Mann und Weib



Holchester-House

Dreiundfünfzigstes Kapitel - Die letzte Chance

»Seine Lordschaft sind gefährlich krank Sir, Lady Holchester kann keinen Besuch empfangen.«

»Seien Sie so gut, Lady Holchester diese Karte zu bringen. Es ist durchaus nothwendig, daß Ihre Herrin im Interesse ihres jüngeren Sohnes von Etwas Kenntniß erhalte, was ich nur Lady Holchester persönlich mittheilen kann.«

Die beiden so mit einander Redenden waren der Kellermeister Lord Holchester’s und Sir Patrick Lundie.

Kaum eine halbe Stunde seit dem Schluß der Verhandlung in Portland Place war vergangen. Der Diener zögerte noch, die Karte in der Hand.

»Ich riskire meine Stellung«, sagte er, »wenn ich es thue.«

»Ich sage Ihnen«, erwiderte Sir Patrick, »Sie verlieren ganz sicher Ihre Stellung, wenn Sie es nicht thun. Ich warne Sie, es handelt sich hier um eine zu wichtige Angelegenheit, als daß damit zu spaßen wäre.«

Der Ton, in dem Sir Patrick diese Worte sagte, übte seine Wirkung. Der Diener ging mit seiner Botschaft hinauf.

Sir Patrick lehnte es ab, sich in eines der Empfangszimmer führen zu lassen, weil ihm selbst dieser kurze Verzug unerträglich schien, und wartete in der Vorhalle.

Anne’s Glück war schon hoffnungslos geopfert, die Erhaltung ihrer persönlichen Sicherheit, welche Sir Patrick in ernster Gefahr glaubte, war der einzige Dienst, den ihr zu leisten ihm noch möglich war. Die gefährliche Stellung, in der sie sich ihrem Gatten gegenüber als ein nicht zu beseitigendes Hindernis; zwischen Geoffrey und Mrs. Glenarm befand, war nicht zu verbessern, aber es war noch möglich Schritte zu thun um es zu verhindern, daß sie die unschuldige Ursache von Geoffreys pecuniären Ruin dadurch würde, daß sie einer Aussöhnung zwischen Vater und Sohn im Wege stände. Entschlossen kein Mittel unversucht zu lassen, um Anne’s Interessen zu dienen, hatte Sir Patrick Arnold und Blanche allein nach seinem Hause in London gehen lassen, und hatte sich nicht einmal soviel Zeit gelassen, um irgend einer der Personen, die an der Untersuchung Theil genommen hatten, Lebewohl zu sagen. »Ihr Leben kann von dem abhängen, was ich vielleicht für sie in Holchester House thun kann.«

Mit dieser Ueberzeugung hatte Sir Patrick Portland-Place verlassen und mit dieser Ueberzeugung hatte er seine Botschaft zu Lady Holchester hinauf geschickt, auf die er jetzt die Antwort erwartete.

Der Diener erschien wieder auf der Treppe. Sir Patrick ging ihm entgegen.

»Lady Holchester will Sie auf einige Augenblicke sprechen.«

Die Thür eines Zimmers im obern Stock öffnete sich und Sir Patrick befand sich Geoffrey’s Mutter gegenüber. Er hatte kaum Zeit zu bemerken, daß sie noch Spuren einer seltenen Schönheit trug und daß sie ihn mit einer Anmuth und Höftichkeit empfing, welche unter den obwaltenden Umständen eine große Achtung für seine Stellung bekundete.

»Sie haben mir im Betreff meines zweiten Sohnes etwas mitzutheilen Sir Patrick: ich bin in großer Betrübniß. Wenn Sie mir schlimme Nachrichten zu bringen haben, so muß ich sehen, wie ich sie ertrage. Darf ich Sie bitten, mich nicht lange in Ungewißheit zu erhalten?«

»Meine Zudringlichkeit wird Ihnen vielleicht weniger peinlich werden, Lady Holchester«, erwiderte Sir Patrick, »wenn Sie mir gestatten wollen mit einer Frage zu beginnen. Haben Sie von irgend einem Hinderniß der beabsichtigten Heirath zwischen Mr. Geoffrey und Mrs. Glenarm gehört?«

Selbst diese entfernte Anspielung auf die Person Anne’s brachte sofort in Lady Holchester’s Wesen eine nichts Gutes verkündende Aenderung hervor.

