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Antonina oder der Untergang Roms



Band 2

Erstes Buch.

O, wo ist Gnade, wo ist Mitleid jetzt?
Wohin ist die Barmherzigkeit geflohen?
Sackville’s »Gorboduc.«

Kapitel I.
Die Gothen.

Es war kein falsches Gerücht, welches die Einwohner der Vorstädte zur Flucht hinter die schützenden Stadtmauern getrieben hatte. Es war kein unbegründeter Schrei des Entsetzens, welcher an Ulpius Ohr schlug, als er an Numerians Fenster stand. Der Name Rom’s hatte in der That seinen ursprünglichen Schrecken verloren, die Mauern Rom’s, die Mauern, welche durch ihren Ruhm das Reich moralisch, wie die Hauptstadt desselben durch ihre Stärke physisch bewahrt hatten, waren endlich ihrer alten Unverletzlichkeit beraubt. Ein Barbarenheer war, rächend und erobernd, bis nach der Hauptstadt der Welt vorgedrungen. Das Resultat, nach welchem seit sechshundert Jahren alle Einfalle vergebens gestrebt hatten, war jetzt ausgeführt und zwar von denjenigen, deren Vorfahren einst von den Legionen der Cäsaren, gejagten Stieren gleich, in ihre undurchdringlichen Wälder geflohen waren — die Gothen standen vor den Thoren von Rom!

Und welche Empfindungen regten sich jetzt in dem Herzen Alarich’s, als seine Krieger um ihn her ihr Lager aufschlugen, als er die gewaffneten Schaaren, die sein Befehl zusammengerufen und seine Energie vorwärts geführt hatte, den feilen Senat, der ihn betrogen, und das prahlerische Volk, welches ihn verachtet, vor ihren Thoren bedrohen sah? Welches hohe Streben, welche kühnen Entschlüsse erwuchsen und kräftigten sich, als die Worte des kriegerischen Commando’s von seinen Lippen sielen und seine Augen die Bewegungen der ihn umgebenden Massen beobachteten, in dem Geiste des Mannes, welcher der Vorläufer der gewaltigen Revolution war, die aus einem Viertel der Welt die Herrschaft, die Civilisation das Leben und den Geist Jahrhunderte langer Gewalt vermischte? In seinem Geiste drängten sich hohe Gedanken, in seinem Innern entfaltete sich ein kühner Ehrgeiz —— nicht der Ehrgeiz des barbarischen Räubers, sondern der des Rächers, welcher gekommen war, um zu strafen, nicht der des Kriegers, welcher um des Kampfes willen kämpfte, sondern der des Helden, der sich gelobt hatte, zu erobern und zu herrschen. Von den fernen Tagen, wo Odin durch die Römer aus seinem Gebiet vertrieben wurde, bis zu der durch das Hinschlachten der Geißeln in Aquileja befleckten Nacht war die Stunde der gerechten, furchtbaren Vergeltung für das den Gothen angethane Unrecht lange, lange Jahre hindurch, und unter warnenden Convulsionen erbitterter Kämpfe verzögert worden, um endlich unter ihm zu nahen. Der einzige Eroberer seit Hannibal, von welchem die hohen vor ihm liegenden Mauern erblickt worden waren, fühlte er im Schauen auf dieselben, daß sein neues Streben ihn nicht trog, daß seine Träume der Herrschaft zu einer herrlichen Wirklichkeit aufgingen, daß sein Schicksal sich ruhmvoll mit dem Sturze des kaiserlichen Rom’s verkettete.

Aber selbst in dem Augenblick des nahen Triumphes war der Anführer der Gothen noch in seinen Absichten schlau und in seinen Handlungen gemäßigt. Seine ungeduldigen Krieger erwarteten nur ein Zeichen, um den Sturm zu beginnen, die Stadt zu plündern und die Einwohner niederzumetzeln, aber er hielt es zurück. Das Heer war kaum vor den Thoren Rom’s zum Halt gekommen, als sich unter seinen Reihen die Nachricht verbreitete, daß Alarich aus geheimen Absichten die Stadt durch eine Blockade einzunehmen beschlossen habe.

