Mann und Weib



II.

Der Eintritt Lady Holchester’s veranlaßte einen neuen Ausbruch zärtlichen Ergußes von Seiten Lady Lundie’s, den die erstere höflich, aber nicht herzlich aufnahm. Julius’ Frau schien, wie er selbst, mit einer unbehaglichen Empfindung die Zeit vorrücken zu sehen. Gleich ihm, fragte sie sich innerlich, wie lang Lady Lundie wohl noch bleiben werde. Lady Lundie machte durchaus keine Anstalten, ihren Platz auf dem Sopha zu verlassen. Offenbar war sie mit der Absicht nach Holchester House gekommen, eine Erklärung abzugeben, hatte sich aber noch nicht ausgesprochen. Jetzt aber schien sie sich auf einem Umwege ihrem Ziele nähern zu wollen. Sie begann mit einer neuen, zärtlich theilnehmenden Frage. Sie bat um Erlaubniß, noch einmal auf die Reise Lord und Lady Holchester’s zurückkommen zu dürfen. Sie seien ja in Rom gewesen, ob sie die ihr mitgetheilte entsetzliche Nachricht von dem Uebertritt Mrs. Glenarm’s aus eigener Anschauung bestätigen könnten. Lady Holchester erwiderte, daß sie die Nachricht lediglich bestätigen könne. Mrs. Glenarm habe der Welt entsagt und habe im Schooße der römischen Kirche eine Zuflucht gesucht. Lady Holchester berichtete weiter, daß sie sie selbst in einem Kloster zu Rom gesehen habe. Sie sei jetzt noch Novize, sei aber entschlossen, nach Beendigung ihres Noviziats, den Schleier zu nehmen. Lady Lundie erhob als gute Protestantin die Hände mit Entsetzen, erklärte, der Gegenstand sei zu peinlich, um länger dabei zu verweilen; und gelangte unter dem Vorwande, von etwas Anderem reden zu wollen, endlich zu dem Punkt, der den eigentlichens Gegenstand ihres Besuchs bildete. Sie fragte, ob Lady Holchester im Laufe ihrer Reise auf dem Continent vielleicht mit Mrs. Arnold Brinkworth zusammengekommen sei oder von ihr gehört habe.

»Sie wissen«, erklärte Lady Lundie, »daß ich jeden Verkehr mit meinen Verwandten abgebrochen habe. Ihr Benehmen zur Zeit unserer Familien-Calamität, die Sympathie, die sie für eine Person empfanden, die ich genauer zu bezeichnen mich selbst jetzt noch nicht entschließen kann, haben uns einander entfremdet. Die Sache schmerzt mich tief, Lady Holchester, aber ich hege keinen Groll im Herzen. Und ich werde immer ein mütterliches Interesse an Blanche’s Wohlfahrt nehmen. Wie ich gehört habe, war sie mit ihrem Gatten zu derselben Zeit, wie Sie und Lord Holchester auf Reisen. Haben Sie sie irgendwo getroffen?«

Julius und seine Frau sahen einander an. Lord Holchester schwieg, Lady Holchester erwiderte: »Wir haben Mr. und Mrs. Brinkworth in Florenz und später in Neapel getroffen, Lady Lundie. Sie sind vor einer Woche nach England zurückgekehrt, und zwar in Rücksicht auf ein bevorstehendes freudiges Ereigniß, das hoffentlich die Mitglieder Ihrer Familie um eines vermehren wird. Sie sind augenblicklich in London, und wir erwarten sie eben jetzt zum Frühstück.«

Nach dieser unumwundenen Mittheilung sah Lady Holchester Lady Lundie an und dachte bei sich, wenn sie das nicht zum Aufbruch treibt, so wird sie nichts in der Welt dazu vermögen; Aber es war vergebens gewesen. Lady Lundie behauptete das Feld. Da sie in den letzten sechs Monaten absolut nichts von ihren Verwandten gehört hatte, so brannte sie vor Verlangen, mehr über dieselben zu erfahren. Den Namen eines andern Verwandten hatte sie bis jetzt noch nicht aus gesprochen. Jetzt endlich that sie sich Gewalt an und nannte auch diesen Namen. »Und Sir Patrick?« fragte Lady Lundie im Ton einer sanften Melancholie, der ihre Vergebung ihr widerfahrener Beleidigungen ausdrücken sollte. »Ich weiß nur, was das Gerücht erzählt. Haben Sie auch Str Patrick in Florenz und Neapel getroffen?«

Julius und seine Frau sahen sich wieder an. Die Uhr in der Halle schlug grade. Julius fuhr zusammen. Lady Holchester’s Geduld fing an ihr auszugehen. Es entstand eine unangenehme Pause. Einer mußte etwas sagen. Endlich entschloß sich Lady Holchester wieder zu antworten.

»Sir Patrick hat seine Nichte und ihren Gatten auf ihrer Reise begleitet, Lady Lundie, und ist mit ihnen zurückgekehrt.«

»Befindet er sich wohl?« fragte Lady Lundie.

»Er ist jünger als je«, entgegnete Lady Holchester.

Lady Lundie lächelte ironisch. Lady Holchester der dieses Lächeln nicht entging, fand, daß diese Frau keine Rücksicht verdiene und bemerkte zum Schrecken ihres Gatten, daß sie eine Nachricht im Betreff Sir Patrick’s mitzutheilen habe, die seine Schwägerin wahrscheinlich überraschen werde. Lady Lundie horchte begierig auf.

»Die Sache ist kein Geheimniß«, fuhr Lady Holchester fort, »obgleich sie bis jetzt nur einigen intimen Freunden bekannt ist. Sir Patrick hat sich zu einem wichtigen Schritt entschlossen.

Lady Lundie’s reizendes Lächeln schwand plötzlich von ihren Lippen.

»Sir Patrick«, nahm Lady Holchester ein wenig malitiös wieder auf, »ist nicht nur ein sehr geschickter und sehr angenehmer Mann, sondern ist auch, wie Sie wissen, in seinem ganzen Wesen jünger als seine Jahre und besitzt noch viele von den Eigenschaften, die ihre Anziehungskraft auf die Frauen selten verfehlen.«

Lady Lundie sprang entsetzt auf. »Sie wollen mir doch nicht sagen, Lady Holchester, daß Sir Patrick sich verheirathet hat?«

»Allerdings.«

Lady Lundie sank wieder auf das Sopha zurück, hilflos, wirklich und wahrhaftig hilflos unter dem doppelten Schlag, der sie getroffen hatte. Die Verheirathung Sir Patricks verdrängte sie nicht nur aus ihrer Stellung als das weibliche Oberhaupt der Familie, sondern bewirkte auch, daß sie, die noch nicht Vierzigjährige, für den Rest ihrer Tage gesellschaftlich zur »alten Lady Lundie« wurde.

»In seinem Alter!« rief sie aus, sobald sie die Sprache wiedergefunden hatte.

»Erlauben Sie mir, Sie daran zu erinnern«, entgegnete Lady Holchester, »daß viele Männer sich erst in Sir Patricks Alter verheirathen. In seinem Fall muß man noch überdies gerechterweise anerkennen, daß das Motiv seiner Handlungsweise jeden Schein einer Lächerlichkeit oder Verkehrtheit ausschließt. Seine Heirath ist eine gute Handlung, im höchsten Sinne des Wortes. Sie macht ihm ebenso viel Ehre, wie der Dame, die er zu seiner Lebensgefährtin gewählt hat.«

»Natürlich ein junges Mädchen!« bemerkte Lady Lundie.

»Nein. Eine Frau, die schwere Prüfungen zu bestehen gehabt und ihr hartes Loos mit edler Ergebung getragen hat. Eine Frau, die das ruhigere und glücklichere Leben, das sich ihr jetzt eröffnet, verdient hat.«

»Darf ich fragen, wer diese Dame ist?«

Noch bevor Lady Holchester diese Frage beantworten konnte, kündigte ein Klopfen an der Hausthür die Ankunft Besuchender an. Zum dritten Mal sahen sich Julius und seine Frau an. Diesesmal legte sich Julius in’s Mittel.

»Meine Frau hat Ihnen bereits gesagt, Lady Lundie, daß wir Mr. und Mrs. Brinkworth zum Frühstück erwarten. Sir Patrick und die neue Lady Lundie werden dieselben begleiten. Wenn ich mich in der Annahme täuschen sollte, daß es Ihnen vielleicht nicht ganz angenehm sein würde, mit denselben zusammenzutreffen, so bitte ich recht sehr um Verzeihung. Wenn ich richtig vermuthe, so darf ich es wohl Lady Holchester überlassen, unsere Freunde zu empfangen und mir die Ehre geben, Sie in ein anderes Zimmer zu führen.«

Mit diesen Worten bot er, indem er auf die Thür eines anstoßenden Zimmers zuging, Lady Lundie seinen Arm. Lady Lundie aber blieb regungslos auf ihrem Platz stehen und war entschlossen, die Frau zu sehen, von der sie verdrängt wurde.

Im nächsten Augenblick wurde die nach der Halle führende Thür weit geöffnet, und der Diener meldete:

»Sir Patrick und Lady Lundie Mr. und Mrs. Arnold Brinkworth.«

Lady Lundie sah die Frau an, die ihre Stelle als Haupt der Familie eingenommen hatte und erblickte —- Anne Silvester!

Ende.

Nachwort.

Die hier dem Leser dargebotene Erzählung unterscheidet sich in einem Punkte von denen, welche früher dieselbe Feder veröffentlicht hat. Diesmal ist die Faction auf Thatsachen gegründet und hat den Zweck, die möglichste Hülfe beizutragen zur Beschleunigung der Reform von Mißständen, die man nur zu lange ungestört geduldet hat.

Ueber den gegenwärtigen scandalösen Zustand der Ehegesetze des vereinigten Königreichs ist alle Welt einverstanden. Der Bericht der zur Prüfung des Einflusses jener Gesetze niedergesetzten Königlichen Commission hat mir die feste Grundlage für mein Buch gegeben. Specielle Bezugnahme auf so hohe Autorität wie sie nöthig sein dürften, um den Leser zu überzeugen, daß ich ihn keineswegs in der Irre herumführe, sind im Anhang zusammengestellt, und ich habe nur noch hinzuzufügen, daß gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, das Parlament selbst damit beschäftigt ist die entsetzlichen Mißbräuche zu beseitigen, welche hier in der Geschichte von »Hester Dethridge« erzählt sind. Es ist jetzt wenigstens die Aussicht vorhanden, daß man ein Gesetz schaffe, welches einer verheiratheten Frau in England ein Recht auf den Besitz und den Nießbrauch ihres eigenen Vermögens gewähre. Außerdem hat die Gesetzgebung, so viel ich weiß, nichts gethan, um die Fäulniß in den Ehegesetzen Großbritanniens und Irlands wegzuräumen. Die Königlichen Bevollmächtigten haben die Vermittlung des Staates in nicht mißzuverstehender Weise angerufen allerdings ohne das Parlament zu einer Erwiderung zu vermögen.

Was die andere in diesen Blättern zur Sprache gekommene sociale Frage betrifft, die Frage nach dem Einfluß der jetzt unter den Engländern herrschenden Sucht, durch Muskelkräftigung auf ihre Gesundheit und Moralität hinzuwirken so verhehle ich mir nicht, damit ein sehr delicates Gebiet betreten zu haben, und mancher dürfte sich heftig abgestoßen fühlen von dem, was ich in dieser Hinsicht gesagt habe.

Obwohl ich in diesem Punkte mich nicht auf eine Königliche Commission berufen kann, so versichere ich doch, daß es sich um einfache und nachweisbare Thatsachen handelt. Was die physischen Resultate der in den letzten Jahren unter den Engländern eingerissenen Sucht der Muskelpflege anbetrifft, so sind in diesem Buche aber die allgemeinen Ansichten unserer Aerzte, vor Allem des Mr. Skey, niedergelegt. Und wenn man die ärztlichen Gutachten nur als auf Theorie beruhend ansehen sollte, so werden dieselben durch die Erfahrungen der Väter in allen Theilen Englands betreffs ihrer Söhne nur zu sehr praktisch bestätigt. Diese letzte neueste Form unserer »nationalen Ezientricität« hat bereits manches Opfer gekostet, und zwar Opfer für Zeitlebens.

