die Höhlung hinabstiegen und Allen folgten Nymphengestalten mit Blumenguirlanden in den Händen, schöne Vögel und andere ähnliche Bestandtheile der Opferceremonien des Heidenthums. Der abstoßende Contrast zwischen den glänzenden und graziösen Gestalten der Fresken und dem gefährlichen, düsteren Aussehen der Höhle, welche sie zierten, erhöhte die entsetzliche Bedeutsamkeit des Charakters des ganzen Gebäudes auf das Merkwürdigste. Seine frühere sündige Anwendung schien unverlöschlich auf jedem Theile davon eingeschrieben zu sein, wie vergangene Verbrechen und Qualen unverwischbar auf dem menschlichen Antlitz verzeichnet bleiben, der Geist sog davon Schrecken erregende Ideen von tödtlichem Verrath, von geheimen Abscheulichkeiten, von furchtbaren Verfeinerungen der Tortur, die kein uneingeweihtes Auge je erblickt hatte und denen Widerstand zu leisten, keine menschliche Entschlossenheit je kräftig genug gewesen war.

Aber die so empfangenen Eindrücke wurden nicht bloß durch das, was man in der Höhle und um dieselbe erblickte, sondern auch durch das, was die Ohren dort vernahmen, hervorgebracht. Der Wind drang in einiger Entfernung und durch eine Oeffnung, welche nicht zu sehen war, herein und wurde, wie es schien auf seinem Wege aufgefangen, denn er pfiff in schrillen langgezogenen Tönen nach dem Eingange des Schlundes herauf, zuweilen brachte er aber auch einen andern und noch näheren Ton hervor, der dem Klirren von einer Menge kleiner, heftig gegen einander schlagender, metallischer Substanzen glich. Das Geräusch des Windes, sowie das Rauschen des Tiber schienen aus einer größeren Entfernung zu kommen, als mit dem geringen Umfange des hinteren Tempeltheiles und der Nähe des Flusses an seinen niedrigen Grundmauern verträglich war. Offenbar erreichte die Höhlung erst dann ihren Ausgang, nachdem sie rückwärts unter dem Gebäude in seltsam verwickelten Gängen oder Kellerlabyrinthen hingegangen war, die in alten Zeiten als Kerker für Lebende- oder Gräber für Tode erbaut sein mochten.

»Die Opferstätte —— aha! die Opferstätte! rief der Heide triumphierend, als er Numerian an den Eingang der Höhle zog und feierlich in das Dunkel hinab deutete.

Der Vater blickte in den finsteren Schlund hinab, ohne sich jetzt weiter zu Antoninen umzuwenden, ohne sich zu bewegen, um den Freiheitskampf zu erneuern. Die irdischen Neigungen und Hoffnungen beginnen in seinem Herzen zu verbleichen —— er betete. Die feierlichen Worte der christlichen Gottesanrufung fielen in leisen murmelnden Tönen am Orte des Götzendienstes und Blutvergießens von seinen Lippen und mischten sich mit den unzusammenhängenden Ausrufungen des Wahnsinnigen, der ihn gefangen hielt und jetzt seine glimmenden Augen auf die Höhlung heftete und in dem düsteren fesselndem Zauber, welchen sie selbst auf ihn übte, beinahe die Gefangenen, die er noch an ihrer Mündung festhielt, vergaß.

Der einzige Lichtstrahl, den die kreisförmige Oeffnung in der Mauer hereinließ, fiel wild und phantastisch auf die sehr verschiedenen Gestalten der Drei, als dieselben so vereint vor dem unter ihnen aufgähnenden Abgrunde standen. Rund um sie her lag Alles im Schatten. An dem Orte des Unheils herrschte kein Licht, als der eine helle Strahl, welcher auf die gespenstische Gestalt des Ulpius, der noch in die Dunkelheit hinab deutete, auf die starren Züge Numerian’s der in der Bitterkeit der Todeserwartung betete, und über die zarte jugendliche Gestalt Antoninens hereinströmte die sich zitternd an ihren Vater schmiegte. Es war ein feierliches Schauspiel, an welchem die Erde keinen Theil zu haben schien.

Unterdessen zeigte sich der Schatten, welchen das Mädchen auf dem Pflaster vor der Tempelthür bemerkt hatte, dort wieder von Neuem, aber nicht um sich zurückzuziehen, wie das erste Mal, denn im Augenblicke darauf trat Goiswintha leise in das äußere Gemach des Gebäudes, welches die ersten Eingetretenen verlassen hatten. Sie schlich um die Aufhäufung von Götzens bildern, blickte in den inneren Raum des Tempels und sah die drei Gestalten dort in dem Lichtstrahle düster und bewegungslos vor der Mündung des Abgrundes stehen. Ihr erster Blick heftete sich auf den Heiden, dem sie instinkmäßig mißtraute und ihn fürchtete und dessen Zweck bei der Gefangenhaltung des Vaters und der Tochter sie nicht zu errathen vermochte. Der zweite fiel auf Antoninen.

Die Stellung des Mädchens war eine geschützte. Noch immer ihres Vaters Hand haltend, war sie theilweise durch seinen Körper gedeckt und stand, ohne es zu bemerken, unter dem Arme des Heiden, den derselbe erhoben hatte, um Numerians Schulter zu erfassen. Goiswintha bemerkte dies, erinnerte sich daran, daß Antonina ihr schon zweimal entgangen war, sie zauderte einen Augenblick und begann darauf mit vorsichtigem Schritte und gerunzelter Stirn wieder nach der Eingangsthür des Tempels sich zurückzuziehen.

»Noch nicht —— die Zeit ist noch nicht gekommen!« murmelte sie, als sie sich wieder in ihren frühem Versteck begab, »sie stehen, wo das Licht auf ihnen ruht —— das Mädchen ist bewacht und geschützt —— die beiden Männer sind noch neben ihr. Der Augenblick der That ist noch nicht gekommen —— der Streich des Messers muß sicher und fest sein! Fest, denn diesmal muß sie von meiner Hand sterben! —— sicher, denn ich habe außer der Rache an ihr noch andere zu üben! Ich, die ich seit der Nacht, wo ich von Aquileja entrann, geduldig und schlau gewesen bin, will geduldig und schlau bleiben. Wenn sie über die Schwelle tritt, so tödte ich sie im Herausgehen, wenn sie im Tempel bleibt ——«

Bei dem letzten Worte hielt Goiswintha inne und blickte nach oben. —— Die untergehende Sonne warf ihren feurigen Glanz auf ihr hageres Gesicht und ihr Auge strahlte wild in dem vollen Lichte.

»Die Dunkelheit ist nahe!« fuhr sie fort, »in den finsteren Hallen des Tempels wird die Nacht dicht und schwarz sein, ich werde sie sehen, während sie mich nicht erblicken soll! —— Die Dunkelheit naht, die Rache ist sicher! Sie preßte die Lippen auf einander, hüllte sieh enger in ihr Gewand und fuhr fort zu wachen und zu warten, wie sie bisher entschlossen gewacht und gewartet hatte.

Der Römer und die Gothin, die Gegensätze im Geschlecht, in der Nation und dem Schicksal —— der Wahnsinnige, der im Tempel von dem blutigen Aberglauben des Heidenthums träumte, und die Mörderin, die außerhalb über den Aussichten auf Blutvergießen brüte, waren jetzt zu einer von Beiden umgekehrten, geheimnißvollen Gleichheit der Erwartung verbunden —— die Stunde, wo die Sonne vom Himmel verschwand, war für Beide die Stunde des Opfers.

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Im Gange der Ereignisse ist jetzt eine momentane Pause eingetreten. Später zu erzählende Vorfälle machen es nöthig, den Zwischenraum zu benutzen, um den Leser mit der eigentlichen Natur und dem Zwecke der Höhlung in der Tempelwand, deren äußeres Aussehen wir bereits beschrieben haben, bekannt zu machen.

Die bezeichnende Eigenthümlichkeit im Gebäude der heidnischen Religion läßt sich am Passendsten mit der bezeichnenden Eigenthümlichkeit mit dem Bau der heidnischen Tempel bezeichnen. Beide waren dazu bestimmt, das Auge nur durch den äußern Effekt anzuziehen, welcher bei beiden die falsche, trügerische Abspiegelung des inneren Wesens war. Im Tempel ließ man dem Volke, wenn es unter dem langen Säulengange anbetete, oder von der Straße aus die hohen Vorhallen erblickte, sich die entsprechende Majestät und Symmetrie des Innern des Gebäudes denken, und gestattet es ihm nicht, zu entdecken, wie sehr es die glänzenden Erwartungen täuschte, welche das Aeußere einzuflößen so sehr geeignet war, wie wenig die dunkeln engen Hallen der Idole die geheimen Gewölbe und düsteren Raume im Stillen die Versprechungen der hohen Treppen, des breiten Pflaster, der massiven, im Sonnenglanze leuchtenden Säulen des Aeußeren erfüllte. So wurde auch in der Religion der Andächtige durch den Glanz von Prozessionen, die Pracht der Augurien, die Poesie des Glaubens angelockt, welcher seine heimathlichen Wälder mit scherzenden Dryaden und die Quellen, aus denen er trank, mit ihren schützenden Najaden bevölkern, der dem Berge und See, der Sonne, dem Monde und den Sternen, allen Dingen um und über ihm ihre phantastische Allegorie oder ihre anmuthige Legende von Schönheit und Liebe verlieh. Ueber dies hinaus ließ man aber seine erste Bekanntschaft mit seiner Religion nicht gehen, hiermit endete seine Einweihung. Man ließ ihn in Unwissenheit über die dunkeln, gefahrvollen Tiefen, welche unter der glatten anziehenden Oberfläche lauerten; man ließ ihn glauben, daß das, was gezeigt wurde, nur das Vorspiel der künftigen Entdeckung der Schönheit, die in den Gebräuchen des Heidenthums verborgen lag, sei; man ließ ihm nicht die erbärmlichen Betrügereien, die abscheulichen Orgien, die widerlichen Beschwörungen, die blutigen, insgeheim ausgeführten Menschenopfer erblicken, die das wahre Wesen der schönen äußern Gestalt bildeten. Der erste Anblick des Tempels täuschte sein Auge nicht weniger, als sein erster Eindruck von der Religion seinen Geist verblendete.

Mit den verborgenen, schuldbefleckter Mysterien des Heidenthums stand die Höhlung, vor welcher sich jetzt Ulpius mit seinen Gefangenen befand, in genauer Verbindung.

Die Menschenopfer, welche bei den Römern gebracht wurden, waren von zwei Arten, öffentliche und geheime. Die ersteren kamen in den frühen Jahren der Republik jährlich vor, wurden später verboten, von Augustus, der seine Kriegsgefangenen am Altare des Julius Cäsar opferte, wieder belebt und dann —— wiewohl unter nachfolgenden Regierungen zu besonderen Zwecken zuweilen erneuert, in der letzten Periode des Kaiserreichs als Theile der Ceremonien des Heidenthums gänzlich aufgegeben.

Die geheimen Opfer, welche mit den Mysterien der Mythologie in Verbindung standen und vor der beaufsichtigenden Regierung verborgen gehalten wurden, blieben weit länger im Gebrauche und dauerten wahrscheinlich bis zum allgemeinen Erlöschen des Heidenthums in Italien und den Provinzen. Es waren eine, Menge von den verschiedenartigsten Behältnissen zur Darbringung menschlicher Opfer in den verschiedenen Theilen des Reiches vorhanden, in den menschenerfüllten Stadien so gut wie in seinen einsamen Wäldern —— und eines von den merkwürdigsten und am längsten bewahrten war die große Höhlung in der Mauer des Tempels, welche Ulpius zu seinem Versteck in Rom gewählt hatte.

Das kellerartige Gewölbe war nicht bloß als versteckter Ort für die Handlung des Opfers und die Leiche des Geopferten erbaut worden. Die Art seiner Konstruktion war durch einen blutigen Kunstgriff verwickelter gemacht worden, indem man in der Höhlung selbst das Werkzeug der Opferung anbrachte, indem man es so zu sagen nicht bloß zum Behälter, sondern auch zum Verschlingen seiner menschlichen Beute machte. Am Fuße der hinableitenden Treppe —— von welcher, wie wir bereits erwähnt haben, nur der obere Theil von dem Eingange im Tempelgemach aus sichtbar war, hatte man die eherne Gestalt eines Drachen angebracht.

Der Körper des Ungeheuers, der der Treppe gegenüber fast im rechten Winkel aus der Mauer hervorragte, wurde nach allen Richtungen hin durch stählerne Federn bewegt, welche mit einer der unteren Stufen und mit einem im Rachen der Gestalt angebrachten Schwerte, welches die Zunge des Drachen darstellte, in Verbindung standen. Die Wände rückten um die Stufen, wenn man sich dem Drachen näherte, so zusammen, daß sie kaum einen menschlichen Körper hindurch ließen. Beim leisesten Drucke auf die Stufe, mit welcher die Feder zusammenhing, schoß der Körper des Ungeheuers vorwärts und das Schwert drang aus seinem Rachen augenblicklich in einer solchen Höhe über den Stufen hervor, daß es die hinabsteigende Person an einer tödtlichen Stelle durchbohren mußte. Die hierauf durch ihre eigene Schwere vom Schwerte herabfallende Leiche stürzte durch eine, röhrenartige Oeffnung unter dem Drachen, die in den Stufen oberhalb entgegengesetzter Richtung hinlief, hinab und gelangte an ein von den Wellen des Tiber, der unter den gewölbten Grundlagen des Tempels hinströmte, bespültes Eisengitter. Zu diesem Gitter gelangte man durch einen geheimen, von der Vorderseite des Gebäudes hinabführenden unterirdischen Gang, in welchem der Opferpriester sich der Leiche bemächtigen, Gewichte daran beseitigen, das Gitter öffnen und sie in den Fluß stürzen konnte, wo sie nie wieder von menschlichen Augen erblickt wurde.

In den Tagen, wo dieses Zerstörungswerkzeug zu dem Zwecke diente, wofür der furchtbare Scharfsinn ihrer Erfinder sie erbaut hatte, waren ihre hauptsächlichsten Opfer junge Mädchen. Mit Blumen bekränzt und in weiße Gewänder gekleidet, wurden sie dadurch verlockt, daß man sie mit reichen Opfergaben versah und ihnen sagte, daß der einzige Zweck, weshalb man sie die Stufen hinab sende der sei, die die Wände zierenden Bilder, welche wir einige Seiten weiter oben beschrieben haben, zu verwirklichen, indem sie ihre Gaben am Altare des Gottes unten, darbrächten.

Zur Zeit, von welcher wir schreiben, war der Drache schon seit vielen Jahren —— seit dem ersten Verbote des Heidenthums nicht mehr mit seiner gewohnten Beute genährt worden. Die seinen Körper bildenden Schuppen verrosteten allmählig und wurden von der Feuchtigkeit locker gemacht und brachten, wenn sie von dem Winde bewegt wurden, der von unten zu ihnen herauf drang, das klirrende Geräusch hervor, welches, wie wir bereits erwähnt haben, von Zeit zu Zeit am Munde der Höhlung hörbar wurde. Da aber die Federn, welche die tödtliche Wirkung der ganzen Maschine verursachten innerhalb derselben und bedeckt angebracht waren, so hatten sie der langsamen Einwirkung der Zeit und Vernachlässigung widerstanden und waren immer noch eben so vollkommen wie sonst geeignet, den tödtlichen Zweck, für welchen sie bestimmt waren, zu erfüllen.

Das endliche Schicksal des ehernen Drachen war das Schicksal der Religion, deren blutigsten Aberglauben er verkörperte, er fiel vor den unwiderstehlichen Fortschritten des Christenthums.

Kurz nach der Zeit unserer Erzählung wurde, da das Innere des Gebäudes, in welchem er sich befand, durch einen später zu erzählenden Vorfall gelitten hatte, das Aeußere abgetragen, um in seinen Säulen Materialien für eine Kirche zu liefern. Die Höhlung in der Mauer wurde von einem Mönche untersucht, der beider Zerstörung anderer heidnischer Tempel zugegen gewesen war und sich erboten hatte, ihren Inhalt zu entdecken. Mit einer Fackel in der einen Hand und einer eisernen Stange in der andern, stieg er die Treppe hinab und sondirte unterwegs die Wände und Stufen vor sich her. Zum ersten und letzten Male drang das Schwert unschädlich aus dem Rachen des Ungeheuers, als der Mönch mit seiner Eisenstange die verderbliche Stufe berührte, ehe er auf dieselbe trat. An demselben Tage noch wurde die Maschine zerschlagen und in den Tiber geschleudert, wohin ihre Opfer in früherer, Zeit geworfen worden waren.

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Es sind einige Minuten vergangen, seit wir den Vater und die Tochter neben dem Heiden vor dem Eingange der Höhlung verlassen haben und bis jetzt scheint noch keine Veränderung in der Lage der Drei eingetreten zu sein. Schon aber wird, während Ulpius in die Höhlung zu seinen Füßen hinabblickt, seine Stimme lauter und seine Worte werden vernehmlicher. Grausige Erinnerungen, die mit dem Orte in Verbindung stehen, beginnen sein träges Gedächtnis aufzuregen, die Finsterniß des Vergessens von seinen Gedanken zu heben.

»Sie gehen hier hinab, tief hinab!« rief er, in die Tiefen der Höhlung deutend, »und steigen nie wieder zum Lichte über der Erde auf. Unten wacht der große Vernichter und erblickt ihr Nahen in der Finstersniß! Horch, das Zischen seines Athems gleicht dem Klirren von Waffen in einem tödtlichen Kampfe!«

In diesem Augenblicke bewegte der Wind die lockeren Schuppen des Drachen. Auf einen Moment blieb Ulpius stumm und lauschte dem von ihnen hervorgebrachten Geräusche. Zum ersten Male zeigte sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck des Schreckens. Sein Gedächtniß belebte von Neuem dunkel die Umstände seiner Entdeckung der tödtlichen Maschinerie in dem Gewölbe, als er seinen einsamen Aufenthalt im Tempel genommen, als er mit der verworrenen Erinnerung an die mysteriösen Gebrauche und Beschwörungen, die geheimen Opfer, die er in Alexandrien mit angesehen und ausgeführt hatte, erfüllt, den unterirdischen Gang, welcher zu dem eisernen Gitter unterhalb des Drachen führte, gefunden und verfolgt hatte.

Als sich der Wind wieder legte und damit das Klirren des Metalls aufhörte, begann er diesen Erinnerungen in Worten Ausdruck zu verleihen und sie in langsamen feierlichen Tönen vor sich hin zu erzählen.

»Ich habe den Vernichter gesehen. Der Unsichtbare hat sich mir offenbart,« murmelte er. »Ich stand an den eisernen Gittern, die ruhelosen Wellen rangen und kämpften unter meinen Füßen, als ich hinauf in den Ort der, Finsterniß blickte. Eine Stimme rief mir zu: —— Nimm Licht und siehe mich von oben! Nimm Licht! nimm Licht! Sonne, Mond und Sterne gaben dort kein Licht! aber in der Stadt brannten Lampen in den Häusern der Todten, als ich bei nächtlicher Weile an ihnen vorüberging, und die Lampe gab Licht, als Sonne, Mond und Sterne keines gaben!