Seine Streitkräfte, die sich während seines Marsches durch dreißigtausend Mann Hilfstruppen verstärkt hatten, wurden jetzt in Schlachthaufen getheilt, deren Stärke je nach dem von ihnen geforderten Dienste wechselte. Diese Abtheilungen lagerten sich um die Stadtmauern und waren, wiewohl getrennte Posten einnehmend und getrennten Pflichten geweiht, so aufgestellt, daß sie sich auf ein gegebenes Zeichen in jeder beliebigen Anzahl aus jedem beliebigen Punkte vereinigen konnten. Vor einem jeden von den zwölf Hauptthoren wurde ein besonderes Lager aufgeschlagen. Große Schaaren beobachteten in jeder möglichen Richtung mit unermüdlicher Wachsamkeit die Schifffahrt auf dem Tiber und keiner von den gewöhnlichen Zugängen Rom’s, wie unbedeutend er auch erscheinen mochte, wurde übersehen. Hierdurch gelang es, jeden Verkehr zwischen der belagerten Stadt und den dieselbe umgebenden ausgedehnten fruchtbaren Landstrichen vollkommen abzuschneiden. Wenn man bedenkt, daß dieser verwickelte Blockadeplan gegen eine Stadt geübt wurde, die nach der niedrigst möglichen Schätzung zwölfmalhunderttausend Einwohner enthielt, die innerhalb ihren Mauern Mangel an Magazinen hatte, deren Bedarf durch regelmäßige Zufuhren vom platten Lande gedeckt werden mußte, die von einem unentschlossenen Senate regiert und von einer verweichlichten Armee vertheidigt wurde, so lassen sich die jetzt den belagerten Römern bevorstehenden Schrecken leichter vorstellen, als beschreiben.

Unter den Heerestheilen, welche jetzt die dem Untergange geweihte Stadt umringten, wird zur Bewachung des Pincischen Thores bestimmte sich unter den jetzigen Verhältnissen der Aufmerksamkeit des Lesers am würdigsten erweisen, da Einer von den Unterbefehlshabern derselben der junge Häuptling Hermanrich war, welchen Goiswintha seit der Zeit, wo wir ihn an der Grenze oder italienischen Alpen verließen, durch alle Mühen und Gefahren des Marsches hin begleitet hatte.

Die Wachen warm ausgestellt, die Zelte aufgeschlagen, die Schutzwehren auf der Strecke, welche man gewählt hatte, um jeden möglichen Zugang zu dem Pincischen Thore besetzt zu halten, aufgerichtet worden, als sich Hermanrich zurückzog, um an Goiswinthens Seite die weiteren Befehle zu erwarten, welche ihm seine Vorgesetzten im gothischen Lager zugehen lassen würden. Die Stelle, auf welcher sich das einfache Zelt des jungen Kriegers befand, war eine geringe Anhöhe, etwas von den durch seine Kameraden gewählten Stellungen abgelegen, östlich vom Stadthore, und man überschaute von ihr aus in einiger Entfernung die verlassenen Gärten der Vorstädte und die stattlichen Paläste des Monte Pincio. Hinter seiner zeitweiligen Wohnung befand sich das durch die Flucht seiner erschreckten Bewohner in eine furchtbare Einöde verwandelte platte Land, und zu beiden Seiten sah man nichts als kriegerische Rüstungen, die, so weit das Auge reichte, ihre belebte Verwirrung von Soldaten, Zelten und Kriegsmaschinen ausbreiteten. Es war jetzt Abend. Die Mauern von Rom stiegen, von einem sich erhebenden Nebel verschleiert, sonnenlos und majestätisch vor den Augen der Gothen empor.

Das Geräusch in der belagerten Stadt wurde leiser und tiefer; es schien von der herniedersinkenden Finsterniß der Herbstnacht gedämpft zu werden und desto mehr an Hörbarkeit zu verlieren, je länger die wachsamen Belagerer von ihren verschiedenen Posten aus darauf lauschten.

In dem gothischen Lager zeigten sich allmälig in unregelmäßigen Zwischenräumen grelle Lichter. Der schmetternde Ruf der Signaltrompete erschallte rauh und kurz abgebrochen von Schaar zu Schaar und durch die nebelige, dicke Luft erhob sich in den Zwischenräumen der wichtigeren Klänge das Schlagen schwerer Hämmer und die Rufe kriegerischer Befehle. Wo die Blockadevorbereitungen noch unvollständig waren, durfte weder das Einbrechen der Nacht, noch der Vorwand der Ermüdung auch nur einen Augenblick ihren Fortgang hindern. Alarich’s unbezähmbarer Wille besiegte jedes Hinderniß der Natur, jeden Mangel des Menschen. Die Finsternis konnte ihn nicht zur Ruhe zwingen, die Müdigkeit nicht zum Zögern verlocken.

In keinem Theile des Heeres waren die Befehle des Gothenkönigs schneller und verständiger ausgeführt worden, als in dem zur Bewachung des Pincischen Thores bestimmten. Das Zusammensein Hermanrich’s und Goiswinthens in dem Zelte des jungen Häuptlings blieb daher lange Zeit hindurch von neuen Geboten aus dem Hauptquartier des Lagers ununterbrochen.

Der äußern Erscheinung nach, hatten sowohl der Bruder wie die Schwester eine Veränderung erlitten, die bedeutend genug war, um selbst in dem ungewissen Lichte der Fackel, die sie jetzt beschien, als sie zusammen an der Thür des Zeltes standen, sichtbar zu sein. Die Züge Goiswinthens, welche zu der Zeit, wo wir sie am Ufer des Gebirgssee’s zum ersten Male erblickten, trotz ihrer tiefen Leiden, noch viel von der erhabenen, imposanten Schönheit bewahrten, durch welche sie sich in ihren glücklichen Tagen ausgezeichnet hatten, besaßen jetzt nicht mehr die mindeste Spur von ihrem früheren Reize. Die Frische ihres Teints war verwelkt, die Fülle ihrer, Gestalt verschwunden. Ihre Augen hatten einen starren, Finstern Ausdruck tückischer Verzweiflung angenommen und ihr Benehmen war mürrisch, zurückstoßend und mißtrauisch geworden. Diese Veränderung in ihrem äußern Aussehen war nur die Folge einer noch gefahrvolleren in der Stimmung ihres Herzens. Der Tod ihres letzten Kindes, gerade in dem Augenblick, wo ihre Flucht sie glücklich unter den Schutz ihres Volkes gebracht, hatte sie noch verderblicher berührt, als alle ihre früher erlittenen Verluste. Die Schwierigkeiten und Gefahren, welche sie bei der Rettung ihres Sprößlings aus dem Blutbade bestanden, die trübe Gewißheit, daß das Kind von allen frühem Gegenständen ihrer Neigung der einzige war, welchen sie noch lieben konnte, das wilde Trinmphgefühl, welches sie bei der Erinnerung daran empfand, daß in diesem Falle ihre einzelnen ununterstützten Bemühungen die barbarische Hinterlist des römischen Hofes vereitelt, hatten ihr eine fast an Wahnsinn grenzende Hingebung für dieses letzte Mitglied ihrer Familie eingeflößt, und jetzt, wo ihr geliebtes Kind, ihr unschuldiges Opfer, ihr künftiger Krieger nach allen ihren Anstrengungen, es zu erhalten, dahingesiecht und gestorben, jetzt, wo sie wirklich kinderlos war, jetzt, wo die Grausamkeit der.Römer, trotz aller Geduld, alles Muthes, aller Standhaftigkeit, ihren Zweck erreicht hatte, sank jedes edle Gefühl ihres Herzens von diesem Schlage vernichtet zusammen. Ihr Kummer nahm die verderbliche Form an, welche beim Weibe alle milderen und besseren Empfindungen unwiederbringlich zerstört —— er verwandelte sich in die Verzweiflung. welche keine Theilnahme verlangt, in den Schmerz, der keine Thräne kennt.

Mit weniger hohem Geiste und nicht so empfänglichem Charakter begabt, hatte die jetzt an Hermanrich sichtbare Veränderung« zu einem mürrischen Ausdrucke und kurz angebundenen Benehmen ihren Ursprung eher in seiner beständigen Betrachtung der düsteren Verzweiflung Goiswinthens, als in einer wirklichen Revolution seines eigenen Charakters. Wie viele Punkte äußerer Aehnlichkeit auch jetzt zwischen dem Bruder und der Schwester sichtbar werden mochten, so zog die verschiedene Stufe ihres moralischen Standpunktes von selbst die Verschiedenheit in der Stärke des inneren Kummers eines Jeden nach sich. Hermanrich besaß bei allen Prüfungen und Kümmernissen, die ihn bestürmten, die gesunde Elasticität der Jugend, die durch die kriegerischen Beschäftigungen seines Geschlechts ausfrecht erhalten wurde. Goiswintha konnte sich weder auf die eine, noch aus die andere stützen. Ihre Gedanken wurden von keiner Beschäftigung in Anspruch genommen, als von der bitteren Erinnerung. Ohne ein liebevolles Streben, ohne beschwichtigende, das Herz erfüllende Hoffnung war sie unwiderruflich dem Einflusse ungetheilten Schmerzes und rachsüchtiger Verzweiflung anheimgefallen.

