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Namenlos



Zwölftes Buch.

Zwischenscene in Briefen.

I.

Miss Garth an Mr. Pendril.

Westmorlandpalast
den 3. Januar 1848.

Lieber Mr. Pendril!

Ich schreibe, wie Sie so freundlich waren zu wünschen, um Ihnen zu berichten, wie es mit Nora’s Befinden steht, und Ihnen zu sagen, welche Aussichten zum Besser werden ich in dem Stande ihrer Ansicht über ihre Schwester wahrnehme.

Ich kann nicht sagen, daß sie sich still ergibt in das Schweigen, das Magdalene beharrlich unterhält: ich kenne ihren treuen Charakter zu gut, als daß ich das sagen könnte. Ich kann Ihnen nur sagen, daß sie in neuen Hoffnungen von dem schweren Druck des Kummers und der Angst Trost findet. Ich bezweifle, daß sie sich das bereits selbst klar gemacht hat; aber ich sehe die Folgen, obschon sie sich derselben vielleicht selber nicht bewußt ist. Ich sehe, wie ihr Herz sich einem andern Interesse und einer neuen Liebe öffnet. Sie hat mir noch kein Wort davon gesagt ——, noch habe ich ein Wort darüber fallen lassen. Aber so gewiß ich weiß, daß Mr. George Bartrams Besuche bei der Familie am Portlandsplatze immer häufiger geworden sind, so gewiß kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß Nora unter ihrer Angst einen Trost gefunden hat, welcher nicht von mir herrührt, und eine Hoffnung auf die Zukunft, welche ich ihr nicht eingeflößt habe.

Es ist wohl unnöthig, erst noch zu bemerken, daß ich Ihnen Dies im strengsten Vertrauen mittheile. Gott mag wissen, ob die glückliche Aussicht, die mir jetzt ihren Aufgang zu nehmen scheint, im Verlauf der Zeit zunehmen wird, oder nicht. Je öfterer ich Mr. George Bartram sehe —— und er hat mich mehr denn ein Mal besucht ——, desto mehr nimmt mein Wohlwollen für ihn zu. Nach meinem armen Verstande halte ich ihn für eine Ehrenmann in des Wortes höchstem und eigenstem Sinne. Wenn ich es erleben könnte, Nora als seine Gattin zu sehen, so würde ich beinahe fühlen, daß ich lange genug gelebt habe. Aber wer kann in die Zukunft schauen? Wir haben zu viel gelitten, so daß ich mich scheue, Hoffnung zu hegen.

Haben Sie Etwas von der Magdalene gehört? Ich weiß nicht, woher und wie es kommt ——, aber seitdem ich von ihres Mannes Tode gehört, scheint meine alte Zärtlichkeit für sie mir hartnäckiger denn je anzuhängen.

Immerdar

Ihre getreue

Harriet Garth



Kapiteltrenner

II.

Mr. Pendril an Miss Garth.

Searle-Street,
den 4. Januar 1848.

Liebe Miss Garth!

Von Mrs. Noël Vanstone selbst habe ich Nichts gehört. Aber ich habe erfahren, seitdem ich Sie sprach, daß der Bericht von der Lage, in welche sie durch den Tod ihres Mannes gekommen ist, als zuverlässig betrachtet werden kann. Kein Vermächtniß irgend einer Art ist ihr hinterlassen worden. Ihr Name ist nicht ein einziges Mal in ihres Mannes Testament erwähnt.

Bei dem Stande unserer Kenntniß von der Sache können wir uns nicht verhehlen, daß dieser Umstand uns neue Schwierigkeiten zu bereiten droht, vielleicht sogar neuen Kummer. Mrs. Noël Vanstone ist nicht die Frau, welche sich dem gänzlichen Umsturz all ihrer Pläne und all ihrer Hoffnungen fügen wird, ohne einen verzweifelten Widerstand zu leisten. Gerade die Thatsache, daß seit dem Tode ihres Gatten durchaus Nichts wieder von ihr gehört worden ist, bereitet mich im Geiste anf ein neues bevorstehendes Unheil vor. In ihrer Lage und mit ihrem Charakter muß ich, je ruhiger sie ist, desto bestimmter ein für alle Mal für die Zukunft mißtrauen Es ist ganz unmöglich zu sagen, zu welchen gewaltsamen Schritten ihre gegenwärtige Noth sie treiben mag. Es ist unmöglich, uns vor einem öffentlichen Aergerniß sicher zu fühlen, das sie dies Mal geben kann und das ihre unschuldige Schwester ebenso sehr berühren dürfte, als sie selber. Ich weiß, Sie werden den Beweggrund nicht mißdeuten, der mich veranlaßt hat, diese Zeilen zu schreiben. Ich weiß, Sie werden nicht denken, daß ich unbedacht genug bin, Ihnen unnöthige Unruhe zu verursachen. Mein aufrichtiger Wunsch, jene glückliche Aussicht verwirklicht zu sehen, auf die Sie in Ihrem Briefe hindeuten, hat mich veranlaßt, weit weniger zurückhaltend als ich sonst wohl gewagt haben würde, an Sie zu schreiben. Ich ersuche Sie aufs Dringendste Ihren Einfluß bei jeder Gelegenheit, wo Sie denselben füglich ausüben können, dahin geltend zu machen, daß die aufblühende Neigung unterstützt und außer Bereich etwaiger kommender Ereignisse gestellt werde, sobald Sie eben in der Lage sind, Dies zu thun. Wenn ich Ihnen sage, daß das Vermögen, welches man Mrs Noël Vanstone geraubt hat, ganz und gar dem Admiral Bartram vermocht worden ist, und wenn ich hinzufüge, daß Mr. George Bartram seines Oheims muthmaßlicher Erbe ist, so werden Sie wohl —— denke ich —— zugeben, daß ich Ihnen nicht ohne guten Grund einen Wink gebe.

