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Namenlos



Achtes Buch.

Zwischenscenen in Briefen.

I.

George Bartram an Noël Vanstone.

St. Crux, den 4. September 1847.

Lieber Noël!

Hier hast Du gleich von vornherein zwei offene Fragen. Im Namen alles Geheimnißvollem was hast Du, daß Du Dich verborgen hältst? Und warum wird Alles auf Deine Heirath Bezügliche vor Deinen ältesten Freunden als tiefstes Geheimniß bewahrt?

Ich bin in Aldborough gewesen, um zu versuchen, ob ich Dich von jenem Orte aus aufspüren könnte, und bin so klug zurückgekommen, wie ich hingegangen war. Ich habe mich an Deinen Advocaten in London gewandt und habe zur Antwort erhalten, daß Du ihm verboten habest, den verborgenen Ort Deines Aufenthaltes irgend Jemand zu nennen, ohne erst die Erlaubniß dazu von Dir erhalten zu haben. Alles, was ich von ihm erlangen konnte, war, daß er jeden Brief, der ihm anvertraut würde, an Dich befördern würde. Demnach schreibe ich und, vergiß es nicht, erwarte auch eine Antwort.

Du wirst vielleicht in Deiner übellaunigen Art fragen, was ich mit Angelegenheiten von Dir, welche Du für gut findest geheim zu halten, zu schaffen habe? Mein lieber Noël, es liegt ein ernster Grund vor, daß wir von hier aus mit Dir in Briefwechsel treten. Du weißt nicht, welche Ereignisse auf St. Crux vorgefallen sind, seit Du wegeiltest, um Dich trauen zu lassen, und obgleich ich Briefschreiben hasse, so will ich doch eine Stunde auf der Jagd heute Opfern, um zu versuchen, Dich aufzuklären.

Am dreiundzwanzigsten des letzten Monats wurden der Admiral und ich bei unserm Weine nach Tische durch die Meldung gestört, daß ein Fremder unerwartet auf St. Crux eingetroffen sei. Wer denkst Du wohl, daß der Gast war? —— Mrs. Lecount!

Mein Oheim verließ mit seiner gewöhnlichen altmodischen Junggesellengalanterie, welche jeder Schürzenträgerin gleiche Rücksicht zollt, sofort die Tafel, um Mrs. Lecount selbst zu bewillkommnen. Wie ich noch schwankte, ob ich ihm folgen sollte oder nicht, wurde meinem Ueberlegen plötzlich durch einen lauten Ruf vom Admiral ein Ende gemacht. Ich eilte in das Morgenzimmer, —— und dort war Deine unglückliche Haushälterin mehr todt als lebendig auf dem Sopha, alle Dienstmädchen um sie her versammelt. Sie war von England nach Zürich und von Zürich wieder zurück nach England gereist —— ohne Anhalten; und sie sah ernstlich und buchstäblich halbtodt aus. Ich war sofort mit meinem Oheim darüber einig, daß das Erste, was geschehen mußte, war, nach dem Arzte zu schicken. Wir schickten sofort einen Reitknecht weg und ließen auf das ausdrückliche Ersuchen von Mrs. Lecount alle Mädchen insgesamt aus dem Zimmer gehen.

Sobald wir allein waren, überraschte uns Mrs. Lecount mit einer einzigen Frage. Sie fragte, ob Du einen Brief erhalten, den sie, ehe sie England verließ, an Dich hierher aufgegeben habe. Als wir ihr sagten, daß der Brief auf Deinen ausdrücklichen Wunsch unter Couvert an Deinen Freund, Mr. Bygrave, geschickt worden sei, wurde sie kreideweiß, und als wir hinzufügten, daß Du uns in Gesellschaft desselben Mr. Bygrave verlassen habest, schlug sie ihre Hände zusammen und starrte uns an, als ob sie ihre Besinnung verloren hätte. Ihre nächste Frage war:

—— Wo ist Mr. Noël jetzt?

Wir konnten ihr nur eine Antwort geben: Mr. Noël habe uns nicht benachrichtigt. Sie sah vollkommen wie vom Donner gerührt aus, als sie das hörte.

—— Er ist in sein Verderben gegangen! sagte sie.

Er ist gegangen in Gesellschaft des größten Schurken in England. Ich muß ihn finden! Ich sage Ihnen, ich muß Mr. Noël finden! Wenn ich ihn nicht sogleich finde, wird es zu spät sein.

—— Er wird heirathen! brach sie wie eine Wahnsinnige aus, auf Ehre und Seligkeit, er wird heirathen!

Der Admiral sagte ihr —— unvorsichtig vielleicht, aber mit der besten Absicht, daß Du schon verheirathet seiest. Da gab sie einen Schrei von sich, der die Fensterscheiben klirren machte, und fiel ohnmächtig aufs Sopha zurück. Der Arzt kam gerade zur höchsten Zeit und brachte sie bald wieder zu sich. Allein sie wurde in derselben Nacht krank, sie ist seitdem immer schlimmer geworden, und der letzte ärztliche Bericht ist, daß das Fieber, an dem sie leidet, auf dem besten Wege ist, ihr Gehirn anzugreifen.

Nun haben weder ich, noch mein Oheim den Wunsch, uns in Dein Vertrauen eindrängen zu wollen. Wir sind natürlich erstaunt über das außerordentliche Geheimniß, daß über Dir und Deiner Heirath schwebt, und wir können uns nicht der Thatsache verschließen, daß Deine Haushälterin ersichtlich einen guten Grund hat, um Mrs. Noël Vanstone mit einer Feindseligkeit und einem Mißtrauen anzusehen, welche, wie wir gern glauben wollen, jene Dame zu verdienen wohl kaum Anlaß gegeben hat. Was immer für ein seltsames Mißverständniß in Deinem Hause walten mag, ist Deine Sache, wenn Du es vorziehst, es für Dich zu. behalten —— und nicht unsere. Alles, was wir zu thun berechtigt sind, ist: Dir zu sagen; was der Arzt sagt. Seine Patientin sprach irre; er glaubt nicht, für ihr Leben stehen zu können, wenn es mit ihr so fort geht, wie jetzt, und er meint, weil er findet, daß sie beständig von ihrem Herrn spricht, daß Deine Gegenwart gut sein würde, um sie zu beruhigen, wenn Du sofort hierher kommen und Deinen Einfluß ausüben könntest, ehe es zu spät ist.