Das Weib sowohl, wie der Krieger standen eine Zeitlang schweigend neben einander da. Endlich redete Hermanrich, ohne seine Augen von der darüber dämmernden, formlosen Masse, die alles war, was die Nacht noch von der dem Verderben geweihten Stadt erkennen ließ, abzuwenden, Goiswinthen an.

»Hast Du keine Worte des Triumphes, wenn Du auf die Wälle blickest, die, so in seinen Händen zu sehen, Dein Volk Generationen hindurch gekämpft hat? Kann ein gothisches Weib schweigen, wenn es vor Rom steht?«

»Ich bin hierher gekommen, um Rom plündern und Römer schlachten zu sehen! was nützt mir das blockirte Rom?« entgegnete Goiswintha zornig. »Die Schätze in jener Stadt werden ihre Sicherheit von unserm Könige erkaufen, sobald die zitternden Feiglinge auf den Wällen Herz genug fassen, um in ein gothisches Lager zu dringen. Wo ist die Rache in jenen fernen Palästen, die Du mir versprochen hast? Sehe ich Dich in die Häuser von Rom die Vernichtung tragen, welche die Soldaten jener Stadt durch die Wohnungen der Gothen gebracht haben? Ist das Heer hier, um zu plündern oder um sich Ruhm zu erwerben? Ich hatte in meiner weibischen Verblendung geglaubt, daß es da sei, um Rache zu nehmen.«

»Schmach wird Dich rächen —— Hungersnoth wird Dich rächen —— Pestilenz wird Dich rächen!«

»Sie werden meine Nation rächen, aber nicht mich. Ich habe das Blut gothischer Frauen um mich vergießen sehen —— ich habe die blutenden Leichen meiner Kinder zu meinen Füßen erblickt! —— wird mir eine Hungersnoth, die ich nicht sehen und eine Pest, die ich nicht beobachten kann, dafür Rache gewähren! Schau her! hier ist der Helmschmuck meines Gatten, Deines Schwagers —— der Helmschmuck, der mir als Zeuge, daß ihn die Römer erschlagen hatten, zugeworfen worden ist —— seit dem Blutbade von Aquileja hat er meinen Busen nie verlassen. Ich habe geschworen daß das Blut, welches ihn färbt und verdunkelt, im Blute des römischen Volkes abgewaschen werden soll. Selbst wenn ich vor diesen verfluchten Mauern umkäme, selbst wenn Du mir in Deiner muthlosen Geduld Schutz und Hilfe versagtest, würde ich, so verwitwet, schwach und verlassen ich auch bin, mich doch an die Erfüllung meines Eides halten.«

Hiermit umhüllte sie den Helmschmuck mit ihrem Mantel und wendete sich in bitterer, unverhohlener Verachtung kurz von Hermanrich ab. Alle Eigenschaften ihres Geschlechts, sowohl dem Gedanken, wie dem Ausdrucke und Wesen nach, schienen sie verlassen zu haben. Selbst die Töne, welche sie aussprach, waren rauh und unweiblich.

