Nicht aus noch ein



Der Vorhang fällt.

Maitag. Ein vergnügtes Treiben ist in Cripple Corner, die Kamine rauchen, der patriarchalische Speisesaal ist mit Blumenkränzen geschmückt und Mrs. Goldstraw, die ehrenwerthe Haushälterin äußerst geschäftig, denn an diesem strahlenden Morgen wird der junge Herr von Cripple Cornet mit seiner jungen Gattin getraut, weit von hier: in der Schweiz, in dem kleinen Städtchen Brieg, am Fuße des Simplon, auf dem sie ihrem Geliebten das Leben gerettet hat.

Lustig läuteten die Glocken in dem Städtchen Brieg, Fahnen waren in den Straßen aufgesteckt Büchsenschüsse wurden gehört und Musik von Blechinstrumenten ertönte. Mit Wimpeln geschmückte Weinfässer rollte man unter ein großes Zeltdach auf den Platz vor dem Gasthaus; es sollte umsonst geschmaust und in Saus und Braus gelebt werden. Welche Fülle von Glockengeläut und Fahnen! Teppiche hängen aus den Fenstern, Schüsse knallen, Blechmusik hallt von allen Seiten wieder. Die kleine Stadt Brieg ist im Taumel, wie die Herzen ihrer einfachen Bewohner.

Die letzte Nacht war eine stürmische gewesen, sie hatte die Berge mit Schnee bedeckt. Aber heute scheint die Sonne glänzend, die milde Luft ist klar, die blanken Kirchthumspitzen der kleinen Stadt Brieg strahlen wie Silber und die Alpen sehen aus, wie weiße Wolkenreihen, die sich auf dem blauen Himmel abheben.

Die einfachen Bewohner der kleinen Stadt Brieg haben eine Ehrenpforte aus grünen Zweigen auf der Straße errichtet, durch welche das neuvermählte Paar, wenn es aus der Kirche kommt im Triumph hindurchziehen soll. Sie trägt nach der Kirchenseite hin die Inschrift: Ehre und Liebe Margueriten Vendale! denn die Leute sind stolz auf sie und für sie begeistert. Die Begrüßung unter ihrem neuen Namen ist eine gut gemeinte Ueberraschung und darum war die Einrichtung getroffen, daß sie, ohne zu wissen warum, auf einem Seitenweg in die Kirche geführt werden sollte; ein Vorhaben, was in der kleinen bergigen Stadt Brieg nicht leicht auszuführen war.

Alles ist in Ordnung, Alles geht und kommt zu Fuß. Im besten Zimmer des Gasthauses, welches festlich ausgeschmückt ist, sind versammelt: die Braut und der Bräutigam, der Neuschateller Notar, der Londoner Advocat, Madame Dor und ein gewisser geheimnißvoller Engländer, allgemein unter dem Namen Monsieur Zhoe —— Ladella bekannt. Seht Madame Dor in einem Paar fleckenloser Handschuhe, die ihr selbst gehören, nicht mit einer Hand in der Luft, sondern beide Arme unt den Hals der Braut geschlungen! Bei dieser Umarmung hatte Madame Dor den Versammelten ihren breiten Rücken zugekehrt, der noch in voller Kraft bestand.

»Vergeben Sie mir, meine Einzige,« bat Madame Dor, »daß ich jemals die Katze gespielt habe.«

»Die Katze, Madame Dor?«

»Eigens dazu angenommen, um mein liebes Mäuschen zu bewachen,« lautete Madame Dor’s Erklärung, welche sie mit einem Seufzer der Reue abgab.

»Aber, Sie sind unsre beste Freundin gewesen! Lieber George, versichere es Madame Dor. Ist sie nicht unsre beste Freundin gewesen?«

»Ohne Zweifel, mein Liebling. Wie wäre es uns ohne Sie ergangen?«

»Sie sind beide großmüthig,« rief Madame Dor, den Trost gern vernehmend und ihn doch zu gleicher Zeit von sich weisend. »Anfänglich habe ich doch die Katze gespielt.«

»Aber die Katze im Feenmärchen, liebe Madame Dor,« sagte Vendale ihre Wange küssend. »Sie sind eine redliche Frau und weil Sie eine redliche Frau sind, so fühlt Ihr Herz Theilnahme für wahre Liebe.«

»Ich möchte Madame Dor ihres Antheiles an den Umarmungem die hier vor sich gehen, nicht berauben,« warf Mr. Bintrey, der die Uhr in der Hand hielt, ein, »und ich bin fern davon, Einwendungen zu machen gegen die Art, sich in der Ecke, wie die drei Grazien zusammenzudrängen; ich will nur bemerken, daß es wohl an der Zeit wäre, sich auf den Weg zu machen. Wie sind Ihre Ansichten über den Gegenstand, Mr. Ladle?«

»Sehr klar, Sir,« erwiderte Joey mit seinem anmuthigsten Grinsen. Ich bin im Ganzen genommen jetzt viel klarer, weil ich so lange auf der Oberfläche gelebt habe. Ich bin niemals halb so lange Zeit auf der Oberfläche gewesen, Sir, aber es hat mir gut gethan. In Cripple Corner bin ich zu tief unten und auf der Spitze des Simplon ein gutes Stück zu weit oben gewesen. Die richtige Mitte, glaube ich, ist hier, Sir und wenn ich je in gesellige Lustbarkeit einstimme während den Tagen, die ich noch zu leben habe, so denke ich es heut zu thun, bei dem Toast: Gott segne Beide.«

»Ich auch!« sagte Bintrey. »Und jetzt Monsieur Voigt wollen wir beide zwei Marsellaiser darstellen: Allons, marchons Arm in Arm!«

Sie gingen zur Thür hinaus, wo Andre sie erwarteten und sie begaben sich friedlich in die Kirche, in der die Trauung des glücklichen Paares statt fand. Während die Ceremonie vor sich ging, wurde der Notar herausgerufen und kehrte erst zurück als sie beendet war. Sich hinter Vendale stellend klopfte er demselben auf die Schulter.«

»Gehen Sie einen Augenblick an die Seitenthür der Kirche, Monsieur Vendale. Allein. Lassen Sie Madame bei mir zurück.«

Vor der bezeichneten Thür standen die beiden uns wohlbekannten Männer aus dem Hospiz. Sie waren mit Schnee bedeckt und den der Wanderung ermüdet. Sie wünschten ihm Glück, dann legte jeder seine große Hand auf Vendales Brust und während der eine demselben fest in’s Auge sah; sagte der andere mit leiser Stimme:«

»Sie ist hier, Monsieur. Ihre Bahre. Ganz dieselbe.«

»Meine Bahre? Warum?«

»Still! daß Madame es nicht höre. Ihr Reisegefährte ——«

»Was ist mit ihm?«

Der Mann sah seinen Cameraden an, der Camerad fuhr in dem Bericht fort. Sie ließen die Hände auf Vendale’s Brust liegen.

»Er hat mehrere Tage im ersten Schutzhaus zugebracht, Monsieur. Das Wetter war bald gut, bald schlecht.«

»So?«

»Er langte vorgestern in unserm Hospiz an und, nachdem er sich auf dem Boden vor dem Feuer liegend in seinen Mantel eingehüllt, durch Schlaf erfrischt hatte, war er entschlossen weiter zu gehen, um noch vor Eintritt der Dunkelheit das andere Hospiz zu erreichen. Er hatte große Furcht vor jenem Theil des Weges und glaubte, es würde schlechtes Wetter geben.«

»So?«

»Er machte sich allein auf den Weg und hatte kaum die Galerie durchschritten, als eine Lawine —— gerade wie die, welche unfern der Gantherbrücke hinter Ihnen niederfiel ——«

»Ihn tödtete?«

»Wir gruben ihn aus. Er war erstickt und alle Glieder waren ihm gebrochen. Aber, Monsieur, um auf Madame zu kommen. Wir haben ihn auf einer Bahre hergetragen, weil wir ihn hier begraben wollen. Wir müssen mit ihm die Straße herauf, aber Madame darf es nicht sehen. Es würde Unheil bringen, wenn wir die Leiche durch die Ehrenpforte trügen, ehe Madame hindurch gegangen ist. Wir wollen die Bahre auf das Pflaster niedersetzen, von hier gerechnet in der zweiten Querstraße rechter Hand. Wir wollen uns alle vorstellen. Daß Madame sich nicht umsieht nach der zweiten Querstraße rechter Hand! »Es ist keine Zeit zu verlieren. Madame wird sich über Ihr Ausbleiben beunruhigen. Adieu!«

Vendale kehrte zu seiner Braut zurück und zog ihre Hand unter seinen völlig geheilten Arm. Ein hübsches Gefolge wartete ihrer vor dem Hauptportal der Kirche. Sie nahmen ihren Platz an der Spitze des Zuges ein und stiegen die Straße hinab unter dem Läuten der Glocken, dem Abfeuern der Gewehre, dem Flattern der Fahnen, dem Schmettern der Instrumente, dem Vivatrufen, Lachen und Weinen der ganzen aufgeregten Stadt. Die Hüte flogen ab, wo sie vorübergingen, man küßte der Braut die Hände, das ganze Volk jubelte ihr zu: »Des Himmels Segen über das theure Kind! Sieh, dort geht sie in Schönheit und Jugend, sie, die so großherzig sein Leben gerettet hat!«

Nicht weit von der zweiten Straße, rechter Hand, sprach er mit ihr und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Fenster der entgegengesetzten Seite. Als sie bei der Ecke vorüber waren sagte er: »Sieh Dich nicht um, mein Liebling. Ich habe meine Gründe zu der Bitte,« und wendete den Kopf zurück. Da, wie er die Straße hinauf sah, erblickte er die Bahre und ihre Träger allein durch den grünen Bogen gehen, während er und sie und der Hochzeitszug hinab schritten dem glänzenden Thal entgegen.

E n d e


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