Die Heirat im Omnibus



Dreizehntes Kapitel.

Als ich an diesem Abende mich wieder auf dem Wege nach unsrer Wohnung befand, empfand ich keine jener geheimen Befürchtungen, welche mich das letzte Mal gequält, als ich mich anschickte, wieder vor den Meinigen zu erscheinen. Ich schöpfte Kraft aus der Gewißheit des Erfolges, welchen die Ereignisse des Nachmittags entschieden hatten. Es war lange her, daß ich mich nicht so überzeugt von meiner Herrschaft über mich und von meiner Geschicklichkeit, die gefährlichen Fragen zu umgehen, gefühlt hatte. Ich empfand nicht, wie zwei Tage vorher, jene Scheu, mich bald und vielleicht auf lange Zeit wieder in der Gesellschaft Clara’s und meines Vaters zu sehen.

Es war ein großes Glück für mein Geheimniß, daß ich mich in dieser Stimmung befand, denn als ich die Thür meines Arbeitscabinets öffnete, traf ich alle Beide in meinem Zimmer.

Clara maß mit einem langen Bande die Brettgestelle meiner mit Büchern überladenen Bibliothek und schien in diesem Augenblicke beschäftigt zu sein, die Länge derselben mit der des Raumes zu vergleichen, der in dem nahen Alkofen noch leer war.

Als sie mich sah, hielt sie inne und warf einen bedeutsamen Blick auf meinen Vater, der mit einem Bündel Papieren in den Händen neben ihr stand.

»Du hast Recht über diese Invasion Deines Gebietes erstaunt zu sein, Sidney,« sagte er in seinem gewohnten, ruhigen Tone, aber mit ganz besonders wohlwollender Gebärde »Du mußt Dich an den Minister des Hauses wenden, wenn ——« er zeigte hierbei auf Clara —— »wenn Du eine nähere Erklärung hierüber haben willst. Ich bin bloß das Werkzeug einer häuslichen Intrigue, deren macchiavellistischen Urheber Du hier vor Dir siehst.«

Einen Augenblick lang schien Clara zu zögern. Es war das erste Mal, daß ich auf ihrem Antlitz, wenn sie mich ansah, diesen Ausdruck von Zurückhaltung und Verlegenheit bemerkte.

Begann die gewohnte Offenheit unsres Verkehrs auch ihrerseits durch Zurückhaltung beeinträchtigt zu werden?

Aber wer war mit dem Beispiele dieser Zurückhaltung vorangegangen?

Auf diese Frage antwortete mein Herz rascher und bestimmter als ich gewünscht hätte.

»Wir sind ertappt. Papa,« sagte Clara, nachdem sie einige Augenblicke geschwiegen, »und müssen uns erklären. Du weißt aber, daß ich so oft als möglich alle Erklärungen Dir überlasse.«

»Gut, gut,« sagte mein Vater lächelnd, »in dem vorliegenden Falle wird meine Aufgabe sehr leicht sein. Als ich mich in mein Zimmer begeben wollte,, wo der Intendant mich erwartete, ward ich unterwegs hinterlistiger Weise von Deiner Schwester angehalten, die mich hierher führte, um sich mit mir über die Aufstellung eines neuen Repositoriums für Deine Bücher zu berathen, während ich doch einen guten Theil der Nacht mit der Revision meiner Privatrechnungen werde zubringen müssen. Clara hatte die Idee, dieses neue Büchergestell heimlich machen lassen, um die Bücher einmal, wenn Du einen Tag abwesend würdest, ohne Dein Vorwissen aufzustellen. Jetzt jedoch, da Du sie ertappt hast, während sie eben mit der ganzen Geschicklichkeit eines erfahrenen Tischlers Maß nahm, muß alle Verstellung beiseite gesetzt werden. Wir müssen demnach aus, der Noth eine Tugend machen und Alles bekennen.«

Die arme Clara! Auf diese Weise wußte sie sich für eine zehntägige vollständige Vernachlässigung zu rächen und fürchtete obendrein, selbst mit mir zu sprechen.

Ich näherte mich ihr und dankte ihr, nicht allzu warm, fürchte ich, denn ich war zu verlegen, als daß ich mich frei und ungezwungen hätte aussprechen können.

E« schien dies ein förmliches Verhängniß zu sein. Je mehr ich im Geheimen den Prinzipien meiner Familie entgegen handelte, desto mehr Gutes erwies mir meine Familie durch die Hand meiner Schwester.

»Es versteht sich von selbst,« fuhr mein Vater fort, »daß ich gegen dieses Project keine Einwendung erhoben habe, denn es ist augenscheinlich, daß Du keinen Raum mehr hast, um alle Bücher unterzubringen, die Du hier in Deinem Zimmer aufgehäuft hast; nur aber rieth ich ihr, den Plan nicht sofort auszuführen. Du wirst diese Vergrößerung Deiner Bibliothek erst in fünf Monaten brauchen, denn nächste Woche werden wir wieder aufs Land zurückkehren.«

Ich konnte eine krampfhafte Bewegung, welche mir diese überraschende Nachricht entlockte, nicht unterdrücken. Es war dies eine Schwierigkeit, die ich hätte voraussehen sollen, aber es war mir unerklärlich, daß der Gedanke an diese Eventualität mir nicht ein einziges Mal auch nur eingefallen war, während wir doch jetzt in der Zeit des Jahres standen, wo wir London gewöhnlich verließen.

Also nächste Woche, und zwar gerade an dem Tage, welchen Mr. Sherwin zu meiner Vermählung festgesetzt hatte!

Ein Schauer durch rieselte mich und die Worte erstorben mir auf der Zunge, während ich zu überlegen versuchte, welchen Entschluß ich fassen sollte.

»Ich fürchte, lieber Vater,« antwortete ich, »daß ich nicht im Stande sein werde, so bald als Du beabsichtigst, mit Dir und Clara abreisen zu, können. Ich wünsche noch ein wenig länger in London zu bleiben.«

Ich sagte diese Worte mit leiser Stimme und ohne daß ich meine Schwester anzusehen gewagt hätte. Wohl aber hörte ich den Ausruf, der ihr entschlüpfte, während ich sprach, und der Ton ihrer Stimme war ziemlich verständlich. Mein Vater that einige Schritte, um sich mir zu nähern, und. sah mir mit jenem durchdringenden und freimüthigen Blicke, der ihn charakterisierte, aufmerksam in’s Gesicht.

»Du willst nicht mit und uns auf’s Land zurückkehren!« sagte er, während seine Marnieren und sein Ton sich merklich änderten; »das scheint mir ein ziemlich seltsamer Entschluß zu sein. Deine unvermuthete Abvesenheit während der beiden letzten Tages ist mir schon aufgefallen. Dein so ganz im Stillen gefaßter Plan aber, in London zu bleiben, während wir abreisen, scheint mir unbegreiflich. Was könntest Du hier zu thun haben?«

Eine Entschuldigung, doch nein, eine Lüge schwebte mir auf der Zunge, aber mein Vater hinderte mich, sie auszusprechen. Meine Verlegenheit ward von ihm sofort bemerkt, obschon ich mir große Mühe gab, sie ihm zu verbergen.

»Schweig’!« sagte er, ohne aus seinem gewohnten Phlegma zu fallen, während jene lebhafte Röthe, deren Erscheinen so bedeutsam war, sich auf seinen Wangen zu zeigen begann.

»Schweig’, ich sehe, daß Du Dich entschuldigen willst, Sidney. Ich darf keine Fragen an Dich richten. Du besitzest ein Geheimnis welches Du mir nicht gern anvertrauen willst, und ich bitte Dich, es zu bewahren. Nein, kein Wort mehr! Ich begegne meinen Söhnen eben so, wie ich allen andern jungen Herren begegne, mit welchen der Zufall mich in Berührung bringt. Wenn es sich um Privatangelegenheiten handelt, so darf ich mich nicht darein mischen. Mein Vertrauen auf die Ehrenhaftigkeit meiner Söhne ist die einzige Garantie, die ich habe, nicht von ihnen hintergangen zu werden; unter Leuten von guter Geburt ist aber dieses Vertrauen eine vollkommen hinreichende Bürgschaft. Wir wollen nicht wieder auf diesen Gegenstand zurückkommen, wenn es dir beliebt. Bleib’ so lange hier als Du willst. Wir werden uns freuen, Dich auf dem Lande wiederzusehen, sobald du geneigt bist die Stadt zu verlassen; Brauchst Du Geld? Ich Habe gerade einige Anweisungen bei mir, wenn ich Dir damit dienen kann.«

»Ich danke, ich brauche keins.«

Er wendete sich hierauf zu Clara und sagte:

»Ich hoffe, liebes Kind, daß Du mich nicht länger aufzuhalten wünschest. Während ich mit meinen Rechnungen beschäftigt sein werde, kannst Du Dich mit Deinem Bruder über die Einrichtung seiner Bibliothek besprechen.«

Er verließ das Zimmer, ohne nochmals das Wort an mich zu richten, ja, ohne mich nur anzusehen. Ich sank auf einen Stuhl nieder —— buchstäblich niedergedrückt von der Wucht eines jeden der letzten Worte, die er an mich gerichtet. Sein Vertrauen auf meine Ehrenhaftigkeit war die einzige Garantie, die er hatte, nicht von mir betrogen zu werden! Wenn ich an diese Erklärung dachte, war es mir, als ob jede dieser Sylben wie ein glühendes Eisen mein Herz berührte, um ihm das Wort Heuchler aufzubrennen.

Binnen wenigen Augenblicken hatte ich mich in den Augen meines Vaters auf das furchbarste compromittirt. Ich konnte mich dieser Gefahr nicht anders entreißen als wenn ich die frisch erblühte Hoffnung meines Lebens opferte, eine in ihrem Gegenstande reine und erhabene, und an und für sich unschuldige und natürliche Hoffnung. Meine Liebe zu Margarethen war ehrenhaft, und schon machten mir die Umstände eine Schande daraus. Es war hart zu ertragen, aber es war noch härter, daran zu denken.

Und dann meine Schwester, meine so sanfte, so geduldige Schwester! Selbst ihr gegenüber fand ich mich nicht Wieder. Zum ersten Male, seitdem mein Vater hinausgegangen war, wendete ich mich jetzt zu Clara. Sie stand in geringer Entfernung stumm, schweigend und mit leichenblassem Gesichte vor mir, rollte mechanisch das Band; zwischen ihren zitternden Fingern und heftete so liebreiche, so sanfte und gleichzeitig so wehmüthige Blicke auf mich, daß mein Muth mich bei ihrem Anblicke verließ. In diesem Augenblicke war es mir als vergäße ich Alles, was seit dem Tage, wo ich Margarethen zum ersten« Male begegnet, geschehen war, und als kehrte ich mit Vergnügen zu meinen süßen Gewohnheiten von früher zurück. Die Familiensympathieen erschienen mir kostbarer als je. Mein Kopf neigte sich abermals auf die Brust herab, und ich brach in Thränen aus.

