Mann und Weib



Salzland

Vierundfünfzigstes Kapitel - Der Platz

Im Anfang dieses Jahrhunderts war ein gewisser Ruben Limbrick nach der Ansicht seiner Nachbarn auf dem Wege, sich durch Salzhandel ein hübsches kleines Vermögen zu erwerben.

Sein Haus lag in Staffordshire, auf einem Stück ihm gehörigen freien Landes, welches passender Weise den Namen Salzland trug. Ohne gerade ein Geizhals zu sein, lebte er doch in der bescheidensten Weise, sah sehr wenig Gesellschaft, legte sein Geld sehr gut an und blieb unverheirathet.

Um das Jahr Eintausend achthundert und vierzig zeigten sich bei ihm die ersten Spuren der chronischen Krankheit, welche schließlich seinem Leben ein Ende machte. Nachdem er sich mit sehr geringem Erfolg von den Aerzten seines Orts hatte behandeln lassen, traf er zufällig einen in den westlichen Vorstädten Londons wohnenden Arzt, der sein Uebel vollständig erkannte. Nachdem er eine Zeitlang öfter hin- und hergereist war, um diesen zu consultiren, beschloß er, sich ganz von den Geschäften zurückzuziehen und sich in bequemer Nähe seines Arztes niederzulassen.

Er kaufte ein Stück freien Landes in der Nähe von Fulham und ließ sich auf demselben nach seinem eigenen Plan ein kleines Haus bauen. Als, ein jedes unbefugte Eindringen in seinen Ruheaufenthalt und jede Möglichkeit einer Beobachtung seiner Lebensgewohnheiten ängstlich fürchtender Mann, ließ er sein ganzes Grundstück mit einer hohen Mauer umgeben, die ihn eine bedeutende Summe Geldes kostete und die von den Nachbarn mit Recht als ein widerwärtiger und häßlicher Anblick betrachtet wurde.

Als sein neuer Aufenthaltsort völlig eingerichtet war, nannte er denselben nach dem Platz in Staffordshire, auf dem er sein Vermögen erworben und die glücklichste Zeit seines Lebens zugebracht hatte, Salzland. Seine Verwandten, welche die Gefühle, die ihn bei dieser Bezeichnung leiteten, nicht verstanden, stellten ihm vor, daß sich ja in der Nähe seiner neuen Wohnung gar keine Salzläger befanden. Ruben Limbrick antwortete, »desto schlimmer für die Gegend«, und beharrte dabei, sein Grundstück Salzland zu nennen.

Das Haus war so klein, daß es in dem großen dasselbe umgebenden Garten ganz verloren aussah. war nur ein Stockwerk hoch; zur ebenen Erde befanden sich zu beiden Seiten des Vorplatzes je zwei Räume. An der rechten Seite befand sich der Hausthür zunächst eine Küche mit den dazu gehörigen, an das Haus angebauten Räumen. Das der Küche zunächst gelegene Zimmer sah nach dem Garten hinaus. Zu Ruben Limbrick’s Zeit hatte es das Studirzimmer geheißen und enthielt eine kleine Sammlung von Büchern und einen großen Vorrath von Fischereigeräthschaften.

An der linken Seite des Hauses befanden sich zu ebener Erde gleichfalls zwei Zimmer, ein Wohnzimmer und ein durch Flügelthüren mit demselben verbundenes Speisezimmer. Das erste Stockwerk enthielt fünf Schlafzimmer; an der einen Seite zwei in ihrer Größe dem darunter befindlichen Speise- und Wohnzimmer entsprechend aber mit einander nicht in Verbindung stehend, an der andern Seite drei: ein größeres nach vorn und zwei kleinere nach hinten gelegen. Alle diese Zimmer waren auf das Vollständigste meublirt, das Geld war dabei nicht gespart worden; es war Alles höchst solide gearbeitet und oben und unten von gleicher Häßlichkeit. Die Lage des Salzlandes war höchst einsam. Die Ländereien von Gemüsegärtnern trennten es von den nächstgelegenen Häusern. Die hohe Mauer, mit der das Haus umgeben war, mußte bei Jedem die Vorstellung einer Heilanstalt oder eines Gefängnisses erwecken.

Ruben Limbricks Verwandte fanden, wenn sie ihn von Zeit zu Zeit besuchten, den Aufenthalt höchst trübselig und waren froh, wenn sie wieder fortgehen konnten, was ihnen aber auch Ruben Limbrick durchaus nicht schwer machte; er war ein ungeselliger und wenig gastfreier Mann. Er legte auf die Theilnahme der Menschen an seinen Krankheitsanfällen sehr wenig Werth und verbat sich ihre Glückwünsche wenn es ihm wieder besser ging. »Wenn ich nur fischen kann«, pflegte er zu sagen; »Mein Hund ist meine beste Gesellschaft und ich fühle mich ganz glücklich, so lange ich frei von Schmerzen bin.« Auf seinem Todtenbett vertheilte er sein Vermögen ganz gerecht unter seine Verwandten.

Die einzige Bestimmung seines Testaments, die bei dem größten Theil seiner Verwandten eine ungünstige Ausnahme fand, war eine Klausel, durch welche einer seiner Schwestern, einer Wittwe, die sich durch eine unstandesgemäße Heirath ihre Familie entfremdet hatte, ein Vermächtniß ausgesetzt wurde. Die übrigen Mitglieder der Familie waren einstimmig der Ansicht, daß diese unglückliche Person keine besondere Berücksichtigung verdiene. Sie hieß Hester Dethridge Ihre Verwandten betrachteten Alles, was sie sich nach ihrer Ansicht hatte zu Schulden kommen lassen, in einem noch viel ungünstigeren Licht, als sie erfuhren, daß ihr testamentarisch die Nutznießung von Salzland auf Lebenszeit und eine Jahresrente von zweihundert Pfund Sterling vermacht sei.

Hester, mit der die Überlebenden Mitglieder der Familie keinen Verkehr hatten und die im strengsten Sinne des Worts ganz allein auf der Welt stand, einschloß sich, obgleich sie von ihrer Jahresrente behaglich hätte leben können, doch einen Theil ihres neuen Hauses zu vermiethen. Die wahre Erklärung dieses sonderbaren Verfahrens lag in jener, auf eine Frage von Anne, auf ihre Tafel geschriebene Antwort: »Ich habe keinen Freund in der Welt, ich darf nicht allein wohnen.«

In dieser verzweifelten Lage, in dieser melancholischen Stimmung beauftragte sie einen Hausmakler mit der Vermiethung einiger Zimmer ihres Hauses.

Die erste Person, welche der Makler zu ihr schickte, um die Zimmer zu besehen, war der Trainer Perry, und Hester’s erster Miether war Geoffrey Delamayn.

Die Raume, welche die Wirthin sich vorbehielt, waren: die Küche, das daran stoßende Zimmer, ehedem das »Studirzimmer« ihres Bruders, und die beiden kleinen im ersten Stock nach hinten gelegenen Schlafzimmer, das eine für sich selbst, das andere für die Magd, die sie hielt. Der ganze übrige Theil des Hauses war zu vermiethen. Das war mehr als der Trainer brauchte, aber Hester Dethridge weigerte sich sowohl im Betreff der Anzahl der zu vermiethenden Zimmer, als der Miethszeit, auf andere als auf ihre eigenen Bedingungen einzugehen. Perry blieb keine Wahl als sich Hester’s Bedingungen zu fügen, wenn er sich nicht die vorteilhafteste Lage dieses Gartens als einer für das Trainiren vorzüglich geeigneten Privatrennbahn entgehen lassen wollte.

Die beiden Miether disponirten nun also über drei Schlafzimmer. Geoffrey wählte für sich das über dem Wohnzimmer nach hinten gelegene; Perry nahm sich das an der andern Seite des Hauses liegende Zimmer, das an die beiden kleinen Schlafstuben Hester’s und ihrer Magd stieß. So blieb das neben Geoffrey’s befindliche vordere Schlafzimmer leer und wurde einstweilen das Fremdenzimmer genannt. Zur ebenen Erde nahmen der Athlet und sein Trainer ihre Mahlzeiten in dem Speisezimmer ein und ließen das Wohnzimmer als einen für sie unnöthigen Luxus, unbenutzt.

Als das Wettrennen vorüber war, hatte auch Perry nichts mehr im Hause zu thun. Sein bisheriges Schlafzimmer wurde ein zweites Fremdenzimmer; die Zeit, für welche die Zimmer hatten gemiethet werden müssen, war noch nicht abgelaufen. An dem Tage nach dem Wettrennen hatte Geoffrey sich zu entscheiden, ob er unter Bezahlung der ganzen stipulirten Miethe ausziehen oder bleiben wolle, allein in einer Wohnung mit zwei Fremdenzimmern und einem Wohnzimmer zum Empfang seiner Freunde, die ihn mit der Pfeife im Munde besuchten und die ihr Ideal einer gastlichen Aufnahme erfüllt sahen, wenn ihr Wirth ihnen im Garten ein Glas Bier vorsetzte. Er war, wie er selbst sagte, »verstimmt.« Ein träger Widerwille, irgend eine Veränderung mit sich vorzunehmen, beherrschte ihn. Er beschloß auf Salzland zu bleiben, bis seine Heirath mit Mrs. Glenarm, die er damals noch als sicher bevorstehend betrachtete, ihn nöthigen würde, mit seinen bisherigen Lebensgewohnheiten ein für alle Mal zu brechen. Am nächsten Tage hatte er sich von Fulham nach Portland Place begeben, um der dort stattfinden den Conferenz beizuwohnen und kehrte erst nach Fulham zurück, als er die ihm aufgezwungene Frau nach Hause brachte.

Das war die Stellung des Miethers und das waren die Einrichtungen im Innern des Hauses an dem denkwürdigen Abend, wo Anne Silvester das Haus als Geoffrey’s Frau betrat.


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