Mann und Weib



II.

Vierundzwanzig Jahre später, im Sommer 1855, war eine meublirte Villa in Hampstead zu vermiethen.

Augenblicklich war das Haus noch von den Leuten, die es vermiethen wollten, bewohnt. An dem Abend, an welchem die gegenwärtige Scene unsers Vorspiels beginnt, saßen eine Dame und zwei Herren bei Tische. Die Dame war zweiundvierzig Jahre alt, aber noch immer eine Frau von seltener Schönheit. Ihr einige Jahre jüngerer Mann, Mr. Vanborough, saß ihr schweigend und ersichtlich zurückhaltend gegenüber, ohne sie auch nur ein einziges Mal während der ganzen Mahlzeit anzusehen. Der zweite am Tisch sitzende Herr war ein Gast, Mr. Kendrew.

Das Diner ging seinem Ende entgegen. Früchte und Wein standen bereits auf dem Tisch. Vanborough schob die Flaschen schweigend Mr. Kendrew zu. Die Frau vom Hause sah sich nach dem aufwartenden Diener um, und sagte: »Lassen Sie die Kinder kommen.«

Die Thür ging auf und ein zwölfjähriges Mädchen trat, ein kleines fünfjähriges Mädchen an der Hand haltend, herein. Beide trugen frische weiße Kleider mit hellblauen Schleifen. Sie sahen sich aber einander durchaus nicht ähnlich. Das ältere Mädchen war von zartem Körperbau und blaß. Die Jüngere hatte ein blühendes Aussehen, schöne rothe Wangen und helle, keck in die Welt blickende Augen, —— ein reizendes Bild der Gesundheit und des kindlichen Glücks.

Mr. Kendrew sah mit einem fragenden Blick nach dem jüngeren Mädchen. »Diese junge Dame«, sagte er, »ist mir völlig fremd.«

»Wenn Sie nicht ein ganzes Jahr lang ein Fremder in unserem Hause gewesen wären«, antwortete Mrs. Vanborough, »so würden Sie die Bekanntschaft des Kindes früher gemacht haben. Es ist die kleine Blanche, das einzige Kind meiner besten Freundin. Als Blanche’s Mutter und ich uns zum letzten Male sahen, waren wir zwei arme Mädchen, die eben die Schule verlassen hatten, und sich ihren Weg durch’s Leben selbst suchen sollten. Meine Freundin ging nach Indien und verheirathete sich dort in schon reiferen Jahren. Vielleicht haben Sie von ihrem Manne, einem ausgezeichneten Offizier, Sir Thomas Lundie, gehört.« »Jawohl, dem sogenannten reichen Sir Thomas.« »Lady Lundie kehrt eben jetzt zum erstenmal, seit sie, —— ich scheue mich zu sagen, vor wie viel Jahren —— England verließ, von Indien wieder in ihre Heimath zurück. Ich erwarte sie schon seit gestern, sie kann jeden Augenblick eintreffen. Wir haben uns auf dem Schiffe, mit dem sie nach Indien fuhr, nach guter alter Sitte treue Freundschaft gelobt. Sie können sich vorstellen, wie verändert wir uns bei unserem bevorstehenden Wiedersehen finden werden!«

»Inzwischen«, sagte Mr. Kendrew, »scheint Ihre Freundin Ihnen eine Stellvertreterin in der Person ihrer kleinen Tochter geschickt zu haben? Eine lange Tour für eine so jugendliche Reisende.«

»Die Reise ist dem Kinde vor einem Jahre von den Aerzten in Indien verordnet«, erwiderte Mrs. Vanborough »Die Doctoren fanden, daß die Gesundheit des Kindes einen Aufenthalt in England wünschenswerth mache. Sir Thomas war damals krank, und seine Frau konnte ihn nicht verlassen. Sie mußte also das Kind nach England schicken, und wem anders hätte sie es hier wohl anvertrauen sollen, als mir? Sehen Sie sie an und sagen Sie selbst, ob ihr die englische Luft nicht trefflich bekommen ist. Wir beiden Mütter scheinen buchstäblich zum zweiten Mal in unseren Kindern zu leben. Die kleine Anne hier, meine einzige Tochter, gleicht ihrer Mutter, wie sie in demselben Alter aussah, auf ein Haar, und die kleine Blanche ist das leibhaftige Ebenbild ihrer Mutter. Und, um die Aehnlichkeit vollkommen zu machen, lieben die beiden Kinder sich mit derselben Zärtlichkeit, mit der meine Freundin und ich einst als Schulkinder an einander hingen. Man hört oft von erblichem Familienhaß, giebt es auch eine erbliche Liebe?«

Noch bevor der Gast diese Frage beantworten konnte, wurde seine Aufmerksamkeit durch den Herrn vom Hause in Anspruch genommen.

