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Armadale



Sechster Band

Erstes Kapitel.

»Wir gingen nach San-Carlo Selbst. in einer so einfachen Sache, wie das Besorgen einer Theaterloge, zeigte sich Armadales Einfalt. Er hatte die Oper mit dem Schauspiele verwechselt und eine Loge dicht an der Bühne genommen, im Wahne, daß bei einer musikalischen Ausführung die Hauptsache sei, die Sänger und Sängerinnen so nahe und deutlich wie möglich zu sehen! Zum Glücke für unsere Ohren sind Bellini’s liebliche Melodien größtentheils sanft und zart instrumentiert, sonst hätte uns das Orchester taub machen können.

Anfangs saß ich hinten in der Loge, dem Publikum ganz aus dem Gesicht; denn ich konnte nicht sicher sein, daß nicht zufällig einer meiner alten Bekannten von meinem frühem Aufenthalt hier im Theater war. Allmälig aber lockte mich die süße Musik aus meiner Zurückgezogenheit heraus. Ich war so entzückt und hingerissen, daß ich, ohne es zu wissen, mich verbeugte und auf die Bühne sah.

Eine Entdeckung, die ich machte und bei der mir buchstäblich das Blut in den Adern erstarrte, ließ mich erst meine Unvorsichtigkeit gewahr werden. Einer der Sänger im Chore der Druiden sah mich an, während er unter den andern sang. Langes weißes Haar verbarg seinen Kopf und ein wallender weißer Bart bedeckte, dem Charakter angemessen, den unteren Theil seines Gesichts vollkommen. Die Augen aber, die mich anblickten, waren die Augen des einen Mannes auf Erden, welche wiederzusehen ich mich am allermeisten fürchten mußte —— Manuel’s.

Hätte ich nicht mein Riechfläschchen bei mir gehabt, so glaube ich, wäre ich ohnmächtig geworden. So zog ich mich wieder in den Schatten des Hintergrundes zurück. Selbst Armadale bemerkte die Veränderung, die mit mir vorgegangen war; er wie Mitwinter fragten, ob ich unwohl sei. Ich sagte, die Hitze sei mir lästig, ich hoffe indeß alsbald mich wieder besser zu fühlen, und suchte allen meinen Muth zusammenzunehmen. Es gelang mir auch, meiner so weit wieder mächtig zu werden, daß ich, ohne mich selbst zu zeigen, von neuem auf die Bühne sehen konnte, als der Chor wieder auftrat. Da war der Mann wieder. Jedoch zu meiner unsäglichen Erleichterung sah er nicht ein einziges Mal wieder nach unserer Loge. Diese willkommene Gleichgültigkeit von seiner Seite trug dazu bei, mir die Beruhigung zu geben, daß ich eine merkwürdige zufällige Aehnlichkeit, nichts mehr, gesehen hätte, und nach gelassener Erwägung des Ganzen blieb ich auch bei diesem Schlusse; allein mein Gemüth würde doch viel ruhiger sein, als es ist, wenn ich das Gesicht des Mannes ohne die Bühnenmummerei, welches jede genaue Untersuchung ausschloß, hätte vor mir haben können.

Als nach dem ersten Acte der Vorhang fiel, kam der albernen italienischen Mode gemäß ein langweiliges italienisches Ballett als Zwischenspiel an die Reihe. Obschon ich nach und nach den ersten Schrecken überwunden hatte, war meist Bestürzung doch zu ernster Natur gewesen, als daß ich mich im Theater hätte behaglich fühlen können. Ich sah schon alles mögliche Unglück mir bevorstehen, und als Midwinter und Armadale von neuem nach meinem Befinden fragten, sagte ich ihnen, ich fühle mich nicht wohl genug, um bis zum Schlusse der Vorstellung im Theater bleiben zu können.

Am Portale des Theaters wollte uns Armadale gute Nacht sagen, doch Midwinter, der sich offenbar vor einem allein mit mir zuzubringenden Abende fürchtete, bat ihn zum Nachtessen, wenn ich nichts dawider hätte. Ich sprach die nöthigen Höflichkeitsphrasen, und alle drei fuhren wir zusammen nach Hause.

Zehn Minuten einsamer Ruhe in meinem Zimmer zusammen mit etwas Eau de cologne und frischem Wasser stellten mich wieder her. Ich Folgte dann den Männern zu Tische. Sie nahmen meine Entschuldigungen, sie der Oper entführt zu haben, mit der galanten Versicherung aus, daß damit keiner von ihnen nur das mindeste Vergnügen, geopfert hätte. Midwinter erklärte, wie er zu vollständig erschöpft sei, um sich für etwas Anderes zu interessieren, als für die beiden großen Wohlthaten, welche das Theater nicht bieten könne, Ruhe und frische Luft. Armadale seinerseits sagte mit dem zur Verzweiflung bringenden Stolze der Engländer auf seine eigene Dummheit, wo es sich um Gegenstände der Kunst handelt, er habe aus der Vorstellung nicht klug werden können. Ich, setzte er gutmüthig genug hinzu, habe ja am meisten, entbehren müssen, denn ich verstehe fremde Musik und könne sie genießen, wie die Damen in der Regel. Seine »süße kleine Neelie ——«

Nach dem Vorfall im Theater war ich nicht in der Stimmung, mich mit seiner »süßen Neelie« quälen zu lassen. War es der Zustand meiner Nerven oder stieg mir die Bau de Cologne zu Kopfe, die bloße Erwähnung des Mädchens brachte mich in Hitze. Ich suchte Armadales Aufmerksamkeit auf das Abendessen zu lenken; er antwortete sehr höflich, allein er hatte keinen Appetit mehr. Ich bot ihm Wein an, Landwein, denn andern vorzusetzen gestattet uns unsere Armuth nicht. Er dankte abermals. Der fremde Wein sei nicht viel mehr nach seinem Geschmack als die fremde Musik, mir zu Liebe wolle er indeß noch ein Glas trinken, und er that’s und trank meine Gesundheit nach altmodischer Männer, mit den besten Wünschen für die glückliche Zeit, wo wir alle wieder in Thorpe-Ambrose, zusammen sein würden und mich eine Herrin in seinem Hause willkommen heißen könne.

War er wahnsinnig, daß er in dieser Weise fortfuhr? Nein; sein Gesicht antwortete für ihn er lebte vielmehr in der Einbildung, daß er sich mir ganz besonders angenehm mache.

Ich sah Midwinter an. Hätte er seinerseits mich angeblickt, so hätte er vielleicht Grund gefunden, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben. Aber er saß schweigend in seinem Stuhle, reizbar und erschöpft, in stillen Gedanken und die Augen auf den Boden geheftet.

Ich stand auf und trat— ans Fenster. Noch immer, ohne daß ihm das Bewußtsein seines Ungeschicks und seiner Langweiligkeit aufdämmerte, folgte mir Armadale. Wäre ich stark genug gewesen, ihn zum Fenster hinaus ins Meer zu werfen, gewiß hätte ich’s in diesem Augenblicke gethan. Da ich dazu nicht stark genug war, sah ihn unverwandt nachdem jenseitigen Ufer der Bucht und gab ihm einen Wink, den derbsten und gröbsten, den man sich denken kann, daß er gehen möchte.

»Ein wunder lieblicher Abend zum Spazierengehen«, sagte ich, »wenn Sie Lust haben, zu Fuße in Ihr Hotel heimzukehren?«

Ich glaube kaum, daß er mich hörte. Jedenfalls machten meine Worte keinen Eindruck auf ihn. Er stand und starrte sentintental in den Mondschein hinaus und —— ich finde wirklich kein anderes Wort dafür —— blies einen Seufzer heraus. Ich ahnte, was kommen würde, wenn ich ihm nicht den Mund stopfte, dadurch daß ich zuerst wieder sprach.

»Bei aller Ihrer Vorliebe für England«, hob ich an, »müssen Sie doch zugeben, daß wir daheim solchen Mondschein nicht haben.«

Er sah mich geistesabwesend an und blies einen neuen Seufzer heraus.

»Ich mischte wissen, ob heute in England, so ein schöner Abend ist wie hier«, entgegnete er. »Ob wohl mein liebes kleines Mädchen zu Hause auch den Mondschein betrachtet und an mich denkt?«

Länger konnte ich’s nun nicht mehr aushalten. Ich fiel endlich über ihn her.