Von den obersten Stufen blickte ich hinab und sah den Gewaltigen in seinem goldenen Glanze und näherte mich nicht, sondern schaute und lauschte in Furcht. Dann ertönte wieder die Stimme! —— ich vernahm wieder die Worte: Opfere mir insgeheim, wie Deine Brüder opfern! Gib mir die Lebenden, wo die Lebenden sind, und die Todten, wo die Todten! Die Luft kam kalt herauf und die Stimme schwieg, und die Lampe glich Sonne, Mond und Sternen, sie gab kein Licht in der Stätte der Finsterniß.«

Während er noch sprach, klirrten wieder die metallenen Schuppen in der Höhlung, denn der Wind war mit dem vorrückenden Abend stärker geworden.

»Horch! Das Zeichen zum Opfer« rief der Heide plötzlich, gegen Numerian gewendet, »Horch, Sklave, die Lebenden und die Todten sind in unserm Bereich. Der Athem des Unsichtbaren trifft sie auf der Straße und im Hause —— sie schwanken auf den Wegen und fallen auf den Tempelstufen nieder. Wenn die Stunde kommt, so wollen wir hinausgehen und sie suchen. Unter meiner Hand gehen sie in das Gewölbe hinab, gleichviel, ob todt oder lebend, sie fallen hindurch auf das eiserne Gitter, wo das Wasser springt und sich freut, sie zu empfangen. Es ist mein Amt, sie oben zu opfern, und das Deine, sie unten zu erwarten, das Gitter aufzuheben und sie dem Flusse zum Verschlingen zu geben. Die Todten fallen zuerst, die Lebenden, die von dem Vernichter getödtet werden, folgen ihnen!«

Hier hielt er plötzlich inne. Sein Auge siel jetzt zum ersten Mal wieder auf Antoninen, deren Dasein er bisher völlig vergessen zu haben schien. Ein widerliches Lächeln der Schlauheit und Zufriedenheit veränderte augenblicklich den ganzen Charakter seines Gesichts, als er sie ansah und sich dann bedeutsam nach der Höhlung umschaute.

»Hier ist Eine!« flüsterte er Numerian zu, indem er sie am Arme ergriff —— »halte sie fest —— die Stunde ist nahe!«

Numerian hatte während seiner Reden achtlos dagestanden, als er aber Antoninen berührte, war schon die Gebärde genug, um den Vater von Neuem zu, wenn auch hoffnungslosem, Widerstande aufzustacheln. Er schüttelte Ulpius Hand von dem Arme des Mädchens und zog sich mit ihr athe1nlos, wachsam zweifelnd, nach der Seitenwand hinter ihm zurück.

Der Heide lachte mit stolzer Zufriedenheit.

»Mein Sklave gehorcht mir und ergreift die Gefangene —— er erinnert sich, daß die Stunde nahe ist, und läßt sie nicht los. Komm fuhr er fort; »komm hinaus in die Vorhalle! —— Es ist Zeit, daß wir auf noch mehrere Opfer warten, bis die Sonne untergeht. Der Vernichter ist mächtig und muß Gehorsam finden.«

Er ging zu der Thür, welche in den ersten Raum des Tempels führte, und wartete dann auf Numerian, der jetzt zum ersten Male, von Ulpius getrennt, an der Stelle, welche er zuletzt eingenommen hatte, verharrte und sich ängstlich umsah. Es war keine Aussicht des Entrinnens zu erblicken —— die Mündung der Höhle auf der einen Seite und die Thür in der Scheidewand auf der andern, waren die einzigen Ausgänge des Gemaches. Er hatte keine Hoffnung weiter, als die, dem Heiden in die große Halle des Tempels zu folgen, sich sorgfältig von ihm entfernt zu halten und eine Gelegenheit zur Flucht durch die Hauptthür abzuwarten. »Die, als er sie das letzte Mal erblickt hatte, so verödete Straße konnte jetzt mehr Beweise davon, daß sie bewohnt war, gewähren. Es konnten Bürger oder Soldaten. vorbeigehen und in den Tempel gerufen werden —— es konnte Hilfe in der Nähe sein.

Als er mit Antoninen hinaus ging, zogen dergleichen Gedanken schnell durch den Geist des Vaters, ohne in diesem Augenblicke von der Erinnerung an die Fremde, die ihnen vom Pincischen Thore her gefolgt war, oder die Apathie des hungernden Volkes, wenn es zur Hilfe eines Andern aufgefordert wurde, begleitet zu werden. Da der Wahnsinnige sah, daß man ihm folgte, wie er es befohlen hatte, ging er vor ihnen auf die zusammengehäuften Götzenbilder zu; jetzt aber trat eine seltsame, plötzliche Veränderung in seiner Haltung ein. Er war bisher mit dem Schritte eines jungen, kräftigen, entschlossenen Mannes gegangen, jetzt aber schleppte er einen Fuß hinter dem andern so langsam und peinlich her, als ob er eine tödtliche Wunde erhalten hätte. Er schwankte mit größerer Gebrechlichkeit, als sie seinem Alter eigenthümlich war, der Kopf sank ihm auf die Brust und er stöhnte und murmelte unartikuliert in leisem, langgezogenem Winseln.

Er war bis neben die Zusammenhäufung auf halbem Wege nach der Thüre des Tempels gelangt, als Numerian, der mit spähenden Augen die plötzliche Veränderung seines Benehmens beobachtet hatte, die Verstellung vergaß, welche noch von der größten Wichtigkeit sein konnte, sich seinem ersten Antriebe hingab, hastig mit Antoninen vorwärts eilte und den Versuch machte, an dem Heiden vorüber-zueilen und zu entfliehen. In demselben Augenblicke blieb aber Ulpius stehen, taumelte, streckte convulsivisch seine Hände aus, ergriff Numerian am Arme und schwankte mit ihm gegen die Seitenwand des Tempels. Die Finger des gequälten Elenden schlossen sich, als ob sie sich nie wieder öffnen sollten —— schlossen sich wie mit dem letzten starren Griffe eines Ertrinkenden.

Seit vielen Tagen und Nächten hatte er sich unablässig unter der unbarmherzigen Tyrannei seines Wahnsinns abgemüht, seinen Götteraltar höher und höher aufgebaut und an der Opferstätte seine heidnischen Gebete gesprochen, und jetzt, in dem Augenblicke, wo er in seinem grausamen Zwecke am triumphierendsten war, wo sein eingebildeter Sklave und sein eingebildetes Opfer ihm am hilflosesten zu Befehl waren —— jetzt, wo sich seine aufs Aeußerste gespannten Fähigkeiten bis zum höchsten Gipfelpunkte erhoben hatten, bemächtigte sich seiner der lange ausgebliebene Paroxismus, der der Vorläufer seiner Ruhe, seiner einzigen Ruhe war, die ihm sein furchtbares Schicksal gestattete —— einer Veränderung —— der bereits beschriebenen wehmüthigen Veränderung —— in der Form seines Wahnsinns. In den seltenen Zeiträumen, wo er schlief, war sein Schlummer weder Bewußtlosigkeit noch Ruhe, es war eine Anhäufung von häßlichen Träumen —— seine Zunge sprach, seine Glieder bewegten sich, wenn er schlummerte, so gut, wie wenn er wachte. Nur wenn seine Visionen von dem Stolze der Macht, den wüthenden Kämpfen und kühnen Entschlüssen seiner reiferen Jahre, seinen dämmernden, stillen, wachen Träumen von seinen Jugendtagen wichen, ruhten seine müden Geisteskräfte und sein Körper mit ihnen in der bewegungslosen Ermattung völliger Abspannung. Dann, wenn seine Lippen noch Worte murmelten, glichen sie dem Murmeln eines glücklichen Kinderschlafes, denn die unschuldigen Reden seiner Kindheit, welche sie dann neu belebten, schienen auf eine Zeit lang die schuldlose Ruhe seiner Kindheit mit zu bringen.

»Geh! geh! —— fliehe, so lange Du noch kannst!« —— flüsterte Numerian indem er Antoninens Hand los ließ und nach der Thür deutete; aber zum zweiten Male weigerte sich das Mädchen, einen Schritt vorwärts zu thun. Kein Schrecken, keine Gefahr im Tempel vermochte auch nur auf einen Augenblick die Erinnerung an die Nacht im Bauernhause in der Vorstadt zu verbannen. Sie wendete fortwährend den Kopf dem offenen Eingange zu, heftete ihre Augen in der unablässigen Wachsamkeit des Entsetzens auf denselben und flüsterte verstört:

»Goiswintha! Goiswintha!«

Die Finger des Heiden hielten ihn noch starr und todtenähnlich umfaßt, er lehnte an der Wand, als ob das Leben und die Bewegung ihm für immer entflohen seien. Der Paroxismus war vorüber; sein erst vor einem Augenblicke noch verzerrtes Gesicht befand sich jetzt in Ruhe, aber es war eine Ruhe, die man nur mit Scheu anblicken konnte. Thränen flossen langsam aus seinen halbgeschlossenen Augen über seine runzeligen Wangen hinab, Thränen, die nicht der Ausdruck geistiger Pein waren —— denn auf seinen Lippen spielte ein bedeutungsleeres, unveränderliches Lächeln —— sondern der bloße mechanische Ausbruch der physischen Schwäche, welche die so eben vergangene Krisis zurückgelassen hatte. Auf seinen Zügen war nicht die leiseste Spur des Denkens oder der Wahrnehmung zu erblicken, sein Gesicht war das eines Blödsinnigen.

Numerian, der ihn auf einen Augenblick betrachtet hatte, schauderte zusammen und wendete, vor dem sich ihm bietenden Schauspiele zurückbebend, die Augen ab. Es stand ihm jedoch eine noch schwerere Prüfung seiner Festigkeit bevor, die er nicht vermeiden konnte.

In Kurzem wurde die Stimme des Heiden von Neuem hörbar; jetzt aber waren ihre Töne schwach, kläglich, fast kindisch, und die Worte, welche sie aussprachen, ruhige Worte voll Liebe und Sanftmuth, die von solchen Lippen und an einem solchen Orte furchtbar zu hören waren.

Der Tempel und Alles, was sieh darin befand, verschwand aus seinen Augen wie aus seinem Gedächtnisse. Von den furchtbaren übernatürlichen Einwirkungen seiner Krankheit beherrscht, schritt der Wahnsinnige in einem Augenblicke durch das dunkle Thal der Pilgerschaft seines Lebens nach dem lange verlassenen Gebiet seiner Jugendheimath zurück. Während er körperlich als Auswürfling der Vernunft und Menschheit an dem Schauplatze seiner letzten Verbrechen stand, lag er im Geiste in den Armen seiner Mutter, wie er dort gelegen hatte, ehe er nach dem Tempel von Alexandrien gegangen war, und sein Herz sprach mit dem ihren, und seine Augen blickten auf sie, wie sie geblickt hatten, ehe der verderbliche Ehrgeiz seines Vaters Mutter und Kind anf ewig getrennt hatte.

»Mutter! —— komm zurück, Mutter!« flüsterte er! »ich habe nicht geschlafen, ich sah Dich, als Du herein tratest und an meinem Bette saßest und über mir weintest, als Du mir den Kuß gabst. Kommt zurück und bleibe bei mir sitzen; ich gehe fort, weit fort, und werde Deine Stimme vielleicht nie wieder hören! —— Wie glücklich würden wir sein, Mutter, wenn ich immer bei Dir bleiben könnte, aber mein Vater will, daß ich nach dem Tempel in einem andern Lande gehe und dort lebe, um Priester zu werden und seinem Willen muß ich gehorchen. Ich komme vielleicht nie wieder zurück, aber wir werden einander nicht vergessen. Ich werde Deiner Worte gedenken, die Du sprachest, wenn wir glücklich zusammen zu reden pflegten«, und Du wirst Dich meiner erinnern.«

Ulpius hatte kaum die ersten Worte gesprochen, als Antonina plötzlich fühlte, wie der ganze Körper ihres Vaters an ihrer Seite erbebte. Sie lenkte ihr Auge von der Thüre ab, auf welche es bisher geheftet gewesen war, und blickte ihn an. Die Hand des Heiden war von seinem Arme herabgesunken, es stand ihm frei, sich zu entfernen, zu fliehen, wie er sich vor wenigen Minuten noch gesehnt hatte, und doch bewegte er sich nicht. Seine Tochter berührte ihn, redete ihn an, aber er wendete sich weder um, noch antwortete er. Es war nicht bloß das Erstaunen über den plötzlichen Uebergang von der Raserei des Verbrechens zu dem Murmeln der Liebe in der Rede des Heiden —— es war nicht bloß die Ueberraschung, von ihm in seinem Wahnsinn Enthüllungen über sein früheres Leben zu hören, die in den Tagen seiner verrätherischen Dienstbarkeit im Hause auf dem Monte Pincio nie über seine Lippen gekommen waren, die Numerians Inneres so mit heiliger Scheu erfüllte und seinen Gliedern die Bewegung raubte, es lag in Allem, was er hörte, mehr als dies. Diese Worte schienen für immer sein Schicksal bestimmt zu haben. Seine voll auf das Gesicht des Wahnsinnigen gerichteten Augen waren vom Entsetzen weit ausgerissen, seine tiefen, stöhnenden, convulsivischen Athemzüge mischten sich während des darauf folgenden Augenblickes der Stille mit dem Lauten der Glöckchen über ihm und dem Rieseln des Wassers unter ihm der beschwichtigenden Musik des Tempels, die am heitern Schlusse des Tages ihre frohe Abendhymne spielte.

»Wir werden uns daran erinnern, Mutter —— wir werden uns daran erinnern und in unserer Erinnerung glücklich sein!« fuhr Ulpius leise fort. »Mein Bruder, der mich liebt, wird Dich lieben, wenn ich fort bin, Du wirst in meinem kleinen Garten wandeln und an mich denken, wenn Du die Blumen anblickst, die wir in den Abendstunden zusammen gepflanzt und begossen haben, wenn der Himmel herrlich anzuschauen und die Erde um uns her in stiller Ruhe war! Höre, Mutter, und küsse mich! Wenn ich nach dem fernen Lande komme, so werde ich dort einen Garten machen, wie meinen Garten hier, und dieselben Pflanzen pflanzen, die wir hier gepflanzt haben, und des Abends werde ich hinausgehen und ihnen zu der Stunde Wasser geben, wo Du daheim hinausgehst, um meine Blumen zu begießen, und so wird es, wenn wir einander auch nicht wieder sehen, doch eben so gut sein, als ob wir zusammen im Garten arbeiten, wie wir es jetzt thun.«

Das Mädchen heftete immer noch ihren aufmerksamen Blick auf ihren Vater. Seine Augen zeigten noch den gleichen starren Ausdruck des Entsetzens, aber er wischte jetzt mit eigenen Händen mechanisch und wie seiner unbewußt, den Schaum ab, welchen der Paroxismus an den Lippen des Wahnsinnigen zurückgelassen hatte, und unter den Seufzern, die ihm entstehen, konnte sie Worte hören wie: »Gott und Herr! —— Barmherzigkeit! Gott und Herr! Du, der mir ihn so zurückgegeben hast —— so —— schlimmer als todt! —— Gnade! Gnade!«

Das Licht auf dem Steinpflaster der Vorhalle des Tempels wurde sichtlich schwächer —— die Sonne war untergegangen.

Zum dritten Male sprach der Wahnsinnige, aber seine Töne verloren ihre Weichheit, sie wurden klagend, unaussprechlich wehmüthig, seine Träume aus der Vergangenheit veränderten sich bereits:

»Lebe wohl, Bruder, lebe wohl auf Jahre, auf Jahre« rief er; »Du hast mir nicht die Liebe gegeben, die ich Dir gab, nicht an mir lag die Schuld, daß mich unser Vater am meisten liebte und mich ausgewählt hat, um nach dem Tempel gesendet und ein Priester am Altar der Götter zu werden. Nicht an mir lag die Schuld, daß ich nicht an Deinen Lieblingsspielen theilnahm und mich nicht den Gefährten anschloß, die Du aussuchtest —— es war unsers Vaters Wille, daß ich nicht leben sollte, wie Du lebtes und ich gehorchte ihm! Du hast im Zorne mit mir gesprochen und Dich in Geringschätzung von mir abgewendet, aber lebe wohl, Cleander, lebe nochmals wohl in Verzeihung und Liebe!«

Er würde vielleicht noch mehr gesprochen haben, aber seine Stimme wurde von einem langen Schmerzensschrei erstickt, der aus Numerians Lippen drang und mißtönig im Tempel widerhallte, als er mit dem Gesicht nach dem Boden zu den Füßen des Heiden niedersank.

Das dunkle, entsetzliche Geschick hatte sich erfüllt! Der Enthusiast für das Rechte und der Fanatiker für das Unrecht, Derjenige der sich gemüht hatte, die Kirche zu reformieren, und Der, welcher sich gemüht hatte, den Tempel wieder herzustellen, der Herr, der den Diener in seinem Hause aufgenommen und ihm vertraut, und der Diener, der in jenem Hause das Vertrauen des Herrn verrathen hatte, die beiden Charakter, die bisher in dem hohen Widerspruche des Guten und Bösen von einander getrennt gewesen waren, schlugen jetzt in entsetzlicher Berührung zusammen als Brüder, die ihr Leben aus einer Quelle gesogen, die als Kinder unter dem gleichen Dache gelebt hatten! Nicht in der Stunde, wo der gute Christ dem heimathlos in Rom umherwandernden verlassenen Heiden beigestanden hatte, enthüllte sich das Geheimniß, kein zufälliges Wort, welches dasselbe verrathen hätte, wurde ausgesprochen, als der Betrüger den Wohlhäter, den er zu täuschen complottirte, die erlogene Geschichte seines Lebens erzählte oder als am ersten Morgen der Belagerung die Macinationen des Dieners über das Vertrauen des Herrn den Sieg davon trugen —— es war aufgespart geblieben, um in den Worten des Deliriums, in den Greisenjahren des Wahnsinns enthüllt zu werden, wo Derjenige, welchem er es entdeckte, dessen, was er sprach, völlig unbewußt, und seine Augen für das wahre Wesen alles dessen, was er sah, blind geworden waren, wo die irdischen Stimmen, die ihn einst vielleicht zur Reue, zum Erkennen und zur Liebe hätten zurückrufen können, für diese Laute geworden waren, die, keine Bedeutung besaßen, wo durch ein furchtbares, entsetzliches Schicksal die ganze zermalmende Last der Enthüllung auf den Bruder fiel, der für den wahren Glauben gearbeitet hatte, eher von demjenigen getheilt zu werden, der für den falschen gewirkt!

Aber die in der Zeit gesprochenen Urtheile gehen von dem Tribunal jener Ewigkeit aus, auf welche die Geheimnisse des Lebens gerichtet sind und in welcher sie offenbar werden sollen —— sie warten weder auf menschliche Gelegenheiten, noch halten sie sich an die menschliche Gerechtigkeit, sondern sprechen zur Seele in der Sprache der Unsterblichkeit, die in der jetzigen Welt vernommen und in der künftigen ausgelegt wird.