»Kendrew«, sagte Herr Vanborough, »wie wäre es, wenn Sie es an diesen zärtlichen Jugenderinnerungen genug sein ließen und jetzt ein Glas Wein tränken?«

Er sprach diese Worte mit dem Ausdruck unverhohlener Geringschätzung in Ton und Bewegung. Mrs. Vanborough erröthete, aber sie wußte ihre sehr natürliche Gereiztheit zu beherrschen und schwieg eine Weile. Als sie ihren Mann wieder anredete, geschah es ersichtlich mit dem Wunsch, ihn zu beschwichtigen und zu versöhnen. »Ich fürchte, lieber Mann«, sagte sie, »Du bist nicht ganz Wohl«

»Es wird mir besser werden, wenn die Kinder mit ihrem Messer- und Gabelgeklapper fertig sind.«

Die Kinder waren damit beschäftigt, sich Aepfel zu scheiden. Das jüngere ließ sich durch die Worte des Mr. Vanborough nicht stören, das ältere aber hielt inne und sah seine Mutter an. Mrs. Vanborough winkte Blanche zu sich heran und deutete nach der in den Garten führenden Glasthür. Möchtest Du Deine Früchte nicht im Garten verzehren, Blanche?«

»O ja,« antwortete Blanche, »wenn Anne mitgeht.«

Anne sprang sofort auf und die beiden Mädchen gingen Hand in Hand zusammen in den Garten. Als sie fortgegangen waren, brachte Mr. Kendrew weislich einen neuen Gegenstand auf’s Tapet. Er führte das Gespräch auf die beabsichtigte Vermiethung des Hauses.

»Die beiden jungen Mädchen«, sagte er, »werden den Garten schmerzlich vermissen Es ist wirklich schade, daß Sie das hübsche Haus aufgeben wollen.«

»Das Aufgeben ist nicht das Schlimmste dabei«, antwortete Mrs. Vanborough. »Wenn mein Mann Hampstead zu entfernt von London findet, so müssen wir es natürlich verlassen. Das einzige, was ich dabei beklage, ist, daß das Haus vermiethet werden soll.«

Herr Vanborough warf seiner Frau einen möglichst unfreundlichen Blick zu und fragte: »Was kümmert denn Dich die Vermiethung?«

Mrs. Vanborough versuchte es, die Wolken am Horizont des ehelichen Himmels durch ein Lächeln zu verscheuchen.

»Lieber John!«, sagte sie sanft, »Du vergißt, daß, während Du den Tag über im Geschäft bist, ich den ganzen Tag hier bin und alle die Leute, die das Haus in Augenschein nehmen, sehen muß. Und was für Leute!« fuhr sie gegen Mr. Kendrew gewandt fort, »sie sehen Alles mit mißtrauischen Augen an, vom Fußkratzer vor der Hausthür bis zu den Kaminen auf dem Dach. Sie dringen zu allen Tagesstunden ein, thun alle erdenklichen unverschämten Fragen und geben Ihnen deutlich zu verstehen, daß sie Ihren Antworten nicht glauben, noch bevor Sie Zeit gehabt haben, sie auszusprechen. Eine Frau hatte neulich die Ungezogenheit, mich zu fragen, ob ich glaube, daß die Abzugsröhren in Ordnung seien und schnüffelte dabei argwöhnisch umher, noch ehe ich ihre Frage bejahen konnte. Ein flegelhafter Mensch fragte mich, »Sind sie auch sicher, daß das Haus solide gebaut ist«, und stampfte dabei wieder, ehe ich ihm eine Antwort geben konnte, mit aller Gewalt mit beiden Füßen auf den Fußboden. Kein Mensch will an den festen Grund unserer Gartenwege und an unsere Aussicht nach Süden glauben, kein Mensch will etwas von dem, was wir zur Verbesserung des Hauses angeschafft haben, übernehmen. Sobald sie von John’s artesischem Brunnen hören, machen sie ein Gesicht, als ob sie niemals Wasser tränken; Und wenn sie zufällig über meinen Hühnerhof gehen, so thun sie, als wenn sie nie gewußt hätten, daß ein frisches Ei ein gutes Ding ist.«

Mr. Kendrew lachte. »Ich habe das meiner Zeit auch Alles durchmachen müssen« sagte er. »Die Leute, die ein Haus miethen wollen, sind die gebotnen Feinde der Vermiether. Komisch genug, —— nicht wahr, Vanborough?«

Die üble Laune Vanboroughs wich vor der Anrede seines Freundes so wenig, wie vor den Worten seiner Frau. »Sie werden wohl Recht haben«, sagte er, »ich habe nicht zugehört.«

Diesesmal war sein Ton fast grob. Mrs Vanborough sah ihren Mann mit einem Ausdruck unverhohlener Ueberraschung und Verstimmung an. »John«, sagte sie. »Was ist Dir nur? Hast Du Schmerzen?

