Mann und Weib



Sechzehntes Kapitel - Geoffrey als öffentlicher Charakter

Es war Nachmittag geworden, bevor sich Lady Holchester und ihr Sohn über Geoffrey’s Zukunft geeinigt hatten und bevor die Instructionen für Julius so verständlich ausgearbeitet waren, daß die Unterhandlungen über die Heirath, in Nagel’s Hotel eröffnet werden konnten. »Verlaß ihn nicht, bis Du seine Zusage hast!« waren Lady Holchester’s letzte Worte, als Julius seine Mission antrat. »Wenn Geoffrey nicht auf mein freundliches Anerbieten eingeht«, lautete die Antwort des Sohnes, »so werde ich mich zu unseres Vaters Ansicht bekennen, daß sein Fall hoffnungslos ist, und werde ihn schließlich auch aufgeben müssen!« —— Das war in Julius Munde eine starke Sprache. Es war nicht leicht, das wohlgeschulte und gleichmäßige Temperament des ältesten Sohnes Lord Holchesters aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nie hatte es zwei so verschiedene Menschen gegeben, wie diese beiden Brüder. So traurig es ist, es von dem Bruder eines preisgekrönten Wettruderers aussprechen zu müssen, so zwingt uns doch die Wahrheit zu dem Bekenntniß, daß Julius sich mit der Bildung seines Geistes beschäftigte. Dieser entartete Brite konnte Bücher verdauen aber kein Bier vertragen, konnte fremde Sprachen sprechen aber nicht rudern lernen, fröhnte dem ausländischen Laster, sich in der Kunst, ein musikalisches Instrument zu spielen, zu vervollkommnen, und war nicht im Stande, sich die englische Tugend anzueignen, die Vorzüge eines Pferdes auf der Stelle zu erkennen. Er ging, Gott weiß wie durchs Leben ohne Biceps oder Wettbuch, hatte sich nie gescheut in einer englischen Gesellschaft auszusprechen, daß er das Gebell einer Meute von Hunden nicht für die schönste Musik halte, und konnte es über sich gewinnen, auf dem Continent zu reisen und Berge vor sich zu sehen, die noch Niemand bestiegen hatte, ohne auf der Stelle seine Ehre als Engländer dabei aus das Spiel zu setzen und diese Besteigung selbst vorzunehmen. Solche Leute. mögen unter den untergeordneten Racen des Continents existiren, danken wir Gott, daß England niemals der rechte Boden für sie gewesen ist und sein wird! ——

Als Julius in Nagel’s Hotel angekommen war und Niemand in der Vorhalle fand den er hätte befragen können, wandte er sich an das junge Frauenzimmer, das vor dem Schenktisch am Fenster saß. Die junge Frau war so in die Lectüre eines Abendblattes vertieft, daß sie gar keine Notiz von ihm nahm. Julius ging in’s Gastzimmer. Der Kellner saß in einer Ecke in die Lectüre eines zweiten Blattes vertieft; drei Herren an drei verschiedenen Tischen waren von einem dritten, vierten und fünften Blatte in Anspruch genommen. Keiner von ihnen ließ sich in seiner Lectüre stören und nahm von dem Eintritt des Fremden die geringste Notiz. Julius wagte es den Kellner durch die Frage zu stören, wo er wohl Herrn Geoffrey Delamayn finden könne. Bei dem Klange des berühmten Namens fuhr der Kellner zusammen und sah überrascht auf.

»Sind Sie vielleicht Mr. Delamayn’s Bruder?«

»Ja!»

Die drei Herren an den drei Tischen fuhren gleichfalls aus. Der Glanz von Geoffrey warf seine Strahlen auf Geoffrey’s Bruder und machte auch ihn zu einem öffentlichen Charakter.

»Sie werden«, erwiderte der Kellner in freudig erregtem Tone, »Mr. Geoffrey in Putney im »Hotel zum Hahnenkampf« finden.«

»Ich hoffte ihn hier zu finden, ich hatte mit ihm hier ein Zusammentreffen verabredet!«

Der Kellner sah Julius Delamayn mit einem Ausdruck tiefsten Erstaunens an. »Wissen Sie es denn noch nicht!«

»Was denn?«

»Gerechter Himmel!« rief der Kellner und überreichte ihm das Blatt.

