Mann und Weib



Drittes Kapitel - Die Entdeckung

So waren denn nur noch zwei Personen im Garten-Pavillon Sir Patrick und Amold Brinkworth.

»Mr. Brinkworth«, fing der alte Herr an, »ich habe bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, mich mit Ihnen zu unterhalten und da Sie, wie ich höre, uns noch heute verlassen wollen, würde ich auch später keine Gelegenheit finden, mit Ihnen zu reden. Ich muß mich Ihnen zunächst vorstellen. Ihr Vater gehörte zu meinen vertrauten Freunden, wollen Sie, als sein Sohn, sich ebenfalls zu meinen Freunden zählen?« Dabei reichte er ihm die Hand und nannte seinen Namen. Arnold schlug sofort in die dargereichte Hand ein.

»Sir Patrick,« sagte er warm, »wenn mein armer Vater Ihren Rath befolgt hätte, würde er es sich zweimal überlegt haben, bevor er sein Vermögen beim Rennen verspielt hätte.....«

»Und er wäre vielleicht noch jetzt unter uns, und nicht als Verbannter in einem fremden Lande gestorben,« sagte Sir Patrick, den von Arnold begonnenen Satz vollendend »Reden wir nicht mehr davon, sondern von etwas Anderem.«

»Lady Lundie hat mir kürzlich über Sie geschrieben sie theilte mir mit, daß Ihre Tante gestorben sei und Ihnen ihr Gut in Schottland hinterlassen habe. Ist dem wirklich so, dann wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen Glück.«

Aber warum sind Sie hier zum Besuch, statt auf Ihrem Gute nach dem Rechten zu sehen? Freilich ist es nur dreiundzwanzig Meilen von hier entfernt und Sie wollen wohl noch heute mit dem nächsten Zuge hinreisen? Recht so! Wie, und dann wollen Sie übermorgen wiederkommen? Aber warum denn das? Vermuthlich fesselt Sie etwas hier? Sie sind sehr jung, Sie sind Versuchungen aller Art ausgesetzt. Sind Sie denn ein leidlich verständiger Mensch? Wenn Sie einen soliden Grund von gesundem Menschenverstand haben, so verdanken Sie das nicht Ihrem armen Vater! Sie müssen noch ganz jung gewesen sein, als er die Aussichten seiner Kinder zerstörte. Womit haben Sie Ihre Zeit seitdem hingebracht? Was war Ihre Beschäftigung, als das Testament Ihrer Tante Sie für Lebenszeit zu einem Müßiggänger machte?«

Diese Fragen hatten etwas Inquisitorisches, aber Arnold beantwortete sie, ohne einen Augenblick zu zaudern und sprach mit einer Einfachheit, durch die er sich sofort Sir Patricks Herz gewann.

»Ich war auf der Schule zu Eton, als die Verluste meines Vaters ihn ruinirten; ich mußte die Schule verlassen und mir selbst mein Brot verdienen, und ich habe das sauer genug bis zu diesem Tage gethan. Ich habe auf Kauffahrteischiffen als Seemann gedient.«

»Kurz, Sie haben das Unglück wie ein braver Kerl getragen und das Ihnen zugefallene Glück reichlich verdient«, entgegnete Sir Patrick, »geben Sie mir die Hand, Sie gefallen mir! Sie sind nicht wie die andern jungen Leute in unsern Tagen; ich will Sie bei Ihrem Vornamen nennen, aber Sie dürfen das nicht erwidern und mich Patrick nennen wollen, denn ich bin zu alt dazu. —— Nun, wie gefallen Sie sich hier? Was ist meine Schwägerin für eine Art Frau und wie finden Sie das ganze Haus?«

Arnold brach in lautes Lachen aus.

»Das sind sonderbare Fragen aus Ihrem Munde an mich gerichtet, Sie sprechen ja, als ob Sie hier fremd wären!«

Sir Patrick drückte auf die Feder in der Krücke seines elfenbeinernen Spazierstockes. Ein kleiner goldener Deckel flog auf und es zeigte sich eine kleine im Innern verborgene Schnupftabacksdose. Er nahm eine Prise und lachte satyrisch in sich hinein über eine ihm durch den Kopf fahrende Idee, die er seinem jungen Freunde mitzutheilen nicht für nöthig hielt.

»Sie finden, daß ich wie ein Fremder rede«, nahm er wieder auf, »das bin ich auch. Lady Lundie und ich stehen in freundschaftlichem brieflichen Verkehr, aber wir gehen verschiedene Wege und sehen uns so selten wie möglich.«

»Meine Lebensgeschichte«, fuhr der liebenswürdige alte Herr mit einer reizenden Offenheit fort, welche alsbald alle Schranken der Verschiedenheit des Alters und Standes zwischen ihm und Arnold hinwegräumte, »ist nicht ohne Aehnlichkeit mit der Ihrigen, obgleich ich alt genug wäre, Ihr Großvater zu sein.«

»Ich verdiente mir mein Brod als schottischer Advocat, als sich mein Bruder zum zweiten Male verheirathete. Als er starb, ohne einen Sohn zu hinterlassen, avancirte ich plötzlich in der Welt wie Sie. Hier bin ich zu meinem eigenen aufrichtigen Bedauern als der jetzige Baronet, Ja, ja, zu meinem aufrichtigen Bedauern. Alle Arten von Verantwortlichkeit, an die ich nie gedacht hatte, werden mir jetzt aufgebürdet, ich bin das Haupt der Familie, der Vormund meiner Nichte. Ich muß hier bei diesem Gartenfeste erscheinen und fühle mich, unter uns gesagt, so vollständig aus meinem Element gerissen, wie es ein Mensch nur sein kann. Unter all’ diesen eleganten Leuten finde ich keinen einzigen, der mir gefällt »— Kennen Sie irgend Jemand hier?«

»Ich habe einen Freund hier in Windygates, der ebenfalls diesen Morgen angekommen ist,« antwortete Arnold, —— »Geoffrey Delamayn!«

Bei diesen Worten erschien Miß Silvester in der Thür des Garten-Pavillons. Ihr Gesicht überflog etwas wie Verdruß, als sie den Platz besetzt fand, sie verschwand unbemerkt und schlüpfte wieder zu den Spielenden hin.

Jetzt sah Sir Patrick den Sohn seines alten Freundes auf einmal mit dem Ausdruck vollständiger Enttäuschung an.

»Die Wahl Ihres Freundes überrascht mich etwas,« sagte er.

Arnold faßte die Worte arglos als eine Aufforderung zu einer näheren Mittheilung auf. »Ich bitte um Vergebung«, sagte er, »die Sache hat durchaus nichts Ueberraschendes. Wir waren vor Jahren Schulkameraden in Eton, und seitdem begegneten wir uns einmal, als ich mit meinem Schiffe und Geoffrey mit seiner Yacht fuhr. Geoffrey hat mir das Leben gerettet, Sir Patrick«, fügte er mit einer Stimme und einem Blick hinzu, in dem sich die höchste Bewunderung für seinen Freund aussprach»»wenn er mich nicht gerettet hätte, so wäre ich bei einem Schiffsunfall um’s Leben gekommen! War das nicht ein guter Grund, ihn zu meinem Freunde zu machen?«

»Das kommt ganz darauf an, wie hoch Sie Ihr Leben schätzen.«

»O«, antwortete Arnold, »natürlich sehr hoch!«

»Wenn das der Fall ist, so sind Sie allerdings Mr. Delamayn zu Dank verpflichtet und in seiner Schuld ——«

»Die ich nicht wieder abtragen kann.«

»Die Sie aber noch einmal mit Zinsen abtragen werden, wenn ich mich noch irgend wie auf menschliche Charaktere verstehe«, entgegnete Sir Patrick in einem sehr zuversichtlichen Tone.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als Delamayn —— gerade wie kurz vorher Miß Silvester —— in der Thür des Garten-Pavillons erschien; auch er verschwand unbemerkt, wie Miß Silvester, aber sehr Verschieden von den Empfindungen dieser, fühlte sich der »ehrenwerthe« Geoffrey bei der Entdeckung, daß der Pavillon besetzt sei, sichtlich erleichtert.

Dieses Mal hatte Arnold die Sprache und den Ton Sir Patrick’s richtig aufgefaßt und unternahm eifrig die Vertheidigung seines Freundes.

»Sie sagen das in einem etwas bittern Tone,« bemerkte er, »was hat Geoffrey Ihnen zu Leide gethan?«

»Mir zu Leide gethan? er hat die Prätension zu existiren«, antwortete Sir Patrick »Erschrecken Sie nicht, ich spreche im Allgemeinen. Ihr Freund ist das Muster eines jungen Engländers unserer Tage und ich liebe diese Gattung nicht. Ich habe keinen Sinn für, den Enthusiasmus, mit dem man sie als ein herrliches nationales Product feiert, weil sie groß und stark ist, und das ganze Jahr hindurch kalte Sturzbäder nimmt, ohne sich Schaden zu thun. Nach meiner Ansicht werden die rein physischen Eigenschaften, welche die Engländer mit den Wilden und Thieren theilen, viel zu hoch geschätzt, und die schlimmen Resultate jener falschen Bewunderung fangen schon an, sich zu zeigen; wir sind geneigter als je, Allem, was in unsern nationalen Sitten roh ist, die Zügel schießen zu lassen, und Alles zu entschuldigen, was in unsern nationalen Handlungen gewaltsam und brutal ist. Lesen Sie doch unsre beliebtesten Schriftsteller, gehen Sie an die öffentlichen Vergnügungsorte, Sie werden überall auf eine Abnahme der Achtung vor den feineren Sitten des civilisirten Lebens und auf eine wachsende Bewunderung alles Oberflächlichen stoßen.«

Arnold hörte dem alten Herrn mit unverhohlenem Erstaunen zu: er hatte die unschuldige Veranlassung bieten müssen, Sir Patric’s Gemüth von einem Protest gegen eine Richtung unserer Zeit zu befreien, den er schon lange mit sich herum getragen hatte.

»Wie heiß nehmen Sie die Sache, Sir Patrick!« sagte Arnold mit rückhaltslosem Erstaunen.

Sir Patrick nahm sich sofort wieder zusammen.

»Beinahe so heiß,« erwiderte er, »wie die Leute, die bei einem Wettrudern in lauten Jubel ausbrechen oder sich in die Lectüre ihres Wettbuches vertiefen. Ja, ja, zu meiner Zeit ereiferten wir uns so leicht über viel geringfügigere Dinge! —— Doch lassen Sie uns von etwas Andern reden.«

»Ich weiß nichts Ungünstiges über Ihren Freund Delamayn, aber mich verdrießt die Dreistigkeit," rief Sir Patrick, wieder auf seine Betrachtungen zurückkommend, »mit der man es heutzutage überall aussprechen hört, diese körperlich gesunden Menschen müßten auch ohne Weiteres sittlich gesunde Menschen sein. Die Zeit wird lehren, ob diese dreiste Behauptung begründet ist oder nicht.

»Sie wollen also nach einem flüchtigen Besuch auf Ihrem Gute wieder hierherkommen? Ich kann nur wiederholen, daß das für einen Gutsbesitzer ein höchst sonderbares Verfahren ist. Was zieht Sie denn hierher?«

Noch bevor Arnold antworten konnte, rief ihn Blanche vom Rasen her; er erröthete und schickte sich eifrig an, dem an ihn ergangenen Rufe zu folgen.

Sir Patrick nickte mit dem Kopfe, wie Jemand, der eine ihn völlig befriedigende Antwort erhalten hat. »Oh,«, sagte er, »dahin fühlen Sie sich gezogen!«

Arnold’s Leben als Seemann hatte ihn in den Sitten und Gebräuchen des festen Landes sehr unbewandert gelassen. Statt ruhig auf den Scherz einzugehen, wurde er betroffen und ein tiefes Roth überflog sein Gesicht.

»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte er in gereiztem Tone.

Sir Patrick klopfte dem Seemann mit seiner weißen runzeligen Hand auf die Wange.

»Das haben Sie allerdings gethan, mein lieber Freund, und zwar in einer feurigen Sprache!«

Der kleine goldene Deckel in der Krücke seines Stockes sprang wieder auf und der alte Herr belohnte sich für diese treffende Antwort mit einer Prise.

In diesem Augenblick erschien Blanche »Mr. Brinkworth«, sagte sie, »Sie kommen gleich an die Reihe und Du kommst schon jetzt, lieber Onkel.«

»Gott sei mir gnädig! ich habe gar nicht mehr an das Spiel gedacht« Er sah sich um und fand seinen Hammer und seinen Ball noch auf dem Tische liegen. »Wo sind die modernen Ersatzmittel für Conversation?« rief er aus. »Da sind sie!« Und mit diesen Worten nahm er den Hammer wie einen Regenschirm unter den Arm und warf den Ball vor sich her, daß er dem Rasen zurollte »Wer mag Wohl«, sagte er bei sich, als er munter hinaus humpelte, »der erste Narr gewesen sein, der das Leben für eine ernste Sache erklärte! Da steh’ ich alter Thor mit einem Fuße im Grabe und die dringendste Frage, die mich diesen Augenblick beschäftigt, ist: »Werde ich meinen Ball durch die Ringe bringen?«

Arnold und Blanche blieben allein! Unter den persönlichen Vorzügen, welche die Natur den Frauen gewährt hat, giebt es keine beneidenswertheren, als die, am reizendsten auszusehen, wenn sie dem Mann ihrer Neigung gegenüberstehen. Als Blanche’s Augen, nachdem Sir Patrick den Gartenpavillon verlassen hatte, sich Arnold zuwandten, konnte selbst die abscheuliche Entstellung eines mächtigen Chignons und eines tellerartigen Hutes den dreifachen Reiz der Jugend, der Schönheit und der Zärtlichkeit, die aus ihren Augen strahlten, nicht schmälern; Arnold sah sie an und empfand bei dem Gedanken, daß er mit dem nächsten Zuge fortgehen und sie in der Gesellschaft von mehr als einem Bewunderer seines Alters zurücklassen müsse, eine Besorgniß, die ihm bisher noch nicht aufgestiegen war. In den vierzehn Tagen, die er unter demselben Dache mit Blanche verlebt hatte, war die Ueberzeugung in ihm reif geworden, daß sie das reizendste Geschöpf auf der Welt sei. Vielleicht, dachte er, würde sie es gar nicht so übel nehmen, wenn er ihr das sagte und er beschloß, es ihr in diesem günstigen Augenblick zu sagen. Aber wer hat je die Tiefe des Abgrundes gemessen, der zwischen Absicht und Ausführung liegt? Arnold’s Entschluß zu reden, war so fest, wie ein Entschluß nur sein kann und was wurde daraus? Zur Schande der menschlichen Schwäche sei es gesagt —— nichts als Schweigen.

»Sie scheinen nicht ganz wohl zu sein, Mr. Brinkworth«, sagte Blanche »Wovon hat Sir Patrick mit Ihnen gesprochen? Mein Onkel erprobt seinen Witz an Jedermann, haben Sie ihm auch als Zielscheibe dienen müssen?«

Arnold glaubte eine Gelegenheit gefunden zu haben, zwar in weiter Ferne, aber doch eine Gelegenheit. Sir Patrick ist ein gefährlicher alter Herr«, antwortete er; »gerade in dem Augenblick, als Sie eintraten, hat er mir ein Geheimnis; vom Gesicht abgelesen!« Arnold hielt inne, faßte sich aber ein Herz und ging gerade auf sein Ziel los. »Ich möchte wohl wissen«, fragte er geradezu, »ob Sie dieselbe Gabe besitzen, wie Ihr Onkel.«

Blanche verstand ihn auf der Stelle. Hätte sie Zeit gehabt, so würde sie sich wahrscheinlich seiner angenommen und ihn Schritt für Schritt sanft an sein Ziel geleitet haben, aber in höchstens zwei Minuten war Arnold an der Reihe zu spielen.

»Er will mir einen Antrag machen«, sagte Blanche bei sich, »und da hat er eine Minute Zeit dazu; er soll es in dieser Minute thun.«

»Wie!« rief sie aus, »meinen Sie, daß die Gabe des Errathens ein Familienerbtheil ist?«

Arnold stürzte sich Hals über Kopf auf die nächstliegende Antwort. »Ich wünschte, dem wäre so.«

Blanche sah wie ein Bild des Erstaunens aus »Wenn Sie in meinem Gesicht lesen könnten, was Sir Patrick darin gelesen hat« —— er hätte den Satz nur zu vollenden brauchen und die Sache wäre gethan gewesen, aber die Liebesleidenschaft gefällt sich darin, sich selbst tückischer Weise Hindernisse in den Weg zu legen. —— Gerade in diesem ungelegenen Augenblick wurde Arnold von einer plötzlichen Schüchternheit ergriffen und hielt in der denkbar ungeschicktesten Weise inne.

Blanche hörte vom Rasen her den Schlag des Hammers auf den Ball und das, Lachen der Gesellschaft über die Ungeschicklichkeit Sir Patricks. Die kostbarsten Secunden eilten dahin; sie hätte Arnold wegen seiner entsetzlichen Zaghaftigkeit schlagen mögen.

»Nun»sagte sie ungeduldig, »was soll ich denn in Ihrem Gesichte lesen?«

Arnold setzte noch einmal an und sagte: »Sie sollen darin lesen, daß ich ein bischen Aufmunterung brauche.«

»Von mir?«

»Ja wohl, von Ihnen.«

Blanche sah über ihre Schultern weg hinaus in den Garten. Der Garten-Pavillon stand auf einer kleinen Anhöhe, zu welcher Stufen führten. Die Spieler auf dem Rasen unten waren hörbar, aber nicht sichtbar. Jeden Augenblick konnte Jemand ganz unerwartet erscheinen. Blanche horchte, aber kein nahender Schritt war zu vernehmen. Jetzt war es wieder still, und dann erklang wieder ein Schlag des Hammers auf den Ball und dann ein allgemeines Händeklatschen. Sir Patrick war eine priviligirte Person, man hatte ihm vermuthlich erlaubt, das Spiel noch einmal zu versuchen, und er war bei dem zweiten Versuch glücklicher gewesen. Dadurch war ein kleiner Aufschub entstanden.

Blanche sah Arnold wieder an.

»Nun wohl, ich ermuthige Sie«, flüsterte sie, »das heißt,« fügte sie mit dem unvertilgbaren weiblichen Instinct der Selbstvertheidigung hinzu, »in den gehörigen Grenzen!«

Arnold setzte zum letzten Mal an und dieses Mal mit Erfolg. »Nun also. Ich liebe Sie, und zwar —— grenzenlos.«

Es war geschehen, die Worte waren ausgesprochen! Er hatte ihre Hand ergriffen, aber wieder zeigte sich die Tücke der Leidenschaft Kaum war das Bekenntniß, das Blanche so sehnlich erwartet hatte, den Lippen —— ihres Geliebten entfahren, als sie schon dagegen protestirte; sie versuchte, ihre Hand aus der seinigen zu befreien, und hieß Arnold sie in Ruhe zu lassen. Arnold hielt sie aber nur um so fester. »Versuchen Sie es doch nur, mich ein Bischen lieb zu haben«, bat er, »ich liebe Sie so sehr.«

Wer hätte einer solchen Werbung widerstehen können, wohl gemerkt, wenn man den Werbenden selbst liebte und wenn man sicher war, im nächsten Augenblick wieder gestört zu werden.

Blanche gab es auf, sich loszumachen und sah ihren jungen Seemann lächelnd an.

»Haben Sie diese Art, Liebeserklärungen zu machen, im Seedienste erlernt?« fragte sie schalkhaft.

Arnold aber ließ sich in der ernsthaften Verfolgung seines Zweckes nicht irre machen.

»Ich will wieder Seemann werden, wenn ich Sie erzürnt habe.«

Blanche hatte eine zweite Dosis Aufmunterung bereit.

»Zorn ist eine schlimme Leidenschaft, Mr. Brinkworth«, antwortete sie ernsthaft, »und ein wohlerzogenes junges Mädchen hat keine schlimmen Leidenschaften.«

In diesem Augenblick ließ sich ein Ruf nach Mr. Brinkworth vom Rasen her vernehmen. Blanche versuchte es, ihn hinaus zu schieben, aber Arnold war unbeweglich.

»Sagen Sie doch etwas mich zu ermuntern, ehe ich fortgehe«, bat er, »ein einziges Wort genügt.«

Blanche schüttelte mit dem Kopf. Jetzt war sie seiner sicher und konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn zu quälen.

»Ganz unmöglich«, rief sie, »wenn Sie noch mehr Aufmunterung haben wollen, müssen Sie mit meinem Onkel reden.«

»Ich will mit ihm reden. Sagen Sie ja.«

Blanche versuchte zum zweiten Mal, ihn hinauszuschieben.

»Gehen Sie jetzt und geben Sie sich Mühe, den Ball durch die Ringe zu bringen.«

Sie hatte beide Hände auf seine Schultern gelegt; ihre Wangen waren den seinigen ganz nahe, sie war unwiderstehlich. Arnold faßte sie um den Leib und küßte sie. —— Jetzt war es nicht nöthig, ihn gewaltsam zu entfernen, damit er seinen Ball durch die Ringe bringe, er hatte ihn schon durchgebracht! Blanche stand sprachlos da. Arnold’s letzter Versuch in der Kunst, Liebeserklärungen zu machen, hatte ihr den Athem benommen und bevor sie sich noch wieder erholte, wurden herankommende Fußtritte deutlich vernehmbar. Arnold drückte sie noch einmal an sich und lief hinaus.

Sie sank auf den nächsten Stuhl und schloß die Augen im Gefühl einer glückseligen Verwirrung —— ——

Die Fußtritte kamen näher. Blanche öffnete die Augen und sah Anne Silvester Vor sich stehen und sie ansehen. Sie sprang auf und Anne um den Hals.

»Du weißt nicht, was geschehen ist«, flüsterte sie; »wünsche mir Glück, er hat sich erklärt, er ist auf ewig mein.« —— Alle schwesterliche Liebe und alles schwesterliche Vertrauen langer Jahre gaben sich in ihrer Umarmung und dem Ton ihrer Worte kund. Die Herzen der Mütter konnten sich jemals nicht näher gestanden haben, als es die Herzen der Töchter allem Anschein nach thaten, und doch, wenn Blanche in diesem Augenblick Anne angesehen hätte, würde es ihr nicht entgangen sein, daß Anne’s Gedanken sich mit etwas ganz Anderem als mit ihrer kleinen Liebesgeschichte beschäftigten.

»Du weißt doch, von wem ich rede«, fuhr sie fort, nachdem sie einen Augenblick auf eine Antwort gewartet hatte.

»Mr. Brinkworth?«

»Natürlich, wer sollte es sonst sein!«

»Und Du bist wirklich glücklich, mein Engel?«

»Glücklich«, wiederholte Blanche »Im strengsten Vertrauen, ich könnte vor Freuden Purzelbäume schlagen! Ich liebe ihn, ich liebe ihn, ich liebe ihn!« rief sie, mit kindischer Freude die Worte wiederholend Sie wurden mit einem tiefen Seufzer erwidert. Blanche sah Anne scharf in’s Gesicht und fragte mit plötzlich veränderter Stimme: »Was hast Du?«

»Nichts!«

Blanche hatte aber zu gut beobachtet, um sich mit dieser Antwort abfertigen zu lassen.

»Du hast allerdings etwas«, sagte sie, »fehlt Dir Geld«, fügte sie nach einer kurzen Ueberlegung hinzu, »Rechnungen zu bezahlen? Ich habe reichlich Geld, Anne, ich kann Dir leihen, was Du brauchst!«

»Nein, liebes Kind.«

Blanche war empfindlich Zum ersten Mal, so Lange sie denken konnte, war Anne etwas zurückhaltend gegen sie gewesen.

»Ich sage Dir alle meine Geheimnisse, warum verbirgst Du mir etwas? Weißt Du wohl, daß Du nun schon seit einiger Zeit besorgt und unglücklich aussiehst? Vielleicht magst Du Mr. Brinkworth nicht leiden! ——" Nein, Du magst ihn? Ist es denn meine Heirath? —— Das wird es sein! Du denkst, wir müssen uns trennen? —— als ob ich ohne Dich leben könnte! —— Natürlich mußt Du, wenn ich mit Arnold verheirathet bin, bei uns leben, das versteht sich ja ganz von selbst, nicht wahr?«

Anne trat plötzlich zurück und wies auf die Treppe hin: »Da kommt Jemand, sieh’ nur!«

Die ankommende Person war Arnold.

Blanche war an der Reihe zu spielen und er hatte sich erboten, sie zu holen.

Blanche’s Aufmerksamkeit, die bei andern Gelegenheiten leicht abzulenken war, blieb dieses Mal fest an Anne haften. »Du bist ja gar nicht Du selbst? Und ich muß den Grund wissen«, sagte sie, »ich will bis heute Abend warten, dann mußt Du auf mein Zimmer kommen und mir erzählen, was Dich quält! Sieh doch nicht so aus, Du mußt es mir erzählen und da hast Du einen Kuß.«

Sie ging mit Arnold und fand ihre ganze Munterkeit wieder, sobald sie ihn ansah.

»Nun, haben Sie Ihren Ball durchgebracht?«

»Ach! was kümmern mich die Bälle! Ich habe das Eis zwischen mir und Sir Patrick gebrochen.«

»Was? Vor der ganzen Gesellschaft!

»Natürlich! Ich habe mit ihm verabredet, ihn hier zu sprechen.«

Lachend gingen sie die Treppe hinunter zu den Spielenden.

Anne, die im Garten Pavillon allein blieb, ging langsam nach dem Hintergrunde desselben. An einem der Seitenwände hing ein Spiegel mit einem geschnitzten Holzrahmen Sie blieb stehen, sah hinein und schauderte bei dem Anblick ihres Spiegelbildes. »Ist der Augenblick gekommen«, sagte sie, »wo selbst Blanche in meinem Gesicht liest, was mit mir ist?« —— Dann aber wandte sie sich plötzlich von dem Spiegel ab und rang mit einem Verzweiflungsschrei die Hände und lehnte den Kopf gegen die Wand.

In diesem Augenblick erschien an der Schwelle der Thür eine männliche Gestalt. Es war Geoffrey Delamayn!


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