Clara näherte sich mir leise und sanft, setzte sich neben mich und schlang ihren Arm um meinen Hals. Sie vergoß keine Thräne und sprach kein Wort, aber sie ließ diese liebkosende Demonstration für sich selbst sprechen. In unsrer Kindheit hatte sie die Gewohnheit gehabt, mich auf diese Weise über irgend einen kindischen Schmerz zu trösten, und jetzt tröstete sie mich wirklich.

Als ich wieder ein wenig ruhiger geworden war, sagte sie in sanftem Tone zu mir:

»Du hast mich sehr beunruhigt, Sidney, und vielleicht habe ich die Sorge, welche Du mir verursachtest, so durchblicken lassen, daß ich Dich dadurch beleidigt habe. Die kleine Ueberraschung, die ich Dir in Bezug auf Deine Bibliothek bereitete, sollte Dir beweisen, daß es mir leid thut, den Anschein gehabt zu haben, als zweifelte ich an Dir, oder als überwachte ich Deine Schritte, und daß ich bereit bin, nur zu Deinem Besten, mein lieber Bruder, und ganz nach Deinen Wünschen zu handeln.«

»Du hast das Beste gewählt; Clara, wie Du immer thust. Aber was mußt Du von mir denken, nachdem ——«

»Still, still, kein Wort, weiter. Ich brauche Dich nicht nach Deinem Geheimnisse zu fragen, denn ich bin überzeugt, daß Du mir es sagen wirst, wenn die Zeit gekommen. sein wird, mich es wissen zu lassen. Ich habe aber noch etwas Anderes, worüber ich Dich fragen möchte, Etwas, was mir große Unruhe bereitet.«

Sie schwieg und wendete das Gesicht ab.« Als sie wieder anfing zu sprechen, war ihre Stimme weniger fest und der Klang derselben nicht mehr so hell.

»Wisse denn, Sidney,« sagte sie zu mir, »daß es vorhin eine grausame Enttäuschung für mich war, zu erfahren, daß Du keine Lust hast, mit uns auf’s Land zurückzukehren; Ich war schon so glücklich in dem Gedanken, was wir diesen Herbst gemeinschaftlich thun würden. Ich hatte mir vorgenommen, unsre Zeit in unserm lieben alten Schlosse so gut anzuwenden, und dann dachte ich an Dein Buch, welches ich so gern fertig sehen möchte, und ich bin überzeugt, daß Du auf dem Lande bei uns damit zu Stande kommen würdest. Es ist so lange her, daß ich an Deine Aufmerksamkeiten gewöhnt bin! Und dann bedenke doch, daß ich Niemanden habe, mit dem ich so plaudern könnte wie ich mit Dir plaudere. Papa ist sehr gut, aber es ist für mich doch nicht das, was Du bist. Ralph wohnt nicht mehr bei uns, und als er noch bei uns wohnte, machte er sich, glaube ich, ohnehin nicht viel aus mir. Ich habe Freundinnen, aber Freundinnen sind nicht ——«

Sie stockte abermals; die Stimme versagte ihr, Einen Augenblick lang versuchte sie gegen ihre Gemüthsbewegung zu kämpfen, und es gelang ihr, dieselbe durch jene Herrschaft zu bezwingen, welche in gewissen Fällen nur die Frauen über sich besitzen.

Sie umschlang meinen Hals fester mit ihrem Arme, aber ihre Stimme war heller und sicher, als sie wieder anhob:

»Es wird mir nicht so leicht sein, aus dem Lande, unsern Promenaden zu Roß oder zu Fuße zu entsagen, eben so wenig als unsern Plaudereien des Abends in der alten Bibliothek im Hintergrunde des Paris. Ich freute mich so sehr, diesen Herbst ganz genau diese Lebensweise wieder beginnen zu können. Ich glaube aber, diesem Allen muß ich Lebewohl sagen und mit Papa allein fortgehen —— zum ersten Male! Indem wir uns aber trennen, Sidney, will ich Nichts sagen und Nichts thun, was Dich betrübt, dafern Du mir versicherst, daß Du immer noch Vertrauen zu mir hast, und mir versprichst, bei jeder Gelegenheit, wo Du Dich in Mißlichkeiten befindest, mich ein wenig zu Rathe zu ziehen. Ich glaube, ich werde Dir immer nützlich sein können, weil ich mich stets für Alles, was Dich betrifft, interessieren werde. ich will Dich nicht wider deinen Willen zur Mittheilung deines Geheimnisses veranlassen; wenn dieses Geheimnis Dir aber jemals Sorge oder Kummer verursachen sollte —— ich hoffe und bete, daß dem nicht so sein möge —— so bedarf ich der Ueberzeugung, daß Du mich für fähig hälst, Dir, trotz der Hindernisse, einigen Beistand zu leisten. Laß mich daher aufs Land gehen, Sidney, und die Gewißheit mitnehmen, daß Du Dich mir stets anvertrauen wirst, slbst wenn die Zeit kommen sollte, wo Du Dein Vertrauen noch irgend einer anderen Person schenkst. Gieb mir diese Gewißheit, gib sie mir!«

Ich gab ihr aufrichtig und von ganzem« Herzen die Versicherung, die sie zu haben wünschte. Die wenigen einfachen Worte, welche sie soeben gesprochen, schienen ihr ihren ganzen Einfluß auf mich zurückgegeben zu haben, besonders als eine so zärtliche Stimme, so liebreiche Blicke sich damit verbanden.

Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob ich nicht einen Act der Dankbarkeit übte, wenn ich ihr auf der Stelle mein Geheimnis anvertraue, da ich ja gewiß sein konnte, daß sie es treulich bewahren würde, selbst wenn sie auf peinliche Weise davon überrascht und ergriffen wäre. Ich glaube, ich würde ihr auch in der nächsten Minute Alles gesagt haben, wenn nicht der Zufall dazwischen getreten wäre. Es ward nämlich in diesem Augenblicke an die Thür gepocht.

Einer unsrer Diener trat ein. Mein Vater wünschte Clara zu sprechen, um sie über gewisse Arrangements zu befragen, welche sich auf die bevorstehende Abreise aus der Stadt bezogen.

Sie war in diesem Augenblicke kaum in der geeigneten Stimmung, um diesem Rufe zu entsprechen, aber mit dem Muthe mit welchem sie gewöhnlich ihre persönlichen Gefühle den von einer Person, die sie liebte, kund gegebenen Wünschen unterzuordnen wußte, beschloß sie, sich sofort zu meinem Vater zu begeben.

Eine kurze Pause, während welcher sie schwieg, ein leichtes, bald unterdrücktes Zittern, ein Kuß auf meine Wange, die ermuthigenden Worte, die sie auf der Schwelle der Thür als Lebewohl an mich richtete: »Gräme Dich nicht über das, was Papa gesagt hat —— Du hast mich in Bezug auf Dich beruhigt, Sidney, ich werde ihn auch beruhigen,« und Clara war verschwunden.

In Folge dieser Ueberraschung war die Zeit, ihr mein Geheimniß anzuvertrauen, entflohen. Kaum war meine Schwester aus dem Zimmer hinaus, so erfaßte mich wieder meins erster Widerwille, es irgend einem Mitgliedes meiner Familie anzuvertrauen, und blieb während jenes ganzen langen Prüfungsjahres, zu welchem ich mich verbindlich gemacht, in mir unverändert.

Doch darauf kam wenig an Die Ereignisse nahmen eine solche Wendung, daß, selbst wenn ich Clara Alles gesagt hätte, der Ausgang dennoch: derselbe gewesen wäre und mein Verhängniß sich auf dieselbe Weise erfüllt haben würde.

Kurze Zeit, nachdem meines Schwester mich verlassen, ging ich wieder aus, denn zu Hause konnte ich mich während der noch übrigen Nacht mit Nichts beschäftigen, und ich wußte auch, daß ich vergeblich versuchen würde zu schlafen.

Während ich so aus den Straßen umherwandelte, kamen mir bittere Gedanken in Bezug auf meinen Vater ein; bittere Gedanken an seinen unbeugsamen Stolz, der mich zu der Verstellung nöthigte, durch welche ich mich schon so bedrückt fühlte; bittere Gedanken gegen jene Vorurtheile —— die Tyrannen der Gesellschaft, welche den natürlichen Sympathieen und Neigungen keine Rechnung tragen und die für mich in diesem Augenblicke in der Person meines Vaters verkörpert waren.

Nach und nach führten jedoch diese Betrachtungen mich auf andere und weit bessere. Ich dachte wieder an Clara und ihr Name erweckte in mir stets den Gedanken an das Vertrauen und an die Hoffnung, welche ich ihr versprochen zu bewahren. Aus welche Art auch mein Vater die Nachricht von meiner Vermählung aufnehmen würde, so tröstete ich mich mit der Ueberzeugung daß um meinetwillen meine Schwester sich gegen meine Gattin stets liebreich und gefällig zeigen würde.

Dieser Gedanke führte mein Herz zu Margarethen —— daß heißt in eine süße, glückliche Träumerei zurück. Ich kehrte gefaßter und wenigstens für diese Nacht beruhigter wieder nach Hause zurück.

Die Ereignisse dieser Woche, die für meine Zukunft so wichtig war, entrollten sich mit Verhängnisvoller Schnelligkeit. Die gesetzlich vorgeschriebene Trauungslizenz ward ausgewirkt, die andern Präliminarien wurden von Mr. Sherwin und mir besorgt; ich sah Margarethen jeden Tag und gab mich immer mehr und mehr und rückhaltlos dem Zauber hin, den sie bei jeder neuen Unterredung auf mich ausübte.«

Zu Hause schienen in Folge der Reiseanstalten, durch Abschiedsbesuche und eine Menge anderer damit zusammenhängender Dinge die Stunden immer schneller zu verfliegen, so wie der Tag der Trennung Clara und für mich der Tag zu meiner Vermählung herannahte. Unaufhörliche Unterbrechungen hinderten meine Schwester und mich, eine zweite, längere vertrauliche Unterredung zu haben, und mein Vater war selbst für die Leute, die ihn in einer ganz besonderen Angelegenheit zu sprechen kamen, niemals mehr als fünf Minuten hinter einander zugänglich.

Im Schoße meiner Familie ergab sich daher für mich kein weiterer Anlaß zu Unruhe oder Verlegenheit. Der Tag brach an. Ich hatte die ganze Nacht vorher nicht geschlafen und erhob mich frühzeitig, um nach der Zeit zu sehen.

Man kann. sich nicht genug wundern, wie sehr jener instinctartige Glaube an Vorbedeutungen, den wir thörigter Weise Aberglaube nennen, sein Uebergewicht selbst über die ihn streitig machenden Gemüther jedes Mal behauptet, wenn ein wichtige Act des Lebens bevorsteht.

Meine Meinung ist, daß, wenn auch wenig Menschen gestehen, daß sie diesem Einflusses unterliegen, doch Viele ihm gehorchen, ohne es zu bekennen. Zu jeder andern frühern Zeit meines Lebens hätte ich gelacht, wenn« man mir bloß angedeutet hätte, daß ein abergläubischer Gedanke sich in mein Gemüth eingeschlichen aber als ich an diesem Tage den Zustand des Himmels prüfte und düstere Wolken sah, welche sich auf allen Punkten des Horizonts aufthürmten, konnte ich mich eines mir das Herz zusammenschnürenden Gefühls nicht erwehren.

Während der letzten zehn Tage war fast ununterbrochen schönes sonnenhelles Wetter gewesen; mit dem Tage meiner Vermählung kamen die Wolken, der Nebel, der Regen.

Dieser Anblick erweckte in mir Vorgefühle, die, wie ich zu mir selbst sagte, lächerlich waren, und doch lachte ich nicht darüber.

Die Abreise aufs Land sollte zu ziemlich früher Stunde angetreten werden. Wir frühstückten alle Drei gemeinschaftlich —— man beeilte sich, man aß nur wenig und sprach fast gar nicht. Mein Vater machte sich fast während der ganzen Zeit des Frühstücks Notizen oder sah Rechnungen durch, welche ihm sein Intendant vorgelegt, und Clara fürchtete augenscheinlich, ihre Gemüthsbewegung sehen zu lassen, wenn sie ein, einziges Wort spräche.

An dem Tische, an welchem wir alle Drei saßen, herrschte ein so vollständiges Schweigen, daß das Geplätscher des draußen fallenden Regens —— so wie der Morgen weiter vorrückte, bewölkte sich der Himmel immer dichter —— und die eiligen, aber leisen Tritte der Diener, die sich um den Tisch herum bewegten, deutlich hörbar waren.

Diese Mahlzeit, unser letztes Familienfrühstück für diese Saison in London, war in ihrem Fortgange und Ende so traurig, daß mir für immer eine schauerliche, eisige Erinnerung davon zurückgeblieben ist.

Endlich schlug die Stunde der Trennung. Clara schien sogar zu fürchten, mich in diesem Augenblicke anzusehen, und schlug daher rasch ihren Schleier herab, sobald der Wagen angemeldet ward.

Mein Vater drückte mir auf ziemlich kalte Weise die Hand. Ich hatte gehofft, daß er mir im letzten Augenblicke Etwas sagen würde, aber es war bloß ein sehr einfaches und sehr kurzes Lebewohl. Zorn wäre mir lieber gewesen als diese kalte höflich Zurückhaltung.

Er ersparte mir auch nicht einen stummen, anscheinend unbedeutenden Tadel, der mich aber sehr schmerzlich berührte. Als meine Schwester mir Lebewohl sagte, wartete er an der Thür des Zimmers um ihr den Arm zu bieten und sie die Treppe hinunterzuführen. Er hatte errathen, daß es die letzte kleine liebreiche Kundgebung war, die ich meiner Schwester in dieser Stunde der Trennung zu beweisen wünschte.

Clara murmelte mir mit leiser, zitternder Stimme, so daß ich sie kaum verstehen konnte, zu:

»Vergiß nicht, »was Du mir in Deinem Zimmer versprochen hast, Sidney, so oft Du an mich, denken wirst. Ich werde oft an Dich schreiben.«

Als sie ihren Schleier auf eine Minute hob, um mich zu küssen, fühlte ich meine Wangen durch die Thränen benetzt werden, die über die ihrigen herabrannen.

Ich folgte meinem Vater und ihr bis an den Fuß der Treppe. An der Hausthür bot sie mir die Hand. Es war gleichsam der Druck einer Sterbenden. Ich begriff, daß sie sich vergebens vorgenommen hatte, Muth zu zeigen, und daß sie immer schwächer und schwächer ward. Ich ließ sie daher sofort in den Wagen steigen, ohne sie durch müßige und überflüssige Abschiedsworte aufzuhalten.

Einen Augenblick später rollte der Wagen rasch davon.

Als ich in das Haus zurückgekehrt war zog. ich meine Uhr zu Rathe und sah, daß ich noch eine Stunde zu warten hatte, ehe ich mich nach der Nordvilla begeben. konnte. Unter dem Eindrucke dieses Abschieds und im Hinblicke auf den bevorstehenden Austritt, in welchem ich figuriren sollte, ward mein Gemüth von den widerstreitendsten Gefühlen bestürmt und ich litt während dieser Stunde mehr als viele Menschen während»ihres ganzen Lebend gelitten haben. Es war mir, als wenn während dieses kurzen Zwischenraumes der letzten Frist meines Schicksals, mein ganzes Empfindungsvermögen sich erschöpfte und als ob mein Herz nothwendig sodann sterben müßte.

Die Ruhe schien mir eine Marter und dennoch drückte meine Aufregung mich nieder. Ich durcheilte alle Zimmer des Hauses, ohne in einem einzigen derselben zu verweilen. Ich zog ein Buch nach dem andern aus meiner Bibliothek und öffnete es, um darin zu»lesen; den nächsten Augenblick! aber schon stellte ich es wieder auf die Bretter. Ich trat zwanzig Mal ans Fenster, um meiner Gedanken mich dadurch zu entledigen, daß ich sah, was auf der Straße passierte; aber nicht ein einziges Mal blieb ich eine volle Minute lang. Endlich lenkte ich meine Schritte, ohne recht zu wissen, was ich that, nach dem Arbeitscabinet meines Vaters, dem einzigen Zimmer, welches ich noch nicht besucht hatte.

