Die Neue Magdalena - Nachschrift

Sechster Auszug

„Der Morgen nach dem Ball.

Es ist geschehen und nun vorbei. Die Gesellschaft hat Lady Janet geschlagen. Mir fehlt Geduld und Zeit, um ausführlich darüber zu schreiben. Wir reisen mit dem Nachmittagsschnellzug nach Plymouth ab.

Wir kamen etwas spät auf den Ball. Die prächtigen Räume füllten sich rasch mit Gästen. Ich schritt an der Seite meiner Frau durch die Zimmer, als sie meine Aufmerksamkeit einem Umstande zuwandte, den ich bisher nicht bemerkt hatte. „Julian”, sagte sie, „sie dir einmal die Damen an, ob dir dabei nichts Befremdendes auffällt.” Als ich um mich blickte, begann die Musik eben einen Walzer zu spielen. Ich beobachtete, dass nur wenige Personen an uns vorbei nach dem Tanzsaal gingen. Bald sah ich, dass unter den wenigen Tänzerinnen noch weniger jung waren. Endlich wurde es mir klar. Mit einigen Ausnahmen, und diese waren so selten, dass sie eben die Regel konstituierten, fehlten die jungen Mädchen auf diesem Balle. Ich führte Mercy sofort zurück nach dem Empfangszimmer. Das Gesicht Lady Janets verriet, dass auch sie das Sonderbare dieser Erscheinung bemerkt hatte. Die Gäste kamen noch immer an. Herren mit ihren Frauen, mit ihren Müttern, ja Großmüttern wurden empfangen, aber anstatt ihrer unverheirateten Töchter brachten sie mit der kühnsten erstaunlichsten Höflichkeit weitläufige Entschuldigungen vor. Ja! Auf diese Art waren die ehrsamen Damen der vornehmen Kreise der Gefahr aus dem Wege gegangen, die in Lady Janets Hause durch eine Begegnung mit Mister und Mistress Julian Gray für ihre Töchter entstehen konnte.

Doch ich will keinem unrecht tun. Die Damen, welche anwesend waren, ließen es nicht an der schuldigen Achtung gegen ihre Wirtin fehlen. Sie taten, was ihnen zukam - nein, sie taten vielleicht sogar zu viel.

Ich hatte wirklich keinen rechten Begriff von der Rohheit und Härte, welche in neuerer Zeit in der Gesellschaft herrschend geworden sind, bis ich den Empfang sah, der meiner Frau bereitet wurde. Die Tage der Sprödigkeit und Vorurteile sind vorbei. Überschwängliche Liebenswürdigkeit und überschwängliche Freisinnigkeit sind die zwei Pole, um welche die heutige Generation sich bewegt. Zu sehen, wie die Frauen in freisinniger Weise das Unglück meiner Frau vergessen, wie die Männer voll liebenswürdiger Beflissenheit ihren Frauen dazu noch höheren Mut einflößen wollen - zu hören, wie dieselben Redensarten in jedem Zimmer wiederholt werden: ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mistress Gray; ich bin der verehrten Lady Janet sehr verpflichtet, dass sie mir diese Gelegenheit verschaffte - Julian, alter Knabe, welche Schönheit haben Sie da erobert! Ich beneide Sie darum; auf Ehre, ich beneide Sie! - Diese Worte des Willkomms, noch gesteigert durch zudringliches Händeschütteln, ja manchmal sogar durch Küssen meiner Frau, und dann umher zu blicken unter diesen selben Menschen, von denen unter dreißigen nicht einer seine unverheiratete Tochter mit auf den Ball genommen hatte, das war wahrhaftig, in einem schlechteren Lichte konnte sich die heutige Zivilisation nicht zeigen. Mögen Enttäuschungen uns auch in der neuen Welt erwarten - ein so verächtliches Schauspiel, wie wir es diesen Abend auf dem Balle bei meiner Tante gesehen, kann uns unmöglich wieder vor die Augen treten.

Lady Janet bekundete ihr besseres Gefühl gegenüber dem Benehmen ihrer Gäste dadurch, dass sie diese ganz sich selbst überließ; die Gäste ihrerseits fühlten deshalb aber noch keine Veranlassung, das Fest zu verlassen, sondern sprachen der Tafel recht herzhaft zu. Sie alle wussten aus Erfahrung, dass es in Mablethorpe-House nicht schlecht zu essen und zu trinken gab. So leerten sie Schüsseln und Flaschen bis auf den letzten Rest.

Mercy und ich hatten, ehe wir fortgingen, in den oberen Räumen des Hauses eine Unterredung mit Lady Janet. Ich hielt es für notwendig, meinen Entschluss, England zu verlassen, offen mitzuteilen. Die Szene, welche hierauf folgte, war so peinlich, dass es mir noch nicht möglich ist, sie hier zu schildern. Meine Frau ist mit dem Gedanken an unsere Abreise ausgesöhnt; und Lady Janet begleitet uns nach Plymouth - dies ist das Resultat. Ich fühle mich unbeschreiblich erleichtert, seitdem die Sache abgemacht ist. Und nur einen Schmerz soll ich von Englands Küste fortnehmen - den Schmerz über die Trennung von der teuren, warmfühlenden Lady Janet. In ihrem Alter ist dies eine Trennung fürs Leben.

So reißen denn die Verbindungen ab, welche mich an mein Heimatland knüpften. Mit Mercy, mir zur Seite, gehe ich der unsicheren Zukunft entgegen, im sicheren Bewusstsein, dass das Glück bei mir ist, wohin ich mich auch wenden mag. Fünfhundert solcher Abenteurer, wie wir selbst sind, treffen auf dem Auswandererschiff mit uns zusammen, sie wandern aus, weil das Vaterland keine Arbeit und keine Heimstätte für sie hat. Ihr Herren vom statistischen Büro, fügt zur Zahl der verfehlten Existenzen, welche England im Jahre des Herrn achtzehnhundert und einundsiebzig hervorgebracht, noch zwei hinzu - Julian Gray und Mercy Merrick.”

 

 

ENDE


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