Mann und Weib



Zwöfltes Kapitel - Arnold

Inzwischen war Arnold noch immer in der Geschirrkammer des Oberkellners eingeschlossen und wüthete im Stillen über die ihm aufgedrungene Situation. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich vor einer andern Person und noch dazu vor einem Manne verstecken müssen. Zwei Mal war er durch das Gefühl des Verlustes seiner Selbstachtung getrieben mit dem Entschlusse an die Thür gegangen, Sir Patrick gerade unter die Augen zu treten, und zwei Mal hatte er diesen Gedanken aus Mitleid für Anne wieder aufgegeben; es würde unmöglich für ihn gewesen sein, sich vor Blanche’s Vormund zu rechtfertigen, ohne das unglückliche Weib, dessen Geheimniß zu bewahren er sich moralisch verpflichtet fühlte, zu verrathen. »Wollte der Himmel, ich wäre niemals hierher gekommen!« war der ohnmächtige Ausruf, der sich ihm entrang, als er sich verdrossen wieder auf den Geschirrtisch setzte, um den Moment abzuwarten, wo Sir Patricks Entfernung ihm seine Freiheit wiedergeben würde. Nach einer Weile, die bei Weitem nicht so lange gedauert hatte, wie er gefürchtet, erschien ihm ein Trost in der Einsamkeit in der Person Von Vater Bishopriggs. —— »Nun,« rief Arnold ihm entgegen, ist die Luft rein?«

Es gab Gelegenheiten, wo Bishopriggs plötzlich ganz unerwarteter Weise harthörig wurde und dieß war eine solche Gelegenheit. »Wie gefällt Ihnen meine Geschirrkammer?« fragte er, ohne von Arnold’s Frage die geringste Notiz zu nehmen, »behaglich und gemütlich, ein Patmos in der Wildniß könnte man sie nennen!" Sein eines sehendes Auge, das er erst auf Arnold gerichtet hatte, senkte sich und haftete mit dem Ausdruck stummer aber beredter Erwartung auf Arnold’s Westentasche.

»Ah, ich verstehe« sagte Arnold, »ich habe Ihnen versprochen, Sie für die mir gewährte Zuflucht auf Patmos zu entschädigen! Da haben Sie etwas.«

Bishopriggs steckte das Geld mit einem trübseligen Lächeln und einem theilnehmenden Kopfschütteln ein. Andere Kellner würden ihren Dank ausgesprochen haben, der Weise von Craig-Fernie aber erwiderte Arnold’s Liberalität nur durch einige Betrachtungen. In vielen Dingen bewunderungswürdig war Vater Bishopriggs besonders groß in seiner Virtuosität aus allen Dingen eine Moral zu ziehen. In diesem Falle zog er eine Moral aus dem eben empfangenen Trinkgelde. »Da habe ich etwas! wie Sie richtig bemerken; du lieber Gott ja! Geld braucht man bei jeder Gelegenheit, wenn man eine Frau aus dem Halse hat! Es ist das ein schrecklicher Gedanke. Man kann mit dem sogenannten schönen Geschlecht nichts zu thun haben, ohne daß es Einem Geld kostet. Ihre junge Frau da, zum Beispiel, hat Sie gewiß schon gehörig was gekostet. Zuerst, als Sie ihr die Cour machten, mußten Sie schon eine offene Hand haben, Geschenke und Andenken, Blumen und Schmuck und kleine Hunde, Alles lauter böse Ausgaben.«

»Hole der Henker Ihre Reflexionen! Ist Sir Patrick wieder fort?«

Bishopriggs war nicht im Geringsten aufgelegt, sich in seinen Reflexionen stören zu lassen, sie entquollen vielmehr nach wie vor seinen Lippen so salbungsvoll und bedächtig wie zuvor. »Jetzt, wo Sie nun mit ihr verheirathet sind, kommen ihre Hüte, Leinenzeug, Wäsche, Kleider, ihre Bänder und Spitzen, Falbeln und Litzen; das Alles kostet wieder viel Geld.«

»Was würde es kosten, Bishopriggs, Ihnen Ihre Reflexionen abzukaufen?« sagte Arnold.

»Drittens und letztens, wenn Sie sich mit der Zeit nicht mehr mit ihr vertragen können, wenn sich eine Unverträglichkeit der Gemüther herausstellt, kurz wenn Sie eine kleine Trennung bewirken möchten, da müssen Sie wieder die Hand in die Tasche stecken um sich gütlich mit ihr abzufinden. Vielleicht zwingt sie Sie auch zu einem Prozeß und steckt ihre Hand in Ihre Taschen und bringt es dahin, daß Sie nur im Bösen mit ihr auseinander kommen. Zeigen Sie mir irgend ein Weib und ich will Ihnen nicht weit davon einen Mann zeigen, dem sie mehr Kosten verursacht hat, als er je geahnt!«

Arnold’s Geduld war zu Ende. Er ging an die Thür.

Jetzt erst ließ sich Bishopriggs bereit finden, auf Arnold’s Frage zu antworten: »Ja Herr, die Luft ist jetzt rein, Sir Patrick ist fort und die Dame wartet auf Sie.«

Im nächsten Augenblick war Arnold wieder im Gastzimmer. »Nun?« fragte er, »was giebt es? Schlimme Nachrichten von Lady Lundie?«

Anne war eben im Begriff den Brief an Blanche zu schließen und zu adressiren. »Nein! Nichts was Sie interessiren könnte!«

»Was wollte denn Sir Patrick?«

»Nur mich warnen; sie haben in Windygates herausgefunden, daß ich hier bin.«

»Das ist unbequem, nicht wahr?«

»Nicht im Mindesten! Es berührt mich gar nicht, ich habe nichts zu fürchten. Denken Sie nicht mehr an mich, sondern nur an sich selbst!«

»Gegen mich hat man doch keinen Verdacht?«

»Dem Himmel sei Dank, nein! Aber Gott weiß, was daraus entstehen kann, wenn Sie noch länger hier bleiben.« Klingeln Sie auf der Stelle und fragen Sie den Kellner wegen der Züge!«

Betroffen durch die für die Tageszeit ungewöhnliche Dunkelheit trat Arnold an’s Fenster. Der Regen hatte angefangen in schweren Tropfen zu fallen. Die Aussicht auf die Haide war durch Nebel und Dunkelheit immer dichter Verdeckt, das Wetter fing an zu rasen.

»Ein angenehmes Reisewetter, nicht wahr?« sagte er.

»Wann geht der Zug!« rief Anne ungeduldig. »Es wird spät, erkundigen Sie sich doch, wann der Zug abgeht!«

Arnold ging nach dem Kamin um zu klingeln. Sein Auge fiel aufs den über dem Kamin hängenden Fahrplan der Eisenbahn. »Hier finde ich ja schon die Auskunft die ich suche, wenn ich mich nur daraus vernehmen könnte. Von —— nach, Nach —— von, Vormittag, Nachmittag, solche verwünschte Confusion; ich glaube der Fahrplan ist nur dazu da, um Einen irre zu führen.«

Anne trat zu ihm. »Ich kann Ihnen helfen; sagten Sie nicht, daß Sie den aufwärts gehenden Zug benutzen wollten?«

»Wie heißt die Station wo Sie aussteigen?«

Arnold nannte sie ihr.

»Sie verfolgte das verwickelte Netz von Linien und Zahlen mit dem Finger, hielt plötzlich inne, sah noch einmal auf den Punkt, um sich zu vergewissern und kehrte der Tabelle in heller Verzweiflung den Rücken. Der letzte Zug war vor einer Stunde abgegangen!

Während der Pause, welche dieser Entdeckung folgte, leuchtete ein erster Blitzstrahl durch das Zimmer und das leise Rollen des Donners verkündete den Ausbruch des Ungewitters.

»Was ist nun zu thun?« fragte Arnold Ohne von dem heranziehenden Unwetter Notiz nehmen, erwiderte Anne ohne Zögern: »Sie müssen einen Wagen nehmen und fahren.«

»Wie ich höre, braucht man eine Stunde auf der Eisenbahn, um nach meinem Gute zu gelangen, nicht gerechnet die Entfernung von hier bis zur Station.«

»Was liegt an der Entfernung, Herr Brinkworth? Sie können unmöglich hier bleiben.«

Ein zweiter Blitz erhellte das Zimmer, das Rollen des Donners kam näher. Selbst Arnold’s unerschütterlich gute Laune fing bei Anne’s beharrlich kundgegebenem Entschluß, ihn los zu werden, an zu wanken. Er setzte sich mit der Miene eines Menschen der entschlossen ist, das Haus nicht zu verlassen, nieder.

