Wilkie Collins - Ein biographisch-kritischer Versuch

von Ernst Freiherr von Wolzogen (1855-1934)

Kapitel 6



Der nächste große Roman Wilkie Collins‘ „No Name“ (Namenlos) war vollkommen dazu geeignet, den durch „Die Frau in Weiß“ gewonnenen Weltruf des Autors zu befestigen. Er bildet mit der Frau in Weiß und dem Mondstein zusammen ein Trias, welche seine Kunsst der Intrigen-Führung ins allerhellste Licht stellt, ohne dabei in der Charakterschilderung irgendwie nachlässig zu erscheinen. Auch in „Namenlos“ ist es wieder die Lieblingsfigur unseres Autors, die energische, alle Hindernisse überwindende Frau, welche das Hauptinteresse auf sich konzentriert. Diesmal heißt sie Magdalene Vanstone, eine der beiden Töchter des ungemein liebenswürdig gezeichneten Andreas Vanstone, welcher eine unglückliche Ehe eingegangen ist, die durch die Untreue seines Weibes faktisch, aber nicht gesetzlich gelöst wird. Ein edeldenkendes Mädchen entschließt sich, ohne den Segen Kirche ihm fürs Leben anzugehören, und lebt an zwanzig Jahre mit ihm in glücklicher Ehe, bevor der Tod der anderen Frau die Vereinigung gesetzlich macht. Andreas stirbt eines plötzlichen Todes und seine Töchter werden dadurch mittel- und namenlos, weil das englische Gesetz außerehelichen Kindern keinerlei Recht gibt, und weil auch die Mutter dem Vater nach kurzer Frist in den Tod folgt. Das ganze Vermögen fällt dem Bruder des Andreas, mit welchem er bis dahin gänzlich verfeindet war, zu, und dieser schmutzige Geizhals gibt den Töchtern nicht einen Pfennig davon heraus. Nora, die ältere derselben, fügt sich ergebunsvoll in ihr hartes Los und verdient sich ihr Brot als Gouvernante, die jüngere, leidenschaftliche Magdalene aber empfindet die Ungerechtigkeit des Gesetzes und die schmachvolle Gesinnung des Oheims so tief, daß sie es sich zur Aufgabe stellt, den scheinbar aussichtslosen Verhältnissen zum Trotz für sich und ihre Schwester sowohl Namen als Vermögen wieder zu erringen. Sie verbündet sich zu diesem Zweck mit einem entfernten Verwandten ihrer Mutter, einem großartigen Abenteurer und Schwindler Wragge, und die unaufhörlichen Kämpfe dieser beiden, um durch List diese Aufgabe zu lösen, füllen die drei starken Bände des höchst spannenden Romans. Nachdem der alte Oheim gestorben ist, wendet sich die Intrige Magdalenens gegen den Sohn desselben, den elenden, feigen, filzigen und gebrechlichen Noel Vanstone, dessen Haushälterin Lecount die Gegenintrige in die Hand nimmt und Hindernis auf Hindernis in den beschwerlichen Weg der Verbündeten wirft. Es ist schlechterdings unmöglich, die ganz überraschenden, sinnreichen Züge und Gegenzüge dieses aufregenden Schachspiels mit kurzen Worten zu beschreiben. Man muß das selbst lesen. Ich kann hier nur auf die außerordentlich wirkungsvolle Gegenüberstellung der Charaktere und die feine psychologische Motivierung aufmerksam machen. Wie Magdalene in der Atmosphäre von Arglist und Betrug sich immer weiter von ihrem besseren Selbst entfernt, wie sich dieses bessere Selbst doch immer wieder aufbäumt gegen die Niedrigkeit der Mittel, durch welche sie ihren Zweck erreichen will, das ist mit oft wahrhaft tragischer Gewalt geschildert.

Sehr schön und versöhnend ist die Idee, die poetische Gerechtigkeit, die Grausamkeit des Gesetzes und Magdalenens Verirrung dadurch sühnen zu lassen, daß Nora ohne irgendwelches Zutun von ihrer Seite, allein durch die Liebe das vollkommen erreicht, was Magdalene mit Aufbietung aller Energie und mit Aufopferung ihres besseren Bewußtseins nicht zu erreichen vermag. Daß schließlich auch die unselige tiefgeprüfte Magdalene noch ein ruhiges, bescheidenes Glück an der Seite eines edeldenkenden Mannes findet, gibt dem Ganzen einen willkommenen, versöhnenden Schluß.

Die Figur des Kapitän Wragge ist ein Pendant zum Grafen Fosco: ein durchtriebener Halunke, den wir aber dennoch bewundern müssen und dessen prahlerischer Humor uns über alle seine Teufeleien lachen macht. Die groteske Figur seiner Frau ist eine der besten Erfindungen Collins‘, die poetisch verklärte Schwachköpfigkeit und Hilflosigkeit. Noel Vanstone ist in gewissem Sinne ein Geistesverwandter von Frederick Fairlie, nur daß er durch die aalglatte Intrigantin Lecount überintrigiert und dadurch einigermaßen in Schranken gehalten wird. Er ist gleichfalls ein ohrfeigenwürdiger Mensch, flößt aber doch in seiner jämmerlichen Hilflosigkeit noch einiges Mitleid ein, wodurch er als poetische Figur immerhin einige Vorteile über seinen Verwandten in der „Frau in Weiß“ erringt. Ganz ausgezeichnete Figuren sind auch der alte Sonderling Clare und sein Sohn Francis und ich versage es mir ungern, hier dem Brief des Vaters Clare über das Schicksal seines „Lümmels“ anzuführen, welcher Vater und Sohn so gleichermaßen charakterisiert.

