Mann und Weib



Dreiundzwanzigstes Kapitel - Geschehen

Die Unterhaltung in der Bibliothek war überwiegend leer und oberflächlich. Nur in einem Winkel des Raums, in welchem Sir Patrick und Blanche zusammensaßen, wurde ein ernsthaftes Gespräch geführt.

»Onkel! Seit ein paar Minuten habe ich Dich scharf beobachtet.«

»Bei meinem Alter, liebe Blanche, machst Du mir damit ein sehr verbindliches Compliment!«

»Weißt Du auch, was ich gesehen habe?«

»Du hast einen alten Herrn gesehen, der sich nach dem Frühstück sehnt.«

»Ich habe einen alten Herrn gesehen, der in Gedanken versunken war, und ich möchte wissen warum?«

»Wegen zurückgetretener Gicht.«

»Nein, damit laß’ ich mich nicht abspeisen, Onkel, ich will wissen« ——

»Nicht weiter Blanche, ein junges Mädchen, welches sagt: »ich will wissen,« ist in sehr gefährlicher Gemüthsverfassung. »Du weißt, auch Eva sagte: »ich will wissen,« und sieh’ nur wohin das geführt hat; auch Faust sagte »ich will wissen,« und die Folge davon war, daß er in schlechte Gesellschaft gerieth.«

»Du bist über etwas besorgt,« erwiderte Blanche, »und was mehr sagen will, Sir Patrick, Sie haben sich vorhin sehr auffallend benommen!«

»Wann denn?«

»Als Du Dich mit Mr. Delamayn in die gemüthliche Nische da einsperrtest; ich habe wohl gesehen, daß Du vorangingst, während ich, mit den langweiligen Einladungen zum Diner für Lady Lundie beschäftigt war!«

»Das nennst Du beschäftigt? Ich möchte wohl wissen, ob es jemals ein weibliches Wesen gegeben hat, das sich mit ungetheilter Aufmerksamkeit irgend einer irdischen Beschäftigung zugewendet hätte!«

»Laß doch die Frauen aus dem Spiel, lieber Onkel; was kann der Gegenstand Deiner Unterhaltung mit Mr. Delamayn gewesen sein und warum sehe ich jetzt, nachdem die Unterhaltung vorüber ist, eine Falte zwischen Deinen Augenbrauen, die ganz gewiß nicht da war, ehe Du die vertrauliche Unterhaltung mit Mr. Delamayn hattest!«

Bevor Sir Patrick antwortete, überlegte er, ob er Blanche in’s Vertrauen ziehen solle oder nicht. Der Versuch, sich über die Persönlichkeit der ungenannten Dame Geoffrey’s zu vergewissern, den er zu machen entschlossen war, mußte ihn nach Craig-Fernie führen und würde ihn unzweifelhaft nöthigen, sich schließlich an Anne zu wenden. Unter diesen Umständen konnte Blanches vertraute Bekanntschaft mit ihrer Freundin unstreitig für ihn von Nutzen sein, und auf Blanches Discretion konnte er sich in einer Angelegenheit, bei der es sich um Miß Silvester’s Interessen handelte, unbedingt verlassen. Andererseits erheischte die Unvollständigkeit seiner Kunde gebieterisch die größte Vorsicht. Die Vorsicht trug für dieses Mal bei Sir Patrick den Sieg davon. Er beschloß erst abzuwarten, was seine Nachforschungen in dem Gasthofe ergeben würden.

