Mann und Weib



VI.

Fünf Jahre waren vergangen und die Lebensschicksale der drei Männer, welche in der Villa in Hampstead zusammen beim Dessert gesessen hatten, fingen an, in ihrem wechselvollen Verlauf den Fortschritt der Zeit zu bekunden. Die drei Männer waren, wie sich der Leser erinnert, die Mrs. Kendrew, Delamayn und Vanborough.

Wie der Freund Vanborough’s, Mr. Kendrew, seine Empfindungen bei dem Verrath des Gatten geäußert hatte, ist bereits erzählt worden. Wir haben noch zu berichten, welchen Eindruck die Nachricht von dem Tode der verlassenen Frau auf ihn machte. Das Gerücht, welches den Menschen in’s innerste Herz zu schauen versteht und sich darin gefällt, dieses Innerste dem Auge der Menge blos zu legen, hatte immer behauptet, daß über dem Leben Krendrew’s ein Geheimniß walte, und daß dieses Geheimniß in einer hoffnungslosen Leidenschaft für die schöne Frau bestehe, die sein Freund geheirathet hatte. Keine gegen ein lebendes Wesen geschehene, noch so entfernte Anspielung, kein jemals zu der Frau selbst gesprochenes Wort konnte, so lange diese lebte, zum Beweise jener Behauptung angeführt werden. Als sie starb, tauchte das Gerücht mit größerer Bestimmtheit als je zuvor wieder aus und berief sich auf das Benehmen des Mannes als Beweis für seine Behauptung.

Er wohnte dem Leichenbegängniß bei, obgleich er kein Verwandter war. In einem Augenblick, wo er unbeobachtet glaubte, pflückte er einige Grashalme von dem Rasen, mit dem ihr Grab zugedeckt wurde. Man sah ihn nicht mehr in seinem Club, er ging auf Reisen. Als er zurückkehrte, erklärte er, daß er Englands überdrüssig sei und bewarb sich mit Erfolg um eine Anstellung in einer der Colonien. Was mußte man aus alle Dem, schließen? War es nicht klar, daß sein bisheriges Leben allen Reiz für ihn verloren hatte, seit der Gegenstand seiner Neigung verschwunden war? Vielleicht war dem so, es sind schon weniger wahrscheinliche Vermuthungen aufgestellt worden, die doch das Wahre getroffen haben. Wie dem aber auch sein mag, gewiß ist, daß er England verließ, um nie wieder dahin zurückzukehren.

Mr. Delamayn ließ sich von der Liste der Rechtsanwalte streichen, um sich durch ernste juristische Studien auf die Carriere eines plaidirenden Advocaten vorzubereiten. Drei Jahre lang erfuhr man nichts von ihm, als daß er eifrig studire. Als seine Studien zu Ende waren, fand er alsbald Gelegenheit dieselben zu verwerthen. Seine früheren Associé wußten, daß er ihr Vertrauen verdiene und übergaben ihm die Verhandlung ihrer Sachen vor Gericht. Im Verlaufe von zwei Jahren hatte er sich eine angesehene Stellung als Sachwalter gegründet. Am Schluß dieser zwei Jahre wußte er sich außerhalb der engeren juristischen Kreise eine Stellung zu gewinnen. Er erschien als einer der beiden Anwälte in einem berühmten Fall, in welchem die Ehre einer großen Familie und der Anspruch auf einen großen Grundbesitz auf dem Spiele standen. Am Vorabend der Hauptverhandlung erkrankte sein älterer College. Er hatte daher die Sache des Beklagten allein zu vertreten und gewann dieselbe. Auf die Frage seines dankbaren Clienten, was er für ihn thun könne, antwortete Delamayn, »Verhelfen Sie mir zu einem Parlamentssitz.« Sein Client ein Landedelmann, brauchte nur die nöthigen Befehle an seine Pächter zu erlassen, und siehe da, Delamayn wurde in’s Parlament gewählt!

Im Hause der Gemeinen traf das neue Mitglied mit Vanborough zusammen.

Sie saßen auf derselben Bank und gehörten zu derselben Partei. Delamayn fiel es alsbald auf, daß Vanborough grau geworden sei und alt und abgenutzt aussehe Er zog bei wohlunterrichteten Personen Erkundigungen über ihn ein. Die Befragten schüttelten den Kopf. Vanborough war reich, hatte durch seine Frau die einflußreichsten Verbindungen und war ein wohlbehaltener Mann in jedem Sinne des Worts, aber —— Niemand mochte ihn. Im ersten Jahre seines öffentlichen Auftretens war es ihm sehr gut gegangen, aber seitdem war ein Stillstand eingetreten. Er war unleugbar ein gescheidter Mann, aber der Eindruck seiner Persönlichkeit im Hause war ein unangenehmer. Er gab glänzende Gesellschaften, war aber doch in der Gesellschaft nicht beliebt. Seine Partei respectirte ihn, aber, wenn sie irgend eine Gunst zu gewähren hatte, überging sie ihn. Was ihm im Wege stand, konnte in Wahrheit nur sein eigenthümliches Temperament sein; man konnte nichts gegen ihn sagen, Alles sprach zu seinen Gunsten; und doch konnte er sich keine Freunde erwerben, er war mit einem Wort ein verbitterter Mensch, in seinem ganzen Wesen in und außer dem Hause verbittert.


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