Ein Bildniß meiner Mutter hing hier über dem Kamine. Meine Augen hefteten sich darauf und zum ersten Male machte ich eine lange Pause. Die Betrachtung dieses Gemäldes beschwichtige mich, aber dennoch wußte ich kaum, von welcher Art der Einfluß war den es auf mich ausübte. Vielleicht versetzte sein Anblick meine Gedanken in die Nähe der Geister, welche von uns geschieden sind. Vielleicht sprachen jene geheimen Stimmen, die aus der unbekannten Welt herübertönen und die nur die Seele allein zu hören vermag, in mir. Ich hatte mich während der Betrachtung dieses Bildnisses auf einen Stuhl niedergelassen —— ich schmeckte wonnige Ruhe.

Ich dachte an eine lange Krankheit, die ich als Kind gehabt, als meine kleine Wiege neben dem Bett meiner Mutter stand. Ich erinnerte mich, daß sie lange Abenden hintereinander bei mir gewesen und mich selbst gewiegt hatte.

Dieser Gedanke erzeugte plötzlich einen andern. Vielleicht schaute meine Mutter, umgeben von den Engeln Gottes, auf mich herab. Alles war so ruhig um mich heraus. Ich versank in stilles Hinbrüten und bedeckte mir das Gesicht mit den Händen.

Die Schläge einer Wanduhr weckten mich plötzlich zum Gefühle des wirklichen Lebens. Ich verließ das Haus und lenkte meine Schritte sofort nach der Nordvilla.

Als ich hier eintrat, fand ich Margarethen mit ihrem Vater und ihrer Mutter in dem Salon.

Aus den ersten Blick sah ich, daß die Eltern in der vorigen Nacht nicht gut geschlafen hatten. Die Bestimmung dieses Tages hatte auf sie wie auf mich ihren störenden Einfluß geäußert. Die Blässe, welche Mistreß Sherwins Gesicht bedeckte, erstreckte sich bis auf ihre Lippen und sie sprach kein Wort.

Mr. Sherwin bemühte sich, unerschütterlich zu scheinen, aber er war weit entfernt, ruhig zu sein. Alle Augenblicke maß er mit großen Schritten das Zimmer, in welchem wir beisammen waren, redete in die Kreuz und Quer, that die abgeschmacktesten Fragen und erlaubte sich die gemeinsten Scherze.

Ich war überrascht, Margarethen weit weniger aufgeregt zu finden als ihre Eltern. Die Augenblicke ausgenommen, wo ein frisches Incarnat ihre Wangen überzog, um sodann wieder zu verschwinden, entdeckte ich bei ihr kein äußeres Zeichen von Gemüthsbewegung.

Die Kirche war nicht weit. Als wir uns hinbegaben, fiel ein starker Platzregen und der Morgennebel bildete gleichsam einen dichten Vorhang. Wir mußten in der Sakristei auf die Ankunft des Geistlichen warten, welcher die Ceremonie vollziehen sollte. Die ganze Getrübtheit und Feuchtigkeit dieses Tages schienen sich in diesem Gemache concentrirt zu haben.

Es war ein düsteres, eisigkaltes, schauriges Zimmer. Das einzige Fenster ging auf einen Kirchhof, dessen Rasen von Feuchtigkeit dampfte. Draußen hörte man daß eintönige Plätschern des Regens auf dem Pflaster.

Während Mr. Sherwin mit dem Substituten des Geistlichen —— einem langen, hageren Manne in schwarzem Gewande —— Bemerkungen«über das Wetter wechselte, blieb ich schweigend neben Margarethen und Mistreß Sherwin sitzen und betrachtete mit mechanischer Aufmerksamkeit die in einem halb offnen Schranke hängenden weißen Chorhemden, den Taufstein und den Wasserkrug, und die massiven Bücher mit ihren braunen Ledereinbänden, die auf dem Tische standen.

Ich war während dieser Zwischenzeit des Wartens nicht im Stande zu sprechen, ja nicht einmal zu denken.

Endlich kam der Geistliche und wir traten in die eigentliche Kirche mit ihren Reihen von leeren Bänken und ihrer kalten, schwerfälligen Werktagsatmosphäre. Als wir uns um den Altar herumstellten, bemächtigte sich ein eigenthümlicher Schwindel meines Geistes. Immer undeutlicher war ich mir des Platzes, auf welchem ich stand, und selbst der Ceremonie bewußt, an welcher ich Theil nahm. Während der ganzen Handlung war ich unaufhörlich zerstreut. Ich stotterte und beging Fehler in den Antworten auf die an mich gerichteten Fragen: Einige Mal ward ich sogar ungeduldig über die Länge Länge der Ceremonie, welche mir zwei oder drei Mal so lange zu dauern schien als in gewöhnlichen Fällen.

Mit diesem Eindrucke mischte sich verworren eine oder bizarre und quälende Idee, als ob sie durch einen Traum hervorgebracht worden wäre. Ich bildete mir ein, mein Vater habe mein Geheimniß entdeckt und verlöre, in irgend einem Winkel der Kirche versteckt, mich nicht aus den Augen, während er das Ende der Ceremonie abwarten, um mich dann öffentlich anzuklagen und sich von mir loszusagen. Diese phantastische Idee klammerte sich man mein Gemüth, bis die Ceremonie beendet war und wir die Kirche verließen, um in die Sakristei zurückkehren.

