Die Heirat im Omnibus



Neuntes Kapitel.

Eine außerordentliche Mattigkeit und tiefe Melancholie verschleierte Das, was ich während der langen Tage meiner Wiedergenesung empfand. Nach dem ersten Ausbruck des Kummers an jenem Abende, an welchem ich meine Schwester wieder erkannt und ihren Namen gemurmelt, während sie neben mir saß, fühlte ich mich in einem Zustande, den ich mit Worten nicht beschreiben kann. Ich will nicht sagen, welche Erinnerungen an die Verbrecherin, durch welche ich verrathen und dem Unglücke geweiht worden, sich jetzt unaufhörlich und verrätherisch in mein Herz schlichen.

Die Körperkräfte kehrten allmählich zurück; aber meine moralische Energie deutete durch Nichts an, daß sie sich auch wieder emporzurichten gedachte.

Ueber die Ursache meiner langen Krankheit, über die seltsamen Worte, die mir in meinem Delirium entschlüpft waren, beobachtete mein Vater. ein so vollkommenes Schweigen und meine Schwester eine solche Zurückhaltung, daß mir dadurch auf zarte Weise zu verstehen gegeben ward, daß nun der Augenblick gekommen sei, wo ich meiner Familie das späte verhängnißvolle Geständniß meines Fehltritts zu machen hätte. Dennoch aber hatte ich nicht den Muth, zu sprechen, und nicht Entschlossenheit genug, um mich auf Alles gefaßt zu machen.

Die so schreckliche Vergangenheit verrammelte mir die Gegenwart eben so wie die Zukunft. Die Spannkraft meines Geistes schien erschlafft zu sein, und ich glaubte, meine Thätigkeit sei für immer erstorben.

Es gab Augenblicke —— besonders in den ersten Morgenstunden, wenn ich, obschon wach, doch mich noch nicht vollständig ermuntern konnte —— wo ich mir die Wirklichkeit des Unglücks, in welches ich versenkt worden, nur mit Mühe zu denken vermochte, wo es mir schien, als wenn während der Nacht meine Träume mir Scenen von Verbrechen und grausame Situationen vorgeführt hätten, in welche ich niemals wirklich versetzt gewesen.

Und in der That war Margarethens Verbrechen auch von der Art, daß man nur mit Mühe daran glauben konnte.

Ich hatte ihr alle Opfer gebracht, welche ein Mann bringen kann.

Ein ganzes Jahr lang hatte ich ihr unausgesetzt Beweise von meiner glühenden und aufrichtigen Liebe gegeben —— ich hatte mich zu Allem verstanden. Wo sollte ich daher die Gründe finden, welche mir erklärten, weßhalb sie eine so treue Hingebung und Anhänglichkeit auf so nichtswürdige, verworfene Weise gelohnt? Worin bestand das Geheimniß jener furchtbaren Gewalt, welche Mannion, selbst wenn sie die verworfenste der Frauen war, über Margarethe Sherwin ausgeübt hatte, um sie zu diesem Verrathe an mir zu bewegen?

Mannion! —— Eins der seltsamen Resultate der Geisteskrankheit, welche mich heimgesucht, war, daß ich mir seit den Tagen des Beginns meiner Genesung, und obschon meine Gedanken Margarethen nicht von Mannion trennten, mich doch nicht gefragt hatte, von welcher Art der Ausgang unseres Kampfes wohl für ihn gewesen sei. Nun sollte jedoch bald der Augenblick kommen, wo der Wunsch, mich nach dem, Schicksale Mannion’s zu erkundigen, mich mehr als jeder andere Gedanke beherrschen und meinem Geiste seine Wachsamkeit, meinem Herzen seine Mannhaftigkeit wiedergeben sollte.

Eines Abends saß ich allein in meinem Zimmer. Mein Vater war mit Clara ausgegangen, damit sie sich ein wenig Bewegung machen und freie Luft schöpfen möchte, und der Diener, welcher gewöhnlich bei mir war, hatte sich auf meinen ausdrücklichen Wunsch ebenfalls entfernt. In dieser Stunde der Ruhe und Einsamkeit und während das Abend dunkel hereinbrach und ich am Fenster saß und das Scheiden des Tages beobachtete, erwachte jener Gedanke plötzlich in meinem Herzen, und ich fragte mich:

»Ist Mannion todt oder lebendig von den Steinen aufgehoben worden, auf welche ich ihn nieder geschleudert hatte?«

Unwillkürlich sprang ich mit einem Grade der Kraft, welcher mir bei guter Gesundheit eigen war, auf die Füße. Ich wiederholte diese Frage mir immer wieder —— ich murmelte sie leise vor mich hin —— ich fühlte, daß mein Leben noch kein ganz zweckloses war —- daß ich noch Absichten zu verwirklichen und Pläne auszuführen hatte. Wie konnte ich den Zweifel, der über eine so ernste Thatsache in meinem Gemüthe erwacht war sofort aufhellen?

Einen Augenblick lang versank ich in Berechnung aller Arten von Wahrscheinlichkeiten, und kurz nachher ging ich in die Bibliothek hinunter.

Hier wurden die Nummern einer täglich erscheinenden Zeitung, nachdem mein Vater sie gelesen, aufbewahrt. Wenn ich dieselben nachlas, so konnte ich die verhängnißvolle Frage vielleicht in wenigen Minuten entscheiden. Meine Unruhe und Ungeduld war so groß, daß ich kaum die Blätter umwenden und deutlich die Buchstaben lesen konnte, indem ich die Nummer von dem Tage suchte, an welchem ich Margarethen hatte laut als mein Weib anerkennen sollen.

Endlich fand ich die gesuchte Nummer; aber die mit sehr kleiner Schrift gedruckten Colonnen tanzten vor einen Augen. Ich ergriff ein nicht weit von mir stehendes Glas Wasser, tauchte mein Taschentuch hinein und erfrischte mir die brennend heißen Augen. Von der Entdeckung, die, ich im Begriffe stand zu machen, hing das Schicksal meines künftigen Lebens ab.

Ich verschloß sorgfältig die Thür, um von Niemandem gestört zu werden, kehrte dann zu meiner Aufgabe zurück und suchte weiter. Langsam fuhr ich mit meinen Fingern auf allen Seiten des Blattes Colonne für Colonne und Artikel für Artikel herab.

Als ich beinahe bis an den Fuß der letzten Seite gekommen war, las ich Folgendes:

»Räthselhafter Vorfall.«

»Heute Morgen Ein Uhr hat der im ***Square Dienst habende Polizeimann mitten auf der öffentlichen Fahrstraße einen Mann, der einer distinguirten Klasse der Gesellschaft anzugehören scheint, mit dem Gesichte auf dem Boden liegend gefunden. Allem Anscheine nach hatte der Unglückliche das Leben verloren. Er war auf einen Theil der seit kurzer Zeit macadamisirten Straße gefallen und hatte sich, wie man uns versichert, durch das Aufschlagen auf den frisch aufgefahrenen spitzen Granit das Gesicht fürchterlich verstümmelt. Der Polizeimann hat ihn sofort in das Hospital *** bringen lassen, wo man ihm sofortige Pflege angedeihen ließ und bemerkte, daß er noch athmete. Man versichert uns, daß der Wundarzt es als unbedingt unmöglich betrachtet, daß ein einfacher Fall so schwere Verletzungen habe herbeiführen können, wenn er nicht vielleicht durch den Zusammenstoß mit einem mit voller Schnelligkeit fahrenden Wagen oder durch eine von einem Unbekannten ausgeübte Gewalt veranlaßt worden wäre. Wenn jedoch dies Letztere stattgefunden hat, so ist die Absicht, zu stehlen, nicht der Beweggrund dazu gewesen, denn die Uhr dieses Unglücklichen, seine Börse, ja sogar seine Ringe, haben sich noch bei ihm vorgefunden. Dagegen fand man in seinen Taschen weder eine Visitenkarte noch Briefe irgend welcher Art, und seine Wäsche war bloß mit einem M. gezeichnet. Er trug ein durchgängig schwarzes Abendgesellschaftscostüm. Nach Dem, was man über die Art und Weise sagt, auf welche sein Sturz ihn entstellt hat, kann man bis jetzt kein besonderes Zeichen der Wiedererkennung verlangen. Wir erwarten mit Spannung die Aufschlüsse, welche uns erlauben werden, etwas Näheres über diese räthselhafte Angelegenheit zu erfahren, sobald der Verwundetes im Stande sein wird, sich selbst zu erklären. Der letzte Umstand, den unser Nachrichtgeber im Stande gewesen ist, in dem Hospitale zu erfahren, ist der, daß der Chirurg das Lebens des Patienten zu retten und ihm ein Auge zu erhalten hoffe —— das andere ist dagegen rettungslos verloren.«

Ein Abscheu vor mir selbst, durch Gefühle herbeigeführt, die ich damals eben so wenig analysiren konnte als jetzt, bemächtigte sich meiner beim Lesen des soeben mitgetheilten Artikels Ich beeilte mich mit fieberhafter Ungeduld, die nächstfolgende Nummer durchzublättern, fand aber in dieser Nichts, was auf den Gegenstand meiner Nachforschung Bezug gehabt hätte.

In der zweitfolgenden jedoch kam man mit folgenden Worten darauf wieder zurück:

»Das Geheimnis welches den traurigen Vorfall von *** Square umgiebt, wird immer dichter. Der Verwundete ist wieder zur Besinnung gekommen. Er ist vollkommen im Stande, Alles, was man zu ihm sagt, zu hören und zu verstehen. Er vermag sogar zu sprechen, obschon sehr schwach und nur ganz kurze Zeit. Die Inspectoren des Hospitals hofften, eben so wie wir, daß der Unglückliche sobald er wieder zur Besinnung käme, einige Erklärungen über die Art und Weise geben würde, auf welche der furchtbare Unfall, der ihn in einen solchen Zustand versetzt hat, herbeigeführt worden ist. Zum großen Erstaunen Aller aber weigert der Kranke sich hartnäckig, irgend eine der Fragen zu beantworten, die man an ihn über die Umstände gethan hat, durch welche sein Leben auf diese Weise in Gefahr gekommen ist. Es scheint vollkommen vergeblich zu sein, ihn bestimmen zu wollen, auf vernünftige Weise das Schweigen zu erklären, hinter welches er sich verschanzt. Er scheint ein Mann von ungewöhnlicher Festigkeit des Charakters zu sein, und augenscheinlich liegt in diesem systematischen Widerstande gegen alle an ihn gerichteten Aufforderungen etwas Anderes als augenblicklicher Eigensinn. Man möchte daraus fast den Schluß ziehen, daß das ganze unglückliche Ereigniß das Werk persönlicher Rache sei, nur daß der Verwundete den Urheber derselben nicht der Entrüstung des Publikums Preisgeben wolle —- aber aus welchem Grunde? Dies weiß man nicht. Wir hören, daß Alle, welche Zutritt zu dem Verwundeten haben, über die Standhaftigkeit erstaunen, mit der er seine schweren Leiden erträgt. Der Schmerz vermag ihm weder ein Wort noch einen Seufzer auszupressen. Er hat keine Miene gezuckt, als der Arzt ihm mittheilte, daß eins seiner Augen hoffnungslos verloren sei, und auf die Andeutung, daß das andere ihm erhalten werden würde, hat er verlangt, daß man ihm, sobald er sich desselben wieder bedienen könne, Schreibmaterialien bringe. Er hat hinzugefügt, daß er in der Lage sei, das Hospital für die ihm geschenkte Pflege durch ein angemessenes Geschenk, sobald er wiederhergestellt sein würde, zu entschädigen. Seine unerschrockene Kaltblütigkeit unter grausamen Leiden, welche die Mehrzahl anderer Menschen der Fähigkeit des Denkens oder des Sprechens berauben würden, ist eben so bemerkenswerth als sein unbeugsamer Entschluß, das Geheimniß zu wahren, ein Geheimniß welches wir, wenigstens für den Augenblick, nicht hoffen können zu durchdringen.«

Ich legte das Journal wieder an seinen Ort.

Eine unbestimmte Ahnung Dessen, was diese unerklärliche Zurückhaltung Mannion's für mich bedeutete, durchzuckte mich.

Nach meiner eigenen Erfahrung die teuflische Schlauheit und geduldige Verstellung beurtheilend, welche in diesem verruchten Herzen wohnte, betrachtete ich es, nachdem ich diese Artikel gelesen, als gewiß, daß ich in Zukunft noch mehr Gefahren und Hindernissen zu trotzen haben würde als in der Vergangenheit. Die größten Gefahren harrten meiner auf dem Boden des Abgrundes, in welchen ich gestürzt war.

So wie diese Ueberzeugung mich durchdrang, fühlte ich die entnervende Erinnerung an die Liebe, welcher ich mich geopfert, schwächer werden. Die bitteren Thränen, welche ich« während so vieler vergangener Tage im Stillen vergossen, versiegten Mit dem Gefühle des bevorstehenden Kampfes fühlte ich die Kraft des Duldens und des Widerstandes wieder in mir erwachen.

Als ich die Bibliothek verließ, ging ich wieder in mein Zimmer hinauf. Ehe ich mir weitere Auskunft im Bezug auf Mannion verschaffte, wünschte ich Etwas über seine Mitschuldige zu erfahren, über das Weib, welches vor den Menschen noch das Recht hatte, sich meine Gattin zu nennen.

Mehrere während meiner Krankheit eingegangene Briefe waren in einen auf dem Tische stehenden Korb geworfen worden.

Ich hatte sie noch nicht geöffnet. Bis jetzt hatte mir der Muth gefehlt, sie zu lesen, oder vielmehr, ich hatte mich nicht darum gekümmert. ich zu dieser Aufgabe bereit.

Indem ich die Adressen der Briefe durchsah bemerkte ich darunter zwei, die mir vielleicht Aufschlüsse geben konnten. Ich erkannte nämlich Mr. Sherwin’s Handschrift.

Der erste, den ich öffnete, war vor ungefähr einem Monate geschrieben und enthielt Folgendes:

»Nordvilla, Hollyoake Square.
»Geehrter Herr!

»Nur ein Vater, und zwar ein sein Kind zärtlich liebender Vater, kann sich einen Begriff von dem Gefühlen des bittern Kummers machen, welcher mich erfüllt, indem ich von dem fluchwürdigen Verbrechen spreche, welches jener Heuchler, der verworfene Mannion, an uns begangen. Sie werden sehen, daß meine unschuldige und unglückliche Tochter eben so wie ich und wie Sie das Opfer des teuflischsten Betruges gewesen ist, durch welchen man jemals achtbare, harmlose Leute zu hintergehen versucht hat. Ich überlasse Ihnen, sich selbst vorzustellen, was ich empfand, als in jener verhängnißvollen Nacht meine geliebte Tochter, anstatt ruhig wie gewöhnlich nach Hause zurückzukommen, plötzlich in einem an Wahnsinn grenzenden Zustande ins Zimmer gestürzt kam, um mir die entsetzlichste Mittheilung zu machen, welche jemals dem Ohre eines Vaters beschieden gewesen ist Dieser nichtswürdige Mannion hat, ihre Unschuld und ihr Vertrauen —- ich kann sagen, unser Aller Unschuld und unser Aller Vertrauen —- benutzend, meine Tochter, die nichts Arges ahnte, in eine Spelunke gelockt, und hier, während sie sich in seiner Gewalt befand, die Unverschämtheit gehabt, ihr die verworfensten Anträge zu machen. Meine Margarethe hat einen tugendhaften Muth gezeigt, wie man ihn von ihrem Alter kaum erwarten sollte. Sie ist dem Nichtswürdigen mit einer Entrüstung und Kühnheit entgegengetreten, vor der er zurückbeben mußte, und die das natürliche Resultat der frommen und streng moralischen Grundsätze ist, welche ich ihr von ihrer Kindheit an eingeprägt habe. Brauche ich noch zu sagen, wie die Sache endete? Die Tugend siegte, wie sie stets siegt. Der feige Verbrecher suchte das Weite und überließ meine Tochter sich selbst. In dem Augenblicke, wo sie sich der Schwelle der Thür näherte, um die Flucht zu ergreifen und sich in die Arme ihrer Eltern zu««werfen, ist sie, wie sie sagt, in Folge eines höchst merkwürdigen Zufalls Ihnen begegnet. In Ihrer Eigenschaft als Mann von Welt begreifen Sie leicht, wie groß unter so unerwarteten und fürchterlichen Umständen die Bestürzung einer jungen Frau sein mußte. Ueberdies zeigten Sie, wie es scheint, eine so abschreckende und außerordentliche Miene, und meine arme Margarethe fühlte so lebhaft, wie sehr der trügerische Anschein gegen sie war, daß der Muth ihr entsank und sie, wie ich schon gesagt habe, die Flucht ergriff, um sich in die Arme ihrer-Eltern« zu werfen. Sie besitzt noch die ganze Reinheit und Unschuld eines Kindes, und hat bei diesem beklagenswerthen Vorfalle auch wie ein solches gehandelt. Sie hat sich von dieser Erschütterung noch nicht wieder erholt. Der gereizte Zustand ihrer Nerven herrscht noch auf sehr beunruhigende Weise vor. Sie fürchtet, daß Sie nur zu geneigt sein werden dem Scheine zu glauben; aber ich kenne Sie besser. Ihre Erklärung wird Ihnen genügen, eben so wie sie mir genügt hat. Wir können in unserer Anschauungsweise hinsichtlich gewisser Einzelheiten aus einander gehen; aber in der Hauptsache sind wir Beide von einem und demselben Vertrauen beseelt —-— Sie auf Ihre Gattin und ich auf meine Tochter.

»Ich bin in dem Hause Ihres würdigen Vaters gewesen, um mit Ihnen mich vollständiger auszusprechen als es auf dem Papiere geschehen kann. Es geschah dies gleich an dem Morgen nach jenem für uns Alle so betrübenden Abenteuer. Man sagte mir aber, daß Sie sehr krank seien, und ich bitte Sie, sich in dieser Beziehung meines aufrichtigen Bedauerns versichert zu halten. Das Erste, woran ich sodann dachte. war, an Ihren geachteten Vater zu schreiben und ihn um eine Unterredung unter vier Augen zu bitten. Ich überlegte mir jedoch die Sache reiflicher und dachte, es gezieme mir vielleicht nicht, einen solchen Schritt auf mich allein zu nehmen, so lange Sie noch das Bett hüten müßten und nicht im Stande - wären, mit Ihrer Erklärung voranzugehen oder mich dann bei der meinigen zu unterstützen. Es war in der That möglich, daß, wenn ich als einfacher Fremdling unser kleines Geheimniß hinsichtlich Ihrer Vermählung offenbarte, dadurch eine für beide Seiten peinliche Uneinigkeit herbeigeführt worden wäre, auf welche man später wieder hätte zurückkommen müssen, besonders nach Dem, was Sie mir bei mehreren Gelegenheiten über die Ansichten und Gesinnungen Ihres geehrten Vaters mitgetheilt haben. Sie werden dem nach begreifen, daß ich Bedenken trug, Etwas zu unternehmen, was gegen Ihr Interesse oder gegen das Interesse meiner lieben Tochter gewesen wäre, um so mehr, als ich wußte, daß ich das Certificat über die rechtmäßig vollzogene Vermählung in der Tasche habe und es im Nothfalle als Beweis produzieren kann, wenn ich vielleicht aufs Aeußerste getrieben und genöthigt werden sollte, in dieser Angelegenheit auf eigne Faust zu handeln. Jedoch, wie ich schon gesagt habe, ich hege zu der Biederheit Ihrer Gesinnungen das väterlichste und freundschaftlichste Vertrauen, und weiß, daß Sie von der vollkommenen Unschuld meiner lieben Tochter eben so fest überzeugt sind als ich. Aus diesem Grunde werde ich über diesen Gegenstand Nichts weiter sagen.

»Da ich auf alle Fälle entschlossen bin, Ihre vollständige Wiederherstellung abzuwarten, so behalte ich meine liebe Tochter Margarethe zu Hause, wo sie ganz eingezogen lebt, bis Sie die Güte haben werden, uns zu besuchen und sie in Gegenwart ihrer Familie und der Ihrigen als Ihre Gattin anzuerkennen. Ich habe nicht verfehlt, mich beinahe alle Tage, bis zu dem Augenblicke, wo ich Ihnen schreibe, nach Ihrem Befinden erkundigen zu lassen und werde damit fortfahren bis zu Ihrer Wiederherstellung welche, hoffe ich, nicht lange mehr auf sich warten lassen wird. Sobald Sie daher im Stande sein werden, meine Tochrer und mich wiederzusehen, werden Sie die Güte haben, uns zu unsrer ersten Zusammenkunft irgend einen Ort zu bestimmen, denn in der Nordvilla kann sie unglücklicher Weise nicht stattfinden. Meine Frau, deren fortwährende Kränklichkeit uns schon seit mehreren Jahren Nichts als Unruhe und Beschwerde gemacht, hat nämlich in Folge jenes verhängnisvollen nächtlichen Auftrittes den Verstand ganz verloren und spricht sich über die Nichtswürdigkeit Mannion’s und über die muthige Weise, auf welche Margarethe ihm entronnen ist, in Worten aus, welche das Gefühl eines jeden verständigen Menschen verletzen müssen. Sie wäre daher auch im Stande, uns bei unsrer Unterredung ans höchst störende Weise zu unterbrechen, und ich ersuche Sie daher, unsre erste Zusammenkunft nicht in meinem Hause stattfinden zu lassen.

»Ich hoffe, daß dieser Brief jede unangenehme Idee aus Ihrem Gemüthe verbannen wird, und indem ich baldige Nachricht von Ihrer vollständigen Genesung zu erhalten hoffe, verbleibe ich Ihr gehorsamer Diener

»Stephen Sherwin.«

»N. S. —- Ich bin noch nicht im Staude gewesen, zu erfahren, wohin dieser Schurke von Mannion geflohen ist. Mögen Sie dies nun aber eher als ich erfahren oder nicht, so muß ich Ihnen sagen, um Ihnen zu beweisen, daß meine Entrüstung gegen seine Nichtswürdigkeit eben so groß ist als die Ihrige, daß ich bereit bin, ihn mit der ganzen Strenge des Gesetzes zu verfolgen, wenn nämlich das Gesetz ihn erreichen kann, indem ich mir vorbehalte, aus meiner Tasche alle Kosten zu bezahlen, welche vielleicht aufgewendet werden müssen, um ihn zu züchtigen und für sein ganzes noch übriges Leben unschädlich zu machen.«

Troß der Eile, mit der ich dieses fade, widerliche Schreiben durchlief, entdeckte ich jedoch sofort, welche neue Machination angezettelt worden, um mich in meinem Irrthume zu erhalten und um mit derselben Frechheit gegen mich Unrecht auf Unrecht zu häufen.

Margarethe wußte nicht, daß ich ihr in das Innere des Hauses gefolgt war, daß ich von ihrer Stimme und von der Mannion’s Alles gehört. Sie glaubte, daß ich nicht wüßte, was vor dem Augenblicke, wo ich ihr an der Hausthür begegnete, geschehen sei, und in dieser Ueberzeugung hatte sie die erbärmliche Lüge erfunden, welche ihr Vater mit seiner Hand aus das Papier übertragen.

War er wirklich von seiner Tochter getäuscht worden oder war er nicht vielmehr ihr Mitschuldiger? Diese Frage verdiente indessen nicht, daß ich mich damit beschäftigte. —— Die schwärzeste und traurigste Entdeckung, die ich machen konnte, hatte sich bereits herausgestellt —- Margarethe war eine Heuchlerin und Verrätherin durch und durch.

Und dies war das Wesen, welches mir gleich bei der ersten raschen Bewegung erschienen war wie der Stern, auf welchen ich mein ganzes Leben lang meine Blicke heften müßte; um dieses Weibes willen hatte ich meiner Familie gegenüber mich ein ein Trugsystem verwickelt, an welches ich jetzt nicht denken durfte, ohne mich vor mir selbst zu entsetzen! Um dieses Weibes willen hatte ich allen Folgen des Zornes meines Vaters getrotzt und mich muthwillig dem Verluste aller Vortheile ausgesetzt, welche Geburt und Vermögen mir bieten konnten!

Wenn ich dies überlegte, gährte der Zorn in mir und Verzweiflung nagte an meinem Herzen. Warum war ich wieder aufgestanden von dem Bette, auf welches jene schwere Krankheit mich geworfen? Besser, weit besser für mich wäre es gewesen, wenn ich gestorben wäre.

Da aber das Leben mir noch lieb war, so brachte es auch seine Prüfungen und Kämpfe mit sich, vor welchen zurückzuweichen nicht bloß vergeblich, sondern auch verbrecherisch gewesen wäre.

Es blieb mir demzufolge Nichts weiter übrig, als auch noch von Mr. Sherwins zweitem Briefe Kenntniß zu nehmen. Ich mußte seine ganze Bosheit kennen lernen, um sie vollständig besiegen zu können.

Dieser zweite Brief war weit kürzer als der erste und allem Anscheine nach vor höchstens zwei oder drei— Tagen geschrieben. Der Ton, welchen Mr. Sherwin darin anschlug, war ein anderer. Er schmeichelte mir nicht mehr, sondern begann mir zu drohen.

Gestützt auf die Nachricht von meiner Genesung, welche mein Diener seit einigen Tagen gemeldet, fragte er mich, warum ich ihm bis jetzt noch nicht die mindeste Antwort hätte zu Theil werden lassen. Er deutete mir an, daß mein Schweigen völlig zu meinem Nachtheile gedeutet werden müsse, und wenn ich dabei beharrte, so würde er die gerechte Sache seiner Tochter laut und öffentlich zur Kenntniß, nicht bloß meines Vaters, sondern auch der ganzen Welt bringen.

Der Brief endete damit, daß mir insolenter Weise drei Tage Frist gegeben wurden.

Einen Augenblick lang vermochte ich meine Entrüstung nicht zu bemeistern. Ich erhob mich, um mich sofort nach der Nordvilla zu begeben und dort die Elenden zu entlarven, welche mit mir noch immer so leichtes Spiel zu haben glaubten wie in der Vergangenheit.

Noch ehe ich aber die Thür geöffnet hatte, besann ich mich. Ich bedachte, daß meine erste Pflicht, die größere Verbindlichkeit, die ich mir geschaffen, darin bestehe, sofort Alles meinem Vater zu bekennen. Ich mußte vor allen Dingen die Situation kennen lernen, in welcher ich künftig meiner Familie gegenüber stehen würde.

Ich kehrte an den Tisch zurück und raffte die zerstreut auf demselben umher liegenden Briefe zusammen. Mein Herz klopfte schneller, mein Kopf schwindelte, aber ich hatte den festen Entschluß gefaßt, meinem Vater, was auch daraus folgen würde, mein unglückliches Geheimnis; zu offenbaren.

Ich blieb in Einsamkeit und Dunkel, bis es ganz finster war.

Der Diener brachte mir Licht.

Warum fragte ich ihn nicht, ob Clara und mein Vater wieder nach Hause gekommen seien? Ward mein Entschluß schon wankend?

Nicht lange darauf hörte ich Geräusch auf der Treppe und man pochte an meine Thür War es mein Vater? Nein, es war Clara.

Ich versuchte, als sie eintrat, von gleichgültigen Dingen mit ihr zu sprechen.

»Wie! »bist Du denn bis in die sinkende Nacht spazieren gegangen, Clara?« »

»Wir sind nicht weit gewesen. Weder Papa noch ich bemerkten, daß der Abend schon so weit vorgerückt war. Wir sprachen von Dingen, die uns Beide in hohem Grade interessieren.«

Sie schwieg einen Augenblick und heftete ihre Augen auf die Diele. Dann näherte sie sich mir mit einer gewissen Hast und setzte sich neben mich auf einen Stuhl. Ein eigenthümlicher Ausdruck von Trauer und Unruhe malte sich auf ihrem Gesichte, während sie fortfuhr:

»Und erräthst Du nicht, was das Thema unsrer Unterredung war? Du selbst warst es, Sidney. Unser Vater wird sogleich zu Dir kommen, er will mit Dir sprechen. Vorher aber wollte ich Dir sagen —— ich wollte Dich bitten ——«

Sie stockte. Eine matte Röthe überzog ihre Wangen, und wie um sich zu fassen, begann sie mehrere auf dem Tische umherliegende Bücher zu ordnen.

Plötzlich hielt sie in dieser mechanischen Beschäftigung inne, die Röthe schwand aus ihrem Antlitze, sie war ganz bleich, als sie wieder zu sprechen begann, und ihre Stimme war merklich verändert -—- so auffallend verändert, daß ich einen Augenblick lang zweifelte, ob es die ihre wäre.

»Du weißt, Sidneh, daß Du uns seit langer, seit sehr langer Zeit eine wichtige Angelegenheit verheimlicht hast. Mir hattest Du versprochen, Dein Geheimniß zuerst zu enthüllen, aber ich habe mich anders besonnen. Ich wünsche nicht mehr dieses Geheimniß zu wissen, lieber Bruder, und es wäre besser, wenn davon zwischen uns nie die Rede gewesen wäre.«

Sie erröthete und ihr Zögern verrieth sich abermals, dann setzte sie in ernstem Tone sehr rasch hinzu:

»Ich hoffe jedoch, daß Du unserm Vater Alles sagen wirst. Er kommt hierher, um Dir dieses Geständniß abzufordern. Ach, lieber Sidney, sei offen gegen ihn, verbirg ihm Nichts. Wir wollen unter einander wieder sein wie wir früher, wie wir voriges Jahr waren. Du hast Nichts zu fürchten, dafern Du offenherzig und ohne Rückhalt sprichst, denn ich habe ihn beschworen, sich gegen Dich gut und nachsichtig zu zeigen, und Du weißt, daß er mir Nichts abschlägt. Ich bin jetzt bloß gekommen, um Dich aufzufordern; Vertrauen und Vernunft zu zeigen. Doch still! Ich höre einen Tritt auf der Treppe. Also erkläre Dich, Sidney, aus Liebe zu mir! Ich beschwöre Dich, die Erklärung zu geben, welche von Dir verlangt werden wird; dann laß mich das Uebrige thun.«

Und sie verließ mit einem gewissen Grade von Eile mein Zimmer.

Eine Minute später trat mein Vater ein.

Vielleicht täuschte mich mein schuldiges Gewissen, aber es schien mir, als wenn er mich mit einer traurigen, strengen Miene betrachtete, die ich noch nicht an ihm wahrgenommen hatte. Seine Stimme zitterte ebenfalls, als er sprach —- ein bei ihm sehr bedeutsames Symptom.

»Ich komme, Sidney, um mit Dir von einer Sache zu sprechen, welche Du selbst zuerst hättest zur Sprache bringen sollen.«

»Ich glaube, zu errathen, was Du meinst, lieber Vater, und ich ——«

»Ich muß, Dich bitten, mich mit der ganzen Geduld anzuhören, welche Dir zu Gebote steht,« antwortete er. »Ich werde kurz sein.«

Es trat eine Pause ein, während welcher ein schwerer Seufzer sich seiner Brust entrang. Ich glaubte eine gewisse Rührung in seinem Blicke zu bemerken. Ich fühlte mich fast gedrängt, mich an seine Brust zu werfen, meinen Thränen, die mich zu ersticken drohten, freien Laus zu lassen und ihm zu bekennen, daß ich nicht mehr werth sei, sein Sohn zu heißen.

O, daß ich diesem Impulse nachgegeben hätte! O, daß wir immer auf die Stimme des Engels hörten, welcher in unserm Innern flüstert!

»Sidney,« fuhr mein Vater in gleichzeitig ernstem und traurigem Tone fort, »ich hoffe und glaube, daß ich mir in meiner Handlungsweise gegen Dich sehr wenig Vorwürfe zu machen habe. Ich glaube mich zu rechtfertigen, wenn ich sage, daß sehr wenig Väter gegen ihren Sohn so gehandelt haben würden, wie ich während des ganzen verflossenen Jahres, wo nicht schon seit noch längerer Zeit an Dir gehandelt habe. Vielleicht habe ich im StilIen über das beklagenswerthe Geheimniß geseufzt, welches Dich uns seit einiger Zeit entfremdet hat. Vielleicht habe ich Dir durch mein Benehmen den Schmerz zu erkennen gegeben, den ich darüber empfand, aber niemals habe ich meine Autorität gebraucht, um Dich zu zwingen, über Dein Verhalten eine Erklärung abzugeben, welche Du Dich so hartnäckig weigertest, uns auf freien Antrieb mitzutheilen. Ich vertraute auf die Ehre und Moralität meines Sohnes. Ich werde auch jetzt noch nicht glauben, daß dieses Vertrauen am unrechten Orte gewesen ist; aber es hat mich, fürchte ich, verleitet, all zulange die Pflichten der Wachsamkeit zu vernachlässigen, die ich über Dich, zu Deinem eignen« Besten, üben sollte. Jetzt muß ich diese Nachlässigkeit büßen. Die Umstände lassen mir keine Wahl mehr, Sidney, es liegt mir als Vater und als Haupt unserer Familie viel daran, zu wissen in Folge welches schweren Unglücksfalles mein Sohn besinnungslos von der öffentlichen Landstraße aufgehoben worden und hierauf in eine Krankheit. verfallen ist, welche seinen Verstand und sein Leben gefährdet hat. Du bist jetzt so weit wiederhergestellt, daß Du mir es sagen kannst, und ich stütze mich einfach auf die Autorität, welche Gott mir über meine Kinder gegeben, wenn ich Dir sage, daß ich Alles wissen muß, daß Du mir die ganze Wahrheit sagen mußt, sollte diese Erzählung auch Dich und mich demüthigen. Wenn Du Dich jetzt noch weigerst, so werden von diesem Augenblicke an unsre Beziehungen sich für das ganze Leben ändern.«

»Ich weigere mich nicht, lieber Vater, sondern bitte Dich bloß im Voraus, zu glauben, daß, wenn ich mich schwer an Dir vergangen habe, die Strafe meines Fehltritts mich schon erreicht hat. Ich fürchte jedoch, daß selbst Deine traurigsten Ahnungen unmöglich auf das vorbereitet haben, was ——«

»In Deinem Fieberwahnsinn hast Du Worte gesprochen, die, ich gehört nach denen ich Dich aber nicht beurtheilen will, obschon sie meine traurigsten Ahnungen rechtfertigen würden.«

»Meine Krankheit hat mir den grausamsten Theil meiner grausamen Prüfung erspart, wenn sie Dich auf das Geständniß vorbereitet hat, welches ich thun muß, und wenn Du muthmaßest ——«

»Ich muthmaße nicht, sondern bin nur zu fest überzeugt, daß Du, mein zweiter Sohn, von welchem ich ein ganz andres Benehmen erwartete, im Geheimen Deinem Bruder in seinen beklagenswerthen Verirrungen gefolgt, ja, wie ich fürchte, sogar noch weiter gegangen bist als er.«

»Meinem Bruder? Meine Fehltritte wären die meines Bruders Ralph?«

»Ja, Deines Bruders« Ralph Meine letzte Hoffnung ist, daß Du wenigstens auch Ralph’s Offenheit nachahmen werdest. Wisse seine beste Eigenschaft von ihm zu entlehnen, eben so wie Du Dir schon an seinen Lastern ein Beispiel genommen hast.«

Als ich meinen Vater so sprechen hörte, erstarrte mein Herz und schlug nur noch schwach.

Wie weit, wie schrecklich weit entfernt war mein Vater, nur im Mindesten zu ahnen, was wirklich geschehen war!

Ich machte einen Versuch, auf seine letzten Worte zu antworten, aber plötzlich dachte ich an die Demüthigung, an den ewigen Kummer, der aus meinem Geständnisse für ihn hervorgehen müßte, und ich verstummte.

Als er nach einer kurzen Pause wieder zu sprechen begann, war sein Ton streng und er heftete einen forschenden unerbittlichen Blick auf mich.

»Ein Mann Namens Sherwin,« sagte er, »ist jeden Tag hier gewesen, um sich nach Deinem Befinden zu erkundigen. In welchem Verhältnisse stehst Du zu diesem mir gänzlich unbekannten Manne, daß er sich die Freiheit nimmt, so oft in unserm Hause zu erscheinen und seine Fragen mit einer Vertraulichkeit in seinem Tone und in seinen Manieren zu thun, welche unsre Dienstleute betroffen gemacht hat? Wer ist dieser Mr. Sherwin?«

»Er ist —— doch ich muß von einer früheren Zeit anfangen -— ich muß ——«

»Ja, Du mußt weiter zurückgehen als Du thun zu können scheinst Du mußt bis zu der Zeit zurückgehen, wo Du mir Nichts zu verschweigen hattest und, wo Du mit der Offenheit und Wahrheitsliebe eines jungen Mannes von guter Geburt zu mir sprachst.«

»Ich bitte um ein wenig Geduld, lieber Vater; gestatte mir einige Minuten, um mich zu sammeln. Ich muß in meinen Ideen erst klar werden, ehe ich Dir Alles sage.«

»Alles -—— Alles? Dein Ton sagt mehr als Deine Worte. Dieser wenigstens ist aufrichtig. Ich habe das Schlimmste gefürchtet, aber wie es scheint, bin ich in meinen Befürchtungen doch noch nicht weit genug gegangen. Sidney, verstehst Du mich? Sidney, Du zitterst auf seltsame Weise —— wie bleich Du wirst!«

»Ich fürchte, ich bin noch nicht wieder so kräftig als ich zu sein gedachte. Mein Vater, mein Herz ist eben so gebrochen wie meine Denkkraft. Habe ein wenig Geduld, sonst bin ich nicht im Stande, mit Dir zu sprechen.«

Es war mir, als sähe ich seine Augen feucht werden. Er bedeckte sie einige Secunden lang mit der Hand und seufzte wieder so schwer und bekümmert, wie ich es kurz vorher schon ein Mal gehört.

Ich machte eine Anstrengung, um mich von meinem Stuhle zu erheben und mich ihm zu Füßen zu werfen. Er deutete diese Bewegung irrig und faßte mich am Arme, denn er glaubte, ich würde ohnmächtig werden.

»Für heute Abend ist es genug, Sidney,« sagte er hastig, obschon in sehr sanftem Time. »Sprechen wir erst morgen weiter hierüber.«

»Jetzt kann ich sprechen, lieber Vater. Es wird besser sein, wenn ich mich sofort erkläre.

»Nein, nein, Du bist zu aufgeregt. Ich glaubte Dich wieder kräftiger. Morgen früh —— morgen früh wollen wir weiter sprechen, wenn Du gut geschlafen hast. —— Nein, nein, ich mag jetzt Nichts mehr hören. Begieb Dich zur Ruhe. Ich will deiner Schwester sagen, daß sie Dich heute Abend nicht weiter stören soll. -—- Morgen kannst Du ganz nach Deinem Belieben mit mir sprechen, ohne unterbrochen zu werden und ohne Dich zu übereilen. Gute Nacht, Sidney, gute Nacht.«

Ohne zu warten bis ich ihm die Hand reichte, ging er rasch nach der Thür, als, ob er die quälenden Befürchtungen die sich augenscheinlich seiner bemächtigten, meiner Beobachtung entziehen wollte. In dem Augenblicke aber, wo er im Begriffe stand, das, Zimmer zu verlassen zögerte er, drehte sich noch einmal herum -— sah mich mit sehr wehmüthiger Miene einen Augenblick lang an reichte mir die Hand, drückte die meinige, ohne Etwas zusagen, und ließ mich allein. Stand wohl zu erwarten, daß er, sobald diese Nacht einmal vorüber wäre, mir je wieder sie Hand reichen würde?


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