Mann und Weib



Fünfundzwanzigstes Kapitel - Verloren

Der Wagen rollte zum Thore hinaus. Die Hunde bellten wüthend Sir Patrick wandte sich um und winkte mit der Hand, als der Wagen um die Ecke fuhr. Blanche blieb allein im Hofe zurück. Das Herz war ihr schwer und wie abwesend liebkoste sie die Hunde, die einen ganz besonderen Anspruch auf ihre Sympathie hatten. Denn auch sie fanden es in diesem Augenblick offenbar sehr hart, allein im Hause zurückbleiben zu müssen. Nach einer Weile raffte sie sich auf, Sir Patrick hatte ihr die Verantwortlichkeit der Ueberwachung am Kreuzwege überlassen. Es mußte noch etwas geschehen, bevor die Anstalten zur Verfolgung der Spur Anne’s vollständig waren. Blanche verließ den Hof, um das Erforderliche in’s Werk zu setzen. Auf ihrem Wege nach dem Hause begegnete sie Arnold, der eben von Lady Lundie abgesandt worden war, um sie aufzusuchen.

Während Blanche’s Abwesenheit war ein Plan für die Unterhaltung am Nachmittag entworfen worden. Ein böser Dämon hatte Lady Lundie den Gedanken eingegeben, den Geschmack für mittelalterliche Ruinen in sich zu pflegen und Alles aufzubieten, diesen Geschmack auch unter ihren Gästen zu verbreiten. Sie hatte demgemäß einen Ausflug nach einem alten Grafenschloß in den Bergen vorgeschlagen, das zum Glück für Sir Patrick weit westlich von Craig-Fernie gelegen war. Einige Gäste sollten die Partie zu Pferde machen, andere mit der Wirthin in einem offenen Wagen fahren. Als sich Lady Lundie rechts und links nach Theilnehmern für ihre Partie umsah, hatte ihr nothwendiger Weise das Verschwinden einiger Mitglieder ihres Kreises auffallen müssen. Mr. Delamayn war verschwunden, Niemand wußte wohin. Sir Patrick und Blanche waren seinem Beispiele gefolgt. Bei dieser Entdeckung hatte Lady Lundie nicht ohne Bitterkeit die Bemerkung gemacht, daß, wenn alle Bewohner des Hauses in dieser formlosen Weise mit einander verkehren wollten, man, um Windygates zu einem für seine Bewohner geeigneten Aufenthalt zu machen, nichts Besseres thun könne, als es baldmöglichst in ein Zellengefängniß zu verwandeln. Unter diesen Umständen gab Arnold Blanche zu verstehen, daß sie gut thun würde, sich sobald wie möglich im Hauptquartier zu entschuldigen und den Sitz im Wagen, den ihre Schwiegermutter ihr zugedacht hatte, anzunehmen.

»Wir müssen uns zu den mittelalterlichen Ruinen bequemen, Blanche, und müssen einander beistehen, so gut es gehen will. Wenn Sie im Wagen fahren wollen, thue ich es auch!«

Blanche schüttelte mit dem Kopfe. »Ich habe allerdings triftige Gründe«, sagte sie, »keinen Anstoß zu erregen; ich werde im Wagen fahren, Sie aber dürfen gar nicht mit!«

Arnold sah begreiflicher Weise etwas überrascht aus. Er bat um eine Erklärung.

Blanche ergriff seinen Arm und schmiegte sich an ihn an. Jetzt, wo Anne für sie verloren, war ihr Arnold theurer als je. Sie dürstete förmlich danach, aus seinem eigenen Munde zu hören, wie sehr er sie liebe. Es machte keinen Unterschied, daß sie in diesem Punkt ihrer Sache schon vollkommen gewiß sein konnte. Es war doch gar zu angenehm, wenn er, nachdem er es schon tausend Mal gesagt hatte, es noch einmal sagte. »Und wenn ich nun keine Erklärung hätte«, sagte sie, »würden Sie nicht schon allein mir zu Gefallen zurückbleiben?«

»Ihnen zu Gefallen würde ich Alles thun!«

»Haben Sie mich wirklich so gern?« Sie waren noch im Hofe und die einzigen Zeugen ihres»Gespräches waren die Hunde.