Was sagst Du dazu? Willst Du Dich aus dem Dunkel, das dich umgibt, hervormachen und nach St. Crux kommen? Wenn es sich um einen gewöhnlichen Dienstboten handelte, so könnte ich begreifen, wenn Du zögertest, die Freuden Deiner Flitterwochen zu verlassen um einer solchen Sache willen, die man hier Dir zumuthet. Aber, lieber alter Freund, Mrs. Lecount ist kein gewöhnlicher Dienstbote. Du bist ihr für ihre Treue und Anhänglichkeit sowohl von Deines Vaters Lebzeiten her, als auch aus Deiner Zeit, zu Danke verpflichtet; und wenn Du die Besorgnisse, welche dieses unglückliche Weib bis zum Wahnsinn treiben, wirklich beschwichtigen kannst, so denke ich wirklich, daß Du hierher kommen und Dies thun solltest. Daß Du darum Mrs. Noël Vanstone verlassen solltest, kommt gar nicht in Frage. Es liegt keine Nothwendigkeit zu einem so harten Schritte vor. Der Admiral wünscht, daß ich Dich daran erinneren soll, wie er Dein ältester lebender Freund sei, und daß sein Haus Deiner Gattin zur Verfügung stehe, wie es Dir gegenüber immer gewesen ist. In diesem großen Gebäude, in dem man bequem spazieren reiten könnte, hat sie keine nähere Berührung mit dem Krankenzimmer zu fürchten, und bei all den Eigenheiten des Oheims wird sie sicherlich das Erbieten seiner Freundschaft nicht verschmähen.

Habe ich Dir schon gesagt, daß ich nach Aldborough ging, um zu sehen, ob ich nicht einen Fingerzeig über Deinen Aufenthalt erhalten könnte? Ich kann mir nicht erst die Zeit nehmen, umzuwenden und nachzusehen. Wenn ich es also Dir schon gesagt haben sollte, gut, dann sage ich Dirs zum zweiten Male. Die Wahrheit ist, ich machte in Aldborough eine Bekanntschaft, von der Du schon weißt, wenigstens von Hörensagen.

Nachdem ich mich vergeblich nach Amsee gewendet hatte, ging ich in den Gasthof, um nach Dir zu fragen. Die Wirthin konnte mir keine Mittheilungen machen. Aber in dem Augenblicke, wo ich Deinen Namen nannte, fragte sie, ob ich mit Dir verwandt sei, und als ich ihr nun sagte, daß ich Dein leiblicher Vetter sei, sagte sie, es wäre jetzt eine junge Dame im Hotel, deren Name ebenfalls Vanstone sei und welche in großen Aengsten schwebe über eine vermißte Verwandte und sich mir vielleicht von Nutzen erweisen könnte, oder umgekehrt, der ich von Nutzen sein könnte, wenn wir von unseren wechselseitigen Geschäften in Aldborough wüßten. Ich hatte auch nicht die geringste Idee, wer sie wohl sein könne; aber ich schickte ihr aufs Geratewohl meine Karte, und fünf Minuten später, siehe, da befand ich mich einem der liebenswürdigsten Frauenzimmer gegenüber, welche diese meine Augen jemals geschaut haben.

Unsere ersten einleitenden Worte bekehrten mich, daß ihr mein Familienname von Hörensagen bekannt war. Wer denkst Du wohl, daß sie war? —— Die älteste Töchter meines und Deines Oheims —— Andreas Vanstone. Ich hatte in früheren Jahren meine arme Mutter von ihrem Bruder Andreas sprechen hören, und ich wußte auch von der traurigen Geschichte auf Combe-Raven. Allein unsere Familien, wie Dir wohl bekannt sein wird, waren einander immer entfremdet gewesen, und ich hatte meine reizende Cousine noch nie zuvor gesehen. Sie hat die dunklen Augen und Haare und das milde zurückhaltende Benehmen, das ich von jeher an Frauen bewundert habe. Ich will nicht unsere alten Meinungsverschiedenheiten über das Benehmen Deines Vaters gegen dieses beiden Schwestern wieder vorbringen oder in Abrede stellen, daß sein Bruder Andreas sich schlecht gegen ihn benommen habe: bin auch bereit, anzuerkennen, daß der hohe sittliche Standpunkt, den er in dieser Sache einnahm, für einen so elenden Sünder, als ich bin, ganz unerreichbar und unerfaßlich ist, und will nicht bestreiten, daß meine eigenen verschwenderischen Gewohnheiten mich unfähig machen, eine Meinung abzugeben über anderer Leute Geldangelegenheiten. Aber mit allen diesen Zugeständnissen und Einschränkungen kann ich Dir nur Eins sagen, Noël. Wenn Du jemals die ältere Miss Vanstone sähest, so prophezeihe ich Dir dreist, daß Du zum ersten Male in Deinem Leben zweifeln würde, ob es gut gethan war, Deines Vaters Beispiel zu befolgen. ——

Sie erzählte mir ihre kleine Geschichte, das arme Kind, ganz einfach und anspruchslos. Sie hat jetzt ihre zweite Stelle als Erzieherin und wie gewöhnlich kannte ich, der ich alle Welt kenne, auch diese Familie. Sie ist befreundet mit meines Oheims Familie, welcher Letztere sie in der späteren Zeit aus dem Gesicht verloren hatte, die Tyrrels vom Portland-Platz —— und sie behandeln Miss Vanstone mit solcher Freundlichkeit und Achtung, als wenn sie ein Glied der Familie wäre. Eine von deren alten Dienerinnen begleitete sie nach Aldborough, und der Zweck ihrer Reise an diesen Ort war derjenige, den die Wirthin angeführt hatte. Das Familienmißgeschick hat, wie es scheint, auf die jüngere Schwester der Miss Vanstone einen tiefen Eindruck gemacht, dieselbe hat ihre Verwandten und Freunde verlassen und wird schon seit einiger Zeit von zu Hause vermißt. Sie hat zuletzt aus Aldborough von sich hören lassen, und ihre ältere Schwester hatte sich gleich nach ihrer Rückkunft mit den Tyrrels vom Festlande aufgemacht, um an diesem Orte Nachfrage zu halten.

Dies war Alles, was mir Miss Vanstone sagte. Sie frug, ob Du Etwas von ihrer Schwester gesehen hättest, oder ob Mrs. Lecount Etwas von ihrer Schwester wüßte, vermuthlich, weil sie erfahren hatte, daß Du in Aldborough wärest. Natürlich konnte ich ihr meinerseits Nichts sagen. Sie ließ sich nicht weiter über den Gegenstand aus, und ich konnte mir nicht herausnehmen, mehr zu fragen. Alles, was ich that, war, daß ich mich aus allen Kräften daran machte, sie bei ihren Nachforschungen zu unterstützen. Der Versuch schlug vollständig fehl: Niemand konnte uns Aufschluß geben. Wir versuchten natürlich mit einer Personalbeschreibung, und wunderlich klingt es, die einzige junge Dame, die vorher in Aldborough war, welche der Beschreibung entsprach, war von allen Leuten in der Welt die Dame, die Du geheirathet hast! Wenn sie nicht einen Oheim und eine Tante gehabt hätte —— welche Beide den Ort verlassen haben —— so würde ich angefangen haben, zu vermuthen, daß Du, ohne es zu wissen, Deine Cousine geheirathet hättest. Ist dies der Schlüssel zu dem Geheimniß? Werde nicht böse; ich muß meinen kleinen Spaß machen und muß halt, Gott sei’s geklagt, so unbedachtsam schreiben, wie ich spreche. Das Ende davon war: unsere Nachforschungen waren alle umsonst, und ich reiste mit Miss Vanstone und ihrer Dienerin bis zu unserm Haltepunkte auf der Eisenbahn hierher. Ich denke die Tyrrels zu besuchen, wenn ich das nächste Mal in London bin. Ich habe wirklich die Familie unverantwortlich lange arg vernachlässigt.

Hier bin ich mit meinem dritten Briefbogen fertig! Ichs nehme nicht oft die Feder zur Hand; aber wenn ich es einmal thue, so wirst Du mir Recht geben, daß ich mich eben nicht sehr beeile, sie wieder wegzulegen. Denke von dem Uebrigen in meinem Briefe, was Du willst: aber überlege, was ich Dir von Mrs. Lecount gesagt habe, und vergiß nicht, daß die Zeit von Wichtigkeit ist.

Immer der Deinige,

George Bartram.



Kapiteltrenner

II.

Nora Vanstone an Miss Garth.

Portland-Platz.

Meine liebe Miss Garth!

Noch mehr Kammer, noch mehr vergebliche Hoffnungen! Ich bin eben von Aldborough zurück, ohne eine Entdeckung gemacht zu haben. Magdalene ist noch immer für mich verloren.

Ich kann dies neue Scheitern meiner Hoffnungen keineswegs einem Mangel an Ausdauer und Umsicht beimessen, den ich mir beim Anstellen der nöthigen Nachforschungen etwa zu Schulden kommen ließ. Meine Unerfahrenheit in solchen Dingen wurde sehr freundlich und unerwarteter Weise durch Mr. George Bartrams Beistand unterstützt. Durch ein seltsames Zusammentreffen war auch er gerade in Aldborough anwesend und stellte Nachforschungen nach Mr. Noël Vanstone an, ganz zu derselben Zeit, wo ich dort war und nach Magdalenen forschte. Er schickte mir seine Karte zu und da, als ich den Namen sah, mir einfiel, daß er mein Cousin sei, wenn ich ihn so nennen darf, dachte ich, daß es nicht unschicklich sei, ihn zu sehen und ihn um seinen Rath zu bitten. Ich unterließ es um Magdalenens willen, in Einzelheiten einzugehen, und machte daher keine Anspielung auf den Brief von Mrs. Lecount, welchen Sie statt meiner beantworteten. Ich sagte ihm nur, daß Magdalene vermißt werde und zuletzt aus Aldborongh von sich hören gelassen habe. Die freundliche Theilnahme, welche er dadurch, daß er sich ganz meinem Beistande widmete, an den Tag legte, ist über alle Beschreibung. Er behandelte mich in meiner verzweifelten Lage mit einer Zartheit und einer Achtung, welche ich in dankbarem Herzen nimmer vergessen werde, wenn er auch vielleicht längst selber unser zufälliges Zusammentreffen aus der Erinnerung verloren haben wird. Er ist noch jung —— nicht älter als dreißig, sollte ich meinen. In Gesicht und Gestalt erinnert er mich ein wenig an das Bild meines Vaters auf Combe-Raven, ich meine das Bild im Speisesaale von meinem Vater, als er ein junger Mann war.

So nutzlos, wie unsere Nachforschungen waren, so liegt doch ein Ergebniß vor, das einen wunderbaren und tiefen Eindruck aus meinen Geist hinterlassen hat.

Es scheint, daß Mr. Noël Vanstone kürzlich eine junge Dame, Namens Bygrave, die er in Aldborough getroffen hatte, geheirathet hat, und zwar unter geheimnißvollen Umständen. Er ist mit seiner Gattin weggegangen, ohne Jemand außer seinem Advocaten zu sagen, wohin. Dies hörte ich von Mr. George Bartram, welcher bemüht war, seine Spur ausfindig zu machen, um ihm die Nachricht von der schweren Erkrankung seiner Haushälterin mitzutheilen, welche letztere beiläufig dieselbe Mrs. Lecount ist, deren Brief Sie beantworteten. So weit ist Nichts, werden Sie vielleicht sagen, was ein besonderes Interesse für uns Beide haben könnte. Allein ich meine, Sie werden so erstaunt sein, als ich es war, wenn ich Ihnen sage, daß die von den Leuten zu Aldboroitgh gegebene Beschreibung von Miss Bygrave sehr anffallend und unerklärlich der Beschreibung von Magdalenens Aeußern ähnlich ist.

Diese Entdeckung, zusammengehalten mit all den uns bewußten Umständen, hat auf meinen Geist einen Eindruck gemacht, den ich Ihnen nicht beschreiben kann, den ich mir selbst nicht klar zu machen wage. Ich bitte, kommen Sie und besuchen Sie mich! Ich habe mich nie so unglücklich gefühlt um Magdalenens willen, als gerade jetzt. Die Anstrengung muß meine Nerven auf wunderbare Weise zerrüttet haben. Ich fühle die trübsten Ahnungen wegen der geringfügigsten Dinge. Diese zufällige Aehnlichkeit einer ganz fremden Person mit Magdalenen erfüllt mich in manchen Augenblicken mit ganz entsetzlichen Ahnungen, lediglich weil Mr. Noël Vanstones Name zufällig damit in Verbindung gebracht ist. Noch einmal, ich bitte, kommen Sie zu mir —— ich habe Ihnen so viel zu sagen, daß ich weder im Stande bin, noch wage, es dem Papiere anzuvertrauen.

Dankbar und herzlich die Ihrige,

Nora.



Kapiteltrenner

III.

Mr. John Loscombe, Anwalt, an George Bartram Esq.

London, Lincoln’s Inn,
den 6. September 1847.

Mein Herr!

Ich bekenne mich zum Empfang Ihres Billets mit dem Einschluß eines Briefes an meinen Clienten Mr. Noël Vanstone und Ihrem Ersuchen, daß ich selbigen an Mr. Vanstones gegenwärtige Adresse befördern möchte.

Seitdem ich das letzte Mal das Vergnügen hatte, mit Ihnen über diesen Gegenstand zu verhandeln, ist meine Stellung zu meinem Clienten eine ganz andere geworden. Drei Tage sind es her, da erhielt ich einen Brief von ihm, welcher seine Absicht aussprach, seinen Aufenthaltsort den nächstfolgenden Tag verändern zu wollen, mich aber betreffs der Gegend, wohin er die Absicht hatte sich zu wenden, ganz in Unkenntniß ließ. Ich habe seitdem Nichts wieder von ihm gehört, und da er vorher eine größere Stimme als gewöhnlich bezogen hatte, so liegt keine augenblickliche Notwendigkeit vor, wieder an mich zu schreiben, wenn man nämlich annehmen darf, daß es sein Wunsch ist, seinen Aufenthaltsort vor Jedermann, mich eingeschlossen, verborgen zu halten.

Unter diesen Umständen halte ich es für das Beste, Ihnen Ihren Brief zurückzusenden mit der Versicherung, daß ich es Ihnen zu wissen thun werde, wenn ich wieder in der Lage sein sollte, denselben an seine Bestimmung befördern zu können.

Ihr ergebener Diener,

John Loscombe.



Kapiteltrenner

IV.

Nora Vanstone an Miss Garth.

Portland-Platz.

Meine liebe Miss Garth!

Vergessen Sie den Brief, den ich Ihnen gestern schrieb, und all die trüben Ahnungen welche er enthält. Die Frühpost von heute hat mir neues Leben gegeben: ich habe von Magdalenen gehört!

Der Brief ist sehr kurz, er scheint in Eile geschrieben zu sein. Sie sagt, sie habe seit einigen Nächten von mir geträumt, und ihre Träume hätten sie besorgt gemacht, daß ihr langes Schweigen mir ihretwegen mehr Kummer gemacht habe, als sie werth sei.

Sie schreibe daher, daß sie munter und wohl sei, daß sie hoffe, mich ehestens zu sehen, und daß sie mir, wenn wir zusammen sein würden, Etwas zu sagen habe, was meine schwesterliche Liebe zu ihr stärker als Etwas je zuvor auf die Probe stellen werde. Der Brief trägt kein Datum; aber das Postzeichen ist:

ALLONBY,

welches, wie ich nach Zuratheziehung des Zeitungslexikons gefunden habe, ein kleines Seebad in Cumberland ist. Es ist keine Hoffnung, daß ich wieder zurückkehren kann; denn Magdalene sagt ausdrücklich, daß sie am Vorabend ihrer Abreise von ihrem gegenwärtigen Aufenthalte stehe und nicht sagen könne, wohin sie zunächst gehen werde, noch Anweisung hinterlassen, wie ihr etwaige Briefe nachgeschickt werden könnten.

In glücklicheren Zeiten würde ich diesen Brief noch lange nicht für einen befriedigenden gehalten haben, und ich würde ernstlich beunruhigt gewesen sein, durch jene Anspielung auf eine künftige vertrauliche Mittheilung von ihrer Seite, welche meine Liebe zu ihr mehr denn je auf die Probe stellen solle. Allein nach all der Herzenspein, die ich erduldet, scheint das Glück, ihre Handschrift wiederzusehen, mein Herz zu erfüllen und alle anderen Gefühle daraus zu verbannen. Ich schicke Ihnen nicht ihren Brief, da ich weiß, daß Sie mich bald besuchen werden, und ich mir die Freude gönnen muß, zu sehen, wie Sie ihn lesen.

Ihre immerdar herzlich zugethanene

Nora.

NS. George Bartram machte heute Besuch bei Mrs.Tyrrel. Er bestand darauf, zu den Kindern geführt zu werden. Als er fort war, lachte Mrs. Tyrrel in ihrer gutmüthigen Weise und sagte, daß sein Eifer, die Kinder zu sehen, in ihren Augen sehr darnach aussähe, als wolle er nur mich sehen. Sie können denken, wie sehr mein Geist sich erheitert, wenn ich meine Feder anwenden kann, solchen Unsinn niederzuschreiben!



Kapiteltrenner

V.

Mrs. Lecount an Mr. De Bleriot, Generalagenten
in London.

St. Crux, den 23. October 1847.

Lieber Herr!

Ich habe lange gesäumt, Ihnen für den freundlichen Brief zu danken, der mir Ihren Beistand in Aussicht stellt, in freundlicher Erinnerung an die geschäftlichen Beziehungen, welche früher zwischen Ihnen und meinem Bruder stattgefunden haben. Die Wahrheit ist, ich habe bei meiner Genesung Von einer schweren und gefährlichen Krankheit meine Kraft überschätzt, und die letzten zehn Tage habe ich an einem Rückfall leiden müssen. Ich befinde mich nun besser und im Stande, auf das Geschäft einzugehen, das Sie so freundlich waren für mich unternehmen zu wollen.

Die Person, deren gegenwärtiger Aufenthaltsort zu entdecken für mich von der allergrößten Wichtigkeit ist, ist Mr. Noël Vanstone. Ich bin seit vielen Jahren als Haushälterin in dieses Herrn Diensten gestanden, und da ich noch nicht meine förmliche Entlassung erhalten habe, so betrachte ich mich als noch immer in seinen Diensten. Während meiner Abwesenheit auf dem Festland wurde er zu Aldborough in Suffolk am letzten achtundzwanzigsten August heimlich getraut. Er verließ Aldborough noch am selben Tage, indem er seine Frau mit sich nahm nach irgend einem Zufluchtsorte, der für Jedermann geheim gehalten wurde außer für seinen Rechtsanwalt, Mr. Loscombe von Lincoln’s Inn. Nach kurzer Zeit, am vierten September, entfernte er sich, ohne Mr Loscombe dies Mal von seinem neuen Aufenhaltsorte in Kenntniß zusetzen. Von jenem Tage bis jetzt ist der Rechtsanwalt in gänzlicher Unkenntniß geblieben —— oder gibt wenigstens vor geblieben zu sein ——, wo er jetzt wohl ist. Man hat sich unter diesen Umständen an Mr. Loscombe gewendet, daß er doch wenigstens angeben möchte, welches der frühere Aufenthaltsort war, von welchem ihn Mr. Vanstone bekanntermmaßen in Kenntniß gesetzt hatte. Mr. Loscombe hat sich geweigert, diesem Ersuchen zu willfahren, aus Mangel an ausdrücklicher Ermächtigung, seines Clienten. Schritte nach dem Weggang Von Aldborough irgend Jemandem mitzutheilen. Ich habe alle diese Einzelheiten von Demjenigen, der mit Mr. Loscombe darüber Briefe gewechselt hat, von dem Neffen des Herrn, dem dies Haus gehört und dessen Güte mir während der schweren Gefahr meiner Krankheit unter seinem Dache eine Zuflucht gewährt hat.

Ich glaube, die Gründe, welche Mr. Noël Vanstone veranlaßt haben, sich und sein Weib fortwährend verborgen zu halten, sind solche, die sich ganz und gar auf mich beziehen. In erster Linie fürchtet er, daß die Umstände, unter welchen er geheirathet hat, ganz darnach angethan sind, mir das Recht zu geben, ihn mit Unwillen anzusehen. In zweiter Linie weiß er, daß meine treuen Dienste bei seinem Vater und ihm selbst einen Zeitraum Von zwanzig Jahren hindurch, ihm schon aus Anstandsrücksichten nicht gestatten, mich hilflos in die Welt hinauszustoßen ohne eine Versorgung bis ans Ende meiner Tage. Er ist der gemeinste Mensch, welcher auf Gottes Erdboden lebt, und seine Frau ist das gemeinste Weib, das auf der Welt ist. So lange er es vermeiden kann, seine Verbindlichkeiten gegen mich zu erfüllen, wird er es thun, und man kann sich darauf verlassen, daß ihn seine Frau ermuntern und in seiner Undankbarkeit bestärken wird.

Mein Zweck, weshalb ich ihn ausfindig zu machen entschlossen bin, ist kürzlich folgender. Seine Verheirathung hat ihn Folgen ausgesetzt, welche auch ein Mann von zehn Mal mehr Muth, als er selbst besitzt, nicht ohne Schaudern ins Auge fassen würde. Von diesen Folgen weiß er noch Nichts. Seine Frau weiß davon und hält ihn in Unkenntniß. Ich weiß es und kann ihm ein Licht aufstecken. Seine Sicherheit vor der ihm drohenden Gefahr liegt lediglich in meinen Händen, und er soll den Preis seiner Rettung bis auf den letzten Heller der Schuld bezahlen, welche die Gerechtigkeit als mein Theil fordert, nicht mehr und nicht weniger.

Ich habe Ihnen nun mein gerz ohne Rückhalt eröffnet, wie Sie es wünschten. Sie wissen nun, warum ich diesen Menschen ausfindig machen muß und was ich thun werde, sobald ich ihn finde. Ich überlasse Ihrer Theilnahme gegen mich, die noch bleibende ernste Frage zu beantworten: Wie wird die Entdeckung ausgeführt werden? Wenn nur eine erste Spur von Denselben nach ihrer Wegreise von Aldborough gefunden werden könnte, so glaube ich, würde eine sorgfältige Nachforschung für das Weitere genügen. Die persönliche Erscheinung der Frau und der außerordentliche Gegensatz zwischen ihrem Gatten und ihr selbst müssen jedem Fremden, der sie steht, sicher auffallen und in Erinnerung bleiben.

Wenn Sie mich mit einer Antwort erfreuen, so richten Sie die Adresse folgender gestalt ein:

ADMIRAL BARTRAM
ST. CRUX

in der Marsch
bei Ossory
ESSEX.

Ihre ganz ergebene

Virginie Lecount.



Kapiteltrenner

VI.

Mr. De Bleriot an Mrs. Lecount

Kingsland Darks Häuser,
den 25. October 1847

(Ganz geheime und vertrauliche Mittheilung.)
Liebe Madame!

Ich eile, Ihnen auf Ihr Geehrtes vom letzten Sonnabend Folgendes zu antworten. Die Umstände sind mir sofern günstig gewesen, daß ich in der Lage war, Ihre Interessen durch Zuratheziehung eines meiner Freunde zu fördern, eines Freundes, welcher in der Leitung von geheimen Nachforschungen aller Art sehr erfahren ist. Ich habe ihm —— ohne Namen zu nennen —— Ihren Fall vorgelegt, und ich freue mich, Ihnen mittheilen zu können, daß unsere beiderseitigen Ansichten über das besondere Verhalten, das Sie einzuhalten haben dürften, in jeder Einzelheit übereinstimmen.

ir Beide, mein Freund und ich, sind der Meinung, daß wenig oder gar Nichts geschehen kann, um die Personen, die Sie im Sinne haben, aufzuspüren, bevor nicht der Ort ihres zeitweiligen Aufenthaltes, nachdem sie Aldborough verlassen, entdeckt worden ist. Wenn Dies überhaupt geschehen kann, so mag es je eher je lieber geschehen. Nach Ihrem Briefe zu urtheilen, müssen einige Wochen ins Land gegangen sein, seitdem der Advocat keine Mittheilungen erhielt, wonach dieselben ihren Aufenthalt verändert hatten. Wenn sie Beide auffallend aussehende Personen sind, so haben sie die Leute, welche mit ihnen unterwegs zu thun hatten, wahrscheinlich noch nicht vergessen. Nichtsdestoweniger ist eine Reise wünschenswerth.

Die Frage, welche Sie zu erwägen haben, ist nun, ob Dieselben die Adresse, welche wir so nöthig brauchen, nicht möglicherweise einer andern Person außer dem Advocaten mitgetheilt haben. Der Gatte kann doch an Mitglieder seiner Familie geschrieben haben, oder die Frau hat an Jemand von den Ihrigen geschrieben. Wir beide, ich und mein Freund, sind der Meinung, daß das Letztere das Wahrscheinlichere ist. Wenn Sie also irgend eine Möglichkeit haben, zu der Familie seiner Frau in Beziehung zu treten, so empfehlen wir Ihnen dringend, davon Gebrauch zu machen. Wo nicht, so geben Sie uns die Namen vor irgendwelchen näheren Verwandten oder vertrauten Freunden, die Sie kennen, und dann wollen wir versuchen, statt Ihrer uns Eingang zu verschaffen.

Auf jeden Fall ersuchen wir Sie zugleich, geben Sie uns gefälligst die genaueste Personalbeschreibung, welche nur von beiden Personen gegeben werden kann. Wir können Ihres Beistandes in diesem wichtigen Punkte binnen hier und fünf Minuten benöthigt sein. Senden Sie uns also die Beschreibung gefälligst mit umgehender Post. Inzwischen wollen wir uns bemühen, unsererseits herauszubekommen, ob insgeheim auf Mr. Loscombes Schreibstube Etwas zu erfahren ist. Der Advocat selbst ist wahrscheinlich unnahbar für uns. Aber wenn einer von seinen Schreibern mit Vortheil behandelt werden kann, unter Bedingungen, welche für Ihre Geldmittel nicht unerschwinglich sind, so seien Sie versichert, daß die Gelegenheit beim Schopf ergriffen werden wird, werthe Madame, von

Ihrem
getreuen Diener,

Alfred De Bleriot



Kapiteltrenner

VII.

Mr. Pendril an Nora Vanstone.

Searl-Street, den 27. October 1847

Liebe Miss Vanstone!

Die Dame, Namens Lecount, früher als Haushälterin in Mr. Noël Vanstones Diensten, hat mich diesen Morgen auf meiner Expedition besucht und mich gebeten, ihr die Adresse von Ihnen zu geben. Ich habe sie gebeten, mich zu entschuldigen, wenn ich ihr nicht sogleich willfahren könne, und mich doch morgen früh zu besuchen, wo ich im Stande sein würde, ihr mit einer bestimmten Antwort zu dienen.

Mein Zögern in dieser Sache ist nicht etwa durch irgend ein Mißtrauen gegen die Person der Mrs. Lecount veranlaßt —— denn ich weiß durchaus Nichts gegen sie einzuwenden. Allein als sie mir ihr Gesuch vorstellte, gab sie an, der Zweck der gewünschten Unterredung sei, daß sie Sie unter vier Augen in Betreff Ihrer Schwester zu sprechen wünsche. Verzeihen Sie, wenn ich gestehen muß, daß, als ich dies hörte, ich die Adresse zurückzuhalten beschloß. Wollen Sie Ihrem alten Freunde und aufrichtigen Berather in Etwas zu Willen sein? Vergessen Sie einmal nicht, wenn ich mich aufs Stärkste dagegen ausspreche, daß Sie Sich unter was immer für einem Vorwande für die Zukunft mit den Schritten Ihrer Schwester zu schaffen machen.

Ich will Sie nicht dadurch betrüben, daß ich mich weiter darüber auslasse. Allein ich fühle ein zu tiefes Interesse für Ihr Wohlergehen und eine zu aufrichtige Bewunderung für die Geduld, mit der Sie bisher alle Ihre Prüfungen erduldet haben, als daß ich weniger sagen dürfte.

Wenn ich Sie nicht dazu vermögen kann, meinen Rath zu befolgen, so brauchen Sie Das nur zu sagen, und Mrs. Lecount soll Ihre Adresse morgen haben. In diesem Falle, den ich nicht ohne die größte Mißbilligung betrachten kann, lassen Sie Sich wenigstens noch anrathen, daß Sie ausmachen, Miss Garth bei der Unterredung zugegen sein zu lassen. In jeder Sache, die Ihre Schwester angeht, können Sie des Rathes eines alten Freundes und des Schutzes eines alten Freundes gegen Ihre eigenen großmüthigen Regungen bedürfen. Wenn ich selber Ihnen auf diese Weise hätte helfen können, so würde ich es gethan haben; allein Mrs. Lecount gab mir versteckt zu verstehen —— daß der Gegenstand, der in Frage kommen solle, zu zarter Natur sei, als daß er meine Anwesenheit vertrage. Was immer dieser Einwurf werth sein möge, er kann sich nicht auf Miss Garth erstrecken, welche Sie Beide von Jugend aus erzogen hat. Ich wiederhole daher, wenn Sie Mrs. Lecount sehen, so sehen Sie sie in Gesellschaft Miss Garths.

Immerdar Ihr getreuer

William Pendril.



Kapiteltrenner

VIII.

Nora Vanstone an Mr. Pendril.

Portland-Platz, Mittwoch.

Lieber Mr. Pendril!

Denken Sie ja nicht, daß ich undankbar bin für Ihre Liebe und Güte. Wahrlich, wahrlich, ich bin es nicht! Allein ich muß Mrs. Leconnt sprechen ——. Sie konnten ja, als Sie an mich schrieben, nicht wissen, daß ich eben einige wenige Zeilen von Magdalenen erhalten hatte, worin sie mir zwar nicht sagte, wo sie gegenwärtig ist, allein die Hoffnung unterhielt, daß wir uns binnen Kurzem sehen sollten. Hat vielleicht Mrs. Lecount mir gerade über diesen Punkt Etwas zu sagen? Selbst wenn es nicht so sein sollte, so ist und bleibt meine Schwester, mag sie thun, was sie will —— immer meine Schwester. Ich kann sie nicht verlassen, ich kann Niemandem den Rücken kehren, welcher in ihrem Namen zu mir kommt. Sie wissen, lieber Mr. Pendril, ich bin immer in diesem Punkte eigensinnig gewesen, und Sie haben immer Geduld mit mir gehabt. Lassen Sie mich Ihnen noch mehr verpflichtet sein, mehr als ich Ihnen vergelten kann, —— aber haben Sie noch ferner Geduld mit mir!

Brauche ich Ihnen erst noch zu sagen, daß ich recht gern Ihren Rath, soweit er Miss Garth betrifft, annehme? Ich habe ihr bereits schriftlich die Bitte mitgetheilt, daß sie morgen Nachmittag vier Uhr hierher kommen möge. Wenn Sie Mrs. Lecount sehen, so benachrichtigen Sie dieselbe gefälligst, daß Miss Garth bei mir sein und daß sie selbst uns hier morgen um vier Uhr bereit finden werde, sie zu empfangen.

Ihre dankbar ergebene

Nora Vanstone.



Kapiteltrenner

IX.

Mr. De Bleriot an Mrs. Lecount.

Darks Häuser, den 28. October.

(Privatmittheilung.)
Liebe Madame!

Einer Von Mr. Loscombes Schreibern hat sich gegen eine geringe Geldvergütung bereit finden lassen und uns einen Umstand mitgetheilt, den zu kennen für Sie von einiger Wichtigkeit sein kann.

So ziemlich vor einem Monate verschaffte der Zufall dem in Frage stehenden Schreiber Gelegenheit, in eine der Urkunden auf seines Herrn Tische Einsicht zu erhalten. Er hatte während Mr. Loscombes augenblicklicher Abwesenheit gerade nur soviel Zeit, seiner Neugier Genüge zu thun, indem er auf den Anfang und das Ende der Urkunde sah. Am Schlusse entdeckte er die Unterschrift von Mr. Noël Vanstone mit dem Namen zweier Zeugen darunter und den Tag —— dessen er ganz gewiß ist ——: den dreißigsten September d. J.

Ehe noch der Schreiber Zeit hatte, weitere Nachforschungen anzustellen, kam sein Herr wieder zurück, ordnete die Papiere auf dem Tische und verschloß sorgfältig das Testament in dem festen Koffer, welcher dazu bestimmt war, Mr. Noël Vanstones Urkunden zu bewahren. Es hat sich herausgestellt, daß Mr. Loscombe gegen Ende September von der Expedition abwesend war. Wenn er damals gebraucht wurde, zur Ueberwachung von seines Clienten Testamenten, was sehr leicht möglich war, so geht doch deutlich hervor, daß er nach seiner Entfernung vom 4. September das Geheimniß von Mr. Vanstones Adresse kannte. Wenn Sie Ihrerseits Nichts thun können, so mag es wohl wünschenswerth sein, den Advocaten unsererseits bewachen zu lassen. In jedem Falle ist es erwiesen, daß Mr. Noël Vanstone nach seiner Verheirathung sein Testament gemacht hat. Ich überlasse es Ihnen, sich Ihre eigenen Schlüsse aus dieser Thatsache zu ziehen, und verbleibe in der Hoffnung, bald von Ihnen zu hören,

Ihr getreuer Diener,

Alfred De Bleriot.



Kapiteltrenner

X.

Miss Garth an Mr. Pendril.

Portland-Platz, den 28. October.

Lieber Herr!

Soeben hat uns Mrs. Lecount verlassen. Wenn es nunmehr nicht zu spät wäre, so würde ich von Grund meines Herzens wünschen, daß Nora Ihren Rath befolgt und sich geweigert hätte, sie zu sprechen.

Ich schreibe in einer solchen geistigen Niedergeschlagenheit, daß ich kaum hoffen kann, Ihnen einen klaren und vollständigen Bericht über die Unterredung zu geben. Ich kann Ihnen nur in der Kürze erzählen, was Mrs. Lecount gethan hat, und welches unsere gegenwärtige Lage ist. Das Uebrige mag verschoben bleiben, bis ich mehr gefaßt bin und Sie persönlich sprechen kann.

Sie werden sich erinneren, daß ich Ihnen von dem Briefe Mittheilung machte, den Mrs. Lecount von Aldborough aus an Nora gerichtet hatte und den ich in deren Abwesenheit an ihrer Statt beantworte. Als Mrs. Lecount heute erschien, zeigten uns ihre ersten Worte an, daß sie gekommen war, um den Gegenstand aufs Neue anzuregen. So gut ich mich besinnen kann, war nun, was sie zu Nora gewendet, sagte, etwa Folgendes:

—— Ich schrieb vor einiger Zeit einen Brief an Sie, Miss Vanstone, betreffs Ihrer Schwester und Miss Garth hatte die Güte, denselben zu beantworten. Was ich damals befürchtete, hat sich nachmals bewahrheitet. Ihre Schwester hat allen meinen Bemühungen, ihr zuvor zu kommen, gespottet, und ist in Gesellschaft meines Herrn, Mr. Noël Vanstone, verschwunden. Sie befindet sich daher in einer so gefährlichen Lage, daß sie in einem einzigen Augenblicke für ihre Lebenszeit zu Grunde gerichtet und entehrt sein kann. Mein Interesse ist es, daß ich meinen Herrn wiedererlange, Ihr Interesse ist es, Ihre Schwester zu retten. Sagen Sie mir —— denn die Zeit ist kostbar —— haben Sie irgendwelche Nachrichten von ihr?

Nora antwortete, so gut ihr Schrecken und Kummer es zuließ:

—— Ich habe einen Brief erhalten, aber es war keine Adresse darin.

Mrs. Lecount frug nun:

— War kein Poststempel auf dem Couvert?

Nora sagte:

—— Ja; Allonby.

—— Allonby ist besser, als Nichts, sprach Mrs. Lecount. Allonby kann uns dazu verhelfen, sie ausfindig zu machen. Wo liegt Allonby?

Nora sagte es ihr. Das Alles ging in einer Minute vor sich. Ich war zu verwirrt und erschrocken, als daß ich mich eher hineinmischen konnte. Allein ich sammelte mich jetzt soweit, daß ich jetzt wenigstens mich ins Mittel legen konnte.

—— Sie haben keine Einzelheiten angegeben, sagte ich, Sie haben uns nur erschreckt, Sie haben uns ja noch gar Nichts erzählt.

—— Sie sollen die näheren Umstände hören, Madame, sprach Mrs.Lecount, und Sie und Miss Vanstone sollen selber urtheilen, ob ich Sie ohne Ursache erschreckt habe.

Hierauf begann sie sogleich eine lange Erzählung, welche ich, möchte ich fast sagen, nicht vermag, welche ich nicht wage, nachzusagen Sie werden das Entsetzen verstehen, welches wir Beide fühlten, wenn ich Ihnen das Ende mittheile. Wenn Mrs. Lecounts Angaben verläßlich sind, so hat Magdalene ihren tollen Entschluß, ihres Vaters Vermögen wieder zu gewinnen, bis zur letzten und verzweifelten Consequenz verfolgt: sie hat Michael Vanstones Sohn unter falschem Namen geheirathet ——!

Ihr Gatte ist bis zu diesem Augenblick noch der festen Meinung, daß ihr Mädchenname Bygrave sei und daß sie wirklich die Nichte eines Schwindlers ist, welcher ihr bei ihrem Betruge Beistand leistete und den ich aus der Beschreibung als Hauptmann Wragge erkenne.

Ich erspare Ihnen Mrs. Lecounts kaltes Zugeständniß, das sie uns machte, als sie sich erhob, um uns zu verlassen, wie es nur ihr eigenes Geldinteresse sei, daß sie wünsche ihren Herrn zu entdecken und ihn aufzuklären. Ich erspare Ihnen die Winke, die sie fallen ließ, über Magdalenens geheime Absicht beim Eingehen dieser schändlichen Ehe. Das einzige Ziel und Ende meines Briefes ist, Sie dringend zu bitten, mir Ihren Beistand zu leisten, um Noras Seelenangst zu beschwichtigen. Der Schlag, den sie durch die mündliche Mittheilung dieser Nachrichten über ihre Schwester erhalten hat, ist noch nicht die schlimmste Folge des Vorgefallenen. Sie hat sich eingeredet, daß die Antworten, welche sie in ihrer Unschuld aus Mrs. Lecounts Fragen wegen des Briefes gab, die ihr unter dem plötzlichen Druck der Verwirrung und des Schreckens abgerungenen Antworten, zu Magdalenens Schaden benutzt werden würden durch das Weib, das sie von vornherein absichtlich darum erschreckte, damit sie die Auskunft gäbe. Ich kann sie von irgend einem verzweifelten Schritte, den sie ihrerseits thun möchte, irgend einem Schritte, durch den sie die Freundschaft und den Schutz der trefflichen Leute, bei denen, sie jetzt lebt, verscherzen könnte, nur dadurch abhalten, daß ich sie daran erinnere, daß, wenn Mrs. Lecount ihren Herrn nur mittelst des Postzeichens auf dem Briefe nachspüre, wir Magdalenen zur selbigen Zeit und auf dieselbe Weise nachspüren können. Welchen Widerwillen Sie nun auch persönlich empfinden mögen, um dies elende Mädchen, welches schon in York so beklagenswerth sich verging, zu retten, so beschwöre ich Sie um Noras willen, jetzt dieselben Schritte zu thun, die wir damals thaten. Schicken Sie mir die einzige Versicherung, welche sie beruhigen kann, die eigenhändige Versicherung, daß die Nachforschungen auch unsererseits bereits begonnen haben. Wenn Sie Dies thun werden, so können Sie sich auf mich verlassen, ich werde, wenn die Zeit kommt, zwischen beiden Schwestern stehen und Noras Frieden, Charakter und künftiges Glück um jeden Preis wahren und schützen.

Ihre aufrichtigst ergebene

Harriet Garth.



Kapiteltrenner

XI.

Mrs. Lecount an Mr. De Bleriot.

den 28. October.

Werther Herr!

Ich habe die Spur gefunden, welche Sie brauchen. Mrs. Noël Vanstone hat an ihre Schwester geschrieben. Der Brief enthält keine Adresse; aber das Postzeichen ist Allonby in Cumberland. Bei Allonby müssen daher die Nachforschungen beginnen. Sie haben bereits die Personalbeschreibung von beiden Ehegatten. Ich empfehle Ihnen dringend, keine unnöthige Zeit zu verlieren. Wenn es möglich ist, augenblicklich nach Empfang dieser Zeilen nach Cumberland zu senden, so bitte ich es zu thun.

Ich habe Ihnen noch ein Wort zu sagen, bevor ich dies mein Billet schließe —— ein Wort über die Entdeckung in Mr. Loscombes Expedition.

Es hat mich nicht überrascht, das; Mr. Noël Vanstone nach seiner Verheirathung sein Testament gemacht hat, und ich kann gar leicht errathen zu wessen Gunsten dasselbe gemacht ist. Wenn es mir glückt, meinen Herrn aufzufinden, so lassen Sie nur die Person das Geld bekommen, wenn sie es im Stande ist! Es ist mir ein Verfahren eingefallen, seitdem ich Ihren Brief erhalten habe; jedoch läßt mich meine Unbekanntschaft mit den Einzelheiten des Geschäftes und den Spitzfindigkeiten des Gesetzes noch ungewiß, ob mein Gedanke einer schnellen und sichern Ausführung fähig ist. Ich will Sie morgen zwei Uhr auf Ihrem Bureau besuchen, um Ihren Rath über diesen Gegenstand zu hören. Es ist von großer Wichtigkeit, daß, wenn ich Mr. Noël Vanstone das nächste Mal sehe, er mich in dieser Angelegenheit mit dem Testament vollständig gerüstet finde.

Ihre ganz ergebene Dienerin,

Virginie Lecount.



Kapiteltrenner

XII.

Mr. Pendril an Miss Garth.

Searle-Street den 29. October.

Liebe Miss Garth!

Ich habe nur einen Augenblick, um Ihnen den Schmerz auszudrücken, mit dem ich Ihren Brief gelesen habe. Die Umstände, unter denen Sie Ihr Ersuchen stellen, und die Gründe, die Sie dafür angeben, daß Sie es stellen, reichen hin, um jeden Einwand zurückzuweisen, den ich sonst gegen das Verfahren, das Sie vorschlagen, vorzubringen hätte. Eine zuverlässige Person, die ich selbst angewiesen habe, wird noch heute nach Allonby abgehen, und sobald ich von derselben irgend welche Nachricht erhalte, sollen Sie durch einen expressen Boten davon Kunde bekommen. Sagen Sie Dies Miss Vanstone und fügen Sie freundlich den aufrichtigen Ausdruck meines Mitgefühles und meiner Hochachtung hinzu.

Ihr Getreuer,

William Pendril.



Kapiteltrenner

XIII.

Mr. De Bleriot an Mrs. Lecount.

Darks Häuser, den l. November.

Liebe Madame!

Ich habe das Vergnügen, Ihnen anzuzeigen, daß die Entdeckung mit weit weniger Schwierigkeit gemacht worden ist, als ich gedacht hätte.

Mr. und Mrs. Noël Vanstone sind über die Meerenge von Solway bis nach Damfries und von da nach einer Villa wenige Meilen von der Stadt an dem Ufer des Nith verfolgt worden. Die genaue Adresse ist:

VILLA BALIOL
bei
DUMFRIES.

Diese so leicht ausgekundschaftete Spur wurde nichtsdestoweniger unter ziemlich seltsamen Verhältnissen und Umständen erlangt.

Ehe die Personen, welche ich dazu angestellt hatte, Allonby verließen, entdeckten sie zu ihrer Verwunderung, daß ein Fremder am Orte war, der dieselben Nachforschungen als sie selber anstellte. Im Mangel jeder Anweisung, die sie auf einen solchen Zwischenfall vorbereiteten, faßten sie den Umstand von ihrem eigenen Gesichtspunkte ins Auge. Indem sie den Mann als Einen, der in ihr Handwerk pfuschte, dessen Erfolg sie um die Ehre und den Gewinn der Entdeckung bringen könnte, ansahen, machten sie sich ihre Ueberlegenheit in der Anzahl und den Umstand, daß sie die Ersten auf dem Platze waren, zu nutze und führten den Fremden gründlich irre, ehe sie mit ihren eigenen Nachforschungen weiter vorgingen. Ich bin von den Einzelheiten ihrer Maßregeln unterrichtet, will Sie aber nicht damit weiter behelligen. Das Ende war, daß diese Person, wer immer sie auch sein möge, in geschickter Weise auf falscher Spur wieder zurück nach Süden geleitet worden ist, ehe die von mir angestellten Leute den Meeresarm überschritten.

Ich erwähne dieses Umstandes, damit Sie besser als ich im Staude seien, den Schlüssel dazu zu finden und, weil er vielleicht geeignet ist, Sie zu veranlassen, Ihre Reise zu beschleunigen.

Ihr getreuer Diener,

Alfred de Bleriot.



Kapiteltrenner

XIV.

Mrs. Lecount an Mr. De Bleriot.

Den l. November.

Lieber Herr!

Nur eine Zeile, um Ihnen anzuzeigen, daß mich Ihr Brief in meiner Wohnung zu London getroffen hat. Ich denke wohl, ich kenne Denjenigen, welcher den fremden Mann nach Allonby schickte, um dort Nachforschungen zu halten. Es kommt wenig darauf an. Ehe er seinen Irrthum einsieht, werde ich in Dumfries sein. Mein Gepäck ist gepackt, und ich gehe mit dem nächsten Zug nach dem Norden.

Ihre tief zu Dank verpflichtete

Virginie Lecount.



Kapiteltrenner


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