Jedes von ihr ausgestoßene Wort, jede ihrer Gebärden waren tief in das Innerste des jungen Kriegers, welchen sie anredete, gesunken, und hatten die wildesten Leidenschaften seines Herzens aufgeregt. Das erste Nationalgefühl, welches sich in der Frühlingszeit der gothischen Geschichte entdecken läßt, ist die Liebe zum Kriege, das zweite aber die Verehrung der Frauen. Dieses letztere, unter einem so rauhen, wenig für Gefühle empfänglichen Volke äußerst auffallende Gefühl hatte nicht den mindesten Zusammenhang mit den starken, fesselnden Banden, welche die natürliche Folge der wärmeren Temperamente der südlicheren Nationen sind, denn die Liebe gehörte bei dem kalten, abgehärteten Charakter des nordischen Kriegers zu den niedrigen, unedeln Leidenschaften. Es war das Resultat von Schlußfolgerungen und Beobachtungen, nicht von instinktmäßiger Empfindung und momentanem Triebe. In dem wildpoetischen Codex des altgothischen Glaubens befand sich eine Lehre, die sich auffallend dicht einer wichtigen Theorie in dem christlichen Systeme näherte —— die Wachsamkeit eines allmähligen Schöpfers über einem endlichen Geschöpfe. Jede Handlung des Körpers, jede Regung des Geistes war, dem Religionssysteme der Gothen zufolge, die Wirkung des direkten, wiewohl unsichtbaren Einschreitens der Götter, welche sie anbeteten. Als sie daher bemerkten, daß der Körper der Frauen den räthselhaften Gesetzen der Natur und des Temperaments stärker unterworfen war, und ihr Geist mächtiger von den angeborenen, universellen Instinkten der Menschheit beherrscht wurde, als ihr eigner, so zogen sie daraus den unvermeidlichen Schluß, daß das weibliche Geschlecht von den Göttern ihres Glaubens unablässiger berücksichtigt und beständiger und auffallender beeinflußt werde, als das männliche. In dieser Ueberzeugung übertragen sie das Studium der Medicin, das Auslegen der Träume und in vielen Fällen die Geheimnisse des Verkehrs mit der unsichtbaren Welt der Sorge ihrer Frauen. Das Weib wurde ihr Rathgeber in schwierigen Fällen ihr Arzt in der Krankheit, ihre Gefährtin vielmehr als ihre Geliebte, mehr der Gegenstand ihrer Verehrung, als die Vermittlerin ihrer Freuden. Wenn auch in späteren Jahren die Nationalwanderungen der Gothen das Temperament der Nation veränderten, wenn sie auch ihre alte Mythologie mit der Christusreligion vertauschten, so wurden sie doch nie vollkommen von dieser seit ihrer frühesten Existenz als Volk bei ihnen herrschenden Empfindung verlassen, sondern sie behaupteten mit verschiedenen Modificationen und in verschiedenen Formen bei allen Veränderungen der Sitten und Gebräuche einen großen Theil ihrer alten Herrschaft, die sich bis auf ihre Nachkömmlinge unter den jetzigen Völkern Europa’s in der Gestalt des allgemein eingeführten Gesetzbuches der Höflichkeit gegen die Frauen erhalten hat, welche für einen Hauptunterschied zwischen den Socialsystemen der Bewohner civilisirter und uncivilisirter Länder gilt.

Diese mächtige, auffallende Herrschaft des Weibes über den Mann bei den Gothen konnte sich kaum schlagender zeigen, als bei Hermanrich. Man erblickte sie nicht nur an dem verschlimmernden Einflusse der beständigen Gesellschaft Goiswintha’s auf seinem mannhaften Charakter, sondern auch in der starken Wirkung, welche die letzten von ihr gesprochenen Worte auf seinen Geist ausgeübt hatten. Seine Augen blitzten zornig, seine Wangen glühten beschämt, als er auf die Theile ihrer ingrimmigen Reden hörte, welche den bittersten Bezug auf ihn hatten. Sie schwieg und war im Begriff, sich in das Zelt zurückzuziehen, als er sie festhielt und in lauten, anklagenden Tönen entgegnete:

»Du thust mir durch Deine Worte Unrecht! Habe ich Dir meinen Schutz verweigert, als ich Dich in den Alpen erblickte? Habe ich das verwundete Kind ohne Hilfe dulden lassen? Habe ich es, als es starb, auf der Erde verfaulen lassen oder seiner Mutter die Bereitung seines Grabes anheimgegeben. Habe ich vergessen, daß das Schwert an meiner Schulter hing, als wir uns Aquileja näherten und an Ravenna vorüber marschierten? Ist es durch meinen Willen in der Scheide geblieben? Bin ich durch meinen Willen nicht in die Thore der römischen Städte getreten, sondern in Eile an ihnen vorübergegangen? War es nicht der Befehl des Königs, welcher mich zurückhielt, und konnte ich, sein Krieger, ihm den Gehorsam versagen? Ich schwöre Dir es zu, daß ich mich nach Ausübung der Rache sehne, welche ich Dir versprochen habe, aber geziemt es mir, die Beschlüsse Alarich’s zu verändern? Kann ich allein die Stadt stürmen, welche wir nach seinen Befehle blockieren sollen? Was willst Du von mir?«