Auf einen Augenblick selbst für die Erinnerung todt, daß Goiswintha noch außerhalb des Tempels auf eine günstige Gelegenheit warten könne, Verzweifelnd ihren Vater rufend und sich vergebens bemühend, ihn vom Boden aufzuheben, entsann sich Antonina in der sie zu Boden beugenden Prüfung des Augenblickes der Enthüllungen aus Numerians früheren Leben nicht, die ihr in den Tagen, wo die Hungersnoth in Rom auf ihrem höchsten Gipfel stand, gemacht worden waren. Der Name Cleander, welchen damals ihr Vater als denjenigen genannt, welchen er abgelegt hatte, als er sich von den Genossen seiner sündigen Wahl getrennt, ging unbeachtet an ihrem Ohr vorüber, als ihn der Heide in seiner Bewußtlosigleit aussprach. Sie erblickte in dem ganzen Auftritte nur eine neue Drohung der Gefahr, eine nene Vision des Schreckens, die Unheil verkündender war, als alle, welche sie bisher wahrgenommen hatte.

So dicht auch die Finsterniß war, mit welcher die beschwichtigenden, unwillkürlichen Erinnerungen an die Vergangenheit die Wahrnehmungskraft des Heiden umhüllt hatten, so schien sie doch der durchdringende Schmerzensschrei des Vaters wie ein plötzlicher Lichtstrahl durchdrungen zu haben. Die halbgeschlossenen Augen des Wahnsinnigen öffnen sich plötzlich und heften sich Anfangs träumerisch auf den Altar der Götzen. Er bewegte seine Hände vor sich hin und her, als theile er die Falten eines schweren Schleiers, welcher seine Sehkraft verdunkeln, aber seine umherschweifenden Gedanken nahmen bis jetzt noch nicht ihre alte Richtung auf die Grausamkeit und das Verbrechen an. Als er wiederum sprach, wurden ihm seine Worte zwar noch von den Träumen aus seinem frühem Leben eingeflößt, jetzt aber von seinem früheren Leben im Tempel von Alexandrien. Seine Ausdrücke waren abgerissener, unzusammenhängender als früher, dessen ungeachtet aber fuhren sie fort, dieselben Beweise der geheimnißvollen instinktmäßigen Lebhaftigkeit der Erinnerung zu entwickeln, welche das Resultat der plötzlicher Veränderung der Natur seines Wahnsinns war.

Seine Reden schweiften immer noch, als ob die Worte absichtslos und seiner unbewußt herauskamen über den Ereignissen seiner jugendlichen Einweihung in den Dienst der Götter hin und verwirrten zwar ihre Reihenfolge, bewahrten aber doch ihr Wesen, wie sie bereits im ersten Buche in der Geschichte seiner Lehrzeit im Tempel erzählt worden sind.

Bald blickte er in seiner Einbildung wieder von dem Gipfel des Serapistempels auf die schimmernde Fläche des Nil und das weit ausgedehnte Land um denselben. Bald schritt er stolz neben seinem Oheim Macrinus, dem Hohenpriester, durch die Straßen von Alexandrien; bald wanderte er bei Nacht in Neugier und Schauern durch die dunkeln Kellergewölbe und unterirdischen Gänge des Heiligthums, bald lauschte er erfreut auf die freundlichen Begrüßungen das ermuthigende Lob des Macrinus bei ihrer ersten Zusammenkunft. Aber bei diesem Punkte und während er auf diesem Anlasse verweilte, verdunkelte sich seine Erinnerung von Neuem, sie bemühte sich vergebens die Umstände wieder zurückzurufen welche das höchste Zeugniß der Theilnahme des Hohenpriesters an seinem Schüler und des Wunsches, ihn völlig mit seinem neuen Beschützer und seinen neuen Pflichten eins zu machen, begleiteten, als er diese Gefühle dadurch kundgegeben hatte, daß er dem zitternden Knaben die Auszeichnung eines seiner eigenen Namen verlieh.

Und hier müssen wir uns des Hauptgliedes in der räthselhaften Kette von Ereignissen erinnern, welche sich verbunden hatte, um die Brüder als Brüder getrennt zu halten, nachdem sie einander als Männer begegnet waren —— daß Beide aus weit verschiedenen Gründen im späteren Leben die Namen abgelegt, welche sie im Vaterhause getragen hatten, daß während der Eine sich durch seine eigene That und zu seinen besonderen Zwecken aus Cleander, dem Genossen der Leichtsinnigen und Verbrecherischen, in Numerian den Prediger des Evangeliums und Reformator der Kirche verwandelt, der Andere durch das ausdrückliche aufmunternde Gebot seines Lehrers Macrinus, des Hohenpriesters, aus dem Knaben Emilius der Schüler Ulpius geworden war.

Während sich der Heide noch fruchtlos bemühte sich die Ereignisse, welche sich auf seine Namensveränderung nach der Ankunft in Alexandrien bezogen, in’s Gedächtniß zurückzurufen und gegen die Wucht der Vergessenheit, welche auf seinen Gedanken lastete, ankämpfend, zum ersten Male bemühte, sich von der Wand zu entfernen, an der er bisher gelehnt hatte, während sich Antonina noch vergebens bestrebte, ihren Vater zur Erinnerung an die furchtbaren Erfordernisse des Augenblicks zurückzurufen und er ausgestreckt zu den Füßen des Heiden dalag —— wurde der Eingang des Tempels von Neuem durch die Gestalt Goiswinthens verdunkelt. Sie stand, eine dunkle unbestimmte Gestalt, in dem schwächer werdenden Lichte auf der Schwelle und blickte spähend in das von tiefen Schatten umhüllte Innere des Gebäudes. Als sie die veränderten Stellungen des Vaters und der Tochter bemerkte, stieß sie einen unterdrückten Ruf des Triumphes aus. Ehe aber noch der Laut ihren Lippen entflohen war, hörte sie ein Geräusch auf der Straße hinter ihr, oder glaubte sie ein solches zu vernehmen. Selbst jetzt wurde sie nicht von ihrer Wachsamkeit und Schlauheit, ihrem tödtlichen berechnenden Entschlusse, mit unerschütterlicher Geduld die gelegene Zeit zu erwarten, um überlegt und ungestraft den Streich führen zu können, verlassen Sie wendete sich augenblicklich zurück, trat auf die oberste Stufe der Tempeltreppe, blieb dort auf einige Augenblicke stehen und schaute wachsam auf dem freien Raume vor ihm umher.

Aber in jenen wenigen Augenblicken hatte sich die Scene im Gebäude abermals verändert.

Während der Wahnsinnige noch zwischen dem Rückfall in die Tobwuth und dem Verharren unter dem Einflusse der ruhigeren Stimmung, in welcher er vorzeitig gestört worden war, schwankte, erblickte er Goiswintha, als ihre Annäherung plötzlich den Eingang des Tempels verdunkelt. So schnell vorübergehend auch ihre Gegenwart war, so gab sie doch für ihn die Anwesenheit einer Gestalt ab, die er noch nicht erblickt hatte, die in einer fremdartigen Stellung zwischen dem Schatten im Innern und dem schwachen Lichte von Außen stand. Es war eine neue Gestalt, die sich seinen Augen bot, während sie sich anstrengten, ihre gewohnte Beobachtungsfähigkeit wieder zu erlangen, und die Macht dieses neuen Anblickes auf ihn war von augenblicklicher allgewaltiger Wirkung.

Er schrak verwirrt auf, wie Einer, der plötzlich aus einem tiefen Schlafe erwacht; auf einen Augenblick lief ein heftiger Schauder durch seinen ganzen Körper, dann spannte sich derselbe wieder in seiner früheren unnatürlichen Kraft an, der Dämon wüthete in seinem Innern mit erneuter Gewalt, als er sein Gewand, das von den zu seinen Füßen liegenden Numerian festgehalten wurde, aus dessen schwacher Hand losriß und auf die über einander gehäuften Idole zuschreitend, seine Hände in feierlicher Entschuldigung ausstreckte.

»Der Hohepriester hat vor dem Altar der Götter geschlafen,« rief er laut; »aber sie haben mit ihrem Geliebten Geduld gehabt; ihr Donner hat ihn nicht für sein Verbrechen getroffen. Jetzt kehrt der Diener zu seinem Dienste zurück —— die Mysterien des Serapis beginnen.«

Numerian lag noch gebrochenen Geistes ausgestreckt da. Er faltete langsam seine Hände, und seine Stimme wurde jetzt vernehmlich, als er in leisen erstickten Tönen nach oben flehte, als ob seine letzte Hoffnung auf Bewahrung seiner eigenen Vernunft in unablässigem Gebete liege.

»Gott, Du bist der Gott der Gnade, sei gnädig gegen ihn!« murmelte er. »Du, der Du die Reue annimmst, gewähre ihm Reue. Wenn ich Dir zu irgend einer Zeit ohne Tadel gedient habe, so rechne ihm den Dienst an, schütte die Gefäße Deines Zornes über mich aus! ——

»Horch, die Trompete bläst zum Opfer!« unterbrach ihn die kreischende Stimme des Heiden, als dieser sich vom Altar abwendete und seine Hände in rasender Inspiration ausstreckte. »Das Rauschen der Musik und die Stimme des Jubels steigen von den höchsten Berggipfeln auf. Der Weihrauch dampft und die Tänzer kreisen unter den Säulen des Tempels und rund um dieselben her! Der Opferstier ist fleckenlos, seine Hörner sind vergoldet, Kranz und Binde schmücken sein Haupt, der Priester steht bis auf den Gürtel nackt vor ihm —— er schüttet die Libation aus dem Becher, das Blut strömt über den Altar! Auf, aus, reißt mit dampfenden Händen das Herz heraus, so lange es noch warm ist. Die Zukunft liegt in den zuckenden Eingeweiden vor Euch, blickt sie an und lest! lest!’«

Während jener Worte war Goiswintha in den Tempel getreten, die Straße war noch einsam, es war keine Hilfe nahe!

Sie schritt nicht sogleich auf Antoninen zu, sondern verbarg sich in die Nähe der Thür hinter einem Vorsprunge des Haufens der Götterbilder und wartete, bis Ulpius sich von Antoninen, vor der er in diesem Augenblicke stand, abwenden würde. Sie war aber nicht unbemerkt eingetreten, Antonina hatte sie wieder erblickt und jetzt kam die Bitterkeit des Todes, wenn Junge unbeschützt in ihrer Jugend sterben, über das Mädchen und sie rief an Numerians Seite knieend mit leiser klagender Stimme:

»Ich muß sterben, Vater, ich muß sterben wie Hermanrich gestorben ist. Siehe auf zu mir und sprich zu mir, ehe ich sterbe.« Ihr Vater betete immer noch, er hörte nichts, denn sein Herz blutete noch zur Sühne am Altar seiner Jugend Heimath, und seine Seele sprach noch mit ihrem Schöpfer. Die Stimme, welche auf die ihre folgte, war die Stimme des Ulpius.

»O schön sind die Gärten um die heiligen Altäre und schön die Bäume, die die glänzenden Heiligthümer beschatten!« rief er entzückt in seinen neuen Visionen. »Sieh, der Morgen steigt herauf, die Geister des Lichts werden mit einem Opfer bewillkommnet. Die Sonne geht hinter dem Berge unter und die Strahlen des Abends zittern unter dem Messer des anbetenden Priesters. Der Mond und die Sterne scheinen hoch oben am Firmamente und die Genien der Nacht werden in den stillen Stunden mit Blut begrüßt.«

Als er innehielt, hörte man wieder die Klage Antoninens, in immer leiser werdenden Tönen:

»Ich muß sterben! Vater, ich muß sterben!« und mit ihr murmelten die stehenden Klänge Numerians.

»Gott der Gnade, erlöse die Hilflose und verzeihe den Bekümmerten! Herr des Gerichts, verfahre mild mit Deinen Dienern, die gesündigt haben! und mit Beiden in widersprechender Verbindung verbreitete die seltsame Musik des Tempels noch immer ihre beschwichtigenden Klänge —— das Rieseln des laufenden Wassers und das leise Lauten der Glöckchen.

»Betet an!«— Kaiser, Armen, Völker! verherrlicht und betet mich an!« schrie der Wahnsinnige in Donnertönen des Triumphes und Befehls, als sein Auge zum ersten Male die zu seinen Füßen ausgestreckte Gestalt Numerians erblickte. »Betet den Halbgott an, der mit den Göttern durch den Menschen unbekannte Sphären zieht. Ich habe das Stöhnen der Unbegrabenen gehört, die an den Ufern des Sees der Todten umherwandeln —— betet an! Ich habe auf den Fluß geblickt, dessen schwarzer Strom in seinem Laufe durch die Höhlen ewiger Nacht braust und brüllt! —— betet an! - Ich habe die Furien von Schlangen auf den runzeligen Hälsen peitschen sehen, und bin ihnen gefolgt, da sie ihre Fackeln über die leidenden Geister schwangen. Ich habe unbewegt in dem Orkanaufruhr der Hölle gestanden —— betet an! betet an! betet an!«

Er wendete sich wieder nach dem Altare der Idole um und forderte seine Götter auf, seine Gottwerdung zu verkünden, und in dem Augenblicke, wo er sich bewegte, sprang Goiswintha vorwärts.

Antonina kniete mit von der Thüre abgewendetem Gesicht da, als sie die Meuchlerin an ihrem langen Haar ergriff und das Messer in ihren Hals stieß. Die stöhnenden Töne des Mädchens, welches sein nahes Schicksal beklagte, schlossen mit einem schwachen Aechzen, es streckte seine Arme aus und fiel vorwärts über den Körper seines Vaters.

Im wilden Triumph des Augenblickes erhob Goiswintha den Arm, um den Stoß zu wiederholen, aber in diesem Moment sah sich der Wahnsinnige um.

»Das Opfer! das Opfer!« schrie er und sprang mit einem Satze wie ein wildes Thier nach ihrer Kehle. Sie stieß, ohne ihn zu treffen, mit den Messer nach ihm, während er seine langen Nägel in ihr Fleisch einschlug und sie rückwärts auf den Boden schleuderte. Dann stieß er ein rasendes Triumphgeschrei aus, stellte seinen Fuß auf ihre Brust und spie die unter ihm Liegende an.

Die Berührung der Leiche des Mädchens, als sie auf ihn niederfiel, der kurze aber furchtbare Tumult des Angriffes, welcher fast über hinwegging —— das schrille betäubende Geschrei des Wahnsinns erweckte Numerian aus seinem Traume verzweifelnder Erinnerung, riß ihn aus seinem stehenden Gebete —— er blickte auf.«

Das Schauspiel, welches seinen Augen begegnete, war eines von denjenigen, welche jede Fähigkeit, außer der des mechanischen Handelns erstickt, vor welcher der Gedanke aus dem Geiste des Menschen verschwindet, das Wort auf seinen Lippen erstirbt, der Ausdruck auf seinem Gesicht gelähmt wird. Der Anblick der entsetzlichen Katastrophe schien Grabeskälte auf Numerians Gestalt zu hauchen, seine Augen waren verglast und geistesleer, seine Lippen geöffnet und starr, selbst die Erinnerung an die Entdeckung seines Bruders schien in seinem Innern verschwunden zu sein, als er sich über seine Tochter herabbeugte und ein abgerissenes Stück ihres Kleides um ihren Hals band. Die seelenlose, gedankenlose, gespenstische Stille des Todes schien sich auf seine Züge geprägt zu haben, als er, ohne sich jetzt seiner Schwäche oder seines Alters zu erinnern, mit ihr in seinen Armen sich erhob, einen Augenblick bewegungslos vor der Thür stand und sich langsam nach Ulpius umsah. Dann ging er mit schweren regelmäßigen Schritten vorwärts. Der Fuß des Heiden stand immer noch auf Goiswinthens Brust, als der Vater an ihm vorüberkam, sein Blick war immer noch auf sie geheftet. Aber sein Triumphgeschrei hatte sich gestillt, er lachte und murmelte unzusammenhängend vor sich hin.

Der Mond erhob sich sanft, hell und ruhig über der stillen Straße, als Numerian mit seiner Tochter in den Armen die Tempeltreppe hinabstieg und nach einer kurzen Pause der Verwirrung und des Zweifels instinktmäßig seinen langsamen Weg auf der verlassenen Straße hin nach Hause einschlug. Bald darauf erblickte er im Mondlichte am Ende der langen Straße eine kleine Gruppe von Menschen, die in einem ruhigen regelmäßigen Zuge auf ihn zuschritten. Als sie näher kamen, sah er, daß Einer von ihnen ein offenes Buch hielt, daß ein Anderer an seiner Seite ein Crucifix trug und daß Andere ihm mit gefalteten Händen und niedergeschlagenen Augen folgten und dann nach einiger Zeit trug ihm der Abendwind die langsam und ehrerbietig gesprochenen Worte zu:

»Wisse denn, daß Gott weniger von Dir verlangt, als Deine Missethat verdient?«

»Kannst Du durch Suchen Gott finden? Kannst Du den Allmächtigen erforschen?«

Jetzt wurde der Wind schwächer und die Worte undeutlich, aber der Zug bewegte sich immer noch vorwärts. Als er näher und näher kam, hörte man wieder deutlich die Stimme des Lesers:

»Wenn Gottlosigkeit in Deiner Hand ist, so wirf sie von Dir, und laß sie nicht! in Deinen Hütten wohnen.«

»Denn dann wirst Du Dein Gesicht ohne Flecken erheben, ja, Du wirst beständig sein und keine Furcht haben.«

»Denn dann wirft Du Deine Noth vergessen und ihrer gedenken wie Flüsse, die verrinnen.«

»Und Dein Alter soll heller sein als der Mittag, Du sollst leuchten, Du sollst sein wie der Morgen.«

Der Leser hielt inne und schloß das Buch, denn jetzt war Numerian auf sie gestoßen und sie sahen ihn stumm im hellen Mondscheine vor sich stehen, wie er seine Tochter in seinen Armen trug und ihr Kopf über seine Schulter herabhing.

Unter denjenigen, welche sich um ihn versammelt hatten, befanden sich Einige, deren Züge er zu einer andern Zeit als die der noch lebenden Mitglieder seiner früheren Gemeinde erkannt haben würde. Die Prozession, welcher er begegnet war, bestand aus den wenigen aufrichtigen Christen in Rom, die sich nach der Veröffentlichung der Nachricht, daß Alarich die Friedensbedingungen bewilligt habe, versammelt hatten, um eine Wallfahrt durch die Stadt anzustellen, und den hoffnungslosen Versuch zu machen, durch Vorlesen aus der Bibel und Ermahnungen das leichtsinnige Volk zu einem Gefühl der Zerknirschung über seine Sünden in frommer, Dankbarkeit für seine nahe Erlösung von den Schrecken der Belagerung zu erwecken.