»Gott im Himmel, Mr. Armadale«, rief ich, »ist denn in der kleinen Welt »in welcher Sie leben, nur ein Gegenstand der Erwähnung werth? Ihrer Miß Milroy bin ich nachgerade herzlich satt. Bitte, sprechen Sie von etwas Anderem.«

Sein großes, breites, dummes Gesicht erröthete bis an die Wurzeln seines häßlichen gelben Haares.

»Verzeihen Sie«, stammelte er mit einer gewissen närrischen Verwunderung. »Ich konnte, nicht annehmen ———« stockte er verwirrt und sah von mir zu Midwinter hinüber. Ich verstand, was der Blick sagen sollte. »Ich konnte nicht annehmen, daß sie auf Miß Milroy eifersüchtig ist, nachdem sie Dich geheirathet hat!« das würde er Midwinter gesagt haben, wenn ich die Beiden allein zusammen gelassen hätte.

Midwinter hatte uns gehört. Bevor ich von neuem das Wort nehmen, bevor Allan weiter sprechen konnte, beendete er den Satz seines Freundes in einem Tone, welchen ich jetzt zum ersten Male vernahm, und mit einem Blicke, den ich zum ersten Male an ihm gewahr wurde.

»Du konntest nicht annehmen, Allan«, sagte er, »daß eine Dame so leicht sich zu übler Stimmung reizen läßt.«

Das erste bittere, ironische Wort, der erste böse Blick der Verachtung, die mir von ihm zu Theil geworden sind! Und Armadale schuld daran!

Auf der Stelle schwand mein Zorn. Ein anderes Gefühl trat an seine Stelle, das mich im Augenblicke alle meine Kraft und Festigkeit wiedergewinnen und mich schweigend aus dem Zimmer gehen ließ.

Ich setzte mich allein in meinem Schlafzimmer hin und hatte ein paar Minuten lang meine stillen Gedanken, die ich selbst auf diesen geheimen Blättern nicht einmal in Worte fassen mag. Ich stand auf und schloß etwas auf —— Niemand geht es an, was —— dann ging ich an den Tisch neben Midwinter’s Bett und nahm etwas zur Hand —— gleichgültig, was es war. Zuletzt, ehe ich das Zimmer wieder verließ, sah ich nach meiner Uhr. Es war halb elf, Armadale’s gewöhnliche Aufbruchszeit. Sofort fand ich mich wieder bei den beiden Männern ein.

Gutgelaunt trat ich zu Armadale heran und sagte zu ihm ——

Nein, nach nochmaliger Ueberlegung will ich nicht niederschreiben, was ich ihm sagte oder was ich darauf vornahm. Ich werde über das, was im Laufe der nächsten Stunde, zwischen halb elf und. halb zwölf, geschah, hinweggehen und meine Geschichte erst von dem Augenblicke an wieder aufnehmen, wo uns Armadale verlassen hatte. Kann ich sagen, was zwischen mir und Midwinter stattfand, sobald uns unser Gast den Rücken gekehrt hatte? Warum in diesem Falle nicht über das Geschehene hinweggehen so gut wie in jenem? Warum mich durch Niederschreiben des Vorgefallenen aufregen? Ich weiß es nicht! Warum führe ich überhaupt ein Tagebuch? Warum sind wir nicht in Allem, was wir thun, vernünftig? Warum bin ich nicht jederzeit auf meiner Hut? Warum niemals mir selbst ungetreu wie der schlechte Charakter in einer Novelle? Warum? Warum? Warum?

Es ist mir einerlei, warum! Ich muß niederschreiben, was sich zwischen mir und Midwinter heute Abend begeben hat, weil ich muß. Das ist ein Grund, den Niemand erklären kann, ich selbst nicht.

Es war halb zwölf. Armadale war fort. Ich hatte meinen Morgenrock angezogen und war eben daran, mein Haar für die Nacht zu arrangieren, als ich durch ein Klopfen an der Thür überrascht wurde und Midwinter eintrat.

Er war zum Erschrecken blaß. Seine Augen sahen mich mit einer in ihnen lodernden fürchterlichen Verzweiflung an. Er antwortete nicht, als ich ihm meine Verwunderung ausdrückte, daß er so viel früher als gewöhnlich komme; selbst als ich ihn fragte, wollte er mir nicht einmal sagen, ob er unwohl sei. Gebieterisch nach dem Stuhle zeigend, auf welchem ich mich bei seinem Eintritte erhoben hatte, ersuchte er mich, wieder Platz zu nehmen, und fügte dann, nach einem Momente des Schweigens, die Worte hinzu: »Ich habe etwas Ernstes mit Dir zu besprechen.«

Ich dachte an dass, was ich gethan; nein, an das, was ich zu thun versucht hatte in jener Zwischenzeit zwischen halb elf und halb zwölf, die ich in meinem Tagebuche unerwähnt gelassen habe, und eine Todesangst, wie ich sie nie empfunden hatte, überkam mich. Ohne Midwinter anzureden und ohne ihn anzusehen, setzte ich mich, wie mir geboten war, wieder hin.

Er schritt einmal im Zimmer auf und ab und blieb dann bei mir stehen.

»Wenn Allan morgen kommt«, begann er, »und wenn Du ihn siehst ——«

Seine Stimme bebte und er sagte nichts weiter. Ein entsetzlicher Kummer nagte an seinem Herzen, den er zu bemeistern suchte. Aber es gibt Zeiten, wo sein Wille eisern ist. Er machte einen neuen Gang durch das Zimmer und kämpfte den Schmerz nieder. Dann stellte er sich wieder zu mir hin.

»Wenn Allan morgen herkommt«, fuhr er fort, »so laß ihn in mein Zimmer kommen, falls er mich zu sprechen wünscht. Ich werde ihm sagen, daß es mir unmöglich ist, die Arbeit, welche ich gerade vorhabe, so rasch, wie ich gehofft, zu vollenden, und daß er sich deshalb? einrichten muß, ohne Beistand meinerseits sich eine Mannschaft für die Yacht zu verschaffen. Will er in seiner Enttäuschung seine Zuflucht zu Dir nehmen, so mache ihm keine Hoffnung, daß ich mich frei machen kann, auch wenn er wartet. Bestimme ihn, die erste beste Hilfe anzunehmen, die er von Fremden erlangen kann, und ohne weiteren Verzug an die Bemannung seines Schiffs zu gehen. Je mehr er Beschäftigung findet, die ihn von uns fern hält, und je weniger Du ihn zum Bleiben aufforderst, wenn er kommt, desto angenehmer wird es mir sein. Vergiß das nicht und vergiß auch die eine letzte Weisung nicht, welche ich Dir zu ertheilen habe. Wenn das Fahrzeug segelfertig ist und wenn Allan uns einladet, ihn auf der Fahrt zu begleiten, so ist es mein Wunsch, daß Du diese seine Einladung unbedingt ausschlägst. Er wird Dich zu einem andern Entschluß zu bringen suchen, denn natürlich werde ich meinerseits ablehnen, Dich in diesem fremden Hause und in diesem fremden Lande allein zu lassen. Einerlei, was er erwidert, laß Dich durch nichts von Deinem Entschlusse abwendig machen. Lehne es positiv und endgültig ab! Weigere Dich, ich bestehe darauf, den Fuß auf die neue Yacht zu setzen!«

Er schloß ruhig und fest, ohne Beben seiner Stimme und ohne Zeichen von Zaudern oder Nachgeben in seinen Zügen. Das Gefühl der Befremdung, das ich sonst wohl bei den wunderlichen Worten empfunden hätte, die er an mich gerichtet, ging in dem Gefühle der Erleichterung auf, welche sie mit gegeben hatten. Die Angst vor jenen andern Worten, die ich von ihm zu hören erwartete, schwand so plötzlich, wie sie gekommen war. Ich konnte ihn wieder ansehen, konnte wieder zu ihm sprechen.

»Du kannst Dich darauf verlassen«, antwortete ich, »daß ich genau thun werde, was Du mir vorschreibst. Muß ich Dir aber blind gehorchen, oder darf ich den Grund der außerordentlichen Weisungen erfahren, die Du mir ertheilt hast?«

Sein Gesicht umdüsterte sich und er setzte sich an der andern Seite; meines Toilettentisches mit einem schweren Seufzer nieder.