Daß ein so charaktervolles Mädchen wie Magdalene sich in einen solchen Schwächling wie Francis verlieben kann, ist ein echt weiblicher Zug, welcher, so sehr er uns jedesmal befremdet, uns doch hundertmal im Leben bestätigt wird.

„No Name“ gehört zu den zerlesensten Romanen unserer Leihbibliotheken und ist – trotzdem ein ausgezeichnetes Werk: nur die ungerechteste kritische Aufgeblasenheit vermag das zu leugnen.

Ich muß bei dieser Gelegenheit einmal darauf aufmerksam machen, wie gräulich ein gutes Buch durch Übersetzung verunstaltet werden kann. Ich weiß nicht, ob es noch andere Übersetzungen von No Name gibt: diejenige, welche mir vorliegt, von Dr. G. Fink (Stuttgart 1862) ist so über alle Begriffe schlecht, daß sich nicht nur bei der Vergleichung mit dem Original, sondern auch ganz abgesehen davon, jedem geschmackvollen Leser die Haare sträuben müssen, welcher genötigt ist, aus dieser Ausgabe den Roman kennen zu lernen.

Den großen drei – resp. (in deutscher Übersetzung von Marie Scott) sechsbändigen Roman „Armadale“ halte ich für einen der besten unseres Autors, weil er darin das Interesse nicht ausschließlich auf die Entwickelung der Intrige konzentriert, sondern sich mit größerer Sorgfalt als in den meisten übrigen Werken in das innere Leben seiner Hauptcharaktere vertieft. Es läßt sich ja nicht leugnen, daß, wie bei allen Sensationsromanen, so auch bei den Collinsschen das Vergnügen des Lesers hauptsächlich in der durch den Gang der Ereignisse bewirkten atemlosen Spannung besteht, aber dennoch beweist er nicht selten seine weit höhere künstlerische Fähigkeit des feinen Individualismus und plastischen Gestaltens seiner Figuren. Armadale ist besonders reich an solchen gelungenen Charakterschilderungen und der Verfasser erreicht dadurch, da0 uns die Hauptpersonen dieses Romans weit länger im Gedächtnis haften bleiben, als dies bei jenen bloßen Werkzeugen polizeilichen Scharfsinns und deren verfolgten Objekten der Fall ist. Auch ist in Armadale die gefährliche Klippe aller Kriminalromane, nämlich die, die Gesellschaft als nur aus sehr guten und sehr schlechten Menschen zusammengesetzt darzustellen, glücklich umschifft worden, indem der Autor hier die Handlungen der Bösen mit großer Wahrheit als eine Konsequenz der Vereinigung äußerer Schicksale mit innerer Veranlagung darzustellen weiß, und es ihm gelungen ist, auch die guten durch sorgfältige Schattierung zu plastischen und interessanten Figuren zu machen. Er wendet in diesem Roman die von ihm so gern gebrauchte Brief- und Tagebuchform der Erzählung besonders häufig an und erreicht dadurch den Zweck einer feineren Charakteristik und psychologischen Vertiefung in mehr künstlerischer Art und Weise, als es sonst zu tun pflegt, indem er jeder Person gleich beim ersten Auftritt einen psychologischen Paß ausstellt.

Der Roman holt weit aus. Ein Mr. Armadale in England, Besitzer großer Plantagen in Barbados, enterbt seinen mißratenen Sohn und tritt seine Plantagen an einen entfernten Verwandten ab mit der Bedingung, daß derselbe den Namen Armadale annehme. Der enterbte Armadale kommt unter falschem Namen nach Barbados und gewinnt das Vertrauen seines glücklicheren Vetters, um sich bei günstiger Gelegenheit desto empfindlicher an ihm rächen zu können. Diese Gelegenheit kommt bald. Der neue Armadale will sich mit einer sehr reichen englischen Erbin, welche zur Zeit in Malta sich aufhält, verheiraten. Er hat die Dame nie gesehen, sondern folgt nur dem Rat seiner Mutter und dem Eindruck, den ihr Bild auf ihn gemacht. Als das Schiff nach Malta zum Abgehen bereit ist, wird er krank. Der ältere Armadale entflieht mit diesem Schiffe und stellt sich in Malta als der Bräutigam vor. Miß Blanchard empfindet eine solche Neigung zu ihm, daß sie sich mit ihm verlobt und darein willigt, ihren Vater zu hintergehen, nachdem sie erfahren hat, daß er nicht der von den beiderseitigen Eltern erwählte Bräutigam sei. Ihre zwölfjährige Dienerin und Vertraute, Lydia Gwilt, schreibt in der Handschrift von des anderen Armadales Mutter einen Brief, welcher den alten Mr. Blanchard in seinem Irrtum bestärkt und ihn veranlaßt, seine Einwilligung zur schnellen Heirat zu geben. Nun kommt der andere Armadale an, ist hingerissen von der Schönheit seiner versprochenen Braut und außer sich vor Wut über den frechen Räuber. Ebenso ist Mr. Blanchard aufs Äußerste aufgebracht über den Betrug, den man ihm gespielt hat. Die Jungvermählten fliehen vor seinem Zorn, der alte Blanchard setzt ihnen nach und der junge Armadale befindet sich in einer Verkleidung unter seiner Schiffsmannschaft. Sie treffen auch das Schiff der Flüchtigen, als es gerade im Begriff ist zu sinken. In der Verwirrung des Rettungswerkes ersieht sich Armadale die günstige Gelegenheit, seinen verhaßten Namensvetter dadurch umzubringen, daß er ihn in die Kajüte einschließt. Alle übrigen Personen werden gerettet. Die junge Witwe Armadale, welche durch ihre Heirat mit ihrer ganzen Familie zerfällt, bringt einen Knaben zur Welt. Bald darauf heiratet auch der andere Armadale und bekommt gleichfalls einen Knaben. Die fürchterlichen Gewissensbisse erzeugen in ihm den Wahn, daß der Fluch seiner Mordtat sich auf den Sohn vererben müsse, und dieser Wahn veranlaßt ihn, seinem Sohn in seinen letzten Augenblicken mit abergläubischem Pathos vor jeder Berührung mit seinem Namensvetter und allen mit ihm zusammenhängenden Personen, besonders jener Lydia Gwilt, zu warnen. Dies die Vorgeschichte des Romans. Der englische Armadale ist in ländlicher Zurückgezogenheit nur unter der Leitung eines prächtigen Landgeistlichen zu einem starken, gesunden, reizend offenen und naiven Jüngling herangewachsen, welcher nicht übermäßig viel Geist, aber das beste Herz von der Welt besitzt. Der andere, früh verwaiste Armadale dagegen ist der unerträglichen Behandlung seines Stiefvaters entflohen und hat ein trauriges Zigeunerleben geführt, welches jedoch nur dazu gedient hat, seinen Charakter zu stählen und seinen Geist, wie seine Phantasie auf das ungewöhnlich Romantische hinzulenken. Krank und dem Verhungern nahe kommt er in das Dorf, in welchem sein Namensvetter lebt. Dessen gutes Herz ist sofort von seinem Unglück gerührt und er wird sein aufopfernder Pfleger, nachher sein wärmster Freund. Die Schweigsamkeit des anderen Armadale, welcher den häßlichen Namen Ozias Midwinter angenommen hat, verhindern vorläufig die Entdeckung ihres Verhältnisses. Als Midwinter einundzwanzig Jahre alt wird, erhält er neben der nicht mehr bedeutenden Hinterlassenschaft seines Vaters auch jenen inhaltschweren Brief, welcher ihm zu seinem Schrecken klar macht, daß er durch die wunderliche Fügung des Zufalls der Busenfreund des Mannes geworden ist, zwischen den und sich er nach dem Willen seines Vaters „Berge und Meere setzen sollte.“ Er vertraut seinen schweren Kummer dem väterlichen Freunde Armadales, dem Pastor Broch an, welcher ihm so lange zuredet, bis er den Brief ins Feuer wirft und sich entschließt, die Sünde seines Vaters lieber durch die treueste Hingabe an den Sohn des Ermordeten gutzumachen, als sich von dem phantastischen Schicksalsglauben seines Vaters beeinflussen zu lassen. Kurz darauf stoßen die beiden Freunde bei einer nächtlichen Meerfahrt auf das Wrack eines Schiffes, welches sich als dasselbe herausstellt, auf welchem vor 22 Jahren die Mordtat geschah. Dieses wunderbare Zusammentreffen erweckt in Midwinters für solche Eindrücke ungewöhnlich empfänglicher Seele aufs Neue die abergläubische Furcht vor dem rächenden Schicksal. Dazu kommt, daß Armadale, auf dem Wrack schlafend, einen merkwürdigen Traum in vier Bildern träumt, welchen Midwinter natürlich als eine Warnung vor der unheilschwangern Zukunft auffaßt. Es ist freilich eine starke Zumutung an den kühlen Verstand des Lesers, dieses Wiederfinden des zweimal gestrandeten Schiffes und dieser, den Umständen nach so angemessene Traum! Aber wir verübeln dem Verfasser diese kühne Kombination nicht allzusehr, da er sie auf die feine, ungemein fesselnde Schilderung von Midwinters Seelenzustand gründet. Es ist in der Tat diese Schilderung des verzweifelten Kampfes Midwinters gegen seinen tiefgewurzelten Aberglauben, welcher durch die Erfüllung jener vier Traumbilder immer neue Nahrung erhält, mit das beste, was Wilkie Collins in dieser Hinsicht geleistet hat. Mit wahrem Feuereifer erfaßt der von Selbstqualen furchtbar aufgeregte Midwinter jede einigermaßen plausible, vernünftige Erklärung jener Traumerfüllungen, und mit rührender Liebe klammer er sich danach um so fester an seinen Freund, bis ein neues geheimnisvolles Zusammentreffen ihn wieder in denselben Abgrund der Selbstqual und der abergläubischen Furcht zurückstößt.

