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Gesetz und Frau



Siebentes Kapitel.

Auf dem Wege zum Major.

»Ja,« sagte Benjamin, »das ist allerdings ein seltsames Zusammentreffen Aber ich sehe durchaus nichts Verdächtiges darin, wenn Ihr Gemahl während seiner Anwesenheit in London einen seiner Freunde besucht, und es ist ebenso natürlich, daß wir auf unserm Rückwege vom Notar Vivian Place passieren mußten.«

»Das mag ja sein. Mir sagt aber eine unabweisliche innere Stimme, daß der Besuch beim Major kein zufälliger, sondern ernstlich vorgenommener, war.«

»Lassen wir uns nicht bei unserem Diner stören,« sagte Benjamin.

»Hier ist eine Schnitte Hammelbraten. Darf ich sie Ihnen auf den Teller legen? Oder sehen Sie etwas Verdächtiges darin? Bitte, zeigen Sie mir, daß Sie kein Mißtrauen in den Hammelbraten haben. Und der Wein ist auch ganz offen und ehrlich. Ihr Wohlsein, mein Kind!«

Ich nahm den Humor des alten Mannes an, so gut ich konnte, und wir aßen und tranken und sprachen von vergangenen Zeiten. Für eine kleine Weile fühlte ich mich beinahe glücklich in der Gesellschaft meines väterlichen Freundes, »Weshalb war ich nicht ebenfalls alt? Weshalb hatte ich nicht die Liebe hinter mir, mit ihrem gewissen Elend, ihren vorübergehenden Wonnen und grausamen Verlusten? Die letzten Herbstblumen am Fenster erglänzten matt im herbstlichen Sonnenlicht. Benjamins kleiner Hund verzehrte mit vollkommener Seelenruhe sein Diner unter dem Ofen. Der Papagei im Nebenhanse ließ seine mistönende Stimme erschallen. Ich setze keinen Zweifel darin, daß es ein großes Vorrecht ist, ein menschliches Wesen zu sein. Aber wären wir nicht vielleicht glücklicher als Pflanze oder als Thier? Das kurze Wohlbehagen ging schnell vorüber, und meine früheren Beängstigungen kehrten zurück. Als ich aufstand, um mich zu empfehlen, war ich wieder dasselbe zweifelnde, verzagende unglückliche Geschöpf wie zuvor.

»Versprechen Sie mir, Sich nicht zu übereilen, mein Kind,« sagte Benjamin, als er mir die Thür öffnete.

»Ist es eine Uebereilung, zum Major Fitz-David zu gehen?« fragte ich.

»Wenn Sie allein gehen, ja; Sie können nicht wissen, was für ein Mann es ist, und wie Sie von ihm empfangen werden. Lassen Sie mich jetzt versuchen, Ihnen den Weg zu bahnen.«

Ich überlegte einen Augenblick. Dann faßte ich aber einen entscheidenden Entschluß. Ich wollte die ganze Verantwortung auf meine eigenen Schultern nehmen. Gut oder schlecht, theilnehmend oder grausam, der Major konnte sich immerhin gegen eine Frau nicht vergessen.

Es war nicht leicht, Benjamin dies mitzutheilen, weil es ihn kränken konnte. Ich bat deshalb den alten Mann, am andern Morgen zu mir in’s Hotel zu kommen, damit wir die Angelegenheit noch einmal durchsprächen. Ich muß aber zu meiner Schande gestehen, daß ich bereits mit mir einig war, vorher dem Major meinen Besuch abzustatten.

»Noch einmal, keine Uebereilung, mein Kind,« sagte Benjamin, mir die Hand drückend. »In Ihrem eigenen Interesse, keine Uebereilung.«

Als ich zu Hause kam, wartete Eustace bereits auf mich. Er schien bedeutend besserer Laune, als er bei unserem Scheiden gewesen. Er trat mir freundlich mit einem offenen Bogen Papier in der Hand entgegen.

»Mein Geschäft ist abgethan Valeria,« begann er heiter. »Kannst Du dasselbe von Deinen Einkäufen sagen?«

Ich hatte bereits seiner heiteren Laune mißtrauen gelernt und war deshalb vorsichtig geworden. »Ich bin mit Allem fertig,« entgegnete ich.

»Dann steht unserer Abreise nichts entgegen,« rief er, seinen Arm um meine Taille schlingend, und mir das Blatt Papier zum Lesen vor die Augen haltend. Es war ein Telegramm an den Steuermann der Yacht des Inhalts, daß wir diesen Abend nach Ramsgate zurückkehren und mit Eintritt der nächsten Fluth nach dem mittelländischen Meer absegeln wollten.

»Es thut mir leid, ich kann heute Abend nicht nach Ramsgate zurückgehen,« sagte ich.

»Und weshalb nicht?« fragte er, plötzlich seinen Ton ändernd.

Als er darauf einen Kuß aus meine Stirn drückte, machte er den Entschluß wankend in meiner Seele, zu Major Fitz-David zu gehen. Es bedurfte nur einer einzigen Liebkosung seinerseits, ihm mein Herz wieder ohne Rückhalt zuzuwenden. Als ich aber die Augen zu ihm emporwandte, bemerkte ich ein ungeduldiges Lauern in seinem Blick. Ich wurde sofort wieder eine Andere. Ich fühlte deutlich, daß ich nicht stillstehen dürfe sondern auf meinem Wege vorwärts schreiten müsse.

»Ich sagte Dir ja schon in Ramsgate daß ich noch einer Frist bedürfe, bis wir absegelten,« entgegnete ich ihm.

»Zu welchem Zweck?«

Nicht allein der Ton, sondern auch der Blick, indem er diese Frage an mich that, ließen jeden Nerv in mir erzittern. Die ganze nächste Vergangenheit kam mir wieder frisch ins Gedächtniß. Um aber nichts Uebereiltes zu sagen, schwieg ich lieber. Frauen allein können verstehen, was mich dieses Schweigen kostete, und Männer allein können verstehen, wie dieses Schweigen meinen Gatten irritiren mußte.

»Du brauchst Frist?« wiederholte er.

»Ich frage Dich noch einmal, zu welchem Zweck?«

Meine Selbstbeherrschung bis an die äußerste Grenze getrieben, verließ mich hier. »Ich bedarf der Frist,« sagte ich, »um mich an meinen wahren Namen zu gewöhnen.«

Er trat mit finsterem Blick auf mich zu.

»Was verstehst Du unter Deinem wahren Namen?«

»Das weißt Du ja,« antwortete ich.

»Erst dachte ich, daß ich Mrs. Woodville wäre, jetzt habe ich erfahren, daß ich Mrs. Macallan bin.«

Er schreckte vor seinem eigenen Namen zurück, als wenn ich ihn geschlagen hätte — er wurde so tödtlich bleich, daß ich glaubte, er werde ohnmächtig zu meinen Füßen sinken. — O, meine Zunge, meine Zunge! Weshalb hatte ich meine unglückselige Zunge nicht bemeistert?«

»Ich wollte Dich nicht verletzen, Eustace,« sagte ich. »Verzeihe mir.«

Er winkte ungeduldig mit der Hand, als wenn meine Worte glühende Käfer wären, die er verjagen wollte.

»Was hast Du noch mehr entdeckt?« fragte er mit leiser, ernster Stimme.

»Nichts, Eustace?«

»Nichts?« wiederholte er, indem er seine Hand vor die Stirn preßte, wie um einen Schmerz zu betäuben. »Natürlich nichts,« fügte er noch leiser, wie zu sich selbst sprechend, hinzu, »sonst würde sie ja nicht hier sein.« Er warf einen langen forschenden Blick auf mich.

»Sage das nie wieder, was Du soeben gesagt,« fuhr er dann fort. »Um Deinet- und meinetwillen, Valeria; nie ein Wort mehr darüber.«

Dann sank er in den nächsten Stuhl und sprach nicht mehr.

Ich hatte die Warnung vollständig gehört; aber die einzigen Worte, welche einen wirklichen Eindruck auf mich machten, waren die vorhergehenden, die er zu sich selbst gesprochen hatte: »Natürlich nichts, sonst würde sie ja nicht hier sein.«

Wenn ich also noch etwas Anderes, außer dem falschen Namen, entdeckt hätte, würde es mich verhindert haben, zu meinem Gatten zurückzukehren? Was konnte das Schreckliche sein, das uns auf immer geschieden hätte? Ich stand schweigend an seinem Stuhl und suchte vergebens die Antwort auf meine Fragen in seinem Antlitz. Sonst war es so beredt wenn es mir von Liebe sprach; jetzt sagte es mir Nichts.

Er saß einige Zeit, ohne mich anzublicken, und in tiefe Gedanken versunken.

Dann stand er plötzlich auf und nahm seinen Hut »Der Freund, der mir die Yacht lieh, befindet sich in London,« sagte er, »ich will zu ihm gehen und ihm sagen, daß wir unseren Plan geändert haben.« Er zerriß das Blatt mit einer Art dumpfer Resignation. »Du suchst keinen Aufschub, Du willst überhaupt nicht mit mir zur See gehen,« fügte er hinzu, »es ist also besser, wenn wir es aufgeben.«

»Bestimme darüber, wie Du willst, Eustace,« entgegnete ich traurig. »Jeder Weg durch meine Zukunft scheint mir ein- trostloser. So lange ich von Deinem Vertrauen ausgeschlossen bin, ist es ganz gleich, ob wir auf dem Lande oder der See leben; glücklich werden wir nirgends sein.«

»Wenn Du im Stande wärst, Deine Neugier zu mäßigen,« entgegnete er ernst, »könnten wir glücklich genug leben. Ich glaubte ein Weib geheirathet zu haben, das über den Schwachheiten seines Geschlechtes erhaben wäre. Eine gute Frau sollte etwas Besseres thun, als sich in die Angelegenheiten ihres Gatten drängen, die sie nichts angehen.«

Das war gewiß schwer zu ertragen, aber ich ertrug es.

»Es geht mich also nichts an,« fragte ich freundlich, »wenn ich entdecke, daß mein Gatte mich unter falschem Namen geheirathet? Es geht mich nichts an, wenn ich Deine Mutter sagen höre, daß sie mich bemitleidete? Es ist hart, mich der Neugier zeihen zu hören, weil ich die unerträgliche Stellung nicht annehmen kann, in die Du mich versetzest. Dein grausames Schweigen vergiftet unser Glück und trennt uns von einander, nachdem wir kaum angefangen haben, gemeinsam zu leben. Und dieser Gefühle wegen tadelst Du mich? Du sagst, ich dränge mich in Deine Angelegenheiten? Bedenke daß Deine Angelegenheiten auch die meinen sind. O, Eustace, weshalb läßt Du mich im Dunkeln?«

»Um Deines eigenen Besten willen,« antwortete er mit mitleidsloser Kürze.

Ich wandte mich schweigend von ihm ab. Er behandelte mich wie ein Kind.

Nach einer Weile legte er die Hand auf meine Schulter und zwang mich, ihn wieder anzublicken.

»Höre mich an,« sagte er. »Was ich Dir jetzt mittheilen werde, sage ich Dir zum ersten und zum letzten Male Valeria! Wenn Du jemals entdeckst was ich Deinem Wissen vorenthalte, dann lebst Du von diesem Augenblick an auf der Folter; Deine Ruhe ist dahin für immer. Deine Tage werden Tage des Schreckens sein; Deine Nächte voller entsetzlicher Träume! »Und ohne meine Schuld — bedenke das wohl — ohne meine Schuld! Jeder Tag Deines Lebens wird Dir neuen Kummer bringen, neue Furcht vor mir — und dennoch wirst Du mir fortwährend Unrecht thun. Bei meinem Glauben als Christ, bei meiner Ehre als Mann, wenn Du noch einen Schritt weiter thust in dieser Sache, dann ist unser Glück gemordet bis an unsern Tod! Ziehe ernstlich in Betracht, was ich Dir gesagt habe, und lasse Dir Zeit dazu. Ich gehe nun zu meinem Freunde um ihm zu sagen, daß wir unsern Plan aufgegeben. Ich werde vor Abend nicht zurück sein.« Er seufzte und blickte mich mit unbeschreiblicher Trauer an. »Ich liebe Dich, Valeria,« sagte er. »Trotz Allem, was vorgekommen ist, so wahr Gott mir helfe, ich liebe Dich mehr denn je.«

Mit diesen Worten verließ er mich.

Ich muß die vollständige Wahrheit über mich schreiben. Ich glaube kaum, daß ein anderes Weib in meiner Stelle ebenso gehandelt hätte, wie ich es that. Die entsetzlichen Worte die mein Mann zu mir gesprochen, übten keinen niederschmetternden Einfluß auf mich, im Gegentheil, sie bestärkten mich nur in meinem Entschloß, zu entdecken, was mir verborgen ward. Eustace war noch nicht zwei Minuten fort, als ich den Wagen bestellte, um zu Major Fitz-David zu fahren.

Während ich noch wartete und unruhig auf- und niederging, warf ich zufällig einen Blick in den Spiegel.

Ich erschrak vor meinem eigenen Antlitz, so wild und verstört sah es aus. Konnte ich hoffen, in diesem Zustande den nothwendig günstigen Eindruck auf einen Fremden zu machen? Meine ganze Zukunft hing vielleicht davon ab, wie ich von dem Major Fitz-David aufgenommen wurde.

Ich klingelte nachdem Stubenmädchen und dieses erschien. Ich kann keine bessere Erklärung von der verzweifelten Stimmung geben, in der ich mich befand, als durch das Geständniß, daß ich diese vollständig fremde Person über meine äußere Erscheinung befragte Sie war bereits in mittleren Jahren, und eine lange Lebenserfahrung mit all’ ihrem Elend, allen ihren Täuschungen war deutlich auf ihrem Antlitz geschrieben. Ich gab ihr soviel Geld, daß es ihr Erstaunen erweckte. Sie dankte mir mit cynischem Lächeln indem sie sichtlich meiner Annäherung an sie eine übliche Bedeutung gab.

»Was kann ich für Sie thun, Madame?« fragte sie mit vertraulichem Lächeln. »Sprechen Sie nicht so laut. Es ist Jemand im Nebenzimmer.«

»Ich wünsche hübsch auszusehen,« sagte ich, »und Sie sollen mir dabei behilflich sein.«

»Ich verstehe Madame.«

»Was verstehen Sie?«

»Ich weiß ja mit diesen Sachen Bescheid,« flüsterte sie mit einem bedeutungsvollen Kopfnicken. »Es ist ein Gentleman im Spiel.« Dann sah sie mich mit einem prüfenden Blicke an. »Ich würde meinen Anzug nicht wechseln, wenn ich in Ihrer Stelle wäre,« fuhr sie fort, »denn er steht Ihnen vortrefflich.«

Es war zu spät die Unverschämtheit des Weibes zurückzuweisen, ich konnte nicht anders, als mich ihrer bedienen. Uebrigens hatte sie in Betreff des Anzuges Recht Ich trug ein hellgrünes Seidenkleid, reich mit Spitzen besetzt, ganz entschieden das beste meiner ganzen Toilette. Mein Haar dagegen bedurfte noch der Sorgfalt einer geschickten Hand. Das Mädchen arrangirte es mit bewunderungswürdiger Uebung. Als sie Kamm und Bürste niederlegte blickte sie mich an und suchte emsig auf dem Tische umher.

»Wo haben Sie denn das hingelegt?« fragte sie.

»Ich weiß nicht was Sie meinen.«

»Sehen Sie doch nur Ihr blasses Antlitz, Madame. Er wird erschrecken, wenn er Sie anschaut Sie müssen einen Anflug von Farbe haben. Wo haben Sie es denn hingelegt? Wie? Sie besitzen es nicht? Sie brauchen es nie? O, wie unrecht!«

Damit ging sie hinaus und kam bald mit Schminke und Puder wieder. Ich that nichts, um sie von ihrem Vorhaben zurückzuhalten. Als ich nach einiger Zeit wieder in den Spiegel blickte, hatte mein Antlitz eine falsche Farbe, mein Auge einen falschen Glanz, und ich war weit entfernt mich davor zu entsetzen. Im Gegentheil, ich war sehr zufrieden mit dem abscheulichen Betrug, an dem ich Theil genommen hatte.

Ich war nur darauf bedacht, mir durch irgend welches Mittel das Vertrauen des Majors zu gewinnen. Ich mußte um jeden Preis wissen, was jene letzten Worte meines Gatten bedeuteten?


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