In der Dämmerstunde



Die Erzählung des Anglers von der Lady von Glenwith Grange

Einleitung

Meine Maler Tätigkeit war nicht immer mit menschlichen Bildnissen beschäftigt, sondern man überließ mir auch das Malen von Pferden, Hunden, Gebäuden u.s.w. Einmal hatte ich sogar den Auftrag, einen Stier, der der Ruhm, aber auch oft der Schrecken seines — Dorfes war, zu malen, der, nebenbei bemerkt, mein unruhigster Kunde war. Das Tier hatte den treffenden Namen: »Donner und Blitz.« Sein Eigentümer war ein entfernter Verwandter von meiner Frau; ein gebildeter Pächter, namens Garthwaite. Dass der Stier mich nicht auf seine Hörner nahm und tötete, bevor ich noch sein Bild vollendet hatte, ist mir bis heute unerklärlich. Als »Donner und Blitz« mich und meine Malergeräthschaften erblickte, wurde er so wütend, dass zwei Männer ihn halten mussten, während ihm ein dritter einen Ring durch die Nasenlöcher zog; nun erst konnte ich zu malen anfangen. Aber das Tier machte fortwährend Anstrengung, sich zu befreien. Er schüttelte sein riesiges Haupt und rollte die großen Augen wild vor Verdruss, dass er mich nicht aufspießen konnte, da ich mir erlaubte, ihn fortwährend fest anzublicken.

Als ich das Bild von meinem unruhigen Kunden kaum halb vollendet hatte, ging ich eines Morgens mit meinem Freunde zu dem Stall des Tieres; es kam uns aber schon auf dem halben Wege einer der Gutsarbeiter entgegen und meldete, dass »Donner und Blitz« heute in einer so außerordentlich wilden Laune sei, dass es unmöglich sein würde, an seinem Bilde zu arbeiten.

Ich blickte fragend auf meinen Freund, den Gutsherren, dieser lächelte und bemerkte: Nun, wenn es heute nicht geht, so wird es morgen gehen! — Hätten Sie nicht Lust, Mister Kerby, heute mit mir eine Angelpartie zu unternehmen, da der Stier Ihnen Ferien gibt?

Ich gestand aufrichtig, dass ich nichts von der Fischerei verstünde; aber Mister Garthwaite war ein so eifriger Angler, dass ihn mein Geständnis durchaus nicht störte: »Daran ist nichts zu lernen,« entgegnete er, »ich werde Sie in kurzer Zeit zu dem geübtesten Angler machen, wenn Sie meinen Anweisungen folgen.«

Es war unmöglich, noch länger zu widerstreben und ich nahm mit geheimem Widerwillen die erste Angelrute in meine Hand.

»Wir werden jetzt aufbrechen!« sagte Mister Garthwaite; »ich werde Sie nun zu dem besten Mühlbach führen, der hier in der ganzen Nachbarschaft ist.«

Mir war das ziemlich gleichgültig, ob wir früher oder später gingen, ob der Mühlbach gut oder schlecht sei. Ich ging geduldig und etwas missvergnügt mit.

Nachdem wir eine Weile gegangen waren, hörte ich schon deutlich das Rauschen des Wassers.

Garthwaite bezeichnete nun eine recht tiefe Stelle des Wassers als die geeignetste für den Fischfang, und bevor ich noch meine Angelschnur abgewickelt hatte, ließ er die seinige schon ruhig auf dem Wasser schwimmen.—

Das Losmachen war nicht die einzige Schwierigkeit bei meiner neuen Beschäftigung, denn nachdem ich die Schnur glücklich von der Rute gelöst hatte, griff der Angelhaken in meine Kleidungsstücke, und ich fing, statt der Fische, meinen Hut, mein Jaquet, meine Weste, Hosen und schließlich meinen Daumen. Ein böser Geist musste in den Angelhaken gefahren sein, denn nun ward auch gar mein Hemd von ihm gefangen, kurz, ich hatte mich selbst gefesselt und konnte nicht von der Stelle. Mein Freund sprang helfend herbei und mit der Hilfe meines Taschenmessers gelang es ihm auch bald, mich von dem Haken zu befreien. Nachdem diese Unannehmlichkeit beseitigt war, fingen wir ernstlich an zu angeln.

Wir fingen wohl einige kleine Fische, die indes nicht viel wert waren. Ich wunderte mich, dass wir bei unserer langweiligen Beschäftigung noch einen Zuschauer fanden.

Der Müllergeselle hatte sich auf das Gitter eines kleines Gärtchens gestützt und blickte unaufhörlich, und wie es schien, mit großer Aufmerksamkeit auf unsere Angeln. —

Nachdem wir ungefähr zwei Stunden vergeblich nach größeren Fischen geangelt hatten, erklärte Mister Garthwaite, es müsse in der Nacht ein Fischdieb dagewesen sein, der die großen Bewohner des Baches weggefangen habe. — Dann forderte er mich auf, mit ihm noch weiter zu gehen, er wolle mir ergiebigere Stellen für die Angel zeigen. Die kleinen Weißfischchen, die bei uns angebissen hatten, wurden verächtlich in die feuchte Tiefe zurückgeschleudert und ihnen das Leben bis zu einem andern Besuche geschenkt.

Wir gingen; aber der unermüdliche Müllers blieb noch immer wie festgenagelt auf seinem Beobachtungsposten.

»Warten Sie ein wenig!« sagte Mister Garthwaite, nachdem wir ein Weilchen schweigend neben einander gegangen waren, »ich habe eine glückliche Idee! Da wir doch diesen Tag zum Angeln bestimmt haben, so will ich Sie wohin führen, wo wir nicht wieder vergeblich unsere Angeln auswerfen werden; außerdem kann ich Sie da gleich einer Dame vorstellen, welche Sie sehr interessieren wird, denn sie hat eine höchst merkwürdige Lebensgeschichte, die ich Ihnen ja gelegentlich einmal erzählen kann.«

»Wirklich?« fragte ich. »In welcher Beziehung ist denn ihre Geschichte merkwürdig?«

»Sie steht im Zusammenhang mit den Verhältnissen ihrer Familie, die hier in einem alten Hause in unserer Nachbarschaft auch lebte. Die Dame heißt eigentlich Miss Welwym aber die armen Leute hier in unsrer Gegend, die sie vergöttern, nennen sie die Lady von Glenwith Grange. Fragen Sie mich nicht weiter nach ihr, bis Sie sie gesehen haben! Sie lebt in strenger Zurückgezogenheit und ich bin fast der einzige Besuch, den sie empfängt; auch darf ich wohl einen Freund mitbringen, weil die Dame weiß, dass ich nie Missbrauch von ihrer Erlaubnis gemacht habe,« sagte Garthwaite.

»Die Lady wohnt kaum zwei Meilen von hier und in der Nähe ihres Hauses ist das fischreiche Glenwith-Becken, wie die Leute es hier nennen, dort werden wir unsere Angeln auswerfen.«

Während wir gingen, wurde Mister Garthwaite schweigsam und gedankenvoll, was mir umso mehr auffiel, da es seine gewöhnliche Art nicht war. Die Erinnerung an Miss Welwyn musste also diese Veränderung in ihm hervorgebracht haben. Ich schritt schweigend neben ihm einher und spähte, ob sich Glenwith Grange noch immer nicht erblicken ließe.

Wir hielten endlich bei einer kleinen Kirche an, welche an dem äußersten Ende eines hübschen Dörfchens stand. Die niedrige Kirchhofmauer war von einer Seite von Bäumen begrenzt, es befand sich hinter den Bäumen ein kleines Gitter, dessen Tür Mister Garthwaite öffnete, wir gingen durch und traten in ein Gebüsch, welches zu dem bezeichneten Wohnhaus führte.

Wir kamen an der Rückseite des Gebäudes an, weil wir einen Privatweg eingeschlagen hatten. Ich blickte zu dem Hause hinauf und gewahrte an einem der Fenster ein ungefähr neunjähriges Mädchen, welches uns kommen sah. Ich musste sie einen Augenblick betrachten, denn ihr dunkles Haar und ihr reiner Teint harmonierten so schön zusammen. Ihr Gesicht hatte eine unaussprechliche Anziehungskraft und ich mochte mein Auge nicht von ihr wenden. —

Mister Garthwaite sah meine Aufmerksamkeit für das hübsche Gesichtchen; er ergriff meinen Arm und flüsterte mir zu: »sagen Sie nicht, dass Sie das arme Kind gesehen haben! Ich werde Ihnen später mitteilen warum.« Dann führte er mich schnell nach der Vorderfront des Hauses.

Es war ein traurig aussehendes altes Gebäude mit einem großen Grasplatz davor. Schlingpflanzen umzogen die großen Steine, die hier und dort zerstreut lagen und rankten auch angeordnet bis zu den niedrigen Fenstern hinauf.

Eine Grabesstille hing über das Haus und seine nächste Umgebung; — sie schien mich auch ergriffen zu haben, denn als mein Gefährte die Hausglocke zog, wollte es mir wie ein Unrecht erscheinen, dass diese heilige Ruhe so plötzlich gestört werden sollte. Als die alte Dienerin die Tür öffnete, dachte ich es mir noch immer unwahrscheinlich, dass wir diese Schwelle überschreiten würden; doch wir traten in das Haus. Das Innere des Hauses zeigte dieselbe Stille als seine äußere Umgebung; kein Hundegebell ließ sich hören, es knarrten weder Türen noch steckten neugierige Dienstleute die Köpfe hervor. Wir traten in ein großes saalartiges Zimmer, welches halb wie ein Bibliothek-Zimmer, halb wie ein Frühstückszimmer erschien. Auf einem Stuhle lag zusammen gekauert eine Angora-Katze und schlief und in einem großen Käfig saß stumm und ernst ein alter grauer Papagei. Mister Garthwaite sprach nicht; er hatte sich an das Fenster gestellt und blickte nach außen. Ich unterbrach die allgemeine Schweigsamkeit nicht, sondern blickte neugierig im Zimmer umher; denn ich wollte von seiner Ausstattung auf den Charakter der Eigentümerin schließen.

Zuerst fesselten meine Aufmerksamkeit zwei mit Büchern bedeckte Tische. Sonderbar! Die moderne Literatur, die in unseren Tagen von Millionen verschlungen wird, war auch nicht durch ein Exemplar hier vertreten. Jedes Werk, welches ich ansah, hatte schon vor fünfzehn oder zwanzig Jahren das Licht der Welt erblickt. Die Noten waren auch alle aus der Zeit Haydn’s und Mozarts. Man sah, die Besitzerin liebte es, sich in frühere Zeiten zu versetzen; denn alle geistigen Werke, die hier vorhanden waren, hatten ein viertel Jahrhundert hinter sich. Als ich mich noch mit diesen Bemerkungen beschäftigte, öffnete sich die Tür und die Dame des Hauses erschien selbst.

Man sah es ihr an, dass der Frühling des Lebens längst hinter ihr lag; aber trotzdem hatte ich doch früher nie ein Gesicht gesehen, welches so viel von seiner ehemaligen Schönheit bewahrt hatte. Wahrscheinlich waren schwere Sorgen an dieser Dame vorübergegangen, aber sie hatten ihr Antlitz nicht entstellt, sondern ihm nur den Ausdruck der Entschlossenheit verliehen. Ihr Gesichtsausdruck war jugendlich geblieben, aber das Haar fing an zu ergrauen, und um den Mund zogen einige seine Fältchen und der Ernst in ihrem Auge zeugte von beginnendem Alter. An dem Ton ihrer Stimme konnte man leicht erkennen, dass sie viel gelitten habe; aber diesen Leiden war es doch nicht gelungen, das Äußere dieser Erscheinung zu Grunde zu richten. Mister Garthwaite und die Dame begrüßten sich wie Verwandte, denn 59 ihre Freundschaft war schon eine seit langer Zeit bestehende.

Unser Besuch war ein kurzer. Die Unterhaltung bewegte sich in ganz gewöhnlicher Weise, ich hatte also nur Gelegenheit, die Dame nach der Ausstattung ihres Zimmers zu beurteilen, und doch hatte sie mich so gefesselt, dass ich es sehr ungern sah, als wir uns so schnell wieder entfernten. Ich bedauerte, dass ich ihr nie näher treten konnte, denn ich fühlte deutlich, dass sie weder geneigt sei, neue Bekanntschaften anzuknüpfen, noch konnte ich, ein Fremder hoffen, ihre Sympathie für mich erweckt zu haben.

Sobald wir uns von Miss Welwyn verabschiedet hatten und auf dem Wege zu dem Bach waren, drückte ich meinem Begleiter meinen Dank für diese interessante Bekanntschaft aus und bat ihn, mir doch etwas über die Dame oder das Kind mitteilen zu wollen; allein er entgegnete, dass er mir dann erst die Geschichte der Lady erzählen wolle, wenn wir bei dem Angeln sein würden. Nach fünf Minuten war auch das Bächlein erreicht dessen Wasser anmutig von den Bäumen gefärbt erschien; es floss leise murmelnd dahin. Wir setzten uns nahe nebeneinander unter die Bäume, deren Zweige über dem Wasser hingen, und nachdem Garthwaite seine und meine Angel in das Wasser gesenkt, begann er die folgende Geschichte.


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