Die Gebühren für die vollzogene Trauung»wurden bezahlt, wir schrieben unsere Namen. in die Kirchenbücher und in das Certificat; der Geistliche wünschte mir Glück, der Substitut ahmte ihm gravitätisch nach und die Betstuhlschließerin lächelte und machte einen Knix. Mr. Sherwin bedankte sich bei den beiden Geistlichen, küßte seine Tochter drückte mir die Hand, sah seine weinende Gattin mit unfreundlicher, gerunzelter Stirn an und ging endlich mit Magarethen voran aus der Sacristei hinaus.

Der Regen strömte immer noch.

Als Margarethe mit ihren Eltern in den Wagen stieg, zogen sich die Wolken immer dichter zusammen, und ich, der allein unter dem Porticus der Kirche stehen blieb, suchte mir selbst verständlich zu machen, daß ich nun »verheirathet« war.

Verheirathet! Der Sohn des stolzesten Mannes in England, der Erbe eines der ältesten Namen, verheirathet mit der Tochter eines Modewaarenhändlers. Und was für eine Heirath war es! Welche Bedingungen hatte man mir gestellt! Welche Billigung konnte ich erwarten! Warum war ich so leicht auf Mr. Sherwins Bedingungen eingegangen! Würde er nicht nachgegeben haben, wenn ich ein wenig Festigkeit gezeigt hätte, um meine Ansprüche aufrecht zu erhalten? Warum hatte ich hieran nicht eher gedacht?«

Was nützte es, daß ich mir jetzt diese Fragen vorlegte? Ich hatte das Uebereinkommen unterschrieben und mußte mich daran halten.

Die Blume, welche ich so innig begehrt, war mir unwiderruflich versprochen. Ich hatte ein Jahr, um sie zu cultiviren, um alle ihre Reize, ihren ganzen Werth zu studiren, und dann sollte sie auf immer mein gehören.

Dies mußte fortan mein einziger Gedanke an die Zukunft sein und er war wohl hinreichend, um mich vollständig zu beschäftigen. Darum keine Betrachtungen weiter über die Folgen, keine traurigen Ahnungen in Bezug auf die Entdeckung meines Geheimnisses —— die Ehe war geschlossen, mit Einem Sprung hatte ich mich in ein neues Leben gestürzt und es war mir, nicht mehr vergönnt, umzukehren.

Mr. Sherwin hatte mit jener unbilligen Hartnäckigkeit, welche die Art und Weise charakterisiert, auf welche engherzige Menschen ihre wichtigen Angelegenheiten behandeln, darauf bestanden; daß die erste Bestimmung unseres Vertrags —— die Trennung von meiner Gattin an der Kirchthür —— buchstäblich erfüllt würde. Um mich jedoch einigermaßen dafür zu entschädigen, sollte ich an diesem Tage in der Nordvilla speisen.

Wie sollte ich nun die Zwischenzeit hinbringen, die mich von der Stunde des Diners trennte? Ich kehrte nach Hause zurück und ließ mein Pferd satteln. Ich war weder aufgelegt, in einem leeren Hause, zu bleiben, noch die Gesellschaft eines meiner Freunde zu suchen. Ich taugte zu weiter Nichts als toll und mit wildbewegtem Herzen trotz des strömenden Regens im Freien umher zu galoppieren.

Meine ganze Ermüdung und die entnervenden Gemüthsbewegungen des Morgens, alle meine unklaren Befürchtungen während der Trauungsceremonie gingen jetzt in eine außerordentliche Ueberreiztheit des Körpers und des Geistes über.

Als das Pferd mir zugeführt ward, bemerkte ich mit Vergnügen, daß der Reitknecht es kaum zu halten vermochte.

»Halten Sie es; ja recht kurz, Sir,« sagte er. »Es ist jetzt seit drei Tagen nicht aus dem Stalle gekommen.

Diese, Mahnung versprach mir einen Mit, wie ich ihn wünschte.

Wie sprengte ich entlang, als ich London einmal hinter mir hatte und in den Zwischenräumen, wo die Atmosphäre sich ein wenig»aufhellte, die glatten, menschenleeren Straßen vor mir sah! Unter dem immer noch strömenden Regen hingaloppiren, unter mir die regelmäßige muthige Bewegung des feurigen Thieres zu fühlen, zu träumen, daß sich durch die Muskeln eine stählende Sympathie zwischen Mann und Roß begründe, wie ein Orkan an den schwerfälligen Frachtwagen, die ich überholte, vorbeizusausen, während die darin sitzenden oder daneben her laufenden Hunde mir ein wüthendes Gebell nachschickten, wie der Wind vor den Wirthshäusern an der Straße vorbeizufliegen, zum großen Vergnügen junger halbbetrunkener Leute, deren Geschrei einen Augenblick hinter mir her halbe, um sich sodann in der Ferne zu verlieren —— dies hieß so wie mein Herz es wünschte, die langwierigen, einsamen Stunden dieses seltsamen Hochzeittages tödten.

Bis auf die Haut durchnäßt, kam ich nach Hause zurück, mein Körper aber war durch die Bewegung eigenthümlich geschmeidig und rührig geworden, während meine Stimmung sich ermuntert und aufgeheitert hatte.

Als ich in der Nordvilla ankam setzte die in meinem Benehmen vorgegangene Veränderung alle Welt in Erstaunen. Mal hatte Mr. Sherwin nicht nöthig mich lange zu bitten, um mich zu bewegen, von seinem Sherry zu trinken, den er eben so wie die andern Weine, die er auf die Tafel gebracht, so sehr rühmte, indem er seine Gäste vorher sowohl von dem Jahrgange als auch von dem Preise jeder Flasche in Kenntniß setzte.

So erkünstelt meine Lebhaftigkeit auch war, so hielt sie doch aus bis zuletzt.

Jedes Mal, wo ich Margarethen sah, fühlte ich, daß ihr Anblick mich aufstachelte. Sie schien in Gedanken versunken zu sein und war während des Diners schweigsamer also gewöhnlich: Ihre Schönheit war aber gerade jene wollüstige südliche Schönheit, welche durch die Ruhe so anbetungswürdig gemacht wird.

In dem Salon, als das Diner beendet war, zeigte. Margarethe gegen mich ein zutraulicheres Benehmen und schien mir mehr Vertrauen zu beweisen als sie bis jetzt gethan. Sie sprach mit mehr Ausdruck in ihrer Stimme und auch ihre Blicke waren bedeutsamer.

Dieser Abend meines Hochzeittages ward durch hundert verschiedene kleine Vorfälle bezeichnet, die meiner Erinnerung stets gegenwärtig geblieben sind.

Es gehörte dazu auch der, daß ich meiner Braut an diesem Abende den ersten Kuß gab.

Mr. Sherwin hatte den Salon verlassen. Mistreß Sherwin begoß am andern Ende des Zimmers einige auf dem Fenster stehende Blumen und Margarethe zeigte mir auf den Wunsch ihres Vaters einige seltene Kupferstiche Sie reichte mir ein Vergrößerungsglas, durch welches ich eins dieser Blätter, welches für ein Meisterwerk galt, betrachten sollte. Anstatt aber das Vergrößerungsglas auf den Kupferstich, an welchem mir sehr wenig gelegen war, zu richten, bediente ich mich seiner, um Margarethen anzusehen. Jbr schwarzes, glänzendes Auge schien durch das Glas hindurch Flammen in das meinige zu schießen, ihr heißer Athem spielte auf meiner Wange. Dies dauerte nur einen Augenblick, aber in diesem Augenblicke gab ich ihr den ersten Kuß.

Welche Gefühle hauchte dieser Kuß mir damals ein und welche Erinnerungen hat er jetzt in mir zurückgelassen!

Ein neuer Beweis dafür, daß ich ihr eine tiefe, zärtliche und reine Liebe gewidmet, lag darin, daß ich vor dieser Zeit selbst wenn sich die Gelegenheit dazu darbot, mich gescheut hatte ihr diese erste Gunst der Liebe zu rauben, nach welcher ich schmachtete. Von Männern kann dies nicht begriffen werden, die Frauen aber werden mich, glaube ich, verstehen.

Die Stunde des Abschiede schlug, die unerbittliche Stunde, welche mich noch am Abende meiner Hochzeit von meiner Gattin trennen sollte.

Soll ich gestehen, was ich fühlte, indem ich dem Mr. Sherwin so unüberlegt gegebenen Versprechen treu blieb? Nein; ich sagte auch Margarethen Nichts von dem, was in mir vorging, und werde das Geheimniß für mich allein bewahren.

Mit auffallender Hast nahm ich Abschied von ihr. Ich fühlte mich nicht fähig, sie auf andere Weise zu verlassen Es war ihr gelungen, sich in den« dunkelsten Theil des Salons zu schleichen, so daß ich beim Abschiede ihr Gesicht nur undeutlich sah.

Ich kehrte sofort nach Hause zurück.

Sobald ich mich niedergelegt hatte und das Dunkel der Nacht mich umgab. begann ich den Rückschlag des gewaltsamen Zwanges zu fühlen, den ich mir den ganzen Tag über aufgelegt. Meine Nerven, deren Spannung den ganzen Tag hindurch eine außerordentliche gewesen, erschlafften. Ein Frösteln schüttelte meine Glieder, so daß das Bett unter mir zitterte. Eine räthselhafte Angst bemächtigte sich meiner, eine Angst, die durch keinen Gedanken veranlaßt ward und keinen zur Folge hatte; die Thätigkeit meiner ganzen Denkkraft war gelähmt. Die physische und moralische Erschütterung, welche auf diese fieberhafte Aufregung folgte, war gleichzeitig so heftig, daß das geringste Geräusch auf der Straße mich erschreckte. Das pfeifen des Windes, der sich seit Sonnenuntergang erhoben, jagte mir ebenfalls Furcht ein, mein Herz schien zuweilen förmlich still zu stehen und mein Blut ward kalt in den Adern. Dann hörte, selbst wenn keine Geräusch sich vernehmen ließ, mein Ohr das erst kommende und ich hielt den Athem, um zu horchen, ohne daß ich irgend eine Bewegung zu machen gesucht hätte.

Endlich ging diese Abspannung des ganzen Nervensystems in eine so schmerzhafte Krisis über, daß ich mich vergebens dagegen zu sträuben suchte. Wie ein Kind fürchtete ich mich vor der Finsternis. Ich suchte tastend meinen Tisch und zündete mehrere Lichter an, dann hüllte ich mich in meinen Schlafrock und setzte mich vor Frost klappernd in die Nähe des Lichtes, entschlossen, die noch übrige Zeit bis Tagesanbruch auf diese Weise zu verbringen.

Dies war meine Hochzeitsnacht und auf diese Weise endete der Tag, welcher mit meiner Vermählung mit Margarethe Sherwin begonnen hatte.


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