»Du sollst den Grund erfahren«, sagte er, »wenn Du es wünschest.« Er hielt einen Augenblick inne und sann nach; »Du hast ein Recht, den Grund zu vernehmen«, begann, er wieder, »denn Du selbst kommst dabei ins Spiel.« Er hielt abermals inne und fuhr dann fort: »Ich kann Dir die seltsame Bitte, die ich so eben ausgesprochen habe, nur in einer Weise erklären«, sprach er traurig; ich muß Dich an das, erinnern, was da drüben im Nebenzimmer geschah, ehe uns Allan verließ.«

Er sah mich mit einem eigenthümlichen Ausdrucke an. Anfangs kam mir’s vor, als bedauere er mich. Dann schien mir’s Grausen zu sein, was ich ihm einflößte. Von neuem begann ich mich zu ängstigen, während ich schweigend seine nächsten Worte erwartete.

»Ich weiß, daß ich in der letzter Zeit zu angestrengt gearbeitet habe«, sprach er weiter, »und daß meine Nerven in trauriger Abspannung sind. In dem Zustande, in dem ich mich befinde, kann ich das Geschehene unbewußt leicht falsch verstanden oder nicht recht beobachtet haben. Du wirst mir darum einen Gefallen erzeigen, wenn Du mein Gedächtniß durch das Deinige unterstützen und auffrischen willst. Hat meine Phantasie etwas übertrieben, läßt mich mein Gedächtniß irgendwie im Stiche, dann wirft Du mir es sagen und meiner Erzählung Einhalt thun.«

Ich beherrschte mich so weit, um zu fragen, welche Umstände er meine und inwiefern ich dabei ins Spiel komme.

»Folgendermaßen berührt Dich die Sache«, antwortete er. »Die Umstände, auf welche ich mich beziehe, begannen, als Du, wie mir dünkte, in sehr unüberlegter und sehr ungeduldiger Weise zu Allan von Miß Milroy sprachst. Wie ich fürchte, drückte ich mich meinerseits ebenso heftig aus, und ich bitte, verzeihe mir, was ich in der Aufregung des Moments Dir sagte. Du gingst aus dem Zimmer. Nach kurzer Abwesenheit kamst Du wieder und machtest Allan Deine ganz und gar schicklichen Entschuldigungen wegen Deines Benehmens, die er mit gewohnter Güte und Sanftmuth aufnahm. Während dies vorging, standest Du und Allan am Eßtische und der letztere kam wieder auf den neapolitanischen Wein zu sprechen, von welchem Ihr Euch schon vorher unterhalten hattet. Mit der Zeit, sagte er, würde er ihn trinken lernen, und bat noch um ein Glas von dem Weine, der auf dem Tische stand. Ist es soweit richtig?«

Die Worte erstarben mir fast aus den Lippen, aber ich zwang sie heraus und erwiderte ihm, daß bis dahin Alles richtig sei.

»Du nahmst Allan die Flasche aus der Hand«, fuhr er fort, »und sagtest ihm freundlich: »Ich weiß, daß Sie eigentlich den Wein nicht mögen, Mr. Armadale. Lassen Sie mich Ihnen etwas zurecht machen, was vielleicht mehr nach Ihrem Geschmacke ist. Ich habe ein ganz besonderes Recept zu Limonade. Darf ich es für Sie versuchen?« Genau in diesen Worten machtest Du ihm Deinen Vorschlag und er nahm ihn an. Bat er Dich nicht auch um Erlaubniß, zusehen zu dürfen, um zu lernen, wie die Limonade bereitet würde? Und sagtest Du ihm nicht, daß dies Dich genierte und daß Du ihm lieber das Recept abschreiben wolltest, wenn er es gern haben wolle?«

Diesmal fand ich wirklich keine Worte. Ich konnte nur mit dem Kopfe nicken. Midwinter sprach weiter.

»Allan lachte und. trat an das Fenster, um auf den Golf hinauszublicken, Ich ging mit ihm. Nach einer Weile warf er scherzend hin, der bloße Ton der Flüssigkeiten, welche Du ausgössest, mache ihn durstig. Bei diesen Worten wandte ich mich vom Fenster und kam zu Dir heran. »Die Limonade braucht lange Zeit«, sagte ich. Als ich wieder dem Fenster zuschreiten wollte, hieltest Du mich am Arme fest und reichtest mir das bis zum Rande gefüllte Kelchglas. Im selben Augenblicke verließ Allan seinen Platz am Fenster und ich gab ihm das Glas. Ist das vielleicht nicht richtig?«

Das ungestüme Klopfen meines Herzens erstickte mich beinahe. Ich konnte nur. mit dem Kopfe schütteln —— mehr war ich nicht im Stande.

»Ich sah, wie Allan das Glas an seinen Mund setzte. Sahst Du es auch? Den Augenblick darauf sah ich, wie er erbleichte. Bemerktest Du es auch? Ich sah, wie ihm das Glas aus der Hand fiel, sah, wie er wankte, und fing ihn in meinen Armen auf, ehe er zu Boden« stürzte. Ist das Alles wahr? Um Gotteswillen strenge Dein Gedächtniß an und sage mir: ist das Alles wahr?«

Das Klopfen meines Herzens schien einen Augenblick nachzulassen. Im nächsten Moment durchzuckte mich’s wie Feuer, als sollte ich wahnsinnig werden. Ohne an die Folgen zu denken, sprang ich wüthend auf, verzweifelt genug, um etwas zu sagen.

»Deine Fragen sind Beleidigung! Deine Blicke sind Beleidigung!« brach ich los. »Denkst Du, ich hätte ihn vergiften wollen?«

Unwillkürlich kamen mir die Worte über die Lippen. »Es waren Worte, die ein Weib in meiner Lage am allerletzten hätte sprechen sollen. Und dennoch sprach ich sie!

Erschrocken stand er aus und gab mir ein Riechfläschchen. »Pst, Pst!« sagte er. »Auch Du bist abgespannt, auch Du nervös von Allem, was heute Abend passiert ist. Du sprichst toll und entsetzlich. Guter Gott! Ist’s denn möglich, daß Du mich so ganz und gar mißverstanden hast? Fasse Dich, bitte, fasse Dich!«

Er hätte ebenso gut einem wilden Thiere sagen können, daß es sich fassen solle. War ich toll genug, jene Worte zu sprechen, so war ich nicht minder toll genug, auf das Thema von der Limonade zurückzukommen, trotz seiner flehentlichen Bitten, still zu sein.

»Ich habe Dir gesagt, was ich in das Glas that im Augenblicke, als Mr. Armadale ohnmächtig wurde«, fuhr ich fort, erpicht darauf, mich vertheidigen zu wollen, wo Niemand mich angriff. »Ich habe Dir gesagt, daß ich die Flasche Branntwein nahm, die an Deinem Bette steht, und etwas daraus in die Limonade goß. Wie habe ich wissen können, daß er einen nervösen Widerwillen vor Geruch und Geschmack von Branntwein hat? Sagte er mir nicht selbst, als er wieder zu sich kam: »Ich bin schuld daran; ich hätte Sie warnen sollen, Branntwein dazu zu nehmen«? Hat er Dich nicht selbst an die Zeit erinnert, wo er mit Dir auf der Insel Man war und der Doctor in seiner Unschuld ganz denselben Mißgriff machte, den ich heute Abend beging?«

Ich legte einen großen Nachdruck auf meine Unschuld und auch mit einigem Rechte. Wie ich auch sonst sein mag, ich darf mich rühmen, keine Heuchlerin zu sein. Soweit Branntwein in Frage kommt, war ich unschuldig Ich hatte ihn in die Limonade gethan, in reiner Unkenntniß von Armadale’s seltsamer Idiosynkrasie, um den Geschmack von etwas Anderem zu maskieren! Worauf ich mir außerdem etwas einbilde, das ist, daß ich nie von meinem Ziele abschweife.

Midwinter sah mich einen Augenblick an, als dächte er, ich sei nicht mehr bei Sinnen. Dann kam er zu mir herüber und beugte sich über mich.

»Kann Dich nicht beruhigen, daß Du meine Motive ganz falsch auslegst«, sagte er, »und daß mir nicht einfällt, Dir in der Sache Vorwürfe zu machen, so lies das da!«

Er zog ein Papier aus der Brusttasche seines Rocks und entfaltete es vor meinen Augen. Es war die Erzählung von Armadale’s Traum.

Augenblicklich war mir die ganze Last von der Brust genommen. Ich fühlte mich wieder Herrin meiner selbst und verstand ihn endlich.

»Weißt Du, was das ist?« fragte er. »Entsinnst Du Dich noch dessen, was ich Dir in Thorpe-Ambrose über Allan’s Traum gesagt habe? Ich sagte Dir damals, daß zwei der drei Visionen sich bereits erfüllt hätten. Jetzt sage ich Dir, daß in diesem Hause heute Abend auch die dritte Vision in Erfüllung gegangen ist.«

Er schlug die Blätter des Manuscripts um und wies auf die Zeilen, welche ich lesen sollte.

Ich las die folgenden oder mindestens annähernd die folgenden Worte, wie sie Midwinter aus Allan’s Munde vernommen und niedergeschrieben hatte:

»Zum dritten Male that sich die Finsternis auf und zeigte mir den Schatten des Mannes und den Schatten des Weibes bei einander. Der erstere war der vorderste, das Weib stand im Hintergrunde. Von der Stelle, wo er stand, kam ein Ton, gleich dem leisen Ausgießen einer Flüssigkeit. Ich sah, wie der Schatten den des Mannes mit einer Hand berührte und ihm mit der andern ein Glas reichte. Er nahm das Glas und gab es mir. Im Augenblicke, wo ich es an die Lippen setzen wollte, überkam mich eine tiefe Ohnmacht. Als ich wieder zu mir kam, waren die Schatten verschwunden und das Traumgesicht zerronnen.«

Für den Moment war ich von dem wunderbaren Zusammentreffen so bestürzt wie Midwinter selbst.

Er legte die eine Hand auf das offene Manuscript und faßte mich mit der andern fest am Arme.

»Jetzt verstehst Du, warum ich zu Dir gekommen bin?« fragte er. »Jetzt weißt Du, daß die letzte Hoffnung, an welche ich mich anklammerte, die Hoffnung war, Deine Erinnerung der Ereignisse dieses Abends möchte mein Gedächtniß Lügen strafen? Jetzt weißt Du, weshalb ich Allan nicht behilflich sein will, warum ich nicht mit ihm in See gehen mag, warum ich lüge und complotire und Dich zu Lügen und Complots anstifte, um meinen liebsten und besten Freund von unserm Hause fern zu halten?«

»Hast Du Mr. Brocks Brief vergessen?« fragte ich.

Er schlug leidenschaftlich auf das offene Manuscript. »Hätte Mr. Brock erlebt, was wir heute Abend gesehen haben, er würde auch empfinden, was ich empfinde, würde sagen, was ich sage!« Seine Stimme sank zu einem geheimnißvollen Flüstern herab und seine großen schwarzen Augen funkelten, als er diese Antwort gegeben hatte. »Dreimal warnten die Schatten Allan in seinem Traume und dreimal haben nachher die Schatten in Dir und in mir Körper gewonnen«, fuhr er fort. »Du und Niemand anders stand an des Weibes Stelle am Teiche. Ich und kein Anderer war an Stelle des Mannes am Fenster. Und Du und ich zusammen standen wieder an der Beiden Stelle, welche die letzte Vision des Traums gezeigt hatte. Zu dem Zwecke ist der jammervolle Tag heraufgedämmert, wo wir uns beide zuerst erblickt haben. Zu dem Zwecke hat mich der Einfluß zu Dir gezogen, als mich mein Schutzengel vor Dir warnte und mich Deinen Anblick fliehen hieß. Auf unser beider Leben ruht ein Fluch! An unsere Fußtapfen heftet sich das Verhängniß! Allan’s ganze Zukunft hängt davon ab, daß er sofort und für immer von uns scheidet. Treibe ihn hinweg von der Stätte, wo wir wohnen, und aus der Luft, welche wir athmen. Jage ihn zu Fremden; die Schlechtesten und Gottlosesten unter ihnen werden ihm minder zum Unheile gereichen als wir! Laß seine Yacht ohne uns segeln, und wenn er uns auf seinen Knieen anfleht, ihn zu begleiten, und sage ihm, wie ich ihn in einer andern Welt lieben will, wo die Bösen aufhören, Uebles zu thun, und die Müden Ruhe finden!«

Sein Schmerz übermannte ihn, seine Stimme ward zu einem Schluchzen, als er diese letzten Worte sprach. Er nahm die Erzählung des Traums vom Tische und verließ mich so jählings, wie er hereingekommen war.

Als ich ihn die Thür schließen hörte, die ihn von mir schied, dachte ich an das zurück, was er mir über mich selbst gesagt hatte. Ueber dem Gedanken an den jammervollen Tag, wo wir uns zuerst gesehen hätten, und an den Schutzengel, der ihn vor mir gewarnt, vergaß ich alles Andere. Was ich empfand, ist gleichgültig. Ich würde es nicht gestehen, selbst wenn ich es der treuesten Freundin anvertrauen könnte. Wer fragt nach dem Elend eines Weibes, wie ich, bin? Wer glaubt daran? Ohnedies sprach er unter dem Einfluß des wahnsinnigen Aberglaubens, welcher ihn ganz in Beschlag genommen hat. Für ihn gibt es alle mögliche Entschuldigungen, für mich gibt es keine. Ich kann mir nicht helfen, ich muß ihm gut sein trotz alledem, ich muß die Folgen auf mich nehmen und darunter leiden. Es geschieht mir recht, daß ich leide, ich verdiene Niemandes Liebe und Mitleid. Gott im Himmel, wie thöricht ich bin! Und wie unnatürlich das Alles erscheinen würde, stände es in einem Romane geschrieben!

Es hat eins geschlagen. Noch immer geht Midwinter ruhelos in seinem Zimmer auf und nieder.

Wahrscheinlich ist er in Gedanken versunken. Nun, ich bin auch in Gedanken. Was soll ich zunächst nun beginnen? Ich werde warten und zusehen. Manchmal passieren seltsame Dinge, und die Ereignisse rechtfertigen vielleicht den lieben Mann im nächsten Zimmer, der den Tag verflucht, wo er mich zuerst erblickte. Vielleicht verflucht er ihn noch aus ganz andern Gründen, als er es jetzt thut. Bin ich das Weib, das der Traum bezeichnet, so wird mir in kurzem eine andere Versuchung entgegentreten, und dann wird kein Branntwein in Armadales Limonade sein, wenn ich sie ihm zum zweiten Male mische.

Den 24. October. Erst zwölf Stunden sind verflossen, seit ich das letzte Wort in mein Tagebuch eintrug, und schon ist jene andere Versuchung gekommen und hat mich überwunden.

Diesmal hatte ich keine Alternative. Sofortige Bloßstellung und augenblicklicher Untergang starrten mir in das Gesicht, ich hatte keine Wahl, ich mußte nachgeben, wollte ich mich selbst schützen. In noch deutlichem Worten, es war keine zufällige Aehnlichkeit, welche mich gestern Abend im Theater erschreckte. Der Opernchorsänger war Manuel selbst!

Kaum hatte Midwinter zehn Minuten unser Wohnzimmer verlassen, um sich in seinem Kabinet an die Arbeit zu begeben, als unsere Hausfrau mit einem schmutzigen dreieckigen Billet in der Hand erschien. Ein Blick auf die Handschrift der Adresse sagte mir genug. Er hatte mich in der Loge erkannt und das Ballet im Zwischenacte ihm Zeit gelassen, meiner Spur nach Hause zu folgen. Soviel war mir klar, noch ehe ich den Brief erbrochen hatte. In zwei Zeilen zeigte er mir an, daß er in einer zum Golf hinabführenden Seitengasse warte und daß, wenn ich nicht binnen zehn Minuten bei ihm erscheine, er dies als eine Aufforderung auslegen werde, mich in meiner Wohnung aufzusuchen.