»Mr. Delamayn hat mich über eine trockene Rechtsfrage consultirt, die für einen seiner Freunde Interesse hat«, sagte Sir Patrick. »Du siehst, liebes Kind, Du hast Deine Neugierde und Deine Aufmerksamkeit verschwendet!«

Blanches Scharfsinn war aber nicht so leichten Kaufs abzufinden.«

»Warum sagst Du nicht geradezu, daß ich die Wahrheit nicht von Dir erfahren soll«, erwiderte sie. »Du solltest Dich mit Mr. Delamayn einsperren, um über Rechtsfragen mit ihm zu reden und solltest nach einem solchen Gespräch ärgerlich und verdrießlich aussehen? O, ich unglückliches Mädchen!« fügte sie mit einem bittern Seufzer hinzu, »ich muß etwas an mir haben, was die Menschen die ich liebe, abstößt. Kein vertrautes Wort kann ich von Anne erlangen und kein vertrautes Wort von Dir und ich habe ein so liebebedürftiges Herz; das ist wahrhaftig sehr hart. Ich glaube, ich will zu Arnold gehen.«

Sir Patrick ergriff die Hand seiner Nichte.

»Warte einmal, Blanche! Apropos von Miß Silvester. Hast Du heute etwas über sie gehört?«

»O nein, ich fühle mich ihretwegen unglücklicher, als ich es sagen kann.«

»Was meinst Du dazu, wenn Jemand nach Craig-Fernie ginge und die Ursache ihres Schweigens herauszufinden suchte, würdest Du dann glauben, daß doch Jemand ein Herz für Dich hat?«

Blanches Gesicht strahlte vor Ueberraschung und Freude. Sie führte Sir Patricks Hand dankbar an ihre Lippen und rief: »O, das wolltest Du doch nicht selbst thun?«

»Ich bin gewiß der Letzte, der es thun sollte, in Betracht, daß Du in offener Auflehnung gegen meinen ausdrücklichen Befehl nach dem Gasthof gefahren bist und daß ich Dir nur gegen ein reuiges Bekenntniß und ein feierliches Gelöbnis; der Besserung verziehen habe. Es steht dem Haupt einer Familie sehr schlecht an und ist ein schwächliches und verwerfliches Verfahren, wenn er seinen eigenen Principien in’s Gesicht schlägt, nur weil es seiner Nichte beliebt, besorgt und unglücklich zu sein; aber doch, wenn Du mir Deinen kleinen Wagen leihen wolltest, so könnte ich mich vielleicht, wenn auch widerwillig, zu einer einsamen Fahrt nach Craig-Fernie entschließen und da könnte ich ja möglicherweise Miß Silvester begegnen und falls Du ihr etwas auszurichten haben solltest ——«

»Etwas?« wiederholte Blanche. Sie umschlang seinen Hals mit ihren Armen und flüsterte ihm eine endlose Botschaft für Anne in’s Ohr.

Während Sir Patrick zuhörte, steigerte sich sein Interesse an der Nachforschung, die ihn im Geheimen beschäftigte. Jenes Mädchen muß edle Eigenschaften haben, dachte er, wie könnte sie sonst eine solche Neigung einflößen.«

Während Blanche ihrem Onkel noch in’s Ohr flüsterte, fand eine andere vertrauliche Conferenz diesmal aber nur über eine rein häusliche Angelegenheit zwischen Lady Lundie und dem Kellermeister, in der Halle vor der Thür der Bibliothek statt.

»Ich habe leider zu melden, Mylady, daß Hester Dethridge wieder einen Anfall bekommen hat.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie war ganz ordentlich, Mylady, als sie vorhin in den Küchengarten ging. Seit sie aus demselben zurückgekommen, ist sie wieder sonderbar, verlangt den ganzen Tag für sich, Mylady, sagt, die viele Gesellschaft im Hause sei ihr lästig und sieht, wie ich bekennen muß, in der That wie eine Person aus, die an Körper und Geist erschöpft und angegriffen ist.«

»Sprechen Sie doch nicht so dummes Zeug, Roberts, die Person ist eigensinnig, träge und unverschämt. Sie wissen, ich habe ihr für nächsten Monat gekündigt; wenn sie während dieses Monats ihre Pflicht nicht thun will, so werde ich ihr kein Zeugniß geben. Wer soll denn heute das Mittagessen kochen, wenn ich Hester Erlaubniß gebe, auszugehen?«

»Wie die Sachen stehen, fürchte ich, Mylady, wird das Küchenmädchen heute ihr Bestes thun müssen.

Hester ist, wie Mylady sagen, sehr eigensinnig wenn sie ihren Anfall bekommt!«

»Wenn Hester Dethridge es dem Küchenmädchen überläßt, das Essen zu kochen, Roberts, so muß sie noch heute meinen Dienst verlassen. Ich will nichts weiter über die Sache hören. Wenn sie bei ihrem Ungehorsam beharrt, so lassen Sie ihr Ausgabenbuch in die Bibliothek bringen, während wir beim Frühstück sind und es dort auf meinen Schreibtisch legen. Nach dem Frühstück komme ich zurück und wenn ich das Ausgabenbuch dort finde, so werde ich wissen, was es bedeutet. in dem Fall werde ich Sie instruiren, sie abzulohnen. Jetzt läuten Sie zum Frühstück!«

Die Glocke zum Frühstück erschallte, die Gäste gingen Alle in’s Eßzimmer. Sir Patrick mit Blanche am Arm folgte ihnen von dem entferntesten Ende der Bibliothek nach. An der Schwelle des Eßzimmers blieb Blanche stehen und bat ihren Onkel es zu entschuldigen, wenn sie ihn allein hineingehen lasse. »Ich komme gleich wieder!« sagte sie, »ich habe noch etwas vergessen.«

Sir Patrick trat ein, die Thür des Eßzimmers schloß sich hinter ihm und Blanche ging allein wieder in die Bibliothek.

Bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande, hatte sie die drei letzten Tage das in Craig-Fernie gegebene Versprechen, zehn Minuten während des Frühstücks in der Bibliothek auf Anne zu warten, treulich erfüllt. Heute, als am vierten Tage setzte sich das treue Mädchen wieder allein in das große Zimmer und wartete ruhig, die Augen auf den Rasen geheftet. Fünf Minuten vergingen, ohne daß ein anderes lebendes Wesen erschienen wäre, als die auf dem Rasen hüpfenden Vögel. Einige Minuten später aber vernahm Blanches scharfes Ohr das schwache Geräusch eines über den Rasen hinstreifenden Frauenkleides. Sie eilte an das nächste Fenster, blickte hinaus und klatschte mit einem Ausruf des Entzückens in die Hände. Da war die wohlbekannte Gestalt, die sich ihr raschen Schrittes näherte. Anne bewährte sich als treue Freundin und hatte ihr Versprechen endlich gehalten.«

Blanche eilte hinaus und zog sie triumphirend in die Bibliothek hinein.

»Das macht Alles wieder gut, Du Engel! Du giebst mir die erwünschte Antwort auf meinen Brief, Du bringst mir das Liebste, Dich selbst.« Sie veranlaßte Anne, sich zu setzen, lüftete ihren Schleier und sah ihr nun beim hellsten Sonnenlicht gerade in’s Gesicht. Die Veränderung, die mit der ganzen Erscheinung Anne’s vorgegangen war, erschien den liebenden Augen, die jetzt auf ihr ruhten, furchtbar. Anne sah, um viele Jahre älter aus, als sie wirklich war. Der Ausdruck ihres Gesichts hatte etwas unheimlich Ruhiges. Eine stumpfe Resignation, eine Ergebung in Alles, was kommen mochte und konnte, waren ihrem Gesichte aufgedrängt. Drei Tage und Nächte kummervoller Einsamkeit, drei Tage und Nächte ruheloser Ungewißheit hatten diese fein organisirte Natur zerrüttet, hatten dieses warme Herz erkaltet; ihre Lebensgeister waren entflohen, nur ihr Schatten war es, der noch lebte und sich bewegte, ein Hohn auf ihr früheres Selbst.