Arnold antwortete ihr in der wortlosen Sprache, die gleichsam die beredteste Sprache der beiden Geschlechter ist.

»Das sollte ich eigentlich nicht erlauben»«, sagte Blanche bußfertig, »aber Arnold ich bin so voll Sorgen und so unglücklich, und es ist ein solcher Trost für mich, zu wissen, »daß Sie sich nicht auch von mir abwenden.«

Nach dieser Einleitung erzählte sie ihm, was in der Bibliothek vorgefallen war. Selbst Blanches Erwartung von der sympathischen Theilnahme ihres Liebhabers wurde noch übertroffen durch die Wirkung, die ihre Erzählung auf Arnold hervorbrachte. Er war nicht nur überrascht und besorgt, sein Gesicht zeigte deutlich, daß er wahrhaft theilnehmend und betrübt war. Noch niemals hatte er so hoch in Blanche’s Achtung gestanden wie in diesem Augenblick.

»Was ist da zu thun«, fragte er, »welche Mittel, sie zu finden, schlägt Sir Patrick vor?«

Blanche wiederholte Sir Patricks Instruction im Betreff des Kreuzwegs, sowie die dringende Nothwendigkeit, die Nachforschung ganz geheim zu halten.

Arnold, der nun von aller Besorgniß, nach Craig-Fernie geschickt zu werden, befreit war, erklärte sich bereit, Alles zu thun, was man von ihm verlange, und versprach das Geheimnis; streng zu bewahren. Sie gingen zusammen in’s Haus und fanden bei Lady Lundie eine eisige Ausnahme.

Lady Lundie wiederholte zum Besten Blanche’s ihre Bemerkung bezüglich der Verwandlung Windygates in ein Zellengefängniß. Sie nahm Arnold’s Bitte, ihn zu entschuldigen, wenn er an der Parthie nach dem Schlosse keinen Theil nehme, mit der steifesten Höflichkeit auf. »O, bitte, machen Sie Ihren Spaziergang, geniren Sie sich durchaus nicht, vielleicht treffen Sie Ihren Freund, Mr. Delamayn der eine solche Leidenschaft für Spaziergänge zu haben scheint, daß er nicht einmal das Ende des zweiten Frühstücks abwarten kann. Was Sir Patrick anlangt —— —— So? Sir Patrick hat sich den Ponywagen anspannen lassen und ist allein spazieren gefahren? Ich hatte wahrhaftig nicht die Absicht, meinen Schwager zu beleidigen, als ich ihm ein Stück von meinem bescheidenen Kuchen anbot. Ich möchte wahrhaftig Niemand beleidigen. Bitte, Blanche, verfüge auch Du über Deinen Nachmittag, ohne Dich im Mindesten um mich zu bekümmern. Es scheint ja Niemand Lust zu haben, nach den Ruinen zu fahren, obgleich sie zu den interessantesten Ueberresten des Mittelalters in Perthshire gehören. Aber gleichviel. Du lieber Gott, Mr. Brinkworth es ist ja ganz einerlei, ich kann ja meine Gäste nicht zwingen, ein vernünftiges Interesse an schottischen Alterthümern zu nehmen. Nein, nein, liebe Blanche! Es ist nicht das erste Mal und wird nicht das letzte Mal sein, daß ich allein ausfahre. Ich bin sehr gern allein. »Mein Geist ist mir mein Königreich«, wie der Dichter sagt!«

Auf diese Weise machte sich Lady Lundies gekränktes Selbstgefühl Luft, bis ihr berühmter ärztlicher Gast erschien und ihre Aufregung einigermaßen beschwichtigte.

Der Arzt, der innerlich einen wahren Abscheu vor Ruinen hatte, bat um die Erlaubniß, Lady Lundie begleiten zu dürfen. Blanche schloß sich ihm an. Smith und Jones sagten, sie nähmen das lebhafteste Interesse an mittelalterlichen Ruinen und erklärten, sie wollten lieber aus dem Dienersitz ihren Platz nehmen, als von diesem unerwarteten Vergnügen ausgeschlossen bleiben. Nummer Eins, Zwei, Drei wurden angesteckt und erklärten sich bereit, die Escorte zu Pferde zu bilden.