Jetzt aber, als Numerian vor ihnen stand, ließ er weder durch ein Wort, noch durch einen Blick merken, daß er einen von den ihn Umgebenden kenne. Auf alle an ihn gerichteten Fragen antwortete er durch hastige Bewegungen, welche Niemand begreifen konnte. Alle Versprechungen der Hilfe und des Schutzes, womit ihn seine frühem Anhänger im ersten Ausbruche ihres Kummers und Mitleids überhäuften, erwiderte er nur mit dem gleichen dumpfen gedankenlosen Blicke. Erst als sie ihn von seiner Last befreiten und sich sanft anschickten, das bewußtlose Mädchen nach ihrem Vaterhause zurückzutragen, begann er zu sprechen, und bat sie in schwachen, stehenden Tönen, ihm unterwegs ihre Hand halten zu lassen, damit er der Erste sei, der ihren Puls fühlen könnte —— wenn er sich noch bewegte.

Sie kehrten aus dem Wege, aus welchem sie gekommen waren, zurück, —— es war ein bekümmerter langsamer Zug! Unterwegs öffnete der Leser das heilige Buch von Neuem und dann erhoben sich durch die beschwichtigende himmlische Ruhe »der ersten Nachtstunde die Worte:

»Selig ist der Mensch, den Gott strafet; darum weigere Dich der Züchtigung des Allmächtigen nicht;

»Denn er verletzet und verbindet, er verwundet und seine Hand heilet.«



Kapiteltrenner

Kapitel III.
Die Vergeltung.

Wie im Leben eines Jeden die guten und bösen Leidenschaften, so zu sagen, zu beiden Seiten seines Weges aufgestellt sind, und er ihre Resultate in den Handlungen seiner Mitmenschen betrachten, seine Aufmerksamkeit, während sie noch von dem Schauspiele des Edeln und Tugendhaften angezogen wird, plötzlich durch den entgegengesetzten Anblick des Gemeinen und Verbrecherischen angeregt sieht, so wird auch im Verlaufe dieser Erzählung, welche das Spiegelbild des Lebens sein will, der Leser, der so weit mit uns gegangen ist und jetzt vielleicht geneigt wäre, dem kleinen Zuge andächtiger Christen weiter zu folgen, neben dem bekümmerten Vater hinzuwandern und mit ihm die Hand seines unglücklichen Kindes zu halten, doch den Bedingungen der Geschichte gemäß aufgefordert, aus einige Zeit zu der Betrachtung ihrer dunkleren Stellen der Sünde und des Schreckens zurückzukehren —— er muß wieder den Tempel betreten, aber er wird es zum letzten Male thun.

Die Scene vor dem Altare der Götter schritt schnell ihrem unheilschwangern Gipfelpunkte zu.

Die Raserei des Heiden hatte sich durch ihre eigne Wuth erschöpft, sein Wahnsinn nahm eine ruhigere und gefährlicher Gestalt an, sein Auge wurde schlau und argwöhnisch, in allen seinen Handlungen gab sich eine versteckte Ueberlegtheit und Wachsamkeit kund. Er nahm jetzt langsam seinen Fuß von Goiswinthens Brust und erhob zu gleicher Zeit seine Hände, um sie zurückzuschmettern, wenn sie einen Versuch zum Entfliehen machen sollte. Da er sah, daß sie noch von ihrem Falle bewußtlos dalag, verließ er sie, begab sich nach einer von den Ecken des Tempels, nahm aus ihr einen dort liegenden Strick, kehrte zurück und band ihr die Arme auf den Rücken. Der Strick schnitt tief durch die Haut des Handgelenkes, der Schmerz gab ihr das Bewußtsein wieder, sie litt in ihrem eignen Körper die Pein an derselben Stelle wo sie sie dem jungen Häuptling im Bauernhause jenseits der Vorstadt zugefügt hatte.

In der folgenden Minute fühlte sie, wie sie auf den Boden hin tiefer in das Innere des Gebäudes geschleift wurde. Der Wahnsinnige zog sie zu dem äußern Thore der Scheidewand, befestigte das Ende des Strickes an dasselbe und ließ sie hier allein. Dieser Theil des Tempels war in völlige Finsterniß eingehüllt, ihr Angreifer richtete kein Wort an sie, sie konnte nicht einmal die Umrisse seiner Gestalt erkennen, aber sie hörte ihn immer noch in heiseren, einförmigen Tönen, die bald nahe, bald wieder fern erklangen, vor sich hin lachen.

Sie gab sich verloren —— sie glaubte vorzeitig den Qualen und dem Tode geweiht zu sein, die sie erwartet hatte, bis jetzt aber verminderte sich ihre männliche Entschlossenheit und Energie noch nicht. Gerade die scharfe Pein, welche ihr die Banden an ihren Handgelenken verursachten, erregte eine heftige Körperanstrengung, um ihr Widerstand zu leisten und stählte dadurch ihre eisernen Nerven. Sie schrie weder um Hilfe, noch bat sie den Heiden um Mitleid. Der finstere Fatalismus, welchen sie von ihren wilden Voreltern ererbt hatte, hielt sie in einem selbstmörderischen Stolze aufrecht. Bald wurde das Gelächter, welches Ulpius hören ließ, während er sich langsam im Dunkeln des Tempels hin und her bewegte, von dem Klange ihrer tiefen, ächzenden, aber doch festen Stimme übertönt, als sie ihre letzten Worte sprach, —— Worte, gleich den wilden, stolzen Todesliedern der alten Gothen, wenn sie verlassen auf dem blutigen Schlachtfelde starben oder gebunden, der Viper und Natter zur Beute, in tiefe Kerker geworfen wurden. So sprach sie:

»Ich habe geschworen, mich zu rächen! Als ich fortging von Aquileja mit dem Kinde, das todt und mit dem, das verwundet war, als ich die hohe Mauer bei nächtlicher Zeit erkletterte und das Brausen der Wellen am Strande hörte, wo ich die Todten begrub, als ich in Finsterniß über die nackte Haide und durch den einsamen Wald wanderte, als ich die pfadlosen Seiten des Berges erkletterte und meine Zuflucht in der Höhle am Ufer des dunkeln Sees lag.

»Ich habe geschworen, mich zu rächen! Als die Krieger sich mir auf ihrem Marsche näherten und das Schmettern der Trompeten und das Klirren der Rüstungen in meine Ohren erschallte, als ich meinen Bruder Hermanrich, einen mächtigen Häuptling an der Seite des Königs in dem erobernden Heere begrüßte, als ich mein letztes Kind wie die übrigen todt sah, und wußte, daß es fern von dem Lande seines Volkes und den andern, die die Römer vor ihm erschlagen hatten, begraben werden würde.

»Ich habe geschworen, mich zu rächen! Als das Heer vor Rom lag, und ich mit Hermanrich am nebeligen Abend dastand, und auf die hohen Mauern der Stadt schaute, als die Tochter des Römers eine Gefangene in unserm Zelte war und ich sie betrachtete, wie sie auf meinen Knieen lag, als um ihretwillen mein Bruder ein Verräther wurde und meine Hand vom Streiche zurückhielt, als ich ungesehen in das einsame Bauernhaus ging, um mit meinem Messer sein Urtheil zu erfüllen, als ich ihn zu meinen Füßen den Tod eines Abtrünnigen sterben sah, und wußte, daß es eine Römerin war, die ihn von seinem Volke fortgelockt und gegen die Gerechtigkeit der Rache verblendet hatte.

»Ich habe geschworen mich zu rächen, als ich um das Grab des Häuptlings ging, der der Letzte meines Stammes war, als ich allein von dem Heere meines Volkes in der Stadt der Mörder meiner Kinder stand, als ich den Schritten der Tochter des Römers, die mir zweimal entronnen war, nachspürte, wie sie durch die Straße floh, als ich geduldig unter den Säulen des Tempels wachte und wartete, bis die Sonne untergegangen und das Opfer unbeschirmt und der Augenblick des Todesstreiches gekommen war.

»Ich habe geschworen, mich zu rächen! und mein Eid ist erfüllt —— das noch blutige Messer trieft von ihrem Blute —— die Hauptrache ist geübt! —— Die Uebrigen, die erschlagen werden sollten, bleiben für Andere und nicht für mich! Denn nun gehe ich zu meinem Gatten und meinen Kindern, jetzt naht die Stunde, wo ich in der Donnerwelt der Schatten mit ihren Geistern wohnen und in dem Thale der ewigen Ruhe bei ihnen meine Stätte aufschlagen werde. Die Nornen haben es gewollt —— es ist genug!«

Ihre Stimme bebte und wurde schwach, als sie die letzten Worte sprach —— der Schmerz, der in ihre Handgelenke einschneidenden Stricke überwältigte endlich ihre Besinnung und besiegte trotz allen Widerstandes ihre hartnäckige Standhaftigkeit.

Eine Zeitlang sprach sie noch in Zwischenräumen,, aber ihre Reden waren abgebrochen und unzusammenhängend. In dem einen Augenblicke rühmte sie sich noch, ihrer Rache, in einem andern jubelte sie in der eingebildeten Betrachtung des noch vor ihr liegenden Körpers des Mädchens und ihre Hände zuckten in ihren Banden und strengten sich an, sich wieder des Messers zu bemächtigen und von Neuem zuzustoßen. Bald aber hörten ihre Lippen gänzlich auf, noch weiter einen Ton von sich zu geben, außer den lauten starken Athemzügen, welche bewiesen, daß sie noch Bewußtsein und Leben besaß.

Unterdessen war der Wahnsinnige in das innere Gemach des Tempels getreten, und hatte den Laden über die Oeffnung in der Mauer gezogen, durch welche beim Eintreten Numerians und Antoninen’s das Licht gefallen war. Selbst der schwarze Schlund, welcher die Mündung der Drachenhöhle bildete, war jetzt mit allen übrigen Gegenständen in der dichten Finsterniß verschwunden. Keine Dunkelheit, wie groß sie auch sein mochte, war aber im Stande, die Sinne des Heiden im Tempel zu verwirren, von dem er in seinen ruhelosen Wanderungen bei Nacht wie bei Tage jeden Winkel besuchte. Wie durch einen geheimnißvollen Gesichtssinn geführt, verfolgte er, ohne sich zu irren, seinen Weg bis zum Eingange der Höhle, kniete dort nieder, legte seine Hände auf die erste von den Stufen, über welche man hinabstieg, lauschte athemlos und aufmerksam auf die aus dem Abgrund aufsteigenden Töne —— lauschte unbeweglich wie eine der Erde nicht angehörende Gestalt —— gleich einem Zauberer, der auf eine Stimme von den Orakeln der Hölle wartet —— gleich seinem Geiste der Nacht, der hinabblickt in die Eingeweide der Erde und die Geheimnisse der unterirdischen Schöpfung, die Riesenpulse der Bewegung und Wärme bewacht, die die belebenden Triebfedern der Welt sind.

Der Wind pfiff stoßweise wild und klagend herauf der Fluß sprudelte gegen das eiserne Gitter unter ihm an, die lockern Schuppen des Drachen klirrten, als sie die Nachtluft erreicht und diese Klänge glichen für ihn noch der Sprache seiner Götter, die ihn mit furchtbarem Entzücken erfüllte und ihn in der entsetzlichen Entwürdigung seines Wesens gleichsam eine neue Seele einflößten. Er lauschte und lauschte noch immer. Bruchstücke von wilden Phantasien, das vergebliche Sehnen des enterbten Geistes, sein göttliches Geburtsrecht unbeschränkten Denkens wieder zu erlangen, durchzuckten ihn jetzt und hielten ihn still und sprachlos an der Stelle, wo er kniete, fest.

Endlich hörte er aber durch die düstere Stille des Gemaches, wie sich die Stimme Goiswinthen’s von Neuem erhob und in heisem wilden Tönen laut nach Licht und Hilfe rief. Die Qual des Schmerzes und der Ungewißheit, das furchtbare Gefühl der Finsterniß und Stille, des einsamen Gefesseltseins und langsamer Pein hatte endlich das bewirkt, was keine offene Gefahr, keine gewöhnliche Drohung des gewaltsamen Todes hätte hervorbringen können, sie wich der Furcht und Verzweiflung —— sie sank unter einer lähmenden, abergläubischen Furcht zu Boden. Das Elend, welches sie Andern zugefügt, schnellte vergeltend auf sie selbst zurück, als sie im Bewußtsein der ersten Empfindung hilflosen Schreckens, die sie je gefühlt hatte, zusammenschauderte.

Ulpius erhob sich augenblicklich von der Höhle und schritt durch die Finsterniß gerade auf die Thür der Scheidewand zu, aber er ging an seiner Gefangenen vorüber, ohne einen Augenblick bei ihr zu verweilen, begab sich nach dem äußern Tempelgemache und begann auf dem Boden nach dem Messer umherzutappen, welches das Weib fallen gelassen hatte, als er es band. Er lachte abermals vor sich hin, denn der Geist des Bösen flüsterte ihm einen neuen Plan ein, verlockte ihn zu einer mitleidlosen Verfeinerung der Grausamkeit und des Truges.

Er fand das Messer, kehrte damit zu Goiswinthen zurück und zerschnitt den Strick, der ihre Handgelenke fesselte. Dann, als sie im Gefühl der ersten Linderung ihrer Schmerzen schwieg, flüsterte er ihr leise in’s Ohr:

»Folge mir und entrinne!«

Von der Dunkelheit und dem Geheimnisse, wovon sie umgeben war, verwirrt und entmuthigt, strengte sie vergebens ihre Augen an, um die Finsterniß zu durchdringen, als sie Ulpius hinter sich in das zweite Gemach zog. Er stellte sie an die Mündung der Höhle und hier bemühte sie sich zu sprechen, aber nur leise unartikulirte Laute kamen aus ihren kraftlosen Sprachwerkzeugen. Noch immer war kein Licht vorhanden, noch immer dauerte und wuchs die brennende nagende Pein an ihren Handgelenken, die sich nur auf einen Augenblick gelindert hatte, als der Strick durchschnitten worden war und noch immer fühlte sie die Gegenwart des unsichtbaren Wesens an ihrer Seite, das keine Finsterniß blind machen konnte und welches nach Willkür band und löste.

Von Natur heftig und entschlossen, verzweifelt und unversöhnlich, war sie ein furchtbares Zeugniß der erniedrigenden Macht des Verbrechens, als sie jetzt dastand, geschwächt durch die Last ihrer eigenen rächerischen Schuld, die sich erhoben hatte, um sie in der Stunde ihres Stolzes zu zermalmen —— durch die Einwirkung der Finsterniß, deren Gefahren Unschuldige und Schwache schon oft Trotz geboten haben —— durch die Ungewißheit, deren Pein sie widerstanden —— durch den Schmerz, den sie geduldig ertragen haben.

»Geh hinab, die steilen Stufen tief hinab und entfliehe!« flüsterte der Wahnsinnige in leisen berückenden Tönen. »Die Finsterniß oben führt zum Lichte unten. Geh hinab, weit hinab!«

Er ließ sie bei diesen Worten los. Sie zauderte zitterte und bebte zurück. Von Neuem aber wurde sie vorwärts gedrängt und von Neuem hörte sie das Flüstern:

»Die Finsterniß oben führt unten zum Lichte! Geh hinab! geh weit hinab!«

Die Verzweiflung gab ihr die Festigkeit zu gehen und die Furcht die Hoffnung, zu entrinnen. Ihre wunden Arme zitterten, als sie dieselben jetzt ausstreckte und zu beiden Seiten nach den Wänden der Höhlung tastete —— die Schrecken des Todes in tiefer Finsterniß von unsichtharen Händen und das letzte sehnsüchtige Verlangen, das Licht des Himmels von Neuem zu erblicken, waren am stärksten in ihr, als sie langsam und vorsichtig die verderbliche Treppe hinabzusteigen begann.

Jetzt sank der Heide wieder in seine frühere Stellung am Munde der Höhlung und lauschte athemlos. Es schienen zwischen jedem Schritte Minuten zu vergehen, als sie tiefer und tiefer hinabkam. Plötzlich hörte er sie wie von panischem Schrecken über die Finsterniß ergriffen, stöhnend ausrufen:

»Licht! Licht! O, ist das Licht!«

Er stand auf und streckte seine Hände aus, um sie zurückzuschleudern, wenn sie einen Versuch zur Rückkehr machen sollte, aber sie stieg von Neuem abwärts. Zweimal hörte er ihren Fuß schwer auf den Stufen auffallen —— dann trat ein Zwischenraum tiefer Stille ein —— dann hallte ein scharfes, knirschendes metallisches Klirren schneidend durch die Höhlung, worauf aus ferner Tiefe das Geräusch eines dumpfen schweren Falles schwach hörbar wurde —— und dann hörte man wieder die alten bekannten Klänge des Ortes, die weiter keine Unterbrechung erfuhren. Der Drache hatte sein Opfer erhalten!«

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Der Wahnsinnige stand auf der Vortreppe des heiligen Gebäudes und blickte auf die Straße hinaus, die vor ihm im hellen italienischen Mondenschein schimmerte. In seinem Geiste war keine Erinnerung an Numerian und Antonina und die frühem Ereignisse im Tempel vorhanden. Er sann unvollkommen und mit einem vagen Stolze und Triumph über das Opfer nach, welches er im Heiligthume des ehernen Drachen gebracht hatte. In diesem geheimen Jubel blieb er unthätig und in seine unsteten Gedanken versenkt und zögerte, in die unterirdischen Gänge zu treten, welche zu dem eisernen Gitter führten, wo Goiswinthens Leiche von den Wellen bespült dalag und nur seine Hand erwartete, um in den Fluß geworfen zu werden, welcher alle frühem Opfer verschlungen hatte.

Seine hohe einsame Gestalt wurde von dem Mondschein erleuchtet, welcher durch die Säulen der Vorhalle einfiel, seine weiten Gewänder bewegten sich langsam um ihn im Winde, als er fest und aufrecht vor der Thür des Tempels stand. Er glich eher dem gespenstischen Genius des geschiedenen Heidenthums, als einem lebenden Menschen. So leblos er aber auch erschien, war sein scharfes Auge doch immer noch auf der Wacht, wurde immer noch von dem rastlosen Argwohne des Wahnsinns geleitet. Eine Minute nach der andern verging ruhig und bis jetzt zeigte sich seinen schnellen Blicken noch nichts, als der verödete Weg und die hohen düsteren Häuser, die ihn auf beiden Seiten begrenzten. Bald sollte er jedoch durch von diesen weit verschiedene Gegenstände angezogen werden, durch Gegenstände, die die Stille der ruhigen Straße mit dem Tumult der Thätigkeit und des Lebens aufschreckten.

Er blickte immer noch aufmerksam auf die begrenzte Aussicht, wobei er sich unbestimmt Goiswinthens todtbringendes Hinabsteigen in die Höhlung vorstellte und triumphierend an ihren todten Körper dachte, der jetzt auf dem Gitter darunter lag, als rother Fackelschein der die Reinheit des mondhellen Pflasters, auf welchen er geworfen wurde, zu beflecken schien, seinem Auge sichtbar wurde.

