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Armadale



Viertes Kapitel.

Die kleine Gruppe, die in Major Milroy’s Wohnzimmer versammelt war und auf die Wagen von Thorpe-Ambrose wartete, würde auf Niemanden, der nichts davon gewußt hätte, den Eindruck einer Gesellschaft gemacht haben, die einem Picknick entgegensähe. Soviel man sah, waren die Anwesenden in sattsam feierlich langweiliger Stimmung, um für Hochzeitsgäste gelten zu können.

Selbst Miß Milroy, obgleich sich vollkommen bewußt, daß ihr hübsches Musselinkleid und ihr schöner neuer Federhut sie vortrefflich kleideten, erschien in diesem unvortheilhaften Augenblicke als Miß Milroy unter einer Schattenwolke. Obgleich Allans Billet ihr in kräftigster Sprache die Versicherung gegeben, daß der eine große Zweck, die Ankunft der Erzieherin mit der Feier des Picknicks in Einklang zu bringen, erreicht sei, blieb ihr doch noch der Zweifel, ob Allans Plan, sei er, was er sei, von ihrem Vater gebilligt würde. Mit Einem Worte, Miß Milroy wollte sich ihres Vergnügens für den Tag nicht gewiß dünken, bis der Wagen vor der Thür halten und sie von dannen führen würde. Der Major seinerseits, zur Feier des Tages in einen knappen blauen Frack eingeknöpft, den er seit Jahren nicht getragen, und mit einer zwölfstündigen Trennung von seiner alten Freundin und Gefährtin, der Uhr, bedroht, war ein Mann so sehr außer seinem Fahrwasser, wie es nur je einen gegeben. Was die Freunde betraf, die auf Allan’s Wunsch dazu geladen worden, nämlich die Wittwe Mrs. Pentecost und ihr Sohn, Se. Ehrwürden Mr. Samuel Pentecost, so hätte man ganz England von einem Ende zum andern durchsuchen können, ohne ein Paar Leute zu entdecken, die weniger zur Lust des Tages beizutragen geeignet waren, als diese Beiden. Ein junger Mann, der seine Rolle in der Gesellschaft spielt, indem er durch eine grüne Brille zuschaut und mit einem krankhaften Lächeln zuhört, mag wohl ein Wunder von Verstand und ein Abgrund von Tugend sein, aber für ein Picknick ist er kaum der rechte Mann. Eine alte Dame, die an Taubheit leidet, deren einziges unerschöpfliches Thema ihr Sohn ist und die bei den glücklicherweise seltenen Gelegenheiten, wo ihr Sohn spricht, Jeden eifrigst fragt: » »Was sagt mein Sohn?« ist eine Person, die vermöge ihrer Gebrechen zu Mitleid und wegen ihrer mütterlichen Zärtlichkeit zu aller Achtung berechtigt, allein ist es irgendwie zu umgehen, nicht gerade zu einem Picknick taugt. Ein solcher Mann aber war Se. Ehrwürden Mr. Samuel Pentecost, und eine solche Frau war Sr. Ehrwürden Mutter; und in Ermangelung anderer produzierbarer Gäste waren sie engagiert, heute auf Mr. Armadales Vergnügungspartie nach den »Breiten« von Norfolk zu essen, zu trinken und fröhlich zu sein.

Die Ankunft Allan’s, der von seinem getreuen Begleiter, Pedgift junior, gefolgt ward, fachte die sinkenden Lebensgeister der Gesellschaft im Parkhäuschen wieder an. Der Plan, der Erzieherin die Mittel an die Hand zu geben, um sich dem Picknick anschließen zu können, genügte selbst dem Major in seinem Wunsche: der Dame, die er in seinem Hause aufzunehmen im Begriff stand, alle Aufmerksamkeit zu erzeigen. Nachdem sie die erforderliche Entschuldigung und Einladung geschrieben und in ihrer besten Handschrift an die Gouvernante adressiert, lief Miß Milroy hinauf, um ihrer Mutter Adieu zu sagen, und kehrte mit lächelndem Gesicht und einem Seitenblicke auf ihren Vater zurück, um zu verkünden, daß sie jetzt das Haus verlassen könnten. Die Gesellschaft verfügte sich unverzüglich an das Gartenpförtchen und sah sich, dort angelangt, der zweiten großen Schwierigkeit des Tages gegenüber. In welcher Weise sollten sich die sechs Personen des Picknicks in die beiden offenen Vehikel theilen, die ihrer warteten?

Da legte Pedgift junior abermals seine unschätzbaren Talente in Bezug auf Auskunftsmittel an den Tag. Dieser höchst begabte junge Mann besaß in einem erstaunlichen Grade ein den meisten jungen Leuten unseres Zeitalters eigenthümliches Talent: er war vollkommen fähig, sein Vergnügen zu genießen, ohne darüber seine Geschäfte zu vergessen. Ein Client, wie der Squire von Thorpe-Ambrose, fiel seinem Vater nur sehr selten in den Schooß, und es war daher des jungen Pedgift’s Geschäft, daß er Allan den ganzen Tag hindurch eine besondere, doch nicht aufdringliche Aufmerksamkeit erwies, ein Geschäft, das er vom Anfang bis zum Ende der Lustpartie keinen Augenblick aus dem Gesichte verlor, während er sich zu gleicher Zeit als Leben und Seele des Festes bewahrte. Er hatte auf den ersten Blick erkannt, wie es zwischen Allan und Miß Milroy stand, und sorgte auf der Stelle für die Erfüllung der nach dieser Richtung hin gehenden Wünsche seines Clienten, indem er sich erbot, um seiner Ortskenntniß willen, im ersten Wagen voran zu fahren und Major Milroy und den Geistlichen um ihre Begleitung ersuchte. »Wir werden an einer für einen Soldaten sehr interessanten Stelle vorbeikommen, Sir«, sagte der junge Pedgift mit seiner glücklichen und dreisten Zuversicht zum Major, »an den Ueberresten eines römischen Feldlagers. Und mein Vater, Sir, der einer der Beitragenden ist«, fuhr der angehende Advocat zum Geistlichen gewendet fort, wünscht, daß ich Sie um Ihre Ansicht über die neue Kleinkinderschule befrage, die in Little Gill Beck gebaut wird. Wollen Sie mir dieselbe auf unserer Fahrt gütigst mittheilen?« Er öffnete den Wagenschlag und half dem Major und dem Geistlichen hinein, ehe weder der Eine noch der Andere Einwendungen zu erheben im Stande war. Dies hatte die nothwendige Folge, daß Allan und Miß Milroy in einem und demselben Wagen zusammen fuhren und noch des Extravortheils einer tauben alten Duena genossen, welche des Squires Höflichkeiten in den unerläßlichen Schranken hielt.