»Gerechter Himmel!« riefen auch die drei Herren und boten ihm ihre drei Blätter an.

»Was giebt es denn?« fragte Julius.

»Was es giebt?« wiederholte der Kellner mit hohler Stimme, »das Furchtbarste was ich je erlebt habe. Mit dem großen Fußwettrennen zu Fulham ist es für immer vorbei; Tinkler ist unbrauchbar geworden!«

Die drei Herren sanken wie aus einen Schlag in ihre Sessel zurück und wiederholten die schreckliche Kunde im Chor: »Tinkler ist unbrauchbar geworden!«

Wer Angesichts eines großen nationalen Unglücks die Bedeutung desselben zu fassen vermag, thut klug zu schweigen und zu versuchen sich zu orientiren ohne fremde Hilfe dabei in Anspruch zu nehmen. Julius nahm das ihm von dem Kellner angebotene Blatt und setzte sich damit in eine Ecke, um womöglich zwei Dinge zu entdecken; erstens, ob »Tinkler« einen Menschen bedeute oder was sonst; zweitens, welche Art von Unglück damit bezeichnet werden solle, wenn gesagt werde, daß Tinkler unbrauchbar geworden sei! Er fand die betreffende Neuigkeit leicht genug, sie stand mit großen Lettern gedruckt und auf sie folgten zwei aus verschiedenen Gesichtspunkten geschriebene Artikel über den Sachverhalt; weitere Einzelheiten und noch genauere Nachrichten wurden für spätere Ausgaben versprochen. Wie mit feierlichen Salutschüssen verkündete der britische Journalismus einem vor dem nationalen Wettlauf im Staube liegenden Volke die Nachricht von Tinkler’s Unbrauchbarkeit. Jedes stilistischen Schmuckes entkleidet, war die Thatsache einfach folgende: Eine berühmte athletische Gesellschaft des Nordens hatte eine berühmte athletische Gesellschaft des Südens zum Wettkampf herausgefordert. Es sollten da gymnastische Spiele wie Laufen, Springen, Werfen mit Cricketbällen und Aehnliches stattfinden und das Ganze sollte mit einem Wettrennen von noch nie dagewesener Länge und Schwierigkeit zwischen den beiden besten Läufern von jeder Seite schließen. Tinkler war der beste Mann des Südens, auf Tinkler waren unzählige Wetten eingegangen und Tinkler’s Lunge war in Folge übergroßer Anstrengung plötzlich schwach geworden. Die Aussicht, einem wunderbar schönen Wettrennen beizuwohnen, und was noch wichtiger war, große Summen Geldes zu gewinnen und zu verlieren, war dem britischen Volke plötzlich zu Wasser geworden. Der Süden hatte unter seinen eigenen Mitgliedern keinen zweiten würdigen Gegner dem Norden entgegenzustellen. Bei einer Durchmusterung der gesamten athletischen Welt fand sich nur ein einziger Mann, der Tinkler ersetzen konnte, und es war im höchsten Grade zweifelhaft, ob dieser Mann unter den obwaltenden Umständen sich bereit finden lassen würde. Der Name dieses Mannes war —— Julius las es mit Entsetzen —— Geoffrey Delamayn! Tiefes Schweigen herrschte im Caffeezimmern Julius legte die Zeitung vor sich hin und sah umher. Der Kellner lehnte in seiner Ecke, ein Wettbuch in der einen und einen Bleistift in der andern. Ebenso saßen die drei Herren an ihren Tischen, das Wettbuch in der einen und den Bleistift in der andern Hand.

»Suchen Sie ihn doch zu überreden, mein Herr!« sagte der Kellner in kläglichem Tone, als sich der Bruder Delamayn’s erhob, um das Zimmer zu verlassen.

»Sucheii Sie ihn doch zu überreden« hallte es aus dem Munde der drei Herren wieder, als Delamayn’s Bruder die Thür öffnete und fortging.

Julius rief ein Cab herbei und hieß dem Kutscher, der emsig beschäftigt war, sich Notizen in sein Wettbuch zu machen, nach dem Gasthof zum Hahnenkampf in Putney zu fahren. Der Kutscher strahlte vor Freude bei dieser Aussicht. Julius brauchte ihn nicht anzutreiben; er fuhr so schnell sein Pferd laufen konnte.

Je mehr sich der Wagen seinem Bestimmungsorte näherte, desto sichtbarer wurden die Anzeichen einer großen nationalen Aufregung. Von allen Lippen erklang der Name »Tinkler«. Die Gemüther des zumeist in den Wirthshäusern versammelten Volkes bewegte nur der eine Gedanke, ob es möglich sein werde oder nicht, Tinkler zu ersetzen. Höchst merkwürdig war die Scene vor dem Wirthshaus in Putney. Selbst die Londoner Strolche standen dem nationalen Unglück gegenüber schweigend und in respectvoller Haltung da. Selbst der unvermeidliche Mann mit der weißen Schürze, der bei jeder Volksversammlung seine Nüsse und sein Zuckerwerk laut aufbietet, trieb heute seinen Handel schweigsam, und fand —— zur Ehre der Nation sei es gesagt —— auch nur Wenige, die aufgelegt gewesen wären, in einer solchen Zeit Nüsse zu knacken. Die Polizei war durch zahlreiche Officianten vertreten, die sich, wie die Uebrigen, stumm verhielten und in ihrer ganzen Haltung eine rührende Sympathie mit den Gefühlen der Menge zu erkennen gaben. Als Julius an der Thür angehalten, seinen Namen nannte, wurde er ehrfurchtsvoll begrüßt. Sein Bruder! o Himmel, sein Bruder! Die Volksmenge drängte sich um ihn, schüttelte ihm die Hände und rief den Segen des Himmels auf sein Haupt herab. Julius war in Gefahr zu ersticken und es bedurfte der Hilfe der Polizei, ihn zu befreien und ihn in den sicheren, nur für Bevorzugte zugänglichen Hafen des Gasthofes zu geleiten. Als er eintrat, schallte ihm ein betäubender Lärm Von oben her entgegen. Eine entfernte Stimme schrie: »Paßt auf!« Ein Mann ohne Hut stürzte unter die auf der Treppe harrende Menge mit dem Ruf: »Hurrah! hurraht Er hat? versprochen! Er will den Wettlauf mitmachen!« Hunderte von Stimmen trugen den Ruf weiter, bis er von dem Jubelgeschrei der draußen Versammelten erstickt wurde. Zeitungsberichterstatter stürzten in wahnsinniger Eile aus dem Gasthof und warfen sich in die Cabs, um der Welt die Freudenbotschaft durch ihre Zeitungen zu verkünden. Die Hand des Wirthes, der Julius vorsichtig am Arm die Treppe hinaufführte, zitterte vor Aufregung. »Sein Bruder, meine Herren, sein Bruder!« Bei diesen Zauberworten trat die dichtgedrängte Menge zu beiden Seiten zurück, um den Bruder durchpassiren zu lassen. Durch dieselben Zauberworte wurde auch die verschlossene Thür des Berathungszimmers weit ausgerissen und Julius befand sich mitten unter den vollzählig versammelten Athleten seines Heimathlandes. Der Mühe einer näheren Beschreibung derselben überhebt uns die früher gegebene Schilderung Geoffrey’s, die auf sie Alle paßt. Die Repräsentanten der Mannhaftigkeit und Muskelkraft Englands sind einer Heerde Hammel darin sehr ähnlich, daß unter einer Schaar von Athleten ungefähr dieselbe Mannigfaltigkeit besteht, wie unter einer Heerde Hammel. Julius sah, wohin er blickte, dieselbe Gestalt, dieselbe Kleidung, dieselbe Gesundheit, Kraft, Stimme und Bewegung. Der Lärm der Unterhaltung war betäubend und der herrschende Enthusiasmus hatte etwas für einen uneingeweihten Fremden zugleich Widerwärtiges und Erschreckendes. Sie hatten Geoffrey mit sammt seinem Stuhl auf den Tisch gehoben, so daß er die ganze Versammlung überragte und von jedem Winkel des Zimmers aus gesehen werden konnte. Sie sangen, tanzten, jubelten und fluchten um ihn herum. Dankbare und bis zu Thränen gerührte Riesen überschütteten ihn mit den zärtlichsten Zurufen. »Der liebe Kerl!« »Der prächtige, noble, herrliche, schöne Junge!« Sie umarmten ihn, klopften ihn auf die Wangen und drückten ihm die Hände; sie betasteten seine Muskeln, sie umarmten die schönen Beine, die den beispiellosen Wettlauf unternehmen wollten. An der entgegengesetzten Seite des Zimmers, von wo es physisch unmöglich war, an den gefeierten Helden heranzukommen, machte sich der Enthusiasmus durch Kraftübungen und Acte der Zerstörung Luft. Hercules I schaffte sich mit seinen Ellenbogen den nöthigen Platz, um sich auf den Boden zu legen —— und Hereules II hob ihn mit den Zähnen in die Höhe. Hercules III nahm das Schüreisen vom Kamin und zerbrach es auf seinem Arm. Hercules IV ergriff die Zange und zerbrach sie auf seinem Nacken. Unfehlbar würde es bald zum Zerschmettern der Möbel und zum Niederreißen des Hauses gekommen sein, wenn nicht Geoffrey, dessen Auge eben jetzt zufällig auf Julius fiel, denselben mit gewaltiger Stimme zu sich gerufen, dadurch die wilde Versammlung zum Schweigen gebracht und ihren feurigen Enthusiasmus in eine andere Bahn geleitet hätte. »Hurrah, sein Bruder! Eins, zwei, drei —— nehmen wir den Bruder auf unsere Schultern! Vier, fünf, sechs —— und befördern wir den Bruder über unsere Köpfe nach dem anderen Ende des Zimmers! Seht, Jungens, seht! Unser Held hat ihn am Kragen gefaßt! Jetzt hat er ihn auf den Tisch gehoben!« Der von seinem eigenem Triumphe trunkene Held begrüßte nun das arme kleine Kerlchen lustig mit einer Ladung von Flüchen. »Donner und Blitz! Pulver und Blei! Was ist los, Julius, was ist los?«