Die Begebnisse des gestrigen Tages müssen mich wohl gestählt haben. Jedenfalls dachte und empfand ich nach der Lection des Briefes mehr wie das Weib, welches ich einst gewesen, als ich seit Monaten gedacht und empfunden habe. Ich setzte meinen Hut auf, ging die Treppe hinab und zum Hause hinaus, als sei nichts vorgefallen.

Am Eingange des Gäßchens wartete er auf mich. Im Augenblicke da wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, trat mir mein ganzes elendes früheres Leben wieder vor die Seele. Ich dachte an mein Vertrauen, das er getäuscht, ich dachte an die grausame Trauungskomödie, die er mir gespielt hatte, ich dachte an die Zeit, wo ich in Verzweiflung mir das Leben zu nehmen suchte, weil er mich, verlassen. Als ich mir alles dies ins Gedächtniß zurückrief und unwillkürlich Midwinter mit dem gemeinen, elenden Schurken vergleichen mußte, an den ich einst geglaubt hatte, da wußte ich zum ersten Male, was ein Weib empfindet, welches auch den letzten Schatten von Selbstachtung verloren hat. Hätte er mich in dem Momente insultirt, ich glaube, ich hätte mir’s gefallen lassen.

Doch es fiel ihm nicht ein, mich zu insultiren, wenigstens nicht in dem rein brutalen Sinne des Wortes. Ich war ihm auf Gnade und Ungnade anheimgegeben, und um mich das fühlen zu lassen, nahm er schlau die Maske der Reue und Hochachtung vor. Ich ließ ihn nach Lust und Neigung sprechen, ohne ihn zu unterbrechen, ohne ihn nur noch einmal anzusehen, ohne daß nur mein Kleid ihn streifen durfte, während wir neben einander einer stilleren Stelle des Strandes zuwandelten. Die elende Beschaffenheit seiner Garderobe und das gierige Funkeln seiner Augen, als ich den ersten Blick auf ihn richtete, waren mir nicht entgangen, und ich wußte, es würde, wie es auch geschah, auf eine Bitte um Geld hinauslaufen.

Ja! Nachdem er mir dereinst den letzten Heller, den ich selbst besaß, und den letzten Heller, welchen ich von meiner alten Herrin erpressen konnte, abgenommen hatte, fragte er mich, während wir jetzt zusammen an der See standen, ob ich es mit meinem Gewissen vereinbaren könnte, daß er solch einen Rock trüge, wie er ihn anhätte, und als Chorsänger sich seinen jämmerlichen Lebensunterhalt verdienen müßte!

Mein Abscheu mehr als meine Empörung veranlaßte mich endlich zum Sprechen.

»Sie brauchen Geld’, sagte ich. »Wie nun, wenn ich zu arm wäre, Ihnen welches zu geben?«

»In dem Falle«, entgegnete er, »muß ich daran denken, daß Sie selbst ein Schatz für mich sind. Ich würde mich in die schmerzliche Nothwendigkeit versetzt finden, einem der beiden Herren, die ich mit Ihnen in der Oper sah, meine Ansprüche auf Sie begreiflich zu machen, dem Herrn natürlich, den Sie jetzt mit Ihrer Gunst beglücken.«

Ich antwortete ihm nicht, denn ich hatte keine Antwort zu geben. Meine Worte wären doch nur verschwendet gewesen, hätte ich ihm seine Ansprüche an mich bestreiten wollen. Er wußte so gut wie ich, daß er auch nicht den Schatten von Anspruch an mich hatte. Allein ebenso gut wußte er, daß der bloße Versuch, einen solchen Anspruch zu erheben, mein ganzes früheres Leben nothwendig ans Licht ziehen und mich bloßstellen mußte.

Noch immer schwieg ich und sah auf die See hinaus. Warum, weiß ich nicht, vielleicht weil ich instinctgemäß lieber irgend sonst wohin sehen wollte als auf ihn.

Ein kleines Segelboot näherte sich der Küste. Den Mann, der es steuerte, verbarg das Segel, aber das Boot war so nahe, daß ich die Flagge auf dem Maste zu erkennen glaubte. Ich sah nach der Uhr. Ja, es war Armadale, der von Saum-Lucia herüberkam, uns in gewohnter Weise zu besuchen.

Ehe ich meine Uhr wieder in den Gürtel gesteckt hatte, sah ich die Mittel und Wege, mich aus der entsetzlichen Lage zu ziehen, in der ich mich befand, so deutlich vor mir, wie ich sie jetzt vor mir sehe.

Ich kehrte um und schritt einem höheren Punkte des Strandes zu, wo mehrere Fischerkähne an das Land gezogen waren, die uns den Blicken jedes unten Landenden vollkommen verbargen. Manuel sah wahrscheinlich, daß ich meine bestimmte Absicht dabei hatte, und folgte mir, ohne ein Wort zu äußern. Sobald wir unter dem Schirme der Boote sicher waren, zwang ich mich, zu meiner eigenen Rettung, ihn wieder anzusehen.

»Was würden Sie sagen«, fragte ich, »wenn ich nicht arm, sondern reich wäre? Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen hundert Pfund geben könnte?«

Er stutzte. Ich sah deutlich, daß er sich nicht auf die Hälfte der erwähnten Summe Hoffnung gemacht hatte. Daß seine Zunge log, während sein Gesicht die Wahrheit sprach, und daß er mir zur Antwort gab: »Lange nicht genug«, ist überflüssig zu bemerken.

»Wie wäre es«, fuhr ich fort, ohne von Dem, was er sagte, Notiz zu nehmen, »wie wäre es, wenn ich Ihnen das Mittel zeigen könnte, wodurch Sie sich doppelt, dreimal, fünfmal soviel wie hundert Pfund zu verschaffen vermöchten? Wären Sie kühn genug, Ihre Hand auszustrecken und es zu nehmen?«

Von neuem funkelten seine Augen vor Begierde. In athemloser Erwartung meiner nächsten Worte sank seine Stimme zu einem Flüstern herab.

»Wer ist die Person?« fragte er. »Und welches Risico ist dabei?«

Ich antwortete ihm auf der Stelle in den deutlichsten Worten. Wie ich ein Stück Fleisch der wilden Bestie vorgeworfen hätte, die mich verfolgte, so warf ich ihm Armadale vor.

»Die Person ist ein reicher junger Engländer«, sagte ich. »Er hat eben die hier im Hafen liegende Yacht Dorothea gemiethet und braucht nun einen Bootsmeister und eine Mannschaft Sie sind vordem Offizier in der spanischen Marine gewesen, Sie sprechen englisch und italienisch gleich geläufig, Sie sind mit Neapel und Allem, was zu ihm gehört, gründlich bekannt. Der reiche junge Engländer kennt die Sprache nicht und der Dolmetscher, welcher ihm dient, versteht nichts vom Seewesen. Er weiß nicht mehr, wo und wie er sich hier an diesem fremden Orte die nöthige Hilfe verschaffen soll, kennt die Welt nicht besser als das Kind, das dort mit seinem Stöckchen Löcher in den Sand gräbt, und trägt all sein Geld in Creditbriefen bei sich. Soviel hinsichtlich der Person. Das Risico mögen Sie selbst schätzen.«

Mit jedem Worte, welches ich sprach, wurde der gierige Glanz in seinen Augen heller und heller. Ehe ich geendet hatte, war er schon völlig bereit, das Risico zu übernehmen.

»Wann kann ich den Engländer sehen?« fragte er hastig.

Ich näherte mich dem der See zugekehrten Ende des Kahns und bemerkte, daß Allan eben ans Land stieg.

»Sie können ihn jetzt sehen«, antwortete ich und deutete auf die Stelle.

Nach einem langen Blicke auf Armadale, der sorglos den Hang des Strandes hinan schlenderte, zog sich Manuel hinter das schützende Boot zurück. Er wartete einen Augenblick, versank in tiefes Nachdenken und stellte mir dann, diesmal im leisesten Flüstern, eine neue Frage.

»Wenn das Schiff bemannt ist«, sagte er, »und der Engländer in See sticht, wie viele Freunde werden mit ihm segeln?«

»Er hat nur zwei Freunde hier«, entgegnete ich, »den andern Herrn, den Sie in der Oper gesehen haben, und mich. Er wird uns beide einladen, ihn auf der Fahrt zu begleiten, wir werden beide aber ablehnen.«

»Stehen Sie mir dafür?«

»Ich stehe Ihnen unbedingt dafür.«

Er ging ein paar Schritte von mir fort und blieb dann, das Gesicht von mir abgewandt, abermals nachdenkend stehen. Alles, was ich sehen konnte, war, daß er seinen Hut abnahm und sich die Stirn mit dem Taschentuch abwischte, Alles, was ich hören konnte, daß er in höchster Aufregung in seiner Muttersprache zu sich selbst sprach.

