Gesetz und Frau



Achtzehntes Kapitel.

Das Bekenntnis der Frau.

»Gleninch, 19. October 18 . .

Mein Gatte!

Ich habe Dir über einen Deiner Freunde etwas sehr Schmerzliches mitzutheilen.

Du hast mich niemals ermuthigt, Dir vertrauensvoll zu begegnen. Wenn Du mir die Rechte eingeräumt hättest, welche andere Frauen genießen, würde ich zu Dir gesprochen haben, während ich nun gezwungen bin, zu schreiben. So sei es denn.

Der Mann, vor dem ich Dich zu warnen habe, ist ein Gast Deines Hauses, Miserrimus Dexter. Es giebt kein falscheres und elenderes Geschöpf auf der Erde. Wirf meinen Brief nicht fort. Ich wurde ihn nicht geschrieben haben, wenn ich nicht die völlige Ueberzeugung gewonnen, daß Alles, was ich schreibe, wahr ist.

Du wirst Dich erinnern, daß ich meine Mißbilligung darüber äußerte, als Du mir mittheiltest, der Mann würde uns besuchen. Hättest Du mir Zeit gelassen, würde ich Dir Gründe für jene Mißbilligung angeführt haben. Du wolltest ja aber nicht warten, sondern beschludigtest mich der ungerechtfertigten Abneigung gegen die Verkrüppelung Deines Freundes. Ich habe nie ein anderes Gefühl gegen Unglückliche gehabt, als das des Mitleids. Was aber Mr. Dexter betrifft, so weigerte ich mich, ihn als Gast zu empfangen, weil er früher um meine Hand angehalten und weil ich mich deshalb des Gedankens nicht entschlagen konnte, er werde mich auch ferner noch mit seiner entsetzlichen schuldbewußten Liebe verfolgen.

War es nicht die Pflicht eines treuen Weibes, zu handeln, wie ich es gethan? War es nicht Deine Pflicht als ehrenwerther Gatte, mich zur Nennung meiner Gründe aufzufordern?

Mr. Dexter wurde also für viele Wochen unser Gast, und er wagte es, mir abermals von seiner Liebe zu sprechen. Er beleidigte uns Beide, indem er erklärte, daß er mich anbetete und daß Du mich haßtest. Er versprach mir an seiner Seite endlose Glückseligkeit in einem fernen Lande, und prophezeite mir an Deiner Seite unendliches Elend in einer trüben Häuslichkeit.

Weshalb sprach ich nicht zu Dir, damit Du dies Ungeheuer gehen hießest?

War ich aber gewiß, daß Du mir Glauben schenken, und Deinem Freunde mißtrauen würdest? Ich hörte Dich einst sagen, daß die häßlichen Frauen immer die eitelsten wären. Vielleicht hättest Du mich auch der Eitelkeit beschuldigt.

Ich will mich aber nicht unter diese Anklage flüchten. Ich bin ein armes eifersüchtiges Geschöpf, immer in Zweifel, ob Du mich liebst; immer in Zweifel, ob Du eine Andere mir vorziehst. Aus dieser meiner Schwäche hat Dexter Vortheil gezogen. Er versprach, mir zu beweisen, daß ich Dir eine Last sei, daß Du vor meiner Berührung zurückschrecktest, und daß Du den Tag verfluchtest, an dem Du mich zu Deinem Weibe gemacht. So lange ich es vermocht, widerstrebte ich der Versuchung, seine Beweise kennen zu lernen. Es war eine entsetzliche Versuchung, deshalb hatte ich nicht die Kraft, ferner gegen sie anzukämpfen. Ich verbarg den Widerwillen, den der Elende mir einflößte; ich gab ihm die Erlaubniß zu reden, ich gestattete dem Feinde meines Gatten, mich in sein Vertrauen zu ziehen? Und weshalb that ich das? Weil ich Dich liebte; einzig und allein, weil ich Dich liebte. Vergieb mir, Eustace! Das war meine erste Sünde gegen Dich, und es soll auch meine letzte sein.

