Mann und Weib



VIII.

Seinem Ende rasch entgegengehend hat das Vorspiel noch zu zeigen, wie die beiden Mädchen, Anne und Blanche, die verflossenen Jahre verlebt hatten. Lady Lundie löste das feierliche Wort, das sie ihrer Freundin gegeben hatte, voll ein. Sorgfältig vor jeder Versuchung bewahrt, die das Verlangen, dieselbe Laufbahn wie ihre Mutter zu betreten, in ihr hätte erwecken können, mit allen für Geld erreichbaren Mitteln für das Leben einer Erzieherin vorbereitet, durfte Anne ihre ersten und einzigen Versuche auf dem Felde der Erziehung unter Lady Lundie’s eigenem Dach, an Lady Lundies eigenem Kinde machen. Die Verschiedenheit des Alters der beiden Mädchen, sieben Jahre, und ihre gegenseitige Liebe, die mit jedem Tage zuzunehmen schien, Begünstigten diesen ersten Versuch. In der zwiefachen Eigenschaft einer Lehrerin und Freundin der kleinen Blanche flossen die Mädchenjahre Anne Silvester’s sicher, glücklich und ereignißlos, in dem stillen Heiligthum einer bescheidenen Häuslichkeit dahin. Ein schärferer Contrast zwischen ihrem und ihrer Mutter Jugendleben war nicht denkbar. Niemand, der das Leben dieses Mädchens beobachtete, hätte in der schrecklichen Frage, welche die Mutter in ihren letzten Augenblicken gemartert hatte: »Wird sie auch enden wie ich? etwas Anderes als das Wahngebilde einer Sterbenden erblicken können.

Indessen wurde doch das friedliche Familienleben im Lauf der Jahre, die wir jetzt an uns vorüberziehen lassen, durch zwei wichtige Ereignisse unterbrochen. Im Jahre 1858 brachte die Ankunft Sir Thomas Lundie’s neues Leben in das Haus, und im Jahre 1865 wurde der Haushalt in Folge der Rückkehr Sir Thomas Lundie’s nach Indien in Begleitung seiner Frau ganz aufgehoben.

Lady Lundie’s Gesundheit war seit einiger Zeit schwankend geworden. Die zu Rathe gezogenen Aerzte erklärten, zufällig gerade zu der Zeit, wo Sir Thomas wieder nach Indien zurückkehren mußte, daß eine Seereise gerade das geeignete Mittel sei, die Kräfte ihrer Patientin wiederherzustellen. Um seiner Frau willen fand sich Sir Thomas bereit, seine Rückkehr zu verschieben, um die Seereise mit ihr machen zu können.

Die einzige Schwierigkeit, die bei dieser Reise zu überwinden war, bestand darin, daß man Blanche und Anne während der Zeit in England zurücklassen mußte.

Die Aerzte hatten nämlich erklärt, daß sie es nicht für gerathen halten könnten, Blanche in dem kritischen Zeitpunkt ihrer Entwickelung mit ihrer Mutter nach Indien zurückkehren zu lassen. Gleichzeitig erboten sich nahe und liebe Verwandte, freundschaftlichst bereit, Blanche und ihre Erzieherin bei sich aufzunehmen, während sich Sir Thomas seinerseits verpflichtete seine Frau in anderthalb, höchstens zwei Jahren nach England zurückzubringen. Von allen Seiten bestürmt, mußte Lady Lundie endlich ihre Abneigung, die Mädchen zu verlassen, überwinden Sie entschloß sich zu der Reise mit schwerem Herzen und sorgenvollen Gedanken an die Zukunft.

Im letzten Augenblick nahm sie Anne Silvester mit sich in einen Winkel des Zimmers, wo Niemand von den Anwesenden sie hören konnte. Anne war jetzt zweiundzwanzig, Blanche fünfzehn Jahr alt.

»Mein liebes Kind«, sagte sie ruhig, »ich muß Dir etwas anvertrauen, was ich meinem Mann nicht sagen kann, und was ich mich Blanche zusagen scheue. Ich verlasse Euch mit schlimmen Ahnungen. Ich fühle, daß ich nicht wieder nach England zurückkehren werde, und ich glaube, mein Mann wird sich nach meinem Tode wieder verheirathen. Vor Jahren war Deine Mutter auf ihrem Totenbett besorgt für Deine Zukunft, jetzt bin ich für Blanches Zukunft besorgt. Damals versprach ich meiner theuren verstorbenen Freundin, daß ich für Dich wie für mein eigenes Kind sorgen wolle, und das beruhigte sie. Beruhige Du jetzt mich, Anne, vor meiner Abreise. Was auch im Lauf der Zeit geschehen möge, versprich mir, immer für Blanche zu sein, was Du ihr jetzt bist, eine Schwester.« Zum legten Male reichte sie ihr die Hand. Mit ganzer Innigkeit küßte Arme Silvester diese Hand und versprach es.


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