Mann und Weib



Nachspiel.

I - Ein Morgenbesuch

Die Zeitungen hatten die Rückkehr Lord und Lady Holchester’s nach London, nach einer mehr als sechs monatlichen Abwesenheit auf dem Continent, gemeldet.

Es war die Höhe der Saison. Den ganzen Tag über öffnete sich die Thür von Holchester House während der sanctionirten Stunden, um Besuche zu empfangen. Die überwiegende Mehrzahl der Besuchenden begnügte sich damit, ihre Karten abzugeben. Nur einige privilegirte Personen stiegen aus und traten in’s Haus.

Unter diesen letzteren, die sich zu einer früheren Zeit, als sonst üblich ist, einstellten, befand sich eine distinguirte Person, die entschlossen zu sein schien, den Herrn oder die Frau vom Hause zu sprechen und sich nicht abweisen zu lassen. Während diese Person mit dem Kellermeister parlamentirte, ging Lord Holchester zufällig gerade durch die Halle. Die fragliche Person stürzte sofort mit dem Ausruf: »Lieber Lord Holchester!« auf ihn los. Julius wandte sich um und sah vor sich —— Lady Lundie. Er war gefangen und fand sich mit bester Grazie in sein Schicksal. Während er Lady Lundie die Thür des nächsten Zimmers öffnete, warf er einen verstohlenen Blick auf seine Uhr und fragte sich innerlich: »Wie soll »ich sie nur los werden, bevor die Andern kommen?«

Lady Lundie in ihrer eleganten, von Seide und Spitzen strotzenden Toilette, etablirte sich auf dem Sopha und entwickelte den höchsten Grad der mit lhrer majestätischen Würde verträglichen Liebenswürdigkeit. Sie that die theilnehmensten Fragen im Betreff Lady Holchester’s, im Betreff der verwitweten Lady Holchester und im Betreff Julius selbst. Wo sie gewesen seien, was sie gesehen hätten, ob die Zeit und die Ortsveränderung ihnen dazu verholfen habe, sich von den Eindrücken jenes schrecklichen Ereignisses zu erholen, welches Lady Lundie nicht näher zu bezeichnen wagte.

Julius antwortete resignirt und ein wenig abwesend. Mit dem unbehaglichen Gedanken an den unerbittlichen Verlauf der Zeit und an gewisse Eventualitäten, welche dieser Verlaufs wahrscheinlich mit sich bringen würde, that er seinerseits höfliche Fragen, die Erlebnisse Lady Lundie’s betreffend. Sie erwiderte, sie habe sehr wenig über sich selbst zu sagen, sie sei nur auf einige Wochen nach London gekommen, und führe ein ganz zurückgezogenes Leben. »Die Erfüllung meines bescheidenen Kreises von Pflichten wird in Windygates nur bisweilen, wenn ich mich geistig allzu sehr angestrengt habe, durch den Besuch einiger ernstgesinnter Freunde unterbrochen, deren Ansichten mit den meinigen harmoniren. In dieser Weise bringe ich mein Leben, —— ich hoffe, sagen zu dürfen ——, nicht ganz nutzlos hin. Ich erfahre nichts Neues; ich sehe Nichts —— nur gestern blieb mir ein höchst trauriger Anblick nicht erspart.« Nach diesen Worten hielt sie inne. Julius begriff, daß sie über den erwähnten Anblick von ihm befragt zu werden erwarte und befragte sie also.

Lady Lundie zauderte und gab endlich zu verstehen, daß jener Anblick zu dem traurigen Ereignis dessen sie bereits gedacht habe, in Beziehung stehe. Endlich sprach sie sich deutlicher dahin aus, daß sie es für ihre Pflicht gehalten habe, ihren Aufenthalt in London nicht vorübergehen zu lassen, ohne sich in der Irrenanstalt, in welche Hester Dethridge für die Dauer ihres Lebens gebracht worden sei, nach derselben zu erkundige. Dann theilte sie noch bestimmter mit, daß sie sich nicht auf die Einziehung dieser Erkundigungen beschränkt, sondern die unglückliche Frau selbst gesehen, mit ihr gesprochen und gefunden habe, daß sie keine Ahnung von ihrer schrecklichen Lage habe, daß sie ihr Gedächtniß völlig verloren und sich in ihre jetzige Lebensweise, die sie nach der Ansicht des Directors der Anstalt noch einige Jahre werde fortführen können, ergeben habe. Nach der Mittheilung dieser Thatsachen stand Lady Lundie eben im Begriff, einige der Gelegenheit angepaßte Bemerkungen zu machen, in welchen sie excellirte, als sich die Thür öffnete und Lady Holchester, die ihren Gatten suchte, eintrat.


Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte