Mann und Weib



Einundvierzigstes Kapitel - Der Ausweg

Das Frühstück war eben vorüber. Blanche, die einen angenehm müssigen Vormittag vor sich sah, schlug Arnold vor, mit ihr im Garten umherzuschlendern. Der Garten strahlte im hellen Sonnenschein und die junge Frau strahlte im Glanz der heitersten Laune. Sie begegnete dem Auge ihres Onkels als es bewundernd auf ihr ruhte, und erwiderte diese Huldigung mit den verbindlichen Worten:

»Du hast keine Vorstellung davon, lieber Onkel, wie schön es ist, wieder in Ham Farm zu sein.«

»So darf ich also für meine Unterbrechung Eures Honigmondes auf Verzeihung hoffen?« entgegnete Sir Patrick.

»Mehr als das,« antwortete Blanche, »wir sind Dir sehr dankbar dafür. Meine eigene Erfahrung,« fuhr sie mit der Miene einer schon mindestens zwanzig Jahre verheiratheten Matrone fort, »hat mich zu der Ueberzeugung geführt, daß ein auf dem Continent verlebter Honigmonat zu den nationalen Mißbräuchen gehört, die der Reform bedürfen. Wenn zwei Leute in einander verliebt sind —— und ich betrachte eine Ehe ohne Liebe als gar keine Ehe —— wozu bedürfen sie der aufregenden Betrachtung fremder Städte! Ist nicht die Betrachtung eines so neuen Gegenstandes, wie es ein Ehemann ist, aufregend und interessant genug für eine jung verheirathete Frau, und was ist für einen jungen Ehemann wie Arnold der interessanteste Gegenstand der gesammten Schöpfung? Die Alpen? —— Gewiß nicht! Der interessanteste Gegenstand ist seine Frau und die rechte Zeit für eine Hochzeitsreise wäre etwa zehn bis zwölf Jahre nach der Hochzeit, wenn man anfängt, nicht einander überdrüssig zu werden, davon kann ja keine Rede sein, sondern ——— ein bischen zu gut mit einander bekannt zu werden; dann ist die rechte Zeit für ein junges Ehepaar, nach der Schweiz zu reisen, und dann können vielleicht die Alpen einen Eindruck machen. Eine Reihe von Hochzeitsreisen im Herbst des ehelichen Lebens, das wäre mein Vorschlag zur Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes. Komm mit mir in den Garten, Arnold, und laß uns berechnen, wie lange es noch dauern wird, bis wir einander überdrüssig werden und der Schönheit der Natur bedürfen, um uns die Langeweile zu vertreiben.«

Arnold warf Sir Patrick einen flehenden Blick zu. Noch war kein Wort in Betreff der ernsten Frage von Anne Silvester’s Brief zwischen ihnen gewechselt worden. Sir Patrick nahm es auf sich, Arnold bei Blanche zu entschuldigen. »Verzeihe mir, Blanche«, sagte er, »wenn ich Dich um Erlaubniß bitte, eine kleine Weile in Dein Monopol auf Arnold einzugreifen; ich habe ihm etwas über seinen Grundbesitz in Schottland mitzutheilen. Willst Du ihn mir überlassen, wenn ich Dir verspreche, ihn so bald wie möglich wieder loszulassen?«

Blanche lächelte gnädig. »Du sollst ihn so lange haben, wie Du willst. —— Da hast Du Deinen Hut«, fügte sie hinzu, indem sie ihn ihrem Manne zuwarf; »ich habe ihn Dir mitgebracht, als ich meinen holte, Du findest mich auf dem Rasen.« Sie nickte freundlich und ging hinaus.

»Lassen Sie mich gleich das Schlimmste hören«, fing Arnold an, sobald Blanche das Zimmer verlassen hatte. »Finden Sie die Sache bedenklich? Trifft mich nach Ihrer Ansicht ein Vorwurf?«

»Ich will Ihre letzte Frage zuerst beantworten. Ja, es trifft Sie nach meiner Ansicht ein Vorwurf, und zwar der, daß Sie es seiner Zeit übernahmen, als Geoffrey Delamayn’s Bote zu Miß Silvester in den Gasthof nach Craig-Fernie zu gehen. Nachdem Sie sich einmal in diese falsche Stellung gebracht hatten konnten Sie später kaum anders handeln, als Sie gethan haben. Niemand kann von Ihnen verlangen, daß Sie das schottische Recht kennen sollen, und als Ehrenmann waren Sie verpflichtet, ein Geheimniß zu bewahren, bei dem der Ruf einer Frau aus dem Spiele stand. Ihr erster und einziger Fehler in dieser Angelegenheit bestand darin, daß Sie sich mit einer Verantwortlichkeit beladen, die allein zu tragen einem andern Manne oblag.«

»Der Mann hat mir das Leben gerettet«, sagte Arnold entschuldigend, »und ich war in dem Glauben, daß ich meinem liebsten Freunde für diesen Dienst einen solchen Gegendienst schuldig sei.«

»Was Ihre andere Frage anlangt«, fuhr Sir Patrick fort, »ob ich Ihre Lage als eine bedenkliche betrachte, antworte ich: Ganz gewiß thue ich das. So lange wir nicht vollkommen sicher sind, daß Blanche nach Recht und Gesetz Ihre Frau ist, ist Ihre Lage mehr als bedenklich, sie ist unerträglich. Ich meinerseits bleibe bei der Ansicht, welche mir zu entlocken, Dank Ihrem ehrenwerthen Schweigen, dem Schurken Delamayn gelungen ist. Ich habe ihm gesagt, was ich jetzt Ihnen sage, daß ihre Worte und Handlungen in Craig-Fernie nach schottischem Recht keine Heirath begründen; aber«, fuhr Sir Patrick fort indem er seinen Finger warnend gegen Arnold erhob, »Sie haben es selbst in Miß Silvester’s Brief gelesen und können es sich jetzt auch als Ergebnis; meiner eigenen Erfahrung gesagt sein lassen, es giebt keine Ansicht eines Einzelnen in dieser Angelegenheit, auf die man sich unbedingt verlassen könnte. Von zweien von Miß Silvester in Glasgow consultirten Advocaten gelangte der eine zu einem meiner Ansicht gerade entgegengesetzten Schlusse, indem er erklärte, daß Miß Silvester und Sie verheirathet seien. Ich halte diese Ansicht für unrichtig aber in unserer Lage haben wir keine andere Wahl, als der von diesem Advokaten vertretenen Ansicht gerade in’s Gesicht zu sehen, mit andern Worten, wir müssen damit anfangen, uns auf das Schlimmste gefaßt zu machen.«

Arnold drückte den Reisehut, den Blanche ihm zugeworfen hatte, in nervöser Aufregung mit beiden Händen zusammen.

»Angenommen, das Schlimmste käme zum Schlimmsten«, fragte er, »was würde geschehen?«

Sir Patrick schüttelte den Kopf. »Die Frage ist nicht leicht zu beantworten ohne auf die juristische Seite der Sache einzugehen,« erwiderte er, »und ich würde Sie nur verwirrt machen, wenn ich das thäte; lassen Sie uns die Frage lieber von der gesellschaftlichen Seite aus betrachten, ich meine in ihren möglichen Wirkungen auf Sie und Blanche und Ihre ungebornen Kinder.«

Arnold drückte den Hut noch krampfhafter zusammen.

»An die Kinder habe ich noch gar nicht gedacht,« sagte er betroffen.

