Mann und Weib



Achtunddreißigstes Kapitel - Der Hochzeitstag

Das Wetterglas hielt, was es versprochen hatte; die Sonne schien hell an Blanche’s Hochzeitstage. Um neun Uhr Morgens begann die erste Handlung des Tages, die wesentlich geheimer Natur war. Die Braut und der Bräutigam setzten sich über die geheiligten Schranken der Convenienz hinweg und gestatteten sich, noch ehe der Priester den Segen über sie gesprochen hatte, eine geheime Zusammenkunft in dem Treibhause von Ham Farm.

»Hast Du meinen Brief gelesen, Arnold?«

»Ich bin hergekommen, ihn zu beantworten, Blanche. Aber warum hast Du mir das nicht gesagt, wozu schreiben?«

»Weil ich es so lange aufgeschoben hatte, es Dir mitzutheilen und weil ich nicht wußte, wie Du es aufnehmen würdest, und aus noch vielen anderen Gründen. Einerlei, ich habe nun gebeichtet, ich habe nun kein Geheimniß mehr vor Dir. Noch hast Du Zeit, nein zu sagen, Arnold, wenn Du finden solltest, daß ich außer Dir für Niemanden in meinem Herzen Raum haben dürfe. Mein Onkel sagt, ich sei eigensinnig und habe Unrecht, daß ich Anne durchaus nicht aufgeben will. Wenn Du seiner Meinung bist, so sage das entscheidende Wort, lieber Arnold, bevor Du mich zu Deiner Frau machst.«

»Soll ich Dir sagen, was ich gestern Abend zu Sir Patrick gesagt habe?«

»Im Bezug auf diesen Gegenstand?«

»Ja. Die Beichte, wie Du es nennst, die Du in Deinem allerliebsten Billet machst, war gerade Das, worüber Sir Patrick sich gestern Abend, bevor ich fortging, im Eßzimmer mit mir unterhielt. Er sagte mir, Dein Herz hänge daran, Miß Silvester wieder zu finden und er fragte mich, was ich zu, thun gedenke, wenn wir verheirathet sein würden.

»Und Du sagtest?«

Arnold wiederholte die Antwort, die er Sir Patrick gegeben hatte, mit einer der Gelegenheit angemessenen, glühenden Verschönerung der ursprünglichen Ausdrucksweise —— Blanche bezeugte ihr Entzücken durch einen Kuß, den sie Arnold ohne Erröthen, noch drei Stunden bevor die Sanction von Staat und Kirche ein solches Verfahren von ihrer Seite gebilligt hätte, auf die Lippen drückte.

»Jetzt,« sagte Arnold, »ist die Reihe an mir Feder und Dinte zu ergreifen. Ich, so gut wie du habe einen Brief zu schreiben, bevor wir uns verheirathen, nur mit dem Unterschiede, daß ich bei meinem Briefe Deines Verstandes bedarf.«

»An wen willst Du denn schreiben?«

»An meinen Advocaten in Edinburgh. Ich werde keine Zeit dazu finden, wenn ich es nicht jetzt thue. Wir gehen ja noch heute Nachmittag nach der Schweiz, nicht wahr?«

»Ja.«

»Nun gut, ich möchte Dich völlig beruhigt sehen, mein Engel, bevor wir fortgehen; würdest Du nicht gern die beruhigende Gewißheit mit auf die Reise nehmen, daß, während wir unterwegs sind, die richtigen Leute Miß Silvester’s Spur verfolgen? Sir Patrick hat mir den letzten Ort genannt, bis zu dem man ihre Spur verfolgt hat und mein Advocat wird die richtigen Leute weiter forschen lassen. Komm und hilf mir den Brief abfassen, und die Sache wird bald abgemacht sein.