»Ich habe von dem Hinderniß auf welches Sie anspielen, gehört«, sagte sie, »Mrs. Glenarm ist meine intime Freundin, sie hat mir mitgetheilt, daß eine Person mit Namen Silvester, eine unverschämte Abenteurerin . . .«

»Ich bitte um Verzeihung, Lady Holchester, Sie thun dem edelsten Weibe, das ich je gekannt habe, ein grausames Unrecht.«

»Es steht mir nicht zu, Sir Patrick, die Gründe Ihrer Bewunderung näher zu untersuchen; ihr Benehmen gegen meinen Sohn ist, —— ich wiederhole das Gesagte —— das Benehmen einer unverschämten Abenteurerin gewesen.«

Diese Worte überzeugten Sir Patrick, daß es ein ganz hoffnungsloses Beginnen sein würde, das Vorurtheil Lady Holchester’s gegen Anne zu bekämpfen. Er entschloß sich daher sofort die Thatsachen mitzutheilen.

»Ich bitte Sie dringend, nichts weiter zu sagen«, erwiderte er, »Sie reden von der Frau Ihres Sohnes, Lady Holchester!«

»Mein Sohn hat Miß Silvester geheirathet?«

»Ja.«

Sie wurde todtenbleich. Einen Augenblick schien es, als ob dieser Schlag sie vollkommen überwältigt habe, aber die Schwäche der Mutter behauptete nur einen Augenblick die Oberhand. Noch bevor Sir Patrick weiter reden konnte, hatte diese Schwäche der tugendhaften Entrüstung der großen Dame weichen müssen. Sie erhob sich, um der Zusammenkunft ein Ende zu machen. »Ich vermuthe«, sagte sie, daß der Zweck Ihres Besuchs erreicht ist.«

Sir Patrick seinerseits stand gleichfalls auf, entschlossen, die Pflicht, die ihn hergeführt hatte, ganz zu erfüllen. »Ich sehe mich zu meinem Bedauern genöthigt«, hob er wieder an, »Ihre Aufmerksamkeit noch für einige Augenblicke in Anspruch zu nehmen, Lady Holchester. Die Umstände, welche die Heirath Mr. Geoffrey Delamayn’s begleitet haben, sind von einer nicht gewöhnlichen Bedeutung. Ich bitte im Interesse seiner Familie um die Erlaubniß, Ihnen die Umstände kurz angeben zu dürfen.«

In wenigen klaren Worten erzählte er, was diesen Nachmittag in Portland Place vorgefallen war.

Lady Holchester hörte ihm mit der ruhigsten und kältesten Aufmerksamkeit zu. Soweit man nach äußeren Anzeichen urtheilen konnte, machte die Mittheilung durchaus keinen Eindruck auf sie.

»Sie erwarten doch nicht«, sagte sie, »daß ich mich der Interessen einer Person annehmen soll, welche meinen Sohn verhindert hat, die Dame seiner und meiner Wahl zu heirathen?«

»Mr. Geoffrey Delamayn, entgegnete Sir Patrick »hat unglücklicher Weise Grund, seiner Frau, —— wegen ihres unschuldigen Dazwischentretens bei Interessen die für ihn von großer Wichtigkeit sind, —— übel zu wollen. Ich bitte Sie, Lady Holchester wohl zu überlegen, ob es im Hinblick auf das künftige Benehmen Ihres Sohnes wünschenswerth sei, Zuzugeben, daß seine Frau sich in der zwiefach gefährlichen Stellung ihm gegenüber befinde, auch eine Ursache der Entfremdung zwischen seinem Vater und ihm selbst zu sein?«

Er hatte diese Frage mit der scrupulosesten Rücksicht gestellt, aber Lady Holchester verstand sehr wohl sowohl das, was er sich auszusprechen versagte, als das, was er wirklich gesagt hatte.

Bis jetzt hatte Lady Holchester gestanden, jetzt setzte sie sich nieder. Endlich schien Sir Patrick einen Eindruck auf sie hervorgebracht zu haben. —— »Bei dem kritischen Zustande von Lord Holchester’s Gesundheit«, erwiderte sie, »muß ich die Verantwortlichkeit ablehnen, ihm mitzutheilen was Sie mir soeben mitgetheilt haben. So lange ich irgend einen günstigen Erfolg davon hoffen konnte, bin ich unermüdlich zu Gunsten meines Sohnes thätig gewesen, jetzt aber ist die Zeit dieser Thätigkeit für mich vorüber. Lord Holchester hat diesen Morgen sein Testament abgeändert; ich bin noch nicht von dem unterrichtet, was er verfügt hat. Aber selbst wenn ich es wüßte . . .«

»Würden Sie«, schaltete Sir Patrick ein, »es natürlich ablehnen, Ihre Gründe einem Fremden mitzutheilen!«

»Gewiß! Gleichwohl finde ich mich, nach dem was Sie mir gesagt haben, nicht berechtigt, in dieser Angelegenheit allein zu entscheiden. Einer von Lord Holchester’s Executoren befindet sich augenblicklich hier im Hause. Es wird kein Bedenken haben, daß Sie ihn sprechen, wenn Sie es wünschen sollten. Ich autorisire Sie, ihm in meinem Namen zu sagen, daß ich es durchaus seiner Discretion überlasse, zu entscheiden, was geschehen solle.«

»Ich nehme Jhr Anerbieten dankbar an, Lady Holchester.«

Lady Holchester zog an der neben ihr befindlichen Klingel. »Bringen Sie Sir Patrick Lundie zu Mr. Marchwood!« sagte sie zu dem Diener.

Sir Patrick wurde stutzig, der Name war ihm als der eines Freundes bekannt »Mr. Marchwood aus Hoorbeck?« fragte er.

»Derselbe.« Mit dieser kurzen Antwort entließ Lady Holchester ihren Besuch.

Sir Patrick folgte dem Diener nach dem anderen Ende des Corridors und wurde hier in ein kleines Zimmer geführt, welches das Vorzimmer des Schlafgemachs bildete, in welchem Lord Holchester lag. Die Verbindungsthür war geschlossen; ein Herr saß schreibend an einem Tisch neben dem Fenster. Er stand auf und reichte mit dem Ausdruck der Ueberraschung dem Eintretenden die Hand, als der Diener Sir Patrick Lundie meldete. Der Aufstehende war Mr. Marchwood.

Nachdem die ersten Begrüßungen gewechselt waren, kam Sir Patrick ungeduldig wieder auf den Zweck seines Besuchs in Holchester House zurück. Von dem Augenblick an, wo er Anne’s Namen zum ersten Mal erwähnte, bemerkte er, daß Mr. Marchwood besonders aufmerksam auf das wurde, was er sagte.

»Kennen Sie die Dame zufällig?« fragte Sir Patrick.

»Ich kenne sie nur als die Ursache eines sehr merkwürdigen Vorganges, der diesen Morgen hier im Zimmer stattgefunden hat.« Er deutete auf Lord Holchester’s Schlafzimmer.

»Dürfen Sie mir diesen Vorgang mittheilen?«

»Kaum, selbst einem alten Freund gegenüber, wie Sie. Es wäre denn, daß es mir als eine Pflicht erscheinen sollte, die Umstände anzugeben. Bitte, fahren Sie in Ihren Mittheilungen fort. Sie waren im Begriff zu sagen, was Sie hierher geführt hat.«

Ohne ein weiteres»Wort der Einleitung theilte ihm Sir Patrick die Nachricht von Geoffrey’s Heirath mit Anne mit.

»Verheirathet?« rief Mr. Marchwood, »sind Sie dessen, was Sie sagen, gewiß?«

»Ich bin einer der Zeugen bei der Hochzeit gewesen.«

»Guter Gott! —— und Lord Holchesters Advocat ist fortgegangen!«

»Kann ich ihn ersetzen? Halten Sie sich nach dem von mir Ihnen Mitgetheilten nun vielleicht für berechtigt, mir zu sagen, was diesen Morgen im Nebenzimmer vorgefallen ist?«

»Ob ich mich für berechtigt halte? Sie haben mir gar keine Wahl gelassen; die Aerzte befürchten einstimmig einen tödtlichen Schlaganfall, Lord Holchester kann jeden Augenblick sterben, in der Abwesenheit des Advocaten muß ich die Sache über mich nehmen. Die Sache ist die: »Lord Holchester hat seinem Testamente im Betreff seines zweiten Sohnes Geoffrey Delamayn ein Codicill, angehängt, das er noch nicht unterzeichnet hat, ein Codicill, welches, wenn es zur Ausführung kommen sollte, ihn während seiner Lebenszeit sehr gut stellt.«

»Und was ist das Hinderniß der Ausführung desselben?«

»Die Dame, die Sie eben genannt haben!«

»Anne Silvester?««

»Anne Silvester! Jetzt, wie Sie sagen, Mrs. Geoffrey Delamayn —— Ich kann Ihnen die Sache nur sehr unvollständig erklären. Es knüpfen sich an sie oder an ein Mitglied ihrer Familie für Lord Holchester gewisse peinliche Erinnerungen. Wir können nur schließen, daß er im Beginn seiner Advocaten-Carriére etwas gethan hat, was sich zwar streng innerhalb der Grenzen seines Berufs hielt, was aber augenscheinlich zu traurigen Folgen geführt hat. Vor einigen Tagen hörte er unglücklicherweise von Mrs. Glenarm oder von Mr. Julius Delamayn von dem Erscheinen Miß Silvester’s in Swanhaven Lodge. Im ersten Augenblick entfuhr ihm keine Bemerkung über diesen Gegenstand, erst diesen Morgen, als das Codicill, welches das Vermächtniß für Geoffrey enthielt, unterzeichnet werden sollte, zeigte sich der Eindruck, den jene Mittheilung auf ihn gemacht hatte; zu unserm Erstaunen weigerte er sich das Codicill zu unterzeichnen.«

»Schaffen Sie mir Anne Silvester«, lautete die einzige Antwort, die wir von ihm erlangen konnten, und bringen Sie sie an mein Bett.«

»Sie sagen Alle, mein Sohn habe sich nichts gegen sie zu Schulden kommen lassen. Ich liege auf meinem Todtenbette; ich habe meine besonderen sehr dringenden Gründe, ich bin es dem Andenken der Todten schuldig, mich selbst von der Wahrheit zu überzeugen. Wenn Anne Silvester selbst Geoffrey von jeder Schuld freispricht, so will ich für Geoffrey sorgen, sonst nicht.«

»Wir gingen so weit, ihn daran zu erinnern, daß der sterben könne bevor man Miß Silvester würde haben auffinden können. Aber unser Dazwischentreten hatte nur eine Folge: er hieß den Advokaten dem Testamente ein zweites Codicill hinzufügen, welches er auf der Stelle unterzeichne. Dasselbe weist seine Executoren an, den Beziehungen nachzuforschen, welche zwischen Anne Silvester und seinem jüngeren Sohn bestanden haben. Wenn wir zu dem Schlusse gelangen müssen daß Geoffrey ihr schweres Unrecht gethan hat, sind wir angewiesen, ihr ein Vermächtniß auszusetzen vorausgesetzt, daß sie der Zeit unverheirathet ist.«

»Und ihre Heirath steht diesem Vermächtniß im Wege?« rief Sir Patrick aus.

»Ja, das unterzeichnete Codicill ist jetzt wirkungslos und das andere Codicill bleibt ununterzeichnet, bis der Advocat Miß Silvester herbeischaffen kann. Er hat das Haus verlassen um sich an Geoffrey in Fulham zu wenden, als das einzig uns zu Gebote stehende Mittel, um diese Dame herzubringen. Einige Stunden sind vergangen und er ist noch nicht zurückgekehrt.«

»Es wäre nutzlos, auf ihn zu warten«, erwiderte Sir Patrickz »während der Advocat auf dem Wege nach Fulham ist, war Lord Holchester’s Sohn auf dem Wege nach Portland Place. Dieser Umstand ist sogar von noch größerer Bedeutung als Sie vermuthen Sagen Sie mir, was ich unter weniger dringenden Umständen kein Recht zu fragen, haben würde —— wie ist, abgesehen von dem Unterzeichneten Codicill, Geoffreys Stellung in Gemäßheit des Testaments?«

»Sei« Name wird in dem Testament nicht einmal genannt.«

»Haben Sie das Testament?«

Mr. Marchwood schloß eine Schublade auf und nahm das Testament heraus.

Sir Patrick stand aus der Stelle auf. »Da dürfen wir keinen Augenblick auf den Advocaten warten«, wiederholte er heftig, »hier handelt es sich um Leben und Tod. Lady Holchester ist sehr aufgebracht über die Heirath ihres Sohnes, sie spricht und fühlt als Freundin von Mrs. Glenarm. Glauben Sie, daß Lord Holchester die Sache ebenso ansehen würde, wenn er von ihr wüßte?«

»Das hängt durchaus von den Umständen ab.«

»Wenn ich ihm nun mittheilte, wie ich es Ihnen im Vertrauen mitgetheilt habe, daß sein Sohn in der That schweres Unrecht gegen Miß Silvester begangen hat, und wenn ich ihm darauf sagte, daß sein Sohn die Sache dadurch wieder gut gemacht, daß er sie heirathete?«

»Nach der Art zu schließen, wie er sich in ihrer Angelegenheit ausdrückt, glaube ich, daß er das Codicill unterzeichnest witrde.«

»Dann lassen Sie mich ihn um Gotteswillen sprechen!«

»Ich muß erst mit dem Arzte reden.«

»Thun Sie es, bitte, auf der Stelle.«

Das Testament in der Hand näherte sich Mr. Marchwood der Thür des Schlafzimmers. Noch ehe er ganz an sie herangetreten war, wurde sie von innen geöffnet. Der Arzt erschien auf der Schwelle Als Mr. Marchwood ihn anreden wollte, hielt er die Hand abwehrend empor. »Gehen Sie nicht zu Lord Holchester«, sagte er, »es ist Alles»vorbei!«

»Todt?«

»Todt!«


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