»Nichtsdestoweniger können die Kinder kommen«, bemerkte Sir Patrick trocken. »Nun hören Sie, Sie haben vielleicht daran gedacht, daß der einfachste Ausweg aus unserm gegenwärtigen Dilemma für Sie und Miß Silvester darin bestehen würde, beiderseits das zu bestätigen was, wie wir wissen, die Wahrheit ist, nämlich daß Sie Beide niemals die entfernteste Absicht hatten, einander zu heirathen; aber hüten Sie sich wohl, irgend eine Hoffnung auf ein solches Mittel zu gründen. Wenn Sie darauf rechnen, so rechnen Sie ohne Geoffrey Delamayn. Vergessen Sie nicht, daß er dabei interessirt ist, den Beweis zu erbringen, daß Sie und Miß Silvester Mann und Weib sind. Es können sich Umstände ereignen —— ich will mich nicht dabei aufhalten, sie näher anzugeben —— welche eine dritte Person in den Stand setzen könnten, die Wirthin und den Kellner in Craig-Fernie als Zeugen gegen Sie auftreten zu lassen und zu behaupten, daß Ihre Erklärung sowohl wie die Miß Silvester’s, das Ergebniß eines Einverständnisses zwischen Ihnen Beiden sei. Erschrecken Sie nicht, so etwas ist mehr als einmal vorgekommen; Miß Silvester ist arm und Blanche ist reich, Sie können in die peinliche Lage kommen, als ein Mann hingestellt zu werden, der seine Verheirathung mit einer armen Person verleugnet, um eine reiche Erbin zu heirathen, wobei es wahrscheinlich würde gemacht werden können, daß Miß Silvester sich durch zwei starke Motive bewogen fände, Sie beide in diesem Betrug zu unterstützen, das Motiv eines Anspruchs auf die Ehe mit einem reichen Manne und das Motiv einer durch den Verzicht ihres Anspruchs auf Sie zu erwirkenden Geldentschädigung.

Das ist ein Fall, wie ein Schurke ihn vor Gericht und zwar mit einigem Schein von Wahrheit wohl construiren könnte.«

»Das würden die Gerichte doch wohl nicht zulassen!«

»Die Gerichte lassen sich in Discussion über Alles und mit Jedem ein, welcher die Advocaten für die Aufwendung der erforderlichen Zeit und Mühe bezahlt. Lassen wir diese Seite der Sache jetzt auf sich beruhen. Delamayn kann, wenn er will, ohne Hilfe eines Advocaten Alles in Gang bringen; er braucht es nur zu veranstalten, daß das Gerücht, welches öffentlich behauptet, daß Blanche nicht Ihre gesetzmäßige Frau sei, dieser zu Ohren komme. Glauben Sie, daß sie bei ihrem Temperament uns auch nur einen Augenblick Zeit lassen würde, die Sache aufzuklären? Lassen Sie uns die Angelegenheit aber jetzt von einer andern Seite betrachten. Angenommen, Sie dürften sich dem beruhigenden Gedanken hingeben, daß für den Augenblick Niemandem aus der Sache Ungelegenheiten erwachsen würden, wie können wir wissen, ob sie nicht einmal in Zukunft und zwar unter Umständen wieder auftauchen könnte, Welche die Legitimität Ihrer Kinder zweifelhaft erscheinen lassen würden? Wir haben es mit einem geradezu als skandalös zu bezeichnenden Zustand der Unsicherheit der Gesetze, wir haben es ferner mit einem Manne, der vor nichts zurückschreckt, und wir haben es endlich in Bishopriggs und Mrs. Inchbare mit zwei Leuten zu thun, welche bezeugen können und werden, was zwischen Ihnen und Miß Silvester im Gasthof zu Craig-Fernie vorgefallen ist. Um Blanche’s willen und um Ihrer ungebornen Kinder willen müssen wir der Sache auf der Stelle zu Leibe gehen und sie ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Die uns zunächst vorliegende Frage ist: wollen wir die Verhandlungen damit eröffnen, daß wir uns mit Miß Silvester in Verbindung setzen?«

Bei diesem wichtigen Punkte der Unterhaltung wurden sie durch das Wiedererscheinen Blanche’s unterbrochen. Hatte sie zufällig etwas von dem, was gesprochen wurde, gehört?,Nein, es hatte mit dieser Unterbrechung dieselbe Bewandtniß wie mit den meisten derartigen Störungen. Der Müssigang, der an nichts denkt, war gekommen, den Fleiß, dem Alles obliegt, zu stören. Es scheint ein Naturgesetz zu sein, daß Leute die nichts in der Welt zu thun haben, es nicht ertragen können, ihre Nebenmenschen ununterbrochen beschäftigt zu sehen. Blanche producirte ein neues Exemplar aus Arnold’s Sammlung von Hüten, »Ich habe mir im Garten die Sache durch den Kopf gehen lassen«, sagte sie ganz ernsthaft, »Du siehst in dem braunen Hut mit hohem Kopf, den ich Dir hier bringe, ungleich besser aus, als in dem weißen mit niedrigem Kopf; ich bin nur gekommen die Hüte zu wechseln, weiter nichts.« Sie tauschte den Hut mit dem, den Arnold in der Hand hielt, aus und fuhr, ohne eine Ahnung davon zu haben wie sehr sie störe, fort: »setze den braunen Hut auf wenn Du hinauskommst und komm bald, lieber Arnold. Nun bleibe ich keinen Augenblick länger hier, lieber Onkel, ich möchte Euch um Alles in der Welt nicht unterbrechen.« Sie warf Sir Patrick eine Kußhand zu, lächelte ihrem Manne zu und ging wieder hinaus.

»Wovon sprachen wir zuletzt«, fragte Arnold. »Es ist fatal auf diese Weise unterbrochen zu werden, nicht wahr?«

»Wenn ich mich im mindesten auf weibliche Naturen verstehe«, erwiderte Sir Patrick ruhig, »so wird Ihre Frau den ganzen Morgen auf diese Weise ein- und ausgehen. In höchstens zehn Minuten wird sie nach meiner Ueberzeugung ihre Ansicht in Betreff der ernsten und schwierigen Frage des weißen und braunen Hutes wieder geändert haben. Diese kleinen, sonst allerliebsten Unterbrechungen veranlassen mich doch zu einer ernsten Erwägung. Ich frage mich, würde es nicht klüger sein, wenn wir die Noth zur Tugend machten und Blanche in unser Vertrauen zogen? Was meinen Sie, wenn wir sie zurückriefen und ihr die Wahrheit sagten!«

Arnold fuhr zusammen und wechselte die Farbe. »Das hat doch seine großen Bedenken«, sagte er.

»Mein lieber Freund, bei jedem Schritt auf der Bahn dieser Angelegenheit werden Sie auf große Schwierigkeiten stoßen, früher oder später muß Ihre Frau wissen, was vorgefallen ist. Den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen, ist natürlich Ihre Sache, nicht meine. Ich möchte ihnen nur anheimgeben, ob es Ihnen nicht besser anstehen würde, die Eröffnung aus freien Stücken zu machen, ehe Sie sich zu derselben gezwungen sehen.«

Arnold stand auf, ging im Zimmer auf und ab, setzte sich wieder nieder und sah Sir Patrick mit dem Ausdruck eines völlig rath- und fassungslosen Menschen an. »Ich weiß nicht, was ich thun soll«, sagte er, »die Sache geht über meine Kräfte; zu allem Uebrigen kommt noch, daß ich in Craig-Fernie gezwungen war, Blanche in einer Weise zu hintergehen, die ihr vielleicht als sehr gefühllos und unverzeihlich erscheinen wird.«

»Das klingt ja sonderbar, was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will versuchen, es Ihnen zu erzählen. Erinnern Sie sich, wie Sie nach dem Gasthof kamen, um Miß Silvester zu sprechen? Nun, da ja meine Anwesenheit dort ein Geheimniß bleiben sollte, war ich natürlich genöthigt, mich vor Ihnen zu verbergen.«

»Gewiß! Und als nachher Blanche kam, waren Sie genöthigt, sich vor Blanche zu verstecken, grade wie Sie sich vor mir versteckt hatten!«