»O, Anne, Anne, was ist, was kann Dir begegnet sein, bist Du erschrocken? Du brauchst durchaus nicht zu fürchten, daß irgend Jemand hier uns stört. Die ganze Gesellschaft ist beim Frühstück und die Dienstboten sind beim Mittagessen. Wir können ganz über das Zimmer verfügen. Mein Engel, Du siehst so angegriffen aus, laß mich Dir eine Erfrischung geben.«

Anne zog Blanche’s Kopf an sich und küßte sie matt und langsam ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Thräne zu vergießen, ohne einen Seufzer auszustoßen.

»Du siehst so angegriffen und verweint aus. Bist Du zu Fuß hergekommen? Du darfst aber nicht wieder zu Fuß fortgehen, dafür will ich sorgen!«

Bei diesen Worten raffte sich Anne auf und ergriff zum ersten Male das Wort in einem leiseren und traurigeren Tone als ihr sonst eigen war, während der Reiz, die natürliche Weiche und Schönheit ihrer Stimme den Untergang ihres ganzen übrigens Wesens überdauert zu haben schien. »Ich gehe nicht wieder zurück, Blanche, ich habe den Gasthof verlassen!

»Den Gasthof verlassen, mit Deinem Manne?«

Anne beantwortete nur die erste Frage, nicht die zweite. »Ich kann nicht zurückgehen, der Gasthof ist kein Aufenthalt für mich. Ein Fluch scheint sich an meine Fersen zu heften, wohin ich auch meine Schritte wende. Ich bin, Gott weiß es, ohne mein Zuthun, die Ursache von Streit und Elend. Der alte Mann, welcher Oberkellner im Gasthofe war, ist auf seine Art freundlich gegen mich gewesen, hat sich darüber mit der Wirthin nach einem heftigen Wortwechsel veruneinigt und that in Folge dessen seine Stelle verloren. Die Wirthin legt mir die ganze Sache zur Last, sie ist eine hartherzige Person und war, nachdem sie Bishopriggs fortgeschickt hatte, noch unfreundlicher gegen mich, als zuvor. Ich vermißte einen Brief im Gasthofe, ich muß ihn wohl weggeworfen und vergessen haben; ich weiß nur, daß ich mich gestern Abend dieses Briefes erinnerte und ihn nicht finden konnte. Ich erzählte das der Wirthin und sie benutzte den Anlaß, sich, noch fast ehe ich ein Wort gesagt hatte, mit mir zu streiten. Sie fragte mich, ob ich sie beschuldigen wolle, mir meinen Brief gestohlen zu haben und sagte mir Dinge, die ich nicht wiederholen kann. Ich bin nicht sehr wohl und fühle mich völlig außer Stande, mit Leuten dieser Art zu verkehren. Ich habe es daher für das»Beste gehalten, Craig-Fernie diesen Morgen zu verlassen. Ich wünsche und hoffe von ganzem Herzen, daß ich Craig-Fernie nicht wieder sehen werde.« —— Sie hatte ihre kleine Geschichte ohne das mindeste Zeichen irgend einer Gemüthsbewegung erzählt und lehnte, als sie zu Ende war, ihren Kopf wieder ermüdet in den Sessel zurück.

Blanche’s Augen füllten sich bei ihrem Anblick mit Thränen. »Ich will Dich nicht mit Fragen quälen«, sagte sie sanft, »komm mit mir hinauf und ruhe Dich auf meinem Zimmer aus, Du bist nicht im Stande zu reisen, liebes Kind, ich will schon dafür sorgen, daß Niemand zu uns kommt.« Die Stallglocke schlug ein Viertel auf zwei Uhr.

Anne fuhr zusammen und sprang auf. »Was, hat die Uhr geschlagen?«

Blanche sagte es ihr.

»Dann darf ich nicht länger bleiben, ich bin hergekommen, um etwas ausfindig zu machen. Du wirst mich nicht näher darüber fragen; thue es nicht, um unserer Freundschaft willen, thue es nicht?«

Blanche wandte sich mit schwerem Herzen ab. »Ich will nichts thun, Geliebte, was Dir peinlich sein könnte.« Sie ergriff Anne’s Hand und verbarg die Thränen, die ihr über die Wangen zu rollen begannen.

»Ich möchte etwas wissen, Blanche! Willst Du es mir sagen?«

»Ja, was ist es?«

»Wer sind die Herren, die jetzt hier zum Besuch sind?«

Blanche sah sie plötzlich wieder mit ängstlicher Ueberraschung an. Eine unbestimmte Besorgniß ergriff sie, daß Anne’s Geist der schweren Bürde der auf ihr lastenden Sorgen erlegen sein könnte.

Aber Anne beharrte auf ihrer sonderbaren Bitte. »Sage mir ihre Namen, Blanche, ich habe meine Gründe, warum ich wissen möchte, wer die Herren sind, die jetzt hier im Hause zum Besuch verweilen.«

Blanche zählte jetzt die Namen der Gäste Lady Lundies auf und schloß: »Dann sind noch zwei diesen Morgen angekommen, Arnold Brinkworth und sein abscheulicher Freund, Mr. Delamayn!«

Annes Kopf sank wieder in den Sessel zurück. Es war ihr ohne Argwohn zu erregen gelungen, die Entdeckung zu machen, um derentwillen sie nach Windygates gekommen war. Er war also wieder in Schottland und erst diesen Morgen von London zurückgekehrt, hatte demnach kaum Zeit gehabt, sich, noch bevor sie den Gasthof verlassen hatte, mit Craig-Fernie in Verbindung zu setzen, namentlich da er ja das Briefschreiben haßte. Die Umstände sprachen zu seinen Gunsten. Es war wirklich und wahrhaftig kein Grund vorhanden, bis jetzt zu glauben, daß er sie verlassen habe. Das Herz des unglücklichen Weibes hüpfte ihr im Busen unter dem ersten Strahl der Hoffnung, der es seit einem Monat erwärmte. Bei diesem plötzlichen Aufruhr ihrer Empfindung wurde ihr schwacher Körper tief erschüttert. Ihr Gesicht wurde einen Augenblick dunkelroth, dann wieder todtenbleich.

Blanche, die sie ängstlich beobachtete, fand es jetzt unerläßlich, ihr augenblicklich eine Erfrischung zu verschaffen. »Ich will etwas Wein für Dich holen, Du wirst ohnmächtig werden, wenn Du nicht etwas zu Dir nimmst. »Ich bin gleich wieder bei Dir und ich will es schon einrichten, daß Niemand etwas davon merkt!« sie schob Anne’s Stuhl an das nächste offene Fenster am obern Ende der Bibliothek und lief hinaus.

Kaum hatte Blanche das Zimmer durch die nach der Vorhalle führende Thür verlassen, als Goffrey durch eine der nach dem Garten führenden Glasthüren eintrat. Ganz in dem Gedanken an den Brief, den er zu schreiben im Begriff war, vertieft, ging er langsamen Schrittes durch’s Zimmer auf den nächsten Tisch zu.

Als Anne Fußtritte vernahm, fuhr sie zusammen. Und sah sich um Ihre erschöpften Kräfte hoben sich augenblicklich bei seinem Anblick; sie erhob sich und ging raschen Schrittes mit schwach errötheten Gesicht auf ihn zu.

Er blickte auf. Da standen sich die Beiden wieder gegenüber von Angesicht zu Angesicht, ohne Zeugen.

»Geoffrey!« sagte sie.

Er sah sie an, ohne ihr eien Schritt entgegen zu treten. In seinen Augen zuckte es unheimlich. Sein Schweigen war das Schweigen eines wilden Thieres, das stumm droht. »Er heitre seinen Entschluß gefaßt, sie nie wieder zu sehen und jetzt hatte sie ihn in die Falle einer Zusammenkunft gelockt. Er war entschlossen, ihr zu schreiben und jetzt stand sie vor ihm und zwang ihn zu reden. Das Maaß ihres Unrechts gegen ihn war jetzt voll. Wenn jemals der leiseste Funke von Mitleid sich in seinem Herzen geregt hätte, so würde dieser Funke doch jetzt völlig erloschen sein.