Ich will mich nicht schonen, sondern Dir ein volles, wahres Bekenntniß ablegen. Du wirst es mich vielleicht entgelten lassen, was ich gethan; aber Du wirst wenigstens gewarnt sein und Deinen Freund in seiner wirklichen Gestalt erblicken.

Ich sagte zu ihm, »wie können Sie beweisen, daß mein Gatte mich im Geheimen haßt?«

»Durch seine eigene Handschrift,« antwortete er. »Sie sollen sein Tagebuch lesen!«

Ich sagte: »das Tagebuch und die Schieblade, in der es liegt, sind verschlossen.«

Er antwortete: »ich kann ohne jegliches Risiko in den Besitz des Tagebuches gelangen. Ich muß Sie nur bitten, mir Gelegenheit zu einem ungestörten Beisammensein zu geben. Ich werde dann das offene Tagebuch mitbringen.«

Ich sagte: »wir kann ich Ihnen diese Gelegenheit geben?«

Er deutete auf den Schlüssel in der Verbindungsthür zwischen meinem Zimmer und der kleinen Bibliothek. Er sagte, bei meiner Verkrüppelung werde ich die erste Gelegenheit, Sie hier unbelauscht sprechen zu können, vielleicht nicht zu benutzen vermögen. Ich muß meine Zeit abwarten. Lassen Sie mich diesen Schlüssel nehmen und die Thür verschlossen bleiben. Wenn der Schlüssel vermißt wird, und Sie, mit der Angabe, daß die Thür verschlossen sei, kein Gewicht darauf legen, wird die Geschichte in Vergessenheit gerathen, und ich werde, ohne Verdacht zu erregen, Sie stets ungestört sprechen können. Wollen Sie das thun?«

Ich that es.

Ja! Ich wurde die Mitschuldige dieses doppelzüngigen Elenden. Ich habe mich selbst entwürdigt und Dich beleidigt, indem ich darin willigte, Dein Tagebuch zu lesen. Ich bin ganz durchdrungen von der Schlechtigkeit meiner Handlung. Ich kamt Dir nur wiederholen, daß ich Dich liebe und in der Befürchtung lebe, nicht wieder geliebt zu werden.

Und Miserrimus Dexter erbietet sich, meine Zweifel zu enden, indem er mir Deine geheimsten Gedanken zeigt, durch Deine eigene Handschrift bestätigt.

Zu diesem Behuf soll er, während Deiner Abwesenheit, im Verlauf der nächsten beiden Stunden mit mir zusammenkommen. Ich soll mich damit zufrieden erklären, nur einmal in das Tagebuch zu blicken, und ihm die Erlaubniß geben, am andern Tage zu derselben Zeit mit seinem Beweisstück wiederkommen zu dürfen. Bevor dies geschieht, wirst Du diese Zeilen durch meine Wärterin empfangen. Nachdem Du sie gelesen, gehe aus wie gewöhnlich, kehre unbemerkt zurück und öffne die Schieblade, in welcher Du Dein Tagebuch verborgen hältst. Du wirst es nicht finden. Stelle Dich in der Bibliothek auf die Lauer, und Du wirst, wenn Dexter mich verläßt, Dein Tagebuch in seinen Händen sehen.«

October 20.

»Ich habe Dein Tagebuch gelesen.

Endlich weiß ich, wie Du über mich denkst. Ich habe gelesen, was Miserrimus Dexter mir angekündigt hatte: daß ich Dir eine Bürde sei für das ganze Leben.

Du wirst das, was ich Dir gestern geschrieben, nicht zu der Zeit und durch die Gelegenheit erhalten, wie ich es beabsichtigt. Ich muß heute noch einige Worte hinzufügen Nachdem ich dann das Couvert gesiegelt und an Dich, adressirt, werde ich es unter mein Kopfkissen legen. Es wird dort gefunden werden, wenn man mich in den Sarg legt. Dann, wenn es zu spät, zu hoffen oder zu helfen, wirst Du meine letzten Worte erhalten.

Ich habe genug von meinem Leben. Ich muß sterben.