Julius suchte zu Athem zu kommen und seine derangirte Toilette wieder etwas in Ordnung zu bringen. Der ruhige kleine Mann, der gerade Kraft genug besaß, ein Wörterbuch vom Bücherbret zu nehmen und seinen Arm hinreichend geschult hatte, um Violine damit zu spielen, war doch von dem Eindruck des ihm zu Theil gewordenen tumultuarischen Empfanges so wenig eingeschüchtert, daß er nur die gründlichste Verachtung dafür zu empfinden schien.

»Sie haben Dich doch nicht erschreckt?« sagte Geoffrey. »Die Jungens sind ein derbes Volk, aber sie meinen’s gut.«

»Sie haben mich durchaus nicht erschreckt«, antwortete Julius. »Ich frage mich nur, wie lange die Schulen und Universitäten, aus denen solche wüste Raufbolde, wie diese« da, hervorgehen, noch bestehen werden.«

»Nimm Dich in Acht, Julius! Sie werfen Dich zum Fenster hinaus, wenn sie das hören.

»Das würde mich in meiner Ansicht über sie nur bestärken.«

Die Versammlung, die der Unterhaltung der beiden Brüder nur mit den Augen zu folgen vermochte, fing an, wegen des bevorstehenden Wettlaufs unruhig zu werden. Mit lautem Geschrei forderten sie Geoffrey auf, wenn ihm etwas in die Quere gekommen sei, es ihnen mitzutheilen. Geoffrey beruhigte sie und wandte sich dann in einer nichts weniger als freundlichen Stimmung an seinen Bruder mit der Frage: »Was zum Teufel willst Du hier?«

»Ich habe Dir etwas mitzutheilen, bevor ich nach Schottland zurückkehre,« antwortete Julius. »Unser Vater ist bereit, Dir eine letzte Chance zu geben; wenn Du sie nicht ergreifst, so ist Dir von heute an nicht nur sein Haus, sondern auch meines verschlossen.«

