Der Mondstein



Fünftes Capitel.

Das Erste, was ich that, als wir allein waren, war, einen dritten Versuch zu machen, mich von meinem Sitz am Strande zu erheben. Herr Franklin hielt mich aber zurück.

»Ein Gutes hat dieser schauderhafte Platz« sagte er, »man ist hier ungestört. Bleiben Sie auf, Ihrem Platz, Betteredge, ich habe Ihnen etwas zu sagen.«

Während er mit mir sprach, betrachtete ich ihn und versuchte in dem Mann, den ich vor mir hatte, Etwas von dem Knaben, der in meiner Erinnerung lebte, zu entdecken. Es wollte aber nicht gelingen. So genau ich auch zusah, so konnte ich doch so wenig mehr von seinen rosigen Wangen, wie von seiner strammen Jacke herausfinden. Sein Teint war blaß geworden, der untere Theil des Gesichts war zu meiner großen Ueberraschung und Entrüstung mit einem gelockten braunen Backen- und Schnurrbart bedeckt. Er hatte zwar noch immer ein sehr gefälliges und einnehmendes Wesen. das aber doch keinen Vergleich mit dem aushielt, was er früher gewesen war. Und was noch schlimmer war, er hatte versprochen groß zu werden und hatte dieses Versprechen nicht gehalten. Er war zierlich, schlank und wohl gebaut, aber er überragte die mittlere Mannesgröße höchstens um zwei Zoll. Die vergangenen Jahre hatten von seinem früheren Selbst nichts übrig gelassen, als seine hellen, offenen Augen. In ihnen fand ich meinen lieben Jungen wieder, und damit beschloß ich, es bei meinen Nachforschungen bewenden zu lassen.

»Seien Sie willkommen in Ihrer alten Heimath, Herr Franklin,« sagte ich. »Und um so willkommener als Sie einige Stunden früher kommen, als wir Sie erwarteten.«

»Ich habe meine Gründe, früher zu kommen, als Ihr mich erwartetet,« antwortete Franklin, »ich argwöhne Betteredge, daß man mich in den letzten drei oder vier Tagen verfolgt und beobachtet hat, und ich bin mit dem Morgen- statt mit dem Abendzug gereist, weil ich einem gewissen dunkelfarbigen Fremden gern entwischen wollte.«

Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich, sie brachten mir auf einmal wieder die Jongleurs und Penelope’s Besorgniß in Erinnerung, daß dieselben etwas Schlimmes gegen Franklin im Schilde führten.

»Wer beobachtet Sie, und warum?« fragte ich.

»Erzählen Sie mir etwas von den drei Indiern, die heute hier gewesen sind,« erwiderte Franklin, ohne auf meine Frage zu achten. »Es ist sehr möglich, Betteredge, daß mein Fremder und Eure drei Jongleurs sich als Sylben derselben Charade ausweisen.«

»Was wissen Sie von den Jonglours?« fragte ich, seine Frage mit einer andern erwiedernd, was nicht gerade fein war; wie ich bekenne, aber man wird mir Etwas, was doch so menschlich ist, zu Gute halten.

»Ich habe Penelope schon im Hause gesprochen,« antwortete Franklin, »und die hat es mir erzählt. Ihre Tochter, Betteredge, versprach immer ein hübsches Mädchen zu werden und hat ihr Versprechen gehalten. Sie hat kleine Ohren und kleine Füße. Hat sie diese unschätzbaren Vorzüge von ihrer verstorbenen Mutter geerbt?«

»Meine selige Frau hatte ihren guten Theil Fehler,« sagte ich, »einer davon war, da Sie mich doch danach fragen, daß sie nie bei einer Sache bleiben konnte. Sie glich mehr einem Schmetterling als einer Frau.«

»Da wäre sie was für mich gewesen,« entgegnete Franklin, »ich kann auch nie bei einer Sache bleiben. Sie, Betteredge, sind ja wohler auf als je, das hat mir schon Ihre Tochter gesagt, als ich sie wegen der Jongleurs befragte. »Vater wird Ihnen das Nähere erzählen, er ist merkwürdig für sein Alter und weiß sich vortrefflich auszudrücken,« waren Penelope’s eigene Worte, bei denen sie reizend erröthete. Nichts, selbst nicht mein Respekt vor Ihnen konnte mich abhalten, sie zu . . . einerlei. Ich habe sie als Kind gekannt und sie ist nicht schlechter davon geworden. Kommen Sie, sagen Sie mir ernsthaft, was wollten die Jongleurs?«

Ich war Verdrießlich über meine Tochter —— nicht weil sie sich von Herrn Franklin hatte küssen lassen, dagegen hatte ich nichts, —— aber weil sie mich zwang, ihre dumme Geschichte aus zweiter Hand zu erzählen. Indessen da half nichts, ich mußte die Details berichten. Herrn Franklins. ganze Heiterkeit ging bei meiner Erzählung verloren. Er saß da mit gerunzelter Stirn und drehte krampfhaft an seinem Schnurrbart. Als ich fertig war, sprach er mir zwei von den Fragen nach, die der Anführer der Gauklerbande an den Knaben gerichtet hatte, dem Anscheine nach zu dem Zwecke. sie sich recht fest einzuprägen.

»»Kommt der Fremde heute auf dieser Straße und auf keiner andern nach diesem Hause?« »Hat der englische Herr ihn bei sich?« »Ich fürchte,« sagte Herr Franklin, indem er ein kleines versiegeltes Paket aus seiner Tasche zog, »daß mit »ihm« dies da gemeint ist, und dieses, Betteredge, ist meines Onkels Herncastle berühmter Diamant.««

»Um Gotteswillen,« rief ich aus, »wie kommt der Diamant des schlimmen Obersten in Ihre Hände?«

»Der Diamant ist in dem Testament des Obersten meiner Cousine Rachel als Geburtstagsgeschenk vermacht,« erklärte Herr Franklin, »und mein Vater, als Testamentsvollstrecker des Obersten, hat ihn mir übergeben, um ihn hierher zu bringen.«

Wenn das Meer, das sich eben sachte über den »Zitterstrand« hingoß, sich vor meinen Augen plötzlich in trocknes Land verwandelt hätte, so wäre mein Erstaunen, glaube ich, nicht größer gewesen, als es bei Herrn Franklins Worten war.

»Der Diamant des Obersten Fräulein Rachel vermacht?« rief ich aus. »Und Ihr Vater der Testamentsvollstrecker des Obersten? Ich wäre jede Wette eingegangen, daß Ihr Vater den Obersten nicht mit der Feuerzange anfassen würde.«

»Das ist ein bischen stark, Betteredge! Was hat man denn dem Obersten vorzuwerfen gehabt? Sie müssen das besser wissen als ich. Erzählen Sie mir, was Sie von ihm wissen, und ich will Ihnen erzählen, wie mein Vater sein Testamentsvollstrecker geworden ist und noch mehr, ich habe in London Dinge über meinen Onkel Herncastle und seinen Diamanten erfahren, die mir gar nicht gefallen, und ich möchte von Ihnen hören, was daran ist; Sie nannten ihn eben den »schlimmen Obersten.« Besinnen Sie sich ein bischen, mein alter Freund, und sagen Sie mir warum.«

Ich sah, daß er Ernst machte, und fing an zu erzählen, und das Wesentlichste von dem, was ich erzählte, habe ich zum Besten des Lesers im Folgenden genau niedergeschrieben. Ich bitte Dich, lieber Leser, um Deine volle Aufmerksamkeit, sonst wirst Du Dich nicht zurechtfinden können, wenn wir tiefer in die Geschichte hinein kommen.

Denke nicht an Deine Kinder, noch an Dein Mittagessen, noch an Deinen neuen Hut, oder sonst etwas. Sieh zu, ob Du nicht auch die Politik, Pferde, Marktpreise, Clubb-Angelegenheiten u. s. w. vergessen kannst. Ich denke, Du wirst die Freiheit, die ich mir nehme, nicht übelnehmen, es ist nun so meine Art, an den geneigten Leser zu appelliren.

Du lieber Gott! wie oft habe ich Dich nicht mit den größten Autoren in der Hand gesehen und nie geneigt abzuschweifen, wenn ein Buch statt eines Menschen Deine Aufmerksamkeit verlangte.

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Ich habe schon oben von Mylady’s Vater, dem alten Lord mit der kurzen Geduld und der raschen Zunge gesprochen. Er hatte im Ganzen fünf Kinder: Zuerst zwei Söhne, dann nach einer langen Pause bekam seine Frau wieder Kinder und brachte nach einander, so rasch die Natur es erlaubt, drei kleine Mädchen zur Welt, von denen meine Herrin, wie schon erwähnt, die Jüngste und Beste war. Von den beiden Söhnen erbte der Aelteste, Arthur, den Titel und die Güter, der zweite, der ehrenwerthe John, erbte von einem Verwandten ein schönes Vermögen und trat in die Armee ein.

Das ist ein schlimmer Vogel, der sein eigenes Nest beschmutzt, und ich betrachte die adlige Familie der Herncastle als mein Nest und ich werde es als besondere mir gewährte Gunst betrachten, wenn man mir ein näheres Eingehen auf die Geschichte des ehrenwerthen John erläßt. Ich glaube, offen gestanden, daß er einer der größten Schufte war, die jemals gelebt haben. Ich wüßte nicht mehr noch weniger über ihn zu sagen.«

Er ging also zur Armee, indem er zunächst bei den Garden eintrat. Hier mußte er, gleichviel warum, mit dem zweiundzwanzigsten Jahre wieder austreten. Sie sind sehr eigen in der Armee und sie waren zu eigen für den »ehrenwerthen« John. Er ging nach Indien, um zu sehen, ob sie da eben so eigen wären, und sich dort im Dienst zu versuchen. Was Tapferkeit betrifft, so war er, um gerecht zu sein, ein Gemisch von einer Bulldogge, einem Kampfhahn und einem Wilden. Er war mit bei der Einnahme von Seringapatnam. Bald nachher vertauschte er sein Regiment mit einem andern und dieses wieder nach einiger Zeit mit einem dritten. In diesem erhielt er seinen höchsten Grad als Oberst-Leutnant und zugleich mit demselben einen Sonnenstich und kehrte nach England zurück.

Ihm vorangegangen war ein Ruf, der ihm alle Häuser seiner ganzen Familie verschloß. Mylady, die eben verheirathet war, führte dabei den Reigen, selbstverständlich mit der Genehmigung ihres Gemahls, und erklärte, ihr Bruder solle niemals eines ihrer Häuser betreten. Auf dem Ruf des Obersten ruhte mehr als ein böser Fleck, weshalb die Leute ihn mieden; ich brauche aber hier nur des Fleckens der Diamanten-Geschichte zu erwähnen.

Das Gerücht wollte wissen, er sei in den Besitz, dieses indischen Edelsteins durch Mittel gelangt, zu denen er sich, so frech er war, doch nicht zu bekennen wage. Er machte niemals einen Versuch, den Diamanten zu verkaufen, da er kein Geld brauchte und da er, um auch hierin wieder gegen ihn gerecht zu sein, keinen Werth auf Geld legte. Niemals gab er ihn aus den Händen, ja niemals zeigte er ihn irgend einer lebenden Seele.

Einige meinten, er handle so aus Furcht, die Sache könne ihm Unannehmlichkeiten bei der Militair-Behörde bereiten, Andere, die die wahre Natur des Mannes sehr schlecht kannten, waren der Meinung, er fürchte, wenn er den Stein zeige, könne es ihm das Leben kosten.

Und doch war in dieser letzten Annahme vielleicht ein Körnchen Wahrheit. daß er sich fürchte, war nicht der Fall, aber es war Thatsache, daß sein Leben zwei Mal in Indien bedroht gewesen war, und man glaubte allgemein, daß der Mondstein die Veranlassung dazu gegeben habe. Und als er nach England zurückkam. und von Jedermann gemieden wurde, schrieb man dies wiederum dem Mondstein zu. Das Geheimniß des Obersten stand ihm in seinem Leben überall im Wege und machte ihn so zu sagen zu einem Ausgestoßenen in seinem eigenen Lande. Die Männer verweigerten ihm den Zutritt zu ihren Clubbs, die Mädchen, die er heirathen wollte, gaben ihm sämmtlich Körbe, Freunde und Verwandte wurden zu kurzsichtig, um ihn auf der Straße zu erkennen.

Andere würden in solcher Lage vielleicht versucht haben, sich vor der Welt zu rechtfertigen, aber einen solchen Schritt zu thun, auch wenn er im Unrecht war und die ganze Gesellschaft gegen sich hatte, war nicht die Art des ehrenwerthen John. Er hatte den Diamanten trotz verschiedener in Indien gegen ihn gerichteter Mordversuche behalten; er behielt ihn in offenem Trotz gegen die öffentliche Meinung in England. Das ist das Bild des Mannes, wie ein Portrait es nicht treuer geben könnte, ein Charakter, der Allem Trotz bot, und ein Gesicht, das, obgleich schön, aussah, als ob es vom Teufel besessen wäre.

Von Zeit zu Zeit hörten wir verschiedene Gerüchte über ihn. Bisweilen hieß es, er habe sich dem Genuß des Opiums und der Bibliomanie ergeben, dann wieder, er sei mit sonderbaren chemischen Versuchen beschäftigt. Bisweilen hörte man von Orgien, die er mit der Hefe der Gesellschaft in London feierte. So viel war gewiss, der Oberst führte ein einsames, lasterhaftes, lichtscheues Leben. Ich selbst sah ihn seit seiner Rückkehr nach England nur ein einziges Mal von Angesicht zu Angesicht.

Ungefähr zwei Jahre vor der Zeit, von der ich jetzt schreibe, und ungefähr ein und ein halbes Jahr vor seinem Tode kam der Oberst unerwarteter Weise in Mylady’s Haus in London. Es war am Abend von Fräulein Rachel’s Geburtstag, den 21. Juni, und wir hatten wie gewöhnlich zu Ehren desselben Gesellschaft. Der Diener meldete mir, daß ein Herr mich zu sprechen wünsche. Ich ging hinauf und fand in der Vorhalle den Obersten, alt und schäbig und elend, mit einem so wilden und bösen Ausdruck wie je.

»Gehen Sie hinauf zu meiner Schwester,« sagte er, »und sagen Sie ihr, daß ich gekommen sei, meiner Nichte meine Glückwünsche zu ihrem Geburtstage zu bringen.«

Mehr als einmal hatte er bereits brieflich Versuche gemacht, sich mit Mylady zu versöhnen, natürlich zu keinem andern Zweck, als um sie zu peinigen; aber dies war das erste Mal, wo er selbst in’s Haus kam. Ich war im Begriff zu sagen, daß meine Herrin eben Gesellschaft bei sich habe; aber sein dämonischer Blick hielt mich zurück. Ich ging hinauf, seine Botschaft zu überbringen und ließ ihn, seinem Wunsche gemäß, unten in der Vorhalle warten.

Die Dienerschaft betrachtete ihn von Ferne mit einer ängstlichen Scheu, als ob er eine wandernde Höllenmaschine sei, die mit Pulver und Kugeln geladen, jeden Augenblick explodiren könne.

Mylady hat einen kleinen Ansatz von dem Familien-Temperament.

»Bestellen Sie Oberst Herncastle,« sagte sie, als ich ihr die Botschaft ihres Bruders überbracht hatte, »daß Fräulein Verinder beschäftigt sei und ich ihn nicht zu sehen wünsche.«

Ich versuchte es, eine etwas höflichere Antwort zu erwirken, da ich den Oberst und seine Art kannte, sich über Dinge hinweg zu setzen, vor denen Andere zurückschrecken. Vergebens, das Familien-Temperament brach auf der Stelle hervor.

»Sie wissen, Betteredge, daß ich, wenn ich Ihren Rath haben will, Sie darum frage, und ich habe Sie jetzt nicht darum gefragt.«

Ich ging mit meiner Bestellung hinunter, von der ich mir die Freiheit nahm, eine neue verbesserte Auflage zu machen, die so lautete:

»Herr Oberst, Mylady und Fräulein Rachel bedauern verhindert zu sein und bitten Sie, es zu entschuldigen, daß sie nicht die Ehre haben können, Sie zu sehen.«

Ich war selbst bei dieser milden Form der Antwort darauf gefaßt, ihn losbrechen zu sehen. Zu meinem Erstaunen erfolgte nichts der Art. Er nahm die Sache mit einem Gleichmuthe hin, der mich beunruhigte. Er sah mich einen Augenblick mit seinen glänzenden, grauen Augen fest an und lachte dabei in einer unheimlich boshaften Weise, nicht wie andere Leute aus sich heraus, sondern in sich hinein. »Ich danke Ihnen, Betteredge,« sagte er, »ich werde den Geburtstag meiner Nichte nicht vergessen.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Haus.

An dem folgenden Geburtstage hörten wir, er liege krank zu Bett. Sechs Monate später, d. h. sechs Monate vor der Zeit, von der ich jetzt berichte, empfing Mylady einen Brief von einem hochachtbaren Geistlichen. Derselbe enthielt zwei höchst merkwürdige Familien-Nachrichten. Erstens, daß der Oberst seiner Schwester auf dem Todbette vergeben habe. Zweitens, daß er auch allen anderen Menschen vergeben habe und mit seinem Gott versöhnt gestorben sei. Ich hege einerseits, trotz Bischöfen und Geistlichkeit, eine ungeheuchelte Achtung vor der Kirche; aber ich bin doch fest überzeugt, daß der Teufel in ungestörtem Besitz der Seele des ehrenwerthen John verblieb und daß die letzte abscheuliche Handlung in dem Leben dieses abscheulichen Menschen mit Respect zu melden darin bestand, den Geistlichen zum Besten zu haben!

Das war in der Kürze, was ich Herrn Franklin zu erzählen hatte. Ich bemerkte, daß er mit immer gespannterer Aufmerksamkeit zuhörte, je länger ich sprach, und daß die Geschichte, wie dem Obersten an dem Geburtstage seiner Nichte bei seiner Schwester die Thür gewiesen worden sei, Herrn Franklin zu berühren schien wie ein Schuß, der in’s Schwarze getroffen hat. Obgleich er es nicht zugeben wollte, sah ich doch deutlich genug an seinem Gesichte, daß mein Bericht ihn beunruhigt hatte.

»Betteredge,« sagte er, »Sie haben das Wort gehabt, jetzt kommt die Reihe an mich. Bevor ich Ihnen jedoch erzähle, was ich in London erfahren habe und wie ich in diese Diamanten-Angelegenheit verwickelt worden bin, wünsche ich noch eins zu wissen. Sie sehen aus, mein alter Freund, als ob Sie nicht recht wüßten, um was es sich eigentlich bei dieser unserer Berathung handelt. Sprechen Ihre Blicke die Wahrheit?«

»Ja gewiß,« erwiderte ich.

»In diesem Fall,« antwortete Hr. Franklin, »wäre es wohl gut, wenn ich Ihnen den Gesichtspunkt, von dem aus ich die Sache ansehe, klar mache, ehe wir weiter gehen. Ich finde in dem Geburtstagsgeschenk des Obersten an meine Cousine Stoff zu drei sehr ernsten Fragen. Folgen Sie meinen Worten genau, Betteredge, und zählen Sie mir an den Fingern nach, wenn Ihnen das die Sache erleichtert,« sagte Herr Franklin mit dem Ausdruck des Wohlgefallens über seinen klaren Verstand, was mich lebhaft an seine Knabenjahre erinnerte »Erste Frage! War der Diamant des Obersten der Gegenstand einer Verschwörung in Indien? Zweite Frage: Ist die Verschwörung dem Diamanten des Obersten nach England gefolgt? Dritte Frage: Wußte der Oberst, daß die Verschwörung dem Diamanten gefolgt sei und hat er somit durch das Geschenk an das unschuldige Kind seiner Schwester diesem absichtlich ein Vermächtniß der Sorge und der Gefahr hinterlassen? —— Das ist es, worauf ich hinaus will, Betteredge, erschrecken Sie nicht.«

Das war leicht gesagt, aber er hatte mich sehr erschreckt.

Wenn er Recht hatte, so war in unser ruhiges englisches Haus plötzlich ein Verderben bringender indischer Diamant eingedrungen, der eine Verschwörung lebendiger Spitzbuben, welche die Rache eines todten Mannes auf uns losgelassen hatte, nach sich zog. Das war unsere Situation, wie Herrn Franklin’s letzte Worte sie mir offenbart hatten! Wer hat je im neunzehnten Jahrhundert, in einer Zeit des Fortschritts und in einem Lande, das sich der Segnungen der britischen Verfassung erfreut, von so etwas gehört. Gewiß kein Mensch und daher wird auch Keiner es glauben. Nichtsdestoweniger aber werde ich ruhig in meiner Geschichte fortfahren.

Unter zehn Fällen eines plötzlichen Schreckens, wie ich ihn eben gehabt hatte, fühlen wir die Wirkung neun Mal zuerst im Magen, und wenn der Magen anfängt, seine Rechte geltend zu machen, so schwindet die Aufmerksamkeit und man wird nervös. Eine solche Nervosität ergriff mich auf meinem Platz im Sande. Herr Franklin, der mich mit den Wirkungen eines angegriffenen Magens oder Gemüths, wie man will —— das kommt auf Eins heraus —— kämpfen sah, hielt, eben im Begriff, seine Geschichte zu beginnen, inne und sagte: »Was fehlt Ihnen?«

Was mir fehlte? Ihm gestand ich es nicht, aber dem Leser will ich es im Vertrauen sagen: Mir fehlten ein paar Züge aus meiner Pfeife und ein Blick in meinen Robinson Crusoe.«


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