Sie begriff die ganze Bedeutung seines Schweigens. Sie entschuldigte sich bei ihm, daß sie es wagte, wieder nach Windygates zu kommen; entschuldigte sich bei dem Mann, dessen bewußte Absicht es in diesem Augenblick war, sie hülflos in die weite Welt hinauszustoßen. »Verzeih’ mir, bitte, daß ich hergekommen bin, ich habe nichts gethan, was Dich compromittiren könnte, Niemand als Blanche weiß, daß ich in Windygates bin und ich habe meine Fragen über Dich so zu stellen gewußt, daß sie keine Ahnung von unserm Verhältnisse haben kann.« Dann hielt sie inne und fing an zu zittern. Jetzt entdeckte sie in seinem Gesicht etwas, was ihr anfänglich entgangen war. »Ich habe Deinen Brief erhalten,« fuhr sie fort, indem sie ihre sinkenden Kräfte zusammennahm, »ich beklage mich nicht, daß er so kurz war, ich weiß, Du bist kein Freund vom Briefschreiben, aber Du hast versprochen, von Dir hören zu lassen und ich habe nichts von Dir gehört und es war so einsam in dem Gasthof.« Wieder hielt sie inne und stützte sich wankend auf den Tisch. Die Schwäche bemächtigte sich ihrer wieder; sie versuchte fortzufahren, es war vergeblich, sie konnte ihn nur noch ansehen.

»Was wollen Sie?« fragte er in einem Tone, als ob er eine ganz unwichtige Frage an einen Fremden richte. Ein letzter Strahl ihrer früheren Energie flackerte wie eine verlöschende Flamme in ihrem Gesichte auf. »Ich bin von dem, was ich habe ertragen müssen, gebrochen,« sagte sie, »beleidige mich nicht, indem Du mich zwingst Dich an Dein Versprechen zu erinnern!«

»Welches Versprechen?«

»Schäme Dich, Geoffrey! schäme Dich, Du hast versprochen, mich zu heirathen.«

»Sie erinnern mich an mein Versprechen, nach dem, was Sie in dem Gasthofe gethan haben?«

Sie stützte sich mit der einen Hand auf den Tisch und legte sich die andere Hand an den Kopf. Es schwindelte ihr, sie konnte nicht mehr denken; sie sagte fast bewußtlos vor sich hin. »Im Gasthofe, was habe ich im Gasthofe gethan?«

Lassen Sie sich gesagt sein, daß ich einen Advocaten consultirt habe; ich weiß, was ich sage.«

Sie schien diese Worte nicht gehört »zu haben.

Sie wiederholte: »Was habe ich im Gasthofe gethan?« und schien es in Verzweiflung aufzugeben, noch weiter darüber nachzudenken. Noch immer auf den Tisch gestützt, trat sie dicht an ihn heran. Und legte ihm die Hand auf seinen Arm. »Weigerst Du Dich, mich zu heirathen?«

Er ersah die günstige Gelegenheit und sprach die schmachvollen Worte: »Sie sind ja schon mit Arnold Brinkworth verheirathet!«

Ohne einen Schrei auszustoßen, ohne einen Versuch gemacht zu haben, sich aufrecht zu erhalten, sank sie bewußtlos dicht vor ihm zu Boden, wie einst ihre Mutter vor seinem Vater zu Boden gesunken war.

Er befreite sich von den Falten ihres Kleides und sagte: »Das wäre geschehen.«

In dem Augenblick, wo er diese Worte aussprach, erschreckte ihn ein Geräusch im Innern des Hauses, eine der Bibliotheksthüren war nicht ganz geschlossen; man vernahm leichte FUßttitte, die von der Vorhalle sich näherten. Rasch drehte er sich um und entfloh, wie er gekommen wer, durch die offene Glasthür am untern Ende des Zimmers.


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