»Noch schlimmer! Ein paar Tage später zog mich Blanche in’s Vertrauen; sie erzählte mir von ihrem Besuch im Gasthofe, als wenn mir die Umstände völlig unbekannt wären, sie sprach von dem unsichtbaren Mann der sich auf so sonderbare Weise versteckt habe, ohne die entfernteste Ahnung davon zu haben, daß ich dieser Mann gewesen sei, und ich konnte kein Wort sagen, um sie auf die rechte Spur zu bringen, ich mußte schweigen, wenn ich nicht Miß Silvester verrathen wollte. Was aber wird Blancbe von mir denken, wenn ich es ihr jetzt erzähle? Das ist die Frage.«

Kaum war Blanche’s Name über die Lippen ihres Mannes gekommen, als Blanche auch schon die Prophezeihung Sir Patricks wahr machte, indem sie wieder an der offenen Gartenthür mit dem verworfenen weißen Hut in der Hand erschien. »Seid Ihr noch nicht fertig?« rief sie, »es hut mir schrecklich leid, Euch wieder zu unterbrechen, Onkel, aber diese abscheulichen Hüte Arnold’s fangen an, mich zu plagen. Ich habe mir die Sache nochmals überlegt und da finde ich doch, daß der weiße Hut mit dem niedrigen Kopf ihm besser steht. Laß uns noch einmal wechseln, lieber Arnold Ja, ja, der braune Hut ist abscheulich. Da steht ein Bettler an der Thür, ehe ich mich von den Hüten unglücklich machen lasse, gebe ich dem Bettler den Hut und schaffe mir so die Sache vom Halse. Störe ich Euch sehr? Ich komme Euch gewiß ruhelos vor und ich bin auch wirklich ruhelos, ich weiß nicht, was mir diesen Morgen ist.«

»Ich kann es Dir sagen, liebes Kind«, sagte Sir Patrick in seinem feierlichsten und trockensten Tone, »Du leidest an einer Krankheit, die unter den jungen Damen der guten Gesellschaft sehr verbreitet ist; sie ist völlig unheilbar und heißt: Nichtsthun.«

Blanche machte ihrem Onkel einen kleinen Knix. »Du hättest Dich kürzer ausdrücken können und sagen daß ich Euch im Wege bin.« Sie drehte sich rasch um, stieß den in Ungnade gefallenen braunen Hut vor sich hin auf die Veranda und ließ die beiden Herren wieder allein.

»Ihre Stellung Ihrer Frau gegenüber«, nahm Sir Patrick ernsthaft wieder auf, »ist gewiß eine schwierige.« Er hielt inne; er mußte an den Abend denken, wo er und Blanche sich Mrs. Inchbare’s unbestimmte Schilderung von dem Manne im Gasthofe anschaulich gemacht hatten, indem sie Arnold selbst als einen der hundert unschuldigen Leute genannt hatten, der dieser Schilderung entspräche.

»Vielleicht« fügte er hinzu, »ist die Lage noch schwieriger, als Sie glauben; es würde leichter für Sie und in Blanches Augen ehrenwerther gewesen sein, wenn Sie das unvermeidliche Bekenntniß vor Ihrer Hochzeit gemacht hätten. Ich bin bis zu einem gewissen Punkte dafür, daß sie das nicht gethan haben, sowie für das viel ernstere Dilemma, in welchem Sie sich jetzt Miß Silvester gegenüber befinden, verantwortlich. Wenn ich nicht unschuldiger weise Ihre Heirath mit Blanche beschleunigt hätte, würde Miß Silvester’s vortrefflicher Brief uns vollkommen zeitig genug erreicht haben, um dem Schlimmsten vorzubeugen. Es nützt nichts, dabei jetzt noch länger zu verweilen. Seien Sie getrost Arnold, es ist meine Pflicht, Ihnen einen Ausweg aus diesem Labyrinth zu zeigen, was für Schwierigkeiten auch dabei zu überwinden sein mögen und mit Gottes Hülfe wird es mir gelingen.« Er deutete bei diesen Worten auf einen am andern Ende des Zimmers stehenden Tisch, auf welchem Schreibmaterial lag. »Ich liebe es nicht, mich unmittelbar nach dem Frühstück zu bewegen, wir wollen nicht in die Bibliothek gehen; bringen Sie mir Dinte, Feder und Papier hierher.«

»Wollen Sie an Miß Silvester schreiben?«

»Das ist eine Frage, über die wir uns noch erst einigen müssen. Vorher aber muß ich mich ganz genau über Alles, was sich zwischen Ihnen und Miß Silvester im Gasthof zu Craig-Fernie zugetragen hat, unterrichten und zu diesem Zweck ein förmliches Verhör mit Ihnen vornehmen, als ob Sie mir bei einer gerichtlichen Verhandlung als Zeuge gegenüberstanden.«

Nach dieser Einleitung begann Sir Patrick, den Brief Arnold’s aus Baden in der Hand haltend, sein Verhör.

Arnold beantwortete die an ihn gestellten Fragen der Reihe nach, ruhig und nach bestem Wissen und Gewissen.

Das Verhör nahm seinen ungestörten Fortgang, bis es zu dem Moment gelangte, in welchem Anne Geoffrey Delamayn’s Brief in ihrer Hand zerknittert und entrüstet in die andere Ecke des Zimmers geworfen hatte.

Hier zum ersten Mal tauchte Sir Patrick seine Feder ein, augenscheinlich, um eine Notiz zu machen.

»Seien Sie ja genau«, sagte er, »ich muß Alles wissen, was Sie über den Brief sagen können.«

»Der Brief ist verloren«, sagte Arnold.

»Der Brief ist von Bishopriggs gestohlen!« erwiderte Sir Patrick, »und ist noch augenblicklich in Bishopriggs Händen.«

»Da wissen Sie mehr vom dem Brief als ich«, entgegnete Arnold.

»Das will ich nicht hoffen, ich weiß nicht, was in dem Briefe gestanden hat; wissen Sie es?«

»Ja, wenigstens theilweise!«

»Theilweise?«

»Es waren auf demselben Blatt Papier zwei Briefe geschrieben«, entgegnete Arnold, »einer von Geoffrey Delamayn und das ist der, von dem ich etwas weiß.«

Sir Patrick stutzte, sein Gesicht erheiterte sich und er machte rasch eine kurze Notiz. »Fahren Sie fort«, sagte er eifrig. »Wie kommt es, daß die Briefe auf demselben Blatt Papier geschrieben waren? Erklären Sie mir das!«

Arnold erklärte, daß Geoffrey in Ermangelung eines anderen Papiers seine Entschuldigung an Anne auf die letzte weiße Seite eines Briefes geschrieben habe, den er von Anne erhalten hatte.

»Haben Sie den Brief gelesen?« fragte Sir Patrick.

»Ich hätte ihn lesen können, wenn ich gewollt hätte!«

»Und Sie haben ihn nicht gelesen?«

»Nein«

»Und warum nicht?«

»Aus Delicatesse.«

Selbst Sir Patricks wohlgezogenes Temperament war solcher Zumuthung nicht völlig gewachsen. »Das ist der deplacirteste Act der Delicatesse, der mir je vorgekommen ist«, rief der alte Herr hitzig aus. Aber es nutzt nichts, darüber jetzt noch zu klagen, wenigstens werden Sie doch Delamayn’s Antwort aus Miß Silvester? Brief gelesen haben?«

»Ja, das habe ich.«

»Wiederholen Sie mir den Wortlaut, so gut Sie sich desselben nach so langer Zeit noch erinnern können.«

»Es war sehr kurz«, entgegnete Arnold, »es ist da kaum etwas zu wiederholen. Soviel ich mich erinnere, schrieb Geoffrey, er sei durch die Krankheit seines Vaters genöthigt nach London zu reisen und Miß Silvester möge bleiben, wo sie sei. Im Uebrigen verwies er sie auf mich als aus seinen Abgesandten; das ist Alles, dessen ich mich jetzt noch entsinne.«