Das Licht zeigte sich an demjenigen Ende der Straße, welches nach den bevölkerteren Theilen der Stadt führte und ließ bald eine Schaar von vierzig bis fünfzig Menschen unterscheiden, welche sich dem Tempel näherten. Der Heide blickte sie aufmerksam an, wie sie immer näher und näher kamen. Die Versammlung bestand aus Priestern, Soldaten und Bürgern. Die Priester trugen Fackeln, die Soldaten waren mit Hämmern, Brecheisen und anderen ähnlichen Werkzeugen versehen oder beugten sich unter der Last großer, mit Eisen beschlagener Kisten, dicht hinter denen das Volk ging, als ob es sie mit eifersüchtiger Sorge bewachte. Vor diesem seltsamen Zuge schritten zwei Männer —— ein Priester und ein Soldat —— in ziemlicher Entfernung her. Auf ihren blassen, vom Hunger ahgezehrten Gesichtern zeigte sich ein Ausdruck der Ungeduld und des Triumphs, als sie sich mit schnellen Schritten dem Tempel nahten.

Ulpius bewegte sich nicht von der Stelle, heftete aber, als sie näher kamen, seine durchdringenden Augen auf sie. Nicht umsonst stand er jetzt wachsam und drohend vor dem Eingange seines dunkeln Heiligthums. Er hatte die ersten Entwürdigungen gesehen, womit das gefallene Heidenthum überhäuft worden war, und jetzt sollte er die letzten erblicken, alle seine Körper- und Geisteskräfte, sein Knabenglück, seinen Jugendenthusiasmus, seinen Mannesmuth und im Greisenalter seine Vernunft auf dem Altare seiner Götter geopfert und jetzt sollten sie von ihm, so einsam verbrecherisch, wahnsinnig er schon für ihre Sache geworden war, noch mehr als alles dies verlangen! Der Senat hatte den Spruch erlassen, welcher die Schätze in den Tempeln Roms der gesetzlichen Plünderung weihte.

Die Regierung der Stadt, die ein durch frühere Erpressungen verarmtes Volk beherrschte und nur einen erschöpften Schatz vermutete, hatte umsonst unter allen gewöhnlichen Hilfsquellen nach den Mitteln gesucht, um das von Alarich als Preis des Friedens geforderte schwere Lösegeld zu bezahlen. Die einzige Möglichkeit, der Forderung zu entsprechen; welche noch vorhanden war, bestand darin, die heidnischen Tempel der Masse von Juwelen besetzten Zierrathen und Utensilien, der köstlichen Gewänder, der goldenen und silbernen Götterbilder zu entkleiden, welche sie, wie man wußte, noch enthielten, und die unter dem geheimnißvollen erblichen Einflusse des Aberglaubens, dessen Macht zu zerstören, die längste Arbeit der Wahrheit ist, unberührt und von dem Volke, wie von dem Senat geachtet geblieben waren, selbst nachdem die Religion, welche sie vertraten, vom Gesetz geächtet und von der Nation aufgegeben war.

Dieses letzte Auskunftsmittel, um Rom von der Blockade zu befreien, war fast eben so schnell angenommen worden, als man daran gedacht hatte. Die Ungeduld, womit das verhungernde Volk die augenblickliche Einsammlung des Lösegelds verlangte, gestattete nur wenig Zeit zur Ueberlegung, die Soldaten wurden mit den nöthigen Werkzeugen für die ihnen übertragene Aufgabe versehen, einige auserwählte Mitglieder des Senats, um zu sehen, daß sie die öffentliche Beute ehrlich einsammelten und die Priester der christlichen Kirchen erboten sich, den Zug durch ihre Gegenwart zu heiligen, und erleuchteten mit ihren Fackeln jedes geheime Gemach der Tempel, in welchem Schätze enthalten sein konnten. Noch am Ende des Tages, augenblicklich nachdem sie gestattet worden war, begann man hastig diese seltsame Forschung nach dem Lösegelde. Schon war viel gesammelt worden. Man hatte werthvolle Votivgaben von den Altären gerissen, wo sie so lange ungestört gehangen hatten, verborgene Schatzkisten mit heiligen Geräthen waren entdeckt und aufgebrochen, Götterbilder ihrer kostbaren Zierrathen entkleidet und von ihren massiven Piedestalen gerissen worden, und jetzt war der Zug der Geldsucher an den Ufern des Tiber hin in die Nähe des kleinen Serapistempels gekommen und eilte vorwärts, um ihn ebenfalls jedes werthvollen Gegenstandes, welchen er enthielt, zu berauben.

Der Priester und der Soldat forderten ihre Genossen hinter ihnen auf, herbeizueilen, als sie jetzt den Tempelstufen gegenüber angelangt waren, und in diesem Augenblicke sahen sie im bleichen Mondlichte über sich, die gespenstische einsame Gestalt des Ulpius —— die Erscheinung eines Heiden in den prächtigen Gewändern seines Priesterstandes —— von den Gräbern zurückgerufen, um vor dem Altare seiner Götter den Händen der Räuber Einhalt zu thun, stehen.

Der Soldat ließ seine Waffe fallen und weigerte sich, an allen Gliedern zitternd, weiter zu gehen. Der Priester, ein hoher, strenger, abgezehrter Mann, ging jedoch waffenlos und Unerschrocken voran. Er bezeichnete sich feierlich mit dem Kreuze, als er langsam die Stufen hinaufstieg, heftete seine Augen fest auf den Wahnsinnigen, der ihn ebenfalls anstarrte und rief mit rauher unbewegter Stimme:

»Mensch oder Dämon! im Namen Christi, den Du leugnest, weiche zurück!«

Auf einen Moment wendete der Heide, als ihm der Priester näher kam, die Augen ab und blickte auf die schnell heraneilenden Bürger und bewaffneten Soldaten. Seine Finger schlossen sich um den Griff von Goisminthens Messer, welches er bis jetzt locker in der Hand gehalten hatte, indem er in leisen gepreßten Tönen ausrief:

»Aha, die Belagerung! Die Belagerung des Serapis!« Der Priester, der jetzt mit ihm auf der gleichen Stufe stand, streckte seinen Arm aus, um, ihn zurückzustoßen und erhielt in demselben Augenblicke den Stoß des Messers. Er schwankte, erhob seine Hand nochmals, um seine Stirn mit dem Kreuze zu bezeichnen, und rollte todt auf das Straßenpflaster hinab.

Der Soldat, der in abergläubischem Schrecken bewegungslos einige Fuß weit von der Leiche entfernt dastand, rief seine Gefährten zur Hilfe herbei. Ulpius schleuderte herausfordernd seine blutige Waffe unter sie, als sie vereint an den Fuß der Tempeltreppe heranliefen, trat in das Gebäude und verschloß das Thor mit Riegeln und Ketten.

Jetzt hörte das um die Leiche des Priesters stehende Volk den Wahnsinnigen in seiner Raserei rufen, als habe er eine große Versammlung von Anhängern um sich, das geschmolzene Blei und den glühenden Sand hinabzuschütten, jede an die Mauer gelehnte Sturmleiter zurückzuschleudern, jeden Gefangenen zu ermorden, der beim Ersteigen der Mauern ergriffen werde —— und als sie von der Straße aus zu dem Gebäude hinaufblickten, sahen sie in Zwischenräumen durch die Balken der geschlossenen Thür die Gestalt des Heiden schnell und schattenhaft vorübereilen. Seine Arme waren ausgestreckt und sein langes, graues Haar und seine weißen Gewänder flatterten hinter ihm, als er den Tempel durchkreuzte und sein wildes heidnisches Kriegsgeschrei wiederholte. Das geschwächte abergläubische Volk erzitterte —— ein auf einem Wirbelwind reitendes Gespenst würde für ihre Augen nicht entsetzlicher gewesen sein.

Aber die Priester unter der Menge waren durch den Mord eines von ihren Brüdern zum Zorne aufgestachelt worden und belebten den Muth der sie Umgebenden von Neuem. Selbst das Geschrei des Ulpius wurde jetzt vom Tone ihrer auf’s höchste erhobenen Stimmen übertäubt, die Allen, welche ihnen die Treppe hinauffolgen und in den Tempel eindringen würden, himmlische und irdische Belohnungen —— die Seligkeit, Geld, Absolution, Standeserhöhung —— versprachen.

Durch die Worte der Priester angereizt und allmählig durch ihre Menge von Selbstvertrauen erfüllt, ergriffen, die Kühnsten munter dem Volke einen am Flusse liegenden Balken und stürmten, indem sie sich desselben wie eines Sturmbockes bedienten, auf das Thor ein. Sie waren aber vom Hunger geschwächt, die Nothwendigkeit, die Tempelstufen zum Angriff hinaufzusteigen, gestattete ihnen nicht, einen Anlauf zu nehmen; das Eisen erzitterte, als sie daran schlugen, aber die Angeln blieben eben so fest, wie die Schlösser. Sie schickten sich eben an, den Versuch zu wiederholen, als eine furchtbare Erschütterung —— ein Krachen, als ob das ganze schwere Dach des Gebäudes eingefallen wäre, sie entsetzt auf die Straße zurücktrieb.

Durch den Anblick der Bewaffneten, der Priester und der sie begleitenden Volksmenge, die gegen sein Heiligthum anrückten, wieder zu den Tagen zurückgerufen, wo er den großen Tempel des Serapis zu Alexandrien gegen Feinde von ähnlichem Aeußerem jedoch weit überlegener Zahl vertheidigt hatte, und in der Neubelebung dieser blutigsten Visionen seines Wahnsinns überzeugt, daß er immer noch von seinen Anhängern in seiner früheren geweihten Feste unterstützt, den christlichen Fanatikern Widerstand leiste, bewies der Heide, als er sich jetzt durch die ihn umgebende Dunkelheit bewegte, nichts von seiner gewohnten List und Vorsicht. Er eilte hin und her, munterte seine eingebildeten Anhänger auf, und gab sich seinen Träumen von Schlacht und Sieg hin, wobei er alles, was der Tempel enthielt, gänzlich vergaß. Auf seinem wilden Laufe um den Altar der Idole blieb sein Gewand hängen und wurde von den hervorragenden Gegenständen an einer Ecke desselben zerrissen. Die ganze Masse schwankte, fiel aber noch nicht. Einige von den kleineren Götterbildern, die zu oberst lagen, fielen jedoch auf den Boden und mit ihnen stürzte eine Statue des Serapis, welche sie bisher theilweise getragen hatten, —— eine schwere monströse Gestalt, die in Menschengröße aus Holz geschnitzt und mit Gold, Silber und Edelsteinen besetzt war, zu den Füßen des Heiden nieder. Dies war aber Alles —— das äußere Material des unsicheren Gebäudes war nur an einem Punkte abgelöst worden —— der Haufen selbst war noch an seinem Orte geblieben.

Der Wahnsinnige nahm das Serapisbild auf seine Arme und eilte blind mit demselben nach der Thür der Scheidewand, welche in den zweiten Raum führte. In diesem Augenblicke hallte der Stoß des ersten Angriffs an dem Thor im Gebäude wieder. Sobald er es vernahm, schrie er:

»Zum Ausfall! zum Ausfall! Diener des Tempels, die Götter und der Hohepriester führen Euch an!« stürzte, das Idol immer noch vor sich haltend, direkt auf den Eingang zu und stieß heftig an den hinteren Theil, der Anhäufung.

Die aus ihrem Gleichgewicht gebrachte schwere Masse von Bildern und Geräthen aus vielen Tempeln erhielt das Uebergewicht, schwankte, theilte sich und stürzte gegen das Thor und die Wände zu beiden Seiten desselben an. Ulpius wurde durch den unteren Theil des Hauses, welcher, als der obere umstürzte, gegen die Scheidewand zurückgetrieben worden war, gelähmt und blutend zu Boden geschlagen, seine Wuth aber durch den krachenden Ruin um ihn her nur noch größer. Er rang sich wieder zu einer aufrechten Stellung auf, erstieg den Gipfel der gefallenen Masse, die sich jetzt mit den Seiten über den Boden des Gebäudes ausbreitete, aber an dem einen Ende durch die Scheidewand und an dem andern durch die gegenüberliegende Mauer und das Thor eingeengt wurde und rief, die Serapisbildsäule immer noch in seinen Armen haltend, laut die Diener des Tempels auf, mit ihm die höchsten Zinnen zu ersteigen und das geschmolzene Blei auf die Belagerer herabzuschütten.

Die Priester waren wieder die Ersten, welche sich, nachdem man die Erschütterung in dem Gebäude gehört hatte, demselben näherten. Der Kampf um den Besitz des Tempels hatte für sie den Charakter eines heiligen Kriegs gegen Heidenthum und Magie, eines geweihten Kampfes, angenommen, den die Kirche, um ihres Dieners willen, der beim Beginn des Kampfes als Märtyrer gefallen war, bestehen müsse. Starke in ihrer fanatischen Kühnheit, rückten sie einmüthig bis dicht an das Thor heran. Einige von den kleineren Götzen der umgestürzten Masse waren durch die Gitterbalken gedrängt worden, hinter denen man die großen Idole, die zerbrochenen Massen von Geräthen, die langen Gewänder und köstlichen Stoffe erblickte, die alle in dem wildesten Durcheinander gleich, einem von einem Erdbeben aufgehäuften Chaos dalagen.

Ueber ihnen und weiter nach Innen sah man durch die oberen Zwischenräume des Thores undeutlich den unteren Theil von dem Gewande des Heiden, der, mit seinem Idol in den Armen, gebietend auf dem Gipfel seines umgestürzten Altars dastand.

Die Priester fühlten sich ihres Triumphes augenblicklich gewiß, als sie den Grund der Erschütterung erkannten, welche in dem Tempel gehört worden war. Einer von ihrer Zahl bemächtigte sich einer kleinen, durch die Zwischenräume hinaus auf das Pflaster gefallenen Statue, hielt sie, dem unter ihm stehenden Volke vor und rief triumphierend:

»Kinder der Kirche, das Räthsel ist gelöst! Werthvollere Götzenbilder als dieses liegen zu Hunderten in dem Tempel. Es ist kein Dämon, sondern ein Mensch, ein einziger Mensch, der uns noch im Innern Trotz bietet, ein Räuber, der die Römer um das Lösegeld ihres Lebens berauben will! —— Die Beute aus vielen Tempeln liegt um ihn, erinnert Euch, daß je näher wir diesem Orte kamen, die Ueberreste des Götzendienstes, die wir sammelten, immer seltener wurden, daß Schätze, die Euch gehören, Schätze, die Euch von der Hungersnoth befreien sollen, von dem Mörder unseres frommen Bruders geraubt worden sind und dort zu seinen Füßen zerstreut liegen. —— An das Thor! Wieder an das Thor! Diejenigen, welche das Thor einbrechen, erhalten Absolution für alle ihre Sünden.«

Abermals wurde der schwere Balken aufgehoben, abermals wurde das Thor bestürmt und abermals stand es fest —— es war jetzt von dem gefallenen Haufen verstärkt, verbarrikadirt worden. Es schien hoffnungslos zu sein, den Versuch zu machen, sie ohne eine Verstärkung von Menschen, ohne gegen sie die schwersten Wurfgeschosse, die stärksten Maschinen des Kriegs anzuwenden, niederzubrechen.«

Das Volk ließe ein Wuthgeschrei erschallen, als es jetzt aus dem Tempel das hohle Lachen des über dessen Niederlage triumphierenden Wahnsinnigen vernahm. Die Worte des Priesters hatten zugleich ihre abergläubischen Befürchtungen beschwichtigt und die tödlichen Leidenschaften erweckt, welche der Aberglaube erzeugt. Einige aus der Menge eilten nach dem nächsten Wachthause, um Beistand herbeizuholen, aber der größte Theil drängte sich dicht um den Tempel und überschüttete theils den Räuber der öffentlichen Beute mit ohnmächtigen Verwünschungen, theils schloß er sich den Priestern an, um ihn zur Ergebung aufzufordern. Aber der Lärm dauerte nicht lange, er wurde plötzlich durch die Stimme eines Mannes unter der Menge gestillt, welcher die Uebrigen laut aufforderte, den Tempel anzuzünden.

Die Worte waren kaum gesprochen, als sie auch triumphierend auf allen Seiten wiederholt wurden.

»Zündet den Tempel an!« schrie das Volk wüthend, »verbrennt ihn über dem Kopfe des Räubers —— macht einen Schmelzofen, um das Gold und Silber für unsern Bedarf zusammen zu schmelzen! —— Zündet den Tempel an! Zündet den Tempel an!«

Die Eifrigsten unter der Menge, welche sich jetzt durch aus allen Theilen der Stadt herbeigekommene Leute bedeutend verstärkt hatte, traten in die Häuser hinter ihnen und kehrten in wenigen Minuten mit allen brennbaren Stoffen, die sie zusammenzubringen vermochten, zurück.

In der kürzesten Zeit war ein zwei bis drei Fuß hoher Scheiterhaufen an dem Thore aufgerichtet und Soldaten und Volk drängten sich mit Fackeln herbei, um ihn anzuzünden. Der Priester, welcher vorher gesprochen hatte, winkte ihnen jedoch zurück.

»Wartet!« rief er, »das Schicksal seines Körpers hängt vom Volke ab, das Schicksal seiner Seele aber von der Kirche!«

Hierauf wendete er sich zu dem Tempel und rief feierlich und streng dem Wahnsinnigen zu:

»Deine Stunde ist gekommen! Bereue, beichte und rette Deine Seele!«

»Schlagt zu! schlagt zu!« antwortete die tobende Stimme von innen; »schlagt zu, bis kein Christ mehr lebt. Sieg, Serapis! Sieg! —— Seht sie stürzen von unsern Mauern! Sie krümmen sich blutend auf der Erde unter uns. Es gibt keine Religion, als die Religion der Götter! Schlagt zu! schlagt zu!«

»Zündet an!« rief der Priester; »seine Verdammniß komme über sein eigenes Haupt! Anathema! Maranatha! er sterbe verflucht!«

Die trocknen Brennstoffe wurden auf allen Punkten zugleich angezündet —— es war das erste Auto-da-fe, eine Ketzerverbrennung im fünften Jahrhundert! Als sich die Flammen erhoben, trat das Volk zurück und beobachtete ihr schnelles Umsichgreifen. Die in einer Reihe vor dem Feuer stehenden Priester streckten ihre Hände drohend gegen den Tempel aus und sprachen zusammen den schaurigen Bannfluch der römischen Kirche.

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Das vor dem Tempel angezündete Feuer hatte die Götzenbilder in seinem Innern ergriffen. Ulpius stand nicht mehr aus seinem umgestürzten Altar, sondern auf seinem Scheiterhaufen und die Bildsäule, welche er umfaßt hielt, war der Brandpfahl, an welchen er sich selbst gebunden hatte. Eine anfänglich düstere, rothe Gluth wurde unter ihm jetzt immer heller und heller, schnelle, geräuschlose Flammen stiegen und fielen und erhoben sich von Neuem auf verschiedenen Punkten, so daß sie das Innere des Tempels mit einem flackernden, wechselnden Licht erhellten. Die dunkeln finstern Gestalten der Götzen schienen sich zu bewegen und zu zucken, wie gepeinigte lebende Wesen, als sie das Feuer und der Rauch abwechselnd erkennen ließ und verhüllte. Eine Todtenstille hatte jetzt das Gesicht und die Gestalt des Heiden überzogen, als er fest auf die Gottheiten seiner Religion hinabblickte, welche unter ihm auf seine Vernichtung hinwirken. Seine Wange —— die Wange, welche in der Kindheit an seiner Mutter Brust geruht hatte, war an die vergoldete Brust des Serapis, seines Herrn im Leben, seines Kissens im Tode —— gedrückt.