Bezüglich der moralischen Ergebnisse habe ich vielleicht recht, vielleicht auch nicht, wenn ich einen Zusammenhang zu erkennen glaube, zwischen der jetzigen zügellosen Entwickelung der physischen Ausbildung in England und der jetzt herrschenden Verbreitung von Gemeinheit und Brutalität unter gewissen Classen der englischen Bevölkerung. Aber kann man diese Gemeinheit und Brutalität hinwegleugnen? und haben sie nicht in den letzten Jahren furchtbare Dimensionen angenommen? Wir sind so schamlos vertraut mit Gewaltthätigkeit und Ehrenkränkung geworden, daß wir sie fast als einen unentbehrlichen Bestandtheil unseres socialen Systems ansehen und unsere Wilden als einen wesentlichen Theil unserer Bevölkerung classificiren, für die wir neuerdings den Namen »Roughs« erfunden haben. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist schon durch hunderte von Schriftstellern auf die schmutzigen Roughs im Barchentkittel gelenkt worden. Wenn wir uns innerhalb dieser Gränzen beschränkt hätten, so würden wir die Leser alle auf unserer Seite haben. Aber wir sind so kühn die Aufmerksamkeit auf den gewaschenen Rough im feinen Tuchrock zu lenken, und er soll sich Lesern gegenüber vertheidigen, welche diese Spielart entweder gar nicht kennen oder es vorziehen sie zu ignoren, obwohl sie dieselbe kennen.

Der Rough mit sauberer Haut und im feinen Rock ist leicht in allen Abstufungen der englischen Gesellschaft zu finden, in den mittlen wie in den höheren Classen. Ich will nur wenig Beispiele anführen. Der Rough als Arzt gefiel sich vor Kurzem noch, wenn er von einem öffentlichen Vergnügen heimkam, Hauseigenthum zu zerstören, Straßenlaternen auszulöschen und die anständigen Bewohner einer Vorstadt Londons zu erschrecken. Der Rough als Soldat beging auch bis vor nicht langer Zeit (in einigen Regimentern) Scheußlichkeiten, welche die reitende Leibwache aufforderte ihre Autorität zu gebrauchen. Der Rough als Kaufmann beschimpfte, drängte weg und vertrieb erst kürzlich noch von der Fondsbörse einen bedeutenden fremden Banquier, der von einem der ältesten und achtungswerthesten Mitgliede mitgebracht worden war, den Ort kennen zu lernen. Der Universitäts-Rough trommelte bei der Commemoration 1869 in Oxford den Vicekanzler, die Decane und die fremden Gäste aus, und stürzte sich selbst in die Christchurch- Bibliothek und verbrannte Büsten und Werke der Sculptur. Es ist Factum, daß solche Dinge geschehen sind. Es ist Factum, daß man die bei diesen Schändlichkeiten betheiligten Personen als die Beschützer, ja selbst als die Helden des athletischen Sports hingestellt hat. Ist hier nicht Grund genug zu einem Charakter wie »Geoffrey Delamayn?« Ist nur ein Erzeugniß meiner Phantasie die Scene im Versammlungslocal der Athleten im »Hahnenkampf« in Putney? Müssen wir nicht im Interesse der Civilisation unsern Protest erheben gegen das Wiederaufleben einer Barbarei unter uns, die sich als Mannestugend ausgiebt und Dumme genug findet, welche diesen Anspruch gelten lassen?

Wenn ich, ehe ich dieses Nachwort schließe, noch für einen Augenblick den Kunststandpunkt ins Auge fasse, so wird der Leser, wie ich hoffe, finden, daß der Zweck der Erzählung immer ein integrirender Theil der Erzählung selbst ist. Die hauptsächlichste Bedingung des Erfolgs beruht darin, daß Thatsache und Erfindung niemals von einander getrennt sein dürfen. Ich habe mit aller Kraft nach diesem Ziele gestrebt, ich hoffe nicht vergeblich gestrebt zu haben.

Juni 1870. W. C.


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