Die zweite Haupthandlung des Romans dreht sich um die Person jener Lydia Gwilt, welche durch ihre Fälschung die Heirat der Miß Blanchard möglich gemacht hatte. Durch ihre Mithilfe bei jenem Betrug hat sie sich sowohl Mrs. Armadale, als auch deren ganze Familie verhaßt gemacht und durch dies Zerwürfnis stellenlos geworden, wird sie in ein Abenteurerleben gedrängt, welches für sie um so gefährlicher ist, als ihre Schönheit allen Männern den Kopf verdreht. Sie ermordet einen Gatten und wird von einem anderen schmählich betrogen, so daß sie in der Verzweiflung ins Wasser springt. Ein Mr. Blanchard zieht sie heraus, holt sich aber selbt den Tod dabei in Folge der Erkältung. Durch seinen Tod wird Allan Armadale Besitzer der Blanchard‘schen Herrschaft Thorpe-Ambrose. Miß Gwilt faßt nun den Plan, sich an der Familie Armadale zu rächen, indem sie den jungen Erben von Thorpe-Ambrose zu einer Heirat mit ihr verleiten will. Mit Hilfe einer abgefeimten alten Gaunerin, Mrs. Oldershaw, weiß sie sich in unmittelbarer Nähe des Herrenhauses als Gouvernante in das Haus eines Majors Milroy einzunisten, mit dessen junger Tochter Neely Allan Armadale bereits ein zärtliches kleines Verhältnis angeknüpft hat. Trotz ihrer vierunddreißig Jahre, die man ihr freilich nicht ansieht, weiß sie den armen Jungen bald so vollkommen in ihre Netze zu verstricken, daß er drauf und dran ist, ihr einen Antrag zu machen. Da erweckt die lächerlich eifersüchtige Frau des Majors Verdacht über die Vergangenheit Lydias in Armadale. Sein Advokat bestärkt ihn in dem Verdacht und nötigt ihn, allerlei Schritte zur Aufklärung desselben zu tun, durch welche er aber sowohl bei dem Major als auch bei seiner ganzen Nachbarschaft in Mißkredit kommt. Es ist hier nachzuholen, daß auch Midwinter sterblich in Miß Gwilt verliebt ist und Allan verlassen hatte, um ihm bei seiner Bewerbung um dieselbe nicht hinderlich zu sein. Er hört von Miß Gwilt selbst von dem beleidigenden Spioniersystem, welches gegen sie in Anwendung gebracht worden ist, und seine Entrüstung über diesen Zweifel Armadales an der einst Geliebten erwirkt die erste Entfremdung zwischen ihnen. Er läßt nun seiner eigenen Liebe zu Lydia freien Lauf und sie erwidert diese Liebe, ja, sie liebt ihn wirklich allen Ernstes, obwohl sie selbst nicht daran glauben mag: seine düstere Gemütsstimmung, seine groß angelegte Natur bezaubern sie vollständig und seine hinreißende Liebe macht ihn zu ihrem Herren. Schon ist sie fast entschlossen, seine Frau zu werden und ein neues, besseres Leben zu beginnen, als die Entdeckung der Namensgleichheit ihr einen neuen schändlichen Plan eingibt. Die Ausführung desselben wird durch die Umstände so gefördert, daß alle ihre Anstrengungen, ihrem guten Vorsatze treu zu bleiben, über den Haufen geworfen werden. Sie veranlaßt nämlich Midwinter, sie heimlich unter seinem wahren Namen Allan Armadale zu heiraten, nachdem sie vorher in Thorpe-Ambrose den Verdacht erweckt hat, daß der andere Allan Armadale sie doch noch heiraten werde. Sie will nun jenen andern auf irgend eine Weise umkommen lassen und dann als dessen Witwe Ansprüche auf Thorpe-Ambrose geltend machen. Alle Umstände sind ihr günstig. Vor einem neuen Mord bewahrt sie der Zufall, daß Armadales Yacht in einem Sturm zu Grunde geht. Midwinteres immer zunehmende Entfremdung von ihr läßt sie vollends ohne sittlichen Halt und sie tut wirklich Schritte, um in Thorpe-Ambrose als Herrin anerkannt zu werden. Da erhält sie die Nachricht, daß Allan Armadale nicht umgekommen sei und sie muß nun entweder der gerichtlichen Verfolgung gewärtig sein, oder Armadale doch noch töten. Sie entschließt sich zu dem letzteren. Ein gewissenloser Arzt stellt ihr für ihr schändliches Unternehmen ein Zimmer in seinem Krankenhause zur Verfügung, welches von außen durch einen Apparat mit giftigen Gasen gefüllt werden kann. Durch die Vorspiegelung, daß Miß Neely Milroy über die Nachricht von seinem Tode wahnsinnig geworden sei und sich jetzt in der Anstalt jenes Arztes befinde, weiß man Armadale gleich bei seiner Ankunft in London in das Sanatorium zu locken, wo ihm für die Nacht das bewußte Zimmer angewiesen wird. Aber er kommt nicht allein. Midwinter, welcher erst tags zuvor auf der Suche nach seiner Frau in London angelangt war und den sie vor Zeugen verleugnet hatte, begleitet ihn und besteht darauf, daß ihm das Nebenzimmer angewiesen werde. Die Wahrnehmung des außen angebrachten Gasapparates erfüllt ihn mit Verdacht und in seiner aufopfernden Freundessorge bewegt er Armadale, das Zimmer mit ihm zu tauschen. Lydia macht sich an ihr grausiges Werk. Ehe sie die letzte, Gas erzeugende Mischung vornimmt, blickt sie in das Nebenzimmer, um sich von Midwinters Schlaf zu überzeugen. Sie sieht Armadale statt seiner und dringt sofort in das gifterfüllte Nebenzimmer, wo sie Midwinter bereits ohne Bewußtsein liegen findet. Sie schleppt ihn auf den Korridor hinaus und tut alles, um ihn wieder zu sich zu bringen. Darauf füllt sie zum letzten Mal den Apparat und schließt sich selbst in das Zimmer ein, so durch ihren Tod ein langes Leben des Lasters sühnend. Armadale heiratet seine Neely und Midwinter ist endlich für immer von seinem schrecklichen Aberglauben befreit.

Wie ich schon bemerkte, konzentriert sich für den ernsteren Leser das Hauptinteresse auf die psychologische Entwicklung der Charaktere Midwinters und Lydia Gwilts. In der sorgfältigen Motivierung jeder Handlung dieser beiden und in der genetischen Begründung ihrer beiderseiteigen Schicksale erblicke ich den Hauptvorzug dieses Romans vor den meisten übrigen unseres Autors.

Man denke sich einen vom härtesten Geschick verfolgten Knaben, der heißes Kreolenblut in seinen Adern hat, auf dessen Phantasie seine zigeunerhafte Lebensweise als Gaukler, Seemann und Fischer auf den Hebriden mit ihren wechselnden Eindrücken und die Erinnerung an unausgesetzte Seelen- und Körperqualen einen seltsam verwirrenden und aufregenden Einfluß geübt hat, einen jungen Mann, der, trotzdem er sich durch mühevolle Arbeit unter den schmählichsten Entbehrungen nicht unbedeutende wissenschaftliche Kenntnisse erworben hat, doch noch weiter wie ein Hund behandelt wird, und dem zum ersten Mal in seinem traurigen Leben in der Freundschaft Allan Armadales eine Ahnung von der Segenskraft der Menschenliebe aufgeht: und dann stelle man sich vor, welchen Eindruck die schrecklichen Enthüllungen des väterlichen letzten Briefes auf ihn machen und wie besonders dessen drohende, wilde Schlußsätze die Saat des finstersten Aberglaubens in seine Seele streuen müssen.

Midwinters Kampf gegen seine düsteren Phantasien ist wirklich heroisch, die aufopfernde Liebe, mit welcher er sich an seinen Freund klammert, ist rührend, die Leidenschaft, welche ihn an das falsche Weib fesselt, vor welchem ihn der Brief des Vaters am meisten warnte, ist tragisch und die Ruhe, welche sein gemarterter Geist endlich durch den Sühnetod jenes Weibes findet, eine wirkliche, glückliche Lösung des ganzen, trefflich komponierten und aufs wirksamste gesteigerten Dramas. Eine nähere Motivierung des raschen Erkaltens seiner Leidenschaft für Lydia wäre zu wünschen, obwohl der Leser bei einigem Nachdenken dieselbe wohl selbst finden dürfte; denn trotz Lydias wirklicher Liebe muß er doch bald zur Empfindung der trennenden Schranke gekommen sein, welche ihr auf Lüge und Verbrechen gegründetes und durch lauter Unwahrheit verhülltes früheres Leben zwichen ihnen aufrichtete. Die Erzählung eilt im letzten Bande so zum Schluß, daß uns der Verfasser die Schilderung der einzelnen Umstände, welche diese Empfindung in Midwinter hervorriefen und stärkten, schuldig bleibt.

Ein wirksameres Gegenstück zu dem düsteren Bilde Midwinters als das des prächtigen, gesunden Somersetshirer Jungen Allan Armadale kann man sich nicht gut vorstellen. Er ist klar und heiter wie die Sonne, von herzgewinnender Offenheit und reizender Natürlichkeit. Die nachfolgende Probe ist höchst charakteristisch für Allan, wie für die darin geschilderten Typen englischer Gutsbesitzerfamilien. Es handelt sich um eine Visitentour bei der Nachbarschaft von Thorpe-Ambrose, welche er unternimmt, um sich wegen der Vereitelung der großartigen Pläne zu seinem Empfang zu entschuldigen. Allan selbst beschreibt dieselbe folgendermaßen:


Als ich aufbrach, um diese Besuche zu machen, war ich, wie ich offen gestehe, in Wut über jenes alte Tier von Advokaten, und hatte allerdings ein Lüstchen, mich übermütig zu benehmen. Aber dies Gefühl verlor sich unterwegs; und bei der ersten Familie, der ich meinen Besuch machte, trat ich, wie gesagt, mit den besten Absichten von der Welt ein. O, du lieber, lieber Himmel! In diesem Hause, wie in jenem andern, in das ich später kam, immer und immer wieder dasselbe funkelnagelneue Empfangszimmer, in dem ich warten mußte; dahinter dasselbe zierliche Gewächshaus; dieselben ausgewählten Bücher zu meiner Durchsicht – ein religiöses Buch, ein Buch über den Herzog von Wellington, ein Buch über den Sport und ein Buch über nichts Besonderes, mit prachtvollen Illustrationen geziert. Herunter kam der Papa mit seinem hübschen weißen Haar und die Mam mit ihrer hübschen Spitzenhaube; herunter kam der junge Mister mit seinem rosigen Angesicht und seinem strohfarbenen Backenbarte, und die junge Miß mit ihren runden Wangen und umfangreichen Röcken. Denke nicht, daß ich im geringsten unfreundlich war; ich machte den Anfang stets in derselben Weise mit ihnen – ich bestand darauf, allen die Hand zu geben. Dies machte sie gleich stutzig. Wenn ich dann zu dem zarten Punkte – dem öffentlichen Empfang – kam, so gebe ich Dir mein Ehrenwort darauf, daß ich mir die größte Mühe von der Welt gab, mich zu entschuldigen. Aber es hatte nicht die geringste Wirkung. Sie ließen meine Entschuldigungen zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinausgehen. Einige Leute würde dies entmutigt haben; ich dagegen versuchte es auf andere Weise mit ihnen. Ich wandte mich zunächst zum Herrn des Hauses und stellte ihm die Sache ganz freundschaftlich vor. „Die Wahrheit zu gestehen“, sagte ich, „wünschte ich dem Redenhalten zu entgehen – ich hätte mich da erheben müssen, wissen Sie, und Ihnen ins Gesicht sagen, daß Sie der beste aller Menschen sind, und daß ich um Erlaubnis bitte, auf ihr Wohlsein trinken zu dürfen; worauf dann Sie sich erheben und mir das Gleiche ins Gesicht sagen, und so weiter, Mann für Mann, indem wir rund um die Tafel herum einander loben und langweilen.“ In dieser leichten, unbefangenen, überzeugenden Art und Weise stellte ich ihm die Sache vor. Meinst Du, daß ein einziger von ihnen es in demselben freundschaftlichen Geiste aufnahm? Nicht Einer! Ich bin der festen Überzeugung, daß sie ihre Reden für den Empfang mit den Fahnen und Blumen in Bereitschaft hatten und daß sie heimlich ärgerlich über mich sind, weil ich ihnen den Mund stopfte, als sie gerade anzufangen im Begriff waren. Wie dem immer sei, sowie wir zu dem Gegenstande der Reden kamen – ob sie denselben zuerst berührten oder ich – augenblicklich sank ich die erste jener drei Stufen in ihrer Achtung. Glaube nicht, daß ich mir keine Mühe gab, mich wieder zu erheben! Ich machte verzweifelte Anstrengungen. Da ich die Entdeckung machte, daß sie sich alle zu wissen sehnten, welch eine Art von Leben ich geführt, bis ich das Besitztum Thorpe-Ambrose erbte, so tat ich mein Möglichstes, um sie zufrieden zu stellen. Und was bewirkte dies wohl? Ich will gehangen sein, wenn ich ihnen nicht eine zweite Täuschung bereitete! Wenn sie entdeckten, ich niemals in Eton oder Harrow, Cambridge oder Oxford gewesen sei, waren sie förmlich stumm vor Erstaunen. Ich denke mir, sie hielten mich für eine Art Vagabund; kurz ich sank die zweite Stufe in ihrer Achtung. Macht nichts! Ich ließ mich nicht aus dem Felde schlagen, denn ich hatte Dir versprochen, mein Möglichstes zu tun, und ich tat es. Ich versuchte zunächst ein heitres Geplauder über die Umgegend. Die Frauen sagten nichts Besonderes; die Männer fingen, zu meinem unaussprechlichen Erstaunen, alle an zu kondolieren. Sie sagten, ich werde innerhalb zwanzig Meilen vom Hause kein Koppel Hunde zu finden im Stande sein, und sie hielten es für nicht mehr als recht, mich davon zu unterrichten, in welcher schmachvollen Weise man zu Thorpe-Ambrose die Wildlager vernachlässigt habe. Ich ließ sie zu kondolieren, und was glaubst Du, tat ich dann? Ich brachte mich abermals in die Patsche. „O, lassen Sie sich das nicht kümmern“, sagte ich; „es liegt mir durchaus gar nicht an irgend einer Art von Jagd. Wenn ich auf meinem Spaziergange einem Vogel begegne, ist es mir unmöglich, eine Begierde zu fühlen, ihn zu töten; es macht mir im Gegenteil Vergnügen, den Vogel umherfliegen und sich seines Daseins freuen zu sehen.“ Da hättest Du ihre Gesichter sehen sollen! Hatten sie mich vorher für eine Art Vagabund gehalten, so hielten sie mich jetzt offenbar für toll. Es herrschte eine Totenstille, und ich sank die dritte Stufe in der allgemeinen Achtung. Im nächsten Hause, und im nächsten, und wieder im nächsten ging es ebenso. Ich glaube, wir waren alle von Teufel besessen. Es kam stets auf eine oder die andere Weise zum Vorschein, daß ich keine Reden halten könne, daß ich ohne Universitätsbildung aufgewachsen sei, und daß ich Vergnügen an einem Spazierritt finden könne, ohne einen unglückseligen, übelriechenden Fuchse oder einem armen, wahnsinnigen, kleinen Hasen nachzugaloppieren. Diese drei unglücklichen Fehler in mir sind, wie es scheint, bei einem Gutsbesitzer unverzeihlich, namentlich wenn er den Anfang damit gemacht hat, daß er einem öffentlichen Empfange aus dem Wege gegangen ist. Ich denke, am besten kam ich noch mit den Gemahlinnen und Töchtern fort. Die Frauen und ich verfielen überall früher oder später auf Mrs. Blanchard und ihre Nichte. Wir wurden stets darüber einig, daß sei sehr weise gehandelt haben, indem sie nach Florenz gezogen seien; und der einzige Grund, den wir für diese Ansicht anzugeben hatten, war der, daß die Betrachtung der Meisterstücke italienischer Kunst nach dem traurigen Verluste, den die beiden Damen erlitten, einen wohltätigen Einfluß auf ihr Gemüt haben werde. Ich gebe Dir mein feierliches Wort darauf, daß jede einzelne der Damen in jedem Hause, das ich besuchte, früher oder später auf Mrs. Und Miß Blanchards Verlust und zu den Meisterstücken italienischer Kunst zu reden kam. Was wir ohne die Hilfe dieses glänzenden Gedankens hätten anfangen sollen, weiß ich wirklich nicht. Der einzige angenehme Augenblick bei all diesen Besuchen war der, wo wir alle zusammen die Köpfe schütelten und erklärten, daß die Meisterwerke sie trösten würden. Was den Rest betrifft, so habe ich nur noch eins zu sagen: Was ich an einem anderen Ort sein könnte, weiß ich nicht; hier aber bin ich der unrechte Mann am unrechten Orte. Laß mich in Zukunft mit meinen eignen wenigen Freunden auf meine eigene Weise fertig werden; verlange alles in der Welt von mir, nur verlange nicht, daß ich noch ferner Besuche bei meinen Nachbarn machen soll.