»Ich steige! ich erhebe mich mit meinen Göttern, denen ich gedient habe, zur Welt des Lichtes!« murmelte er; »der Glanz ihres Angesichts gleicht einem flammenden Feuer, der Rauch ihres Athems erhebt sich um mich wie Weihrauchduft! Ich diene in den Tempeln der Wolken und die Herrlichkeit des ewigen Sonnenscheins umglänzt mich, während ich anbete —— ich steige auf, ich steige auf!«

Der Rauch wirbelte in schwarzen Massen über seinen Kopf, die brausende Stimme des sich schnell verbreitenden Feuers umtobte ihn, die Flammen leckten an seinen Füßen in die Höhe —— seine Gewänder entzündeten sich und verbreiteten eine strahlende Helle, als sich der Scheiterhaufen unter ihm öffnete.

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Der Streit zwischen dem Tempel und der Kirche war beendet —— die Priester und das Volk hatten einen weiteren Kreis um das dem Untergang geweihte Gebäude gebildet, alles Brennbare in demselben: war ausgebrannt, Rauch und Flammen brachen jetzt nur in Zwischenräumen durch die Thore und allmählig hörten beide auf sich zu zeigen. Jetzt trat das Volk näher an den Tempel heran und fühlte, als es hereinblickte, die Hitze des Hochofens, welchen es selbst entzündet hatte.

Die Eisenthore waren rothglühend —— von der großen Masse hinter ihnen, die an einigen Stellen immer noch hell loderte und von ihrer eignen Hitze erzitterte, stieg langsam ein dünner durchsichtiger Dunst zu dem jetzt vom Rauch geschwärzten steinernen Dache des Gebäudes empor. Die Priester sahen sich begierig nach der Leiche des Heiden um, sie erblickten zwei dunkle verkohlte Gegenstände, die eng mit einander verbunden in einem Aschenhaufen nahe am Thore an einer Stelle lagen, wo sich das Feuer schon erschöpft hatte, aber es war unmöglich, zu unterscheiden, welcher der Mensch und welcher der Götze sei.

Während die Flammen noch wütheten, hatte man die Nothwendigkeit, sich Mittel zum Eindringen in den Tempel zu verschaffen, nicht übersehen. Jetzt waren passende Werkzeuge zum Aufbrechen des Thores bei der Hand und schon begann das Volk seine Eimer in den Tiber zu tauchen und auf Alles, was noch Spuren von Feuer blicken ließ, Wasser zu schütten. Bald waren alle Hindernisse aus dem Wege geräumt, die Soldaten drängten sich mit Spaten in das Gebäude, traten in den schwarzen wässerigen Aschenschlamm, welcher das bedeckte, was einst der Altar der Götzen gewesen war, warfen die Asche und die unverzehrt gebliebenen steinernen Bildsäulen auf die Straße hinaus und gruben in dem, was zurückblieb, wie in einem neuen Bergwerke nach dem Gold und Silber, welches das Feuer nicht zu zerstören vermochte.

Der Heide hatte mit seinen Götzen gelebt, war mit seinen Götzen untergegangen und wurde jetzt hinausgeworfen wie sie. Die Soldaten mischten, als sie die schwarzen Ruinen seines Altars bruchstückweis herausgruben, ihn ebenfalls in Bruchstücken darunter. Das Volk, welches die ihnen zugeworfenen Abfälle in den Fluß schleuderte, warf mit dem, was noch von seinen Göttern vorhanden war, auch das von ihm Gebliebene hinein. Und als der Tempel verlassen worden war, als die Bürger alle Schätze, die sie zusammenbringen konnten, hinweggetragen hatten, als von Allem, was sie verbrannt, nur einige Aschenhaufen mehr übrig waren, verwehte der Nachtwind die Asche des Ulpius mit der Asche der Gottheiten, denen er gedient hatte!



Kapiteltrenner

Kapitel IV.
Die Vegilie der Hoffnung.

Vor uns thut sich jetzt ein neuer Anblick auf. Die rauhen Pfade, auf welchen wir bisher gewandelt sind, werden ebener, je näher wir ihrem Ziele kommen, Rom, das so lange dunkel und düster vor unsern Augen dagelegen hat, erhellt sich endlich wie eine Landschaft, wenn der Regen vorüber ist und die ersten Strahlen des wiederkehrenden Sonnenscheins durch die sich trennenden Wolken leuchten. Es sind einige Tage vergangen und in diesen Tagen haben die Tempel alle ihre Reichthümer hergegeben, die besiegten Römer haben die Gnade der triumphierenden Barbaren erkauft, das Lösegeld der gefallenen Stadt ist bezahlt.

Noch lagert sich das gothische Heer um die Mauern, aber die Thore stehen offen, in den Vorstädten sind Märkte für Lebensmittel errichtet, auf dem Flusse zeigen sich Boote und auf der Landstraße Wagen, die mit Mundvorräthen beladen, den Weg nach Rom einschlagen. Alle von den Bürgern noch zurückgehaltenen geheimen Schätze werden jetzt für Nahrung dahingegeben, die Verkäufer, welche den Markt halten, machen eine reiche Ernte, aber die Hungrigen werden gespeist, die Schwachen beleben sich von Neuem, ein Jeder ist zufrieden.

Wir befinden uns am Ende des zweiten Tages, seit die Gothen den freien Verkauf von Mundvorräthen gestattet und die Erlaubniß, aus der Stadt zu geben, gegeben haben. Die Thore sind für die Nacht geschlossen und das Volk kehrt mit Nahrungsmitteln beladen, ruhig nach seinen Wohnungen zurück. Seine Augen begegnen nicht mehr auf jeder Straße den furchtbaren Spuren der Pest und Hungersnoth, die Leichen sind fortgeschafft worden und die Kranken werden behütet und unter Obdach geschafft. Rom ist von seinen Flecken gereinigt und die Tugenden des häuslichen Lebens beginnen da, wo sie erst existiert hatten, eine neue ThätigkeiL Der Tod hat jede Familie gelichtet, aber die Ueberlebenden versammeln sich wieder in der geselligen Halle —— ja selbst die Verbrechen die niedrigsten Auswürflinge der Gesellschaft, nehmen für eine Zeitlang harmlos am Genusse der ersten Wohlthaten des Friedens Theil.

Den Bürgern nach ihren Häusern zu folgen, in ihren Gedanken, Worten und Thaten die Wirkung aufzusuchen, welche ihre Befreiung von dem Schrecken der Blokade auf sie gemacht hat, —— in dem Volke einer ganzen Stadt, welches jetzt so zu sagen,nach einer tiefen Ohnmacht wieder zu sich kommt, die wechselnden Formen der ersten Lebenssymptome aller Klassen, der Guten und Schlechten, Reichen und Armen zu betrachten würde an sich selbst schon Stoff genug für einen Roman vom höchsten menschlichen Interesse, für ein sich aufs Spannendste durch seltsame, verwickelt mit einander im Contrast stehende Scenen bewegendes Drama der Leidenschaften geboten haben. Unsere Aufmerksamkeit wird aber jetzt nicht von einer getheilten Quelle der Theilnahme in Anspruch genommen, sondern von einem Individuum auf sich gelenkt, wir geben alle Bemerkungen über die allgemeine Masse der Bevölkerung auf, um uns auf Numerian und Antoninen allein zu beschränken, um nochmals in die kleine Wohnung auf dem Monte Pincio zu treten.

Das Gemach, wo der Vater und die Tochter während der Zeit der Blockade zusammen die Qualen des Hungers erlitten hatten, bot jetzt ein ganz anderes Aussehen dar, als dasjenige, welches dasselbe zu der Zeit besessen hatte, wo wir die Beiden das letzte Mal darin erblickten. Die früher nackten Wände waren jetzt mit reichen dichten Tapeten bedeckt und das einfache Lager und der ärmliche Tisch früherer Tage mit dem Ueppigsten und Volllommensten, was es in jener Zeit von Hausrath gab, vertauscht. An dem einen Ende des Zimmers waren drei Frauen nebst einem kleinen Mädchen mit der Zubereitung einiger Gerichte von Obst und Gemüsen beschäftigt, am andern befanden sich zwei Männer im leisen ernsten Gespräch und blickten sich von Zeit zu, Zeit ängstlich nach einem aus der dritten Seite des Zimmers befindlichen Bette um, auf welchem Antonina ausgestreckt lag, während Numerian schweigend bei ihr machte. Goiswinthens Messer war tief eingedrungen, bis jetzt aber noch ihre Mörderabsicht noch nicht erfüllt.

Die Augen des Mädchens waren geschlossen, ihre Lippen waren von der Mattigkeit des Leidens getrennt, eine von ihren Händen lag nachlässig und unbeweglich auf dem Knie ihres Vaters. Ein leiser in seiner Schwäche betrübender Ausdruck des Schmerzes zeigte sich auf ihrem bleichen Gesicht und von Zeit zu Zeit entfloh ihr ein langgezogener zitternder Seufzer, —— die 1etzte, rührende Kundgebung der Natur von ihrer eignen Schwäche.

Der Greis heftete, während er neben ihr saß, einen verlangenden, forschenden Blick auf sie; zuweilen erhob er seine Hand und bewegte leise und mechanisch die langen Locken ihres Haares, welche zerstreut auf dem Kopfkissen umherlagen, hin und her, aber er wendete sich nie, um mit den übrigen Personen im Zimmer in Verkehr zu treten, er saß da, als ob er nichts sähe als die vor ihm ausgestreckte Gestalt seiner Tochter und nichts höre als das schwache Geräusch ihrer Athemzüge dicht an seinem Ohre.

Es war jetzt dunkel geworden und eine von der Decke herabhängende Lampe verbreitete ein mildes, gleichmäßiges Licht im Zimmer. Die verschiedenen Personen, welche sich darin befanden, besaßen auf ihren Gesichtern nur geringe Spuren von Gesundheit und Kraft, die man mit dem Aeußern des verwundeten Mädchens in Kontrast hätte setzen können, Alle hatten die Heimsuchung der Hungersnoth erlitten und Alle waren schwach und hilflos gleich ihr. Ueber der Scene lag eine eigenthümliche unbeschreibliche Harmonie; selbst die Stille der höchsten Erwartung und der zitternden Hoffnung, welche sich in Numerian’s Benehmen ausdrückte, schien sich in den Handlungen der ihn Umgebenden in der Ruhe, mit welcher die Frauen ihre Beschäftigung vor nahmen, in dem leiseren und leiseren Flüstern abzuspiegeln, in welchem die Männer ihr Gespräch fortsetzten.

In der Luft des ganzen Gemachs lag ein gewisses Etwas, welches ein Gefühl von der feierlichen überirdischen Stille gab, die wir mit der abstrakten Idee der Religion verknüpfen.

Von den beiden im Flüstertone mit einander sprechenden Männern, war einer der Patrizier Vetranio, der andere ein berühmter römischer Arzt.

Sowohl das Gesicht, wie das Benehmen des Senators gaben einen traurigen Beweis davon ab, daß die Orgie in seinem Palaste ihn für sein ganzes zukünftiges Leben verändert hatte. Er sah aus, wie das, was er war, ein für immer in Constitution und Charakter veränderter Mann. In seinen Augen erblickte man einen starren Ausdruck von Aengstlichkeit und Besorgniß, seine abgezehrte Gestalt wurde von Zeit zu Zeit durch nervöse, unwillkürliche Zuckungen entstellt; es lag klar am Tage, daß die lähmende Wirkung der Orgie, welche seine Gefährten hinweggerafft hatte, bis zum Ende seiner Existenz bei ihm beharren würde. In seinem Wesen war keine Spur mehr von seiner nachlässigen Ruhe, seiner behaglichen patrizischen Zutraulichkeit zu sehen, als er jetzt dem Gespräche seines Gefährten lauschte. Seinem Leben schienen Jahre hinzugefügt worden zu sein, seit er bei dem Gastmahle des Hungers den Vorsitz geführt hatte.

»Ja,« sagte der Arzt, ein kalter, ruhiger Mann, der viel redete, aber alle seine Worte mit nachdrücklicher Ueberlegtheit aussprach, »ja, wie ich Ihnen schon gesagt habe, war die Wunde an sich nicht tödlich. Wenn die Klinge des Messers nach vorn und nach innen zu in den Hals gedrungen wäre, so hätte sie sogleich nach dem Stoße sterben müssen. Es ist aber rückwärts und nach außen gegangen, die großen Gefäße sind verschont geblieben, es ist kein Lebenstheil berührt worden.«

»Und doch beharrst Du auf Deiner Erklärung, daß Du an ihrem Aufkommen zweifelst?« rief Vetranio mit leisem, wehmüthigem Tone.

»Das thue ich,« fuhr der Arzt fort, »sie muß an Geist und Körper erschöpft gewesen sein, als sie den Streich erhielt. Ich habe sie sorgfältig beobachtet, ich weiß es. Die Wirkung der Wunde findet keinen Widerstand an der natürlichen Gesundheit und Kraft der Jugend; ich habe alte Menschen an Verletzungen sterben sehen, von welchen die Jungen wieder genesen, weil das Leben in ihnen seine Widerstandsfähigkeit verliert, sie befindet sich in der Lage der Alten.«

»Die Andern sind vor mir gestorben und sie wird vor mir sterben. Ich werde Alles — Alles verlieren!« seufzte Vetranio bitterlich vor sich hin.

»Die Hilfsmittel unserer Kunst sind erschöpft!« fuhr Jener fort, »es bleibt nichts mehr zu thun, als sorgfältig zu wachen und geduldig zu warten. Der Kampf zwischen Leben und Tod wird sich in wenigen Stunden entscheiden, bis jetzt befinden sich beide Mächte im Gleichgewicht.«

»Ich werde Alles —— Alles verlieren,« wiederholte der Senator wehmüthig, als ob er die letzten Worte nicht gehört habe.

»Wenn sie stirbt,« sagte der Arzt in wärmerem Tone, denn Vetranio’s gänzliche Niedergeschlagenheit hatte unwillkürlich sein Mitleid erregt, »wenn sie stirbt, so kannst Du Dich wenigstens erinnern, daß Du Alles gethan hast, was geschehen konnte, um ihr Leben zu retten. Ihr in seinem Stumpfsinn und Alter hilfloser Vater vermochte nichts zu thun, als da zu sitzen und bei ihr zu wachen, wie er Tag um Tag gesessen und gewacht hat, aber Du hast nichts geschont, nichts vergessen. Was ich für sie verlangte, das hast Du herbeigeschafft, die Tapeten an den Wänden und das Bett, aus dem sie ruht, gehören Dir; die ersten frischen Lebensmittel von den wiedereröffneten Märkten sind von Dir herbeigebracht worden; ich hatte Dir gesagt, daß sie unablässig an das denke, was sie gelitten hatte, daß es nöthig sei, sie gegen ihre eigenen Erinnerungen zu bewahren, daß die Gegenwart von Frauen in ihrer Nähe gute Wirkung haben könne, daß ein zuweilen im Zimmer erscheinendes Kind ihre Phantasie beruhigen, sie bewegen dürfte, auf das zu blicken, was vorfiele, statt an das zu denken, was vorgefallen war, Du hast sie ausgesucht und herbei gesendet! Ich habe Väter gesehen, die um ihre Kinder, Liebhaber, die um ihre Geliebten weniger besorgt waren, als Du um dieses Mädchen.«

»Mein Schicksal liegt in ihr,« unterbrach ihn Vetranio, indem er sich abergläubisch nach der zarten Gestalt auf dem Lager umwendete; »Ich weiß nichts von den Mysterien, welche die Christen ihren Glauben nennen, aber ich glaube jetzt an die Seele, ich glaube jetzt, daß eine Seele das Schicksal einer andern enthält, und daß ihre Seele das Schicksal der meinen umfaßt.«

Der Arzt schüttelte spöttisch den Kopf. Sein Beruf hatte seine Philosophie geschaffen, er war ein so glühender Materialist, wie es Epicur nur immer gewesen sein konnte.

»Höre,« sagte Vetranio; »seit ich sie kenne, ist in meinem ganzen Wesen eine Veränderung eingetreten, es war, als ob ihr Leben mit dem meinen verknüpft sei! Ich hatte auf sie keinen andern Einfluß, als einen Einfluß zum Schlimmen, ich liebte sie, und sie wurde schutzlos aus ihrem Vaterhause getrieben; ich sendete meine Sklaven aus, um Rom Tag und Nacht zu durchsuchen —— ich strengte alle meine Kräfte an, ich verschwendete meinen Reichthum, um sie zu entdecken, und zum ersten Male mißlang mir das, was ich unternommen hatte. Ich fühlte, daß sie durch mich verloren —— todt sei! Tage vergingen, das Leben lastete schwer auf mir, die Hungersnoth stellte sich ein. Du weißt, auf welche Art ich meine Laufbahn schließen wollte, das Gerücht von dem Gastmahle des Hungers ist zu Dir gedrungen, wie zu anderen. Ich stand allein in meinem, dem Untergange geweihten Palaste da, die Freunde, die ich zu ihrem Untergange verlockt hatte, lagen lebloß um mich her, die Fackel, welche unsern Scheiterhaufen anzünden, uns aus dieser uns zum Ekel gewordenen Welt befreien sollte, war in meiner Hand, ich schritt triumphierend auf die angehäuften Brennstoffe zu, um die vernichtenden Flammen zu entzünden, als sie vor mir stand —— sie, die ich als verloren gesucht und als todt betrauert hatte. Eine starke Hand schien mir die Fackel aus der Hand zu reißen, sie sank zu Boden. Antonina entfernte sich wieder, aber ich besaß nicht die Kraft, die Fackel aufzuheben, ihr Blick war immer noch vor mir, ihr Gesicht, ihre Gestalt, sie selbst schien fortwährend zwischen der Fackel und mir zu wachen.

»Als die Beamten des Senats in den Palast traten, fanden sie mich noch an dem Orte stehen, wo wir einander begegnet waren!

»Wieder vergingen Tage; ich blickte auf die Straße hinaus und dachte an meine Genossen, die ich in den Tod gelockt, und an meinen Schwur, ihr Schicksal zu theilen, den ich nie erfüllt hatte. Ich würde mir den Dolch ins Herz gestoßen haben, aber ihr Gesicht stand vor mir, meine Hände waren gebunden.

»Zu jener Stunde sah ich sie zum zweiten Male, sah ich sie verwundet, gemeuchelt an mir vorübertragen! Sie hatte mich einmal —— sie hatte mich zweimal gerettet! Ich wußte, daß mir jetzt die Aussicht geboten war, ihr Gutes zu thun, nachdem ich ihr Böses zugefügt hatte; nachdem es mir mißlungen war, sie zu entdecken, als sie verschwand, sie jetzt zu retten, wo ihr der Tod drohte; nachdem ich den Tod meiner Freunde an meinem eigenen Tische überlebt, das Leben unter meinem Einflusse neu erwachen zu sehen! Dies waren meine Gedanken —— dies sind noch meine Gedanken —— Gedanken, die ich nur, seit ich sie gesehen, gehegt habe. Weißt Du jetzt, weshalb ich glaube, daß ihre Seele das Schicksal der meinen umfaßt, siehst Du mich geschwächt, zerrüttet, vor der Zeit alt geworden, siehst Du, daß meine Freunde verloren, meine frischen Jugendgefühle auf ewig verschwunden sind, und kannst Du jetzt nicht begreifen, daß ihr Leben mein Leben ist, daß, wenn sie stirbt, der einzige gute Zweck meines Lebens verloren ist? daß ich Alles verliere, wofür ich von nun an noch lebe? —— Alles, Alles!«

Als er die letzten Worte sprach, öffneten sich die Augen des Mädchens zur Hälfte und wendeten sich matt ihrem Vater zu. Sie machte einen Versuch, ihre Hand liebkosend von seinem Knie zu seinem Halse zu erheben, aber ihre Kraft war selbst für diese geringe Bewegung nicht hinreichend. Die Hand war erst um wenige Zoll erhoben, als sie auch wieder in ihre frühere Lage zurücksank, über ihre Wange rollte langsam eine Thräne, als sie wieder ihre Augen schloß, sie sprach jedoch kein Wort.

»Sieh,« sagte der Arzt, indem er auf sie deutete »der Strom des Lebens ist auf seiner tiefsten Ebbe angelangt, wenn er wieder fluthen soll, so muß es diesen Abend geschehen.«

Vetranio antwortete nicht, er sank auf einen Sessel nehen ihm nieder und bedeckte sein Gesicht mit seinem Gewande. Der Arzt begann, als er die Lage des Senators erblickte und das sonderbare, hastige Bekenntniß überdachte, welches so eben an ihn gerichtet worden war, zu zweifeln, daß sein Gönner nach den Auftritten, welche er in der letzten Zeit durchgemacht hatte, noch bei gesundem Verstande sei. War auch der Mann der Wissenschaft ein Philosoph, so hatte er doch nie die äußeren Symptome der ersten Einwirkung guter und reiner Einflüsse zur Erhebung eines herabgesunkenen Geistes bemerkt, er hatte nie die Zeichen der Rede und Gebärde beobachtet, welche den Fortschritt der geistigen Umwälzung andeuten, während die alte Natur sich mit der neuen vertauscht —— dergleichen Gegenstände der Betrachtung waren für ihn nicht vorhanden —— er berührte sanft Vetranio’s Schulter.

»Steh’ auf!« sagte er, »laß uns gehen! Bei ihr sind Diejenigen, welche sie am besten bewachen können. Wir können nichts weiter thun, als warten und hoffen. Mit dem frühesten Morgen wollen wir zurückkehren.«

Er gab einer von den Krankenwärterinnen noch einige letzte Aufträge und verließ dann in Begleitung des Senators, der, ohne weiter ein Wort zu sprechen, mechanisch aufstand, um ihm zu folgen, das Zimmer.

Von jetzt an wurde die Stille nur zuweilen durch ein Flüstern und den Ton leichter, schneller, hin und her gehender Schritte unterbrochen. Dann wurden die kühlenden, stärkenden Tränke, welche für die Nacht bereitet worden waren, in die Becher gegossen und die Frauen traten zu Numerian, wie, um ihn anzureden, aber er winkte ihnen, sobald er sie erblickte, unmuthig zurück, und dann entfernten auch sie sich, um in einem benachbarten Zimmer zu warten, bis man sie wieder rufen würde.

Im Wesen des Vaters, als er in der Kammer der Krankheit, welche in wenigen Stunden zur Kammer des Todes werden konnte, allein zurückblieb, veränderte sich nichts. Er saß neben Antoninen, bewachte sie und berührte von Zeit zu Zeit die verstreuten Locken ihres Haares, wie er es bisher gethan hatte. Es war eine helle Sternennacht, die frische Luft des milden Winterklimas des Südens wehte sanft über die Erde hin, die große Stadt wurde allmälig still, mitunter hörte man auf den Hauptstraßen rufende Stimmen und aus dem gothischen Lager erklangen munter die fernen Töne kriegerischer Musik, als die Schildwachen auf ihre Posten gestellt wurden, bald aber verklangen auch diese Töne und die Stille Roms glich der Stille um das Lager des verwundeten Mädchens.

Einen Tag nach dem andern und eine Nacht nach der andern hatte Numerian seit dem Mordanfalle im Tempel seinen Platz an der Seite seiner Tochter bewahrt. Jede vorüberziehende Stunde fand ihn noch in seine lange Hoffnungswache versenkt, sein Leben schien durch den einen Gegenstand, welchen er jetzt in Banden hielt, in seinem Laufe aufgehalten zu sein. In den kurzen Zwischenräumen, wo ihn bei seiner traurigen Wache die Müdigkeit übermannte, bemerkten die ihn Umgebenden, daß sein Gesicht selbst während seines kurzen traumerfüllten Schlummers stets nach der einen Richtung, dem Kopfende des Bettes, gewendet blieb, als ob er dort durch einen unwiderstehlichen Einfluß, durch eine mächtige Gewalt angezogen werde, die sich selbst in der tiefsten Ruhe des Bewußtseins, der schwersten Ermüdung des überladenen Geistes und des matten sinkenden Herzens fühlbar machte. Er unterhielt, außer durch Zeichen, keinen Verkehr mit den ihn umgebenden Freunden, er schien mit ihnen weder zu hoffen, zu zweifeln, noch zu verzweifeln, alle seine Fähigkeiten waren angespannt, um nur an einem einzigen Punkte zu fibriren und in jeder andern Richtung dumpf und unempfänglich.

Nur zweimal hatte man ihn mehr als die einfachsten, kürzesten Worte sprechen hören. Das erste Mal, wie Antonina, als sie nach ihrer Verwundung wieder zum Bewußtsein gelangte, den Namen, Goiswinthens aussprach, antwortete er eifrig durch wiederholte Erklärungen, daß von nun an nichts mehr zu befürchten sei, da er die Mörderin, als er den Tempel verlassen, todt unter dem Fuße des Heiden gesehen habe. Das zweite Mal, wo von ihm unvorsichtiger Weise das in Rom verbreitete Gerücht von dem Verbrennen eines unbekannten heidnischen Priesters im Tempel des Serapis mit ungeheuren Schätzen vor ihm erwähnt wurde, sah man den alten Mann zusammenschrecken und schaudern, und hörte ihn für die Seele beten, welche jetzt vor dem furchtbaren Richterstuhle stehe, über eine vergebliche Wiedergabe und eine zu spät gemachte Entdeckung Murmeln, über die um ihn immer dichter werdenden Schrecken, über vergeblich erweckte Hoffnungen und entsetzlichere Verluste, als je ein menschliches Wesen erlitten, stöhnen, flehen, daß das Kind, das legte, was ihm noch von Allem geblieben sei, verschont werden möge, und noch viele andere Worte, die sich auf ähnliche Gegenstände bezogen, und die von Allen, welche sie anhörten, nur für die Phantasien eines Geistes angesehen wurden, dessen höhere Fähigkeiten durch Schwäche und Kummer zu Boden gedrückt waren.

Bereits war eine lange Stunde der Nacht vergangen, seit man Vater und Kind beisammen gelassen hatte, und in dem trüben Zimmer war kein Wort, keine Bewegung bemerklich geworden, als aber die zweite Stunde begann, öffneten sich wieder die Augen des Mädchens und sie bewegte sich peinlich auf ihrem Lager.

Gewohnt, die Bedeutung ihrer leisesten Gebärden auszulegen, stand Numerian auf und brachte ihr einen von den stärkenden Tränken, die für sie bereit gestellt worden waren. Nachdem sie getrunken hatte, und ihre Augen den in stummer, wehmüthiger Frage auf sie gehefteten Blicken ihres Vaters begegnet waren, schlossen sich ihre Lippen und nahmen einen Ausdruck an, wie denjenigen, welchen sie stets getragen hatte, wenn sie als Kind ihr Gesicht zu ihm hinauf hielt, um einen Kuß zu verlangen. Der traurige Kontrast zwischen dem, was sie jetzt war, und dem, was sie früher gewesen, ging über die passive Standhaftigkeit, die geduldige Resignation des gebrochenen alten Mannes —— der leere Becher sank aus seinen Händen, er kniete neben dem Lager nieder und stöhnte laut.«

»O Vater, Vater!« lispelte die schwache, klagende Stimme über ihm, »ich sterbe! Wir wollen bedenken, daß unsere Zeit des Beisammenseins kürzer und kürzer wird, und sie so glücklich verleben, wie wir können!«

Er erhob sein Haupt und blickte, wie, als ob das letzte Scheiden schon vorüber wäre, zu ihr auf.

»Ich habe versucht, bescheiden und dankbar zu leben,« seufzte sie schwach, »ich habe mich gesehnt, auf Erden mehr Gutes zu thun, als ich verrichtet habe! Du wirst mir aber jetzt verzeihen, Vater, wie Du mir stets verziehen hast! Du bist mein ganzes Leben lang geduldig mit mir gewesen, geduldiger, als ich es je verdient habe. Aber ich besaß keine Mutter, die mir lehrte, Dich zu lieben, wie ich sollte, die mir lehrte, was ich jetzt weiß, wo mein Tod nahe ist, mir Zeit und Gelegenheit verschwunden sind.«

»Still! still!« flüsterte der Greis erschrocken, »Du wirst leben! Gott ist gut und weiß, daß wir genug gelitten haben. Gegen uns ist der Fluch der letzten Trennung nicht gesprochen! Lebe! lebe!«

»Vater!« sagte das Mädchen zärtlich, »wir haben ein Etwas in uns, welches selbst der Tod nicht trennen kann. In jener Welt werde ich immer noch an Dich denken, wenn Du an mich denkst! Ich werde Dich sogar sehen, wenn ich nicht mehr hier bin, wenn Du Dich sehnst, mich zu sehen! Wenn Du allein ausgehst und unter den Bäumen auf der Gartenbank sitzest, wo ich zu sitzen pflegte, —— wenn Du auf die fernen Ebenen und Berge hinausschaust, auf die ich zu blicken pflegte, —— wenn Du bei Nacht in der Bibel liesest, in der wir zusammen gelesen haben, und an Antoninen denkst, —— wenn Du bekümmert zur Ruhe gehst, dann werde ich Dich sehen, Dann wirst Du fühlen, daß ich auf Dich niederschaue, Du wirst ruhig und getröstet sein selbst neben meinem Grabe, denn Du wirst nicht an den Körper denken, welcher darin ist, sondern an den Geist, der Dich erwartet, wie ich oft hier aus Dich gewartet habe, wenn Du fort warst und ich wußte, daß der Abend Dich wieder heim bringen würde.«

»Still! Du wirst leben! Du wirst leben!« wiederholte Numerian mit denselben leisen, wirren Tönen. In diesen wenigen einfachen Worten lag die Kraft, welche ihn noch aufrecht erhielt, sie waren die Nahrung einer Hoffnung, die in Pein geboren und in Verzweiflung gepflegt worden waren.

»O wenn ich leben könnte! für wie-viel habe ich noch zu leben, wenn ich nur noch wenige Tage leben könnte!« sie bemühte sich, ihren Kopf zu ihrem Vater hinzuneigen, denn die Worte begannen schwach und immer schwächer von ihren Lippen zu fallen —— die Erschöpfung überwältigte sie von Neuem. Sie verweilte jetzt auf einen Augenblick bei dem Namen Hermanrich’s, bei dem Grabe im Garten der Vorstadt und kehrte dann wieder zu dem Gedanken an ihren Vater zurück. Die letzten schwachen Töne, welche sie aussprach, waren an ihn gerichtet, und ihr Inhalt athmete immer nach Trost und Hoffnung.

Der Greis beugte sich über sie und sah bald, wie sich ihre Augen wieder schlossen —— die unschuldigen, milden Augen, welche selbst jetzt noch ihren alten Ausdruck bewahrten, während das Gesicht blaß und hager wurde —— und Dunkelheit und Nacht sanken nochmals auf seine Seele.

»Sie schläft,« murmelte er, als er seine wachende Haltung neben ihrem Bett wieder annahm; »man nennt den Tod einen Schlaf, aber auf ihrem Gesicht ist kein Tod!«

Die Nacht rückte vor. Gegen Mitternacht traten die Wärterinnen wieder in das Zimmer, verwundert, daß ihre Gegenwart noch nicht verlangt worden sei. Sie erblickten die feierliche, ungestörte Ruhe auf dem abgezehrten Gesicht des Mädchens, die unermüdliche Aufmerksamkeit Numerian’s der noch in derselben Stellung neben ihr saß, —— und gingen wieder leise hinaus, ohne auch nur flüsternd ein Wort zu sprechen. Schon in dem Aussehen des Zimmers, wo der vernichtende Tod mit der zierenden Jugend und Schönheit im furchtbaren Kampfe lag, während die Augen eines einzigen alten Mannes, einsam den Fortschritt des Kampfes beobachteten, lag etwas Ernstes und Tiefeindringliches.

Der Morgen kam. Mit ihm aber noch keine Veränderung. Einmal, als die das Zimmer erhellende Lampe beim Herannahen der Dämmerung auslöschte, war Numerian aufgestanden und hatte aufmerksam das Gesicht seiner Tochter betrachtet —— er glaubte in diesem Augenblicke, daß sich ihre Züge bewegt hätten, aber er sah, daß ihn das Flackern des verlöschenden Lichts auf ihnen getäuscht hatte; noch war keine Veränderung eingetreten. Er hielt sein Ohr auf einen Augenblick dicht an ihre Lippen und nahm dann wieder seinen früheren Ort ein, von welchem er sich nicht mehr bewegte. Der langsame Strom seines Blutes schien stehen geblieben zu sein, er wartete wie ein Mensch mit seinem Kopfe auf dem Block wartet, ehe das Beil niederfällt, wie eine Mutter wartet, um zu hören, daß der Athem des Lebens ihr neugeborenes Kind durchdrungen hat.

Die Sonne erhob sich strahlend am unbewölkten Himmel. Als die frische, scharfe Luft des Morgens in ihrem stärkeren Scheine wärmet wurde, traten die Frauen wieder in das Zimmer und zogen den Vorhang und den Laden theilweise vom Fenster zurück. Die Strahlen des neuen Lichtes fielen hell und herrlich auf das Gesicht des Mädchens, der leise Wind bewegte die leichteren Locken ihres Haares. Einst würde sie dies erweckt haben, jetzt aber wurde sie davon nicht gestört.

Bald darauf hörte man unten in der Halle durch die halb offene Thür des Zimmers die Stimme des Kindes, welches mit den Frauen in das Haus gekommen war. Das kleine Geschöpf stieg langsam die Treppe hinauf und sang sein stammelndes Morgenlied vor sich hin. Vor ihm her kam eine zahme Taube, die auf dem Lebensmittelmarkte vor den Mauern, gekauft, aber als Spielzeug und Liebling des Kindes von seiner Mutter verspart worden, war. Der Vogel flatterte girrend in das Zimmer, ließ sich am Kopfende des Lagers nieder und begann dort seine Federn zu putzen. Die Frauen waren von der Erstarrung des alten Mannes angesteckt worden und machten keine Bewegung, um dem Kinde zu gebieten, sich zu entfernen oder die Taube von ihrem Orte zunehmen —— sie wachten gleich ihm. Aber die sanften, lockenden Töne des Vogels waren eben so machtlos für das Ohr des Mädchens, wie der Sonnenstrahl für ihr Gesicht,— — noch immer wachte sie nicht auf.

Das Kind trat ein, hielt in seinem Liede inne und kletterte an dem Bette hinauf. Es hielt der Taube eine von seinen kleinen Händen hin, damit diese sich darauf niederlassen möge, legte die andere leicht auf Antoninens Schulter und drückte seine frischen, rosigen Lippen auf die verblichene Wange des Mädchens.

»Ich und mein Vogel sind gekommen, um heute Antoninen gesund zu machen,« sagte es ernsthaft.

Die stillen, schwergeschlossenen Augenlider bewegten sich; sie zitterten, gingen auf, schlossen sich und gingen dann wieder auf. Die Augen besaßen einen schwachen, träumerischen, bewußtlosen Blick. Aber Antonina lebte —— Antonina war endlich zu einem Tage auf Erden erwacht! Der starre Blick ihres Vaters blieb immer noch auf sie geheftet wie Anfangs, auf seinem Gesicht herrschte aber Oede, war jeder Schein der Empfindung und des Lebens verschwunden. Als die Frauen auf Antoninen und dann wieder auf ihn blickten, begannen sie zu weinen. Das Kind setzte leise sein Morgenlied fort, und richtete es bald an das verwundete Mädchen, bald an die Taube.

In diesem Augenblicke traten Vetranio und der Arzt ein. Der Letztere ging auf das Bett zu, nahm das Kind von demselben herab und betrachtete Antoninen aufmerksam. Endlich sagte er halb zu Numerian gewendet, halb zu sich sprechend:

»Sie hat lange, tief bewegungslos, fast ohne zu athmen geschlafen —— einen Schlaf, der Allen, die ihn sahen, wie der Tod vorkam!«

Der Greis antwortete nicht; aber die Frauen bestätigten es eifrig.

»Sie ist gerettet!« fuhr der Arzt fort, indem er das Bett gemächlich verließ und Vetranio anlächelte, »Ihr müßt sie aber noch viele Tage lang gut in Acht nehmen.«

»Gerettet! gerettet»wiederholte das Kind freudig, indem es die Taube im Zimmer frei ließ und zu Numerian lief, um auf seine Kniee zu klettern. Der Vater blickte nieder, als die klare, junge Stimme in seinem Ohr erschallte, die in seinem Herzen so lange vertrockneten Freudenquellen wallten wieder auf, als er die kleinen Hände bittend zu sich erheben sah, sein graues Haupt senkte sich, —— er weinte.