Lady Lundie’s berühmtes Lächeln, dessen stundenlange Dauer »garantirt« war, erschien wieder auf ihrem Antlitz und sie gab ihre Ordres mit vollendeter Liebenswürdigkeit »Wir wollen aber den Fremdenführer mitnehmen«, bemerkte sie und hatte dabei eine erbärmliche kleine Sparsamkeit im Auge, wie man sie nur bei sehr reichen Leuten findet ——, »und sparen damit den Schilling für den Mann, der uns die Ruinen zeigt«. Mit diesen Worten ging sie hinauf, um ihre Toilette für die Ausfahrt zu machen. In ihrem Spiegel sah sie eine vollkommen tugendhafte, bezaubernde und vollendete Frau, die ihr in einem neuen französischen Hute ganz unwiderstehlich entgegenlächelte.

Auf ein ihm von Blanche gegebenes Zeichen schlüpfte Arnold hinaus und begab sich auf seinen Posten: die Stelle, wo sich verschiedene Wege von der nach der Eisenbahnstation führenden Straße abzweigten. An der einen Seite befand sich hier die offene Haide, an der andern die steinerne Mauer und das Eingangsthor eines Pachthofes. Arnold setzte sich auf das weiche Haidekraut nieder zündete sich eine Cigarre an und versuchte es, in das Dunkel des zwiefachen Geheimnisses von Anne’s Erscheinen und Anne’s Flucht Licht zu bringen. Er hatte sich die Abwesenheit seines Freundes so erklärt, wie sein Freund es vorrausgesehen und sich nur denken, daß Geoffrey fortgegangen sei, um eine mit Anne getroffene Verabredung einzuhalten. Miß Silvester’s Erscheinen in Windygates und ihr dringendes Verlangen, die Namen der Herren, die zum Besuch im Hause waren, zu erfahren, schien unter diesen Umständen auf einen einfachen Schluß zu führen, den nämlich, daß die Beiden sich unglücklicherweise verfehlt haben mußten. Aber wie ließ sich Anne’s Flucht erklären? Ob ihr nun ein anderer Ort bekannt war, wo sie Geoffrey vielleicht finden konnte, oder ob sie nach dem Gasthofe zurückgekehrt war, oder ob sie in Folge eines plötzlichen verzweifelten Entschlusses gehandelt hatte, das waren Fragen, die Arnold zu lösen ganz außer Stande war. Es blieb ihm nichts übrig, als zu warten, bis sich eine Gelegenheit bieten würde, das Vorgefallene Geoffrey selbst mitzutheilen. Nach Verlauf einer halben Stunde lenkte das Geräusch eines herannahenden Wagens, das erste geräusch dieser Art, das er vernahm, Arnold’s Aufmerksamkeit auf sich. Er sprang auf und sah den Ponywagen auf dem Wege von der Station her herankommen. Dieses Mal war Sir Patrick genöthigt, selbst zu fahren. Duncan war nicht bei ihm. Als er Arnold gewahr wurde, hielt er an.

»So, so«, sagte der alte Herr, »Sie wissen also vollkommen Bescheid, wie ich sehe. Sie wissen doch, daß die Sache bis auf Weiteres geheim bleiben muß! —— Gut! —— Ist irgend etwas vorgefallen, seit Sie hier sind?«

»Nein, haben Sie eine Entdeckung gemacht, Sir Patrick?«

»Keine! Ich bin vor dem Zuge an der Station angekommen; ich habe Duncan mit dem Auftrage aufzupassen und nicht von der Stelle z gehen, bis der letzte Zug diesen Abend die Station passirt haben würde, zurückgelassen.«

»Ich glaube nicht, daß sie sich auf der Station blicken lassen wird, ich denke mir, sie ist Craig-Fernie zurückgegangen.«

»Sehr möglich! ich bin jetzt auf dem Wege nach Craig-Fernie, um Erkundigungen über sie einzuziehen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort aufgehalten werde oder zu was meine Nachforschungen führen mögen. Sollten Sie Blanche eher wiedersehen, als ich, sagen Sie ihr, daß ich den Bahnhofs-Inspector instruirt habe, falls Miß Silvester sich der Eisenbahn bedienen sollte, mich es wissen zu lassen, wohin sie ihr Billet genommen hat. in Folge dieser Anordnung werden wir nicht darauf zu warten haben, daß Duncan uns, nachdem er sie bis an’s Ziel ihrer Reise verfolgt hat, telegraphirt; inzwischen wissen Sie, was Sie hier zu thun haben?«

»Blanche hat mir alles erklärt.«

»Bleiben Sie auf Ihrem Posten und machen Sie guten Gebrauch von Ihren Augen, daran müssen Sie als Seemann gewöhnt sein. Es ist auch nicht schlimm, ein paar Stunden in dieser köstlichen Sommerluft zuzubringen. Ich sehe, Sie haben sich auch die abscheuliche moderne Gewohnheit des Rauchens angeeignet und das wird sie ohne Zweifel hinreichend unterhalten. Beobachten Sie die Wagen scharf und wenn Miß Silvester auf einem derselben vorüber kommt, machen Sie keinen Versuch sie zurückzuhalten, das dürfen Sie nicht, reden Sie sie an, aber wohlgemerkt in einer ganz harmlosen Weise, um dadurch Zeit zu gewinnen, sich das Gesicht des Mannes, der sie fährt und den etwa auf seinem Wgen stehenden Namen zu merken. Wenn Ihnen das gelingt, haben Sie genug gethan. Pfui! wie Ihre Cigarre die Luft verpestet, wie wird es in Ihrem Magen aussehen, wenn Sie erst einmal so alt sind wie ich.«

»Ich werde allerdings sehr froh sein, wenn ich dann noch einem Diner so viele Ehre erweisen kann wie Sie, Sir Patrick!«

»Dabei fällt mir ein, ich habe eine Bekannte auf der Station getroffen, Hester Dethridge, die ihre Stelle bei uns aufgegeben hat und mit dem Zuge nach London gefahren ist. Jetzt können wir uns darauf gefaßt machen in Windygates nur noch unsern Hunger zu stillen, mit den »Diners« wird es vorbei sein. Jetzt ist es ein für allemal zwischen Herrin und der Köchin vorbei. Ich habe Hester meine Adresse in london aufgegeben und sie gebeten, mich, bevor sie eine andere Stelle annimmt, davon in Kenntniß zu setzen. Ein Frauenzimmer, das nicht redet und das kochen kann, ist ein vollendetes Wesen. Solch’ einen Schatz soll der Familie nicht verloren gehen, wenn ich es verhindern kann. Haben Sie on der Bechamel Sauce beim Frühstück Notitz genommen? Freilich, ein junger Mensch, der Cigarren raucht, weiß keinen Unterschied zwischen einer Bechanel Sauce und geschmolzener Butter zu machen. Guten Abend! Guten Abend!«

Er gab dem Pferde die Peitsche und setzte seine Fahrt nach Craig-Fernie fort.

Langsam verfloß eine ferne Stunde, ohne daß Arnold auf dem Kreuzwege etwas anderes bemerkt hätte als ein paar Fußgänger, einen schweren Lastwagen und in von einem alten Weibe geführtes Wägelchen. Der Unthätigkeit überdrüssig stand er wieder auf und beschloß zur Veränderung einmal im Bereich seines Postens auf- und abzugehen.

Nachdem er dies einige Male wiederholt hatte, gewahrte er bei einem Blick auf die offene Haide einen noch ziemlich weit entfernten, aber ersichtlich auf ihn zukommenden Fußgänger. Einige Augenblicke später glaubte er die Gestalt zu erkennen, noch einen Augenblick, und er war seiner Sache gewiß. Es war unmöglich, sich über die stattliche Erscheinung und die Leichtigkeit der Bewegung dieses Mannes zu täuschen. Es war der Held des bevorstehenden Wettlaufes, es war Geoffrey auf dem Rückwege nach Windygates. Arnold eilte ihm entgegen. Geoffrey blieb stehen, stützte sich auf seinen Stock und ließ Arnold an sich herankommen.

»Hast Du gehört, was im Hause passirt ist?« fragte Arnold. Er wollte noch eine zweite Frage hinzufügen, hielt aber noch zur rechten zeit inne.

Geoffrey’s Gesicht hatte einen entschieden herausfordernden Ausdruck, den Arnold sich durchaus nicht zu erklären wußte. Er sah aus wie Jemand, der jeden Augenblick auf einen Angriff gefaßt und entschlossen ist, denselben mit aller Entschiedenheit von sich abzuwehren.

»Dir scheint etwas Unangenehmes begegnet zu sein.«

»Was ist im Hause los?« fragte Geoffrey in seinem barschesten Tone und mit seinem häßlichsten Blick.

»Miß Silvester ist im Hause gewesen?«

»Wer. hat sie gesehen?«

»Niemand als Blanche.«

»Nun?«

»Sie war entsetzlich schwach und elend, so elend, daß das arme Mädchen in der Bibliothek in Ohnmacht gefallen ist. Blanche brachte sie wieder zu sich..«

»Und was weiter?«

»Wir waren gerade Alle beim Frühstück. Blanche verließ die Bibliothek, um insgeheim mit ihrem Onkel zu reden. Als sie wiederkam, war Miß Silvester fort und keine Spur mehr von ihr zu sehen.«

»War darüber Scandal im Hause?«

»Es weiß Niemand etwas davon außer Blanche —— ——«

»Und Du und viele noch außer Euch?«

»Und Sir Patrick, sonst Niemand.«

»Weiter Niemand? Sonst noch etwas?«

Arnold erinnerte sich seines Versprechens, die augenblicklich in’s Werk gesetzte Nachforschung vor Jedermann geheim zu halten. Geoffrey’s Art und Weise machten ihn geneigter, als er es sonst wohl gewesen wäre, ihn in das allgemeine Verbot mit einzuschließen. »Weder nichts«, antwortete er.

Geoffrey bohrte die Spitze seines Stockes in den weichen Sandboden, heftete seinen Blick auf den Stock, riß denselben dann plötzlich aus dem Boden und sah Arnold scharf in’s Gesicht. »Guten Abend!« sagte er und setzte seinen Weg allein fort.

Arnold aber folgte ihm und hielt ihn zurück. Einen Augenblick sahen sich die beiden Männer, ohne ein Wort zu reden, in die Augen. Arnold begann zuerst wieder:

»Du bist verstimmt, Geoffrey, was hat Dich so aufgeregt? Hast Du Miß Silvester verfehlt?«

Geoffrey schwieg.

»Hast »Du sie gesehen, seit sie Windygates verlassen hat?«

Keine Antwort.

»Weißt Du, wo Miß Silvester jetzt ist?«

Noch immer keine Antwort. Noch immer die stumme herausfordernde Insolenz in Blick und Wesen.

Arnold’s dunkle Gesichtsfarbe fing an, noch dunkler zu werden. »Warum antwortest Du mir nicht?«

»Weil ich genug davon habe!«

»Genug, wovon?«

»Genug davon, mit Miß Silvester gelangweilt zu werden. Miß Silvester ist meine Sache und nicht die Deinige«, sagte Geoffrey.

»Gemach Geoffrey, vergiß nicht, daß ich ohne mein Zuthun in die Sache verwickelt worden bin!«

»Sei nicht bange, daß ich das vergessen habe, Du hast es mir oft genug unter die Nase gerieben!«

»Unter die Nase gerieben?«

»Ja! Wann wirst Du einmal aufhören mir von meinen Verpflichtungen gegen Dich zu reden? Hole der Henker die Verpflichtungen, ich mag nichts mehr davon hören!«

In Arnold schlummerte etwas, was nicht leicht durch die Einfachheit und Gutmüthigkeit seines Wesens hindurch an die Oberfläche trat, war er aber einmal gereizt, nicht leicht wieder zu beschwichtigen war. Dieses Etwas hatte Geoffrey jetzt rege gemacht. »Wenn Du einmal wieder bei Sinnen bist«, sagte er, »so will ich Dich an alte Zeiten erinnert: und Deine Entschuldigungen entgegennehmen. Bis Du aber wieder bei Sinnen bist, gehe Deiner Wege, weiter habe ich Dir nichts zu sagen.«

Geoffrey knirschte mit den Zähnen und trat einen Schritt näher.

