Mann und Weib



Zweiundfünfzigstes Kapitel - Der Beweis

Sir Patrick Lundie und Anne Silvester befanden sich allein im anstoßenden Zimmer. Sir Patrick zog aus der Brusttasche seines Rocks das Blatt Briefpapier, welches Anne’s Brief und Geoffrey’s Antwort enthielt. Mit zitternder Hand hielt er es, mit zitternder Stimme sagte er:

»Ich habe Alles gethan, was ich thun konnte. Ich habe nichts unversucht gelassen, der Nothwendigkeit vorzubeugen, dieses Blatt Papier produciren zu müssen.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Güte, Sir Patrick, aber Sie müssen es jetzt produciren.«

Die Ruhe mit der Anne diese Worte sprach, bildete einen merkwürdigen und ergreifenden Contrast gegen die Aufregung des alten Herrn.

Mit fester Stimme und ohne das leiseste Zeichen eines Bedenkens im Ausdruck ihres Gesichts, gab sie diese Antwort. Er ergriff ihre Hand. Zweimal versuchte er es, zu reden, aber beide Male übermannte ihn seine Aufregung. Schweigend bot er ihr den Brief an. Schweigend wies sie denselben zurück, ohne zu wissen, was er meine.

»Nehmen Sie den Brief wieder zu sich,« sagte er. »Ich kann ihn nicht produciren! Ich darf es nicht! Nach dem, was ich im Nebenzimmer mit meinen eigenen Augen gesehen und mit meinen eigenen Ohren gehört habe, darf ich, so wahr mir Gott helfe, nicht von Ihnen verlangen, daß Sie sich für Geoffrey Delamayn’s Weib erklären!«

Ihre ganze Antwort bestand in einem einzigen Worte: »Blanche!«

»Er schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Selbst nicht in Blanche’s Interesse! Selbst nicht um Blanche’s willen! Wenn eine Gefahr damit verbunden ist, so bin ich bereit, sie zu laufen. Ich beharre bei meiner persönlichen Ansicht. Ich halte meine Auffassung der Sache für die richtige. Mag es zu einer gerichtlichen Verhandlung kommen! Ich will selbst den Prozeß führen und will ihn gewinnen.«

»Sind Sie sicher, ihn zu gewinnen, Sir Patrick?«

Statt ihr zu antworten, suchte er ihr auf’s Neue den Brief aufzudrängen.«

»Vernichten Sie den Brief« flüsterte er, »und verlassen Sie sich darauf, daß ich schweigen werde.«

Sie nahm ihm den Brief ab.

»Vernichten Sie ihn«, wiederholte er. »Jeden Augenblick kann die Thür geöffnet werden, können die Drinnensitzenden den Brief in Ihrer Hand sehen.«

»Bevor ich ihn vernichte, muß ich Sie etwas fragen, Sir Patrick. Blanche weigert sich, zu ihrem Gatten zurückzukehren, so lange sie nicht mit der vollen Gewißheit, wirklich seine rechtmäßige Frau zu sein, zu ihm zurückkehren kann. Wenn ich diesen Brief producire, so kann sie sich noch heute wieder mit ihm vereinigen. Wenn ich mich für Geoffrey Delamayn’s Frau erkläre, so reinige ich Arnold Brinkworth sofort und für immer von jedem Verdacht, mit mir verheirathet zu sein. Können Sie ihn auf irgend eine andere Weise eben so sicher und wirksam von diesem Verdachte reinigen? Beantworten Sie mir diese Frage als Mann von Ehre, der einem Weibe gegenüber steht, das volles Vertrauen zu ihm hat!«

Sie sah ihm scharf ins Gesicht. Er senkte die Augen vor ihren Blicken und schwieg.

»Sie haben mir geantwortet«, sagte sie. Mit diesen Worten schritt sie an ihm vorüber und legte die Hand auf den Thürgriff. Er hielt sie zurück. Mit Thränen in den Augen zog er sie sanft an sich.

»Warum sollen wir noch länger warten?« fragte sie.

»Warten Sie noch, mir zu Liebe«, antwortete er.

