Mann und Weib



Erster Band.

Vorspiel - Die irische Heirath.

Erster Theil - Die Villa in Hampstead.

I.

Vor etwa vierzig Jahren saßen an einem Sommermorgen zwei Mädchen bitterlich weinend bei einander in der Kajüte eines in Gravesend vor Anker liegenden zur Abfahrt nach Bombay bereiten Passagierschiffes.

Beide waren in demselben Alter, achtzehn Jahre alt. Von frühester Jugend an waren sie die intimsten Schulfreundinnen gewesen. Zum ersten Male in ihrem Leben stand ihnen jetzt eine Trennung, vielleicht auf immer, bevor. Die eine hieß Blanche, die andere Anne.

Beide waren die Kinder armer Eltern, Beide hatten bereits als erwachsene Schülerinnen Unterricht in ihrer Schule gegeben, und Beide waren bestimmt, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu erwerben. Darauf beschränkte sich aber auch die Aehnlichkeit zwischen Beiden.

Blanche war von leidlich angenehmem Aeußern und mäßig begabt, mehr ließ sich von ihrer Person nicht sagen; Anne dagegen war von seltener Schönheit und ungewöhnlicher Begabung. Blanche’s Eltern waren ehrenwerthe Leute, die entschlossen waren, kein Opfer zu scheuen, um das künftige Wohlergehen ihres Kindes zu sichern. Anne’s Eltern waren herzlose und verderbte Menschen Ihre einzige Sorge in Betreff ihrer Tochter war, wie sie möglichst großen Vorteil aus ihrer Schönheit und ihren Talenten ziehen könnten.

Die beiden Mädchen traten unter ganz verschiedenen Verhältnissen in das Leben ein. Blanche stand im Begriff nach Indien zu reisen, um dort eine Stelle als Gouvernante in dem Hause eines Richters anzunehmen. Für Anne sollte die erste Gelegenheit, sie billig nach Mailand zu schicken, abgewartet werden, um sie dort zur Schauspielerin und Sängerin ausbilden und dann nach England zurückkehren zu lassen, wo sie auf die Bühne gehen und das Glück ihrer Familie gründen sollte.

Das waren die Aussichten der beiden Mädchen, als sie, einander fest umschlungen haltend und bitterlich weinend, in der Kajüte des Ostindienfahrers saßen. Die zärtlichen Abschiedsworte die sie sich einander zuflüsterten, kamen Beiden von Herzen.

»Blanche! Vielleicht verheirathest Du Dich in Indien, dann mußt Du sehen, daß Dein Mann Dich nach England zurückbringt.«

»Anne! Vielleicht gefällt es Dir nicht auf der Bühne, dann mußt Du nach Indien kommen.«

»Wo und wie wir uns auch nach Jahren wieder treffen mögen, wir wollen nichts vor einander verborgen halten»und uns als Freundinnen und Schwestern in alter Liebe beistehen. Das mußt Du mir geloben, Blanche!«

»Ich gelobe es Dir, Anne!«

»Von ganzem Herzen und ganzer Seele?«

»Von ganzem Herzen und ganzer Seele!«

Die Segel wurden bereit gemacht, das Schiff fing an sich in Bewegung zu setzen. Es bedurfte der persönlichen Dazwischenkunft des Capitains, um die Mädchen zu vermögen, sich das letzte Lebewohl zu sagen. Der Capitain machte von seiner Autorität einen milden, aber entschiedenen Gebrauch. »Kommen Sie, liebes Kind«, sagte er den Arm um Anne schlingend, »lassen Sie sich das nicht anfechten, ich habe selbst eine Tochter.« Anne ließ ihren Kopf auf die Schulter des Capitains sinken. Er ließ sie an seiner Hand in das Boot hinabsteigen, das sie an Land bringen sollte. Fünf Minuten später war das Schiff in der Fahrt, das Boot an der Landungsbrücke —— und die beiden Mädchen hatten sich für lange Jahre zum letzten Male gesehen.

Das geschah im Sommer 1831.



Kapiteltrenner


II.

Vierundzwanzig Jahre später, im Sommer 1855, war eine meublirte Villa in Hampstead zu vermiethen.

Augenblicklich war das Haus noch von den Leuten, die es vermiethen wollten, bewohnt. An dem Abend, an welchem die gegenwärtige Scene unsers Vorspiels beginnt, saßen eine Dame und zwei Herren bei Tische. Die Dame war zweiundvierzig Jahre alt, aber noch immer eine Frau von seltener Schönheit. Ihr einige Jahre jüngerer Mann, Mr. Vanborough, saß ihr schweigend und ersichtlich zurückhaltend gegenüber, ohne sie auch nur ein einziges Mal während der ganzen Mahlzeit anzusehen. Der zweite am Tisch sitzende Herr war ein Gast, Mr. Kendrew.

Das Diner ging seinem Ende entgegen. Früchte und Wein standen bereits auf dem Tisch. Vanborough schob die Flaschen schweigend Mr. Kendrew zu. Die Frau vom Hause sah sich nach dem aufwartenden Diener um, und sagte: »Lassen Sie die Kinder kommen.«

Die Thür ging auf und ein zwölfjähriges Mädchen trat, ein kleines fünfjähriges Mädchen an der Hand haltend, herein. Beide trugen frische weiße Kleider mit hellblauen Schleifen. Sie sahen sich aber einander durchaus nicht ähnlich. Das ältere Mädchen war von zartem Körperbau und blaß. Die Jüngere hatte ein blühendes Aussehen, schöne rothe Wangen und helle, keck in die Welt blickende Augen, —— ein reizendes Bild der Gesundheit und des kindlichen Glücks.

Mr. Kendrew sah mit einem fragenden Blick nach dem jüngeren Mädchen. »Diese junge Dame«, sagte er, »ist mir völlig fremd.«

»Wenn Sie nicht ein ganzes Jahr lang ein Fremder in unserem Hause gewesen wären«, antwortete Mrs. Vanborough, »so würden Sie die Bekanntschaft des Kindes früher gemacht haben. Es ist die kleine Blanche, das einzige Kind meiner besten Freundin. Als Blanche’s Mutter und ich uns zum letzten Male sahen, waren wir zwei arme Mädchen, die eben die Schule verlassen hatten, und sich ihren Weg durch’s Leben selbst suchen sollten. Meine Freundin ging nach Indien und verheirathete sich dort in schon reiferen Jahren. Vielleicht haben Sie von ihrem Manne, einem ausgezeichneten Offizier, Sir Thomas Lundie, gehört.« »Jawohl, dem sogenannten reichen Sir Thomas.« »Lady Lundie kehrt eben jetzt zum erstenmal, seit sie, —— ich scheue mich zu sagen, vor wie viel Jahren —— England verließ, von Indien wieder in ihre Heimath zurück. Ich erwarte sie schon seit gestern, sie kann jeden Augenblick eintreffen. Wir haben uns auf dem Schiffe, mit dem sie nach Indien fuhr, nach guter alter Sitte treue Freundschaft gelobt. Sie können sich vorstellen, wie verändert wir uns bei unserem bevorstehenden Wiedersehen finden werden!«

»Inzwischen«, sagte Mr. Kendrew, »scheint Ihre Freundin Ihnen eine Stellvertreterin in der Person ihrer kleinen Tochter geschickt zu haben? Eine lange Tour für eine so jugendliche Reisende.«

»Die Reise ist dem Kinde vor einem Jahre von den Aerzten in Indien verordnet«, erwiderte Mrs. Vanborough »Die Doctoren fanden, daß die Gesundheit des Kindes einen Aufenthalt in England wünschenswerth mache. Sir Thomas war damals krank, und seine Frau konnte ihn nicht verlassen. Sie mußte also das Kind nach England schicken, und wem anders hätte sie es hier wohl anvertrauen sollen, als mir? Sehen Sie sie an und sagen Sie selbst, ob ihr die englische Luft nicht trefflich bekommen ist. Wir beiden Mütter scheinen buchstäblich zum zweiten Mal in unseren Kindern zu leben. Die kleine Anne hier, meine einzige Tochter, gleicht ihrer Mutter, wie sie in demselben Alter aussah, auf ein Haar, und die kleine Blanche ist das leibhaftige Ebenbild ihrer Mutter. Und, um die Aehnlichkeit vollkommen zu machen, lieben die beiden Kinder sich mit derselben Zärtlichkeit, mit der meine Freundin und ich einst als Schulkinder an einander hingen. Man hört oft von erblichem Familienhaß, giebt es auch eine erbliche Liebe?«

Noch bevor der Gast diese Frage beantworten konnte, wurde seine Aufmerksamkeit durch den Herrn vom Hause in Anspruch genommen.

»Kendrew«, sagte Herr Vanborough, »wie wäre es, wenn Sie es an diesen zärtlichen Jugenderinnerungen genug sein ließen und jetzt ein Glas Wein tränken?«

Er sprach diese Worte mit dem Ausdruck unverhohlener Geringschätzung in Ton und Bewegung. Mrs. Vanborough erröthete, aber sie wußte ihre sehr natürliche Gereiztheit zu beherrschen und schwieg eine Weile. Als sie ihren Mann wieder anredete, geschah es ersichtlich mit dem Wunsch, ihn zu beschwichtigen und zu versöhnen. »Ich fürchte, lieber Mann«, sagte sie, »Du bist nicht ganz Wohl«

»Es wird mir besser werden, wenn die Kinder mit ihrem Messer- und Gabelgeklapper fertig sind.«

Die Kinder waren damit beschäftigt, sich Aepfel zu scheiden. Das jüngere ließ sich durch die Worte des Mr. Vanborough nicht stören, das ältere aber hielt inne und sah seine Mutter an. Mrs. Vanborough winkte Blanche zu sich heran und deutete nach der in den Garten führenden Glasthür. Möchtest Du Deine Früchte nicht im Garten verzehren, Blanche?«

»O ja,« antwortete Blanche, »wenn Anne mitgeht.«

Anne sprang sofort auf und die beiden Mädchen gingen Hand in Hand zusammen in den Garten. Als sie fortgegangen waren, brachte Mr. Kendrew weislich einen neuen Gegenstand auf’s Tapet. Er führte das Gespräch auf die beabsichtigte Vermiethung des Hauses.

»Die beiden jungen Mädchen«, sagte er, »werden den Garten schmerzlich vermissen Es ist wirklich schade, daß Sie das hübsche Haus aufgeben wollen.«

»Das Aufgeben ist nicht das Schlimmste dabei«, antwortete Mrs. Vanborough. »Wenn mein Mann Hampstead zu entfernt von London findet, so müssen wir es natürlich verlassen. Das einzige, was ich dabei beklage, ist, daß das Haus vermiethet werden soll.«

Herr Vanborough warf seiner Frau einen möglichst unfreundlichen Blick zu und fragte: »Was kümmert denn Dich die Vermiethung?«

Mrs. Vanborough versuchte es, die Wolken am Horizont des ehelichen Himmels durch ein Lächeln zu verscheuchen.

»Lieber John!«, sagte sie sanft, »Du vergißt, daß, während Du den Tag über im Geschäft bist, ich den ganzen Tag hier bin und alle die Leute, die das Haus in Augenschein nehmen, sehen muß. Und was für Leute!« fuhr sie gegen Mr. Kendrew gewandt fort, »sie sehen Alles mit mißtrauischen Augen an, vom Fußkratzer vor der Hausthür bis zu den Kaminen auf dem Dach. Sie dringen zu allen Tagesstunden ein, thun alle erdenklichen unverschämten Fragen und geben Ihnen deutlich zu verstehen, daß sie Ihren Antworten nicht glauben, noch bevor Sie Zeit gehabt haben, sie auszusprechen. Eine Frau hatte neulich die Ungezogenheit, mich zu fragen, ob ich glaube, daß die Abzugsröhren in Ordnung seien und schnüffelte dabei argwöhnisch umher, noch ehe ich ihre Frage bejahen konnte. Ein flegelhafter Mensch fragte mich, »Sind sie auch sicher, daß das Haus solide gebaut ist«, und stampfte dabei wieder, ehe ich ihm eine Antwort geben konnte, mit aller Gewalt mit beiden Füßen auf den Fußboden. Kein Mensch will an den festen Grund unserer Gartenwege und an unsere Aussicht nach Süden glauben, kein Mensch will etwas von dem, was wir zur Verbesserung des Hauses angeschafft haben, übernehmen. Sobald sie von John’s artesischem Brunnen hören, machen sie ein Gesicht, als ob sie niemals Wasser tränken; Und wenn sie zufällig über meinen Hühnerhof gehen, so thun sie, als wenn sie nie gewußt hätten, daß ein frisches Ei ein gutes Ding ist.«

Mr. Kendrew lachte. »Ich habe das meiner Zeit auch Alles durchmachen müssen« sagte er. »Die Leute, die ein Haus miethen wollen, sind die gebotnen Feinde der Vermiether. Komisch genug, —— nicht wahr, Vanborough?«

Die üble Laune Vanboroughs wich vor der Anrede seines Freundes so wenig, wie vor den Worten seiner Frau. »Sie werden wohl Recht haben«, sagte er, »ich habe nicht zugehört.«

Diesesmal war sein Ton fast grob. Mrs Vanborough sah ihren Mann mit einem Ausdruck unverhohlener Ueberraschung und Verstimmung an. »John«, sagte sie. »Was ist Dir nur? Hast Du Schmerzen?

Man kann doch wohl verdrießlich sein, ohne gerade Schmerzen zu haben.«

»Es thut mir leid, daß Du Verdruß gehabt hast, im Geschäft?«

»Jawohl, im Geschäft.«

»Du solltest Mr. Kendrew zu Rathe ziehen.«

»Ich warte nur auf den Moment, wo ich das werde thun können.«

Mrs Vanborough erhob sich auf der Stelle. »Bitte, willst Du klingeln«, sagte sie »wenn der Caffee gebracht werden soll.« Als sie an ihrem Mann vorüberging, blieb sie stehen und legte ihm die Hand zärtlich an die Stirn. »Wenn ich nur die Falte da glätten könnte«, flüsterte sie ihm zu. Vanborough schüttelte ungeduldig den Kopf, Mrs Vanborough ging seufzend nach der Thür. Aber bevor sie das Zimmer verließ, rief ihr ihr Mann nach: »Sorge dafür, daß wir nicht gestört werden.«

»Ich will thun, was ich kann, John. Aber«, fuhr sie, mit einem Blick auf Mr. Kendrew, der ihr die Thür geöffnet hatte, fort, indem sie sich bemühte, wieder heiter zu erscheinen, »denkst Du auch an unsere geborenen Feinde? Auch zu dieser späten Tagesstunde können noch Leute kommen, die das Haus sehen wollen.«

Die beiden Herren waren nun allein. Ihre äußere Erscheinung bildete den schärfsten Contrast Vanborough war groß gewachsen und von dunklem Teint —— ein auffallend schöner Mann, mit einem Ausdruck großer Energie, der Niemandem entging und einer angeborenen Falschheit des Wesens, deren Spuren nur ein scharfer Beobachter in seiner Physiognomie entdecken mochte. Kendrew dagegen war klein und schmächtig und von unbeholfenem, ungeschicktem Benehmen, außer wenn ihn etwas in Affect versetzte. Dem Auge des oberflächlichen Betrachters mußte er als ein häßlicher und unbedeutender kleiner Mann erscheinen, ein Menschenkenner aber, dessen Blick unter die Oberfläche zu dringen versteht, würde eine auf Wahrheit und Treue beruhende, edle Natur gefunden haben.

Vanborough eröffnete die Unterhaltung. »Wenn Sie sich je verheirathen, Kendrew«, sagte er, »so lassen Sie sich meine Thorheit zur Warnung dienen, nehmen Sie keine Frau von der Bühne.«

»Wenn ich eine Frau, wie die Ihrige finden könnte«, erwiderte Kendrew, »so würde ich sie auf der Stelle nehmen, gleichviel ob sie auf der Bühne gewesen wäre, oder nicht. Eine schöne, kluge Frau von tadellosem Rufe, und die Sie zärtlich liebt! Was, in aller Welt, wollen Sie mehr?«

»Was ich mehr will? Sehr viel. Ich will eine Frau von vornehmer Familie und von feiner Erziehung und Bildung, die die beste Gesellschaft in England bei sich sehen und ihrem Manne zu einer distinguirten Stellung in der Welt verhelfen kann!«

»Was? eine Stellung in der Welt« rief Kendrew. »Sie, ein Mann, dem sein Vater ein Vermögen von einer halben Million unter der einzigen Bedingung hinterlassen hat, daß er die Führung eines der größten kaufmännischen Geschäfte in England übernehme?! Und Sie reden von einer Stellung, als wenn Sie nicht der Chef Ihres Hauses, sondern ein junger Commis in dem Geschäft Ihres Vaters wären. Was in aller Welt kann Ihr Ehrgeiz denn noch anstreben?«

Vanborough leerte sein vor ihm stehendes Glas und sah seinem Freund gerade in’s Gesicht. »Mein Ehrgeiz trachtet nach einer parlamentarischen Carriere, die mir ohne Zweifel offen stehen und mich in’s Oberhaus führen würde, wenn nicht meine geschätzte Gattin mir im Wege stände.

Kendrew erhob die Hand zu einer warnenden Bewegung »Reden Sie nicht so«, sagte er, »wenn es Scherz sein soll, so gestehe ich, für einen solchen Scherz keinen Sinn zu haben. Wenn Sie aber ernsthaft sprechen, so drängen Sie mir einen Argwohn auf, den ich lieber nicht hegen möchte. Lassen Sie uns lieber von etwas Anderem reden!«

»Im Gegentheil! Sprechen Sie gerade heraus. Was argwöhnen Sie?«

»Ich argwöhne, daß Sie anfangen, Ihrer Frau überdrüssig zu werden.«

»Sie ist zweiundvierzig und ich bin fünfunddreißig Jahre alt, und wir sind jetzt dreizehn Jahre mit einander verheirathet. Das Alles wissen Sie und argwöhnen nur, daß ich ihrer überdrüssig bin. Wie unschuldig! Haben Sie mir noch mehr zu sagen?«

»Wenn Sie in mich dringen, Alles zu sagen, was ich denke, so mache ich von dem Rechte eines alten Freundes Gebrauch und sage Ihnen, Sie benehmen sich gegen Ihre Frau nicht, wie Sie sollten. Es sind jetzt ungefähr zwei Jahre her, daß Sie nach langer Abwesenheit auf die Nachricht von Ihres Vaters Tode nach England zurückkehrten. Außer mit mir und ein paar anderen alten Freunden haben Sie Ihre Frau bis heute noch mit keinem Menschen bekannt gemacht. Ihre Stellung in der Geschäftswelt verschafft Ihnen den Zutritt in die Kreise der besten Gesellschaft, aber nirgends führen Sie Ihre Frau ein. Sie gehen in die Welt, als wären Sie Junggeselle. Ich weiß aus sicherer Quelle, daß Sie wirklich in den Kreisen, die Sie frequentiren, von mehr als Einem für einen Junggesellen gehalten werden. Verzeihen Sie mir, daß ich meine Meinung so offen heraus sage. Es ist Ihrer unwürdig, Ihre Frau hier vor den Augen der Welt zu verbergen, als ob Sie sich ihrer schämten.«

»Und wenn ich mich nun wirklich ihrer schämte?«

»Vanborough!«

»Gemach, gemach! Die Sache steht nicht ganz so, wie Sie sie mir darzustellen belieben, lassen Sie sich einmal ruhig die Thatsachen, wie sie sind, vorführen. Vor dreizehn Jahren verliebte ich mich in eine schöne Sängerin und heirathete sie. Mein Vater zürnte mir deshalb, und ich mußte mich entschließen, mit ihr in’s Ausland zu gehen und dort zu leben. Mein Vater vergab mir auf seinem Totenbett, und ich konnte nun mit ihr nach England zurückkehren. Im Auslande war die Vergangenheit meiner Frau für mich von keiner Bedeutung, zu Hause aber war sie mir im Wege. Einer großen Carriere gegenüber, die sich vor mir eröffnete, fand ich mich durch die engsten Bande an eine Frau geknüpft, deren Familie, wie Sie sehr gut wissen, der niedrigsten Gesellschaftsschicht angehört, mit einer Frau, deren Manieren nichts weniger als distinguirt sind, und die nichts Höheres kennt, als ihre Kinderstube, ihre Küche, ihr Piano und ihre Bücher. Ist das eine Frau, die mir dazu verhelfen kann, mir eine angemessene Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen, die mir die socialen und politischen Hindernisse hinwegräumen und mir den Weg zum Oberhause bahnen kann? Bei Gott! Wenn je ein Mann Ursache gehabt hat, seine Frau vor den Augen der Welt zu verbergen, wie Sie es nennen, so bin ich es. Und wenn Sie die ganze Wahrheit wissen wollen, nur weil ich sie hier nicht hinreichend verborgen halten kann, will ich dieses Haus verlassen. Sie hat eine verwünschte Art, überall, wohin wir kommen, Bekanntschaften zu machen. Wenn ich noch lange hier bleibe, so wird sie auch hier bald einen Kreis von Freunden um sich versammelt haben, von Freunden, die sich ihrer als der berühmten Opernsängerin erinnern, und die sehen werden, wie ihr schuftiger Schwindler von Vater, sobald ich den Rücken kehre, betrunken in’s Haus kommt, um Geld von ihr zu borgen. Ich sage Ihnen, meine Heirath hat meine Aussichten vernichtet. Es nützt mir nichts, daß man mir von den Tugenden meiner Frau erzählt. Mit all’ ihren Tugenden ist sie für mich nur ein Block am Bein. Wenn ich nicht ein Schwachkopf gewesen wäre, hätte ich gewartet und eine Frau geheirathet, die mir etwas hätte nützen können; eine Frau von vornehmer Familie ——.«

Kendrew unterbrach seinen Wirth, indem er ihm plötzlich die Hand auf den Arm legte, mit den Worten: »Um es kurz zu machen, eine Frau wie Lady Jane Parnell.«

Vanborough stutzte. Zum ersten Mal wichen seine Blicke denen seines Freundes aus.

»Was wissen Sie von Lady Jane?« fragte er.

»Nichts. Ich verkehre nicht mit Lady Janes Gesellschaft, —— aber ich besuche bisweilen die Oper, und da habe ich Sie gestern Abend mit ihr in ihrer Loge sitzen gesehen und mit angehört, was im Parquet um mich her gesprochen wurde. Man sprach ungenirt von Ihnen als dem Begünstigten, den Lady Jane vor allen andern Männern auszeichnet. Sagen Sie sich selbst, was daraus entstehen müßte, wenn Ihrer Frau das zu Ohren käme. Sie thun Unrecht, Vanborough, in jeder Weise Unrecht, Sie beunruhigen Sie betrüben mich. Ich habe diese Erklärung nicht gesucht, aber jetzt, wo ich dazu gedrängt worden bin, mich auszusprechen, scheue ich mich nicht, meine ganze Meinung zu sagen. Prüfen Sie selbst Ihr Benehmen, bedenken Sie als gewissenhafter Mann, was Sie gegen mich geäußert haben, sonst kann ich nicht länger Ihr Freund sein. Nein! Ich wünsche jetzt nicht weiter über die Sache zu reden. Wir ereifern uns Beide und würden uns zu Aeußerungen hinreißen lassen, die besser unausgesprochen bleiben. Noch einmal, lassen Sie uns von etwas Anderem reden. Sie schrieben mir, daß Sie meine Gegenwart heute wünschten, weil Sie meines Raths in einer wichtigen Angelegenheit bedürfen. Um was handelt es sich?«

Es entstand eine Pause. In Vanboroughs Zügen verrieth sich eine gewisse Verlegenheit Er schenkte sich ein zweites Glas Wein ein und leerte es aus einen Zug, bevor er antwortete.

»Nach der Art, wie Sie mit mir über meine Frau gesprochen haben, ist es nicht ganz leicht für mich Ihnen zu sagen, um was es sich handelt«

Kendrew sah ihn erstaunt an. »Betrifft die Sache Mrs. Vanborough?« fragte er.

»Ja«

»Weiß sie davon?«

»Nein.«

»Haben Sie die Sache um ihretwillen bis jetzt geheim gehalten?«

»Ja«

»Habe ich ein Recht, Ihnen dabei einen Rath zu ertheilen?«

»Sie haben das Recht eines alten Freundes.«

»Warum geh’n Sie dann nicht offen mit der Sprache heraus?«

Vanborough war ersichtlich wieder verlegen. »Sie erfahren«, antwortete er, »die Sache besser aus dem Munde eines Dritten, den ich hier jeden Augenblick erwarte. Er kennt alle in Betracht kommenden Thatsachen ganz genau und kann sie Ihnen besser mittheilen, als ich.«

»Und wer ist dieser Dritte?

»Mein Freund Delamayn.«

»Ihr Advokat?«

»Ja, der jüngere Associé in der Firma Delamayn, Hawke und Delamayn. Kennen Sie ihn?«

»Oberflächlich. Die Familie seiner Frau war vor seiner Verheirathung mit der meinigen befreundet. Ich mag ihn nicht.«

»Sie sind heute schwer zu befriedigen. Wenn je ein Mensch eine große Zukunft vor sich hatte, so ist es Delamayn. Ein Mann, vor dem sich eine bedeutende Carriére eröffnet und der die nöthige Energie hat, um sie zu verfolgen. Er ist im Begriff, aus der Firma auszutreten und sein Glück als plaidirender Advokat zu versuchen. Jedermann ist überzeugt, daß er es weit bringen wird. Was haben Sie gegen ihn?«

»Durchaus nichts. Es begegnet ja uns Allen, daß wir Menschen schon bei der ersten Bekanntschaft nicht mögen, ohne uns über unsere Antipathie Rechenschaft geben zu können. Und so geht es mir mit Delamayn, ich mag ihn nicht, ohne recht zu wissen, warum.«

»Und doch müssen Sie sich ihn heute Abend gefallen lassen, er wird gleich hier sein.«

Und in demselben Augenblick öffnete der Diener die Thür und meldete: —— Mr. Delamayn.«



Kapiteltrenner


III.

Schon in der äußeren Erscheinung des Mr. Delamayn kündigte sich der Mann an, der seinen Weg im Leben unbeirrt zu verfolgen entschlossen ist. Sein bartloses Gesicht mit den scharfen Zügen, seine klaren grauen Augen, seine dünnen, fest geschlossenen Lippen sprachen deutlich: »Ich bin entschlossen, in der Welt fortzukommen; und, wenn Ihr mir im Wege seid, so müßt Ihr mir gutwillig oder mit Gewalt weichen.«

Mr. Delamayn war in der Regel gegen Jedermann höflich, aber kein Mensch hatte ihn je, auch nicht zu seinem besten Freunde, ein einziges überflüssiges Wort sagen hören. Er war ein Mann von seltener Begabung, ein Mann von nach den Gesetzen der Welt unbescholtenem Ruf, aber kein Mann, dem man vertraulich hätte die Hand reichen mögen. Es wäre Niemandem zu rathen gewesen, sich wegen eines Darlehns an ihn zu wenden, aber unbedenklich hätte man ihm eine Summe ungezählten Goldes anvertrauen dürfen. In Verlegenheiten privater und persönlicher Natur würde man Abstand genommen haben, ihn um seinen Beistand zu bitten; aber bei Verlegenheiten, die sich zu einer öffentlichen Verhandlung eigneten, würde Jeder sich gern an Delamayn gewandt und gesagt haben: »Das ist mein Mann« Er war ein Mann des sichern Erfolgs, man brauchte ihn nur anzusehen, um davon überzeugt zu sein.

»Mr. Kendrew ist einer meiner ältesten Freunde«, sagte Mr. Vanborough, zu dem Advokaten gewandt. »Was Sie mir auch zu sagen haben, sprechen Sie es ruhig vor ihm aus. Nehmen Sie ein Glas Wein?«

»Nein, ich danke.«

»Bringen Sie mir etwas Neues?«

»Ja.«

»Haben Sie die Gutachten der beiden von uns consultirten Advokaten bei sich?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil wir ihrer nicht bedürfen. Wenn die von Ihnen angegebenen Thatsachen richtig sind, so kann über die Anwendbarkeit des betreffenden Gesetzes auf dieselben nicht der geringste Zweifel obwalten.«

Mit diesen Worten zog Mr. Delamayn ein Schriftstück aus der Tasche und legte es vor sich auf den Tisch.

»Was ist das?« fragte Mr. Vanborough.

»Die schriftliche Darlegung der Ihre Verheirathung begleitenden Umstände.«

Mr. Kendrew stutzte und fing erst jetzt an, sich für die Unterhaltung zwischen Vanborough und seinem Advokaten zu interessiren, von der er bisher keine Notiz genommen hatte.

Mr. Delamayn sah ihn einen Augenblick an und fuhr dann fort:

Es ist die Darlegung Ihres Falls, wie Sie ihn selbst vorgetragen haben und wie ihn unser erster Schreiber zu Papier gebracht hat.«

»Wozu soll uns das jetzt noch nützen?« fragte Vanborough; »Sie haben ja die nöthigen Erkundigungen über die Nichtigkeit meiner Angaben eingezogen, nicht wahr?«

»Und haben gefunden, daß ich im Rechte bin?«

»Ich habe gefunden, daß Sie im Rechte sind, wenn die hier niedergeschriebenen Angaben richtig sind. Ich möchte mich darüber vergewissern, daß kein Mißverständnis; zwischen Ihnen und meinem Schreiber stattgefunden hat. Es handelt sich hier um eine sehr ernste Angelegenheit. Ich soll die Verantwortlichkeit für eine von mir auszusprechende Ansicht übernehmen, die zu den nachhaltigsten Consequenzen führen kann, und ich wünsche mir daher, vor allen Dingen die feste Ueberzeugung zu verschaffen, daß meine Ansicht unbestreitbare Thatsachen zu ihrer Grundlage hat. Ich muß einige Fragen an Sie richten. Bitte, werden Sie nicht ungeduldig, es soll nicht lange dauern.«

Er blickte auf das vor ihm liegende Schriftstück und fing an zu fragen.

»Sie wurden vor dreizehn Jahren in Inchmallok in Irland getraut?

»Ja«

»Ihre Frau, damals Miß Anne Silvester, war katholisch?«

»Ja«

»Die Eltern Ihrer Frau waren gleichfalls katholisch?«

»Ihre Eltern gehörten der englischen Hochkirche an und Sie wurden auf den Glauben dieser Kirche getauft und in demselben erzogen?«

»Vollkommen richtig.«

»Miß Anne Silvester weigerte sich, Sie zu heirathen, weil sie zu einer andern Kirche, als Sie, gehörte?«

»So ist es.«

»Sie überwanden ihre Bedenken durch Ihre Bereitwilligkeit, zum Katholicismus überzutreten?«

»Es war der sicherste Weg, sie zu einer Verbindung mit mir zu bestimmen, und mir war die Sache gleichgültig.«

Sie wurden förmlich in den Schooß der katholischen Kirche aufgenommen?«

»Ich machte alle dazu erforderlichen Ceremonien durch.«

»Im Ausland oder in England?«

»Im Ausland.«

»Wie lange vor dem Tage Ihrer Heirath fand Ihr Uebertritt statt?«

»Sechs Wochen.«

Den Blick fortwährend auf das Schriftstück geheftet, verglich Mr. Delamayn diese letzte Antwort Vanborough’s besonders genau mit der desfallsigen von dem Schreiber aufgenommenen Angabe.

»Ganz in Ordnung«, sagte er, und fuhr fort zu fragen.

»Der Priester, der Sie traute, war ein gewisser Ambrosius Redman, ein junger Mann, der sein Amt erst seit kurzer Zeit übernommen hatte?«

»Fragte er Sie, ob Sie beide katholisch seien?«

»Ja.«

»That er noch weitere Fragen?

»Nein.«

»Sind Sie ganz sicher, daß er Sie nicht gefragt hat, ob Sie beide, bevor Sie sich von ihm trauen ließen, seit länger als einem Jahr katholisch seien?«

»Vollkommen sicher.«

»Dann muß er einen Theil seiner Obliegenheiten vergessen haben, oder hat sie vielleicht als Anfänger gar nicht gekannt. Fiel es weder Ihnen, noch Ihrer Braut ein, ihn über diesen Punkt aufzuklären?

Weder meine Braut noch ich wußten, daß es einer Aufklärung bedürfe.«

Mr. Delamayn faltete das Schriftstück zusammen und steckte es wieder in die Tasche.

»Es stimmt«, sagte er, »bis in die kleinsten Einzelheiten.«

Vanborough’s dunkelfarbiger Teint vermochte doch eine gewisse Blässe nicht zu verbergen. Er sah Kendrew verstohlen an und wandte sich dann wieder ab.

»Nun«, sagte er zu Mr. Delamayn; »bitte ich um Ihre Ansicht. Was sagt das Gesetz?«

»Die Bestimmungen des Gesetzes«, antwortete dieser, »sind vollkommen klar und unzweideutig. Ihre Heirath mit Miß Anne Silvester ist null und nichtig.«

Kendrew sprang auf.

»Was wollen sie damit sagen?« fragte er finster.

Der Advokat sah ihn mit höflichem Erstaunen an. Wenn Mr. Kendrew eine Auskunft wünschte, warum erbat er sie sich in diesem Ton? »Wünschen Sie eine nähere Mittheilung über die Bestimmungen des Gesetzes?« fragte er.

»Allerdings.«

Mr. Delamayn gab nun den Inhalt des Gesetzes an, wie es noch heutigen Tages zur Schande der englischen Gesetzgebung und der englischen Nation besteht.

»Durch ein irisches Statut Georg’s II.«, sagte er, »wird jede von einem katholischen Priester vollzogene Heirath zwischen zwei Protestanten oder einem Katholiken und einer Person, die innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Heirath Protestant gewesen ist, für null und nichtig erklärt. Und in Gemäßheit zweier anderer, unter derselben Regierung erlassenen Acte macht sich der Priester, der eine solche Heirath vollzieht, eines schweren Verbrechens schuldig. Für die irische Geistlichkeit der übrigen Confessionen sind diese Bestimmungen aufgehoben, für die katholischen Priester aber bestehen sie unveränderlich fort.«

»Das ist ja ein in unserer Zeit undenkbarer Zustand der Dinge!« rief Kendrew aus.

Delamayn lächelte. Die Illusion, daß wir in einem besonders erleuchteten Zeitalter leben, bestand für ihn schon lange nicht mehr.

»Das irische Ehegesetz«, fuhr er fort, »erscheint noch in anderen Beziehungen als eine merkwürdige Anomalie. Ein katholischer Priester macht sich, wie gesagt, eines schweren Verbrechens schuldig, wenn er eine Heirath vollzieht, die von einem Geistlichen jeder anderen Confession mit vollkommen gesetzlicher Gültigkeit vollzogen werden könnte. Nach einem anderen Gesetz kann ein katholischer Priester mit gesetzlicher Gültigkeit eine Heirath vollziehen, durch deren Vollziehung ein Geistlicher einer anderen Confession sich eines Verbrechens schuldig machen würde. Und nach noch einem anderen Gesetz begehen ein presbyterianischer und ein nonconformistischer Geistlicher ein Verbrechen, wenn sie eine Heirath vollziehen, die ein Geistlicher der Staatskirche ohne Anstand vollziehen dürfte. Ein sonderbarer, in den Augen von Ausländern vielleicht scandalöser Zustand der Dinge! In England scheint man keinen Anstoß daran zu nehmen. Um auf unseren Fall zurückzukommen, steht es damit so: Mr. Vanborough ist ein unverheiratheter Mann, Mrs. Vanborough ist ein unverheirathetes Frauenzimmer, ihr Kind ist ein uneheliches, und der Priester Ambrosius Redman hat die auf das Verbrechen ihrer Trauung stehende gesetzliche Strafe verwirkt.«

»Ein schmachvolles Gesetz« sagte Kendrew.

»Aber ein Gesetz«, lautete die ganze Antwort Delamayn’s.

Bis jetzt hatte Vanborough noch kein Wort geäußert. Mit fest geschlossenen Lippen, die Augen unverwandt aus den Tisch geheftet, saß er da. Nach einer Pause wandte sich Kendrew an ihn und brach das Schweigen mit der Frage: »Bezog sich der Rath, den Sie von mir wünschten, auf diese Angelegenheit?«

»Ja.«

»Soll ich das dahin verstehen, daß Sie in der Voraussicht dieser Conferenz und ihres möglichen Ergebnisses noch irgend welche Zweifel über das Verfahren, das Sie einzuschlagen verpflichtet sind, hegten? Soll ich wirklich glauben, daß Sie einen Augenblick zaudern können, diesen schrecklichen gesetzlichen Mangel Ihrer Ehe zu beseitigen und die Frau, die Ihr Weib vor Gott ist, auch vor dem Gesetz zu ihrem Weibe zu machen?«

»Wenn Sie die Sache in diesem Lichte auffassen, wenn Sie keine Rücksicht darauf nehmen wollen ——«

»Ich wünsche eine präcise Antwort, auf meine Frage, Ja oder Nein.«

»Lassen Sie mich reden, wenn ich bitten darf; jeder Mensch hat doch wohl das Recht, sich über seine Intentionen zu erklären?«

Kendrew unterbrach ihn durch eine Handbewegung, in der sich der Abscheu, der ihn erfüllte, deutlich aussprach. »Ich will Sie der Mühe weiterer Erklärungen überheben«, sagte er, »indem ich Ihr Haus verlasse. Sie haben mir eine Lehre gegeben, die ich nicht vergessen werde. Ich weiß jetzt, daß ein Mensch den andern von Jugend auf gekannt und sich doch vollständig in ihm geirrt haben kann. Ich schäme mich, jemals Ihr Freund gewesen zu sein. Von diesem Augenblick an sind Sie für mich ein Fremder.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

»Ein sonderbar aufgeregter Mann«, bemerkte Mr. Delamayn. »Ich bitte jetzt doch um ein Glas Wein.«

Vanborough erhob sich, ohne Notiz von Delamayn’s Worten zu nehmen, und ging ungeduldig im Zimmer auf und ab. Bei aller Niedrigkeit seiner Gesinnung machte ihn doch der Verlust seines ältesten Freundes einen Augenblick stutzig.«

»Das ist ’ne verfluchte Geschichte, Delamayn«, sagte er. »Was würden Sie mir rathen zu thun?«

Delamayn schüttelte den Kopf und schlürfte ruhig seinen Rothwein. »Ich muß mich jedes Raths in dieser Sache enthalten«, antwortete er. »Ueber die Feststellung der Anwendbarkeit des bestehenden Gesetzes auf Ihren Fall hinaus, übernehme ich keinerlei Verantwortlichkeit.«

Vanborough setzte sich wieder an den Tisch, um sich den verhängnißvollen Schritt einer Lösung seiner ehelichen Bande nochmals zu überlegen. Bis jetzt hatte er zu einer solchen Erwägung nicht viel Zeit gehabt. Hätte er nicht so lange auf dem Continent gelebt, so wäre ihm die Frage des gesetzlichen Mangels seiner Ehe vielleicht längst nahe getreten. Nun aber war sie erst bei Gelegenheit einer im Laufe dieses Sommers zufällig stattgehabten Unterhaltung mit Delamayn vor ihm aufgetaucht.

So saßen beide Männer eine Weile schweigend da. Das Schweigen wurde erst durch das Erscheinen eines Dieners im Eßzimmer unterbrochen.

Vanborough sah auf und brach in die ärgerlichen Worte aus: »Was willst Du hier?«

Der so Angeredete war ein wohlerzogener englischer Diener, mit andern Worten eine menschliche Maschine, die, einmal aufgezogen, unbeirrt ihre Functionen vollzieht. Er hatte gewisse Worte zu sagen und sagte sie.

»Es hält eine Dame vor der Thür, Herr, die das Haus zu besehen wünscht.«

»Das Haus ist zu dieser späten Abendstunde nicht zu besehen.«

Die Maschine hatte eine Bestellung auszurichten und richtete sie aus.

»Die Dame läßt sich entschuldigen, Herr. Ich soll bestellen, daß sie sehr eilig sei. Dieses Haus sei das letzte auf der Liste ihres Hausmaklers, und ihr Kutscher, der die Gegend nicht kenne, habe ungeschickter Weise den Weg verfehlt.«

»Halt’s Maul! und sag’ der Dame, sie soll zum Teufel gehen.«

Delamayn legte sich, theilweise im Interesse seines Clienten, theilweise aus Schicklichkeitsgefühl in’s Mittel.

»Sie legen«, sagte er, »glaub’ ich, einigen Werth darauf, dieses Haus zu vermiethen.«

»Gewiß thue ich das!«

»Thun Sie unter diesen Umständen Recht, einer augenblicklichen Verstimmung wegen sich die Gelegenheit, vielleicht einen Miether zu finden, entgehen zu lassen?«

»Recht oder nicht, es ist unerträglich, sich von einem Fremden stören zu lassen.«

»Wie Sie wollen, ich denke nicht daran, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen. Ich will Sie nur noch bitten, bei Ihrem Entschluß auf mich als Ihren Gast keine Rücksicht zu nehmen.«

Der Diener stand noch immer unbeweglich wartend da. Vanborough gab widerwillig nach. »Nun gut, laß sie hereinkommen. Aber sorge dafür, daß, wenn sie hier an’s Zimmer kommt, sie nur hineinsieht und gleich weiter geht. Wenn sie Fragen zu thun hat, muß sie sich an ihren Makler wenden.«

Delamayn ergriff abermals das Wort, diesmal im Interesse der Frau vom Hause. »Scheint es Ihnen nicht gerathen, Mrs. Vanborough um ihre Meinung zu fragen, bevor Sie sich entscheiden?

»Wo ist Mrs. Vanborough?«

»Im Garten oder im Park, Herr, ich weiß es nicht; ganz gewiß.«

»Ich kann sie nicht erst überall suchen lassen. Sag’ dem Hausmädchen Bescheid und führe die Dame in’s Haus.«

Der Diener ging hinaus. Delamayn schenkte sich ein zweites Glas Wein ein.

»Vortrefflicher Rothwein!« sagte er. »Beziehen Sie ihn direct von Bordeaux?«

Vanborough antwortete nicht. Er war wieder in Gedanken über seine Sitution versunken. Er hatte den Kopf auf die eine Hand gestützt, während er an den Nägeln der andern nagte, und zwischen den Zähnen murmelte: »Was soll ich thun?« In diesem Augenblick ließ sich das Rauschen eines seidenen Kleides auf dem Corridor vernehmen. Die Thür öffnete sich, und die Dame, welche das Haus besehen wollte, trat in das Eßzimmer.



Kapiteltrenner


IV.

Die Dame war von schlankem Wuchs und sehr eleganter Erscheinung, höchst geschmackvoll in prächtige Stoffe, aber einfach gekleidet. Ueber dem Gesicht hing ihr ein leichter Sommerschleier. Sie lüftete denselben und entschuldigte sich in der ungezwungenen Weise einer vornehmen Frau dafür, daß sie die Herren beim Nachtisch störe.

»Verzeihen Sie mir, bitte, daß ich zu so ungelegener Zeit bei Ihnen eindringe. Aber ich brauche nur einen Blick in das Zimmer zu thun, um Sie dann nicht weiter zu belästigen.«

Diese Worte hatte sie an Mr. Delamayn gerichtet, der ihr zufällig zunächst stand. Als sie aber den Blick über das Zimmer schweifen ließ, fiel ihr Auge auf Vanborough. Sie stutzte mit einem lauten Ausruf des Erstaunens.

»Sie!« sagte sie. »Guter Gott! Wer hätte denken sollen, daß ich Sie hier treffen würde?

Vanborough seinerseits stand wie versteinert da.

»Lady Jane!« rief er aus. »Ist es möglich ?«

Dabei aber sah er sie kaum an. Mit Blicken, in denen sich sein Schuldbewußtsein nur zu deutlich malte, sah er nach der Gartenthür. Er mußte sich sagen, daß seine Situation gleich schrecklich wäre, wenn seine Frau erfuhr, wer Lady Jane sei, oder wenn Lady Jane erfuhr, daß er ein verheiratheter Mann sei.

Im Augenblick war Niemand im Garten sichtbar. Wenn ihm das Glück nur irgend günstig war, so mußte es ihm gelingen, Lady Jane noch rechtzeitig zum Fortgehen zu bewegen. Sie, die keine Ahnung von dem wahren Sachverhalt hatte, reichte ihm freundlich die Hand.

»Heute zum ersten Mal muß ich an Magnetismus glauben«, sagte sie, »Unsere Begegnung ist ein Beweis des Wirkens geheimnißvoller Kräfte, Mr. Vanborough. Eine kranke Freundin wünscht ein möblirtes Haus in Hampstead, ich übernehme es, ein solches Haus für sie zu suchen, und an dem Tage, wo ich nach langem Umherfahren das letzte auf meiner Liste stehende Haus betrat, essen Sie zufällig in demselben bei einem Freunde zu Mittag. Merkwürdig. »Ich vermuthe«, fuhr sie zu Mr. Delamayn gewandt, fort, daß ich die Ehre habe, in Ihnen den Eigenthümer des Hauses zu begrüßen.« Noch bevor einer der Herren ein Wort antworten konnte, fiel ihr Blick auf den Garten. »Was für reizende Anlagen! Aber sehe ich da nicht eine Dame im Garten? Ich hoffe, ich habe sie nicht vertrieben.« Sie sah sich um und wandte sich an Vanborough mit der Frage: »Vermuthlich die Frau Ihres Freundes?« und wartete dieses Mal auf eine Antwort.«

Was konnte Vanborough in seiner augenblicklichen Situation antworten?

Mrs. Vanborough hatte sich dem Hause bereits so weit genähert, daß man deutlich hören konnte, wie sie im Tone der Frau vom Hause einem der Gartenarbeiter ihre Ordres gab. Wenn er gesagt hätte, daß sie nicht die Frau seines Freundes sei, so würde Lady Jane unzweifelhaft weiter gefragt haben, wer sie denn sei.

Eine Ausflucht zu erfinden würde Zeit gekostet und seiner Frau Gelegenheit gegeben haben, Lady Jane’s Anwesenheit zu entdecken. Vanborough, der diese Schwierigkeiten mit dem raschen Scharfblick eines Verzweifelten überschaute, ergriff den kürzesten und kühnsten Weg der furchtbaren Verlegenheit zu entgehen. Er beantwortete Lady Jane’s Frage bejahend mit einem schweigenden Kopfnicken, durch welches er seine Frau, in der Hoffnung, daß Delamayn nichts davon merken werde, rasch zu dessen Frau machte.

Aber dem scharfen Auge Delamayn’s war das bedeutungsvolle Kopfnicken Vanborough’s nicht entgangen.

»Er hielt zwar die erste Regung des Erstaunens über das, was sich Vanborough gegen ihn erlaubte, zurück, begriff aber sofort, daß hier ein falsches Spiel gespielt werde und daß Vanborough den keinen Augenblick zu duldenden Versuch mache, ihn in die Sache zu verwickeln. Entschlossen, seinen Clienten in’s Gesicht Lügen zu strafen, trat er auf denselben zu. Die gesprächige Lady Jane unterbrach ihn, noch ehe er den Mund öffnen konnte.

»Dürfte ich mir eine Frage erlauben? Liegt das Haus nach Süden? Ach gewiß, ich sehe es ja aus dem Stand der Sonne. Diese und die beiden andern Zimmer die ich gesehen habe, sind wohl die einzigen zu ebner Erde. Und ist es ruhig hier? Ach natürlich, ein reizendes Haus. Es wird meiner Freundin sicher viel besser gefallen, als alle die ich bisher gesehen habe. Wollen Sie es mir bis morgen an der Hand lassen?« Hier unterbrach sie ihren Redefluß einen Augenblick, um Athem zu schöpfen und gewährte dadurch Mr. Delamayn zum ersten Mal die Möglichkeit auch seinerseits etwas zu sagen.

»Ich bitte um Vergebung, gnädige Frau«, fing er an. »Ich kann in der That nicht —— ——«

In diesem Augenblick trat Vanborough von rückwärts dicht an den Advokaten heran und verhinderte ihn weiter zu reden, indem er ihm im Vorübergehen in’s Ohr flüsterte:

»Um Gottes willen widersprechen Sie mir nicht! Meine Frau kommt eben herein!«

Lady Jane aber, die Delamayn noch immer für den Herrn vom Hause hielt, fuhr fort die Hausangelegenheiten zu betreiben, indem sie sagte:

»Sie scheinen zu schwanken, verlangen Sie zuverlässige Auskunft über uns?« Mit einem spöttischen Lächeln forderte sie ihren Freund auf ihr zu Hilfe zu kommen, »Mr. Vanborough!«

Vanborough, der sich ängstlich immer näher an das Fenster heranschlich, entschlossen seine Frau auf jede Weise aus dem Zimmer fern zu halten, schien diese Anrede ganz zu überhören Lady Jane ging ihm nach und klopfte ihm ungeduldig mit dem Sonnenschirm auf die Schulter.

In diesem Augenblick erschien Mrs. Vanborough an der Außenseite der Glasthür.

»Ich störe doch nicht?« fragte sie ihren Mann, nachdem sie Lady Jane einen Augenblick scharf in’s Auge gefaßt hatte. »Die Dame scheint eine alte Bekannte von Dir sein.« Der Ton, in dem sie diese Worte sprach, war vermuthlich in Folge des Schlags mit dem Sonnenschirme so sarkastisch, daß man darauf gefaßt sein mußte, im nächsten Augenblick eine Aeußerung der Eifersucht zu vernehmen.

Lady Jane fühlte sich aber nicht einen Augenblick unangenehm berührt. —— Durch ihr vertrautes Verhältniß zu dem Mann ihrer Neigung und durch ihre Stellung als eine vornehme junge Wittwe, durfte sie sich doppelt geschützt glauben. Sie verneigte sich gegen; Mrs. Vanborough mit der vollendeten Höflichkeit der Frauen ihres Standes. Ich habe wohl die Ehre die Frau vom Hause vor mir zu sehen?« sagte sie mit einem graziösen Lächeln.

Mrs. Vanborough verneigte sich kühl, trat in’s Zimmer und antwortete erst dann: »Ja.«

»Wollen Sie mich gefälligst vorstellen«, sagte Lady Jane zu Vanborough gewandt.

Vauborough gehorchte, ohne seine Frau dabei anzusehen und ohne ihren Namen zu nennen.

»Lady Jane Parnell«, sagte er leichthin. »Erlauben Sie mir, Sie an Ihren Wagen zu geleiten«, fügte er hinzu, indem er ihr seinen Arm bot. »Ich will schon dafür sorgen, daß Sie das Haus an der Hand behalten, Sie können mir die Sache getrost überlassen.«

Aber Lady Jane war nicht gewohnt von dannen zu gehen, ohne einen angenehmen Eindruck hinterlassen zu haben, sie verstand es immer und überall, —— wenn auch in einer gegen die verschiedenen Geschlechter sehr verschiedenen Weise ——, liebenswürdig zu sein. Lady Jane wollte nicht fortgehen, bevor es ihr gelungen war, die eisige Kälte der Hausfrau in eine mildere Stimmung zu verwandeln.

»Ich muß mich wiederholt dafür entschuldigen daß ich zu so ungelegener Zeit hier eingedrungen bin«, sagte sie zu Mrs. Vanborough, »und, wie es scheint, die Behaglichkeit der beiden Herren so unangenehm gestört habe. Mr. Vanborough machte ein Gesicht, als ob er mich hundert Meilen wegwünschte, und Ihr Mann ——« bei diesen Worten hielt sie inne und sah auf Mr. Delamayn, »verzeihen Sie, daß ich mich so vertraulich ausdrücke, ich habe noch nicht die Ehre den Namen Ihres Herrn Gemahls zu kennen.«

In sprachlosem Staunen folgte Mrs. Vanborough mit ihrem Blick den Augen Lady Jane’s und ließ denselben auf dem Advokaten ruhen, der ihr persönlich vollkommen fremd war.

Delamayn, der schon lange auf einen Moment harrte, wo er sich erklären könnte, ließ die sich ihm zum zweiten Mal darbietende Gelegenheit diesmal nicht unbenützt vorübergehen.

»Ich bitte um Vergebung«, sagte er, »hier waltet ein Mißverständniß ob, an dem ich völlig unschuldig bin. Ich bin nicht der Mann dieser Dame.«

Jetzt war die Reihe an Lady Jane, erstaunt zu sein. Sie sah Delamayn fragend an, aber vergebens. Er hatte sich aus dem Spiel gezogen und das war ihm genug, er wollte nichts weiter mit der Sache zu thun haben. Er zog sich schweigend in einen entfernten Winkel des Zimmers zurück. Jetzt wandte sich Lady Jane an Vanborough.

»Wenn ich einen Mißgriff gemacht habe«, sagte sie, »so sind jedenfalls Sie verantwortlich dafür. Sie haben meine Frage, ob diese Dame die Frau Ihres Freundes sei, ganz bestimmt bejahend beantwortet.

»Wie?!!« rief Mrs Vanborough laut in finster ungläubigen Tone.

Der angeborene Stolz der großen Dame fing an, die leichte Hülle äußerer Höflichkeit zu durchbrechen.

»Ich kann noch lauter reden, wenn Sie es wünschen«, sagte sie. Ich habe es von Mr. Vanborough daß Sie die Frau jenes Herrn seien.«

Vanborough flüsterte seiner Frau wüthend durch die Zähne die Worte zu: »Die ganze Geschichte ist ein Mißverständnis, geh’ wieder in den Garten.«

Mrs. Vanborough wich einen Augenblick dem Entsetzen über den Ausdruck der furchtbaren Leidenschaftlichkeit und des Schreckens, die sich in den Zügen ihres Mannes walten.

»Wie siehst Du mich an?! Wie sprichst Du mit mir?!«

Er aber wiederholte nur die Worte: »Geh’ in den Garten.«

Lady Jane fing an zu merken, was Delamayn schon einige Minuten früher klar geworden war, daß hier in der Villa in Hampstead etwas nicht in Ordnung sei. Mit der Stellung der Frau vom Hause mußte es unter allen Umständen eine eigenthümliche Bewandtniß haben. Und da das Haus allem Anscheine nach Mr. Vanboroughs Freund gehörte, so mußte dieser Freund, trotz seiner ablehnenden Erklärung, in einer oder der anderen Weise für diese Stellung verantwortlich sein. Von dieser falschen aber sehr natürlichen Voraussetzung ausgehend ließ Lady Jane ihr Auge einen Augenblick auf Mrs. Vanborough mit einem geringschätzig, spöttisch fragenden Ausdruck ruhen, der das schüchternste Weib außer sich gebracht haben würde. Die in diesem Blick liegende Insulte traf die fein empfindende Frau wie ein Stich in’s Herz. Wieder wandte sie sich an ihren Mann, dieses Mal mit der ganz rückhaltlosen Frage:

»Wer ist die Dame da?«

Lady Jane war nicht die Frau, sich durch einen solchen Vorfall einschüchtern zu lassen. Im Vollgefühl ihrer Würde sagte sie:

»Mr. Vanborough, Sie haben mir vorhin angeboten, mich an meinen Wagen zu führen. Ich fange an zu begreifen, daß ich besser gethan hätte, von Ihrem Anerbieten sofort Gebrauch zu machen. Geben Sie mir Ihren Arm, wenn ich bitten darf.

»Halt!« rief Mrs. Vanborough. »Ihre Blicke sprachen Verachtung aus, Ihre Worte lassen nur eine einzige Erklärung zu. Ich bin hier das Opfer einer schändlichen Täuschung, die ich mir noch nicht zu erklären vermag. So viel aber weiß ich gewiß, ich dulde keine Beleidigung in meinem eigenen Hause. Ich verbiete meinem Manne, Ihnen den Arm zu geben!«

»Ihrem Manne?«

Lady Jane sah Vanborough an, Vanborough, den sie liebte, den sie für unverheirathet gehalten hatte, gegen den sie bis zu diesem Augenblick keinen schlimmeren Verdacht gehegt hatte, als daß er die Schwächen seines Freundes zu beschönigen suche.

Mit einem Male waren ihr vornehmer Ton und ihr vornehmes Benehmen verschwunden. Das Gefühl der Beleidigung, die ihr angethan war, die Eifersucht, die sich in ihr regen mußte, wenn diese Frau wirklich Vanborough’s Gattin war, ließ plötzlich die menschliche Natur unverhüllt bei ihr hervortreten. Mit hochgerötheten Wangen und funkelnden Blicken rief sie in hochfahrendem Ton:

»Wenn Sie mir noch etwas zu sagen haben, so thun Sie es gefälligst auf der Stelle. Haben Sie sich der Welt, haben Sie sich mir fälschlich als einen unverheiratheten Mann präsentirt? Ist diese Dame Ihre Frau?«

»Höre sie nur, sieh sie nur an!« rief Mrs. Vanborough gegen ihren Mann gewandt. Aber schaudernd fuhr sie zurück. »Er zaudert«, sagte sie zitternd vor sich hin, »Gerechter Gott, er zaudert.«

Lady Jane wiederholte in strengem Ton ihre Frage:

»Ist diese Dame Ihre Frau?«

Er raffte sich mit dem verzweifelten Muth der Niederträchtigkeit auf und antwortete:

»Nein!«

Mrs. Vanborough wankte und mußte sich an den weißen Fenstervorhängen halten um nicht zu fallen. Sie starrte ihren Mann an und fragte sich: »Wer von uns Beiden ist hier wahnsinnig geworden? er oder ich?«

Lady Jane athmete tief auf: Er war nicht verheirathet, er war nur ein liederlicher Junggeselle und die Liederlichkeit eines Junggesellen ist zwar tadelnswerth aber nicht unbesserlich. Man kann ihm seinen Lebenswandel scharf vorhalten und mit Entschiedenheit darauf bestehen, daß er ihn ändere. Man kann ihm aber dann auch vergeben und ihn heirathen. Mit vollkommen richtigem Tact sprach Lady Jane gegen Vanborough ihre Mißbilligung seines Verhaltens aus, ohne ihm jede Hoffnung für die Zukunft abzuschneiden.

»Ich habe hier eine für mich sehr peinliche Entdeckung machen müssen«, sagte sie zu ihm, »ich muß es Ihnen überlassen, mich dieselbe vergessen zu machen! Leben Sie wohl.«

Der Blick mit dem sie diese Abschiedsworte begleitete, machte Mrs. Vanborough rasend. Sie stürzte an die Thür und versperrte Lady Jane den Weg.

«Nein«, rief sie, »noch dürfen Sie nicht fort von hier.«

Vanborough trat vor, um sich in’s Mittel zu legen. Seine Frau warf ihm einen fürchterlichen Blick der Verachtung zu. »Dieser Mensch lügt«, sagte sie, »ich bin es mir selbst schuldig Ihnen das zu beweisen.« Sie zog an einer neben ihr befindlichen Klingel und hieß den darauf eintretenden Diener ihre Schreibmappe aus dem anstoßenden Zimmer hereinbringen.

Sie verharrte in ihrer Stellung und hielt den Blick fest auf Lady Jane gerichtet, während sie ihrem Manne den Rücken zukehrte Schutzlos und verlassen stand sie da auf den Trümmern ihres ehelichen Glücks, erhaben über den Verrath ihres Mannes, die Gleichgültigkeit des Advokaten und die Verachtung ihrer Nebenbuhlerin In diesem schrecklichen Augenblick erschien sie wie verklärt in dem Glanze ihrer ehemaligen Schönheit. Die große Künstlerin, welcher einstmals in den Tagen ihres Ruhmes, wenn sie fremde Leiden auf der Bühne darstellte, eine athemlose Menge gelauscht hatte, stand jetzt, in ihrem eigenen Leiden größer da als je, während die drei Anwesenden sie athemlos betrachtetem bis sie aufs Neue das Wort ergriff.

Der Diener trat mit der Schreibmappe ein, sie nahm ein Papier aus derselben und reichte es Lady Jane.

»Ich war als Mädchen Opernsängerin und um dem bösen Leumund, dem Frauen in dieser Stellung ausgesetzt sind, zu begegnen, habe ich mich bei meiner Heirath mit diesem Document versehen, das für sich selbst spricht. Selbst in der höchsten Gesellschaft werden. solche Papiere respectirt!«

Lady Jane betrachtete das Document, es war ein Trauschein. Sie erbleichte und winkte Vanborough zu sich heran indem sie ihn fragte: »Wollen Sie mich hintergehen?«

Vanborough wandte sich nach dem Advokaten um, der noch immer in seinem Winkel saß und mit unerschütterlicher Ruhe der Dinge harrte, die da kommen würden. »Darf ich Sie bitten einen Augenblick herzukommen«, sagte er.

Delamayn erhob sich und trat heran. Jetzt wandte sich Vanborough an Lady Jane und sagte:

»Wenden Sie sich gefälligst an meinen Advokaten der kein Interesse dabei haben kann, Sie zu hintergehen.«

»Ich werde mich auf eine Darlegung des Thatbestandes beschränken«, sagte dieser, »und würde jede weitere Erklärung ablehnen müssen.«

»Mehr wird auch nicht von Ihnen verlangt.«

Mrs. Vanborough, die diesem kurzen Gespräch mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gefolgt war, trat jetzt schweigend einen Schritt vor. Der stolze Muth, der sie der offenen Insulte gegenüber beseelt hatte, verließ sie, als sie inne ward, daß eine ungeahnte Enthüllung über sie hereinzubrechen drohe. Eine namenlose Angst bemächtigte sich ihrer.

Lady Jane überreichte dem Advokaten den Trauschein.

»Beantworten Sie mir bitte«, sagte sie ungeduldig, »kurz die Frage, was bedeutet dieser Schein?«

»Ganz kurz, gnädige Frau«, antwortete Delamayn, »dieser Schein ist ein werthloses Stück Papier.«

»Er ist also nicht verheirathet?«

»Nicht verheirathet.«

Nach einer kurzen Pause warf Lady Jane der schweigend neben ihr stehenden Mrs. Vanborough einen durchdringenden Blick zu und fuhr entsetzt zurück. »Bringen Sie mich fort«, rief sie mit dem Ausdruck des Schauders vor dem geisterhaft bleichen Antlitz mit den starren unheimlich funkelnden Augen, das ihr gegenüber stand. »Bringen Sie mich fort von hier, das Weib will mir an’s Leben!«

Mr. Vanborough reichte ihr seinen Arm und führte sie hinaus. Im Zimmer herrschte Todtenstille. Mrs Vanborough folgte den Fortgehenden mit demselben furchtbar starren Blick, bis sich die Thür hinter ihnen schloß. Der Advokat, der sich nun mit der verleugneten und verlassenen Frau allein befand, legte den werthlosen Schein schweigend auf den Tisch. Eine kurze Weile hatte sie abwechselnd auf den Schein und auf ihn geblickt, als sie plötzlich, ohne einen Schrei auszustoßen und ohne daß sie einen Versuch gemacht hätte, sich aufrecht zu erhalten, bewußtlos dicht vor ihm zu Boden sank.

Er hob sie auf und legte sie, in der Erwartung, daß Vanborough gleich wieder kommen werde, auf das Sopha. Bei dem Anblick ihres, noch in diesem Zustande der Bewußtlosigkeit schönen Gesichts, mußte selbst dieser Mann in seiner unerschütterlichen Kälte sich gestehen, daß ein hartes Schicksal diese Frau betroffen habe.

Aber die Verantwortlichkeit dafür hatte allein das Gesetz zu tragen.

Draußen ließ sich das Rollen eines Wagens vernehmen. Lady Jane fuhr weg. Delamayn fragte sich, ob der Mann dieser unglücklichen Frau zurückkommen werde; der Mann dieser Frau! So mächtig ist die Gewohnheit, selbst Delamayn sah trotz des Gesetzes und des eben Vorgefallenen noch immer in Vanborough den Mann dieser Frau.

Aber er kam nicht! Eine Minute nach der andern verging und noch immer erschien er nicht.

Es schien nicht gerathen, das Haus zu arlarmiren. Nur ungern mochte er allein die Verantwortlichkeit dafür übernehmem daß die Dienstboten von Dem, was vorgefallen war, Kenntniß erhielten. Aber noch immer lag sie bewußtlos da. Die kühle Abendluft drang durch das geöffnete Fenster in’s Zimmer und bewegte die leichten Bänder ihrer Spitzenhaube und die kleine Haarlocke, die sich gelöst hatte und auf den Hals herabhing. Da lag sie, das Weib, das Vanborough geliebt hatte, die Mutter seines Kindes.

Endlich mußte Delamayn sich entschließen, Hilfe herbeizurufen. Aber in dem Augenblick, wo er sich anschickte, die Glocke zu ziehen, wurde die Stille dieses Sommerabends noch einmal unterbrochen. Wieder ließ sich das Rolleii eines Wagens vernehmen, der sich rasch dein Hause näherte und plötzlich hielt.

War es Lady Jane, die zurückkam?

War es Vanborough?«

Die Hausglocke wurde stark angezogen, die Thür öffnete sich rasch und das Rauschen weiblicher Kleidung ließ sich auf dem Corridor vernehmen. Die Thür des Zimmers öffnete sich und eine Dame trat ein. Nicht Lady Jane, sondern eine Fremde, die um viele Jahre älter war, als Lady Jane. Eine Frau, die vielleicht zu andern Zeiten häßlich erschienen wäre, die aber jetzt in der Freude, die ihr Gesicht. verklärte, fast schön aussah.

Bei dem Anblick der bewußtlosen Gestalt auf dem Sopha eilte sie mit einem Schrei des Entsetzens auf dieselbe zu. Sie sank auf die Knie, drückte. das hilflose Haupt an ihr Herz und bedeckte die kalten, bleichen Wangen mit schwesterlichen Küssen.

»O, mein Herz!« rief sie, müssen wir uns so wiedersehen?«

Ja, nach den langen, seit dem Abschiede in der Schiffskajüte verflossenen Jahren, sahen sich die beiden Schulfreundinnen zum ersten Male so wieder.



Kapiteltrenner


Zweiter Theil - Der Gang der Ereignisse.

V.

Das Vorspiel geht von dem Zeitpunkt der zuletzt geschilderten Begebenheiten im Sommer "1855 zu einem zwölf Jahre späteren Zeitpunkt über, nachdem die Erlebnisse der mit dem Trauerspiel in der Villa zu Hampstead verknüpften Personen rasch vor den Augen des Lesers vorüber geführt sind, und derselbe bis an die Schwelle der Erzählung, die im Frühjahr 1868 beginnt, geleitet sein wird.

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Zu melden ist zunächst die Verheirathung des Mr. Vanborough mit Lady Jane Parnell. —— —— Drei Monate nach jenem denkwürdigen Tage konnte Vanborough, nachdem er von seinem Advokaten die Gewißheit erlangt hatte, daß er ein freier Mann sei und daß die Gesetzgebung Großbritanniens seinen schmählichen Verrath sanctionire, die Frau, deren Besitz er erstrebt hatte, sein eigen nennen.

Er wurde in’s Parlament gewählt, er gab, Dank der Stellung seiner Frau, sechs der größten Diners und zwei der fashionabelsten Bälle in der Saison; seine erste Rede im Unterhause wurde beifällig aufgenommen; er stiftete eine Kirche in einer armen Gegend der Nachbarschaft; er schrieb einen Artikel in einer Vierteljahrsschrift, der die allgemeine Aufmerksamkeit aus sich zog; er entdeckte und denuncirte einen schreienden Mißbrauch in der Verwaltung einer öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalt und bewirkte dessen Abstellung; er konnte —— ebenfalls Dank der Stellung seiner Frau —— während der Herbstferien auf seinem Landhause unter seinen Gästen ein Mitglied der königlichen Familie begrüßen. Das waren seine Triumphe, das seine Fortschritte auf dem Wege zum Oberhause während der ersten Jahre seiner Ehe mit Lady Jane.

Es gab nur noch eine Gunst, welche das Glück seinem Schooßkind gewähren konnte, und auch diese Gunst gewährte es ihm. So lange die Frau, die er verleugnet und verlassen hatte, am Leben war, haftete ein Makel an Vanborough’s vergangenem Leben. Gegen Ende des ersten Jahres aber starb diese Frau und der Makel war getilgt.

Sie hatte die ihr angethane schimpfliche Beleidigung mit seltener Geduld, mit bewundernswerthem Muthe hingenommen. Man darf Vanborough die Anerkennung nicht versagen, daß er ihr Herz unter strengster Beobachtung der Gebote der Schicklichkeit brach. Er ließ ihr durch seinen Advokaten ein sehr anständiges Jahrgehalt für sie und ihre Tochter anbieten. Sie lehnte das Anerbieten, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, ab. Sie wollte weder seinen Namen mehr tragen, noch sein Geld annehmen. Unter dem Namen, den sie als Mädchen getragen und der sie in der Kunstwelt berühmt gemacht hatte, waren Mutter und Tochter von nun an allen Denen bekannt, die es noch der Mühe werth hielten, sich um sie zu kümmern, seit sie in stiller Verborgenheit lebten.

Es war kein falscher Stolz in dieser Haltung, zu der sie sich entschloß, nachdem ihr Gatte sie verlassen hatte. Mrs. Silvester, wie sie sich jetzt nannte, nahm die Unterstützung der theuren alten Freundin, die sie in ihrem Unglück wiedergefunden hatte, und die ihr bis an das Ende ihres Lebens treu blieb, für sich und ihre Tochter Anne dankbar an.

Sie lebten bei dieser Freundin Lady Lundie, bis Mrs. Silvester sich stark genug fühlte, ihren künftigen Lebensplan, ihr Brot als Gesanglehrerin zu verdienen, zur Ausführung zu bringen. Dem äußern Anschein nach erholte sie sich und war nach Verlauf weniger Monate wieder ganz die Alte. Sie kam in ihrem neuen Beruf sehr gut fort, überall erwarb sie sich Sympathie, Vertrauen und Achtung, als plötzlich im Beginn ihrer neuen Laufbahn ihre Kräfte zu schwinden anfingen. Niemand wußte sich ihren Zustand zu erklären. Selbst die Aerzte waren verschiedener Ansichten. Medicinisch gesprochen, war kein Grund dieser verzehrenden Krankheit erfindlich, und für die Männer der Wissenschaft war es eine reine Redensart, wenn Lady Lundie erklärte, ihre Freundin habe den Todesstoß an dem Tage erhalten, wo ihr Gatte sie verlassen habe. Fest stand nur die Thatsache, die man sich erklären mag wie man will, daß Mrs. Silvester ungeachtet nicht nur der Anwendung aller physischen Mittel, sondern auch des ganzen Aufgebots ihrer Energie und des muthigen Entschlusses, für ihr Kind zu leben, hinsiechte und starb.

In den letzten Tagen ihrer Krankheit fing ihre Geisteskraft nachzulassen an. Die Jugendfreundin, die an ihrem Bette saß, hörte sie reden, als ob sie sich in jene Stunde des Abschieds in der Schiffskajüte zurückversetzt glaube. Die arme Sterbende hatte in ihrer Stimme wieder den Ton und in ihrem Auge fast wieder den Blick, wie in jener Stunde, in der die beiden Mädchen sich getrennt hatten, um so verschiedene Lebenswege zu betreten. »Liebste Freundin«, sagte sie, »wir wollen uns mit all’ der alten Liebe im Herzen wiedersehen«, und sprach diese Worte genau in demselben Ton, wie sie diese vor fast einem Menschenalter gesprochen hatte. Aber vor ihrem Ende erlangte sie wieder ein völlig klares Bewußtsein. Sie überraschte den Arzt und die Wärterin durch die freundlich ausgesprochene Bitte, das Zimmer zu verlassen. Als sie und Lady Lundie allein waren, sah sie diese an, als ob sie plötzlich aus einem Traum erwache und sich ihres Zustandes wieder klar bewußt werde.

»Blanche!« sagte sie, »willst Du Dich meines Kindes annehmen?«

»Sie soll mein Kind sein, Anne, wenn Du uns verlassen hast.«

Die Sterbende hielt inne und schien einen Augenblick nachzudenken. Plötzlich fing sie an zu zittern. »Im strengsten Vertrauen«, sagte sie, »ich fürchte für mein Kind.«

»Warum das?«

»Ist nicht Anne mein vollkommenes Ebenbild?«

»Ja.«

»Liebt sie nicht Dein Kind wie ich Dich geliebt habe?«

»Ja.«

»Sie trägt nicht den Namen ihres Vaters, sondern den meinigen. Ist sie nicht Anne Silvester, wie ich es gewesen bin? —— Blanche! Wird sie auch enden wie ich?«

Sie that diese Frage mit dem schweren Athem und dem Lallen der Zunge, welche den nahen Tod verkünden. Die Freundin fühlte sich aufs tiefste erschüttert.

»Wie kommst Du auf solche Gedanken?« rief sie entsetzt »Um Gotteswillen, denke so etwas nicht!«

»Die Augen der Sterbenden nahmen wieder den Ausdruck der Bewußtlosigkeit an. Sie versuchte, eine ungeduldige Handbewegung zu machen. Lady Lundie beugte sich über sie und vernahm die kaum hörbar geflüsterten Worte »Richte mich auf!«

Als sie nun in den Armen ihrer Freundin lag und in deren Augen blickte, kam sie wieder auf ihre qualvolle Angst vor dem Schicksal ihres Kindes zurück.

»Laß sie nicht erzogen werden wie ich! Sie muß Gouvernante werden, sie muß ihr Brod verdienen. Laß sie nicht Schauspielerin, nicht Sängerin werden! Laß sie nicht auf die Bühne gehen!« Sie hielt inne, aber plötzlich fügte sie mit einem Lächeln und mit einer Stimme, deren Anmuth an frühere Zeiten erinnerte, die einst als Mädchen gesprochenen Worte hinzu: »Gelobe es mir, Blanche! Lady Lundie küßte sie und antwortete, wie sie damals auf dem Schiff geantwortet hatte, »ich gelobe es, Anne!«

Da ließ die Sterbende dass Haupt sinken, um es nie wieder zu erheben. Der letzte Lebensfunke flackerte noch einmal in den schon verdüsterten Blicken auf und verlosch. Noch einen Augenblick bewegten sich ihre Lippen. Lady Lundie legte ihr Ohr dicht an dieselben und hörte die schreckliche Frage noch einmal in denselben schrecklichen Worten ausgesprochen »Sie ist Anne Silvester, —— wie ich es war. Wird sie auch enden wie ich?«



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VI.

Fünf Jahre waren vergangen und die Lebensschicksale der drei Männer, welche in der Villa in Hampstead zusammen beim Dessert gesessen hatten, fingen an, in ihrem wechselvollen Verlauf den Fortschritt der Zeit zu bekunden. Die drei Männer waren, wie sich der Leser erinnert, die Mrs. Kendrew, Delamayn und Vanborough.

Wie der Freund Vanborough’s, Mr. Kendrew, seine Empfindungen bei dem Verrath des Gatten geäußert hatte, ist bereits erzählt worden. Wir haben noch zu berichten, welchen Eindruck die Nachricht von dem Tode der verlassenen Frau auf ihn machte. Das Gerücht, welches den Menschen in’s innerste Herz zu schauen versteht und sich darin gefällt, dieses Innerste dem Auge der Menge blos zu legen, hatte immer behauptet, daß über dem Leben Krendrew’s ein Geheimniß walte, und daß dieses Geheimniß in einer hoffnungslosen Leidenschaft für die schöne Frau bestehe, die sein Freund geheirathet hatte. Keine gegen ein lebendes Wesen geschehene, noch so entfernte Anspielung, kein jemals zu der Frau selbst gesprochenes Wort konnte, so lange diese lebte, zum Beweise jener Behauptung angeführt werden. Als sie starb, tauchte das Gerücht mit größerer Bestimmtheit als je zuvor wieder aus und berief sich auf das Benehmen des Mannes als Beweis für seine Behauptung.

Er wohnte dem Leichenbegängniß bei, obgleich er kein Verwandter war. In einem Augenblick, wo er unbeobachtet glaubte, pflückte er einige Grashalme von dem Rasen, mit dem ihr Grab zugedeckt wurde. Man sah ihn nicht mehr in seinem Club, er ging auf Reisen. Als er zurückkehrte, erklärte er, daß er Englands überdrüssig sei und bewarb sich mit Erfolg um eine Anstellung in einer der Colonien. Was mußte man aus alle Dem, schließen? War es nicht klar, daß sein bisheriges Leben allen Reiz für ihn verloren hatte, seit der Gegenstand seiner Neigung verschwunden war? Vielleicht war dem so, es sind schon weniger wahrscheinliche Vermuthungen aufgestellt worden, die doch das Wahre getroffen haben. Wie dem aber auch sein mag, gewiß ist, daß er England verließ, um nie wieder dahin zurückzukehren.

Mr. Delamayn ließ sich von der Liste der Rechtsanwalte streichen, um sich durch ernste juristische Studien auf die Carriere eines plaidirenden Advocaten vorzubereiten. Drei Jahre lang erfuhr man nichts von ihm, als daß er eifrig studire. Als seine Studien zu Ende waren, fand er alsbald Gelegenheit dieselben zu verwerthen. Seine früheren Associé wußten, daß er ihr Vertrauen verdiene und übergaben ihm die Verhandlung ihrer Sachen vor Gericht. Im Verlaufe von zwei Jahren hatte er sich eine angesehene Stellung als Sachwalter gegründet. Am Schluß dieser zwei Jahre wußte er sich außerhalb der engeren juristischen Kreise eine Stellung zu gewinnen. Er erschien als einer der beiden Anwälte in einem berühmten Fall, in welchem die Ehre einer großen Familie und der Anspruch auf einen großen Grundbesitz auf dem Spiele standen. Am Vorabend der Hauptverhandlung erkrankte sein älterer College. Er hatte daher die Sache des Beklagten allein zu vertreten und gewann dieselbe. Auf die Frage seines dankbaren Clienten, was er für ihn thun könne, antwortete Delamayn, »Verhelfen Sie mir zu einem Parlamentssitz.« Sein Client ein Landedelmann, brauchte nur die nöthigen Befehle an seine Pächter zu erlassen, und siehe da, Delamayn wurde in’s Parlament gewählt!

Im Hause der Gemeinen traf das neue Mitglied mit Vanborough zusammen.

Sie saßen auf derselben Bank und gehörten zu derselben Partei. Delamayn fiel es alsbald auf, daß Vanborough grau geworden sei und alt und abgenutzt aussehe Er zog bei wohlunterrichteten Personen Erkundigungen über ihn ein. Die Befragten schüttelten den Kopf. Vanborough war reich, hatte durch seine Frau die einflußreichsten Verbindungen und war ein wohlbehaltener Mann in jedem Sinne des Worts, aber —— Niemand mochte ihn. Im ersten Jahre seines öffentlichen Auftretens war es ihm sehr gut gegangen, aber seitdem war ein Stillstand eingetreten. Er war unleugbar ein gescheidter Mann, aber der Eindruck seiner Persönlichkeit im Hause war ein unangenehmer. Er gab glänzende Gesellschaften, war aber doch in der Gesellschaft nicht beliebt. Seine Partei respectirte ihn, aber, wenn sie irgend eine Gunst zu gewähren hatte, überging sie ihn. Was ihm im Wege stand, konnte in Wahrheit nur sein eigenthümliches Temperament sein; man konnte nichts gegen ihn sagen, Alles sprach zu seinen Gunsten; und doch konnte er sich keine Freunde erwerben, er war mit einem Wort ein verbitterter Mensch, in seinem ganzen Wesen in und außer dem Hause verbittert.



Kapiteltrenner


VII.

Es vergingen fernere fünf Jahre seit dem Tage, wo die verlassene Frau begraben worden war. Es war im Jahre 1866.

An einem Tage dieses Jahres las man zwei bemerkenswerthe Nachrichten in den Blättern, die Nachricht einer Erhebung zum Pair, und die Nachricht von einem Selbstmord.

War es Mrs Delamayn schon in seiner Laufbahn als Advocat gut gegangen, so erreichte er doch noch größere Erfolge im Parlament. Er wurde eines der hervorragendsten Mitglieder des Hauses; er sprach klar, verständlich und bescheiden, —— und niemals zu lang, wußte das Haus zu fesseln, wo noch begabtere Männer es langweilten. Die Häupter seiner Partei sprachen ihre Anerkennung offen in der Erklärung aus, daß etwas für Delamayn geschehen müsse. Die Gelegenheit bot sich dar, und die Parteiführer hielten ihr Wort. Ihr Staatsanwalt wurde zu einer höheren Stelle befördert, und sie machten Delamayn zu seinem Nachfolger. Unter den ältern Advokaten rief diese Ernennung große Aufregung hervor. Das Ministerium aber antwortete: »Wir brauchen einen Mann, dem man im Hause der Gemeinen zuhört, und wir haben ihn gefunden.« Die Zeitungen sprachen sich zu Gunsten der neuen Ernennung aus. Bei einer bald darauf entstehenden großen Debatte rechtfertigte der neue Staatsanwalt die Wahl des Ministeriums und die Unterstützung der Zeitungen. Seine Feinde sagten spöttisch: »Der wird in ein bis zwei Jahren Lordkanzler werden«, und seine Freunde machten in seinem häuslichen Kreise harmlose Scherze, die auf dieselbe Prophezeiung hinausliefen. Sie warnten seine beiden Söhne, Julius und Geoffrey, die damals im college waren, mit ihren Bekanntschaften vorsichtig zu sein, da sie jeden Augenblick Söhne eines Lords werden könnten.

Der Verlauf der Ereignisse schien der Prophezeiung Recht geben zu wollen. Der nächste Schritt, den Mr. Delamayn auf der Stufenleiter hoher Staatsämter machte, war seine Ernennung zum Kronanwalt. Ungefähr um dieselbe Zeit —— so wahr ist es, daß nichts den Erfolg so sehr befördert, wie der Erfolg -—, starb ein kinderloser Verwandter Delamayn’s und hinterließ ihm sein Vermögen. Im Sommer 1866 wurde die Stelle eines Oberrichters vacant. Das Ministerium hatte eine Wiederbesetzung dieser Stelle beabsichtigt, die allgemeines Mißfallen erregte. Als dasselbe daher einen Ersatzmann für die Stelle des Kronanwalts fand, offerirte es Delamayn die Stelle des Oberrichters. Er zog es aber vor, im Hause der Gemeinen zu bleiben und lehnte die angebotene Stelle ab. Das Ministerium seinerseits aber weigerte sich, die ablehnende Erklärung anzunehmen. Man fragte vertraulich bei ihm an, ob er die Stelle unter Erhebung zum Pair aceeptiren würde. Delamayn berieth die Sache mit seiner Frau und acceptirte die Stelle mit einer Erhebung zur Pairswürde. Die »London Gazette« verkündete der Welt seine Erhebung unter dem Namen eines Barons Holchester of Holchester. Und die Freunde der Familie rieben sich vergnügt die Hände und sagten: »Seht Ihr, haben wir es Euch nicht vorausgesag!? Jetzt sind unsere beiden jungen Freunde, Julius und Geoffrey, die Söhne eines Lords!«

Und wo war Mr. Vanborough während dieser ganzen Zeit? Genau da, wo wir ihn fünf Jahre früher verlassen haben.

Er war noch ebenso reich, vielleicht noch reicher, als zuvor. Er hatte noch dieselben einflußreichen Verbindungen; er war noch ebenso ehrgeizig, wie vordem, aber das war auch Alles. Seine Stellung im Hause der Gemeinen und seine Stellung in der Gesellschaft blieben unverändert, mit dem einzigen Unterschied, daß der verbitterte Mann noch verbitterter, sein graues Haar noch grauer und sein reizbares Temperament noch unerträglichen als zuvor geworden waren. Seine Frau bewohnte ihre eigenen Gemächer im Hause und er die seinigen, —— und die Kammerfrau und der Kammerdiener sorgten dafür, daß sie sich niemals auf der Treppe begegneten. Sie hatten keine Kinder und sahen sich nur bei den großen Diners und Bällen, die sie von Zeit zu Zeit gaben. Die Leute aßen an ihrem Tische und tanzten auf ihrem Parquetboden und unterhielten sich nachher darüber, wie langweilig es gewesen sei. Während der Mann, der einst Vanborough’s Advokat gewesen war, eine Staffel nach der anderen auf der Leiter der Staatsämter emporstieg, bis er in’s Oberhaus gelangte und nicht höher steigen konnte, blieb Vanborough am Fuß der Leiter stehen und sah den Andern vor sich aufsteigen, ohne trotz all’ seines Reichthums und seiner vornehmen Familie mehr Aussicht zu haben, ihm in’s Haus der Lords zu folgen, als der Geringste aus dem Volk.

Die Carriere des Mannes war zu Ende, und an dem Tage, wo die Ernennung des neuen Pairs verkündet wurde, endete auch das Leben des Mannes.

Er legte die Zeitung, ohne irgend eine Bemerkung zu machen, bei Seite und fuhr aus. Er verließ den Wagen da, wo im Nordwesten von London noch heute grünes Weideland liegt, in der Nähe des Fußsteiges, der nach Hampstead führt. Er ging allein nach der Villa, in der er einst mit der Frau gelebt, die er so grausam behandelt hatte. Neue Häuser waren um dieselbe her emporgestiegen, selbst ein Theil des alten Gartens war verkauft und bebaut worden. Einen Augenblick zauderte er, dann trat er an’s Gitter und zog die Glocke. Er händigte dem Diener seine Karte ein. Dem Herrn des Hauses war der auf der Karte befindliche Name als der eines sehr reichen Mitgliedes des Parlaments bekannt. Er empfing den Fremden mit der höflichen Frage, welchem glücklichen Umstände er die Ehre dieses Besuches verdanke. Vanborough antwortete kurz und einfach: »Ich habe vor Jahren hier gewohnt, und knüpfen sich für mich Erinnerungen an diesen Platz, mit deren genauerer Mittheilung ich Sie nicht zu behelligen brauche. Sie müssen entschuldigen, wenn ich mich mit einer sehr sonderbaren Bitte an Sie wende; ich möchte gern das Eßzimmer einmal wieder sehen, wenn ich Niemanden störe und Sie nichts dagegen haben.«

Die »sonderbaren Bitten« reicher Leute genießen des Vorrechts einer freundlichen Aufnahme, aus dem sehr triftigen Grunde, daß man bei ihnen sicher ist, nicht um sein Geld gebracht zu werden.

In das Eßzimmer geführt ging Vanborough direct auf einen Fleck auf dem Teppich zu, in der Nähe der in den Garten führenden Glasthür, der Eingangssthür ungefähr gegenüber. Auf diesem Fleck blieb er, das Haupt auf die Brust gesenkt, schweigend und nachdenklich stehen. Tsar das vielleicht die Stelle, auf der er sie an jenem Tage, wo er das Zimmer auf immer verließ, zum letzten Male gesehen hatte? Ja, sie war es. Nachdem er so eine Zeitlang in Gedanken versunken dagestanden hatte, schien er wieder zur Besinnung zu kommen, sah aber noch immer träumerisch und abwesend aus. Er äußerte, es sei ein hübscher Landsitz, dankte dem Besitzer, blickte noch einmal um sich, bevor sich die Thür hinter ihm schloß und ging dann wieder seines Weges. An derselben Stelle, wo er seinen Wagen verlassen hatte, bestieg er ihn wieder. Er fuhr bei dem neuen Lord Holchester vor, gab seine Karte ab und kehrte dann nach Hause zurück. Hier erinnerte ihn sein Secretär daran, daß er in zehn Minuten Jemanden zu empfangen habe. Er dankte dem Secretair in demselben träumerisch abwesenden Tone, in welchem er dem Besitzer der Villa gedankt hatte und ging in sein Ankleidezimmer. Die Person, die er zu sich beschieden hatte, kam, und der Secretair schickte den Kammerdiener hinauf, bei dem Herrn anzuklopfen. Es erfolgte keine Antwort. Als man mit einem Schlüssel zu öffnen versuchte, fand sich, daß das Zimmer von innen verschlossen sei. Man erbrach endlich die Thür und fand Vanborough auf dem Sopha liegen. Man trat näher heran und fand, daß er sich selbst das Leben genommen hatte.



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VIII.

Seinem Ende rasch entgegengehend hat das Vorspiel noch zu zeigen, wie die beiden Mädchen, Anne und Blanche, die verflossenen Jahre verlebt hatten. Lady Lundie löste das feierliche Wort, das sie ihrer Freundin gegeben hatte, voll ein. Sorgfältig vor jeder Versuchung bewahrt, die das Verlangen, dieselbe Laufbahn wie ihre Mutter zu betreten, in ihr hätte erwecken können, mit allen für Geld erreichbaren Mitteln für das Leben einer Erzieherin vorbereitet, durfte Anne ihre ersten und einzigen Versuche auf dem Felde der Erziehung unter Lady Lundie’s eigenem Dach, an Lady Lundies eigenem Kinde machen. Die Verschiedenheit des Alters der beiden Mädchen, sieben Jahre, und ihre gegenseitige Liebe, die mit jedem Tage zuzunehmen schien, Begünstigten diesen ersten Versuch. In der zwiefachen Eigenschaft einer Lehrerin und Freundin der kleinen Blanche flossen die Mädchenjahre Anne Silvester’s sicher, glücklich und ereignißlos, in dem stillen Heiligthum einer bescheidenen Häuslichkeit dahin. Ein schärferer Contrast zwischen ihrem und ihrer Mutter Jugendleben war nicht denkbar. Niemand, der das Leben dieses Mädchens beobachtete, hätte in der schrecklichen Frage, welche die Mutter in ihren letzten Augenblicken gemartert hatte: »Wird sie auch enden wie ich? etwas Anderes als das Wahngebilde einer Sterbenden erblicken können.

Indessen wurde doch das friedliche Familienleben im Lauf der Jahre, die wir jetzt an uns vorüberziehen lassen, durch zwei wichtige Ereignisse unterbrochen. Im Jahre 1858 brachte die Ankunft Sir Thomas Lundie’s neues Leben in das Haus, und im Jahre 1865 wurde der Haushalt in Folge der Rückkehr Sir Thomas Lundie’s nach Indien in Begleitung seiner Frau ganz aufgehoben.

Lady Lundie’s Gesundheit war seit einiger Zeit schwankend geworden. Die zu Rathe gezogenen Aerzte erklärten, zufällig gerade zu der Zeit, wo Sir Thomas wieder nach Indien zurückkehren mußte, daß eine Seereise gerade das geeignete Mittel sei, die Kräfte ihrer Patientin wiederherzustellen. Um seiner Frau willen fand sich Sir Thomas bereit, seine Rückkehr zu verschieben, um die Seereise mit ihr machen zu können.

Die einzige Schwierigkeit, die bei dieser Reise zu überwinden war, bestand darin, daß man Blanche und Anne während der Zeit in England zurücklassen mußte.

Die Aerzte hatten nämlich erklärt, daß sie es nicht für gerathen halten könnten, Blanche in dem kritischen Zeitpunkt ihrer Entwickelung mit ihrer Mutter nach Indien zurückkehren zu lassen. Gleichzeitig erboten sich nahe und liebe Verwandte, freundschaftlichst bereit, Blanche und ihre Erzieherin bei sich aufzunehmen, während sich Sir Thomas seinerseits verpflichtete seine Frau in anderthalb, höchstens zwei Jahren nach England zurückzubringen. Von allen Seiten bestürmt, mußte Lady Lundie endlich ihre Abneigung, die Mädchen zu verlassen, überwinden Sie entschloß sich zu der Reise mit schwerem Herzen und sorgenvollen Gedanken an die Zukunft.

Im letzten Augenblick nahm sie Anne Silvester mit sich in einen Winkel des Zimmers, wo Niemand von den Anwesenden sie hören konnte. Anne war jetzt zweiundzwanzig, Blanche fünfzehn Jahr alt.

»Mein liebes Kind«, sagte sie ruhig, »ich muß Dir etwas anvertrauen, was ich meinem Mann nicht sagen kann, und was ich mich Blanche zusagen scheue. Ich verlasse Euch mit schlimmen Ahnungen. Ich fühle, daß ich nicht wieder nach England zurückkehren werde, und ich glaube, mein Mann wird sich nach meinem Tode wieder verheirathen. Vor Jahren war Deine Mutter auf ihrem Totenbett besorgt für Deine Zukunft, jetzt bin ich für Blanches Zukunft besorgt. Damals versprach ich meiner theuren verstorbenen Freundin, daß ich für Dich wie für mein eigenes Kind sorgen wolle, und das beruhigte sie. Beruhige Du jetzt mich, Anne, vor meiner Abreise. Was auch im Lauf der Zeit geschehen möge, versprich mir, immer für Blanche zu sein, was Du ihr jetzt bist, eine Schwester.« Zum legten Male reichte sie ihr die Hand. Mit ganzer Innigkeit küßte Arme Silvester diese Hand und versprach es.



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IX.

Zwei Monate später war eine der bösen Ahnungen, die auf Lady Lundie’s Gemüth gelastet hatten, in Erfüllung gegangen. Sie starb während der Reise und fand ihr Grab in der kalten See.

Ein Jahr später hatte sich auch ihre zweite Befürchtung bestätigt. Sir Thomas Lundie verheirathete sich zum zweiten Mal. Gegen Ende des Jahres 1866 kam er mit seiner zweiten Frau nach England zurück.

Das Leben schien in dem neuen Haushalt ebenso ruhig wie in dem alten verlaufen zu sollen. Sir Thomas ehrte das Vertrauen, das seine erste Frau auf Anne gesetzt hatte. Die neue Lady Lundie richtete ihr Benehmen in dieser Angelegenheit kluger Weise nach dem ihres Mannes und ließ die Dinge, wie sie dieselben in dem neuen Hause fand. Im Beginn des Jahres 1867 war das Verhältniß zwischen Anne und Blanche das zweier mit inniger Zuneigung aneinanderhängender Schwestern. Die Aussichten in die Zukunft waren die freundlichsten.

Von den mit dem Trauerspiel, das vor zwölf Jahren in der Villa in Hampstead gespielt hatte, verknüpften Personen waren um diese Zeit drei bereits gestorben, und eine in freiwilliger Verbannung im Auslande. In England lebten nur noch Anne und Blanche, die damals Kinder gewesen waren, und der Advocat, der die Ungültigkeit der irischen Heirath entdeckt hatte. —— damals Mr. Delamayn, jetzt Lord Holchester.

Ende des Vorspiels.



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