Arnold sah ihn mit einem Blick an, in dem die Aufforderung an Geoffrey deutlich und fest ausgesprochen lag, den Streit, wenn er es wagen wolle, obgleich er der Stärkere sei, noch einen Schritt weiter zu führen; die einzige menschliche Tugend, welche Geoffrey respektirte und verstand, war die Tugend des Muthes und diese Tugend stand ihm jetzt gegenüber. Der harte Schurke fand sich an dem einzigen empfindlichen Punkt seines ganzen Wesens getroffen, drehte sich um und ging seines Weges schweigend weiter. Als Arnold sich wieder allein sah, ließ er seinen Kopf auf die Brust sinken. Der Freund, der ihm sein Leben gerettet hatte, der einzige Freund, den er besaß, er, der mit seinen theuersten fröhlichsten und glücklichsten Erinnerungen verknüpft war, hatte ihn gröblich insultirt und hatte ihn mit ruhiger Ueberlegung, ohne den leisesten Ausdruck des Bedauerns zurückgestoßen. Arnold fühlte sich in tiefster Seele gekränkt. Geoffrey’s rasch verschwindende Gestalt wurde bald undeutlich und nebelhaft. Er bedeckte seine Augen mit der Hand, und verbarg mit knabenhafter Scham die heißen Thränen, die seinen Schmerz bezeugten und dem Mann, der sie vergoß, zur Ehre gereichten. Er kämpfte noch mit der Gemüthsbewegung, die ihn überwältigt hatte, als sich auf der Stelle, wo die Wege sich kreuzten, etwas begab. Die vier Wege gingen so genau wie möglich nach den vier Himmelsgegenden auseinander. Arnold befand sich auf dem nach Osten gehenden Wege, da er in dieser Richtung Geoffrey entgegen gegangen war, etwa fünfhundert Schritt von dem Pachthofe entfernt, vor dem er bis dahin Wache gestanden hatte. Der nach Westen führende Weg, der sich hinter dem Pachthofe hinzog, war der Weg nach dem nächsten Flecken. Der nach Süden führende war der nach der Station. Der Weg nach Norden führte nach Windygates zurück. Während Geoffrey noch etwa hundert Schritt von der Biegung entfernt war, die ihn nach Windygates zurückführte und Arnold noch die heißen Thränen in den Auge standen, öffnete sich das Thor des Pachthauses und eine leichte vierräderige Chaise fuhr, von einem Manne gefahren, neben dem ein Frauenzimmer saß, heraus. Dieses Frauenzimmer war Anne Silvester und der Mann war der Eigenthümer des Pachthofes. Statt den Weg einzuschlagen, der nach der Station führte, verfolgte die Chaise den nach dem Marktflecken führenden westlichen Weg. Bei der Verfolgung dieser Richtung mußte der Rücken der fahrenden Personen nothwendigerweise Geoffrey zugekehrt sein, der hinter ihnen von Osten herkam. Er warf einen flüchtigen Blick auf den vor ihm hinfahrenden unansehnlichen kleinen Wagen und bog dann nordwärts in den Weg nach Windygates ab. In dem Augenblick, wo Arnold hinreichend Fassung gefunden hatte, um sich wieder umschauen zu können, war die Chaise gerade in die Biegung eingelenkt, die der Weg hinter dem Pachthofe machte. Seiner übernommenen Verpflichtung vor dem Pachthofe Wache zu halten, getreu, kehrte er um, aber die Chaise war schon zu weit entfernt, sie erschien ihm nur noch wie ein dunkler Fleck und war im nächsten Moment seinem Auge ganz entrückt.

So hatte ein Weib, um uns der Worte Sir Patricks zu bedienen, Schwierigkeiten überwunden, vor denen ein Mann zurückgeschreckt sein würde. So hatte Anne Silvester in ihrer traurigen Lage die Sympathie eines Mannes zu gewinnen gewußt, der ihr an seiner Seite einen Platz in dem Wagen eingeräumt hatte, in welchem er in eigenen Geschäften nach dem Marktflecken fuhr, und so entging sie um eines Haares Breite der sie von drei Seiten bedrohenden Gefahr der Entdeckung, —— von Geoffrey auf seinem Rückwege, von Arnold auf seinem Posten und von dem Kammerdiener auf der Station.


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