»Ich will, daß Du Dich erinnerst,« erwiderte Goiswintha entrüstet, »daß die Römer Deinen Schwager getödtet und mich kinderlos gemacht haben! Ich will, daß Du Dich erinnerst, daß ein öffentlicher Krieg, wenn er auch jahrelang dauert, nicht im Stande ist, das auch nur einstündige Nagen der Privatrache zu vermindern! Ich will, daß Du Dich weniger der Weisheit Deines Generals unterwerfen und stärker das Dir widerfahrene Unrecht berücksichtigen möchtest! Ich wollte, daß Du gleich mir nach dem Blute des ersten Bewohners jener Verrätherhöhle dürstete, der, sei es nun zum Frieden oder zum Kriege, aus ihren schützenden Mauern hervorkäme!«

»Sie brach ab, um seine Antwort zu hören. Hermanrich aber sprach keine Silbe. Das muthige Herz des jungen Häuptlings schrak vor dem vorbedachten Morde zurück, welcher ihm in Goiswinthens verschleierter aber ausdrucksvoller Rede angerathen wurde; —— mit seinen Kameraden gemeinschaftlich die Stadt im Sturme zu nehmen, in der Hitze der Schlacht die schlimmsten Schrecken des Blutbades von Aquileja zu übertreffen, würden Thaten gewesen sein, die mit seinem wilden Geiste und seiner kriegerischen Erziehung im Einklange standen, sich aber in Goiswinthens Pläne zu fügen, war ein Opfer, welches gerade die Eigenthümlichkeiten seines martialischen Charakters seinem Geiste zuwider machten. Diese Gedanken würde er seiner Gefährtin in demselben Maße mitgetheilt haben, wie sie durch seinen Geist gingen; in der furchtbaren ominösen Veränderung ihres Charakters, seit er ihr auf den Alpen begegnet war, in ihrem rasenden, unatürlichen Lechzen nach Blut und Rache lag jedoch etwas, wodurch sie einen geheimnißvollem mächtigen Einfluß auf seine Gedanken, Worte und selbst Thaten erhielt. Er zauderte und schwieg.

»Bin ich nicht geduldig gewesen?« fuhr Goiswintha fort, indem sie ihre Stimme zu Lauten eindringlicher, bewegter Bitte senkte, welche mißtönig in Hermanrich’s Ohr klangen, als er bedachte, wer die Bittende sei und was der Gegenstand ihres Verlangens sein würde; —— »bin ich nicht die ganze lange Reise von den Alpen her geduldig gewesen? Habe ich nicht selbst vor den schutzlosen Stadien, an denen wir auf dem Marsche vorüberkamen, die Stunde der Vergeltung abgewartet? Habe ich nicht aus Deinen Antrieb meine Sehnsucht nach Rache bis zu dem Tage beherrscht, wo Du mit den Kriegern der Gothen jene Mauern ersteigen würdest, um die stolzen Verräther von Rom mit Feuer und Schwert zu züchtigen? Ist dieser Tag erschienen? Soll diese Blockade die Vergeltung bilden, welche Du mir bei der Leiche meines gemordeten Kindes versprochen hast? Erinnere Dich an die Gefahren, denen ich Trotz bot, um das Leben des Letzten meines Hauses zu bewahren —— und willst Du nichts wagen, um seinen Tod zu rächen? Sein Grab ist ungepflegt und einsam. Weit von den Wohnungen seines Volkes, im Morgen seiner Schönheit geknickt, im Keime seiner Kraft geschlachtet, liegt der Sprößling Deines Schwagers da, und die Uebrigen —— die beiden Kinder, die noch an der Mutter Brust lagen, der Vater, der tapfer in der Schlacht und weise im Rathe war —— wo sind sie? Ihre Gebeine bleichen auf der obdachlosen Erde oder vermodern unbegraben am Strande des Ozeans. Bedenke, wie glücklich, wenn sie am Leben geblieben wären, Deine Tage mit ihnen zur Zeit des Friedens verstrichen sein würden! wie gern Dein Schwager mit Dir zur Jagd hinausgezogen wäre! wie freudig sich seine Söhne an Deine Knie geschmiegt haben würden, um von Deinen Lippen die ersten Lehren zu lesen, welche sie für das Leben des Kriegers ausbilden sollten. Denke an solche Genüsse und dann bedenke, daß römische Schwerter Dich ihrer aller beraubt haben!«

Ihre Stimme bebte, sie hielt einen Augenblick inne und schaute wehmüthig in Hernianrich’s abgewendetes Gesicht auf. Jeder Zug aus dem Antlitze des jungen Häuptlings verkündete die Aufregung, welche ihre Worte in seinem Herzen hervorgebracht hatten. Er versuchte zu antworten, seine Zunge war aber in diesem Augenblicke kraftlos. Der Kopf sank ihm auf die wogende Brust und er seufzte schwer, indem er stumm Goiswinthens Hand ergriff. Der Zweck ihres Verlangens war seiner Erreichung nahe —— er begann sich in die gut gespannten Netze der Bersucherin zu verfangen.