Auf ein Zeichen des Arztes wurde das Kind aus dem Zimmer geführt. Alle darin Zurückgebliebenen bewahrten eine Stille tiefer, feierlicher Bewegung. Man vernahm nichts, als das unterdrückte Schluchzen des alten Mannes und die schwachem sich entfernenden Töne der Kinderstimme, das noch sein Morgenlied sang, und jetzt bildete ein freudig fortwährend wiederholtes Wort den ganzen Text der Musik. Es hieß:

»Gerettet! gerettet!«



Kapiteltrenner

Schluß.
»Ubi thesaurus, ibi cor.«

Kurz nach der Eröffnung der Lebensmittelmärkte außerhalb der Thore von Rom brachen die Gothen ihr Lager vor der Stadt ab und marschierten nach Toskana, wo sie sich in Winterquartiere legten. Die Unterhandlungen, welche Alarich mit dem Hofe und der Regierung zu Ravenna anknüpfte, wurden von dem Sieger mit schlauer Mäßigung und von den Besiegten mit verblendetem Uebermuthe geführt und endeten mit einer Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. Rom wurde von den Barbaren ein zweites und drittes Mal belagert. Bei dem letzteren Anlasse wurde ie Stadt geplündert, ihre Paläste verbrannt, ihre Schätze weggenommen und nur die Denkmäler der christlichen Religion verschont. Unsere Erzählung hat es aber nicht weiter mit den Gothen zu thun, die Verbindung mit ihnen, in welcher sie bis jetzt stand, schließt mit dem Ende der ersten Belagerung von Rom. Wir können die Aufmerksamkeit des Lesers nicht weiter für historische Ereignisse in Anspruch nehmen. Unser kleines, zu seiner Unterhaltung aufgeführtes Schauspiel ist vorüber. Wenn er jedoch für Antoninen einige Theilnahme gefühlt und noch bewahrt, so wird er sich nicht weigern, uns zu folgen und ehe wir scheiden, wieder auf sie zu blicken.

Es war mehr als ein Monat vergangen, seit sich das Belagerungsheer in seine Winterquartiere zurückgezogen hatte, als mehrere Bürger von Rom sich auf der Ebene außerhalb der Mauern versammelten, um eines der ländlichen Feste der alten Zeit zu begeben, die von den Italienern unserer Tage, wenn auch mit verschiedenen Gebräuchen, doch mit derselben Heiterkeit noch immer gefeiert werden.

Die Stelle war ein ebenes Grundstück vor dem Pincischen Thore, welches auf der Rückseite einen dichten Pinienhain hatte und nach Norden zu über das flache Land der Umgegend von Rom schaute. Die Personen welche sich hier zusammen gefunden hatten, gehörten meist der unteren Klasse an. Ihre Belustigungen bestanden im Tanzen, der Musik, Kraft und Glücksspielen, und was für Leute, die vor Kurzem erst eine Hungersnoth überstanden hatten, das Wichtigste war, reichlichem Essen und Trinken, langer, ernstlicher, extasischer Beschäftigung der Kinnladen und der Zunge.

Unter der Versammlung befanden sich einige Individuen, die durch ihre Kleidung und Manieren wenigstens äußerlich über die allgemeine Masse erhoben wurden. Diese Personen gingen an verschiedenen Stellen des Platzes nicht als Theilnehmer, sondern als Beobachter der Spiele zusammen auf und ab. Einer von ihnen blieb jedoch, wohin er sich auch wenden mochte, vereinzelt. Er hielt einen offenen Brief in der Hand, den er von Zeit zu Zeit ansah, und schien gänzlich von seinen Gedanken in Anspruch genommen zu werden. Diesen Mann können wir sowohl seiner selbst wegen, als auf in Bezug auf die Eigenthümlichkeit seiner zufälligen Lage vortheilhaft erwähnen, denn er war der Lieblingsdiener der früheren Freuden Vetranio’s —— der »industriöse Carrio«

Der Freigelassene, —— den wir unsern Lesern das letzte Mal im zweiten Bande vorstellten, als er seinem Herrn die Abfälle, welche er während der Hungersnoth für die Consumtion im Palaste zusammengebracht hatte, aufwies —— hatte in der letzten Zeit eine bedeutend höhere Stellung im Vertrauen Vetranio’s erhalten. Bei der Organisation des Gastmahls des Hungers hatte er sich kluger Weise enthalten, den geringsten Wunsch blicken zu lassen, sich aus der Katastrophe zu retten, in welche sich zu stürzen der Senator und seine Freunde entschlossen gewesen waren. Er begab sich an einen sichern Ort, wo er das Ende der Orgie erwartete und erschien, als er fand, daß ihr unerwarteter Ausgang seinen Herrn noch am Leben und seiner Dienste bedürftig ließ, von Neuem als treuer Diener, der bereit war, seine gewohnten Beschäftigungen mit unvermindertem Eifer wieder aufzunehmen.

Nach der Zerstreuung seiner Dienerschaft während der Hungersnoth und der allgemeinen Verwirrung, die, als die Blockade aufgehoben wurde, in den socialen Verhältnissen Roms eintrat, fand Vetranio in seiner Nähe, außer Carrio, Keinen, auf den er sich verlassen konnte —— und er verließ sich auf ihn. Dieses Vertrauen war übrigens nicht unverdient. Der Mann war egoistisch und habsüchtig genug, aber eben diese Eigenschaften verbürgten seine Treue gegen seinen Herrn, so lange dieser Herr die Gewalt zu strafen und die Fähigkeit zu belohnen bewahrte.

Der Brief, welchen Carrio in der Hand hielt, war ihm nach einer, Vetranio gehörigen Villa, am Strande der Bai von Neapel, von welcher er eben zurückgekehrt, zugekommen, und von dem Senator selbst in Rom geschrieben. Die Einleitung dieser Zuschrift schien den Freigelassenen nur wenig zu interessieren —— er enthielt Lobeserhebungen über den Fleiß, womit er das Landhaus für die sofortige Bewohnung durch seinen Eigenthümer eingerichtet hatte, und sprach das Verlangen seines Herrn aus, Rom so schnell als möglich zu verlassen, um in völliger Ruhe leben und die stärkende Seeluft athmen zu können, wie es die Aerzte gerathen hatten. Der letzte Theil des Briefes war es, welchen Carrio las, und immer wieder las, und dann mit ungewohnter Aufmerksamkeit und Geistesanstrengung überdachte.

Er lautete, wie folgt:

»Ich habe Dir jetzt eine Aufgabe anzuvertrauen,
»welche Du mit der größten Treue ausführen wirft,
»wenn Du auf meine Gunst Werth legst, oder den
»Reichthum achtest, von welchen( Du Deine Belohnung
»erhalten kannst. Als Du Rom verließest, lag die
»Tochter Numerians in Todesgefahr —— sie ist seitdem
»genesen. Fragen, die ich ihr vorgelegt, haben mich
»mit einem großen Theile ihrer Geschichte, welche mir
»bisher fremd war, bekannt gemacht, und bewogen
»aus besonderen Gründen, ein Bauernhaus mit seinen
»Ländereien jenseits der Vorstädte zu kaufen. (Der
»Umfang des Gutes und seiner Lage sind auf dem
»Pergament, welches hier beiliegt, verzeichnen) Der
»Bauer, welcher das Gut früher bewirthschaftete, hat
»die Hungersnoth überlebt und wird fortfahren, es für
»mich zu bewirthschaften. Es ist aber mein Wunsch,
»daß der Garten und Alles, was er enthält, zur un-
»beschränkten Verfügung Numerians und seiner Tochter
»bleiben soll, die oft dorthin kommen werden und dort
»von nun an als meine Stellvertreter und mit meiner
»Gewalt bekleidet betrachtet werden müssen. Du wirst
»Deine Zeit in die Beaufsichtigung der wenigen Sklaven,
»welche ich während meiner Abwesenheit im Palast
»zurücklasse, und des Bauers und seiner Arbeiter, die
»ich auf das Gut gesetzt habe, theilen, und mir für
»die gehörige Verrichtung Deiner Pflichten sowohl,
»wie Derjenigen unter Dir, verantwortlich sein. ——
»Sei versichert, daß Du durch die gute Erfüllung dieses
»Auftrages in diesen, wie in allen andern Dingen
»Deinen eignen Vortheil befördern wirst.«

Der Brief schloß damit, daß der Freigelassene angewiesen wurde, an einem gewissen Tage nach Rom zurückzukehren, und sich zu einer gewissen Stunde nach einem Bauernhause zu begeben, wo er seinen Herrn treffen werde, der ihm noch weitere Aufträge zu ertheilen habe und das neu erworbene Eigenthum zu besuchen gedenke, ehe er seine Reise nach Neapel antrete.

Die Verblüffung, mit welcher Carrio die oben angeführte Stelle in dem Briefe seines Herrn las, war ungeheuer. Da er sich der Umstände erinnerte, welche Vetranio’s frühere Verbindung mit Antoninen und ihrem Vater begleitet hatte, würde ihn der bloße Umstand des Ankaufes eines Gutes, um einer ohne Zweifel zufälligen Laune des Mädchens zu schmeicheln, nur wenig in Erstaunen gesetzt haben. Daß diese Handlung aber die sofortige Trennung des Senators von Numerians Tochter zur Folge haben, und sie weiter nichts von dem Gute gewinnen sollte, welches offenbar auf ihren Antrieb gekauft worden war, als die Gewalt über einen kleinen Garten, und daß dabei doch die Unverletzlichkeit dieses werthlosen Privilegiums in so ernsthaften Ausdrücken und mit so gebieterischem Tone, wie sie der Senator noch nie angewendet hatte, verordnet wurde —— dies waren Widersprüche, welche aller Scharfsinn Carrio’s nicht in Einklang zu bringen vermochte. Der Mann war im Laster geboren und erzogen, das Laster hatte ihn genährt, gekleidet, frei gemacht, ihm in seiner kleinen Sphäre Ruf und Gewalt verliehen —— er lebte in ihm, wie in der Atmosphäre, welche er athmete; wenn man ihm eine Handlung zeigte, die sich nur auf einen Grundsatz reiner Rechtlichkeit bezog, so stellte man ihm ein Problem, welches er nicht zu lösen vermochte, und doch ist es in einer Beziehung unmöglich, ihn für gänzlich schlecht zu erklären. Er war mit allen Unterschieden zwischen Gutem und Bösem unbekannt und dachte aus völliger Unfähigkeit, das Rechte einzusehen, unrecht.

Wie sehr ihn aber auch seine Instruktionen verblüffen mochten, so befolgte er sie doch jetzt, wie er sie auch in späteren Tagen zu befolgen fortfuhr, buchstäblich. Wenn es eine Kunst ist, seinem eigenen Vortheil zu dienen, so gebührte dem Carrio eine erste Professur in dieser Kunst: Er kam nicht nur pünktlich, sondern sogar vor der bestimmten Zeit in das Bauernhaus, rief den ehrlichen Landmann und dessen Arbeiter vor sich und erklärte ihnen alle Umstände der Gewalt, womit ihn sein Gönner bekleidet hatte, mit einer geläufigen, peremtorischen Feierlichkeit, die seine einfachen Zuhörer in Verwirrung setzte, und einen tiefen Eindruck auf sie machte. Er fand Numerian und Antoninen im Garten, als er in denselben trat.

Das Mädchen war seit ihrer Genesung täglich in einer Sänfte dorthin getragen worden und ihr Vater ihr gefolgt. Sie trennten sich jetzt nie mehr, der Greis erinnerte sich, als seine erste allumfassende Besorgniß um sie sich beruhigt hatte, wieder deutlicher der entsetzlichen Entdeckung im Tempel und der noch entsetzlichern Katastrophe, welche ihr gefolgt war und suchte in der Gegenwart seines Kindes beständige Zuflucht vor den Schrecken des Andenkens.

Der Freigelassene beobachtete während seines Gesprächs mit dem Vater und der Tochter einmal ausnahmsweise eine unwillkürliche und ungeheuchelte Ehrerbietung, aber er faßte sich kurz, und ließ sie fast augenblicklich wieder allein.

So arm und hilflos sie auch waren, flößten sie ihm doch Ehrfurcht ein, sie blickten, dachten und sprachen wie Wesen, die mit einer andern Natur begabt waren, als er, sie verknüpften sich auf ihm unbekannte Weise mit dem Geheimnisse des Grabes im Garten —— er würde in der Gegenwart des Kaisers selbst gefaßt gewesen sein, in der ihren aber war es ihm unbehaglich. Er begab sich also nach der ihn mehr ansprechenden Scene des ländlichen Festes, welches in der unmittelbaren Nachbarschaft des Bauernhauses gehalten wurde, um die Ankunft seines Patrons zu erwarten und sich von Neuem durch die Lesung des Briefes Vetranio’s zu verblüffen.

Die Zeit war jetzt nahe, wo der Freigelassene nach seinem angewiesenen Posten zurückkehren mußte. Er rollte sorgfältig seinen Instruktionsbrief zusammen, betrachtete einige Minuten lang die Unterhaltungen, welche bisher seine Aufmerksamkeit so wenig erregt hatten, wendete sich dann um, und begab sich durch den Pinienhain auf den Rückweg.

Wir wollen ihm folgen.

Beim Verlassen des Haines führte ein Fußpfad über einige Felder nach dem Bauernhause, —— dort angekommen, zauderte Carrio einen Augenblick und ging dann langsam weiter, um das Naben seines Herrn, auf dem nach der Landstraße führenden Wege, zu erwarten. An diesem Punkte wollen wir uns von ihm trennen, um durch das Gitterpförtchen in den Garten zu treten.

Die Bäume, Blumenbeete und Rasenplätze, befanden sich alle noch in ihren frühem Verhältnissen. Es war, seit wir den Ort zuletzt gesehen, nichts hinzu gefügt oder hinweggenommen worden, auf Hermanrich’s Grabe zeigte sich jedoch eine Veränderung. Der Rasen auf demselben war erneuert und auf dem Pfade, welchen Goiswintha’s Schritte ausgetreten hatten, eine Kante von kleinen immer grünen Sträuchern darum gepflanzt worden. An dem einen Ende des Hügels war ein weißes Marmorkreuz errichtet, —— die kurze lateinische Inschrift darauf bedeutete: »Betet für die Todten!«

Die Sonne schien ruhig auf das Grab und auf Numerian und Antonina, die neben demselben saßen. Zuweilen, wenn die Lustigkeit des ländlichen Festes lauter wurde, erreichte sie dieselbe in schwachen, leisen Klängen, zuweilen hörten sie die Stimmen der Arbeiter auf den benachbarten Feldern, die bei ihrer Arbeit mit einander sprachen. Außer diesen waren aber keine Töne laut genug, um unterschieden werden zu können. Noch immer lagen auf den Gesichtern des Vaters und der Tochter, der Ausdruck von Trauer und Schwäche, welchen Kummer und Leiden hinterlassen, aber auch Resignation und Frieden erschienen auf denselben, —— Resignatiom die durch die harte Belehrung des Schmerzes vervollkommnet wurde, und Frieden, der dadurch um so reiner ward, daß ihn das Eine dem Andern mitheilte, gleich der starken, unsterblichen Liebe, aus welcher er erwuchs.

In dem Blicke und der Haltung des Mädchens, als sie jetzt dasaß und an den jungen Krieger dachte, der für ihre Vertheidigung und Liebe gestorben war, und die Sträucher dichter um das Grab zog, lag jetzt ein Ausdruck, welcher, so verändert sie auch war, doch in einer andern Form an die alte Poesie und Ruhe erinnerte, die ihre Existenz erfüllt hatte, als wir sie zum er en Male beim Singen, zur Musik ihrer Laute, im Garten auf dem Monte Pincio erblickten. Als sie auf die Umgebungen des Bauernhauses blickte, waren ihre Gedanken nicht die des Entsetzens und der Verzweiflung. Ihr Schmerz war keiner von denen, die egoistisch vor Allem zurückbeben, was die Erinnerung an die Todten belebt —— für sie war ihr Einfluß auf das Gedächtniß ein angenehmer und beschützender, der dem frömmsten Leben einen besseren Zweck und den reinsten Gedanken eine edlere Natur gab.

So saßen sie am Grabe —— trübe, aber zufrieden, bereits wegemüde auf der Wallfahrt des Lebens, aber doch darein ergeben, weiter zu reisen, wenn sie konnten, als ein ungewöhnlicher Lärm, das Geräusch von rollenden Rädern und ein verwirrtes Stimmengemisch auf dem Wege hinter ihnen hörbar wurde. Sie blickten sich um und sahen, daß Vetranio sich ihnen allein durch die Gartenthür näherte.

Er kam langsam auf sie zu, das schleichende Gift, welches ihm das Gastmahl des Hungers eingeflößt hatte, gab deutlich seine Gegenwart in ihm kund, als der helle Sonnenschein auf sein abgezehrtes Gesicht fiel. Er lächelte freundlich, als er Antoninen anredete, aber die starken Empfindungen, welche dieses Lächeln verhüllen sollte, verriethen sich in seiner bebenden Stimme.

»Dies ist auf Jahre unsere letzte Begegnung —— vielleicht ist es auf lebenslang,« sagte er. »Ich zögere beim Beginn meiner Reise, aber Dich als Schutzengel der Stelle zu erblicken, die Dir auf Erden am kostbarsten ist —— als Herrin des Wenigen, was ich Dir hier gebe« —— er hielt einen Augenblick inne und deutete auf das Grab, worauf er fortfuhr, — »Du kannst nie wissen, ich kann nie sagen, welche Sühne ich Dir schuldig bin. Bedenke nur, daß ich in der Erinnerung an Dich, eine Begleiterin in die Einsamkeit mitnehme, wohin ich mich begebe. Sei fernerhin um meinetwillen ruhig, gut und glücklich und vergiß, während Du den Senator früherer Tage vergiebst, des Freundes nicht, der jetzt von Dir scheidet, Lebewohl!«

Er hielt ihr seine Hand hin, eine Röthe überzog die Wange des Mädchens, als sie einige unartikulierte Worte der Dankbarkeit murmelte, sich über dieselbe beugte und sie an ihre Lippen drückte. Vetranio’s Herz klopfte schnell, die Gebärde belebte von Neuem ein Gefühl, welches er nicht zu hegen wagte, —— aber er blickte auf das bleiche, niedergeschlagene Gesicht vor sich am Grabe, das sich trübe neben ihm erhob, und unterdrückte es von Neuem.

Noch einen Augenblick säumte, er, um ein Lebewohl mit dem Greise auszutauschen, dann wendete er sich schnell ab, schritt durch die Thür und war ihren Augen entschwunden.

Antoninens Thränen fielen schnell auf das Gras, als sie wieder ihren Platz einnahm. Als sie von Neuem den Kopf erhob und sah, daß ihr Vater sie anblickte, schmiegte sie sich dicht an ihn und legte einen von ihren Armen um seinen Hals, während der andere allmälig an ihrer Seite niedersank, bis ihre Hand die obersten Blätter der um das Grab wachsenden Sträucher berührte.

Sollen wir noch länger in dem Garten verweilen? Nein! Für uns, wie für Vetranio ist es jetzt Zeit, zu scheiden! So lange noch der Friede um die Mauern von Rom wacht, so lange die Herzen des Vaters und der Tochter nach den Prüfungen, die sie erschüttert haben, noch zusammen in Sicherheit ruhen, wollen wir den Schauplatz verlassen. Hier, wenigstens ruht die Geschichte, welcher wir über ein dunkles, stürmisches Gebiet gefolgt sind, auf einem ruhigen Felde und hier sei es uns vergönnt, uns von ihr zu trennen.

So wandert der Reisende, welcher den Lauf eines Flusses verfolgt, den Tag über unter den Felsen und Abgründen, zwischen welchen er von seiner stürmischen Quelle herfließt und hält, wenn der Abend kommt, an und ruht da aus, wo das Ufer grasig und die Strömung ruhig ist.



Kapiteltrenner


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