Allan hatte sich noch nie eines Zusammenseins mit Miß Milroy erfreut, wie es ihm jetzt auf der Fahrt nach den, »Breiten« zu Theil wurde. Die liebe alte Dame that, nachdem sie ein paar Anekdoten über ihren Sohn erzählt, das Eine, was noch fehlte, um das Glück ihrer beiden jugendlichen Gefährten vollständig zu machen »— sie ward für die Gelegenheit absichtlich eben sowohl blind, wie sie taub war. Eine Viertelstunde, nachdem der Wagen das Häuschen des Majors verlassen, sank die arme gute Seele, auf bequemen weichen Kissen ruhend und von lauen Sommerlüften angefächelt, in einen friedlichen Schlummer. Allan machte seinen Hof und Miß Milroy gestattete die Fabrication dieses zuweilen sehr kostbaren Gegenstandes menschlichen Verkehrs —— beide vollkommen gleichgültig gegen das in zwei Noten spielende feierliche Aecompagnement, das die arglose Nase der Predigersmutter abgab. Die einzige Unterbrechung, die das Hofmachen erlitt, denn das Schnarchem als ein seiner Natur nach bei weitem ernsteres und dauernderes Ding, ward nicht unterbrochen, kam von Zeit zu Zeit von dem voran fahrenden Wagen. Nicht zufrieden, des Majors römisches Feldlager und des Predigers Kleinkinderschule im Kopfe zu haben, erhob Pedgift junior sich hin und wieder in seinem Wagen, rief das ihnen folgende Fuhrwerk an und lenkte mit durchdringender Tenorstimme und in höchst gewählten Ausdrücken Allan’s Aufmerksamkeit auf die interessanten Punkte der Fahrt. Das Einzige, was ihn zum Schweigen brachte, war die stereotype Antwort: »Ja, herrlich!« die Allan zurückbrüllte, worauf Mr. Pedgift in den Tiefen seines Wagens wieder verschwand und die Römer und Kinder da wieder aufnahm, wo er sie hatte fallen lassen.

Die Gegend, durch die jetzt die Gesellschaft fuhr, verdient weit größerer Aufmerksamkeit, als ihr sowohl von Allan wie von seiner Freundin zu Theil wurde.

Eine Fahrt von einer Stunde hatte den jungen Armadale und seine Gäste über den Bereich von Midwinter’s einsamen Spaziergängen hinausgebracht und führte sie einem der eigenthümlichsten und anmuthigsten Naturbilder immer näher, welches die Binnenlandschaft nicht nur von Norfolk, sondern von ganz England aufzuweisen hat. Je mehr die Wagen sich der entlegenen und einsamen Breitengegend näherten, je mehr veränderte« sich allmählig die Landschaft Die Weizen- und Rübenfelder wurden sichtlich seltener, und die fetten grünen Weideplätze mit ihrem weichen schwellenden Rasen dehnten sich zu beiden Seiten weiter und weiter aus. Haufen von trockenem Rohr und Binsen lagen für Korbmacher und Dachdecker am Wege aufgestapelt. Die alten Giebelhäuschen, an denen sie auf der ersten Strecke ihrer Fahrt vorüber gekommen, verschwanden, und Lehmhütten erschienen an ihrer Stelle. Außer den alten Kirchthürmen und den Wind- und Wassermühlen, welche bisher die einzigen Gegenstände gebildet hatten, die man aus dem flachen Marschboden aufragen gesehen, erhoben sich jetzt rings am Horizonte die Segel von unsichtbaren Booten, die langsam hinter einem fernen Saume niedriger Weidenbäume auf unsichtbaren Gewässern dahinglitten. Alle die Linien des seltsamen und überraschenden, von der gewöhnlichen Erscheinung völlig abweichenden Bildes, wie es ein binnenländischer Ackerbaubezirk darbietet, welcher, durch das ihn umspannende verworrene Netz von Sümpfen und Wassern von seinen Umgebungen abgeschlossen, seinen Verkehr zu Wasser anstatt zu Lande bewerkstelligen muß, begannen in immer gedrängterer Reihenfolge sich zu zeigen. Netze erschienen auf den Hüttengeländern; kleine flache Boote lagen fremdartig zwischen den Blumen der Hüttengärtchen; Ackersleute gingen in einer merkwürdig zusammengesetzten Tracht umher, die zugleich auf See- und auf Landleben deutete, in Matrosenhüten, Fischerstiefeln und Bauernkitteln —— und noch immer war das niedrige Wasserlabyrinth in seiner geheimnißvollen Einsamkeit ein verstecktes Labyrinth. Eine Minute später bogen die Wagen plötzlich von der harten Landstraße in einen kleinen grasbewachsenen Nebenweg ein. Geräuschlos rollten die Räder über den feuchten schwammigen Boden dahin. Eine einsame kleine Hütte mit ihren Netzen und Booten erschien. Ein paar Ellen weiter, und das letzte Stückchen fester Erde endete mit einem Male in eine kleine Bucht und einen Hafendamm. Und am Ende des Dammes —— da, rechts und links ihren großen glänzenden, glatten Wasserspiegel ausgießend, da, so rein in ihrem makellosen Blau, so still in ihrem himmlischen Frieden wie der Sommerhimmel über ihr, lag die erste der Norfolk-Breiten.

Die Wagen hielten, das Hofmachen hatte ein Ende und die ehrwürdige Mrs. Pentecost, die in einem Augenblicke völlig ihrer Stimme mächtig ward, heftete, sowie sie vermochte, ihre Augen streng auf Allan.

»Ich lese in Ihrem Gesicht, Mr. Armadale«, sagte die alte Dame scharf, »daß Sie glauben, ich habe geschlafen.«

Das Schuldbewußtsein wirkt auf die beiden Geschlechter verschieden.In neun Fällen von zehn ist es ein weit minder unbequemes Bewußsein bei den Frauen, als bei den Männern. Die Verlegenheit war diesmal ganz und gar auf der Seite des Mannes. Während Allan erröthete und verlegen aussah, umarmte Miß Milroy mit einem hellen unschuldigen Gelächter schnell die alte Dame. »Er ist einer solchen Aehnlichkeit, Sie für eingeschlafen gehalten zu haben, ganz unfähig, liebe Mrs. Pentecost«, sagte die kleine Heuchlerin.

»Ich möchte Mr. Amardale nur wissen lassen«, fuhr die alte Dame, noch immer auf Allan argwöhnisch, fort, »daß ich, da mir leicht schwindlig wird, im Wagen die Augen schließen muß. Die Augen schließen, Mr. Armadale, ist etwas ganz anderes als einschlafen. Wo ist mein Sohn?«

Se. Ehrwürden, Mr. Samuel, erschien schweigend mit seiner grünen Brille und seinem kränklichen Lächeln in schönster Ordnung an der Wagenthür und war seiner Mutter beim Aussteigen behilflich.

»Hat Dir die Fahrt gefallen, Sammy?« fragte die alte Dame. »Herrliche Gegend, nicht wahr, mein Söhnchen?« Der junge Pedgift, welchem die ganzen Vorkehrungen zur Entdeckungsreise nach den »Breiten« zufielen, war eifrig beschäftigt, den Bootsleuten seine Befehle zu ertheilen. Major Milroy saß gelassen und geduldig allein auf einem umgestülpten Fischerboote und sah heimlich nach seiner Uhr. War Mittag schon vorbei? Schon länger als eine Stunde. Seit langen Jahren hatte die berühmte Uhr zu Hause zum ersten Male in einer leeren Werkstatt geschlagen und ihre Künste produziert Der Major seufzte, als er seine Uhr wieder in die Tasche steckte. »Ich fürchte, ich bin für derlei Partien zu alt«, dachte der gute Mann, indem er sich träumerisch umsah. »Mir scheint, ich finde nicht so viel Vergnügen daran, als ich mir gedacht hatte. Wann werden wir nun auf dem Wasser fahren? wo ist Neelie?«

Neelie, oder schicklicher gesprochen, Miß Milroy, befand sich mit dem Veranstalter des Picknicks hinter einem der Wagen. Sie waren in das interessante Thema von ihren Taufnamen vertieft, und Allan war so nahe daran, ihr einen directen Heirathsantrag zu machen, wie dies einem sorglosen jungen Herrn von zweiundzwanzig Jahren nur möglich ist.

»Sagen Sie mir die Wahrheit«, sprach Miß Milroy, die Augen bescheiden auf den Boden heftend, »als Sie zuerst meinen Namen erfuhren, gefiel er Ihnen nicht, wie?«

»Mir gefällt Alles, was Ihnen angehört«, erwiderte Allan entschieden. »Ich finde, daß Eleonore ein wunderschöner Name ist, und dennoch denke ich fast, ich weiß nicht warum, daß der Major ihn noch verschönerte, als er ihn in Neelie umwandelte.«

»Ich kann Ihnen sagen, warum, Mr. Armadale«, entgegnete die Tochter des Majors mit großem Ernste. »Es gibt in dieser Welt unglückliche Menschen, deren Namen —— wie soll ich es gleich ausdrücken? —— deren Namen nicht für sie passen. Der meine paßt nicht für mich. Ich tadle meine Eltern deshalb nicht, denn als ich noch ein kleines Kind war, konnten sie natürlich nicht wissen, zu welcher Art von Wesen ich heranwachsen würde. So aber —— passen mein Name und ich nicht für einander. Wenn man eine junge Dame Eleonore nennen hört, so denkt man sich augenblicklich ein großes, schlankes, schönes, interessantes Geschöpf ganz das Gegentheil von mir! Bei meinem Aeußeren klingt Eleonore lächerlich —— und deshalb ist Neelie, wie Sie selbst bemerkten, gerade das Rechte. Nein! nein! sagen Sie nichts weiter darüber —— ich habe genug davon; wenn wir einmal von Namen reden müssen, so habe ich einen andern Namen im Kopfe, der weit würdiger ist, besprochen zu werden.«

Sie warf dabei ihrem Gefährten einen verstohlenen Blick zu, welcher deutlich genug sagte: »Es ist Ihr Name Allan trat einen Schritt näher zu ihr heran und dämpfte, ohne die geringste Notwendigkeit, die Stimme zu einem geheimnißvollen Flüstern herab. Miß Milroy nahm augenblicklich ihre Untersuchung auf dem Erdboden wieder auf. Sie betrachtete denselben mit einem so außerordentlichen Interesse, daß ein Geologe sie fast des Kokettierens mit den oberen Gesteinsschichten hätte beargwöhnen können.

»An welchen Namen denken Sie?« fragte Allan. Miß Milroy richtete ihre Antwort in Gestalt einer Bemerkung an die oberen Schichten und lief; diese in ihrer Beschaffenheit als Schallleiter damit anfangen, was ihnen beliebte: »Wenn ich ein Mann gewesen wäre«, sagte sie, »so hätte ich Allan heißen mögen!«

Sie fühlte, während sie sprach, wie seine Blicke auf sie geheftet waren, und war, den Kopf abwendend, plötzlich tief in den Anstrich des Kutschkasten versunken. »Wie wunderhübsch!« rief sie mit einem raschen Ausbruche von Interesse für das weit umfassende Thema von Lack und Firniß aus. »Ich möchte wissen, wie das da gemacht wird?«

Der Mann beharrt und das Weib gibt nach. Allan wollte sich vom Hofmachen nicht zum Wagenbau ableiten lassen. Miß Milroy ließ den Gegenstand fallen.

»Nennen Sie mich bei meinem Taufnamen, wenn Ihnen derselbe wirklich gefällt«, flüsterte er in überredendem Tone. »Nennen Sie mich Allan —— nur dies eine Mal, bloß zum Versuch.«

dies eine Mal, blos zum Versuch«

Sie zögerte mit erhöhter Farbe und einem allerliebsten Lächeln und schüttelte den Kopf. »Ich könnte es —— noch nicht«, antwortete sie leise.

»Darf ich Sie Neelie nennen? Oder ist es noch zu früh?«

Sie sah ihn von neuem an, während sich die Musselinhülle ihrer Brust bewegte und ein Blitz von Zärtlichkeit aus ihren dunkelgrauen Augen flammte.

»Sie wissen es am besten«, sagte sie mit mattem Flüstern.

Die unvermeidliche Antwort schwebte auf Allans Lippen. Doch in demselben Augenblicke, da er zu sprechen im Begriff war, erscholl der entsetzlich hohe Tenor des jungen Pedgift, der nach »Mr. Armadale« rief, lustig durch die stille Luft. Zugleich erschien von der andern Seite des Wagens die glotzende Brille des diensteifrig suchenden geistlichen Herrn, Mr. Samuel Pentecost, und die Stimme der Mutter des geistlichen Herrn, die mit großer Geistesgewandtheit die beiden Ideen von der Nähe des Wassers und einer plötzlichen Bewegung in der Gesellschaft mit einander in Verbindung gebracht hatte, fragte in Tönen der Verzweiflung, ob Jemand ertrunken sei? Die Empfindung flieht und die Liebe schaudert bei jeder lauten Demonstration. Allan sagte: »Verdammt!« und begab sich zum» jungen Pedgift. Miß Milroy seufzte und suchte Zuflucht bei ihrem Vater.

»Ich hab’s zu Stande gebracht, Mr. Armadale!« rief der junge Pedgift, seinen Gönner froh begrüßend. »Wir können Alle zusammen auf dem Wasser fahren; ich habe das größte Boot aus den »Breiten« gemiethet. Die kleinen Nachen«, setzte er mit leiserer Stimme hinzu, wie er nach den Dammstufen voranging, »fassen, abgesehen davon, daß sie wackelig sind und leicht umschlagen, nur zwei Personen außer dem Bootführer, und der Major sagte mir, er erachte es, wenn wir Alle in einzelnen Booten führen, als seine Pflicht, mit seiner Tochter zu fahren. Ich dachte, daß dies kaum angehen würde, Sir«, fuhr der junge Pedgift mit achtungsvoll pfiffigem Nachdruck auf die Worte fort. »Und überdies hätten wir die alte Dame, wenn wir sie mit ihrem Gewicht, zweihundertfünfzig Pfund; in einen Nachen gesetzt hätten, fortwährend kopfüber im Wasser gehabt, was Verzug herbeigeführt und einen Dämpfer auf unser Vergnügen gesetzt hätte. Da ist das Boot, M. Armadale. Was sagen Sie dazu?«

Das Boot war abermals eine der wundersamen Erscheinungen auf den »Breiten.« Es war nichts anderes als ein derbes altes Rettungsboot, das nach einer stürmisch verlebten Jugend auf dem wilden salzigen Meere seinen Lebensabend auf dem glatten Süßwasser zubrachte. In der Mitte des Fahrzeugs war eine kleine gemüthliche Kajüte für Freunde der Entenjagd im Winter gebaut und vorn ein Mast mit Segel für Binnenschiffahrt errichtet. Es war reichlicher Raum für die Gäste, das Diner und die drei Bootführer vorhanden. Allan klopfte seinem getreuen Adjutanten beifällig auf die Schulter, und selbst Mrs. Pentecost gewann, sobald sich die ganze Gesellschaft gemüthlich am Bord etabliert fand, eine verhältnißmäßig heitere Ansicht von dem Picknick.

»Sollte sich irgendein Unglück ereignen«, sagte die alte Dame, zur Gesellschaft im Allgemeinen sich wendend, »so gibt es wenigstens Einen Trost für uns Alle —— mein Sohn kann schwimmen.«

Das Boot glitt von der Bucht in die stillen Gewässer der »Breite« hinaus, und die ganze Schönheit der Scenerie erschloß sich dem Auge.

Im Norden und Westen lag, wie das Boot die Mitte des Sees erreicht hatte, das Ufer hell und flach im Sonnenschein da, hie und da von Reihen dunkler Zwergbäume umsäumt und da und dort in den offeneren Zwischenräumen mit Windmühlen und roth bedachten Lehmhütten besetzt. Nach Süden verengerte sich die große Wasserfläche allmählig zu einer Gruppe von nah aneinander liegenden Inselchen, welche die Aussicht schlossen, während im Osten eine lange, sich sanft hinschlängelnde Linie von Schilf den Windungen des Sees folgte und die jenseits liegende Wasserwüste dem Blicke völlig abschnitt. So klar und leicht war die Sommerluft, daß die einzige Wolke, die sich am östlichen Horizonte zeigte, in dem Rauchkräuseln bestand, welches ein drei Meilen, oder mehr, entfernter Dampfer aus der unsichtbaren See zurückgelassen hatte. Wenn die Stimmen der Lustpartie schwiegen, ließ sich nah und fern kein Laut vernehmen, außer dem leisen Plätschern am Bug, während die Männer mit dem langsamen gelassenen Schlage ihrer langen Ruderstangen das Boot leicht über das flache Wasser bewegten. Es war, als sei die Welt und ihr Getümmel aus immer weit hinten am Lande zurückgeblieben. die Stille war magisch —— das Verschmelzen der weichen Reinheit des Himmels mit der hellen Ruhe des Sees entzückend.

In vollkommener Bequemlichkeit im Boote installiert —— der Major und seine Tochter auf der einen, der Geistliche und seine Mutter auf der andern Seite und Allan und der junge Pedgift zwischen beiden —— schaukelte die Gesellschaft sanft dem kleinen Inselneste am Ende der »Breite« zu. Miß Milroy schwamm in Entzücken; Allan war begeistert, und der Major vergaß seine Uhr. Jeder empfand auf seine Weise die Ruhe und Schönheit des Anblicks. Mrs. Pentecost fühlte sie auf ihre Art, wie eine Hellseherin mit geschlossenen Augen.

»Sehen Sie sich um, Mr. Armadale«, flüsterte der junge Pedgift. »Ich glaube, der Pastor beginnt sich zu amüsieren.«

In der That zeigte sich in diesem Augenblicke eine ungewohnte Munterkeit im Wesen des Geistlichen —— offenbar der Vorläufer einer kommenden Rede.

Wie ein Vogel bewegte er den Kopf von einer Seite zur andern, er räusperte sich, faltete die Hände und blickte mit milder Theilnahme auf die Gesellschaft. Das Vergnügt werden hatte bei diesem vortrefflichen Menschen eine beunruhigende Aehnlichkeit mit den letzten Vorbereitungen zur Kanzelbesteigung.

»Selbst in dieser friedlichen Stille«, sagte Se. Ehrwürden, mit seiner ersten Bemerkung zur Unterhaltung der Gesellschaft beitragend, »wird das christliche Gemüth —— gewissermaßen von einem Extrem zum andern geführt und mächtiglich an die Wandelbarkeit aller irdischen Freuden erinnert. Wie wäre es, wenn diese Ruhe nicht fortdauertet? Wenn sich die Winde erhöben und die Gewässer empörten?«

»Sie brauchen sich deshalb nicht zu ängstigen, Sir«, sagte der junge Pedgift; »der Juni ist hier die günstigste Jahreszeit, und Sie können schwimmen.«

Mrs. Pentecost, von der unmittelbaren Nähe ihres Sohnes wahrscheinlich magnetisch berührt, öffnete plötzlich die Augen und fragte mit ihrem gewohnten Eifer: »Was sagt mein Sohn?«

Se. Ehrwürden wiederholte seine Worte in dem Tone, der dem Gebrechen seiner Mutter entsprach. Die alte Dame nickte hohen Beifall und verfolgte den Gedankengang ihres Sohnes vermittelst eines Citats.

»Ach!« seufzte Mrs. Pentecost mit unaussprechlichem Behagen. »Er reitet auf dem Sturmwind, Sammy, und lenke den Sturm!«

»Edle Worte!« entgegnete Se. Ehrwürden. »Edle und trostreiche Worte!«

Hören Sie«, flüsterte Allan, »was machen wir, wenn er sich noch lange in dieser Weise ergeht?«

»Ich sagte Dir« wohl, Papa, daß es gewagt sei, sie einzuladen«, fügte Miß Milroy ebenfalls flüsternd hinzu

»Mein liebes Kind!« stellte ihr der Major vor. »Wir kannten sonst Niemanden in der Umgegend, und da Mr. Armadale uns gütig anbot, unsere Freunde mitzubringen, blieb uns ja nichts anderes übrig.«

»Wir können das Boot nicht umkippen«, bemerkte der junge Piedgift mit teuflischem Ernst. »Es ist unglücklicherweise ein Rettungsboot. Darf ich den Vorschlag wagen, Mr. Armadale, daß Sie dem geistlichen Herrn etwas in den Mund stecken? Es ist fast drei Uhr. Was meinen Sie, sollen wir zu Tische läuten, Sir?«

Noch nie war der rechte Mann mehr an dem rechten Platze, als der junge Pedgift bei diesem Picknick. In zehn Minuten lag das Boot in dem Schilfe still. Die Proviantkörbe von Thorpe-Ambrose wurden auf dem Kajütendache ausgepackt und dem Strome der Beredtsamkeit des geistlichen Herrn war damit für heute Einhalt gethan.

Wie unermeßlich wichtig in seinen moralischen Folgen, und darum wie lobenswerth an sich, ist das Essen und Trinken! Die gesellschaftlichen Tugenden finden ihren Mittelpunkt im Magen. Ein Mann, der nach seinem Mittagsessen nicht ein besserer Gatte,Vater oder Bruder ist, muß, unter uns gesagt, ein unheilbar lasterhafter Mensch sein. Welche verborgenen Charaktervorzüge entfalten sich; welche schlummernden Liebenswürdigkeiten erwachen nicht über Tische! Beim Oeffnen der Proviantkörbe von Thorpe-Ambrose ergoß sich eine süße Geselligkeit (ein Sprößling jener glücklichen Verbindung von Civilisation und Mrs. Gripper) über unsere Lustpartie und schmolz die widerstrebenden Elemente, aus denen diese bisher zusammengesetzt gewesen, zu einer lieblichen Mischung zusammen. Nun konnten Se. Ehrwürden, Mr. Samuel Pentecost, dessen Licht bis jetzt unter einem Scheffel gestanden, beweisen, daß er etwas thun könne, indem er bewies, daß er zu essen vermochte. Nun glänzte Mr. Pedgift heller als je durch Perlen von kaustischem Humor und durch seine Unerschöpflichkeit an gesellschaftlichen Hilfsquellen. Nun bewiesen der Squire und der reizende weibliche Gast des Squires die dreifache Verbindung von sprudelndem Champagner, kühner werdender Liebe und den Augen, in deren Wörterbuch das Nein fehlt. Nun tauchten in der Erinnerung des Majors frohe alte Zeiten auf, und lustige alte Geschichten, die seit Jahren nicht erzählt worden, fanden den Weg auf seine Lippen. Und nun zeigte sich Mrs. Pentecost in der vollen Stärke ihrer schätzenswerthen Mütterlichkeit, indem sie eine überschüssige Gabel ergriff und dieses nützliche Instrument unablässig zwischen den ausgesuchtesten Bissen der ganzen Versammlung von Schüsseln und den wenigen leeren Stellen auf den Tellern des ehrwürdigen Pfarrers spielen ließ. »Lachen Sie nicht über meinen Sohn«, schrie die alte Dame, die Heiterkeit bemerkend, die ihr Verfahren unter der Gesellschaft hervorrief. »Es ist meine Schuld, der arme, liebe Junge —— ich bringe ihn zum Essen!« Und dennoch gibt es Leute auf dieser Welt, die, wenn sie Tugend en sich an der Speisetafel entfalten sehen, wie solche sich nirgend anderswo entfalten, das herrliche Privilegium des Essens mit jenen kleinen Leiden des menschlichen Lebens in eine Kategorie stellen können, die uns die Nothwendigkeit auferlegt —— wie zum Beispiel das Zuknöpfen der Weste, oder das Zuschnüren des Corsets! Einem solchen Ungeheuer vertraue man nimmer seine zarten Geheimnisse an, weder Gefühle der Liebe, noch des Hasses, weder der Hoffnung noch der Furcht. Sein Herz wird von seinem Magen nicht gebessert, und die gesellschaftlichen Tugenden leben nicht in ihm.

Die letzten warmen Stunden des Tages und die ersten kühlen Lüfte des langen Sommerabends begegneten sich, ehe alle die Schüsseln abgeräumt und die Flaschen so leer waren, wie Flaschen es sein sollen. Als man in dieses Stadium gelangte, blickte die Picknickpartie träge nach Pedgift junior hinüber, um von ihm zu erfahren, was nun zunächst geschehen solle. Wie immer war dieser unerschöpfliche Würdenträger allen Anforderungen an ihn gewachsen. Ehe noch ein Mitglied der Gesellschaft ihn fragen konnte, welche Unterhaltung an die Reihe kommen sollte, hatte er sie schon in Bereitschaft.

»Lieben Sie die Musik auf dem Wasser, Miß Milroy?« fragte er in der leichtesten und liebenswürdigsten Weise.

Miß Milroy vergötterte die Musik auf dem Wasser sowohl, als zu Lande —— den einen Fall immer ausgenommen, wenn sie die Kunst selbst zu Hause auf dem Clavier üben mußte.

»Zuvörderst müssen wir uns aus dem Schilf herausarbeiten«, sagte der junge Pedgift. Er ertheilte den Bootsleuten seine Befehle, tauchte behende in die kleine Kajüte hinab und kam mit einer Ziehharmonica in der Hand wieder zum Vorschein.

»Hübsch, Miß Milroy, nicht wahr?« sagte er auf seinen Namenszug deutend, der in Perlmutter auf dem Instrument eingelegt war. »Ich heiße Augustus, wie mein Vater. Einige meiner Freunde streichen das »A« und nennen mich »Gustus junior.« Ein mäßiger Witz reicht weit unter Freunden, nicht wahr, Mr. Armadale? Ich singe ein wenig, meine Herren und Damen, und begleite mich selber; und wenn Sie es wünschen, wird es mich stolz und glücklich machen, Ihnen mein Bestes zu produzieren.«

»Halt!« rief Mrs. Pentecost. »Ich schwärme für Music.«

Mit dieser fürchterlichen Verkündung öffnete die alte Dame eine gewaltige Ledertasche, von der sie sich Tag und Nacht nicht trennte, und nahm ein Höhrrohr von jener altmodischen Form heraus, welche die Mitte hielt zwischen Horn und Trompete. »Für gewöhnlich bediene ich mich nicht gern dieses Instruments«, rief Mrs. Pentecost, »weil ich fürchte, es könnte mich tauber machen, als ich es schon bin. Aber ich kann und will mir die Musik nicht nehmen lassen. Ich schwärme für Musik. Wenn Du das andere Ende halten willst, Sammy, so will ich dies in mein Ohr stecken. Neelie, mein Kind, lassen Sie ihn beginnen.«

Der junge Pedgift litt nicht an Verlegenheit oder Schüchternheit. er begann sofort nicht etwa mit Liedern von der neuen leichten Art, wie man sie von seinem Alter und seinem Charakter hätte erwarten dürfen, sondern mit declamatorischen und patriotischen Dithyramben, welche in jene kühne und rauschende Musik gesetzt waren, wie sie die Engländer zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts liebten und, wenn sie ihnen vorgeführt wird, noch immer lieben. »Der Tod Marmion’s«, »Die Schlacht auf dem Baltischen Meer«, »Die Bucht von Biscaya«, »Nelson« in verschiedenartigen Compositionen, wie der selige Brahom sie gab —— dies waren die Gesänge, in denen die brausende Ziehharmonica und des jungen Pedgift’s greller Tenor mit einander schwelgten. »Sagen Sie mir, wenn Sie genug davon haben, meine Damen und Herren«, sprach der rechtsgelehrte Troubadour. »Ich bin nicht eitel. Möchten Sie zur Abwechselung etwas Gefühl haben? Soll ich mit dem »Mistelzweig« und der »Armen Mary Anne« vielleicht schließen?«

Nachdem er seine Zuhörer durch diese beiden letzten heiteren Melodien erfreut hatte, ersuchte Pedgift die übrige Gesellschaft ehrfurchtsvoll, seinem Beispiele zu folgen, und erbot sich zugleich, ein laufendes Accompagnement dazu zu improvisieren, wenn der Sänger ihm nur den Grundton anzugeben die Güte haben wolle.

»Fahre doch Jemand fort!« rief Mrs. Pentecost eifrig. »Ich wiederhole Ihnen, ich schwärme für Musik. Wir haben noch nicht zur Hälfte genug gehabt; wie, Sammy?«

Der geistliche Herr gab keine Antwort. Der unglückliche Mann hatte seine Gründe —— nicht gerade in seiner Brust, sondern etwas weiter unten —— um inmitten der allgemeinen Fröhlichkeit und des allgemeinen Beifalls zu schweigen. Du arme Menschheit! Selbst die mütterliche Liebe kann durch die irdische Trüglichkeit der Dinge vergällt werden. Seiner vortrefflichen Mutter bereits für Vieles verpflichtet, hatte Se. Ehrwürden ihr jetzt noch eine starke Indigestion zu verdanken.

Indessen bemerkte noch Niemand die Zeichen und Merkmale des inneren Aufruhres im Gesichte des geistlichen Herrn. Jedermann war beschäftigt, Jeden um ein Lied zu bitten. Miß Milroy bat den Gastgeber. »Bitte, singen Sie etwas, Mr. Armadale«, sagte sie, »ich möchte Sie so gern hören!«

»Wenn Sie einmal den Anfang gemacht, Sir«, fügte der heitere Pedgift hinzu »werden Sie die Fortsetzung außerordentlich leicht finden. Die Musik ist eine Wissenschaft, die man gleich anfangs bei der Kehle packen muß.«

»Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte Allan in seiner gutmüthigen Art. »Ich weiß eine Masse von Liedern, aber das Schlimmste dabei ist, daß mir die Worte entfallen. Ob ich wohl im Stande sein werde, mich auf ein einziges von Moore’s Liedern zu besinnen. Meine liebe Mutter fand Gefallen daran, mich, als ich noch ein kleiner Bursche war, Moore’s Lieder zu lehren.«

»Wessen Lieder?«fragte Mrs. Pentecost »Moore’s? Aha! Ich weiß den Tom Moore auswendig.«

»Ja diesem Falle werden Sie vielleicht die Güte haben, mir zu Hilfe zu kommen, Madame, wenn mein Gedächtniß mir den Dienst versagt«, erwiderte Allan. »Ich will die leichteste Melodie in der ganzen Sammlung wählen, wenn Sie erlauben. Sie ist Jedem bekannt —— »Eveline’s Laube.«

»Ich bin im allgemeinen mit den Volksmelodien von England, Schottland und Irland vertraut«, sagte Pedgift junior. »Mit dem größten Vergnügen will ich Sie begleiten, Sir. So, dass ist ungefähr die richtige Weise.« Er setzte sich mit gekreuzten Beinen auf dass Dach der Kajüte und brach in eine complicirte musikalische Improvisation aus, die wunderbar anzuhören war —’ ein Gemisch von Cadenzen und Aechzen; ein Hopser durch einen Grabgesang gehoben —— ein Grabgesang durch einen Hopser erheitert. »So ist? recht«, sagte der junge Pedgift mit seinem Lächeln der höchsten Zuversicht »Losgeschossen, Sir!«

Mrs. Pentecost erhob ihre Trompete und Allan seine Stimme. »»O, weinet um die Stunde, wenn zu Eveline’s Laube ——."« Er hielt inne; die Begleitung hielt inne; die Zuhörer warteten. »Aeußerst merkwürdig«, sagte Allan, »ich dachte, ich hätte die nächste Zeile auf der Zunge, und jetzt scheint sie mir entfallen zu sein. Ich will noch einmal von vorn anfangen, wenn Sie nichts dawider haben: »O, weinet um die Stunde, wenn zu Eveline’s Laube ——«

»Mit falschen Schwüren trat heran der Ritter aus dem Thale"«, half Mrs. Pentecost ein.

»Danke, Madame«, sagte Allan »Jetzt wird es gehen. »O, weinet um die Stunde, wenn zu Eveline’s Laube mit falschen Schwüren trat heran der Ritter aus dem Thale. Hell schien der Mond ——«

»Nein!« sagte Mrs. Pentecost.

»Ich bitt« um Verzeihung, Madame«, sagte Allan.

»Hell schien der Mond ——«

»Es siel dem Monde gar nicht ein«, sagte Mrs. Pentecost.

In der Voraussicht eines Streites beharrte Pedgift junior im Interesse der Harmonie bei einer sotto voce Begleitung.

»Das sind Moore’s eigenen Worte, Madame«, sagte Allan, »in dem Exemplar seiner »Melodien«, welches meine Mutter besaß ——«

»Dann stand es falsch im Exemplar Ihrer Mutter«, entgegnete Mrs. Pentecost. »Habe ich Ihnen nicht soeben gesagt, daß ich den Tom Moore auswendig weiß?«

Die friedenstiftende Ziehharmonica säuselte und stöhnte noch immer in Moll.

»Nun, was hat denn der Mond sonst gethan?«« fragte Allan in Verzweiflung.

»Das, was der Mond thun mußte, Sir, oder Tom Moore würde es nicht so geschrieben haben«, entgegnete Mrs. Pentecost. »Dem Himmel dieser Nacht der Mond entzog sein Licht, und um die Schande weint er Eveline’s! Ich wollte, der junge Mann stellte das Spielen ein«, setzte Mrs. Pentecost hinzu, ihre zunehmende Aergerlichkeit an Gustus juuior auslassend. »Ich habe genug von ihm —— er kitzelt mir die Ohren.«

»Sie machen mich stolz, Madame«, sagte der freche Pedgift. »Die ganze Wissenschaft der Musik besteht im Ohrenkitzel.«

»Es scheint, wir gerathen in eine Art von Streit«, bemerkte der Major gelassen. »Wäre es nicht besser, wenn Mr. Armadale mit seinem Liede fortführe?«

»Bitte, fahren Sie fort, Mr. Armadale«, sprach die Tochter. »Bitte, Mr. Pedgift, fahren Sie fort!«

»Der Eine weiß die Worte nicht und der Andere kennt die Melodie nicht«, sagte Mrs. Pentecost »Laßt sie fortfahren, wenn sie können!«

»Thut mir leid, Ihre Wünsche zu vereiteln, Madame«, sagte Pedgift junior; »ich meinestheils bin bereit fortzufahren, so lange es den Herrschaften beliebt. Also, Mr. Armadale!«

Allan öffnete die Lippen, um da wieder anzufangen, wo er abgebrochen hatte. Ehe er jedoch einen Ton herausbringen konnte, stand plötzlich der Geistliche mit todesbleichem Antlitze auf und preßte die Hand auf die mittlere Region seiner Weste.

»Was gibt’s?« rief die ganze Gesellschaft im Chor.

»Ich fühle mich überaus unwohl«, sagte Se. Ehrwürden, Mr. Samuel Pentecost.

Augenblicklich war das Boot in einem Zustande der Verwirrung. »Eveline’s Laube« erstarb auf Allan’s Lippen, und selbst die unheilvolle Ziehharmonica des jungen Pedgift war endlich zum Schweigen gebracht. Indeß war der Alarm ganz überflüssig. Mrs. Pentecost’s Sohn besaß eine Mutter, und diese Mutter hatte eine Ledertasche. In zwei Minuten hatte die Heilkunst die Stelle der allgemeinen Aufmerksamkeit eingenommen, welche bisher die Musik inne gehabt hatte.

»Reibe Dir’s ein wenig, Sammy«, sagte Mrs. Pentecost. «Ich will die Flaschen herausnehmen und Dir etwas eingehen. Es ist sein armer Magen, Herr Major. Halte mir Jemand das Hörrohr, und lassen Sie das Boot still stehen. Nehmen Sie diese Flasche, Neelie, liebes Kind, und Sie diese, Mr. Armadale. Und gebt mir sie her, sowie ich sie brauche. Ach, mein armer lieber Junge, ich weiß wohl, was ihm fehlt! Es fehlt ihm an Kräften hier, Major —— kalt, sauer und schlaff. Ingwer zum Warmen, Soda zur Herstellung, flüssiges Salz zur Stärkung. Hier, Sammy,trink’ es, ehe es flau wird —— und dann geh’ und lege Dich in der Hundehütte dort nieder, die man hier die Kajüte nennt. Keine Musik mehr«, sagte Mrs. Pentecost, mahnend den Finger gegen den Eigenthümer der Ziehharmonica erhebend, »außer etwa einer Hymne, dann habe ich nichts dagegen.«

Da Niemand in der passenden Gemüthsstimmung zu sein schien, um eine Hymne zu singen, griff der hochbegabte Pedgift in seinen Schatz von Localkenntnissen und brachte eine neue Idee zum Vorschein. Der Curs des Boots ward unter seiner Anweisung augenblicklich verändert. In wenigen Minuten sah sich die Gesellschaft in einer kleinen Inselbucht, an deren äußerstem Ende eine einsame Hütte stand und wo ein förmlicher Schilfwald rings alle Aussicht ausschloß.

»Was sagen Sie dazu, meine Herrschaften, wenn wir ans Land stiegen und uns einmal solch’ eine Schilfschneider-Hütte ansähen?« fragte Pedgift.

»Wir sagen ja dazu, das versteht sich«, erwiderte Allan. »Ich fürchte, unser Vergnügen hat durch Mr. Pentecost’s Krankheit und Mrs. Pentecost’s Ledertasche einen kleinen Dämpfer erhalten«, setzte er flüsternd, zu Miß Milroy gewendet, hinzu. »Eine derartige kleine Veränderung ist genau das, was uns wieder in das rechte Geleise bringen wird«

Er und der junge Pedgift halfen Miß Milroy aus dem Boote. Mrs. Pentecost saß, die Ledertasche auf dem Schooße, regungslos, wie die ägyptische Sphinx, und hielt Wache über Sammy in der Kajüte.

»Wir müssen die Fröhlichkeit im Gange erhalten, Sir«, sagte Allan, während er dem Major beim Aussteigen behilflich war. »Wir sind mit unserem Amüsement noch nicht halb zu Ende.«

Seine Stimme bestätigte seine feste Ueberzeugung von solcher Perspective so kräftig, daß selbst Mrs. Pentecost ihn hörte und unheilverkündend das Haupt schüttelte.

»Ach!« seufzte die Mutter des Geistlichen. »Wenn Sie so alt wie ich wären, junger Herr, so würden Sie nicht ganz so fest an das Vergnügen des Tages glauben!«

So sprach, die Voreiligkeit der Jugend tadelnd, das vorsichtige Alter. Die negative Ansicht ist allbekannt in der ganzen Welt die sicherste —— und die Pentecost’sche Philosophie erweist sich im Allgemeinen folglich als die richtige.


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