Sie setzte sich ruhig auf den nächst stehenden Sessel und stützte den Kopf nachdenklich auf die Hand.

Er beugte sich über sie und suchte sie ungeduldig, fast zornig, aus ihrer Träumerei zu reißen. Die feste Entschlossenheit in dem Ausdruck ihres Gesichts war ihm entsetzlich, wenn er an den Mann in dem anstoßenden Zimmer dachte.

»Lassen Sie sich Zeit zur Ueberlegung«, bat er. »Lassen Sie sich nicht von Ihrem ersten Impuls hinreißen. Handeln Sie nicht in einer Aufregung, die Sie mißleiten kann. Nichts zwingt Sie zu diesem schrecklichen Selbstopfer.«

»Aufregung! Opfer!« wiederholte sie mit traurigem Lächeln. »Wissen Sie, Sir Patrick, woran ich eben dachte? An alte Zeiten, an die Tage meiner Kindheit. Ich habe das Leben früher als die meisten Kinder von seiner trüben Seite kennen gelernt. Meine Mutter wurde von ihrem Gatten grausam verlassen. Die harten Ehegesetze dieses Landes trafen sie noch härter als mich. Sie starb an gebrochenem Herzen. Aber eine Freundin stand ihr in ihrem letzten Augenblick tröstend zur Seite und versprach ihr, ihrem Kinde eine Mutter zu sein. Ich erinnere mich keines einzigen unglücklichen Tages während der ganzen Zeit, die ich dann bei dieser treuen Freundin und ihrer kleinen Tochter verlebte, bis zu dem Tage, der uns trennte. Sie reiste mit ihrem Gatten fort und ließ mich und ihre kleine Tochter zurück. Die letzten Worte, die sie vor ihrer Abreise sprach, waren an mich gerichtet. Ihr Herz war ihr schwer von Todesahnungen. »Ich versprach Deiner Mutter«, sagte sie, »Dich wie mein eigenes Kind zu halten, und das beruhigte sie. Beruhige Du nun auch mich, Anne, bevor ich abreise. Was auch die Zukunft bringen möge, versprich mir, immer zu bleiben, was Du jetzt bist, eine Schwester für Blanche.« Können Sie das Verweilen bei solchen alten Erinnerungen eine mißleitende Aufregung nennen, Sir Patrick? Und wie kann irgend etwas, was ich für Blanche thue, ein Opfer sein?«

Sie stand auf und reichte ihm die Hand. Sir Patrick ergriff dieselbe und führte sie schweigend an die Lippen.

»Kommen Sie!« sagte sie. »Um unser Beider willen, lassen Sie uns nicht länger hier bleiben.«

Er wandte sein Gesicht ab. Es war nicht der Augenblick, sie merken zu lassen, daß sie seine Mannheit vollständig erschüttert hatte. Sie wartete auf ihn, die Hand auf dem Thürgriff. Er raffte sich wieder auf und zwang sich, der grauenvollen Situation ruhig in’s Gesicht zu sehen. Sie öffnete die Thür und trat ihm voran wieder in das andere Zimmer.

Tiefes Schweigen herrschte im Zimmer, als Sir Patrick und Anne wieder auf ihre Plätze zurückkehrten. Das Geräusch eines auf der Straße vorüberfahrenden Wagens machte sich peinlich vernehmbar. Bei dem zufälligen Auf- und Zugehen einer Thür im Hause fuhren Alle zusammen. Anne’s sanfte Stimme unterbrach die unheimliche Stille.

»Muß ich selbst für mich das Wort ergreifen, Sir Patrick? Oder wollen Sie, daß ich Sie als eine letzte und größte Gunst darum ersuche, für mich zu reden?«

»Bestehen Sie darauf, sich auf den Brief, den Sie in Händen haben, zu berufen?«

»Ich bin entschlossen, mich darauf zu berufen.«

»Kann Sie nichts bewegen, den Schluß dieser Untersuchung, soweit Sie dabei betheiligt sind, um vierundzwanzig Stunden zu verschieben?«

»Sie oder ich, Sir Patrick, einer von uns Beiden muß, ehe wir dieses Zimmer verlassen sagen und thun, was gesagt und gethan werden muß.«

»Dann geben Sie mir gefälligst den Brief.«

»Sie reichte ihm denselben. Mr. Moy flüsterte seinem Clienten zu: »Wissen Sie etwas von diesem Brief?« Geoffrey schüttelte den Kopf. »Erinnern Sie sich desselben wirklich gar nicht?« Geoffrey’s ganze Antwort bestand in dem einen verdrossen hingeworfenen Wort: »Nein!«

Sir Patrick wandte sich nun an die ganze Versammlung mit den Worten: »Ich habe Sie um Verzeihung dafür zu bitten, daß ich so plötzlich das Zimmer verlassen und Miß Silvester veranlaßt habe, mir zu folgen. Alle Anwesenden, mit Ausnahme dieses Mannes« —— dabei deutete er auf Geoffrey —— »werden mir, glaub’ ich, verzeihen und mich verstehen, wenn ich jetzt nothgedrungen mein auffallendes Benehmen auf das Bündigste und Erschöpfendste erklären werde. Ich werde diese Erklärung aus Gründen, die sich alsbald offenbaren werden, an meine Nichte richten.«

Blanche fuhr zusammen. »An mich!« rief sie aus.

»An Dich«, antwortete Sir Patrick.

Blanche richtete ihren Blick im Vorgefühle einer wichtigen Enthüllung auf Arnold. Der Brief, den sie unmittelbar, nachdem sie Ham-Farm verlassen, von Arnold erhalten, hatte nothwendiger Weise Anspielungen auf ein zwischen Geoffrey und Anne bestehendes Verhältniß enthalten müssen, von welchem Blanche bis dahin nichts gewußt hatte. Sollte jetzt vielleicht auf dieses Verhältnis; Bezug genommen werden? Stand noch eine Enthüllung bevor, auf welche sie Arnold’s Brief noch nicht vorbereitet hatte?

Sie Patrick fuhr gegen Blanche gerichtet fort: »Vorhin habe ich Dir vorgeschlagen Dich wieder unter den Schutz Deines Gatten zu begeben und mir die Erledigung dieser Angelegenheiten zu überlassen. Du hast Dich geweigert, zu ihm zurückzukehren, wenn Du nicht zuvor die volle Gewißheit erlangt haben werdest, daß Du seine rechtmäßige Frau seiest. Dank einem von Miß Silvester Deinem Interesse und Deinem Glück gebrachten Opfer, —— von welchem ich, wie ich Dir offen bekenne, sie, soviel in meiner Macht stand, zurückzuhalten versucht habe, —— befinde ich mich in der Lage, den positiven Beweis zu erbringen, daß Arnold Brinkworth ein unverheiratheter Mann war, als er Dich auf meinem Landsitz in Kent heirathete.

Die Erfahrungen des Mr. Moy ließen ihn vorhersehen, was jetzt folgen werde. Er deutete auf den Brief in Sir Patricks Hand.

»Sind Sie gemeint, ein Heirathsversprechen geltend zu machen?« fragte er.

Sir Patricks Antwort bestand in einer seinerseits an Mr. Moy gerichteten Frage.

»Erinnern Sie sich der berühmten Entscheidung des Gerichtshofes von Doctor Commons, welche die Gültigkeit der Ehe zwischen Capitain Dalrymple und Miß Gordon feststellte?«

Mr. Moy genügte diese Antwort. »Ich verstehe Sie, Sir Patrick,« sagte er, —— »und,« fuhr er nach einer kurzen Pause gegen Anne gewendet fort, »und Ihnen, verehrte Frau, kann ich es mir nicht versagen, meine höchste Achtung zu bezeugen.« Er sprach diese Worte in einem so aufrichtig von Herzen kommenden Ton, daß das Interesse der übrigen Anwesenden, die noch nicht klar in der Sache sahen, auf das Höchste gespannt wurde. Lady Lundie und Capitain Newenden flüsterten in großer Aufregung mit einander. Arnold wurde bleich. Blanche brach in Thränen aus.

Sir Patrick wandte sich wieder an seine Nichte mit den Worten: »Vor Kurzem hatte ich Veranlassung, mit Dir von der scandalösen Unsicherheit der schottischen Ehegesetze zu sprechen. Wenn diese in allen andern civilisirten Ländern Europas unerhörte Unsicherheit nicht existirte, würde Arnold Brinkworth niemals in die Lage gerathen sein, in der er sich gegenwärtig befindet, und würden unsere gegenwärtigen Verhandlungen niemals stattgefunden haben. Bleibe dieser Thatsache wohl eingedenk. Dieselbe ist nicht nur für das bereits angerichtete Unheil, sondern auch für die noch viel schlimmeren Dinge verantwortlich, die uns noch bevorstehen.«

Mr. Moy machte sich eine Notiz. Sir Patrick fuhr fort: »So unsicher und unzuverlässig aber auch das schottische Recht ist, so giebt es doch einen Fall, in welchem die Auslegung der schottischen Gesetze durch die englischen Gerichte übereinstimmend festgestellt worden ist. Ein schriftliches, zwischen einem Mann und einem Weibe in Schottland ausgetauschtes Heirathsversprechen begründet nach schottischen Rechte eine gültige Ehe zwischen den betreffenden Personen. Ein englischer Gerichtshof hat in seinem Erkenntniß über den eben von mir gegen Mr. Moy erwähnten Fall diese Bestimmung des schottischen Rechts für unzweifelhaft erklärt, und diese Entscheidung ist seitdem von der höchsten Instanz, dem Oberhause, bestätigt worden. In allen Fällen, wo in Schottland wohnende Personen sich schriftlich die Ehe versprochen haben, ist die Gültigkeit der zwischen ihnen bestehenden Ehe daher jetzt nicht mehr zweifelhaft. Solche Personen sind nach dein Gesetz gewiß und wahrhaftig Mann und Weib.« Gegen Mr. Moy gewandt, fragte er: »Habe ich Recht?«

»Vollkommen Recht, Sir Patrick, was die von Ihnen angeführten Thatsachen anlangt. Ich muß jedoch bekennen, daß Ihre zu denselben gemachten Bemerkungen mich überraschen. Ich habe die höchste Meinung von unserem schottischen Eherecht. Ein Mann, der ein Frauenzimmer durch ein Heirathsversprechen verführt that, ist nach diesem Rechte im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit genöthigt, dieses Frauenzimmer als seine Ehefrau anzuerkennen!«

»Die hier Anwesenden«, erwiderte Sir Patrick, »werden sogleich in der Lage sein, den moralischen Werth des schottischen von England anerkannten Rechts an einem bestimmten Fall zu ermessen. Sie werden selbst die Bedeutung einer —— schottischen oder englischen —— Sittlichkeit beurtheilen können, welche erst ein verlassenes Weib dem Schurken, der sie verführt hat, wieder aufdrängt und dann dieses Weib die Folgen eines gesetzlichen Zwanges tragen läßt.«

Bei diesen Worten wandte er sich gegen Anne und zeigte ihr den Brief, den er offen in der Hand hielt. »Zum letzten Mal frage ich, bestehen Sie darauf, daß ich mich auf dieses Schriftstück berufe?«

Sie stand auf und machte eine feierlich bejahende Kopfbewegung.

Darauf sprach Sir Patrick: »Es ist meine traurige Pflicht, in dem Namen dieser Dame zu erklären, daß sie auf Grund von zwischen den seiner Zeit in Schottland wohnenden Betheiligten ausgetauschten Eheversprechen, den Anspruch erhebt, seit dem Nachmittage des vierzehnten August dieses Jahres die Ehefrau des Mr. Geoffrey Delamayn zu sein.«

Ein Schrei des Entsetzens aus dem Munde Blanche’s und ein leises verworrenes, ängstliches Gemurmel aller Uebrigen folgte diesen Worten Sir Patrick’s. Es entstand eine Pause. Darauf stand Geoffrey langsam auf und heftete seine Blicke auf das Weib, das diesen Anspruch gegen ihn geltend machte. Die Zuschauer dieser schrecklichen Scene richteten ihre Blicke alle auf das unglückliche Weib. Allen war der Blick, den er ihr vorhin zugeworfen, und die Worte, die er an sie gerichtet hatte, noch in frischem Gedächtniß. Sie stand ruhig abwartend neben Sir Patrick, während ihre sanften grauen Augen mit traurigen zärtlichen Blicken auf Blanche ruhten. Diesem unvergleichlichen, entsagenden Muth gegenüber mochten die Anwesenden sich fragen, ob sie wirklich noch kurz zuvor die Zeugen jenes schrecklichen Auftritts gewesen seien. Sie mußten den Mann wieder ansehen, um sich zu überzeugen, daß sie nicht geträumt hatten. Der Triumph des Gesetzes und der Sittlichkeit über ihn war vollkommen. Schweigend stand er da. Sein leidenschaftliches Temperament schien unheimlich in Schranken gehalten zu werden. Mit dem teuflischen Ausdruck einer unbarmherzigen Rache auf seinem Gesicht heftete er seine Blicke fest auf das verhaßte Weib, das er zu Grunde gerichtet hatte, auf das verhaßte Weib, das ihm nun als seine Ehefrau aufgedrängt wurde.

Sein Advocat trat an den Tisch, an welchem Sir Patrick saß; dieser reichte ihm den Briefbogen. Mr. Moy las die beiden in demselben enthaltenen Briefe bedächtig mit gespanntester Aufmerksamkeit durch. Die Augenblicke, die so vergingen, bis er seine Augen wieder von dem Blatt Papier erhob, erschienen den Anwesenden wie Stunden. »Können Sie die Identität der Handschriften und die Thatsache des Aufenthalts in Schottland beweisen?« fragte er.

Sir Patrick nahm ein zweites vor ihm liegendes Stück Papier zur Hand.

»Hier stehen die Namen der Personen, welche die Identität der Handschriften und die Thatsache des Aufenthalts beweisen können«, er widerte er. »Einer von Ihren beiden unten wartenden und sonst überflüssigen Zeugen kann die Stunde, zu welcher Mr. Brinkworth in dem Gasthof eintraf, genau angeben, und kann so beweisen, daß die Dame, nach welcher Mr. Brinkworth fragte, zu jener Stunde bereits Mrs. Geoffrey Delamayn war. Die Notiz auf dem Rücken des Briefbogens, die sich gleichfalls auf die Zeitfrage bezieht, rührt von der Hand eben desselben Zeugen her, wie Sie sich vergewissern können, wenn Sie ihn gefälligst darüber befragen wollen.«

»Ich werde der Form wegen die von Ihnen angegebenen Zeugen vernehmen, Sir Patrick. Inzwischen fühle ich mich, ohne nutzloser und vexatorischer Weise einen Aufschub in Anspruch zu nehmen, zu der Erklärung verpflichtet, daß ich mich der Evidenz des Beweises einer wirklich stattgehabten Ehe nicht verschließen kann.«

Nach dieser Antwort wandte er sich mit dem unverkennbaren Ausdruck der Hochachtung und der Sympathie an Anne.

»Sie erheben«, fragte er, »auf Grund des schriftlichen in Schottland zwischen Ihnen ausgetauschten Eheversprechens den Anspruch, die Ehefrau des Mr. Geoffrey Delamayn zu sein?«

Sie wiederholte mit festem Ton seine Worte: »Ich erhebe den Anspruch, die Ehefrau des Mr. Geoffrey Delamayn zu sein.«

Mr. Moy wandte sich an seinen Clienten. Endlich brach dieser sein Schweigen. »Ist die Sache in Ordnung?« fragte er.

»Vollkommen!«

»Hat das schottische Gesetz«, fuhr er, den Blick noch immer fest auf Anne gerichtet, fort, »sie zu meiner Frau gemacht?«

»Das schottische Gesetz hat sie zu Ihrer Frau gemacht.«

Geoffrey that eine dritte und letzte Frage: »Heißt das Gesetz sie ihrem Manne überall hin folgen?«

»Ja.«

Er lachte roh in sich hinein und winkte sie zu sich heran.

Sie gehorchte. Bei dem ersten Schritt, mit dem sie sich näherte, ergriff Sir Patrick ihre Hand und flüsterte ihr zu: »Verlassen Sie sich auf mich.« Sie drückte seine Hand sanft, zum Zeichen, daß sie ihn verstanden hatte und trat auf Geoffrey zu.

In demselben Augenblick stürzte sich Blanche zwischen und schloß Anne stürmisch in ihre Arme. »O Anne, Anne!« ein Strom von Thränen erstickte ihre Stimme.

Anne machte sich sanft von ihrer Umarmung los, hob sanft den Kopf, der hülflos an ihrer Brust lehnte, empor und sagte: »Es werden noch glücklichere Tage kommen, theure Blanche; denke nicht an mich!« Sie küßte sie, sah sie an, küßte sie wieder und legte sie ihrem Gatten in die Arme.

Arnold erinnerte sich ihrer Abschiedsworte in Craig-Fernie, als sie sich einander gute Nacht gewünscht hatten. »Sie haben sich keine Undankbare zur Freundin gemacht, vielleicht kommt noch einmal der Tag, wo ich es werde beweisen können«. —— Dankbarkeit und Bewunderung rangen in ihm miteinander, welche von beiden sich zuerst kundgeben sollte, und machten ihn sprachlos.

Sanft senkte sie den Kopf, zum Zeichen daß sie ihn verstanden, dann ging sie weiter, bis sie dicht vor Geoffrey, stand. »Hier bin ich!« sagte sie, »was soll ich thun?«

Ein widerwärtiges Lächeln umspielte seine Lippen. Er reichte ihr seinen Arm. »Mrs. Geoffrey Delamayn«, sagte er, »kommen Sie mit mir nach Hause.«

Das Bild des einsamen, hinter hohen Mauern gelegenen Hauses, die einer üblen Vorbedeutung gleichende Gestalt des stummen Weibes mit dem steinernen Blicke und den wilden Geberden, die ganze Scene, wie Anne sie erst am Tage vorher geschildert hatte, stieg vor Sir Patricks innerem Auge lebendig auf. »Nein« rief er, hingerissen von dem edlen Impuls des Moments, »es soll nicht sein!«

Geoffrey stand unbeweglich da, mit seinem dargereichten Arm wartend.

Blaß und entschlossen erhob Anne ihren edlen Kopf, raffte den Muth, der sie einen Augenblick zu verlassen gedroht hatte, zusammen und ergriff den Arm. Er führte sie an die Thür.

»Lassen Sie Blanche nichts für mich fürchten«, sagte sie einfach zu Arnold, als sie an ihr vorübergingen. Dann kamen sie an Sir Patrick vorüber. Noch einmal ließ ihn seine Sympathie für sie über jede andere Rücksicht hinwegsetzen. Er sprang auf, um Geoffrey den Weg zu versperren.

Geoffrey hielt inne und sah zum ersten Male Sir Patrick in’s Gesicht. »Das Gesetz heißt sie ihrem Gatten folgen«, sagte er, »das Gesetz verbietet Ihnen, Mann und Weib zu trennen.«

Wahr, vollkommen und unleugbar wahr. Das Gesetz sanctionirte die Aufopferung Anne’s in derselben unverantwortlichen Weise, wie es die Aufopferung ihrer Mutter vor ihr sanctionirt hatte. —— So führte er sie denn heim im Namen der Sittlichkeit, im Interesse der Tugend. Mag sie sehen, wie sie mit ihm fertig wird!

Ihr Gatte öffnete die Thür. Mr. Moy legte die Hand auf Sir Patrick’s Arm; Lady Lundie, Capitain Newenden und der Londoner Advocat, Alle verließen sie dieses eine Mal, von demselben Interesse beseelt, in derselben gespannten Erwartung ihre Plätze. Arnold folgte ihnen, indem er seine Frau stützte.

Einen Augenblick sah Anne nach ihnen Allen zurück; dann überschritten sie und ihr Mann die Schwelle und stiegen zusammen die Treppe hinab. Man hörte das Oeffnen und Schließen der Hausthür. Sie waren fort.

Das war in einem Zeitalter des Fortschritts, unter der vollkommensten Regierung der Welt, im Namen der Sittlichkeit, im Interesse der Tugend geschehen.


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