Ein reizendes Idyll voll schalkhaften Humors ist Allans Verhältnis zu Miß Milroy. Sie ist das erste hübsche junge Mädchen, das in seinen Bereich kommt, infolgedessen verliebt er sich natürlich sofort in sie. Die kleine Schelmin, die erst 16 Jahr alt ist, und die noch auf dem Punkte steht, in eine Pension geschickt zu werden, weiß ihn durch die drolligsten Evaskünste zu bestricken, hinzuhalten und zu ärgern. Er, der naive Junge hat für diese Künste gar kein Verständnis, sondern nimmt alles für bare Münze. So geschieht es, daß sie durch ihr launisches Schmollen sein Herz bereit macht, sich dem Eindruck von Lydias reifer, imposanter Schönheit hinzugeben. Verstand es schon die kleine Neelie ihm den Kopf zu verdrehen, so gelingt dies Lydia natürlich noch viel leichter und wier sehen ihn im Handumdrehen bis über die Ohren in sie verliebt, während sie in ihrem Tagebuch ihrer herzlichen Verachtung für seine dumme, puterrote Gesundheit und seine naive Selbstgewißheit mit beißendem Sarkasmus Ausdruck gibt. Die besten Seiten in Allans Charakter treten in seinem Verhältnis zu Midwinter und seinem trotz allen bösen Erfahrungen doch nicht zu erschütternden Glauben an die Menschheit hervor. Es berührt uns tragikomisch, wie er durch seine liebenswürdige, fast kindliche Schwärmerei für die wieder versöhnte Neelie ganz ahnungslos die finsteren Pläne Lydias fördert. Daß er Miß Milroy zum Schluß doch noch bekommt, freut uns herzlich, denn wir dürfen überzeugt sein, daß seine Nachkommenschaft ebenso gutmütig, rot und gesund sein werde.

Lydia Gwilt ist die in fast allen Collins'schen Romanen wiederkehrende Figur der scharfsinnigen, energischen Intrigantin, nur daß dieselbe, wie schon bemerkt, hier zu einer interessanten Studie gemacht wurde. Aus ihren Briefen an die höchst geschickte, kluge und gewissenlose Mrs. Oldershaw, welcher sie bald als ihrer mütterlichen Freundin das Herz ausschüttet, bald mit der rücksichtslosesten Grobheit die Freundschaft kündigt, lernen wir Lydia durch und durch kennen und ihr mit der größten Sorgfalt und Selbsterkenntnis geführtes Tagebuch zeigt uns ihre Seele vollends ohne Hülle. Zunächst bewundern wir den brillanten Geist dieser Frau, welcher sich mit einer bodenlosen Frechheit verbindet, sie ist Meisterin der Allüren der vornehmen Dame, wirklich gebildet und von wirklich künstlerischem musikalischen Talent – und trotz alledem doch eine herzlose, durch und durch egoistische und gewissenlose Kreatur. Obwohl sie selbst sich nicht das Geringste aus Allan macht, ist sie doch von einer Eifersucht auf die unbedeutende Neelie, welche sich in ihrem Tagebuch in höchst komischen aber überaus bissigen Bemerkungen über diese Luft macht. Daß Midwinter ihr eisiges Herz nochmals zu erwärmen weiß, ist sehr gut motiviert. Sein abenteuerliches Schicksal, das mit dem ihren manche Ähnlichkeit hat, interessiert sie zunächst an ihm; den Stolz, den sie empfindet, diesen Mann, welcher die höchsten Begriffe von moralischer Pflicht und Mannesehre durch jede seiner Handlungen betätigt, sich erobert zu haben und die nie gekannte Wonne, die unentweihte, glühende Liebe und das ganze Vertrauen dieses Mannes zu besitzen, bewirken eine heilsame Erschütterung ihres Gemüts, welche sie fähig macht, diese Liebe zu erwidern. Es wird ihr schwer, sich selber die Schwachheit ihres Herzens einzugestehen und sie versucht durch Ironie, sich darüber hinwegzusetzen; aber jedes Zusammentreffen mit Midwinter macht ihr den glücklichen Verrat an ihrem früheren Selbst klarer und schließlich vertraut sie die selige Überzeugung zu lieben sogar ihrem Tagebuch mit entzückten Worten an.

Trotzdem es ihr so schwer wird Midwinter selbst zu belügen, gibt sei doch ihre niederträchtigen Pläne gegen Armadale nicht auf. Ihr Hin- und Herschwanken zwischen der Sehnsucht nach neuem, unschuldigem Leben und dem brennenden Verlangen, ihre Rache und Habsucht zu befriedigen, spiegelt sich in dem wechselnden Ton ihres Tagebuches höchst anschaulich wieder. Sie hofft, daß die Umstände sie verhindern würden, ihr Vorhaben auszuführen, aber eine Reihe von Zufällen liefern ihr das Opfer in die Hände und bieten ihr die günstigste Gelegenheit es zu verderben. Midwinters Erkalten verhärtet ihr Herz wieder und mit der alten ruchlosen Energie macht sie sich nun an die Ausführung ihrer Pläne. Das Mißlingen des Mordversuches auf Allan, welches sie in die größte Gefahr der Entdeckung bringt, steigert diese Energie zum Fieberhaften. Innerlich gebrochen wie sie ist, kann ihr die Erreichung ihres Zweckes keine Befriedigung mehr gewähren, aber sie verfolgt ihn dennoch mit teuflischer Hartnäckigkeit, um nur den Jammer ihrer Seele in diesem aufregenden Treibern zu ersticken. Sie krönt das Gebäude ihrer Sünden durch die Verleugnung ihres immer noch geliebten Gatten und geht der Ausführung eines grausigen Mordes mit einer Ruhe entgegen, welche der Gefühllosigkeit ähnelt, die das Resultat einer aufregenden Narkose ist. Die Schilderung der Ausführung des Mordes ist eine der besten Leistungen Collins auf diesem Gebiete.

Der Mann, dem es gelungen ist, einen so verworfenen Frauencharakter unserem menschlichen Mitgefühl so nahe zu bringen, daß wir durch die Tragik seines Schicksals fast mit demselben versöhnt werden, verdient wahrlich, ein bedeutender Künstler genannt zu werden.

Auch die Nebenpersonen sind mit leichter und glücklicher Hand entworfen und höchst plastisch ausgeführt. Ich nenne hier besonders die Jammerfigur des alten Bashwood, den seine wahnsinnige Liebe zu Lydia um Verstand und Gewissen bringt. Ferner die lebenslustigen, klugen Rechtsanwälte Pedgift Vater und Sohn. Den alten Major Milroy, welchen der Jammer über seie durch Krankheit unleidlich gewordene Frau gegen alle lebendigen Interessen so abgestumpft hat, daß er nur noch in der Beschäftigung an seiner kunstreichen Uhr lebt und webt. Eine Episode von grotesker Komik ist die Witwe Pentecost mit ihrem gebrechlichen geistlichen Sohne, der sich b ei der Landpartie überißt und dadurch die ganze Gemütlichkeit zerstört. Als die Picknickgesellschaft ins Bott steigt, sagt die ihren Sohn vergötternde Mutter, zur Gesellschaft im Allgmeinen sich wendend: „Ssollte sich irgendein Unglück ereignen, so gibt es wenigstens einen Trost für uns alle – mein Sohn kann schwimmen.“ Das ist gut!

Um meine Betrachtungen über Armadale recht appetitlich zu beschließen und zugleich ein Beispiel von dem liebenswürdigen Epikuraismus des Verfassers zu geben, setze ich noch seine Gedanken über die moralischen Folgen des Essens hier her:

Wie unermeßlich wichtig in seinen moralischen Folgen, und darum wie lobenswert an sich, ist das Essen und Trinken! Die gesellschaftlichen Tugenden finden ihren Mittelpunkt im Magen. Ein Mann, der nach seinem Mittagessen nicht ein besserer Gatte, Vater oder Bruder ist, muß, unter uns gesagt, ein unheilbar lasterhafter Mensch sein. Welche verborgenen Charakterzüge entfalten sich; welche schlummernden Liebenswürdigkeiten erwachen nicht über Tische! Beim Öffnen der Proviantkörbe von Thorpe-Ambrose ergoß sich eine süße Geselligkeit (ein Sprößling jener glücklichen Verbindung von Zivilisation und Mrs. Gripper) über unsere Lustpartie und schmolz die widerstrebenden Elemente, aus denen diese bisher zusammengesetzt gewesen, zu einer lieblichen Mischung zusammen. Nun konnten Seine Ehrwürden, Mr. Samuel Pentecost, dessen Licht bis jetzt unter einem Scheffel gestanden, beweisen, daß er etwas tun könne, indem er bewies, daß er zu essen vermochte. Nun glänzte Mr. Pedgift heller als je durch Perlen von kaustischem Humor und durch seine Unerschöpflichkeit an gesellschaftlichen Hilfsquellen. Nun bewiesen der Squire und der reizende weibliche Gast des Squires die dreifache Verbindung von sprudelndem Champagner, kühner werdender Liebe und den Augen, in deren Wörterbuch das Nein fehlt. Nun tauchten in der Erinnerung des Majors frohe, alte Zeiten auf, und lustige alte Geschichten, die seit Jahren nicht erzählt worden, fanden den Weg auf seine Lippen. Und nun zeigte sich Mrs. Pentecost in der vollen Stärke ihrer schätzenswerten Mütterlichkeit, indem sie eine überschüssige Gabel ergriff und dieses nützliche Instrument unablässig zwischen den ausgesuchtesten Bissen der ganzen Versammlung von Schüsseln und den wenigen leeren Stellen auf den Tellern des ehrwürdigen Pfarrers spielen ließ. „Lachen Sie nicht über meinen Sohn“, schrie die alte Dame, die Heiterkeit bemerkend, die ihr Verfahren unter der Gesellschaft hervorrief. „Es ist meine Schuld, der arme, liebe Junge – ich bringe ihn zum Essen!“ Und dennoch gibt es Leute auf dieser Welt, die, wenn sie Tugenden sich an der Speisetafel entfalten sehen, wie solche sich nirgend anderswo entfalten, das herrliche Privilegium des Essens mit jenem kleinen Leiden des menschlichen Lebens in eine Kategorie stellen können, die uns die Notwendigkeit auferlegt – wie zum Beispiel das Zuknöpfen der Weste, oder das Zuschnüren des Korsetts! Einem solchen Ungeheuer vertraue man nimmer seine zarten Geheimnisse an, weder Gefühle der Liebe noch des Hasses, weder der Hoffnung noch der Furcht. Sein Herz wird von seinem Magen nicht gebessert, und die gesellschaftlichen Tugenden leben nicht in ihm.


Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte