Mann und Weib



London

Vierzehntes Kapitel - Geoffrey als Briefsteller

Lord Holchester’s Dienerschaft erwartete, den Kellermeister an der Spitze, die Ankunft des Herrn Julius Delamayn von Schottland. Das gleichzeitige Erscheinen der beiden Brüder war für die gesammte Dienerschaft eine Ueberraschung. Alle Fragen an den Kellermeister gingen von Julius aus, während Geoffrey bei Seite stand und der ganzen Scene nur als Zuhörer beiwohnte.

»Lebt mein Vater noch?«

»Seine Lordschaft befinden sich Gottlob zum Erstaunen der Aerzte besser, Mr. Delamayn; er hat sich vorige Nacht wunderbar erholt, wenn es achtundvierzig Stunden so fortgeht, so ist die Wiederherstellung seiner Lordschaft gewiß.«

»Was fehlt meinem Vater?«

»Ein Schlaganfall. Als MyLady Ihnen nach Schottland telegraphirte hatten die Aerzte seine Lordschaft aufgegeben.

»Ist meine Mutter zu Hause?«

»Mylady ist zu Hause für Sie.«

Der Kellermeister betonte das »für Sie« sehr scharf. Julius sah seinen Bruder an.

Die Besserung in Lord Holchesters Zustand machte Geoffrey’s Position in diesem Augenblick zu einer peinlichen. Das Haus war ihm ausdrücklich verboten worden.

Seine einzige Entschuldigung dafür, daß er dieses Verbot übertrat, war, daß sein Vater im Sterben liege. Wie die Dinge jetzt standen, blieb das Verbot in voller Kraft.

Die untergeordneten, in der Vorhalle versammelten Diener, denen die Aufrechthaltung dieses Verbotes bei Verlust ihrer Stellen vorgeschrieben war, sahen abwechselnd Geoffrey und den Kellermeister an; der Kellermeister seinerseits sah abwechselnd Geoffrey und Julius an und Julius sah wiederum seinen Bruder an. Es entstand eine peinliche Pause; der zweite Sohn des Hauses war in den Augen der Dienerschaft ein wildes Thier, dessen man sich auf alle Weise zu entledigen suchen mußte.

Die Frage war nur: wie?

Da erhob Geoffrey die Stimme und löste die Frage: »Oeffne Einer von Euch Kerls die Thür, ich gehe!«

»Warte einen Augenblick« rief ihm sein Bruder zu. »Es würde eine große Enttäuschung für unsere Mutter sein, wenn sie erfährt, daß Du hier gewesen und fortgegangen bist, ohne sie zu sehen.

Wir sind hier unter ganz ungewöhnlichen Umständen. Komm mit mir hinauf, ich übernehme die Verantwortlichkeit.«

»Ich für mein Theil übernehme aber die Verantwortlichkeit nicht; macht die Thür auf!« erwiderte Geoffrey.

»So warte doch, bis ich Dir eine Botschaft herunter schicken kann!«

»Schicke Deine Botschaft nach Nagel’s Hotel, ich wohne bei Nagel, nicht hier!«

In diesem Augenblick wurde die Debatte in der Halle durch das Erscheinen eines kleinen Hundes unterbrochen. Bei dem Anblick der Fremden fing der Hund an zu hellen. Die Aerzte hatten die vollständigste Ruhe im Hause strenge anbefohlen. Die Diener aber machten durch einen gemeinschaftlichen Versuch, das Thier zu fangen, den Lärm noch schlimmer. Auch dieses Problem wußte Geoffrey in seiner entschlossenen Weise zu lösen. In dem Augenblick, wo der Hund an ihm vorüber lief, drehte er sich rasch um und versetzte dem Thiere einen Stoß mit seinem schweren Stiefel. Das arme Geschöpf fiel winselnd zu Boden.

»Mylady’s Lieblingshund!« rief der Kellermeister, »Sie haben ihm die Rippen zerbrochen, Master!«

»Ich habe ihn im Bellen unterbrochen, meinen Sie«, erwiderte Geoffrey, »hol’ der Henker seine Rippen«, und fuhr dann zu seinem Bruder gewendet fort: »Mich dünkt, damit ist die Sache entschieden. Ich thue wohl besser, das Vergnügen, unsere gute Mutter zu sehen, bis zu einer anderen Gelegenheit zu verschieben. Adieu Julius, Du weißt, wo Du mich findest; komm zum Essen zu Nagel, da geben sie Dir ein Beafsteak, wie Du es noch nie gefunden hast.« Mit diesen Worten ging er fort.

Die Diener betrachteten den zweiten Sohn seiner Lordschaft mit unverhohlener Hochachtung. Sie hatten ihn bei der Jahresfeier des christlichen Faustkämpfervereins öffentlich mit Stulphandschuhen angethan gesehen. Er wäre im Stande gewesen den Stärksten unter ihnen in drei Minuten halbtodt zu schlagen.

Der Pförtner verneigte sich tief, als er die Thür öffnete. Das ganze Interesse der versammelten Dienerschaft concentrirte sich auf Geoffrey. Julius ging zu seiner Mutter hinauf ohne die mindeste Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Es war im August, die Straßen waren leer, der abscheulichste Wind den es in London giebt, ein heißer Qstwind, wehte an jenem Tage. Selbst Geoffrey schien von dem Einfluß dieses Wetters nicht unberührt zu bleiben, als er sich vom Hause seines Vaters nach dem Hotel fahren ließ. Er nahm den Hut ab und knöpfte die Weste auf, zündete sich seine ewige Pfeife an und brummte und knurrte zwischen den Zähnen in den Rauchpausen. War es der heiße Wind allein, der ihm diese Aeußerung des Unbehagens entlockte, oder lastete eine geheime Sorge auf seinem Gemüth die der deprimierende Einfluß des Wetters verstärkte? Allerdings trug er sich mit einer geheimen Sorge und diese Sorge hieß »Anne.« Was sollte er, wie die Dinge jetzt standen, mit dem unglücklichen Frauenzimmer anfangen, die in dem schottischen Gasthofe auf einen Brief von ihm wartete? Schreiben oder nicht schreiben, das war für Geoffrey die Frage! Die erste Frage, unter welcher Adresse er den Brief an Anne Silvester zu befördern haben Winde, war bereits gelöst; sie hatte ja mit ihm verabredet, daß sie sich, falls es nothwendig werden sollte, bevor Geoffrey ihr folgen könnte, ihren Namen zu sagen, sich statt Miß Silvester, Mrs. Silvester nennen würde. Ein an Mrs. Silvester gerichteter Brief würde sie unfehlbar, ohne ihr eine Verlegenheit zu bereiten, erreichen. Nicht darin lag die Schwierigkeit, sondern wie gewöhnlich in der Nothwendigkeit sich zwischen den beiden Fällen einer Alternative zu entscheiden. Was war das richtige Verfahren, Anne noch heute zu benachrichtigen daß eine Zeit von achtundvierzig Stunden verfließen müsse, bevor die Wiederherstellung seines Vaters als gewiß betrachtet werden könne, oder abzuwarten, bis diese Zeit verflossen wäre und je nach dem Ergebniß zu handeln? Als er dieses auf dem Weg nach dem Hotel erwog, gelangte er zu dem Entschluß, daß es richtig sein würde, Anne dadurch hinzuhalten, daß er ihr mittheilte, wie die Dinge augenblicklich stünden. Im Hotel angekommen setzte er, sich hin, um den Brief zu schreiben, wurde unschlüssig und zerriß das Geschriebene, wurde wieder unschlüssig und fing von Neuem an, wurde zum dritten Male unschlüssig zerriß den Brief wieder, sprang auf und gestand sich in nicht wieder zu gebenden Ausdrücken, daß er, wenn es ihm auch das Leben kosten sollte, nicht zu einem Entschluß darüber gelangen könne, was das Richtige sei, zu schreiben oder zu warten. In diesem kritischen Augenblick gab ihm sein gesunder physischer Instinct physische Mittel als Erleichterung an die Hand. »Mir ist zu Muthe, als stecke ich in einem Sumpfe, ich will ein Bad nehmen.« Er ging in eine große, viele Räume umfassende und mit Einrichtungen zu allen möglichen Lagen und Körper-Manipulationen eingerichtete Badeanstalt. Er nahm ein Dampfbad, dazu ein Vollbad, dann ein Regenbad und ein gewaltiges Sturzbad. Er legte sich auf den Rückem dann auf den Bauch, die Badediener kneteten und rieben ihn voll Ehrerbietung vom Kopf bis zum Fuß mit wohlgeübten Händen. Nach diesen Proceduren sah er glatt, rein, rosig und schön aus. Er kehrte nun in’s Hotel zurück und fing an zu schreiben, aber siehe da, die unerträgliche Unentschlossenheit war nicht von ihm gewichen, hatte sich nicht wegbaden lassen wollen. Dieses Mal sollte Anne an Allem Schuld sein. »Die verfluchte Person wird mich noch ruiniren«, sagte Geoffrey, indem er seinen Hut ergriff, »ich will es noch einmal mit den Hanteln versuchen.« Um durch dieses neue Mittel sein träges Gehirn anzustacheln, mußte er in ein benachbartes Gasthaus gehen, dessen Wirth ein Läufer war, der die Ehre gehabt hatte, ihn verschiedene Male zu öffentlichen athletischen Wettkämpfen einzuüben, »Ein Zimmer für mich und die schwersten Hanteln, die Sie haben!« rief ihm Geoffrey entgegen.

Er zog sich Rock und Weste aus und ging mit den schweren Gewichten in jeder Hand an die Arbeit, indem er sie auf- und niederwärts, vorwärts und rückwärts nach jeder erdenklichen Richtung hinschwang, bis seine prachtvollen Muskeln so gespannt waren, daß die geschmeidige Haut bersten zu wollen schien. Allmälig fingen seine Lebensgeister an, wieder wach zu werden. Die starken Körperübungen wirkten berauschend auf den starken Mann. Seiner Aufregung gab er durch die heillosesten Flüche Ausdruck, indem er in Erwiderung der ihm reichlich gespendeten Beifallsbezeugungen des Gymnastikers und seines Sohnes abwechselnd Donner und Blitz, Pulver und Blei rief. »Dinte, Feder und Papier her!« schrie er, als er endlich von der Körperübung erschöpft war, »ich habe mich entschlossen, ich will schreiben und die Sache los sein!«

Wie gesagt, so gethan, er ging an’s Werk und beendigte den Brief auf der Stelle; im nächsten Augenblick hätte der Brief sicher im Postkasten gelegen. Aber gerade in diesem Augenblick ergriff ihn wieder seine krankhafte Unentschlossenheit. Er öffnete den Brief wieder, las ihn nochmals und zerriß ihn dann wieder. »Nun weiß ich doch noch nicht, was ich will! rief Geoffrey indem er seine großen, wilden, blauen Augen auf den Professor der Gymnastik heftete. »Donner und Blitz, Pulver und Blei! Lassen Sie Crouch kommen.« Crouch war überall da, wo englische Mannhaftigkeit respectirt wurde, ein bekannter und hochgeschätzter, in’s Privatleben zurückgetretener Preisfechter. Er erschien jetzt mit dem dritten und letzten Geoffrey Delamayn bekannten Mittel, seinen Geist frei zu machen, nämlich mit zwei Paar Boxhandschuhen in einem Reisesack. Geoffrey und der Preisfechter zogen die Handschuhe an und stellten sich in der klassisch correcten Stellung erprobter Faustkämpfer einander gegenüber. »Aber keine Spielerei»brummte Geoffrey; schlagen Sie ordentlich, Sie Schuft!« Als ob es wieder um Preise ginge.«

Kein Mensch auf der Welt wußte besser was wirkliches Schlagen heißt, und welche furchtbare Schläge selbst mit anscheinend so harmlosen Waffen, wie es wattirte Handschuhe sind, ausgetheilt werden können, als der große, schreckliche Crouch. Er that aber auch nur, als ob er sich den Wünschen Geoffrey’s füge. Dieser belohnte ihn für seine Höflichkeit und Rücksichtsnahme damit, daß er ihn zu Boden schlug. Der große Schreckliche erhob sich wieder ohne eine Miene zu verziehen.

»Gut getroffen, gut getroffen! Mr. Delamayn!« sagte er, »versuchen Sie es jetzt mit der andern Faust.«

Geoffrey war nicht so kaltblütig geblieben, indem er Tod und Verderben auf die schon oft genug braun und blau geschlagenen Augen Crouch’s herniederrief, drohte er ihm für immer seine Gunst und Protection zu entziehen, wenn er nicht seine verfluchte Höflichkeit aufgebe und auf der Stelle gewaltig zuschlüge.

Der Held von hundert Faustkämpfen verzagte vor der ihm gestellten Aussicht. »Ich habe eine Familie zu ernähren!« bemerkte Crouch, wenn Sie es aber durchaus wünschen, da haben Sie’s!«

Geoffrey stürzte mit solcher Gewalt zu Boden, daß das ganze Haus davon erdröhnte; aber im Augenblick stand er wieder auf den Beinen und war auch jetzt noch nicht befriedigt. »Ach was mit Ihrem Umwerfen, schlagen Sie ordentlich auf den Kopf, Donner und Blitz, Pulver und Blei! Schlagen Sie mir die Geschichte heraus, zielen Sie nach dem Kopfe.

Der gehorsame Crouch zielte nach dem Kopfe. Die Beiden gaben und empfingen Schläge, die jedes civilisirte Mitglied der menschlichen Gesellschaft auf der Stelle bewußtlos gemacht, vielleicht getödtet haben würde. Der Handschuh des Preisfechters fiel jetzt wie ein Hammer abwechselnd aus die eine und dann auf die andere Seite des eisernen Schädels seines vornehmen Gegners, Schlag auf Schlag, gräßlich anzuhören, bis endlich Geoffrey selbst sich für befriedigt erklärte. »Ich danke Ihnen Crouch«, sagte er zum ersten Male in einem höflichen Tone. »Nun ist es gut! Jetzt fühle ich mich frisch und klar«, er schüttelte drei bis vier Mal den Kopf, trank ein mächtiges Glas Bier und fand seine gute Laune wie durch einen Zauber wieder.

»Wünschen Sie wieder Feder und Dinte?« fragte sein gymnastischer Wirth.

»Nein!« antwortete Geoffrey, »jetzt bin ich die Geschichte los, hole der Teufel Feder und Dinte. Ich will einige meiner Kameraden aufsuchen und mit ihnen in’s Theater gehen.« Er verließ das Wirthshaus in der glücklichsten und heitersten Stimmung. Durch die stimulirende Wirkung von Crouche’s Handschuhen begeistert, hatte er die lähmende Schläfrigkeit seines Hirns abgeworfen und fühlte sich wieder ganz im Besitz seiner natürlichen Schlauheit. »An Anne schreiben? welcher vernünftige Mensch würde das ohne die äußerste Noth thun. Wir wollen ruhig abwarten und sehen, was die nächsten achtundvierzig Stunden bringen, und dann schreiben oder sie im Stich lassen, je nachdem die Dinge sich gestalten werden.« Das war ja so klar wie der Tag für Jeden, der sehen konnte, und Dank dem großen Crouch konnte er jetzt sehen und so ging er fort in der richtigen Stimmung für ein munteres Diner und einen Abend im Theater mit seinen Universitätsfreunden.


Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte