Namenlos



IX.
Magdalene an Nora.

Den 7. Juli.

Alles was Deine Liebe für mich wünschen kann, hat Dein Brief vollbracht. Du, nur Du allein hast den Weg zu meinem Herzen gefunden. Ich konnte wieder denken, wieder fühlen, nachdem ich gelesen hatte, was Du an mich schriebst.

Laß mich durch diese Versicherung Deine Besorgnisse beschwichtigen. Mein Geist lebt und athmet wieder auf, er war todt, bis ich Deinen Brief bekam.

Der Schlag, den ich erlitten habe, hat eine seltsame Ruhe in mir hinterlassen. Ich habe ein Gefühl, als ob ich mich losgetrennt hätte von meinem früheren Ich, als ob die Hoffnungen, welche mir einst so theuer waren, allesamt weit in der Zeit hinter mir lägen. Ich kann auf das Wrack meines Lebens ruhiger hinblicken, Nora, als Du selbst es vermöchtest, wenn wir wieder beisammen wären. Ich kann mir bereits wieder soviel zutrauen, an Frank zu schreiben.

Mein Liebling, ich glaube, keine Frau weiß selbst, wie unendlich sie sich dem Manne ihrer Liebe hingegeben, bis zu dem Augenblicke, wo der Mann übel an ihr gehandelt hat. Kannst Du mir meine Schwachheit verzeihen, wen ich Dir bekenne, daß ich ein tiefes Weh im Herzen empfand, als ich in Deinem Briefe die Stelle las, wo Du Frank einen Schurken und Elenden nennst? Niemand kann mich darob so verachten, wie ich mich selbst verachte. Ich komme mir vor wie ein Hund, der zurück kriecht und die Hand seines Herrn leckt, die ihn eben geschlagen hat. Aber es ist einmal so, ich möchte es keinem Menschen außer Dir bekennen, es ist wirklich und wahrhaftig so! Er hat mich getäuscht und verlassen, er hat mir ein leidiges Lebewohl geschrieben —— aber nenne ihn nur nicht einen Schurken! Wenn er bereut und zu mir zurückkehrte, so würde ich lieber sterben, als ihn jetzt noch heirathen; aber es gibt mir einen Stich ins Herz, wenn ich das Wort Schurke über ihn von Deiner Hand geschrieben sehe! Wenn er in seinen Bestrebungen schwach ist, wer stellte seine Schwäche über seine Kraft hinaus auf die Probe? Glaubst Du, daß Dies vorgekommen wäre, wenn Michael Vanstone uns nicht unser Vermögen geraubt und Frank von mir weg nach China vertrieben hätte? Binnen hier und acht Tagen wäre das Wartejahr zu Ende gewesen, und ich wäre Franks Weib geworden, wenn meine Mitgift mir nicht genommen worden wäre.

Du wirst sagen, nach Allem was vorgefallen ist, ist es gut, daß Ich Dem entgangen bin. Meine Liebe, es ist etwas Verkehrtes in meinem Herzen, welches antworten Nein! Besser, Franks unglückliches Weib sein, als das freie Mädchen, das ich jetzt bin.

Ich habe ihm nicht geschrieben. Er schickt mir keine Adresse, unter der ich an ihn schreiben könnte, auch wenn ich wollte. Aber ich mag es gar nicht. Ich will warten, ehe ich ihm mein Lebewohl zurufe. Wenn jemals eine Zeit kommt, wo ich das Vermögen habe, das ich, wie mein Vater ihm einstens versprach, ihm zubringen sollte, weißt Du, was ich damit machen würde? Ich würde Alles Frank geben, als meine Rache für diesen Brief, als das letzte Lebewohl von meiner Seite für den Mann, der mich verlassen hat! Laß mich diesen Tag erleben! Laß mich in der Hoffnung besserer Zeiten für Dich leben, Nora, das ist ja alle Hoffnung, die mir noch übrig bleibt. Wenn ich an ein hartes Leben denke, so kann ich noch ein Mal die Thränen in meinen müden Augen spüren. Ich kann fast denken, zu meinem früheren bessern Selbst zurückgekehrt zu sein.

Du wirst mich nicht für hartherzig und undankbar halten, wenn ich sage, daß wir noch ein wenig warten müssen, ehe wir uns wiedersehen können, nicht wahr? Ich möchte erst besser im Stande sein, Dich zu sehen, als ich es jetzt bin. Ich möchte erst Frank weiter von mir entfernen und Dich dafür mir näher bringen. Sind das triftige Gründe? Ich weiß es nicht —— frage mich nicht nach Gründen. Nimm den Kuß, den ich für Dich hierher gedrückt habe, wo der kleine Kreis auf dem Papiere geschrieben ist, und laß uns dadurch für den Augenblick vereint sein, bis ich Dir wieder schreibe. Leb wohl, meine Liebe. Mein Herz ist Dir treu, Nora, aber ich wage Dich noch nicht zu sehen. Magdalene.


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