Mann und Weib



Vierzigstes Kapitel - Anne opfert sich

Anne Silvester’s Brief lautete:

»Glasgow, den 5. September.
Lieber Mr. Brinkworth!

Vor etwa drei Wochen versuchte ich es, Ihnen von hier aus zu schreiben, aber in dem Augenblick, wo ich eben die Feder angesetzt hatte, wurde ich plötzlich von einer schweren Krankheit ergriffen, habe von diesem Augenblicke an bis heute hilflos darniedergelegen und war, wie man mir sagt, dem Tode sehr nahe. Vorgestern und gestern fühlte ich mich stark genug, um mich ankleiden zu lassen und kurze Zeit aufzusitzen; heute fühle ich mich noch stärker, ich kann wieder meine Gedanken sammeln. Der erste Gebrauch, den ich von meiner Besserung mache, besteht darin daß sich Ihnen diese Zeilen schreibe. Ich werde Sie voraussichtlich durch meine Mitteilung überraschen, vielleicht erschrecken, aber es giebt kein Mittel, weder für Sie noch für mich, der Sache zu entgehen, es muß geschehen; indem ich darüber nachdenke, wie ich das, was ich Ihnen zu sagen genöthigt bin, am Besten vorbringe, finde ich keinen bessern Weg, als Sie zu bitten, sich eines Tages zu erinnern, den wir Beide Ursache haben bitter zu bereuen, des Tages, an welchem Geoffrey Delamayn Sie zu mir nach dem Gasthof von Craig-Fernie schickte. Vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr, wenigstens schien es damals unglülcklicherweise keinen Eindruck auf Sie zu machen, daß ich bei jener Gelegenheit mehr als einmal ein entschiedenes Mißbehagen darüber empfand und zu erkennen gäb, daß Sie mich Vor den Leuten im Gasthofe für Ihre Frau ausgaben. Sie thaten es, weil es nothwendig war, um mir die Erlaubniß zu erwecken, in Craig-Fernie zu bleiben; ich wußte das und doch widerstrebte mir die Sache. Es war mir unmöglich Ihnen zu widersprechen, ohne Sie in die peinlichen Folgen dieses Protestes zu verwickeln und Gefahr zu laufen, einen Scandal zu veranlassen, der Blanche leicht hätte zu Ohren kommen können. Auch das wüßte ich und doch fühlte ich Gewissensbisse, es war ein unbestimmtes Gefühl, ich wußte nichts von der positiven Gefahr in die wir uns selbst brachten, sonst würde ich mich, gleichviel was daraus entstehen mochte, auf der Stelle ausgesprochen haben. Ich hatte, was man ein Vorgefühl nennt davon, daß Ihre Handlungsweise üble Folgen nach sich ziehen könne, das war Alles. Bei dem Andenken meiner geliebten Mutter, bei meinem Vertrauen auf die Gnade Gottes betheure ich, daß sich die Sache so und nicht anders verhält. Sie verließen den Gasthof am nächsten Morgen und wir haben uns seitdem nicht wieder gesehen. Wenige Tage nachdem Sie mich verlassen hatten, vermochte ich meine Einsamkeit nicht länger zu ertragen und ging im Geheimen nach Windygates, wo ich Blanche sprach. Als sie mich auf einige Minuten verlassen hatte, sah ich Geoffrey Delamayn zum ersten Mal, seit ich mich bei Lady Lundie’s Gartenfeste von ihm getrennt hatte, wieder. Er behandelte mich wie eine Fremde, sagte mir, daß er hinter Alles gekommen sei, was zwischen uns im Gasthofe vorgefallen; sagte dann, er habe den Rath eines Rechtskundigen eingeholt, und —— O, Mr. Brinkworth, wie kann ich es aussprechen, wie kann ich die Worte niederschreiben die er dann zu mir sagte, aber es muß geschehen, so schrecklich es auch für mich ist, es muß geschehen, er weigerte sich, mich zu heirathen, weil, wie er sagte, ich schon verheirathet, weil ich Ihre Frau sei.