Außer der Liebe zu meinem Dasein hatte ich Dir bereits Alles geopfert. Nun ich weiß, daß ich Deine Gegenneigung nie erwerben kamt, wird mir das letzte Opfer leicht gemacht. Mein Tod wird Dir die Freiheit geben, Mrs. Beanly zu heirathen. Du glaubst nicht, welche Selbstbeherrschung es mich kostet, meinen Haß gegen sie zu unterdrücken und nicht die Bitte an sie zu richten, daß sie ihren Besuch während meiner Krankheit einstellen möge. Ich konnte es aber nicht übers Herz bringen, dies zu thun, wiederum weil ich Dich liebte, wiederum weil ich fürchtete, Dir meine Eifersucht zu zeigen. Und wie wußtest Du mir Dank? Laß Dein Tagebuch antworten: »Ich gab ihr heute Morgen einen zärtlichen Kuß, und ich hoffe, das arme Wesen wird die Ueberwindung nicht bemerkt haben, die es mich kostete.« Ich habe das Geheimniß also jetzt entdeckt. Ich weiß, daß Du Dein Zusammenleben mit mir als die Hölle bezeichnest. Ich weiß, daß Du Dir aus Mitleid Mühe gabst, nicht vor mir zurückzuweichen, wenn ich Dich liebkosen wollte. Ich bin nur ein Hinderniß zwischen Dir und der Frau, die Du anbetest und vergötterst. Ich will Dir nicht länger im Wege stehen. Es ist weder ein Opfer von mir, noch ein Verdienst für mich. Das Leben ist mir unerträglich geworden.

Ich habe die Mittel zum Sterben dicht bei der Hand.

Das Arsenik, welches ich Dich bat, mir zu kaufen befindet sich in meinem Toilettekästchen. Ich täuschte Dich, indem ich es für andere Zwecke verlangte. Mein ursprünglicher Grund war, den Versuch zu machen, ob es mir durch Anwendung des Arseniks nicht gelingen würde, meinen Teint zu bessern, nicht etwa aus Eitelkeit, sondern um Dir angenehm zu erscheinen. Ich nahm etwas zu diesem Behuf, aber ich ließ genug übrig, um mich tödten zu können. So hat denn das Gift doch seinen Zweck erfüllt. Es sollte mich von einem schlechten Teint befreien so befreit es Dich von einer häßlichen Frau. Laß meine Leiche nicht nach meinem Tode öffnen, sondern zeige diesen Brief dem Arzt, der mich behandelt. Meine Handschrift wird bestätigen daß ich Selbstmörderin war; sie wird verhüten daß Unschuldige in Verdacht kommen. Ich will Niemand getadelt oder bestraft wissen. Ich vernichte die Firma des Chemikers und reinige sorgsam die Flasche vom Gift.

Nun mein Lebewohl und noch einige Worte über mein letztes Gespräch mit Dir.

October 21. 2 Uhr Morgens.

Ich wies Dich gestern aus dem Zimmer, als Du eintratest, mich zu fragen, wie ich die, Nacht verbracht. Dann sprach ich, als Du mich verlassen, schmachvolle Worte über Dich zu der bezahlten Wärterin. Vergieb mir das. Ich bin fast außer mir. Du weißt weshalb.

¼4 Uhr Morgens.

O, mein Gatte! Ich habe die That gethan, welche Dich von dem verhaßten Weibe befreien wird. Ich habe das ganze Gift genommen das noch in dem Papier vorräthig war. Wenn es nicht genug sein sollte, habe ich noch mehr in der Flasche.

10 Minuten nach fünf.

Du bist gerade hinausgegangen nachdem Du mir die Medizin gereicht. Bei Deinem Anblick sank mir der Muth. Ich dachte bei mir selbst, wenn er mich freundlich ansieht werde ich ihm gestehen, was ich gethan und ihn bitten, mein Leben zu retten. Du blicktest mich aber gar nicht an. Ich ließ Dich gehen, ohne ein Wort zu sprechen.

½6 Morgens.

Ich fühle die ersten Wirkungen des Giftes. Die Wärterin schläft am Fuß des Bettes. Ich will sie nicht wecken Ich will sterben.

½10 Morgens.

Die Schmerzen wurden zu heftig — Ich mußte die Wärterin wecken. Der Arzt ist gekommen.