Nichts ist frappanter als das besonnene klare Urtheil und die bewundernswürdige Selbstbeherrschung welche die jungen Leute unserer Zeit an den Tag legen, sobald es sich um eine Angelegenheit handelt, bei welcher ihr persönliches Interesse im Spiel ist. Anstatt über den Ton, den sein Bruder gegen ihn angeschlagen hatte, empfindlich zu sein, stieg Geoffrey sofort von dem Piedestal des Ruhms, auf dem er stand, herab und gab sich ohne Widerstreben in die Hände, welche vertretungsweise über sein Schicksal verfügten, mit andern Worten, welche vertretungsweise den Geldbeutel in Händen hielten. Nach Verlauf von weiteren fünf Minuten war die Versammlung, nachdem ihr Geoffrey alle erforderlichen Zusicherungen im Betreff seiner Betheiligung an dem bevorstehenden Wettlauf gegeben hatte, von ihm entlassen und saßen die beiden Brüder in einem der Privatzimmer des Gasthofs bei einander.

»Heraus damit!« sagte Geoffrey, »und mach’s kurz.«

»Es soll keine fünf Minuten dauern«, erwiderte Julius, »ich reife heute Abend mit dem Courierzuge ab und habe vorher noch viel zu besorgen. Was ich Dir zu sagen habe ist kurz. Folgendes: Unser Vater erklärt sich bereit, Dich wieder bei sich aufzunehmen, wenn Du Dich entschließt, Dir eine ihm genehme Lebensstellung zu verschaffen. Unsere Mutter hat schon eine Frau für Dich gefunden. Sie ist von guter Familie, schön und reich. Nimm sie —— und Du schaffst Dir eine für den Sohn Lord Holchesters angemessene Stellung. Weigerst Du Dich aber —— so hast Du Dir Dein Verderben selbst zuzuschreiben.«

Die Art, wie Geoffrey diese Mittheilung aufnahm, hatte nichts besonders Beruhigendes. Statt zu antworten, schlug er mit der Faust wüthend auf den Tisch und fluchte aus tiefstem Herzensgrund einem Weibe, dessen Namen er aber wohlweislich verschwieg.

»Deine unnennbaren Liaisons »Alles was mir obliegt, ist, Dir die Sache, genau wie sie steht, vorzulegen und Dir die Entscheidung anheim zu geben. Die Dir zugedachte Dame war früher ein Fräulein Newenden, aus einer der ältesten englischen Familien. Sie heißt jetzt Mrs. Glenarm und ist die junge und kinderlose Wittwe des großen Eisenwerkbesitzers dieses Namens. Sie vereinigt also Geburt und Vermögen in sich. Ihr Einkommen beträgt rund zehntausend Pfund jährlich. Unser Vater ist bereit, dieses Einkommen auf fünfzehntausend Pfund zu erhöhen, wenn es Dir gelingt, Dir ihr Jawort zu verschaffen. Unsere Mutter steht für ihre persönlichen Eigenschaften ein. Und meine Frau hat sie in London bei sich gesehen. Sie ist jetzt, wie ich höre, zum Besuch bei Freunden in Schottland, sobald ich nach Hause komme, will ich dafür sorgen, daß sie eine Einladung bekommt, demnächst einen längeren Besuch bei uns zu machen. Es muß sich natürlich finden, ob es Dir gelingt, ihr zu gefallen. Das mußt Du versuchen und leistest damit Alles, was unser Vater von Dir verlangen kann.«

Geoffrey wehrte jedes nähere Eingehen auf diese Seite der Frage ungeduldig von sich ab.