»Plagen Sie Ihr Gedächtniß noch. ein wenig, lieber Freund, es ist von der höchsten Wichtigkeit für uns, den Inhalt des Briefes so genau wie möglich zu kennen. Hat Geoffrey in dem Briefe keine Anspielung auf sein Versprechen gemacht, Miß Silvester in Craig-Fernie zu heirathen; hat er nicht versucht, sie durch irgend eine Entschuldigung zu beschwichtigen?«

Arnold mühete sich ab, sich zu besinnen. »Ja«, antwortete er, »Geoffrey hat etwas von gewissenhafter Erfüllung seines Versprechens oder etwas der Art gesagt.«

»Sind Sie dessen gewiß?«

»Ganz gewiß!«

Sir Patrick machte eine weitere Notiz und fragte dann: »War der Brief unterzeichnet?«

»Ja.«

»Und datirt?«

»Ja«

Nach diesen drei bejahenden Antworten strengte Arnold sein Gedächtniß nochmals an. »Warten Sie einen Augenblick, ich erinnere mich noch eines Umstandes; der Brief war nicht nur datirt, sondern auch die Tageszeit war darin angegeben.«

»Wie kam das?«

»Ich rieth Geoffrey dazu. Der Brief war so kurz, daß ich mich schämte, ihn so abzugeben, ich rieth ihm daher, die Tageszeit anzugeben, um Miß Silvester dadurch zu beweisen, wie eilig er sei. Er schrieb die Abgangszeit des Zuges und ich glaube auch die Tageszeit, zu der er den Brief schrieb.«

»Und Sie haben diesen Brief an Miß Silvester im Gasthofe abgegeben, sobald Sie sie sahen?«

»Jawohl.«

Sir Patrick machte eine dritte Notiz und schob das Papier dann höchst befriedigt bei Seite. »Ich hatte immer die Idee, daß dieser verlorne Brief ein wichtiges Document sein müsse«, sagte er, »sonst hätte Bishopriggs ihn nicht gestohlen; wir müssen uns um jeden Preis in den Besitz desselben setzen. Das erste, was wir zu thun haben, ist, glaube ich, an den Glasgower Advocaten zu schreiben und den gegenwärtigen Aufenthalt Miß Silvester’s ausfindig zu machen.«

»Wartet einen Augenblick«, rief eine Stimme von der Veranda her, »vergeßt nicht, daß ich von Baden hergekommen bin, Euch zu helfen.«

Sir Patrick und Arnold sahen Beide auf. Dieses Mal hatte Blanche die letzten zwischen ihnen gewechselten Worte gehört. Sie setzte sich neben Sir Patrick an den Tisch und legte ihre Hand liebkosend auf seine Schulter. »Du hast ganz Recht, Onkel»sagte sie, »ich leide diesen Morgen an der Krankheit des Nichtsthuns. Solltest Du an Anne schreiben wollen, thue es nicht, laß mich statt Deiner schreiben.«

Sir Patrick weigerte sich, ihr die Feder abzutreten. »Die Person«, sagte er, »welche die Adresse Miß Silvester’s kennt, ist ein Advocat in Glasgow, ich schreibe an den Advocaten; wenn er uns mitgetheilt haben wird, wo sie ist, dann, liebe Blanche, wird die Zeit gekommen sein, von Deinen guten Diensten Gebrauch zu machen, um Dir Deine Freundin wieder zu gewinnen.« Er zog das Schreibmaterial noch einmal zu sich heran und begann, indem er Arnold’s Verhör für den Augenblick sistirte, seinen Brief an Mr. Crum.

Blanche bat dringend um eine Beschäftigung. »Kann mir denn Niemand etwas zu thun geben?« fragte sie. »Glasgow ist so weit weg und warten ist so langweilig. Arnold, sitz’ nicht so da und starre mich an, kannst Du denn gar nichts vorschlagen?«

Dieses Mal hatte Arnold ganz unerwarteter Weise eine Abhülfe für Blanches Leiden bei der Hand. »Wenn Du durchaus schreiben willst«, sagte er, »Du bist ja Lady Lundie einen Brief schuldig; vor drei Tagen hast Du einen langen Brief von ihr gehabt und hast noch nicht geantwortet.«

Sir Patrick hielt inne und blickte rasch von seinem Schreibpult auf. »Lady Lundie?« murmelte er fragend.