Man beargwohnt Niemand. Merkwürdig, der Schmerz hat mich wieder verlassen. Ich habe jedenfalls zu wenig von dem Gift genommen. Ich muß die Flasche öffnen. Mein Wunsch zu sterben ist unverändert. Ich habe der Wärterin verboten, Dich zu rufen. Sie ist auf meinen Wunsch hinuntergegangen. Ich kann unbeachtet das Arsenik aus meinem Toilettenkästchen nehmen.

10 Minuten vor 10 Morgens.

Ich hatte gerade Zeit, die Flasche zu verbergen, als Du abermals in mein Zimmer tratest.

Ein anderer Moment der Schwäche überschlich mich, als ich Dich erblickte. Ich entschloß mich, mir noch eine letzte Chance zu gestatten, um leben zu bleiben; das heißt, ich wollte Dir noch eine Gelegenheit bieten, freundlich gegen mich zu sein. Ich bat Dich, mir eine Tasse Thee zu reichen. Wenn Du bei dieser Verrichtung mich nur durch ein gütiges Wort, durch einen freundlichen Blick ermuthigt hättest, würde ich die zweite Dosis des Giftes nicht genommen haben.

Du erfülltest meinen Wunsch, aber Du warst nicht gütig. Du reichtest mir den Thee, Eustace, als wenn man einem Hunde zu trinken giebt. Und dann wundertest Du Dich, daß ich die Tasse fallen ließ, als ich sie Dir zurückgeben wollte. Ich konnte nicht anders. Meine Hand zitterte. Wenn Du an meiner Stelle gewesen wärest, würde Deine Hand ebenfalls gezittert haben, mit dem Arsenik unter den Betttüchern. Ehe Du von mir gingst, wünschtest Du höflich, daß der Thee mir gut bekommen möge, und Du blicktest mich nicht einmal an dabei. Du sahest auf die zerbrochene Tasse.

Als Du mich verlassen hattest, nahm ich wiederum Gift, diesmal die doppelte Dosis.

Ich habe hier noch eine kleine nachträgliche Bemerkung zu machen.

Als ich die Firma von der Flasche entfernte, und sie in meinem Toilettenkästchen zurücklegte, fiel es mir ein, daß ich dieselbe Vorsicht nicht auf das leere Packet, mit der Firma des anderen Chemikers, ausgedehnt hatte. Ich warf es zwischen andere Papiere. Die Wärterin beklagte sich über all’ die Schnitzel, raffte sie zusammen und brachte sie fort. Ich hoffe, daß der Chemiker durch meine Sorglosigkeit keine Unannehmlichkeiten gehabt haben möge.

Dexter hat Dein Tagebuch wieder in die Schublade gelegt und drängt mich um seine Antwort auf die Vorschläge. Hat denn dieser Elende gar kein Gewissen? Wenn dem so ist, wird er es schlagen fühlen; wenn mein Tod ihm die Antwort giebt.

Die Wärterin ist wieder in meinem Zimmer gewesen. Ich habe sie fortgeschickt, weil ich allein sein wollte.

Was ist denn eigentlich die Uhr? Kommen die Schmerzen schon wieder über mich?

Mögen sie mir nur noch so viel Zeit lassen, meinen Brief zu beenden und zu adressiren. Dann werde ich ihn unter dass Kopfkissen legen, damit man ihn nach meinem Tode findet.

So lebe denn wohl. Ich wünsche, ich wäre hübscher gewesen. Liebender hätte ich nicht sein können. Noch jetzt möchte ich Dein Antlitz sehen; noch jetzt, wenn Du bei mir wärest, möchte ich Dir das Geständniß dessen machen, was ich gethan, damit Du mich retten könntest, ehe es zu spät ist. Aber Du bist nicht hier. Es ist auch wohl besser so.

Noch einmal Lebewohl! Sei glücklicher, als Du es mit mir gewesen bist. » Ich liebe Dich, Eustace, und vergebe Dir.

Wenn Du einmal nichts Anderes zu denken hast, dann erinnere Dich zuweilen und freundlich, wenn es Dir möglich, Deiner armen, häßlichen

Sarah Macallan.«


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