Gesetz und Frau



Vierzehntes Kapitel.

E n d l i c h.

Der Brief von Mr. Playmore mit dem eingeschlossenen Telegramm war nicht dazu angethan unsere anfänglichen sanguinischen Hoffnungen zu erfüllen.

»Das Telegramm scheint sagen zu wollen,« schrieb er, »daß die Fragmente des zerrissenen Briefes in die Mullschippe des reinigenden Mädchens und von dort auf den Schutthaufen in Gleninch gewandert seien.

»Seitdem dies geschehen vergrößerte sich jener Haufen durch Hinzufügung neuen Staubes, neuer Asche, so daß er nach Ablauf von drei Jahren die jetzigen Dimensionen annahm, welche die kostbaren Papierstückchen wie ein hoher Berg bedeckten. Selbst wenn wir das Glück haben diese Fragmente aufzufinden welche Hoffnung bleibt uns, dieselben noch zusammensetzen und lesen zu können? Es wäre mir angenehm, mit wendender Post zu hören was die Nachricht für einen Eindruck auf Sie gemacht. Wenn es Ihnen möglich wäre, nach Edinburgh zu kommen würden wir viel der kostbaren Zeit sparen. Bitte, überlegen Sie Sich das.«

Ich überlegte es mir sehr ernstlich und schrieb dann an Mr. Playmore, daß ich nicht Herrin meiner Handlungen und daß es daher besser sei, seinen nächsten Brief an Benjamin zu adressiren.

Diesem Schreiben fügte ich noch ein Wort über den zerrissenen Brief hinzu.

In den letzten Jahren von meines Vaters Leben reiste ich mit ihm in Italien. Unter Anderen sah ich im Museum in Neapel die wundervollen Reliquien einer vergangenen Zeit, welche man unter den Ruinen von Pompeji entdeckte. Um Mr. Playmore zu ermuthigen rief ich ihm jenen Ausbruch des feuerspeienden Berges in die Erinnerung zurück, welcher Pompeji für mehr denn sechszehnhundert Jahre mit Lava und Asche bedeckte. Dennoch seien nach Abräumung dieser Decke zahllose Gegenstände, sogar Schriftstücke, vollkommen unversehrt aufgefunden worden. Wenn diese Entdeckungen aber, nach einem Zeitraum von sechszehnhundert Jahren unter einem häuserhohen Lager von Lava und Asche gemacht werden konnten, um wie viel mehr Hoffnung blieb uns, nach einem Zeitraum von 3 bis 4 Jahren unter einer leichteren Decke von Staub und Schutt unsere Brief-Fragmente aufzufinden. Angenommen dies gelänge uns, so war es noch immer sehr fraglich, ob die Schrift auf denselben auch nicht verblaßt und unleserlich geworden wäre. Allerdings lag auch eine Beruhigung darin daß die Anhäufung des Schuttes den zerrissenen Brief vor der Einwirkung des Regens bewahrt hätte. Mit diesen bescheidenen Andeutungen schloß ich meinen Brief.

Es verging einige Zeit, ohne daß ich von dem Reisenden hörte. Ich begann mich zu ängstigen und traf über Nacht die Vorbereitungen zu meiner Abreise nach London.

Die Post des nächsten Morgens bestärkte mich in meinem Entschluß; denn sie brachte mir einen Brief von meiner Schwiegermutter mit schlechten Nachrichten Eustace und seine Mutter waren auf ihrer Rückreise bis Paris gekommen als sie von einem neuen Unstern getroffen wurden. Die Anstrengungen der Reise, und die Aufregung, mich bald wieder zu sehen waren für meinen durch lange Krankheit geschwächten Gatten zu viel gewesen. In Paris hatte er einen Rückfall bekommen der ihn an das Bett fesselte. Die Aerzte sprachen diesmal keine Besorgniß für sein Leben aus, ordneten aber für den Patienten eine längere absolute Ruhe an. »Es liegt nun in Ihrer Hand, Valeria,« schrieb Mrs. Macallan, »unter diesen erschwerenden Umständen Eustace zu stärken und zu beruhigen. Seine Ansichten haben sich nicht verändert, seitdem wir Spanien verlassen. Ich war es, der von ihr ging, äußerte er sich oft zu mir, deshalb ist es auch meine Pflicht, zu ihr zurückzugehen. Er würde seinen Entschluß ausgeführt haben, wenn er nicht durch neue Krankheit daran verhindert worden wäre. Nehmen Sie also den Willen für die That und kommen Sie nach Paris. Ich glaube nicht, daß ich eine abschlägliche Antwort von Ihnen zu gewärtigen habe. Nun noch ein Wort der Vorsicht. Vermeiden Sie auf das Sorgfältigste jene Anspielung auf den Prozeß und Ihre Bemühungen seine Unschuld aufzudecken. Er fühlt ein solches Entsetzen bei der Erinnerung an jene Vorgänge, daß er mehr als einmal die Absicht geäußert hat, Gleninch verkaufen zu wollen.«

Eustace’s Mutter hatte aber kein völliges Vertrauen auf ihre Ueberredungsgabe gehabt, denn sie hatte ihrem Briefe noch einen Zettel beigefügt, auf welchem einige schwache Zeilen von meines Gatten schwacher Hand standen:

»Ich bin zu hinfällig, um weiter reisen
»zu können Valeria. Willst Du zu mir kom-
»men und mir vergeben?« .

Dann folgte etwas Unlesbares. Das Schreiben dieser wenigen Worte hatte ihn schon völlig erschöpft.

Ich faßte sofort den Entschluß, alle ferneren Versuche zur Wiedererlangung des zerrissenen Briefes aufzugeben.

Wenn Eustace mich später nach diesen Angelegenheiten befragen sollte, nahm ich mir vor, ihm offen und ehrlich zu antworten: »Ich habe das Opfer gebracht, welches Deine Ruhe sicher stellt. Als es am Schwersten war, von meinem Vorhaben abzustehen, habe ich meine Halsstarrigkeit gedemüthigt und, um meines Gatten willen meine Forschungen eingestellt.«

Noch kurz vor meiner Abreise schrieb ich an Mr. Playmore und theilte ihm mit, daß ich es vollständig aufgegeben habe, das Geheimniß aufzudecken welches unter dem Schutthaufen von Gleninch begraben liege.


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