»Ja«, erwiderte Blanche, »Du hast ganz recht, ich bin ihr einen Brief schuldig und natürlich muß ich ihr sagen, daß wir wieder in England sind. Sie wird nicht wenig aufgebracht sein, wenn sie den Grund unserer Rückkehr erfährt.« Die Aussicht, Lady Lundie in Aufregung zu bringen, schien Blanche’s schlummernde Energie zu wecken. Sie nahm ein Blatt von dem Briefpapier ihres Onkels und fing auf der Stelle an, an Lady Lundie zu schreiben.

Sir Patrick vollendete seinen Brief an den Advokaten, nachdem er Blanche einen Blick zugeworfen hatte, der nichts weniger als Zufriedenheit mit ihrer augenblicklichen Beschäftigung ausdrückte. Als er dann seinen Brief geschlossen und in den Postbeutel gesteckt hatte, gab er Arnold einen Wink, ihm in den Garten zu folgen. Sie gingen zusammen hinaus und ließen Blanche, in den Brief an ihre Stiefmutter vertieft, allein zurück.

»Thut meine Frau da etwas Unrechtes?« fragte Arnold, dem der Blick, welchen Sir Patrick Blanche zugeworfen hatte, nicht entgangen war.

»Ihre Frau ist da beschäftigt, so rasch wie ihre kleinen Finger nur von der Stelle wollen, Unheil anzurichten«

Arnold starrte ihn an. »Sie muß aber doch Lady Lundie’s Brief beantworten«, bemerkte er.

»Unstreitig!«

»Und muß doch Lady Lundie sagen, daß wir in England sind?«

»Auch das bestreite ich nicht!«

»Was haben Sie denn gegen ihr Schreiben?«

Sir Patrick nahm eine Prise und deutete mit seinem elfenbeinernen Stock auf die Biene, die geschäftig im Sonnenschein des Herbstmorgens die Blumenbeete umsummte. »Ich will Ihnen sagen, was ich dagegen habe«, sagte er. »Nehmen Sie an, Blanche erklärte einem zudringlichen Insect, daß der Honig in diesen Blumen durch einen Zufall ganz plötzlich sein Ende erreicht habe. Glauben Sie, daß das Insect dieser Angabe Glauben schenken würde? Nein, es würde sich kopfüber in die nächste Blume stürzen und selbst nachforschen.«

»Nun»?« fragte Arnold.

»Da sitzt Blanche im Frühstückszimmer und erzählt Lady Lundie, daß die Hochzeitsreise in Folge eines unerwarteten Umstandes ihr Ende erreicht hat. Glauben Sie, daß Lady Lundie die Person ist, dieser Angabe Glauben zu schenken? Durchaus nicht! Lady Lundie wird, wie die Biene, sich nicht davon abbringen lassen, selbst nachzuforschen Wie die Sache enden wird, wenn sie die Wahrheit entdeckt und welche Verwickelungen sie noch in eine Angelegenheit bringen kann, die, Gott weiß es, schon verwickelt genug ist, das überlasse ich Ihrer eigenen Phantasie sich auszumalen meine schwache Seherkraft reicht nicht aus, es vorher zu sagen.«

Noch ehe Arnold eine Antwort geben konnte, trat Blanche aus dem Frühstückszimmer wieder zu ihnen. »Ich bin fertig«, sagte sie, »es war ein unangenehmer Brief und ich bin froh, ihn geschrieben zu haben.«

»Du bist fertig mit dem Brief«, bemerkte Sir Patrick, »und das mag Dir angenehm sein, die Sache ist aber damit noch keineswegs zu Ende ——«

»Was meinst Du damit?«

»Ich glaube, Blanche, daß wir mit umgehender Post von Deiner Stiefmutter hören werden.«


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