Man kann doch wohl verdrießlich sein, ohne gerade Schmerzen zu haben.«

»Es thut mir leid, daß Du Verdruß gehabt hast, im Geschäft?«

»Jawohl, im Geschäft.«

»Du solltest Mr. Kendrew zu Rathe ziehen.«

»Ich warte nur auf den Moment, wo ich das werde thun können.«

Mrs Vanborough erhob sich auf der Stelle. »Bitte, willst Du klingeln«, sagte sie »wenn der Caffee gebracht werden soll.« Als sie an ihrem Mann vorüberging, blieb sie stehen und legte ihm die Hand zärtlich an die Stirn. »Wenn ich nur die Falte da glätten könnte«, flüsterte sie ihm zu. Vanborough schüttelte ungeduldig den Kopf, Mrs Vanborough ging seufzend nach der Thür. Aber bevor sie das Zimmer verließ, rief ihr ihr Mann nach: »Sorge dafür, daß wir nicht gestört werden.«

»Ich will thun, was ich kann, John. Aber«, fuhr sie, mit einem Blick auf Mr. Kendrew, der ihr die Thür geöffnet hatte, fort, indem sie sich bemühte, wieder heiter zu erscheinen, »denkst Du auch an unsere geborenen Feinde? Auch zu dieser späten Tagesstunde können noch Leute kommen, die das Haus sehen wollen.«

Die beiden Herren waren nun allein. Ihre äußere Erscheinung bildete den schärfsten Contrast Vanborough war groß gewachsen und von dunklem Teint —— ein auffallend schöner Mann, mit einem Ausdruck großer Energie, der Niemandem entging und einer angeborenen Falschheit des Wesens, deren Spuren nur ein scharfer Beobachter in seiner Physiognomie entdecken mochte. Kendrew dagegen war klein und schmächtig und von unbeholfenem, ungeschicktem Benehmen, außer wenn ihn etwas in Affect versetzte. Dem Auge des oberflächlichen Betrachters mußte er als ein häßlicher und unbedeutender kleiner Mann erscheinen, ein Menschenkenner aber, dessen Blick unter die Oberfläche zu dringen versteht, würde eine auf Wahrheit und Treue beruhende, edle Natur gefunden haben.

Vanborough eröffnete die Unterhaltung. »Wenn Sie sich je verheirathen, Kendrew«, sagte er, »so lassen Sie sich meine Thorheit zur Warnung dienen, nehmen Sie keine Frau von der Bühne.«

»Wenn ich eine Frau, wie die Ihrige finden könnte«, erwiderte Kendrew, »so würde ich sie auf der Stelle nehmen, gleichviel ob sie auf der Bühne gewesen wäre, oder nicht. Eine schöne, kluge Frau von tadellosem Rufe, und die Sie zärtlich liebt! Was, in aller Welt, wollen Sie mehr?«

»Was ich mehr will? Sehr viel. Ich will eine Frau von vornehmer Familie und von feiner Erziehung und Bildung, die die beste Gesellschaft in England bei sich sehen und ihrem Manne zu einer distinguirten Stellung in der Welt verhelfen kann!«

»Was? eine Stellung in der Welt« rief Kendrew. »Sie, ein Mann, dem sein Vater ein Vermögen von einer halben Million unter der einzigen Bedingung hinterlassen hat, daß er die Führung eines der größten kaufmännischen Geschäfte in England übernehme?! Und Sie reden von einer Stellung, als wenn Sie nicht der Chef Ihres Hauses, sondern ein junger Commis in dem Geschäft Ihres Vaters wären. Was in aller Welt kann Ihr Ehrgeiz denn noch anstreben?«

Vanborough leerte sein vor ihm stehendes Glas und sah seinem Freund gerade in’s Gesicht. »Mein Ehrgeiz trachtet nach einer parlamentarischen Carriere, die mir ohne Zweifel offen stehen und mich in’s Oberhaus führen würde, wenn nicht meine geschätzte Gattin mir im Wege stände.

Kendrew erhob die Hand zu einer warnenden Bewegung »Reden Sie nicht so«, sagte er, »wenn es Scherz sein soll, so gestehe ich, für einen solchen Scherz keinen Sinn zu haben. Wenn Sie aber ernsthaft sprechen, so drängen Sie mir einen Argwohn auf, den ich lieber nicht hegen möchte. Lassen Sie uns lieber von etwas Anderem reden!«

»Im Gegentheil! Sprechen Sie gerade heraus. Was argwöhnen Sie?«

»Ich argwöhne, daß Sie anfangen, Ihrer Frau überdrüssig zu werden.«

»Sie ist zweiundvierzig und ich bin fünfunddreißig Jahre alt, und wir sind jetzt dreizehn Jahre mit einander verheirathet. Das Alles wissen Sie und argwöhnen nur, daß ich ihrer überdrüssig bin. Wie unschuldig! Haben Sie mir noch mehr zu sagen?«

»Wenn Sie in mich dringen, Alles zu sagen, was ich denke, so mache ich von dem Rechte eines alten Freundes Gebrauch und sage Ihnen, Sie benehmen sich gegen Ihre Frau nicht, wie Sie sollten. Es sind jetzt ungefähr zwei Jahre her, daß Sie nach langer Abwesenheit auf die Nachricht von Ihres Vaters Tode nach England zurückkehrten. Außer mit mir und ein paar anderen alten Freunden haben Sie Ihre Frau bis heute noch mit keinem Menschen bekannt gemacht. Ihre Stellung in der Geschäftswelt verschafft Ihnen den Zutritt in die Kreise der besten Gesellschaft, aber nirgends führen Sie Ihre Frau ein. Sie gehen in die Welt, als wären Sie Junggeselle. Ich weiß aus sicherer Quelle, daß Sie wirklich in den Kreisen, die Sie frequentiren, von mehr als Einem für einen Junggesellen gehalten werden. Verzeihen Sie mir, daß ich meine Meinung so offen heraus sage. Es ist Ihrer unwürdig, Ihre Frau hier vor den Augen der Welt zu verbergen, als ob Sie sich ihrer schämten.«

»Und wenn ich mich nun wirklich ihrer schämte?«

»Vanborough!«

»Gemach, gemach! Die Sache steht nicht ganz so, wie Sie sie mir darzustellen belieben, lassen Sie sich einmal ruhig die Thatsachen, wie sie sind, vorführen. Vor dreizehn Jahren verliebte ich mich in eine schöne Sängerin und heirathete sie. Mein Vater zürnte mir deshalb, und ich mußte mich entschließen, mit ihr in’s Ausland zu gehen und dort zu leben. Mein Vater vergab mir auf seinem Totenbett, und ich konnte nun mit ihr nach England zurückkehren. Im Auslande war die Vergangenheit meiner Frau für mich von keiner Bedeutung, zu Hause aber war sie mir im Wege. Einer großen Carriere gegenüber, die sich vor mir eröffnete, fand ich mich durch die engsten Bande an eine Frau geknüpft, deren Familie, wie Sie sehr gut wissen, der niedrigsten Gesellschaftsschicht angehört, mit einer Frau, deren Manieren nichts weniger als distinguirt sind, und die nichts Höheres kennt, als ihre Kinderstube, ihre Küche, ihr Piano und ihre Bücher. Ist das eine Frau, die mir dazu verhelfen kann, mir eine angemessene Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen, die mir die socialen und politischen Hindernisse hinwegräumen und mir den Weg zum Oberhause bahnen kann? Bei Gott! Wenn je ein Mann Ursache gehabt hat, seine Frau vor den Augen der Welt zu verbergen, wie Sie es nennen, so bin ich es. Und wenn Sie die ganze Wahrheit wissen wollen, nur weil ich sie hier nicht hinreichend verborgen halten kann, will ich dieses Haus verlassen. Sie hat eine verwünschte Art, überall, wohin wir kommen, Bekanntschaften zu machen. Wenn ich noch lange hier bleibe, so wird sie auch hier bald einen Kreis von Freunden um sich versammelt haben, von Freunden, die sich ihrer als der berühmten Opernsängerin erinnern, und die sehen werden, wie ihr schuftiger Schwindler von Vater, sobald ich den Rücken kehre, betrunken in’s Haus kommt, um Geld von ihr zu borgen. Ich sage Ihnen, meine Heirath hat meine Aussichten vernichtet. Es nützt mir nichts, daß man mir von den Tugenden meiner Frau erzählt. Mit all’ ihren Tugenden ist sie für mich nur ein Block am Bein. Wenn ich nicht ein Schwachkopf gewesen wäre, hätte ich gewartet und eine Frau geheirathet, die mir etwas hätte nützen können; eine Frau von vornehmer Familie ——.«

Kendrew unterbrach seinen Wirth, indem er ihm plötzlich die Hand auf den Arm legte, mit den Worten: »Um es kurz zu machen, eine Frau wie Lady Jane Parnell.«

Vanborough stutzte. Zum ersten Mal wichen seine Blicke denen seines Freundes aus.

»Was wissen Sie von Lady Jane?« fragte er.

»Nichts. Ich verkehre nicht mit Lady Janes Gesellschaft, —— aber ich besuche bisweilen die Oper, und da habe ich Sie gestern Abend mit ihr in ihrer Loge sitzen gesehen und mit angehört, was im Parquet um mich her gesprochen wurde. Man sprach ungenirt von Ihnen als dem Begünstigten, den Lady Jane vor allen andern Männern auszeichnet. Sagen Sie sich selbst, was daraus entstehen müßte, wenn Ihrer Frau das zu Ohren käme. Sie thun Unrecht, Vanborough, in jeder Weise Unrecht, Sie beunruhigen Sie betrüben mich. Ich habe diese Erklärung nicht gesucht, aber jetzt, wo ich dazu gedrängt worden bin, mich auszusprechen, scheue ich mich nicht, meine ganze Meinung zu sagen. Prüfen Sie selbst Ihr Benehmen, bedenken Sie als gewissenhafter Mann, was Sie gegen mich geäußert haben, sonst kann ich nicht länger Ihr Freund sein. Nein! Ich wünsche jetzt nicht weiter über die Sache zu reden. Wir ereifern uns Beide und würden uns zu Aeußerungen hinreißen lassen, die besser unausgesprochen bleiben. Noch einmal, lassen Sie uns von etwas Anderem reden. Sie schrieben mir, daß Sie meine Gegenwart heute wünschten, weil Sie meines Raths in einer wichtigen Angelegenheit bedürfen. Um was handelt es sich?«

Es entstand eine Pause. In Vanboroughs Zügen verrieth sich eine gewisse Verlegenheit Er schenkte sich ein zweites Glas Wein ein und leerte es aus einen Zug, bevor er antwortete.

»Nach der Art, wie Sie mit mir über meine Frau gesprochen haben, ist es nicht ganz leicht für mich Ihnen zu sagen, um was es sich handelt«

Kendrew sah ihn erstaunt an. »Betrifft die Sache Mrs. Vanborough?« fragte er.

»Ja«

»Weiß sie davon?«

»Nein.«

»Haben Sie die Sache um ihretwillen bis jetzt geheim gehalten?«

»Ja«

»Habe ich ein Recht, Ihnen dabei einen Rath zu ertheilen?«

»Sie haben das Recht eines alten Freundes.«

»Warum geh’n Sie dann nicht offen mit der Sprache heraus?«

Vanborough war ersichtlich wieder verlegen. »Sie erfahren«, antwortete er, »die Sache besser aus dem Munde eines Dritten, den ich hier jeden Augenblick erwarte. Er kennt alle in Betracht kommenden Thatsachen ganz genau und kann sie Ihnen besser mittheilen, als ich.«

»Und wer ist dieser Dritte?

»Mein Freund Delamayn.«

»Ihr Advokat?«

»Ja, der jüngere Associé in der Firma Delamayn, Hawke und Delamayn. Kennen Sie ihn?«

»Oberflächlich. Die Familie seiner Frau war vor seiner Verheirathung mit der meinigen befreundet. Ich mag ihn nicht.«

»Sie sind heute schwer zu befriedigen. Wenn je ein Mensch eine große Zukunft vor sich hatte, so ist es Delamayn. Ein Mann, vor dem sich eine bedeutende Carriére eröffnet und der die nöthige Energie hat, um sie zu verfolgen. Er ist im Begriff, aus der Firma auszutreten und sein Glück als plaidirender Advokat zu versuchen. Jedermann ist überzeugt, daß er es weit bringen wird. Was haben Sie gegen ihn?«

»Durchaus nichts. Es begegnet ja uns Allen, daß wir Menschen schon bei der ersten Bekanntschaft nicht mögen, ohne uns über unsere Antipathie Rechenschaft geben zu können. Und so geht es mir mit Delamayn, ich mag ihn nicht, ohne recht zu wissen, warum.«

»Und doch müssen Sie sich ihn heute Abend gefallen lassen, er wird gleich hier sein.«

Und in demselben Augenblick öffnete der Diener die Thür und meldete: —— Mr. Delamayn.«


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