Als er zu mir zurückkam, bemerkte ich eine Veränderung an ihm. Sein Gesicht überzog ein häßliches fahles Gelb und seine Augen sahen mich mit feindseligem Mißtrauen an.

»Eine letzte Frage«, sagte er und trat näher an mich heran, während er mit einem auffälligen Nachdruck fortfuhr: »Was haben Sie für ein Interesse bei der Sache?«

Ich schrak vor ihm zurück. Die Frage mahnte mich, daß ich ein Interesse bei der Sache hatte, das mit dem andern Interesse, Manuel und Midwinter von einander fern zu halten, ganz und gar nicht im Zusammenhange stand. Bis jetzt hatte ich blos daran gedacht, daß Midwinter’s Fatalismus mir den Weg gebahnt hatte, indem er von vornherein Armadale jedwedem Fremden preisgab, der diesem in seiner Verlegenheit zu Hilfe kam. Bis jetzt war das Einzige was ich im Auge hatte, der Gedanke gewesen, durch Aufopferung Armadale’s mich selbst gegen die Bloßstellung zu schützen, die mir drohte. In meinem Tagbuche lüge ich nicht. Ich heuchle nicht, daß ich keinen Augenblick Armadale’s Geldbeutel oder die Sicherheit von Armadale’s Leben in Erwägung gezogen habe. Ich haßte ihn zu wüthend, um mich um die Fallen zu kümmern, die meine Zunge ihm vielleicht unter die Füße legte. Gewiß aber hatte ich vor jener letzten Frage nicht bedacht, daß Manuel, wenn er in seiner gewissenlosen Geldgier seinen eigenen Zwecken diente, auch meine Pläne fördern. Die eine alles Andere überwiegende Sorge, mich von einer Bloßstellung vor Midwinter zu retten, hatte meinen Geist derart erfüllt, daß sie jeden andern Gedanken ausschloß.

Da ich nicht alsbald antwortete, so wiederholte Manuel seine Frage in einer andern Wendung.

»Sie haben mir Ihren Engländer vorgeworfen«, sprach er, »wie man weiland dem Cerberus seinen guten Bissen zuwarf. Würden Sie dazu so völlig bereit sein, wenn Sie nicht noch Ihre besonderen Motive dazu hätten? Ich wiederhole meine Frage; Sie haben ein Interesse bei der Sache —— worin besteht es?«

»Ich habe zweierlei Interessen«, antwortete ich. »Einmal das Interesse, Sie zu zwingen, daß Sie meine hiesige Stellung respectiren, und dann das Interesse, mich für immer und ewig von Ihrem Anblicke zu befreien? Ich sprach mit einer Kühnheit, wie er sie bisher noch nicht an mir gewohnt gewesen war. Das Bewußtsein, daß ich den Schuft zu einem Werkzeuge in meinen Händen machte und ihn zwang, blindlings meine Pläne zu fördern, während er seine eigenen Zwecke verfolgte, hoben meinen Muth; ich war wieder ich selbst.

Er lachte. »Starke Worte sind bei gewissen Gelegenheiten das Privilegium der Damen«, sagte er. »Vielleicht befreien Sie sich für immer und ewig von meinem Anblicke, vielleicht auch nicht. Wir wollen die Entscheidung darüber der Zukunft überlassen. Allein das andere Interesse, welches Sie bei der Sache haben, kann ich nicht recht begreifen. Was ich von dem Engländer und seiner Yacht wissen muß, das haben Sie mir gesagt und haben mir keine Bedingungen gestellt, ehe Sie den Mund aufthaten. Wodurch wollen Sie mich zwingen, wie Sie sagen, Ihre, hiesige Stellung zu respectiren?«

»Das will ich Ihnen erklären«, versetzte ich. »Zuerst sollen Sie meine Bedingungen hören. Ich bestehe darauf, daß Sie mich binnen fünf Minuten verlassen; ich bestehe darauf, daß Sie sich nie wieder in der Nähe des Hauses sehen lassen, wo ich wohne, und ich verbiete Ihnen, sich jemals wieder, auf welchem Wege es auch sei, mit mir oder mit dem andern Herrn in Verbindung zu setzen, welchen Sie mit mir im Theater gesehen haben?

»Und wenn ich nun nein sagte?« fiel er ein. »Was wollen Sie in diesem Falle thun?«

»In dem Falle«, antwortete ich, »werde ich dem jungen Engländer zwei Worte sagen, und Sie werden Ihren Platz im Opernchore wieder einnehmen?

»Sie sind ein kühnes Weib, daß Sie es für ausgemacht halten, ich hätte schon meine Absichten auf den Engländer und sicher dabei reüssiren würde. Wie wissen Sie ——«

»Ich kenne Sie«, sagte ich, »und das ist genug.«

Einen Augenblick schwiegen wir beide. Er sah mich an und ich ihn. Wir verstanden einander.

Er war der erste, welcher wieder das Wort nahm. Das schurkische Lächeln erstarb auf seinem Gesichte und seine Stimme sank von neuem mißtrauisch zu den leisesten Tönen herab.

»Ich nehme Ihre Bedingungen an«, sprach er. »So lange als Ihre Lippen verschlossen sind, werden es auch die meinigen sein, ausgenommen, wenn ich finde, daß Sie mich hintergangen haben. In diesem Falle ist unser Vertrag gelöst und Sie werden mich wiedersehen. Morgen werde ich mich dem Engländer mit den erforderlichen Zeugnissen vorstellen, die mir sein Vertrauen gewinnen sollen. Sagen Sie mir seinen Namen!«

Ich nannte ihn.

»Geben Sie mir seine Adresse!«

Ich gab sie ihm und wandte mich zum Gehen. Noch ehe ich aber aus dem Schutze der Boote herausgetreten war, hörte ich ihn wieder hinter mir.

»Noch ein Wort«, sagte er. »Manchmal passieren Unglücksfälle aufs der See. Interessiert Sie der Engländer genug, daß, im Falle ihm ein Unglück zustößt, Sie wissen wollen, was aus ihm geworden ist?«

Ich blieb stehen und überlegte meinerseits. Es war mir unverkennbar mißlungen, ihn zu überzeugen, daß ich, indem sich ihm Armadales Geld und in wahrscheinlicher Folge auch Armadale’s Leben preisgab, kein besonderes geheimes Interesse dabei verfolgte. Und ebenso war es jetzt klar, daß er in seiner Verschlagenheit sich selbst mit meinen geheimen Plänen in Verbindung zu bringen suchte, indem er die Wege zu einem späteren Verkehre zwischen uns anbahnen wollte. Unter den obwaltenden Umständen konnte kein Zweifel sein, wie ich ihm zu antworten hatte; Wenn der Unglücksfall auf welchen er anspielte, Armadale wirklich traf, so brauchte ich Manuel’s Vermittelung nicht, um Kenntniß davon zu erhalten. Ein leichtes Studium der Todeslisten in den Spalten der englischen Zeitungen benachrichtigte mich ja von Allem, was ich wissen wollte, und gewährte mir noch den weitem Vortheil, daß man in einer derartigen Angelegenheit auf die Wahrheit der Blätter bauen konnte. Ich dankte also Manuel in aller Form und lehnte seinen Vorschlag ab. »Da mich der Engländer nicht weiter interessiert«, sagte ich, »so hege ich auch nicht den besonderen Wunsch, von seinem Schicksale benachrichtigt zu werden.«

Er sah mich einen Augenblick aufmerksam und mit einem gewissen Interesse an, das er mir selbst noch nicht gezeigt hatte.

»Mag das Spiel, das Sie spielen«, erwiderte er, langsam und nachdrücklich sprechend, »sein, welches es will, ich mache keinen Anspruch darauf, es zu erfahren. Nichtsdestoweniger aber wage ich eine Prophezeiung: Sie werden es gewinnen. Denken Sie daran, wenn wir uns wieder treffen.« Er nahm seinen Hut ab und verneigte sich gravitätisch. »Gehen Sie Ihren Weg, Madame, und lassen Sie mich meinen gehen!«

Mit diesen Worten erlöste er mich von seinem Anblick. Ich blieb noch eine Minute, um mich in der frischen Luft wieder zu sammeln, und kehrte dann nach Hause zurück.

Der erste Gegenstand, auf den meine Augen fielen, als ich in das Wohnzimmer eintrat, war Armadale selbst.

Er hatte auf meine Heimkunft gewartet, um mich zu bitten, daß ich meinen Einfluß auf seinen Freund geltend machen möchte. Ich fragte, was er damit meinte, und erfuhr, daß Midwinter bereits gethan, was er beim nächsten Zusammensein mit Armadale hatte thun wollen. Er hatte diesem mitgetheilt, daß er mit seinem Journalartikel nicht so bald fertig werden könne, wie er gehofft, und ihm gerathen, er möchte sich eine Mannschaft für die Yacht zu verschaffen suchen, ohne auf seine Beihilfe zu warten.

Dies Vernehmend, hatte ich nun das Versprechen zu erfüllen, das ich Midwinter gegeben, als er mir mein Verfahren in dieser Angelegenheit vorgezeichnet. Armadales Aerger über meinen Beschluß, nicht zu vermitteln, äußerte sich in der vor allen andern mich am meisten beleidigenden Gestalt. Er wollte meinen wiederholten Betheuerungen, daß ich keinen Einfluß besäße, den ich zu seinen Gunsten geltend machen könne, durchaus nicht glauben. »Wäre Neelie meine Frau«, sagte er, »sie könnte mit mir Alles machen, was sie wollte, und ich bin überzeugt, wenn Sie nur wollen, Sie können mit Midwinter auch Alles machen, was Sie wollen.« Hätte der verblendete Narr wirklich die letzten schwachen Regungen von Reue und Mitleid in meinem Herzen ersticken wollen, so hätte er diesem verhängnißvollen Besuche nichts Entsprechenderes sagen können! Ich warf ihm einen Blick zu, welcher ihn, soweit ich dabei in Frage kam, energisch zum Schweigen brachte. Grollend und murrend ging er aus dem Zimmer. »Alles ganz schön«, sprach er zu sich selbst, »von der Bemannung der Yacht zu reden. Ich verstehe kein Wort von ihrem Kauderwelsch hier und der Dolmetscher denkt, ein Fischer und ein Seemann sind eins und dasselbe. Man mag mich hängen, wenn ich weiß, was ich mit dem Schiffe anfangen soll, jetzt, wo ich’s gemiethet habe!« Morgen wird er’s wahrscheinlich wissen. Und wenn er wie gewöhnlich zu uns kommt, so werde auch ich es wissen!

Den 25. October, zehn Uhr abends. Manuel hat ihn! Er hat uns so eben verlassen, nachdem er länger als eine Stunde hier gewesen ist und die ganze Zeit von nichts Anderm gesprochen hat als von seinem wunderbaren Glück, das ihn gerade die Hilfe finden ließ, wo er sie am nothwendigsten brauchte.

Heute Nachmittag war er auf dem Molo mit seinem Dolmetscher, wie es scheint, und versuchte vergeblich sich der am Strande umherlungernden Bevölkerung verständlich zu machen. Gerade als er in Verzweiflung das Beginnen aufgab, bot ein Fremder, der in der Nähe stand —— vermuthlich war ihm Manuel vom Hotel nach dem Molo gefolgt —— freundlich seine Vermittelung bei dem Geschäfte an. »Ich spreche Ihre Sprache, Sir, und die der Leute da«, sagte er, kenne Neapel gut und bin durch meinen Beruf mit dem Meere vertraut. Kann ich Ihnen dienen?« Das unvermeidliche Resultat erfolgte. In seiner gewohnten unbeholfenen Manier wälzte Armadale ohne Verzug und Bedenken alle seine Schwierigkeiten auf die Schultern des artigen Fremden. Sein neuer Freund drang indeß so ehrenhaft wie möglich darauf, erst die üblichen Formalitäten zu erfüllen, ehe er zugeben könne, daß die Sache in seine Hände gelegt würde. Er bat um die Erlaubniß, Mr. Armadale mit seinen Zeugnissen über Charakter und Befähigung aufwarten zu dürfen. Nachmittags war er dann verabredetermaßen mit allen seinen Papieren und mit der traurigsten Geschichte von seinen Leiden und Entbehrungen als politischer Flüchtling, die Armadale jemals gehört hatte, im Hotel erschienen. Die Unterredung war entscheidend. Mit dem Auftrage, die nöthige Mannschaft für die Yacht zu werben und während der beabsichtigten Versuchsreise den Posten eines Bootsmeisters zu bekleiden, verließ Manuel das Hotel.

Gespannt beobachtete ich Midwinter, während Armadale uns diese Einzelheiten erzählte, und auch dann als dieser die Zeugnisse seines neuen Bootsmeisters vorlegte, die er seinem Freunde zur Einsichtnahme mitgebracht hatte.

Für den —— Moment schienen Midwinter’s abergläubische Ahnungen sämtlich über seiner natürlichen Sorge für den Freund vergessen zu sein. Mit der scrupulösesten Gründlichkeit und dem geschäftsmäßigsten Mißtrauen prüfte er die Papiere des Fremden, nachdem er mir gesagt hatte, daß je eher je lieber Armadale in fremden Händen sein müsse. Als Midwinter die Zeugnisse zurückgab, flog ein leises Roth über sein Gesicht; er schien die Inconsequenz seines Benehmens zu empfinden und zum ersten Male zu bemerken, daß ich anwesend war und es wahrnahm. »Gegen die Zeugnisse da ist nichts einzuwenden; ich freue mich, daß Du endlich erlangt hast, was Du suchst.« Das war Alles, was er Armadale zum Abschiede sagte. Sobald als dieser den Rücken gewandt hatte, sah ich nichts mehr von Midwinter. Wiederum hat er sich für den Abend in seinem Zimmer eingeschlossen.

Nur noch eine Sorge bleibt mir übrig. Wird Midwinter fest bei seinem Entschlusse beharren, wenn die Yacht segelfertig ist, und ohne mich seine Begleitung verweigern?

Den 26. October. Schon die Vorboten des kommenden Verhängnisses. Ein Brief von Armadale an Midwinter, den dieser mir so eben zugeschickt hat. Er lautet folgendermaßen:

»Lieber Mid! Ich bin zu sehr beschäftigt, um heute kommen zu können. Um Himmelswillen mache, daß Du mit Deiner Arbeit fertig wirst! Der neue Bootsmeister ist seine Zehntausend werth. Er hat einen Engländer seiner Bekanntschaft ausfindig gemacht, der gleich als erster Matrose eintreten kann, und denkt sicher in Zeit von drei, vier Tagen die Mannschaft zusammen zu bringen. Ich sterbe vor Sehnsucht nach ein bischen Seewind, und Dir muß es auch so gehen, oder Du bist kein ordentlicher Seemann. Die Takelage ist fertig, die Provisionen kommen allmälig herbei und morgen oder übermorgen werden wir die Anker lichten können. Noch nie im Leben war ich in so guter Stimmung. Empfiehl mich Deiner Frau und sage ihr, sie würde mir eine große Gunst erweisen, wenn sie sofort käme und Alles anordnete, was sie noch in der Damenkajüte vermißt. Ganz der Deinige A. A«

Darunter war von Midwinter’s Hand geschrieben:

»Vergiß nicht, was ich Dir gesagt habe. Schreibe —— das wird ihm unsere Ablehnung milder beibringen —— und bitte ihn, uns zu entschuldigen und von der Probefahrt zu dispensieren.«

Ohne einen Augenblick zu verlieren, habe ich demgemäß geschrieben. Je eher Manuel erfährt, wie er es gewiß durch Armadale erfahren wird, daß meinerseits das Versprechen, nicht mitzufahren, bereits erfüllt ist, um so sicherer wird er sich fühlen.