Jetzt wissen Sie, warum ich Sie bat, sich dessen zu erinnern, was ich fühlte und zu fühlen bekannte, als wir in Craig Fernie zusammen waren. Wenn Sie hart von mir denken und sich hart über mich aussprechen, so habe ich kein Recht, Sie deshalb zu tadeln, ich bin unschuldig und doch ist es mein Fehler.

Mir schwimmt es vor den Augen und die thörichten Thränen drängen sich unwillkürlich vor, ich muß mich unterbrechen und ein wenig ruhen.

Ich habe am Fenster gesessen und die in der Straße vorübergehenden Leute beobachtet, sie sind Alle Fremde aber ihr Anblick wirkt in gewisser Weise beruhigend auf mein Gemüth. Das Geräusch der großen Stadt giebt mir Muth und Kraft fortzufahren. Ich darf es nicht wagen, von dem Manne zu reden, der uns beide betrogen hat. Entehrt und gebrochen wie ich bin, fühle ich doch etwas in mir, was mich über ihn erhebt, Wenn er in diesem Augenblicke reuig zu mir käme und mir Alles böte, was Rang, Reichthum und Ehre der Welt geben können, so würde ich doch sein Weib nicht werden wollen, sondern vorziehen zu bleiben, was ich jetzt bin. Lassen Sie mich von Ihnen und um Blanches willen von mir selbst reden. Ich hätte unzweifelhaft in Windygates auf Sie warten und Ihnen sofort mittheilen sollen, was geschehen war, aber ich war schwach und krank und der Schreck über das, was ich gehört hatte, war so furchtbar, daß ich in Ohnmacht fiel. Als ich wieder zu zu mir kam, ergriff mich bei dem Gedanken an Sie und Blanche ein solches Entsetzen daß ich wie vom Wahnsinn besessen davon eilte und nur darauf bedacht war, mich vor den Blicken der Menschen zu verbergen. Auf dem Wege hierher wurde mein Geist klarer und ruhiger und hier angelangt, that ich, was, wie ich glaube und hoffe, das beste war, das ich thun konnte, ich fragte zwei Advocaten um Rath. Ihre Ansichten darüber, ob wir in Gemäßheit der Gesetze die für diese Dinge in Schottland maßgebend sind, verheirathet seien oder nicht, waren verschieden. Der Eine sagte: »Ja«, der Andere sagte: »Nein«, rieth mir aber, Ihnen auf der Stelle zu schreiben und Sie über Ihre Lage aufzuklären.»Ich versuchte es, noch am selbigen Tage Ihnen zuschreiben, wurde aber dabei, wie Sie bereits wissen krank. Gott sei Dank, daß der dadurch veranlaßte Aufschub nichts zu bedeuten hat. Ich fragte Blanche in Windygates, wann ihre Hochzeit sein werde und sie sagte mir, daß dieselbe nicht Vor Ende Herbst stattfinden würde. Es ist heute erst der fünfte September. Sie haben ja noch Zeit genug vor sich; um unser Aller willen, machen Sie einen guten Gebrauch davon. Was werden Sie thun? Gehen Sie sofort zu Sir Patrick und zeigen Sie ihm diesen Brief, befolgen Sie seinen Rath, gleichviel in welcher Weise ich von demselben betroffen werde. Ich würde Ihre Güte schlecht lohnen, ich würde der Liebe, die ich für Blanche im Herzen trage, wenig gemäß handeln, wenn ich einen Augenblick Bedenken trüge, mich Allem auszusetzen, was in Ihrem und in Blanche’s Interesse etwa nothwendig werden möchte. Sie haben sich in dieser Angelegenheit wahrhaft großmüthig, delicat und gütig benommen, Sie haben mein schmachvolles Geheimniß dessen bin ich gewiß, mit der Treue eines Ehrenmannes der den Ruf einer Frau in Händen hat bewahrt; ich entbinde Sie, lieber Mr. Brinkworth, von ganzem Herzen von jeder Verpflichtung, mein Geheimniß noch länger zu bewahren; ich flehe Sie auf meinen Knieen an, frei die Wahrheit zu verkünden. Ich bin bereit, meinerseits die Sache in jeder durch die Umstände geforderten noch so öffentlichen Weise zu bestätigen. Um jeden Preis machen Sie sich frei und dann, aber nicht eher, schenken Sie Ihre Achtung wieder der unglücklichen Frau, die Sie mit der Last Ihres Kummers beladen und Ihr Leben einen Augenblick mit dem Schatten ihrer Schande verdunkelt hat. Glauben Sie nicht, daß ich mir mit der an Sie gerichteten Aufforderung ein schmerzliches Opfer auferlegte. Für mich handelt es sich nur um die Beruhigung meines Gewissens.

Mich knüpft nichts mehr an das Leben, als die harte Nothwendigkeit des Daseins. Wenn ich jetzt an die Zukunft denke, so überblickt mein Geist die Jahre, die mir noch in diesem Leben beschieden sein mögen; bisweilen wage ich zu hoffen, daß die Gnade Christi, die einst auf Erden für ein schuldiges Weib gleich mir gesprochen hat, auch dereinst nach meinem Tode für meine Seele im Himmel sprechen werde. Bisweilen wage ich zu hoffen, daß ich in einer besseren Welt meine Mutter und Blanches Mutter wiedersehen werde. Ihre Herzen waren zärtlich verbunden wie Schwesterherzen, so lange sie auf Erden wandelten, und sie hinterließen ihren Kindern das Vermächtniß ihrer Liebe. O helfen Sie mir, daß ich, wenn wir uns wiedersehen, mir sagen darf, daß ich nicht umsonst versprochen habe, Blanche eine Schwester zu sein. Jetzt bin ich nur ein Hinderniß für das Glück ihres Lebens, um Gotteswillen opfern Sie mich ihrem Glück, ist das Einzige, um dessentwillen ich noch leben möchte. Ich wiederhole es, an mir ist mir nichts gelegen, ich habe kein Recht darauf, daß irgend welche Rücksicht auf mich genommen werde, und ich wünsche es auch nicht. Sagen Sie die volle Wahrheit in Betreff meiner, und rufen Sie mich so öffentlich, wie es Ihnen gut scheint, auf, die Wahrheit zu bezeugen.

Ich habe wieder eine kleine Pause gemacht und versucht, mir, ehe ich den Brief schließe, zu überlegen, was ich wohl etwa noch zu schreiben haben könnte; ich nichts nichts mehr, außer der Angabe, wo sie mich finden können, wenn Sie wünschen sollten, mir zu schreiben, oder mich zu sprechen. Ehe ich Ihnen dieses mittheile nur noch ein Wort. Es ist mir unmöglich vorauszusehen, was Sie nach Empfang dieses Briefes thun werden, oder was Andere Ihnen rathen werden zu thun. Ich muß es sogar für möglich halten, daß Sie bereits von Geoffrey Delamayn selbst über Ihre Lage aufgeklärt sind; in diesem Fall oder in dem Fall, daß Sie es für richtig halten sollten, Blanche in Ihr Vertrauen zu ziehen, wage ich es Ihnen vorzuschlagen eine Person, der Sie völliges Vertrauen schenken können, damit zu beauftragen, in Ihrem Namen mit mir zu sprechen, oder falls Ihnen das nicht möglich sein sollte selbst in Gegenwart einer dritten Person mit mir zusammenzutreffen. Der Mann, der keinen Anstand genommen hat, uns Beide zu verrathen, würde auch kein Bedenken tragen, uns auch künftig, wo er kann, in der niedrigsten Weise zu verleumden. Um Ihrer selbst willen lassen sie uns wohl beachten, lügnerischen Zungen keine Gelegenheit zu geben, Sie bei Blanche zu verleumden. Hüten Sie sich vor der Gefahr, sich abermals in eine falsche Stellung zu bringen, machen Sie es unmöglich, daß ein ihrer unwürdiges Gefühl in dem liebenden und edlen Herzen Ihres künftigen Weibes erweckt werde. Nachdem ich das geschrieben habe, kann ich Ihnen jetzt sagen, wie Sie mit mir in Verbindung bleiben können, wenn ich von hier fortgereist sein werde. Sie werden auf dem einliegenden Streifen Papier den Namen und die Adresse des zweiten Advocaten finden, den ich in Glasgow consultirt habe; ich habe mit ihm verabredet, daß ich ihn brieflich von, dem nächsten Ort, an den ich mich begeben werde, in Kenntniß setze und daß er diese Mittheilung entweder an Sie oder an Sir Patrick Lundie, sobald Sie persönlich oder schriftlich darum nachsuchen sollten, gelangen lasse. Ich weiß noch selbst nicht, wo ich eine Zuflucht finden werde; nur so viel ist sicher, daß ich in meinem gegenwärtigen schwachen Zustande nicht weit reisen kann. Wenn Sie sich darüber wundern sollten, daß ich überhaupt an Reisen denke, bevor ich mich wieder ganz kräftig fühle, so kann ich Ihnen nur einen Grund angeben, der Ihnen vielleicht excentrisch erscheinen wird. Man hat. mir mitgetheilt, daß in jener Zeit, wo ich todtkrank hier im Hotel lag, Anzeigen in Betreff meiner in Glasgower Blätter erlassen morden sind. Der Kummer hat mich vielleicht krankhaft argwöhnisch gemacht, und so fürchte ich mich vor dem, was geschehen könnte, wenn ich, nachdem mein Aufenthaltsort öffentlich bekannt gemacht worden ist, hier bliebe, und so bin ich, entschlossen, sobald ich dazu fähig. sein werde, im Geheimen abzureisen. Ich werde zufrieden sein, wenn ich an einem stillen Plätzchen auf dem Lande in der Umgebung von Glasgow Ruhe und Frieden finden kann. Sie brauchen sich in Betreff meiner Existenz keine Sorge zu machen, ich habe Geld genug für meine Bedürfnisse, und wenn ich wieder wohl werde, weiß ich mein Brod zu verdienen. Ich trage Ihnen nichts für Blanche auf; ich darf es nicht bevor dies vorüber ist; warten Sie, bis sie Ihr glückliches Weib geworden ist Und geben Sie ihr dann einen Kuß. und sagen, »er kommt von Anne.« Verzeihen Sie mir, wenn Sie konnten, lieber Mr. Brinkworth, ich habe Alles gesagt.

Ihre dankbare
Anne Sylvester.

Sir Patkick legte den Brief mit wahrer Achtung für die Schreiberin nieder; etwas von dem persönlichen Einfluß, den Anne mehr oder weniger auf alle Männer, mit denen sie in Berührung trat, übte, schien sich auch dem alten Advocaten durch das Medium ihres Briefes mitgetheilt zu haben; seine Gedanken wandten sich in einer kaum begreiflichen Weise von der ernsten und drängenden Frage der Stellung seiner Nichte ab, einer Region rein speculativer Fragen in Betreff Anne’s zu.

»Welche thörichte Verblendung hat dieses edle Geschöpf in die Hände eines Menschen wie Geoffrey Delamayn gegeben?« fragte sich Sir Patrick.

Die Meisten von uns haben wohl schon einmal in ihrem Leben einer ähnlichen Frage, wie sie jetzt Sir Patrick außer Fassung brachte, rathlos gegenüber gestanden. Die Erfahrung lehrt uns täglich, daß Frauen sich an ihrer unwürdige Männer wegwerfen, und daß Männer sich Hals über Kopf für ihrer unwürdige Weiber in’s Verderben stürzen. Wir haben das Institut der Ehescheidung neuerdings auch bei uns in England und zwar hauptsächlich deshalb eingeführt, um beiden Geschlechtern die Möglichkeit zu gewähren, die fortwährend so leichtsinnig unter ihnen eingegangenen Verbindungen wieder zu lösen, und doch sind wir bei jedem neuen Beispiel einer solchen leichtsinnigen Verbindung auf’s Neue erstaunt, zu finden, daß der Mann und das Weib sich nicht aus vernünftigen und wohlerwogenen Gründen mit einander für’s Leben verbunden haben. Fragt die besonnensten unter Anne Silvester’s Schwestern, welche vernünftigen Rechtfertigungsgründe sie für die Wahl des Mannes, dem sie Herz und Hand schenkten, hatten, und ihr werdet an diese besonnensten Frauen eine Frage richten, die sie sich niemals selbst vorgelegt haben. Ja noch mehr, befragt Eure eigene Erfahrung und gesteht offen: Konntet Ihr Eure eigene vortreffliche Wahl zu der Zeit da Ihr sie trafet, rechtfertigen? Hättet Ihr Eure Gründe, in dem Augenblick, wo Ihr Euch zuerst gestandet, daß Ihr ihn liebtet, zu Papier bringen können und würden die Gründe, wenn Ihr es gethan hättet, eine strenge Kritik ausgehalten haben?

Sir Patrick sah sich vergebens nach einer genügenden Antwort auf seine Frage um. Auch lag ihm die Beschäftigung mit einer nothwendigeren und unmittelbar practischen Angelegenheit näher. Die Interessen seiner Nichte standen auf dem Spiel. Vor allen Dingen mußte er sich bei dem Pfarrer entschuldigen lassen, damit er den Abend frei behielt, um ungestört überlegen zu können, welche Schritte er Arnold rathen solle, zunächst zu thun.

Nachdem er seinem Piquet-Partner einige Zeilen der Entschuldigung geschrieben hatte, in denen er Familienangelegenheiten als Grund seiner Absage angab, klingelte Sir Patrick.

Der treue, Duncan erschien und sah auf der Stelle an dem Gesicht seines Herrn daß etwas vorgefallen sei.

»Schicke Jemand mit diesem Billet nach dem Pfarrhause«, sagte Sir Patrick, ich kann heute nicht bei dem Pfarrer essen, Du mußt mir ein Hammelkotelett machen lassen.«

»Um Vergebung, Sir Patrick, ist es unbescheiden zu fragen, ob Sie schlimme Nachrichten erhalten haben?«

»Die denkbar schlechtesten Nachrichten, Duncan, Ich kann Dir jetzt nichts Näheres darüber sagen. Bleib’ so nahe, daß Du die Glocke hören kannst, inzwischen aber laß Niemanden mich unterbrechen, selbst den Verwalter würde ich jetzt nicht sprechen können.«

Nachdem er sich die Sache sorgfältig überlegt hatte gelangte Sir Patrick zu der Ueberzeugung, daß es hier keine Wahl gebe, sondern daß er Arnold und Blanche auf der Stelle nach England zurückkommen lassen müsse. Es war von der dringendsten Nothwendigkeit, Arnold über die kleinsten Details in Betreff jedes Umstandes seines Zusammenseins mit Anne Silvester im Gasthof zu Craig-Fernie Gasthof zu befragen. Zu gleicher Zeit schien es um Blanche’s Willen wünschenswerth, sie augenblicklich wenigstens über das, was geschehen war, im Dunkeln zu lassen. Sir Patrick war um einen Ausweg zur Ueberwindung dieser Schwierigkeit nicht verlegen. Er sandte dass folgende Telegramm an Arnold: »Ihren Brief mit Einlagen erhalten, kehren Sie sobald wie möglich nach Ham Farm zurück, halten Sie die Sache noch vor Blanche geheim, sagen Sie als Grund Ihrer Rückkehr, daß die verlorne Spur Anne Silvester’s wieder aufgefunden sei und daß vielleicht Gründe vorhanden seien, die es wünschenswerth machten, daß Sie nach England zurückkehren, bevor irgend etwas Weiteres in der Sache vorgenommen werde.«

Nachdem Duncan mit diesem Telegramm nach der Station abgeschickt worden war, ging Sir Patrick daran sich auszurechnen, bis wann er Arnold frühestens zurückerwarten könne. Arnold erhielt aller Wahrscheinlichkeit nach das Telegramm am nächsten Tage, den siebenzehnten September, in Baden. Drei Tage später konnte er mit Blanche in Ham Farm zurück sein. Diese Frist konnte Sir Patrick dazu benutzen, sich in aller Ruhe zu überlegen, wie er sich der beunruhigenden Sachlage gegenüber zu verhalten haben würde.

Am neunzehnten September erhielt Sir Patrick ein Telegramm des Inhalts, daß er das junge Paar am zwanzigsten spät Abends erwarten könne. Denselben Abend vernahm man das Rollen eines Wagens und Sir Patrick hörte, als er die Thür seines Zimmers öffnete, befreundete Stimmen in der Vorhalle.

»Nun!« rief Blanche, sobald sie seiner ansichtig wurde, ihm entgegen, »ist Anne gefunden?«

»Noch nicht, liebes Kind?«

»Sind Nachrichten von ihr da?«

»Ja!«

»Komme ich früh genug, um Etwas zu nützen?«

»Vollkommen früh genug, Du sollst morgen Alles hören. Geh’ auf Dein Zimmer, lege Deine Reisekleider ab und komm’ so bald wie möglich zum Abendessen hinunter.«

Blanche küßte ihn und ging auf ihr Zimmer.

Die Ehe hatte ihr, wie es ihrem Onkel nach der kurzen Begegnung schien, sehr gut gethan. Ihr Wesen hatte etwas Ruhiges und Festes bekommen und ihr Blick und ihre Haltung waren von einer Grazie, die Sir Patrick früher nicht an ihr gefunden hatte. Arnold seinerseits erschien in einem weniger vorteilhaften Lichte; er war unruhig und besorgt, sein Verhältniß zu Anne Silvester schien schwer auf ihm zu lasten. Sobald seine junge Frau den Rücken gekehrt hatte, wandte er sich flüsternd an Sir Patrick mit den Worten: »Ich wage es kaum, Sie nach dem zu fragen, was mir so schwer auf dem Herzen liegt, ich muß es tragen, wenn Sie mir zürnen sollten, Sir Patrick! Aber sagen Sie mir nur das Eine, giebt es einen Ausweg für uns, haben Sie darüber nachgedacht?«

»Ich bin heute Abend nicht in der Verfassung«, entgegnete Sir Patrick, »die Sache klar und ruhig zu besprechen. Lassen Sie es sich für jetzt genügen, wenn ich Ihnen sage, daß ich die Sache gründlich durchgedacht habe und warten Sie wegen alles Weiteren bis morgen.«

Noch andere in das sich jetzt abspielende Drama verwickelte Personen hatten in den letzten Tagen Veranlassung gehabt, über ihre Angelegenheiten ernstlich nachzudenken.

Zwischen dem siebenzehnten und zwanzigsten September hatte Geoffrey Delamayn Swanhaven-Lodge verlassen, um sich in sein neues Einübungs-Quartier in der Nähe von Fulham, wo der Wettlauf stattfinden sollte, zu begeben. Zu derselben Zeit hatte Capitän Newenden, der auf seiner Reise nach Süden durch London kam, die Gelegenheit benutzt seinen Advocaten zu consultiren. Der Zwecks dieser Consultation war, Mittel ausfindig zu machen, einem anonymen Briefschreiber in Schottland aus die Spur zu kommen, der Mrs. Glenarm durch seine Unverschämten Zuschriften ernstlich beunruhigt hatte.

So fanden sich allmälig die verschiedenen in unser Drama verwickelten Personen in oder bei der großen Stadt ein, in der sie bald Alle zum ersten und letzten Male einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen sollten.


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