»Haben Sie das gehört?« sagte er, als eben die letzten Töne eines furchtbaren Donnerschlages verhallten und der Regen heftig gegen die Fenster schlug. »Glauben Sie, daß wenn ich auch Pferde beordern wollte, man sie mir bei einem solchen Wetter geben würde? Und wenn man es thäte, glauben Sie, daß die Pferde bei solchem Wetter auf der Haide ausharren könnten? Nein, Miß Silvester, ich bedauere Ihnen im Wege zu sein, aber da der Zug fort und die Nacht mit ein Gewitter eingebrochen ist, bleibt mir nichts übrig, als hier zu bleiben!«

Anne beharrte noch immer bei ihrer Ansicht, wenn auch etwas weniger entschlossen. »Bedenken Sie doch, nachdem was Sie der Wirthin mitgetheilt haben, in welch’ peinliche Verlegenheit wir kommen, wenn Sie bis morgen früh hier im Wirthshause bleiben.«

»Ist das Alles?« fragte Arnold.

Anne sah ihn zornig an, überzeugte sich aber, daß er keine Ahnung davon hatte, sie durch seine Aeußerung Verletzt zu haben. Sein gerader und männlicher Sinn brach sich durch alle die kleinen weiblichen Bedenken und Empfindlichkeiten seiner Genossin Bahn, und faßte die Lage der Dinge, wie sie wirklich war, praktisch in’s Auge.

»In was für eine Verlegenheit denn?« fragte er, auf das Schlafzimmer deutend; »da ist Ihr Zimmer ganz bereit für Sie und hier ist ein Sopha in diesem Zimmer ganz bereit für mich. Wenn Sie die Lager gesehen hätten, mit denen ich mich auf der See habe behelfen müssen!«

Sie unterbrach ihn ohne Weiteres; seine Nachtlager auf der See waren ihr vollkommen gleichgültig. Die augenblicklich zu entscheidende Frage war, wo er diese Nacht schlafen sollte.

»Wenn Sie durchaus bleiben müssen,« erwiderte sie»»sollten Sie nicht ein anderes Zimmer hier im Hause bekommen können?«

Den einzigen Verstoß, der ihm noch zu begehen übrig blieb, beging Arnold in seiner Unschuld, indem er in scherzendem Tone fragte:

»Ein anderes Zimmer hier im Hause? Ich bitte Sie, wie würde die Wirthin darüber scandalisiren. Bishopriggs würde es niemals zugeben.«

Sie stand auf und stampfte mit dem Fuße. »Scherzen Sie nicht, hier ist nichts zu scherzen.« Aufgeregt ging sie im Zimmer auf und ab. »Die Sache gefällt mir nicht, sie gefällt mir durchaus nicht.«

Arnold sah ihr mit einem kindlich starren Blicke nach. »Was regt Sie denn so auf, ist es das Gewitter.«

Sie warf sich wieder aufs Sopha »Ja sagte sie, es ist das Gewitter.«

Arnold fühlte sich in seiner unerschöpflichen Gutmüthigkeit sofort wieder zu hülfreichem Handeln aufgelegt. »Wollen wir Licht kommen lassen?« fragte er »und uns das Wetter aus dem Sinn schlagen?«

Sie rückte ungeduldig auf dem Sopha hin und her, ohne zu antworten.

»Ich verspreche Ihnen, morgen so früh wie möglich aufzubrechen,« fuhr er fort. »Bitte versuchen Sie es doch, die Sache leicht zu nehmen und seien Sie mir nicht böse; Sie würden ja in einer solchen Nacht keinen Hund hinausjagen.«

Er war unwiderstehlich Bei dem Anblick seines ehrlich bittenden Gesichts fand Anne ihr sanfteres und besseres Selbst wieder.

Sie entschuldigte sich mit einer Anmuth, die ihn bezauberte.

»Wir wollen doch noch einen gemüthlichen Abend hier haben,« rief Arnold in seiner herzlichen Weise und klingelte. Die Glocke hing vor der äußeren Thür jenes Patmos in der Wildniß, das gewöhnliche Sterbliche, die Geschirrkammer des Oberkellners nannten.

Bishopriggs hatte seine kurze Muße in der Einsamkeit seines Zimmerlebens dazu benutzt, sich ein Glas von dem erquickenden heißen Getränk zu bereiten, das man in Schottland »Toddy« nennt und er war eben im Begriff, dasselbe zum Munde zu führen, als Arnold’s Aufforderung erscholl, seinen Toddy aufzugeben. »Halt ein mit Deinem verfluchten Gebimmel,« rief Bishopriggs der Glocke durch die Thür zu, »Du bist ja schlimmer als ein Weib!« Die Glocke erscholl zum zweiten Mal. Bishopriggs blieb nichtsdestoweniger beharrlich bei seinem Toddy »O, o, schrei Du Dich nur heiser, Du bringst aber doch einen Schotten nicht von seinem Glase Toddy weg. Sie wollen wohl ihr Diner beendigen.

Sir Patrick kam gerade, als sie eben damit angefangen hatten und verdarb mit seiner gewöhnlichen Bosheit die Klopfe.« Es klingelte zum dritten Male. »Nur immer zu, nur immer zu! Der junge Mann da drinnen fröhnt nur allzusehr seinen Bauch. Das Klingeln bekundet eine bedauerliche Eile, seine fleischlichen Gelüste zu befriedigen. Vom Wein versteht er leider Nichts,« fuhr Bishopriggs fort, auf dessen Geist Arnold’s Entdeckung von dem getauften Sherry noch unangenehm lastete.

Die Blitze folgten immer rascher auf einander und warfen ihren fahlen Schein unheimlich in das Gastzimmer. Der Donner rollte immer lauter über die schwarze Haide hin. Eben hatte Arnold die Hand erhoben um zum vierten Male zu klingeln, als das unvermeidliche Klopfen an der Thür gehört wurde. Er brauchte nicht herein zu sagen, nach Bishopriggs uumstößlichen Gesetzen war ein zweites Klopfen unerläßlich. Das zweite Klopfen folgte dem ersten wie der Donner dem Blitz und erst dann erschien der Weise mit einer Schüssel »Klopse« in der Hand.

»Bringen Sie Licht!« rief ihm Arnold entgegen.

Bishopriggs setzte die »Klopse,« ein Gericht aus gehacktem Fleisch, auf den Tisch, zündete die Lichter auf dem Kamin an, blickte mit einen, von, dem kürzlich genossenen Toddy funkelnden Auge umher und wartete auf weitere Ordre, bevor er zu seinem zweiten Glase zurückkehrte.

Anne wollte nichts mehr genießen. Arnold hieß Bishopriggs die Laden schließen und setzte sich nieder um sein Diner allein zu vollenden.

»Das riecht fettig und sieht fettig aus!« sagte er zu Anne gewandt, indem er die Klopse mit dem Löffel umdrehte. »Ja zehn Minuten werde ich mit meinem Diner fertig sein. Nehmen Sie Thee?«

Anne lehnte auch das ab.

Arnold machte noch einen Versuch. »Wie wollen wir den Abend zubringen?«

»Wie Sie wollen,« rief sie resignirt.

Auf einmal fuhr Arnold ein Gedanke durch den Kopf. »Ich habe es!« rief er, »wir wollen die Zeit tödten, wie unsere Cajüten-Passagiere es auf See zu thun pflegten.« Zu Bishopriggs gewandt sagte er:

»Bringen Sie ein Spiel Karten.«

»Wie befehlen Sie?« fragte Bishopriggs, der seinen Ohren nicht traute.

»Ein Spiel Karten« wiederholte Arnold.

»Karten?« fragte Bishopriggs, »ein Spiel Karten? die Bilder der Hölle und die Leibfarben des Teufels, schwarz und roth? —— Diesem Befehl kann ich nicht nachkommen, werde ich um Ihres eigenen Seelenheils willen nicht nachkommen. Sie sind schon so alt geworden und haben noch keine Ahnung davon, eine wie große Sünde das Kartenspiel ist?«

»Das können Sie nehmen wie Sie wollen,« erwiderte Arnold. »Sie werden aber finden, wenn ich fortgehe, daß ich ein vollkommenes Bewußtsein von der Pflicht habe, dem Kellner ein gutes Trinkgeld zu geben!«

»Bestehen Sie darauf die Karten zu bekommen?« fragte Bishopriggs mit plötzlich verändertem Ton und Wesen.

»Jawohl, ich bestehe darauf.«

»Ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn ich sie ausstrecke, um Ihnen Karten zu bringen. Bei mir zu Hause sagen sie: »wer zur Hölle fahren will, mag es in Gottes Namen thun,« und was sagt man bei Ihnen zu Hause? »Wenn der Teufel aufspielt, muß getanzt werden.«

Mit dieser vortrefflichen Rechtfertigung der Verleugnung seiner eigenen Grundsätze humpelte Bishopriggs zum Zimmer hinaus, um die Karten zu holen.

Die Schublade des Tisches in der Geschirrkammer enthielt eine große Auswahl der verschiedenartigsten Gegenstände, unter denen sich auch ein Spiel Karten befand.

Beim Suchen nach den Karten kam die Hand des Oberkellners in Berührung mit einem Stück zusammengeballten Papiers. Er zog es heraus und erkannte in demselben den Brief, den er einige Stunden vorher im Gastzimmer vom Boden aufgenommen hatte. »Aha! ich thue eben so gut mir das Ding gleich jetzt, wo ich eben daran denke, anzusehen,« sagte Bishopriggs zu sich; »die Karten kann ja ein Anderer in’s Gastzimmer bringen!«

Er schickte sofort den zweiten Kellner damit zu Arnold, schloß die Geschirrkammer und glättete das zusammengeballte Stück Papier, auf welchem die beiden Briefe geschrieben waren, sorgfältig auseinander; dann zündete er sein Licht an und begann den mit Tinte geschriebenen Brief, der die drei ersten Seiten füllte, zu lesen. Derselbe lautete wie folgt:

»Windygates, 12. August 1860.
Mr. Geoffrey Delamayn!

Ich habe bis jetzt vergeblich gehofft, daß Du von dem Gute Deines Bruders herüberkommen würdest, um mich zu sehen. Dein Benehmen gegen mich ist unbarmherzig und ich bin entschlossen, es nicht länger zu ertragen; überlege Dir die Sache in Deinem eigenen Interesse, ehe Du ein unglückliches Weib, das sich Dir hingegeben hat, zur Verzweiflung treibst. Du hast mir bei Allem, was Dir heilig ist, die Ehe versprochen, ich berufe mich auf Dein Versprechen, und bestehe darauf das zu werden, wozu mich zu machen Du gelobt hast, was zu werden ich all’ diese Zeit her gewartet habe und was ich vor Gott schon bin, Dein eheliches Weib! —— Lady Lundie giebt hier am 14. d. ein Gartenfest; ich weiß, daß Du dazu eingeladen bist und rechne sicher darauf, das; Du die Einladung annimmst. Wenn Du mich in meiner Erwartung täuschest, so stehe ich für nichts ein. Ich bin fest entschlossen, diesen Zustand der Dinge nicht länger zu ertragen. O, Geoffrey, denke an die Vergangenheit, sei treu und gerecht.

Dein Dich liebendes Weib
Anne Silvester«

Bishopriggs hielt inne. Sein Commentar zu diesem Theil der Correspondenz war einfach genug. »Zornige Worte der Dame an den Herrn mit Tinte geschrieben.« Dann warf er einen Blick aus den zweiten, auf der vierten Seite geschriebenen Brief und fügte höhnisch hinzu: »Bischen kälter und mit Bleistift geschrieben von dem Herrn an die Dame; das ist der Lauf der Welt von Adam’s Zeiten her bis auf unsere Tage.«

Dieser zweite Brief lautete so:

»Liebe Anne!

In diesem Augenblick werde ich zu meinem Vater nach London gerufen. Die Nachricht von ihm lautet schlimm. Bleibe, wo Du bist und ich will dahin schreiben. Vertraue dem Ueberbringer. Auf mein Ehrenwort, ich werde mein Versprechen halten.

Dein Dich liebender Gatte
Geoffrey Delamayn

Windygates, den 14.August, 4 Uhr Nachmittags. In furchtbarer Eile geschrieben, der Zug geht um 4 Uhr 30 Minuten ab!«

Das war Alles!

Wer sind denn die da im Gastzimmer? Die eine ist die Silvester —— und der andere der Delamayn?« fragte Bishopriggs sich, indem er das Papier langsam wieder in seine ursprüngliche Form brachte. »Was mag das Alles zu bedeuten haben?« Er bereitete sich ein zweites Glas Toddy als Beförderungsmittel seiner Reflexionen und saß eine Weile, seinen Toddy schlürfend, da, während er den Brief zwischen seinen gichtischen Fingern hin und her drehte. Es war nicht ganz leicht heraus zu finden, in welchem Verhältniß der Herr und die Dame zu einander standen. Waren sie die Schreiber selbst oder waren sie nur die Freunde der Schreiber, wer konnte das wissen. Im ersten Fall würde die Dame ihren Zweck so gut wie erreicht haben, denn die Beiden hatten ja selbst in seiner und der Wirthin Gegenwart erklärt, Mann und Weib zu sein. In dem zweiten Fall konnte die so achtlos bei Seite geworfene Correspondenz noch einmal von großer Wichtigkeit werden. Dieser letzteren Ansicht gemäß nahm Bishopriggs, dessen frühere kurze Praxis als Schreiber auf Sir Patricks Bureau ihm einige Geschäftskenntniß eingebracht hatte, Feder und Dinte zur Hand und schrieb auf die Rückseite des Briefes mit dem Datum eine kurze Angabe der Umstände, unter welchen er denselben gefunden hatte. »Ich werde gut thun, dieses Dokument aufzubewahren,« dachte er bei sich, »wer weiß, vielleicht wird noch einmal eine Belohnung dafür ausgesetzt. Das Ding kann für einen armen Kerl wie mich noch seine fünf Pfund werth sein!« Mit dieser tröstlichen Reflexion nahm er eine alte Blechdose aus der Tischschublade und verschloß die gestohlenen Briefe in derselben bis auf bessere Zeiten.

Das Ungewitter tobte immer furchtbarer, je später es wurde. Im Wohnzimmer präsentirte sich der ewig wechselnde Zustand der Dinge wieder in einer anderen Gestalt. Arnold hatte sein Diner beendet und abdecken lassen, hatte dann einen Seitentisch vor das Sopha, auf welchem Anne lag, gerückt, das Spiel Karten gemischt und bot nun seine ganze Beredsamkeit auf, Anne zu bewegen, eine Partie Ecarte mit ihm zu versuchen, um ihre Aufmerksamkeit von dem draußen tobenden Sturme abzulenken.

Aus reiner Erschöpfung gab sie nach, erhob sich langsam im Sopha und erklärte, sie wolle versuchen zu spielen. »Schlimmer kann es doch nicht werden,« dachte sie, als Arnold ihr die Karten gab, »und ich habe kein Recht, dem armen jungen Mann meinen Jammer entgelten zu lassen.«

Ein Paar schlechtere Spieler hatten wohl noch nie an einem Spieltisch gesessen. Anne war im höchsten Grade unaufmerksam und ihr Partner wußte überhaupt wenig vom Kartenspiel. Anne legte die a-tout-Karte um. Caro neun. Arnold sah in seine Karten und proponirte, Anne lehnte es ab, die Karten zu wechseln; Arnold meldete mit unverminderter guter Laune, es sei ihm jetzt klar, daß er das Spiel verlieren müsse und spielte dann seine erste Karte, die Piqne-Dame,aus. Anne nahm die Königin mit dem König und vergaß den König zu markiren. Dann spielte sie Trumpf-Zehn aus. Plötzlich entdeckte Arnold unter seinen Karten die Pique-Acht. »Wie Schade," sagte er, als er sie ausspielte. »Halloh, Sie haben den König nicht markirt, ich will es für Sie thun. Das sind zwei, nein, drei für Sie; ich wußte, daß ich das Spiel verlieren würde; konnte ja mit so schlechten Karten nichts anfangen, nicht wahr? Jetzt, wo ich meine Trümpfe ausgespielt habe, habe ich Alles verloren! A vous!«

Anne sah in ihre Karten. In diesem Augenblick warf der Blitz seinen hellen Schein durch die schlecht geschlossenen Läden in das Zimmer. Der Donner fuhr über das Haus hin und schien es aus seinen Fugen reißen zu wollen. Vom obern Stock her erklang das Geschrei einer nervösen Touristin und das Gebell eines Hundes. —— Anne’s Nerven hielten nicht länger Stand, sie warf die Karten auf den Tisch und sprang auf. »Ich kann nicht mehr spielen,« rief sie, »verzeihen Sie mir, ich bin völlig außer Stande, mir brennt der Kopf, mein Blut stockt.« Sie fing an im Zimmer auf und ab zu gehen. Ihre, durch den Einfluß des Ungewitters noch reizbarer gewordenen Nerven ließen ihr die falsche Stellung, in welche sie und Arnold gerathen waren, jetzt in einem noch viel schlimmeren Lichte erscheinen. Sie fand diese Situation vollkommen unerträglich. Es schien ihr unverantwortlich, sich in eine Gefahr, wie sie ihnen drohte, zu begeben. Sie hatten zusammen gegessen wie verheirathete Leute und jetzt brachten sie den Abend zu wie Mann und Frau. »O, Herr Brinckworth!« bat sie, »überlegen Sie doch —— um Blanche’s Willen —— überlegen Sie doch noch einmal, giebt es denn keinen Ausweg aus dieser Situation.«

Arnold las die zerstreuten Karten bedächtig auf.

»Da kommen Sie schon wieder mit Blanche!« sagte er mit der naivsten Ruhe, »ich möchte wohl wissen, wie ihr jetzt bei dem Gewitter zu Muthe ist.«

Diese Antwort brachte Anne in ihrem aufgeregten Zustand fast zur Verzweiflung. Sie wandte sich von Arnold ab und eilte an die Thür. »Ich will diese Täuschung nicht länger dulden,« rief sie, »ich will thun, was ich schon früher hätte thun sollen; ich will, entstehe daraus was da wolle, der Wirthin die Wahrheit sagen!« Sie hatte die Thür aufgerissen und war im Begriff auf den Vorplatz zu treten, als sie plötzlich still stand und heftig zusammenfuhr. War es möglich bei dem furchtbaren Wetter, daß sie wirklich das Rollen von Wagenrädern vor der Thür gehört hatte? Gewiß! Denn auch Andere hatten es gehört. Eben humpelte Bishopriggs an ihr vorüber der Hausthür zu. Die scharfe Stimme der Wirthin kreischte in ihrem breiten Schottisch ihr Erstaunen ausdrückend durch das Haus.

— Anne schloß die Thür ihres Zimmers wieder und wandte sich zu Arnold, der überrascht aufgesprungen war. »Reisende!« rief sie, »zu dieser späten Stunde.«

»Und bei diesem Wetter!« fügte Arnold hinzu.

»Sollte es Geoffrey sein?« fragte sie, indem sie sich wieder der eitlen Hoffnung hingab, daß er noch an sie denken und zu ihr zurückkehren könne.

Arnold schüttelte den Kopf: »Nein! Ich weiß nicht, wer es ist, aber Geoffrey kann es nicht sein.«

Plötzlich trat Mrs. Inchbare mit fliegenden Haubenbändern und mit starren Blicken in’s Zimmer.

»Nun! gnädige Frau!« sagte sie zu Anne, »wer glauben Sie, kommt von Windygates hergefahren, um Sie zu sehen und ist unterwegs vom Sturm überrascht worden?«

Anne war sprachlos.

Arnold aber fragte: »Nun, wer ist es denn?

»Wer, wer?« wiederholte Mrs. Inchbare, »die liebe junge Dame Miß Blanche in Person.«

Anne konnte einen Schrei des Entsetzens nicht zurückhalten. Die Wirthin schob denselben auf den Blitz, der gerade durch das Zimmer fuhr.

»O, meine gnädige Frau! Da ist Miß Blanche muthiger und erschrickt nicht so leicht über einen Blitz. Da kommt sie schon, die liebe junge Dame!« rief Mrs. Inchbare, indem sie sich ehrfurchtsvoll vor Blanche zurückzog.

Blanche’s Stimme, die nach Anne rief, wurde hörbar. Anne ergriff Arnold’s Hand krampfhaft und flüsterte ihm zu: »gehen Sie!« Im nächsten Augenblicke war sie an den Kamin getreten und hatte beide Lichter ausgeblasen. Da fuhr wieder ein Blitz durch dass Zimmer und beleuchtete die Gestalt Blanche’s, die eben in die Thür getreten war.


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