Der Polizist und die Köchin

IV.

In weiteren vierzehn Tagen hatte sich Frau Zebedäus soweit erholt, dass sie die notwendige Erklärung abgeben konnte, nachdem die Vorsichtsmaßregeln vorausgegangen waren, die bei Personen in solcher Lage angewendet zu werden pflegen. Der Gerichtsarzt war jetzt nicht mehr unschlüssig, sie für eine geistig gesunde Frau zu erklären. Häuslicher Dienst war ihre Stellung im Leben gewesen. Sie hatte zuletzt vier Jahre lang als Kammerzofe bei einer Familie gelebt, welche in Dorsetshire wohnte. Das einzige Bedenken, das gegen sie erhoben werden konnte, war ein zeitweiliges Nachtwandeln, das es notwendig machte, dass ein anderer weiblicher Dienstbote in demselben Zimmer schlief, die Tür verschlossen hielt und den Schlüssel unter seinem Kopfkissen liegen hatte.

In jeder anderen Hinsicht wurde die Kammerzofe von ihrer Herrin als »vollkommenes Kleinod« beschrieben.

In den letzten sechs Monaten ihres Dienstes trat ein junger Mann namens Johann Zebedäus, mit einem schriftlichen Zeugnis versehen, als Bedienter in das Haus ein. Er verliebte sich alsbald in die nette kleine Kammerzofe und diese erwiderte aufrichtig seine Liebe.

Sie hätten wohl jahrelang warten müssen, ehe sie in der finanziellen Lage waren, sich zu verheiraten, wenn Zebedäus nicht bei dem Tode seines Oheims ein kleines Vermögen von 2000 Pfund als Erbe zugefallen wäre. Sie waren nun für Leute ihres Standes reich genug, um vergnügt zu leben, und sie verheirateten sich aus dem Hause weg, in welchem sie beide gedient hatten, wobei die kleinen Töchter der Familie als Brautjungfern mitwirkten, um der Frau Zebedäus ihre Zuneigung zu beweisen.

Der junge Gatte war ein vorsichtiger Mann; er beschloss, sein kleines Kapital in der Weise vorteilhaft anzulegen, dass er in Australien die Pachtung einer Schafzüchterei übernahm. Seine Frau machte keinen Einwand. Sie war bereit, ihm überallhin zu folgen. Demgemäß brachten sie ihre kurz bemessenen Flitterwochen in London zu, um selbst das Fahrzeug zu besichtigen, in welchem sie ihre Überfahrt machen wollten. Sie begaben sich in die Pension der Frau Großcapel, weil Zebedäus’ Oheim dort sich gewöhnlich aufgehalten hatte, wenn er nach London kam. Erst nach 10 Tagen sollte die Einschiffung stattfinden. Dies gewährte dem jungen Paare willkommene Feiertage und die Aussicht, sich nach Herzenslust an den Sehenswürdigkeiten dieser großen Stadt zu ergötzen. Am ersten Abend ihrer Anwesenheit in London gingen sie ins Theater. Sie waren beide an die frische Landluft gewöhnt und daher nahe daran, bei der hier herrschenden Hitze und dem Dunste des Gases zu ersticken. Indessen hatten sie an der ihnen neuen Unterhaltung ein solches Vergnügen, dass sie am nächsten Abend ein anderes Theater besuchten. Dort fand Zebedäus die Hitze unerträglich. Sie verließen das Theater und kehrten gegen 10 Uhr in ihre Wohnung zurück.

Ich will das übrige in den eigenen Worten der Frau Zebedäus erzählen. Sie sagte:

»Wir saßen kurze Zeit in unserem Zimmer und plauderten miteinander. Das Kopfweh meines Mannes wurde immer schlimmer. Ich überredete ihn, zu Bette zu gehen, und damit er um so schneller einschlafen möchte, löschte ich das Licht aus, da ja das Feuer im Kamin hinreichende Helle verbreitete, sich dabei zu entkleiden. Aber mein Mann war zu aufgeregt, um zu schlafen. Er bat mich, ihm etwas vorzulesen. Bücher machten ihn zu jeder Zeit schläfrig. Ich selbst hatte noch nicht begonnen, mich auszukleiden. Ich zündete das Licht wieder an und schlug das einzige Buch auf, welches ich besaß. Mein Mann wurde an einem Bücherstande des Bahnhofs auf dasselbe durch den Titel »Die Welt des Schlafes« aufmerksam. Er pflegte mit mir darüber zu scherzen, dass ich eine Nachtwandlerin sei, und mit den Worten: »Hier ist etwas, was dich sicherlich interessiert,« machte er mir das Buch zum Geschenk.

Ehe ich ihm noch eine halbe Stunde vorgelesen hatte, war er fest eingeschlafen. Da ich zum Schlafe keine Neigung verspürte, las ich für mich weiter. Das Buch interessierte mich in der Tat. Es enthielt eine schreckliche Geschichte, welche sich meines Gemütes bemächtigte, die Geschichte eines Mannes, welcher nachtwandelnd seine eigene Frau erstach. Ich dachte, das Buch wegzulegen, dann aber wurde ich wieder anderen Sinnes und las weiter. Die nächsten Kapitel waren nicht so interessant; sie waren voll von gelehrten Abhandlungen darüber, warum wir einschlafen, was unser Gehirn in diesem Zustande tut, und dergleichen mehr. Die Sache endigte damit, dass ich in meinem Lehnsessel am Kamin ebenfalls einschlief. Ich weiß nicht, wie viel Uhr es war, als der Schlaf kam; ich weiß auch nicht, wie lang ich schlief, oder ob ich träumte oder nicht.

Das Licht und das Feuer im Kamin waren beide abgebrannt, und es war außerordentlich dunkel, als ich erwachte. Ich kann nicht einmal sagen, warum ich erwachte, wenn nicht die Kälte des Zimmers die Ursache war. Auf dem Kamingesims befand sich noch der Rest einer Kerze. Ich suchte nach der Zündholzbüchse und zündete ein Licht an. Alsdann wendete ich mich zum erstenmal nach dem Bette um und sah — —«

Sie sah den toten Körper ihres Gatten, der ermordet wurde, während sie bewusstlos an seiner Seite sich befand — und das arme Geschöpf fiel bei der bloßen Erinnerung daran in Ohnmacht.

Das Gerichtsverfahren wurde wieder vertagt. Sie erhielt alle mögliche Pflege und Aufmerksamkeit, der Geistliche und der Gerichtsarzt waren um ihren Zustand besorgt.

Ich habe noch nichts von dem Zeugnis der Hauswirtin und ihrer Dienstboten gesagt. Es wurde für eine bloße Förmlichkeit gehalten. Das Wenige, was sie wussten, bewies nichts gegen Frau Zebedäus. Die Polizei machte keine Entdeckungen, die ihre erste wahnsinnige Selbstanklage unterstützen konnten. Ihr letzter Dienstherr und seine Frau sprachen von ihr in den schmeichelhaftesten Ausdrücken. Wir befanden uns in einem vollständigen Stillstand.

Man hatte bis jetzt für das Beste gehalten, Herrn Deluc nicht dadurch in Unruhe zu versetzen, dass man ihn als Zeugen vorlud. Die Tätigkeit des Gesetzes war indessen in diesem Falle durch eine vertrauliche, gelegentliche Mitteilung beschleunigt worden, die wir von dem Geistlichen erhalten hatten. Nachdem er Frau Zebedäus zweimal gesehen und mit ihr gesprochen hatte, war der ehrwürdige Herr überzeugt, dass sie nicht mehr als er selbst mit der Ermordung ihres Gatten zu tun hatte; er hielt es indessen nicht für gerechtfertigt, eine ihm gemachte vertrauliche Mitteilung weiter zu sagen — er wollte nur empfehlen, dass Herr Deluc aufgefordert werden möchte, bei der nächsten gerichtlichen Verhandlung zu erscheinen. Dieser Rat wurde befolgt.

Die Polizei hatte noch kein Beweismaterial gegen Frau Zebedäus, als die Untersuchung wieder aufgenommen wurde. Damit sie der Schlussverhandlung beiwohne, wurde sie auf die Zeugenbank verwiesen. An dem Umstande, dass sie zuerst die Wahrnehmung von der Ermordung ihres Gatten machte, als sie in früher Morgenstunde erwachte, wurde so schnell wie möglich vorübergegangen. Nur drei Fragen von Wichtigkeit wurden an sie gestellt.

1. (nachdem ihr das erhobene Messer vorgelegt worden war) »Haben Sie jemals dieses Messer in dem Besitze Ihres Gatten gesehen?« »Niemals!« »Wussten Sie etwas von demselben?« »Durchaus nichts!«

2. »Verschlossen Sie oder Ihr Gatte die Tür des Schlafzimmers, als Sie aus dem Theater heimkehrten?« »Nein!« »Verschlossen Sie selbst etwa später die Tür?« »Nein!«

3. »Haben Sie irgendwelchen Grund anzugeben, der vermuten ließe, dass Sie Ihren Gatten in einem Zustande des Nachtwandelns ermordet haben?« »Keinen Grund, wenn nicht denjenigen, dass ich damals nicht bei Sinnen war, und dass das erwähnte Buch mir den Gedanken dazu eingegeben haben könnte.«

Darauf wurden die anderen Zeugen veranlasst, aus dem Gerichtssaal abzutreten. Nunmehr wurde über den Inhalt der Mitteilung des Geistlichen verhandelt. Frau Zebedäus wurde gefragt, ob irgendetwas Unangenehmes zwischen ihr und Herrn Deluc vorgekommen sei. »Ja.« Sie sagte, er habe sie allein auf der Treppe des Gasthauses erfasst und die Kühnheit gehabt, ihr seine Liebe zu erklären; ja er habe die Beleidigung so weit getrieben, dass er versucht habe, sie zu küssen. Sie habe ihm darauf das Gesicht zerschlagen und ihm erklärt, dass ihr Gatte davon erfahren würde, falls seine üble Ausführung sich wiederholen sollte. Deluc war wütend, dass er das Gesicht zerschlagen hatte, und drohte: »Sie werden dies noch zu bedauern haben!«

Nach stattgefundener Beratung und auf das Ansuchen unseres Inspektors wurde beschlossen, Herrn Deluc für jetzt über die Aussage der Frau Zebedäus noch im Ungewissen zu lassen. Als die Zeugen zurückgerufen wurden, machte er dieselbe Aussage, die er schon vor dem Inspektor gemacht hatte. Dann wurde er befragt, ob er etwas von dem Messer wisse. Er betrachtete dasselbe, ohne dass irgendein Anzeichen der Schuld auf seinem Gesichte erschien, und schwur, dass er dasselbe bis zu diesem Augenblicke nicht gesehen habe. Die wieder aufgenommene Untersuchung nahm ihr Ende, und noch war nichts entdeckt worden.

Aber wir hielten ein wachsames Auge auf Herrn Deluc. Unsere nächste Aufgabe bestand darin, zu versuchen, ob wir ihn nicht mit dem Ankaufe des Messers in Verbindung bringen könnten. Aber es schien in dieser Sache wirklich eine Art Verhängnis zu sein, denn auch hier wieder kamen wir zu keinem verwendbaren Resultat. Es war ja leicht, die Großfabrikanten herauszufinden, die das Messer in Sheffield angefertigt hatten, an dem Fabrikzeichen, das sich auf der Klinge befand.

Aber dieselben verfertigten zehntausende solcher Messer und gaben dieselben an Einzelverkäufer über ganz Großbritannien hin weiter – vom Auslande zu geschweigen. Um aber die Person ausfindig zu machen, welche die unvollständige Inschrift angefertigt hatte, so konnten wir, da wir nicht wussten, wo und von wem das Messer gekauft wurde, ebenso gut nach der sprichwörtlichen Nabel im Heubündel suchen. Unser letztes Hilfsmittel war, das Messer, die mit der Widmung versehene Seite oben, photographieren zu lassen und Abdrücke davon an jede Polizeistation des Königreichs zu senden.

Zu gleicher Zeit rechneten wir noch mit Herrn Deluc, indem wir Nachforschungen über sein vergangenes Leben anstellten, mit der Möglichkeit zu erfahren, ob er und der Ermordete sich gekannt und ob sie vielleicht früher einen Streit oder eine Nebenbuhlerschaft wegen einer Frau miteinander gehabt hatten. Keine Entdeckung der Art belohnte unsere Anstrengungen. Wir vermuteten zwar, dass Deluc ein liederliches Leben geführt hat und in schlechter Gesellschaft verkehrt hatte, doch hatte er sich so verhalten, dass ihn das Strafgesetz nicht erreichen konnte.

Es kann ein Mann ein verdorbener Landstreicher sein, er kann eine Frau beschimpfen und ihr in dem ersten empfindlichen Schmerz, den ihm ein zerschlagenes Gesicht verursacht, Drohworte entgegengeschleudert haben, aber aus diesen Charakterblößen folgt noch nicht, dass er den Gatten der Frau in der Stille der Nacht ermordet hat.

Als wir nochmals aufgefordert wurden, Bericht zu erstatten, konnten wir noch keine Beweismittel beibringen. Die Verschickung der Photographie führte nicht dazu, den Eigentümer des Messers zu ermitteln und dessen unfertige Inschrift zu erklären.

Der armen Frau Zebedäus wurde gestattet, sich zu ihren Freunden zu begeben, unter der ausdrücklichen Zusage von ihrer Seite, wieder zu erscheinen, wenn sie dazu aufgefordert werde. Zeitungsartikel fingen an zu untersuchen, wie viele Mörder wohl zu entkommen pflegen, indem sie die Polizei irreführen.

Die Staatsbehörde setzte eine Belohnung von hundert Pfund für die zur Ermittelung des Täters führende Auskunft fest. Aber Wochen gingen vorüber, und niemand machte auf diese Belohnung Anspruch. Unser Inspektor war nicht der Mann, der leicht zu schlagen war. Weitere Nachforschungen und Untersuchungen folgten. Aber es ist unnötig, etwas über sie zu sagen. Wir unterlagen in allen unseren Anstrengungen, und so hatte die Sache ihr Ende, soweit sie die Polizei und das Publikum betraf.

Die Ermordung des armen jungen Mannes entschwand bald wie so mancher andere unentdeckte Mord der allgemeinen Aufmerksamkeit.

Nur eine unbedeutende Person war töricht genug, in ihren Mußestunden beharrlich die Lösung der Frage zu versuchen: Wer hat den Zebedäus ermordet? Er hatte das Gefühl, dass er zu der höchsten Stellung im Polizeidienste sich emporschwingen könne, wenn er da einen Erfolg erringe, wo ältere und bessere Leute nichts ausgerichtet hatten, und er hielt an seinem eigenen kleinen Ehrgeiz fest, obgleich ihn jedermann verlachte. In deutlichem Englisch gesprochen: Ich war dieser Mann.


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