»O, Arnold, wie kann ich Dich je genug lieben, um Dich dafür zu belohnen!«

»Das werden wir sehen, Blanche, in der Schweiz.«

Kühn drangen sie Arm in Arm in Sir Patricks Arbeitszimmer ein, das, wie sie wußten, zu dieser frühen Stunde vollkommen zu ihrer Verfügung stand. Mit Sir Patrick’s Feder und Papier brachten sie eine Instruction zu Stande, derzufolge die Nachforschungen, welchen Sir Patricks höhere Weisheit ein vorläufiges Ende gemacht hatte, wieder aufgenommen werden sollten. Weder Mühe noch Geld solle von dem Advocaten gespart werden, um sofort die richtigen Maßregeln und zwar zunächst in Glasgow zu«ergreifen, um Anne wieder aufzufinden. Der Bericht über das Resultat selbst solle an Arnold unter Sir Patrick’s Adresse in Ham Farm gerichtet werden.

Als sie den Brief geschrieben hatten, war es zehn Uhr geworden. Blanche verließ Arnold, um sich in ihre bräutlichen Gewänder zu kleiden, nachdem sie ihn abermals gegen alle gute Sitte geküßt hatte.

Die nächsten Handlungen des Tages hatten einen öffentlichen Charakter und entsprachen durchaus dem, was bei solchen Gelegenheiten üblich ist. Dorfjungfrauen streuten Blumen auf den Weg bis an die Kirche und überschickten noch am selben Tage die Rechnung dafür. Dorfburschen zogen die Freudenglocken und betranken sich für das Geld, daß sie dafür bekamen, noch an demselben Abend. Es fehlte nicht an der üblichen und schrecklichen Pause während der Zeit, wo der Bräutigam in der Kirche die Braut zu erwarten hatte, nicht an dem üblichen und erbarmungslosen Anstarren aller weiblichen Zuschauer in dem Augenblick, wo die Braut vor den Altar geführt wurde. Dann kam der vorgängige Blick des Geistlichen auf den Trauschein, als Ausdruck amtlicher Vorsicht, und dann der bedeutungsvolle Blick des Küsters auf den Bräutigam, der denselben im Voraus an die übliche Gratification mahnen sollte. Alle anwesenden Frauen schienen ganz in ihrem natürlichen Elemente zu sein, während alle Männer, die der heiligen Handlung. beiwohnten, sich sehr unbehaglich fühlten.

Endlich begann der Gottesdienst, den man wohl als eine der schrecklichsten Ceremonien bezeichnen kann, der Gottesdienst, welcher zwei menschliche Wesen, die in den überwiegend meisten Fällen so gut wie nichts von ihren beiderseitigen Charakteren wissen, dazu verpflichtet, das Experiment zu wagen, miteinander zu leben, bis der Tod sie trennen wird. Der Gottesdienst, der, wenn nicht in Worten, doch seinem wahren Sinne nach besagt: wagt Euren Sprung in die Finsternis wir sanctioniren ihn wohl, aber wir garantiren ihn nicht.

Der Gottesdienst verlief ohne die mindeste Störung. Die letzten Worte waren gesprochen und das Gebetbuch war geschlossen. Die jungen Eheleute schrieben ihre Namen in das Trauregister ein. Der junge Ehemann wurde beglückwünscht, die junge Frau umarmt und das neuvermählte Paar, dem auf seinem Rückweg noch mehr Blumen gestreut wurden, kehrte nach Hause zurück. Das Hochzeits-Frühstück wurde beschleunigt, die üblichen Toaste wurden abgekürzt. Es war keine Zeit zu verlieren, wenn die jungen Leute noch den Frühzug nach Dover erreichen sollten. Eine Stunde später waren sie im Wagen nach der Eisenbahn - Station abgefahren, nachdem ihnen die Gäste von den Stufen des Hauses aus den Abschiedsgruß zugerufen hatten. Welch’ einer goldenen Zukunft sahen diese beiden jungen, glücklichen, einander zärtlich liebenden, gegen alle kleinlichen Sorgen des Lebens gesicherten Menschen entgegen. Wer hätte bei diesem, mit der Sanction ihrer Familien und unter dem Segen der Kirche verheiratheten Paar denken können, daß gleichwohl die Zeit kommen sollte, wo in der Frühlings-Zeit ihrer Liebe die schreckliche Frage an sie herantreten würde: »Seid Ihr Mann und Weib?«


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