Den 27. October. Ein Brief von Armadale als Antwort auf den Meinigen. Er ist voll ceremoniösen Bedauerns, daß er meine Gesellschaft auf der Fahrt entbehren soll und hofft, Midwinter werde mich noch zu einer Aenderung meines Beschlusses vermögen. Warte ein bischen, bald wirft du erfahren, daß auch Midwinter nicht mit dir segelt!

Den 30. October. Bis heute nichts Neues zu verzeichnen. Heute ist endlich die Veränderung in unserm beiderseitigen Leben eingetreten!

In der freudigsten Stimmung, voll lauten Jubels erschien Armadale diesen Morgen, um zu verkünden, daß die Yacht segelfertig sei, und zu fragen, wann Midwinter sich würde an Bord begeben können. Ich sagte ihm, er möchte bei Midwinter selbst sich danach erkundigen. Mit einer letzten Bitte, meine Ablehnung mir noch einmal zu überlegen, verließ er mich. Ich antwortete ihm mit einer letzten Entschuldigung und setzte mich dann allein ans Fenster, um das Resultat der im anstoßenden Zimmer stattfindenden Unterredung abzuwarten.

Von dem, was jetzt zwischen Midwinter und seinem Freunde vorging, hing meine ganze Zukunft ab. Bis hierher war Alles glatt und eben gegangen. Midwinter’s Entschluß oder vielmehr der Gedanke, daß Midwinter’s Fatalismus schließlich doch das Feld räumen könne, war die einzige Gefahr, die ich noch fürchtete. Ließ er sich bereden, Armadale auf seinem Ausfluge zu begleiten, dann würde Manuel’s Erbitterung gegen mich vor nichts zurückbeben, er würde sich erinnern, daß ich dafür eingestanden, Armadale werde von Neapel allein abfahren, und noch ehe das Schiff den Hafen verlassen, mein ganzes früheres Leben vor Midwinter enthüllen und bloßstellen. Wie ich daran dachte und wie Minute auf Minute langsam verstrich, ohne daß mir etwas Anderes als das unbestimmte Gesumme der Stimmen aus dem nächsten Zimmer ins Ohr drang, wurde mir die Ungewißheit fast unerträglich. Umsonst suchte ich meine Aufmerksamkeit auf das Leben unten auf der Straße zu richten. Ich sah mechanisch aus dem Fenster und gewahrte nichts.

Plötzlich, ich kann nicht sagen, nach wie langer oder wie kurzer Zeit, hörte das Stimmengesumme auf. Die Thür öffnete sich und Armadale trat allein über die Schwelle.

»Ich wünsche Ihnen wohl zu leben«, sagte er kurz, »und hoffe, wenn ich erst verheirathet bin, meine Frau wird Midwinter niemals derart der Quere kommen, wie mir Midwinter’s Frau der Quere gekommen ist!«

Er sah mich zornig an und machte mir eine zornige Verbeugung; dann wandte er sich brüsk um und ging.

Jetzt sah ich die Leute auf der Straße wieder! Ich sah die ruhige See und die Masten der Schiffe im Hafen, wo die Yacht lag! Von neuem konnte ich denken, konnte ich athmen! Die Worte, welche mich vor Manuel retteten, die Worte, die vielleicht Armadale’s Todesurtheil waren, sie waren gesprochen worden. Die Yacht segelte ohne Midwinter wie ohne mich!

Das erste Gefühl des Entzückens war fast sinne berückend. Es war indeß das Gefühl eines Moments. Wenn ich an den einsamen Midwinter drüben im Zimmer dachte, sank mir wieder der Muth.

Ich trat auf den Corridor hinaus, um zu horchen, und hörte nichts. Ich klopfte leise an die Thür und erhielt keine Antwort. Ich machte die Thür auf und sah hinein. Das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, so saß er am Tische. Ich sah ihn schweigend an und sah den Schimmer von Thränen, die ihm durch die Finger träufelten.

»Laß mich allein«, sagte er, ohne die Hände zu bewegen. »Ich muß es allein überwinden?

Ich ging wieder in das Wohnzimmer. Wer kann die Weiber verstehen? »Wir verstehen uns ja selbst nicht. Daß er mich fortschickte, schnitt mir ins Herz. Das harmloseste, das sanfteste Weib in der Welt hätte es nicht bitterer empfinden können, als ich es empfand. Und das nach dem, was ich gethan, nach dem, was ich den Augenblick zuvor, ehe ich zu ihm ins Zimmer ging, gedacht hatte! Wer vermag es zu erklären? Niemand, ich selbst am allerwenigsten.

Eine halbe Stunde später that sich die Thiir auf und ich sah ihn die Treppe hinabeilen. Ohne weitere Ueberlegung lief ich ihm nach und fragte, ob ich vielleicht mit ihm gehen solle. Er blieb nicht stehen und antwortete mir auch nicht. Ich kehrte ans Fenster zurück und sah ihn, Neapel und dem Meere den Rücken kehrend, eiligen Fußes die Straße hinabschreiten.

Vielleicht hatte er mich gar nicht gehört, das begreife ich jetzt. Für den Augenblick hielt ich sein Benehmen für unverzeihlich und ihn für lieblos und brutal gegen mich. In wahnwitziger Wuth auf ihn setzte ich meinen Hut auf, schickte nach einem Wagen und sagte, er solle mich hinfahren, wohin er wolle. Wie alle Fremde fuhr er mich nach dem Museum, damit ich mir die Statuen und Gemälde beschaue. Glühenden Gesichts stürmte ich von Saal zu Saal, während sämtliches anwesendes Publikum mich verwundert anstarrte. Wie ich wieder zu mir kam, weiß ich nicht. Ich setzte mich wieder in den Wagen und ließ mich, ich weiß nicht warum, nach Hause jagen, soviel die Pferde laufen konnten. Ich riß Hut und Mantel ab und setzte mich abermals ans Fenster. Der Anblick des Meeres kühlte mich. vergaß Midwinter und dachte an Armadale und seine Yacht. Kein Lüftchen rührte sich, keine Wolk war am Himmel, der weite Golf glatt wie ein Spiegel.

Die Sonne ging unter, die kurze Dämmerung kam und schwand. Ich trank eine Tasse Thee und dachte und träumte dabei. Als ich mich vom Tische erhob und wieder ans Fenster trat, war der Mond herausgekommen, doch das Meer lag so ruhig wie vorher.

Noch immer sah ich hinaus, als Midwinter wieder unten auf der Straße erschien. Inzwischen hatte ich mich so weit gefaßt, um mich seiner Gewohnheiten zu erinnern und zu wissen, daß er versucht haben mochte, durch eine seiner langen, einsamen Wanderungen sich die Last vom Herzen zu wälzen. Als ich ihn die Thür seines Zimmers öffnen hörte, war ich klug genug, ihn nicht wieder zu stören; gern wartete ich, wo ich war.

Kurz daraus hörte ich, wie er das Fenster aufmachte, und sah, wie er auf den Balcon hinaustrat und nach einem raschen Blick auf die See seine Hand emporhob. Für den Moment war ich zu einfältig, daran zu denken, wie er einst selbst Seemann gewesen war, und konnte darum nicht begreifen, was seine Gebärde bedeuten sollte. Neugierig wartete ich, was nun zunächst geschehen würde.

Er ging ins Zimmer zurück, kam aber nach wenigen Minuten wieder heraus und hielt wie zuvor seine Hand in die Luft. Diesmal blieb er stehen, lehnte sich über die Balustrade des Balcons und blickte mit gespannter Aufmerksamkeit beharrlich in den Mondschein hinaus.

Lange stand er unbeweglich. Dann sah ich ihn plötzlich zusammenschrecken. Im nächsten Augenblicke sank er auf die Kniee und legte die Hände gefaltet auf das Eisengitter des Balcons »Gott der Allmächtige segne und erhalte Dich, Allan«, sprach er andächtig. »Lebe wohl auf ewig!«

Ich sah auf das Meer hinaus. Eine sanfte Brise hatte sich erhoben und kräuselte das im ruhigen Mondlichte funkelnde Wasser. Ich sah wieder hin, da glitt zwischen mir und dem Reflex des Mondes ein langes schwarzes Schiff mit großen, dunkeln, geisterhaften Segeln sanft und geräuschlos wie eine Schlange über die See.

Mit der Nacht war der ersehnte Wind gekommen und Armadales Yacht hatte ihre Probefahrt begonnen.


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