Ihr ganz getreuer

William Pendril.



Kapiteltrenner

III.

Admiral Bartram an Mrs. Drake.
(Haushälterin auf St. Crux.)

St. Crux,
den 10. Januar 1848.

Werthe Mrs. Drake!

Ich habe Ihren-Brief aus London erhalten, welcher besagt, daß Sie endlich ein neues Stubenmädchen für mich gefunden haben, und daß das Mädchen bereit ist, mit Ihnen nach St. Crux zurückzukehren, sobald Ihre anderen Geschäfte in der Stadt Ihnen zurückzukommen erlauben.

Diese Anordnung muß allsogleich geändert werden aus einem Grunde, den es mich von Herzen schmerzt, niederschreiben zu müssen.

Die Krankheit meiner Nichte, Mrs. Girdlestone, welche anfänglich so leicht zu sein schien, daß sie Niemand von uns beunruhigte, selbst den Arzt mit eingeschlossen, —— ist zu einem traurigen Ende gekommen. Ich erhielt heute früh« die erschütternde Nachricht von ihrem Ableben. Ihr Gemahl soll vor Schmerz dem Wahnsinn nahe sein. Mr. George ist bereits zu seinem Schwager gereist, um die letzten traurigen Pflichten zu erfüllen, und ich muß ihm folgen, ehe das Begräbniß stattfindet. Wir haben vor, Mr. Girdlestone dann mit wegzunehmen und zu versuchen, was der Wechsel des Orts und neue Scenen für Eindruck auf ihn hervorbringen. Unter diesen traurigen Umständen muß ich vier bis sechs Wochen wenigstens von St. Crux wegbleiben —— Das Haus wird zugeschlossen bleiben, und das neue Mädchen wird vor meiner Rückkehr nicht gebraucht werden.

Sie werden daher dem Mädchen nach Empfang dieses Briefes sagen, daß ein Todesfall in der Familie eine augenblickliche Veränderung in unserer Einrichtung bewirkt hat. Wenn sie bereit ist zu warten, so können Sie dieselbe ruhig in Dienst nehmen, um binnen sechs Wochen hier anzuziehen. Ich werde dann zurück sein, wenn Mr. George es nicht ist. Wenn sie sich weigert, so zahlen Sie ihr eine Entschädigung, wie es billig ist, und seien Sie dann fertig mit ihr.

Ihr

Arthur Bartram.



Kapiteltrenner

IV.

Mrs. Drake an Admiral Bartram.

Den 11. Januar.

Hochgeehrter Herr!

Ich hoffe morgen mit meinen Geschäften zu Ende und in St. Crux zurück zu sein, schreibe aber, um Ihnen Besorgnisse zu ersparen, im Fall ich aufgehalten werde.

Dasjenige Frauenzimmer, das ich in Dienst genommen —— Louise heißt es —— ist bereit seine Zeit abzuwarten; seine gegenwärtige Herrin, welche für dessen Fortkommen besorgt ist, will während der Zwischenzeit für dasselbe sorgen. Sie ist einverstanden, daß sie in sechs Wochen von heute an gerechnet, als am fünfundzwanzigsten Februar, ihren neuen Dienst antritt.

Indem ich bei dem traurigen Verlust, der Ihre Familie heimgesucht hat, den Ausdruck meines achtungsvollsten Beileides zu genehmigen bitte, verharre ich,

Hochgeehrter Herr,

Ihre ergebene Dienerin,

Sophie Drake.



Kapiteltrenner


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