»Wenn sie keine Lust zu einem Manne hat, der bei dem großem Wettlauf in Fulham mitlaufen soll«, sagte er, »so giebt es genug Andere, die ebenso gut sind, wie sie und die mit tausend Freuden zugreifen werden! Das macht mir keine Sorge, wenn nur nicht die andere verfluchte Geschichte wäre.«

»Ich wiederhole Dir, daß mich Deine geheimen Angelegenheiten nichts angehen«, nahm Julius wieder auf. »Benutze den Rest des Tages, Dir die Sache zu überlegen. Wenn Du Dich entschließest, auf meinen Vorschlag einzugehen, so erwarte ich Dich zum Beweis, daß es Dir Ernst damit ist, heute Abend auf dem Bahnhof. Wir reisen dann zusammen wieder nach Schottland. Du beendigst zuerst Deinen unterbrochenen Vesuch bei Lady Lundie; es ist wichtig für mich, daß Du eine in der Grafschaft so angesehene Frau mit dem gehörigen Respect behandelst, —— und meine Frau wird, bis Du dann wieder zu uns kommst, schon bei Mrs. Glenarm für Dich vorgearbeitet haben. Weiter habe ich Dir nichts zu sagen und ich brauche mich nun nicht länger aufzuhalten. Wenn Du heute Abend kommst, werden meine Frau und ich Alles was in unsern Kräften steht, thun, um Dir behülflich zu sein. Wenn ich ohne Dich nach Schottland reisen muß, so kannst Du Dir die Mühe, mir dahin zu folgen, sparen, wir sind dann geschiedene Leute.«

Mit diesen Worten gab er seinem Bruder die Hand und ging fort.

Als Geoffrey wieder allein war, zündete er sich seine Pfeife an und ließ den Wirth kommen. »Schaffen Sie mir ein Boot, ich muß mir flußauf- und abwärts eine Stunde Bewegung machen, legen Sie mir auch ein Paar Handtücher in’s Boot, vielleicht nehme ich ein Bad!«

Der Wirth erlaubte sich nach Empfang der Ordre eine Warnung gegen seinen ausgezeichneten Gast auszusprechen. »Lassen Sie sich nicht vor dem Hause sehen, Mr. Delamayn, wenn die Leute Ihrer ansichtig werden, so wäre die Polizei nicht im Stande, sie im Zaum zu halten, so aufgeregt sind sie.«

»Gut ich werde durch die Hinterthür hinausgehen.«

Er ging ein paar Mal im Zimmer aus und ab. Worin bestand die Schwierigkeit, die er zu überwinden hatte, bevor er sich der herrlichen Aussicht, die sein Bruder ihm eröffnet hatte, erfreuen konnte. Der Wettlauf? Nein! Das Comité hatte ihm versprochen, den Tag des Rennens zu verschieben, wenn er es wünschen sollte, und ein Monat Vorbereitung würde bei seiner körperlichen Beschaffenheit vollkommen hinreichen; von einer persönlichen Abneigung, sein Glück bei Mrs. Glenarm zu versuchen, konnte keine Rede sein. Ihm war jede Frau recht, wenn nur seine Wahl seinen Vater befriedigte und die Vermögensumstände nach Wunsch waren. Das einzige wirkliche Hinderniß war das Mädchen das er unglücklich gemacht hatte, Anne; die einzige unüberwindliche Schwierigkeit bestand darin, wie ein Mittel zu finden, mit Anne fertig zu werden.

»Ich will erst einmal eine Stunde rudern und mir die Sache dann wieder überlegen«, sagte er zu sich selbst. Der Wirth und der Polizei-Inspector schafften ihn unbemerkt zu der Hinterthür, von deren Vorhandensein die vor dem Hause harrende Menge nichts wußte, hinaus. Beide Männer blieben noch eine Weile stehen und sahen ihm bewundernd nach, als er sein Boot mit langen, mächtigen, schönen Ruderschlägen in Bewegung setzte. »Das nenne ich den Stolz und die Blüthe Englands!« sagte der Polizei-Inspector. Hat man schon angefangen auf ihn zu wetten?«

»Sechs gegen eins haben sie angeboten und Niemand gefunden der darauf eingehen will«, entgegnete der Wirth.

Julius traf Abends zeitig auf dem Bahnhof ein; seine Mutter hatte ihn fortgetrieben. »Gieb Geoffrey kein schlechtes Beispiel dadurch, daß Du zu spät kommst!« sagte sie. Der erste Mensch, den Julius beim Aussteigen ans dem Wagen sah, war Geoffrey, der sein Billet bereits genommen und seinen Koffer dem Schaffner übergeben hatte.


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