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Siebentes Kapitel - Die Spur von Arthur Carr

Während Matthias Grice rückwärts und vorwärts zwischen den verschiedenen Städten herumreiste, war das Leben seines jungen Freundes und Gesellschafters in der Metropolis keineswegs ohne Zufall und Wechsel geblieben. Zack hatte seine Abenteuer so gut erlebt wie Mat. Eins davon war ganz besonderer Natur und führte zu einem solchen Resultat, dass dadurch eine wesentliche Veränderung in der Häuslichkeit des Logis zu Kirk Street eintrat.

Treu seinem gegebenen Versprechen, präsentierte sich Zack am Morgen der Abreise seines Freundes gegen elf Uhr in Mr. Strathers Hause, überreichte sein Empfehlungsschreiben und ward von diesem Gentleman noch am Vormittage als Student des Classisch-Schönen-Ideals in die Statuenhalle des Britischen Museums eingeführt. Er arbeitete resolut genug, bis die Zimmer geschlossen wurden; dann kehrte er nach Kirk Street zurück, keineswegs sehr erfreut über die neue Beschäftigung; doch wollte er fest darin ausharren, weil er beschlossen hatte, sein Wort zu halten.

Jedoch gewann sein Kunstleben ein ermutigendes Ansehen, als Mr. Strather ihn am Abende in die Little-Bilge-Street-Academie einführte. Hier dienen lebende Menschen als Modelle zum Studium. Hier war er frei im Gebrauch der Palette und konnte alle möglichen Farben mischen. Hier fand er hochstrebende Studenten der schönen Kunst, leicht in Sitten und malerisch in der Tracht, mit denen er sehr bald intim wurde. Und hier —— die Krone des Vergnügens —- hier fand er einen herkulischen Boxer als Modell sitzend, mit dem er freudevoll eine ewige Boxerfreundschaft schloss, und zwar sogleich bei seiner ersten Anwesenheit in Mr. Strathers Akademie.

Durch die übrigen folgenden Tage seiner Probezeit arbeitete er mit außerordentlicher Entschlossenheit, aber mit unendlich kleinen Fortschritten. Er schmierte mit großer Betriebsamkeit unter Mr. Strathers Oberaufsicht die ganzen Abende hindurch, bis die Sitzung geschlossen ward. Es wäre aber dann besser für ihn gewesen, wenn er sogleich nach Niederlegung seines Pinsels nach Hause gegangen wäre, aber in einer unglücklichen Stunde lungerte er noch in Little-Bilge-Street herum, als seine Abendstudien schon vorüber waren. Er schwatzte mit dem Boxermodell und willigte in einem unbewachten Augenblicke ein, bei einer Fechtübung in einer benachbarten Taverne als Patron zu fungieren.

Bei keiner andern Gelegenheit zeigen diese Gentlemen mehr Freiheit und Unabhängigkeit (besser gesagt: Unbändigkeit) des Geistes als bei solchen Gelegenheiten der scherzhaften Preiskämpfe unter einem selbstgewählten Patron. Sie lärmen und schreien unaufhörlich, suchen eines Patrons Taschen und Hut zu bekommen, um sich zu maskieren, unterwerfen aber schließlich ihren selbstgewählten Schutzherrn jeder Art von körperlicher Misshandlung. Zack natürlich sollte ebenfalls die hohe Ehre, als Patron einer gemischten Klopffechtergesellschaft fungiert zu haben, teuer genug bezahlen. Nachdem der Faustkampf eine Zeit lang ordnungsmäßig geführt war, wurde er plötzlich durch einen der Patrone (ebenfalls ein Schüler der Bilge-Street-Academie) mit der Erklärung unterbrochen, dass seine Tasche entwendet sei und er darauf bestehe, dass die Tür geschlossen und die Polizei ihre Tätigkeit beginnen solle. Große Aufregung und Störung entstand, wobei aber Zack die Bitte seines Kameraden zu warm unterstützte. In geringer Entfernung saß ihm ein Gentleman gegenüber, welcher ein Pflaster über dem Auge und eine an drei Stellen geschundene Nase hatte. Dieser schwor, dass der junge Thorpe ihn persönlich beleidigt, weil er ihn als Dieb bezeichnet habe, und indizierte seine Ehrlichkeit und seinen moralischen Wert dadurch, dass er einen Käseteller an Zacks Kopf warf. Der Teller traf an der Seite des Kopfes, zerbrach daran und verursachte eine sehr große gefährliche Wunde.

Der Chirurg, welcher zuerst Zacks Wunde verband, hielt sie für nicht gefährlich. Als er aber in Kirk Street angekommen und ein nahe wohnender Arzt zu ihm gerufen war, erklärte dieser den Zustand für höchst bedenklich. Die Wunde befand sich zwar nicht an einer sehr gefährlichen Kopfstelle, aber sie war Zack in einem Augenblick hergebracht, wo dessen große Vollblutkonstitution durch geistige Getränke bedenklich aufgeregt gewesen war. Böse Fiebersymptome traten ein und in der Nähe der Wunde kamen Anzeichen zum Vorschein, über welche der Arzt ominös den Kopf schüttelte. —— Kurz gesagt, Zack ward bettlägerig, bekam eine so gefährliche Krankheit, wie er sie noch nie in seinem Leben gehabt, und hatte außer —— seiner Hauswirtin keine einzige Person zur Pflege.

Ein Glück für ihn war es, dass sein geschickter und erfahrener Arzt des Patienten Jugend und Kraft mit als Beistand seiner ärztlichen Behandlung gebrauche. In Zeit von zehn Tagen war der junge Thorpe außer Fiebergefahr.

Unglücklich, schwach und herabgekommen, wollte er seine Mutter durch seine Krankheit nicht beunruhigen. Ohne Valentins Trost und ohne Mats Amüsement sanken seine Lebensgeister immer tiefer und tiefer; seine Niedergeschlagenheit ward so groß, wie noch nie im Leben. In diesem Zustande der Schwäche, Einsamkeit und Gedrücktheit hatte er Momente, wo er an seiner Genesung ganz und gar verzweifelte, trotz der besten Versicherungen des Arztes. Aber noch mehr quälte ihn in dieser Gemütsstimmung der letzte traurige Bericht über die Krankheit seines Vaters. Er verdammte sich bitter, dass er seit seiner Flucht nicht eine einzige Zeile an ihn geschrieben und seine Verzeihung erbeten habe. Gegenwärtig war er zu schwach, die Feder zu führen, aber des Tabakhändlers Frau —— eine gutherzige Person —— war stets bereit alles zu tun, womit sie ihm dienen konnte. Er bat sie, sein Herz dadurch etwas zu erleichtern, dass sie einen reuevollen Brief für ihn an seinen Vater schrieb und denselben sogleich an seine Adresse in Baregrove-Square absenden möge. Sie war schon lange die Vertraute seiner häuslichen Trübsal geworden, (er erzählte dieselbe natürlich jedermann, mit dem er in Berührung kam) und zeigte demzufolge durchaus kein Erstaunen —— ja sie war im Gegenteil über das Bekenntnis seiner Reue sehr erfreut. Unter Tränen und mit stotternder Stimme diktierte er ihr nun folgenden Brief: ——

»Mein teurer Vater!

Ich bin sehr betrübt, dass ich niemals an Dich geschrieben und mir Deine Verzeihung erbeten habe. Ich bitte Dich jetzt von ganzem Herzen um dieselbe denn ich bin in der Tat jetzt sehr reuevoll und über mich selbst beschämt. Willst Du mich einer andern, aber nicht zu harten Prüfung unterwerfen, so werde ich mein Bestes tun und Dir niemals wieder Veranlassung zur Betrübnis geben. Daher bitte ich Dich, schreib mir nach 14 Kirk Street, Wendover Market, wo ich mit einem Freunde zusammenwohne, welcher sehr gütig gegen mich gewesen ist. Bitte gib an meine Mutter die Versicherung meiner innigen Liebe und glaube mir, dass ich bin Dein wahrer reuevoller Sohn

Z. Thorpe junior.

Nachdem er durch diesen Brief sein Herz ein wenig erleichtert hatte und fand, dass seine Hauswirtin sehr bereitwillig war, noch einen zu schreiben, so entschloss er sich auch ein paar Zeilen an Mr. Blyth zu senden, welcher nach seiner Berechnung jetzt vom Lande zurückgekommen sein mochte. An jenem Abend, wo er schwer verwundet nach Hause gebracht ward, hatte er gebeten, dass sein Zustand vor Mrs. Blyth, die seine Adresse wusste, geheim gehalten werden sollte, im Fall sie nach ihm schickte. Dies vorläufige Wort der Vorsicht war nicht nutzlos gesprochen. Ungefähr drei Tage später kam ein Briefchen von Mrs. Blyth, worin sie ihm Vorwürfe machte, dass er seit Valentins Abwesenheit noch nicht wieder im Hause gewesen sei, und ihn zugleich zum Tee für den Abend einlud. Der Bote, welcher auf Antwort wartete, wurde mit der schlauesten mündlichen Entschuldigung, welche die Hauswirtin für diesen Fall ausgedacht hatte, zurückgeschickt, und seitdem kamen keine Einladungen wieder. Mrs. Blyth war zweifellos nicht wohl befriedigt über die kühle Manier, mit der ihre Einladung abgelehnt worden war.

In der gegenwärtigen Beschaffenheit seines Geistes machte ihm aber sein Gewissen Vorwürfe, dass er Valentin betrügen und sein Malheur geheim halten wollte. Außerdem, dass Mats lange Abwesenheit ihn auf den Gedanken brachte, als sei er von Kirk Street für immer desertiert, —— belebte den herzenskranken Zack nur noch die Hoffnung, des Malers geniales Angesicht an seiner Bettseite zu sehen. Daher beschloss er diesem ältesten, wohlwollendsten und mitleidigsten Freunde das zu bekennen, was er seinem Vater nicht einmal anzudeuten wagte.

Das Briefchen, welches er nun seiner Hauswirtin diktierte, war ebenso kindisch, als das an seinen Vater. Er lautete:

Mein teurer Blyth!

Ich fange beinahe an, zu wünschen, dass ich niemals geboren wäre; denn ich bin wieder in eine andere Klemme gekommen, in der ich von einem Boxer mit einem Käseteller an den Kopf geworfen wurde. Es war unrecht von mir, dass ich dahin ging, ich weiß es. Ich ging zu Mr. Strather, just wie Sie mir sagten, und zeichnete — in der Tat! Bitte! kommen Sie, sobald Sie zurückgekehrt sind. —— Ich sende Ihnen diesen Brief und bin sicher, Sie einmal hier zu sehen. Ich bin so krank, so einsam und noch zu schwach, um das Bett verlassen zu können.

Meine Hauswirtin ist sehr gütig und wohlwollend gegen mich; aber hauchen Sie mich nicht an, denn ich bin so schwach, dass ich mich kaum des Weinens enthalten kann, wenn ich an den Vorfall denke.

Ewig Ihr

Z. Thorpe junior.

P. S. Wenn Sie etwas Geld für mich empfangen haben, so würde ich mich sehr erfreuen, wenn Sie es mitbrachten. Ich habe nicht einen Viertelpenny und doch mancherlei zu bezahlen.

Nachdem beide Briefe gehörig versiegelt und adressiert waren, wurden sie durch einen expressen Boten abgeschickt. Sie waren an demselben Tage geschrieben worden, wo Matthias Grice die Advokaten Mr. Tatt und Mr. Nawby in Dibbledean besuchte. Während nun Zacks Briefe auf dem Wege nach ihrer Bestimmung waren, war auch sein alter Freund Mat auf dem Retourwege nach London und Kirk Street.

Baregrove-Square lag dem Boten näher als Valentins Haus; demzufolge hatte er das hochwichtige Schreiben um den väterlichen Pardon zuerst abzuliefern. Von dessen günstiger Aufnahme hing Zacks letzte Chance der häuslichen Versöhnung ab.

Mr. Thorpe saß allein in seinem Speisezimmer —— in demselben Zimmer, worin er so viele beschwerliche Jahre gesessen und mit dem alten Mr. Goodworth über seines Sohnes Erziehung disputiert hatte. Mrs. Thorpe war wegen einer starken Erkältung auf ihr Zimmer beschränkt und konnte ihm deshalb nicht Gesellschaft leisten. Der Arzt hatte ihn soeben verlassen; Freunde waren auf ärztlichen Rat im allgemeinen verbeten, um ihn nicht zu reizen. Er war einsam und hatte die Aussicht —— auch den übrigen Rest seiner Tage einsam verleben zu müssen. Vor ihm auf der Tafel lag ein Band Autographen. Er hatte sie eben durchgesehen, ob irgendetwas zu reinigen oder zu reparieren sei. Daneben lag seine Kamelhaarbürste, ein Mikroskop und nicht weit davon stand ein Fläschchen mit Gummiwasser. Die große Zerrüttung des Nervensystems, woran er nach des Doktors Aussage litt, zeigte sich oft sehr peinvoll, teils in seinen Handlungen, teils in seinen Blicken. Beim geringsten unerwarteten Geräusch in seinem Hause erschrak er, seine fahlen, gelblich-weißen Hände zitterten, wenn er sie von der Tafel emporhob, seine Wangen waren bleich und seine Augen wanderten fortwährend unsicher hin und her.

Seine Aufmerksamkeit war nicht mehr auf die Autographen gerichtet, sondern auf einen vor ihm liegenden offenen Brief. Ein Brief —— welcher ihm Trost und Mut einsprach, jedoch seinem Herzen vermochte keine irdische Hoffnung mehr Glückseligkeit zu gewähren —— und kein irdischer Trost brachte ihm die Ruhe der Seele.

Einige Tage vorher hatten die Bitten seiner Gemahlin und des Doktors Rat ihn doch endlich bewogen, auf seine Gesundheit zu achten und mehr Mittel zu seiner Genesung zu verwenden. Er resignierte daher auf seine Sekretärsstelle bei einer Religionssozietät, deren tätiges Mitglied er bisher gewesen war. Das vor ihm liegende Schreiben, in das er blickte, enthielt die offizielle Meldung der Sozietät, dass sie seine Resignation mit dem tiefsten Bedauern annehme, aber zugleich die inbrünstigen Hoffnungen seiner baldigen Genesung hege. Auch ward er für den Empfang einer Deputation zu morgen vorbereitet, welche ihm eine Dankadresse überreichen solle; dieselbe sei einstimmig von der Sozietät votiert und spreche dankend und bewundernd die Anerkennung seines hohen Charakters und seiner großen Verdienste um die Gesellschaft aus. Er konnte der Versuchung, diesen Brief dem Arzt zu zeigen, nicht widerstehen und sich auch nicht enthalten, ihn noch einige mal zu lesen, bevor er ihn ins Bureau schloss. Dies war in seinen Augen die größte Belohnung und höchste Auszeichnung seines Lebens.

Er sann noch gedankenvoll über die letzte Sentenz desselben nach, als ihm Zacks Brief überreicht ward. Es war nur ein Augenblick gewesen, dass er die Süßigkeit eines wohlgewonnenen Triumphs empfinden konnte —— denn in demselben Augenblick ward auch schon wieder das bittere Gift der früheren Verhältnisse hinein gemischt, welche ihm die schmerzlichste Pein verursachten.

Mit einem schweren Seufzer legte er den ihn hoch ehrenden Brief der Freunde weg und bereitete sich zur Antwort seines flüchtig gewordenen Sohnes vor.

Tiefer Schmerz lag auf seinem Angesicht, als er ihn zum zweiten Mal las, aber kein Ärger und Groll. Er saß eine Weile nachdenkend — dann zog er Tintenfass und Papier zu sich —— zauderte —— schrieb einige Zeilen und pausierte wieder, legte dann die Feder nieder und bedeckte seine Augen mit seiner dünnen zitternden Hand. So saß er einige Minuten, er schien nicht fähig zu sein, seine Gedanken sogleich sammeln und sein Gemüt beruhigen zu können. Endlich nahm er Zacks Brief und seine angefangenen Antwortzeilen und schloss sie in sein Schreibpult. Aber dennoch lag etwas Beruhigung und für Zacks Zukunft Hoffnung verheißendes in den wenigen geschriebenen Zeilen; denn der Brief schien nach der Aufschrift Vergebung zu atmen, er begann: »Mein teurer Zacharias ——«

Bei Ablieferung des zweiten Briefes in Valentins Hause ward dem Boten gesagt, dass Mr. Blyth morgen, spätestens übermorgen zurückerwartet werde. Da Mrs. Blyth ganz über ihres Mannes Korrespondenz während seiner Abwesenheit verfügen konnte, so öffnete sie auch sogleich Zacks Brief, sobald er ihr übergeben ward. Madonna hatte Hut und Shawl zur Hand und wollte eben in Pattys Begleitung ihren täglichen Spaziergang machen, als der Brief ankam.

»Ah, der arme, unglückliche Zack!« rief Mrs. Blyth gleich beim Anblick der ersten Zeilen und sah sehr bestürzt aus. »Er muss in der Tat sehr krank sein«, fügte sie bei näherer Betrachtung der Handschrift hinzu, denn er hat sicherlich dies nicht einmal geschrieben.

Madonna konnte die Worte nicht hören, aber sie bemerkte den betrübten Gesichtsausdruck ihrer Pflegemutter und gab daher ängstlich durch ein Zeichen zu verstehen, dass sie zu wissen wünsche, was sich ereignet habe. Mrs. Blyth überblickte sogleich das ganze Schreiben und vergewisserte sich, dass nichts darin sei, was Madonna nicht wissen dürfte, sie gestattete daher den Einblick des Mädchens, wodurch es sich am leichtesten über den Gegenstand belehren konnte.

»Wie betrübt Valentin sein wird, wenn er dies hört!« dachte Mrs. Blyth und beorderte Patty vermittelst eines Klingelzuges herauf, während Madonna angstvoll den Brief las. Die Hausmagd erschien sogleich und ward von ihrer Gebieterin beauftragt, nach Kirk Street zu geben, sich bei der Hauswirtin über Zacks Zustand zu erkundigen und eine geschriebene Liste der Erquickungsgegenstände, welche ihm mangelten, mitzubringen. »Und dann vergiss nicht zu sagen«, fügte Mrs. Blyth hinzu, »er solle sich über Geldangelegenheit keine Sorgen machen, der Herr werde in ein oder zwei Tagen wieder vom Lande zurück sein.«

Hier ward ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch Madonna in Beschlag genommen, welche erregt und ungeduldig durch Zeichen fragte: »Was sagen Sie zu Patty? Oh! lassen Sie mich wissen, was Sie zu Patty sagen. ——«

Mrs. Blyth wiederholte durch Zeichen des Taubstummen-Alphabets die Instruktion, welche sie soeben der Dienerin gegeben und fügte, Madonnas Blässe und Aufregung beobachtend, hinzu »—— ängstigen wir uns nicht unnötig über Zack, meine teure, er befindet sich vielleicht viel besser, als wir nach diesem Briefe denken mögen.«

»Darf ich auch mit Patty gehen?« fragte Madonna, während die Angst aus ihren Augen sprach und ihre Finger zitterten. »Lassen Sie mich meinen Spaziergang mit Patty machen, just als wenn nichts geschehen wäre; lassen Sie mich gehen! Bitte, lassen Sie mich mitgeben!«

»Das arme Kind kann dort nichts nützen«, dachte Mrs. Blyth, »aber wenn ich sie hier behalte, wird sie sich nur ängstigen und die heftigsten Kopfschmerzen bekommen. Außerdem mag sie jetzt ihren Spaziergang mitmachen, denn ich kann Patty im Verlauf des Tages nicht länger entbehren.« Durch diese Gründe bewogen, gab Mrs. Blyths ihrer Adoptivtochter vermittelst Kopfnicken zu verstehen, dass sie Patty nach Kirk Street begleiten könne. Als ihr die Erlaubnis erteilt ward, verließ sie das Zimmer; auf der Treppe jedoch hielt sie an, gab Patty zu verstehen, dass sie noch einmal zurück müsse und eilte dann in ihr Schlafzimmer. Dort angekommen, schloss sie ein kleines, von Valentin empfangenes Kistchen auf, nahm aus einem Schubfach vier Sovereigns und etwas Silbergeld —— das ganze Ersparnis von ihrem Taschengeld —— wickelte es in ein Papier und eilte wieder zur Treppe hinab. Zack war krank, einsam und elend, sehnte sich nach einem Freunde, welcher ihn auf seinem Krankenlager hätte trösten können —— und sie konnte dieser Freund nicht sein! Aber Zack war arm, das hatte sie in seinem Briefe gelesen; er hatte mancherlei zu bezahlen und bedurfte Geld —— und in dieser Not konnte sie ihm heimlich eine Freundin sein, denn sie vermochte ihm ihr eigenes Geld zu geben. »Meine vier goldenen Sovereigns sollen das erste Geld sein, das er bekommt«, dachte Madonna und nahm vor der Haustür den ihr von der Magd angebotenen Arm. »Ich will es an einen Ort legen, wo er es sicher findet und doch nicht weiß, von wem es kommt. Und Zack soll wieder reich sein —— reich mit all dem Golde, das ich ihm geben kann.« Sovereigns repräsentierten schon einen großen Reichtum in Madonnas Augen; sie hatte daran von ihrem Taschengelde lange —— lange Zeit gespart.

Als sie an des Tabakhändlers Privattür klopften, ward sie sogleich von der Hauswirtin geöffnet; nachdem diese den Zweck der Botschaft vernommen und einige vorläufige Fragen über Zack beantwortet hatte, lud sie beide höflich in ihr Hinterzimmer ein. Aber Madonna blieb noch im Gange stehen und schrieb erst einige Zeilen auf ihre Schiefertafel. Nachdem dies geschehen, zeigte sie dieselben Patty, welche zu ihrem größten Erstaunen las: »Frage, wo sein Krankenzimmer ist, und ob ich hineingehen kann; ich wünsche, mit meiner eigenen Hand etwas dort für ihn zu hinterlassen.«

Patty blickte ihre junge Mistress mit größter Verwunderung an und richtete dann die Frage an die Hauswirtin, indem sie dieselbe mit einer befürwortenden Erklärung einleitete. Die gute Frau Tabakhändlerin goss hierüber ihre Sympathie und Bewunderung in einem großen Wortstrome aus, und als sie endlich endigte, erteilte sie bereitwillig die erbetene Erlaubnis, welche Patty ihrer Lady langsam auf die Schiefertafel schrieb: »Zacks und des andern Gentleman Gastzimmer befände sich in der ersten Etage. Es wäre niemand darin anwesend. Wünscht die Lady sogleich hinaufzugehen ——«

Hier verhinderte Madonna die Magd am Weiterschreiben —— nickte, um anzudeuten, dass sie alles verstanden habe —— und eilte dann leicht und flüchtig zur Treppe hinauf; sie war schon oben an der Tür, als die andern beiden erst langsam nachfolgten.

Das Vorderzimmer war wirklich leer, als sie eintrat; die darin befindliche Flügeltür, welche ins Hinterzimmer führte, stand aber halb offen; sie blickte hindurch und sah Zack in tiefem, ruhigen, fast atemlosen Schlafe liegen. Sie stutzte heftig —— zitterte —— und stand dann bewegungslos, ihn beständig anblickend. Tränen perlten ihr aus den Augen, die Farbe der Wangen veränderte sich und der schmerzliche Puls des Kummers und Mitleids schlug stärker und stärker in ihrem Herzen. Ach! wie blass und bleich, wie mitleidswürdig er da liegt, mit der schrecklichen weißen Bandage um den Kopf; und die hilflose schwache Hand hängt matt von der Bettseite herab! Wie bald verschwand von diesem kräftigen jungen Manne Gesundheit, Schönheit, Kraft und lebhafte Tätigkeit! —— Sie hatte ihn in unschuldiger Reinheit und wahrhaft abgöttisch schon lange im Geheimen verehrt. Ach wie fürchterlich möchte wohl dies Bild im Tode sein, da seine jetzige Erscheinung in stillem ruhigen Schlafe schon schauerlich ist! Sie schauderte bei diesem Gedanken, trocknete ihre Tränen und blickte dann im Zimmer umher. Ihr schnelles weibliches Auge entdeckte sogleich auf einen Blick die schmutzige Unordnung, den beklagenswerten Mangel an Komforts und alle widerlichen Unannehmlichkeiten für den Kranken. Ein wenig Geld würde Zacks Lage bedeutend verbessern und seine baldige Genesung befördern. Sicherlich könnte ihr Geld ihm etwas Komfort verschaffen und seine Wiederherstellung beschleunigen.

Voll von dieser Idee, avancierte sie einige Schritte vorwärts und suchte auf der Tafel einen geeigneten Platz, wo sie ihr Geld niederlegen könnte. Während ihres Suchens fand sie eine alte Zeitung mit einem Bündelchen Haare. Sie waren vom Arzte in der Nähe von Zacks Wunde der besseren Heilung wegen abgeschnitten worden. Madonna hatte sie kaum erblickt, als sie dieselben auch an ihrer hellbraunen Farbe mit schwachem Goldglanz für Zacks Haare erkannte. Eine kleine gekrauste Locke lag etwas seitwärts, diese war ihr ganz besonders begehrenswert —— sie wollte sich dieselbe aneignen, denn Zack könnte doch nicht wissen, dass sie im Besitz derselben sei! Sie zauderte aber noch einen Moment —— indes wurde ihre Sehnsucht nach deren Besitz noch heftiger. Nach einem Blick im Zimmer herum, ob niemand zugegen sei, ergriff sie die Haarlocke und steckte sie schnell in ihren Busen. —— Ihre Augen hatten sich vergewissert, dass niemand im Zimmer anwesend war; wäre sie aber ihres Gehörs nicht beraubt gewesen, so würde sie am Klang der Stimmen vernommen haben, dass sich Personen —— unter ihnen eine männliche Stimme — dem Zimmer näherten. Unwissend darüber, ging sie —— nach Verbergung der Locke —— zur Kaminverzierung, um ihr Geld darauf zu legen, weil sie diese Stelle für den geeignetsten Platz hielt. Kaum hatte sie es niedergelegt, als sie eine Erschütterung empfand, die durch das Öffnen und Schließen der hinter ihr befindlichen Tür verursacht war. Beim Umdrehen erblickte sie Patty, die Hauswirtin und den fremden Freund Zacks mit dem dunkelbraunen Antlitz, welcher ihr den Scharlach-Tabaksbeutel zum Geschenk gemacht hatte.

Schrecken und Verwirrung erfasste sie, als sie denselben nach der Kaminverzierung gehen und das von ihr eben hingelegte Geldpaket nehmen sah. Er hatte nämlich in demselben Augenblick die Tür geöffnet, wo sie das Geld niederlegte und entfaltete nun sorgfältig das Papier, um dessen Inhalt zu prüfen. Während er sich so beschäftigte, ging die ganz konfus gewordene Patty dicht zu ihr, ergriff ihre Schiefertafel und schrieb in größter Eile einige sehr inkorrekte Zeilen darauf. Madonna las aus der schiefen Kritzelei heraus, dass Patty durch den plötzlichen Eintritt des rauen Mietsmannes sehr erschrocken sei, welcher gerade zu derselben Zeit von der Straße eingetreten, wo sie ihrer jungen Mistress ins Zimmer hätte folgen wollen; er habe sich ihr dann auf der Treppe entgegengestellt, um erst von der Hauswirtin über Zacks Krankheit belehrt zu werden. So konfus auch Pattys Schrift war, vermochte Madonna deren Inhalt zu interpretieren und war eben damit beschäftigt, als sie eine schwere Hand auf ihrem Arme fühlte; beim Anblicken sah sie Zacks Freund Zeichen zu ihr machen, indem er ihr das aus den Kamin gelegte Geld wieder in die Hand drückte.

Sie ward darüber etwas verwirrt, aber nicht furchtsam, denn seine Augen drückten weder Verdacht noch Ärger aus. Beide schauten sich einen Augenblick sanft und traurig an. Madonnas Gesichtsfarbe veränderte sich und es ward ihr schwer, das Geld als ihr Eigentum anzuerkennen, aber sie tat es. Mat zeigte auf sich, und als sie das Haupt schüttelte, zeigte er durch die Tür nach Zack. —— Ihre Wangen begannen zu brennen und sie fürchtete sich, hinzublicken; aber es war kein härterer Versuch, die Wahrheit zu bekennen, als sie schamlos zu verneinen und ein falsches Zeichen zu machen. Sie blickte endlich hin und nickte tapfer mit dem Haupt.

Seine Augen schienen klarer und sanfter zu werden, als sie liebreich auf ihr ruhten; aber er bat sie, ihr Geld zurückzunehmen und hielt während dem mit kurioser tölpischer Gutmütigkeit ihre Hand fest. Sodann machte er noch einmal ein Zeichen nach Zacks Zimmer, griff in die Seitentasche seines Rocks und brachte nebst einem lose zusammengebundenen Paket schmutziger Briefe ein zusammengerolltes Fell heraus, wickelte es auf und zeigte ihr eine große Masse Banknoten. Jetzt verstand sie ihn vollkommen —— er hatte hinreichend Geld für sich und für Zack und bedurfte des ihrigen nicht.

Nachdem er das Stück Fell wieder zusammengerollt und in seine Tasche gesteckt hatte, nahm er auch die Briefe von der Tafel, um sie einzustecken. In diesem Augenblick fiel eine Haarlocke aus denselben heraus und zu ihren Füßen nieder. Sie hob sie auf und erstaunte aufs höchste, als sie die genaue Ähnlichkeit in der Farbe mit Zacks Haar erblickte, von dem sie eine Locke in ihrem Busen verborgen hatte.

Sie war hierüber verwundert, und noch mehr verwundert, als er die Locke sehr ärgerlich und schnell empor riss, just als sie dieselbe berührte. Glaubte er, sie würde die Locke wegnehmen? Wenn er dies glaubte, so war es leicht, ihm zu zeigen, dass eine Zacksche Haarlocke eben jetzt keine Seltenheit sei, worüber sich Personen zu zanken brauchten. Sie ging zur Tafel, nahm von der Zeitung ein Büschel Haare und hielt sie ihm just in dem Augenblick lächelnd vor die Augen, als er seine Locke in die Tasche stecken wollte.

Im ersten Augenblick konnte er ihre Handlung nicht sogleich verstehen; dann aber schien ihn die Ähnlichkeit zwischen dem Haar in seiner Hand und dem in der ihrigen plötzlich sehr tief zu erschüttern. Der ganze Ausdruck seiner Physiognomie wechselte und ward so furchtbar finster, dass sie erschrocken zurückprallte und das Haar wieder auf die Tafel warf. Er krallte und drückte die Locke in der Hand zusammen und wandte sich dann mit seinen ungestüm fragenden Augen und seinem grimmigen Antlitz zur Hauswirtin. Während diese seine Fragen beantworten, ging er zu Zacks Bett; und als er hingeblickt, überzog wieder ein anderer Wechsel seine ganze Physiognomie; die dunkle Röte erbleichte, aber die alten Narben auf den Wangen wurden rot und immer röter. Er ging wieder zurück in die andere Ecke des Zimmers; seine unsteten Augen fixierten sich jetzt zu gedankenloser Starrheit, eine seiner Hände packte die alte Zeitung mit Zacks Haaren zusammen und mit der andern winkte er plump und ungeduldig den Frauen, ihn zu verlassen.

Madonna hatte schon einige mal Pattys Hand an ihrem Arm zucken gefühlt. Sie war jetzt ebenso ängstlich und besorgt, wie ihre Begleiterin, und wünschte so schnell als möglich das Haus zu verlassen. Sie verließen eilig das Zimmer, ohne nach Mat zu blicken; die Hauswirtin folgte ihnen. Sie hatte aber an der Haustür noch eine lange Unterredung mit Patty über den rauen Mietsmann, wie man nach ihren Physiognomien schließen konnte. Madonna fühlte kein Verlangen, den Inhalt dieser Unterredung kennen zu lernen. So sehr auch Mats befremdendes raues Benehmen sie in Erstaunen versetzt hatte, so war dies doch nicht der einzige Gegenstand ihrer Verlegenheit. Es war die Entdeckung ihres Geheimnisses, das Misslingen ihres kleinen Planes, Zack mit ihrem eigenen Gelde zu helfen, was sie zerstreut und betrübt machte. Sie hatte keine fünf Minuten im Vorderzimmer zu Kirk Street verweilt —— und dennoch waren ihr in dieser kurzen Zeit sehr widerwärtige Begebenheiten begegnet.

Lange Zeit nachdem die Frauen das Zimmer verlassen, stand Mat regungslos in der vordersten Ecke der Wohnstube und starrte gedankenlos nach Zacks Schlafzimmer. Seine erste Verwunderung über das befremdende Gerede im Gange, als er von der Straße ins Haus trat, sein erstes Erstaunen über Zacks Wunde, sein mächtiger Impuls, sich Marias Kind zu entdecken, als er Madonna in seinem Zimmer fand, und dann wieder seine Bewunderung über ihre Opferwilligkeit gegen Zack —— alle diese tiefen und mächtigen Gefühlsregungen verschwanden aus seinem Gedächtnis und aus seinem Herzen, sie wurden ganz und gar absorbiert von der außerordentlich großen Bestürzung, welche ihm die Entdeckung der großen Ähnlichkeit zwischen Zacks Haaren und der von Johanna Holdsworth zurückgesandten Locke verursachte, welche ehemals im Besitz seiner Schwester gewesen war und von ihrem geliebten Arthur Carr stammte. Ein gewöhnlicher Schicksalsschlag vermochte Mats Geist noch nicht außer Fassung zu bringen —— dieser unerwartete Schlag bewirkte es aber in einem Augenblick.

Als er seine Selbstbeherrschung allmählich wiedererlangte, steigerte sich in ihm der lebhafte Wunsch, sich von der Ähnlichkeit beider Haararten hinreichend zu vergewissern. Er schlich sich leise ins Nebenzimmer, wo Zack immer noch schlief.

Nach einer minutenlangen Pause schüttelte er sorgenvoll das Haupt über des armen Jungen Blässe und Jammergestalt, dann hielt er die Haarlocke Arthur Carrs dicht an Zacks Haar. Es war zwar schon spät nachmittags, aber noch nicht dämmerig, die Fenster waren nicht durch Vorhänge geschlossen und das volle Tageslicht strömte noch ins Zimmer herein. Die Ähnlichkeit zwischen den Haaren des Schläfers und denen von Arthur Carr war vollkommen! Beide Arten hatten dieselbe hellbraune Farbe, beide schimmerten ins Goldgelbe über, das bei Licht glänzend sichtbar, aber im Schatten kaum zu bemerken war.

Warum hatte ihn diese außerordentliche Ähnlichkeit nicht früher so erschüttert? Wahrscheinlich, weil er Arthur Carrs Haare früher niemals so aufmerksam betrachtet hatte, als nachdem er im Besitz von Mariens Bracelet gelangt war. Vielleicht auch, weil er Zacks Haare früher niemals so genau angesehen hatte, als eben jetzt. Und zu was für einer Schlussfolge führte diese Ähnlichkeit? Ganz bestimmt zu keiner Verbindung mit Zacks Jugendgenossen. »Aber was für ältere Verwandte hat er? Und welche von ihnen haben die meiste Ähnlichkeit mit seinen Haaren? Gleicht er ——?«

Mat blickte bei diesen Worten den Schläfer scharf an; ein gewisses Etwas in des Burschen Angesicht beunruhigte ihn und hielt ihn ab, den Gedanken weiter zu verfolgen. Er nahm die Haarlocke vom Kissen und ging in das Vorderzimmer. Es lag Angst, ja beinah Schrecken in seiner Physiognomie, wenn er an die fatale entscheidende Frage bezüglich seiner jetzt gemachten Entdeckung dachte, welche er an Zack richten wollte, sobald er erwachte. Er hatte früher noch niemals so recht gefühlt, wie sehr er seinem Hausgenossen zugetan war, als eben jetzt —— jetzt, wo er wissentlich sich durch eine Frage an seinen Freund eine düstere, traurige Gemütsstimmung hervorrufen musste, obgleich er seit dem ersten Tage des Begegnens wie ein Bruder mit ihm gelebt hatte.

Erst gegen Abend erwachte Zack. Es war eine Erleichterung für Mat, dass er Zacks Antlitz nicht genau mehr sehen konnte, als er in das dunkel gewordene Schlafzimmer trat. Die Bürde der schrecklichen Frage lastete schwer auf seinem Herzen, als er seines kranken Freundes schwache Hand erfasste. Dieser beantwortete bedachtsam und kurz alle an ihn gerichteten Fragen, und Mat hörte dann geduldig des Kranken Leidensgeschichte an, wie und wodurch er so verwundet worden war. Schließlich führte ihn dann Zack selbst unbewusst zu jener fatalen Frage, welche Mat schon längst stellen wollte, aber aus Angst und Furcht nicht wagte.

»Ja, ja, alter Knabe«, sprach er und drehte sich so, dass er Mat ins Antlitz blicken konnte, »wie ich Euch sagte, ich war so entmutigt, dass ich nicht wusste, was ich beginnen sollte. Schrecken und Schauder hatte mich total erfasst, und diesen Morgen ganz besonders. Ich war so einsam und elend, wusste nicht, ob und wann ihr wiederkommen würdet, daher fragte ich die Hauswirtin, ob sie an meinen Vater schreiben und mir Pardon erbitten wolle. Ich habe mich nicht so betragen, wie ich musste, und wenn ein junger Mensch krank ist, bekommt er das Heimweh, und —— und ——«

Seine Stimme wurde schwächer —— er ließ den Gedanken unbeendet.

»Zack«, sagte Mat, sein Angesicht wegwendend, während er sprach, obgleich es nun ganz dunkel war, »— Zack, was ist Dein Vater für ein Mann? ——«

»Was für ein Mann! Wie meint Ihr das?«

»Sein Aussehen. Gleichst Du ihm von Angesicht? Bist Du ihm ähnlich?«

»Gott helf’ Euch, Mat! So wenig ähnlich wie möglich. Meines Vaters Angesicht ist runzlig und markiert.«

»Ja, ja, gleich andern alten Männern. Seine Haare grau, vermute ich?«

»Ganz weiß. Beiläufig gesagt —— es gibt einen Punkt — ich bin ihm ähnlich —— wenigstens wie er in der Jugend war —— ich gleiche ihm so, als er ein junger Mann in meinem Alter war.«

»In was?«

»Wovon wir gesprochen haben —— hinsichtlich der Haare. Ich habe oft meine Mutter sagen hören, als sie meinen Vater geheiratet habe —— ach, hebt mein Kissen ein wenig höher! Wollt Ihr, Mat?«

»Jawohl! Und was hörtest Du von Deiner Mutter sagen?«

»Oh, nichts Besonderes. Nur das —— als mein Vater noch ein junger Mann gewesen sei, habe sein Haar mit dem meinigen die größte Ähnlichkeit gehabt.«

Als er diese Worte sprach, klopfte die Hauswirtin an die Tür und rief, dass sie ein Licht und eine gute Tasse Tee für den Kranken bringe. Mat ließ sie in das Schlafzimmer —— dann ging er in die Wohnstube und machte die halbgeöffnete Tür hinter sich zu. Jetzt war er nun erst recht besorgt, sein Angesicht vor Zack nicht sehen zu lassen.

Er ging zum Kamin, legte seinen Arm und Kopf auf dessen Verzierung —— dachte eine Weile nach —— dann stellte er sich aufrecht —— suchte in seiner Tasche und zog noch einmal die verhängnisvolle Haarlocke hervor, welche er nun so unzählige mal schon ängstlich beschaut hatte.

»Deine Bestimmung ist vollbracht«, sagte er, betrachtete die Locke zum letzten Mal und warf sie ins lodernde Kaminfeuer.

»Deine Arbeit ist getan, und die meinige wird auch sehr bald vollendet sein.« Er legte noch einmal sein Haupt aus das Kamingesims und fügte hinzu: ——

»Ich bin Zacks Bruder —— das ist ein hartes Los! —— Ich bin sein Bruder. ——«


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