»Bist Du immer noch stumm?« fuhr sie düster fort, »wunderst Du Dich immer noch über meinen Durst nach Rache, über mein Lechzen nach römischem Blut. Ich sage Dir, daß mein Verlangen sich in mir in Folge von Eingebungen der Stimmen einer andern unbekannten Welt erhoben hat. Sie spornen mich an, gegen das Volk, welches mich gatten- und kinderlos gemacht hat, Vergeltung zu suchen —— dort in seiner prahlerischen Stadt an ihren üppigen Bürgern, in ihren prächtigen Häusern, —— an der Stelle, wo ihre schändlichen Rathschläge Wurzel schlagen und wo ihre grausamen Verräthereien ihre blutige Quelle haben! Ich habe in dem Buche, welches unsere Lehrer anbeten, lesen hören, daß vergossenes Blut zum Himmel aufschreit! Das ist die Stimme, Hermanrich, das ist die Stimme, die ich gehört habe. Ich habe geträumt, daß ich an, einem Meere von Blut, auf einem Strande von Leichen wandelte —— ich habe aus diesem Meere die Leichen meines Gatten und meiner Kinder von römischen Wunden zerfleischt auftauchen sehen! Sie haben mir durch den sie umgebenden blutigen Dunst zugerufen: Sind wir noch ungerächt? Ist Hermanrich’s Schwert noch in der Scheide? Eine Nacht nach der andern habe ich diese Visionen gesehen und jene Stimmen gehört und hoffte aus keine Erlösung davon vor dem Tage, der das Heer vor den Mauern von Rom gelagert und mit Aufrichtung der Sturmleitern beschäftigt sehen würde! Und wie ist jetzt nach aller meiner Geduld dieser Tag gekommen? Verflucht sei die Habsucht! Sie steht den Kriegern und Dir höher als die Gerechtigkeit der Rache.«

»Höre mich an! höre mich an!« rief Hermanrich flehend.

»Ich will nichts mehr hören,« unterbrach ihn, Goiswintha, »die Sprache meines Volkes ist meinen Ohren fremd geworden, denn sie redet nur von Beute und Frieden, von Gehorsam, Geduld und Hoffnung. Ich will nichts mehr hören, denn die Verwandten, denen ich mein Ohr zu leihen liebte, sind dahin —— sie sind bis auf Dich alle von den Römern erschlagen —— und von Dir sage ich mich los.«

Durch den Aufruhr, der in seinem Herzen durch Goiswinthens wilde Enthüllungen der schlimmen Leidenschaft, welche sie verzehrte, erweckten Gefühle, aller Ueberlegungskraft beraubt, murmelte der junge Gothe, am ganzen Körper bebend, und immer noch abgewendetem Gesichte mit heiserer schwankender Stimme:

»Verlange von mir, was Du willst! ich habe keine Worte, um Dir es abzuschlagen, keine Macht, um Dich zu tadeln, verlange von mir, was Du willst!«

»Versprich mir,« rief Goiswintha, indem sie Hermanrich’s Hand ergriff und mit einem Blicke wilden Triumphes in sein verstörtes Antlitz schaute, »daß diese Blockade der Stadt meiner Rache keinen Eintrag thun soll! Versprich mir, daß das erste Opfer unserer gerechten Rache, der erste Bewohner Rom’s sein soll, der, sei es nun zum Kriege oder Frieden, vor Dir erscheint!«

»Ich verspreche es!« rief der Gothe. Und diese drei Worte besiegelten das Schicksal seines künftigen Lebens.

Während der jetzt zwischen Goiswintha und Hermanrich eingetretenen Stille und des tiefen Nachdenkens, in welches Beide versunken waren, begann sich die um sie her ausgebreitete Gegend langsam von einem weichen, klaren Lichte zu erhellen. Der Mond, dessen trübe, große Scheibe sich, in eine düstere Röthe gekleidet, in dem Abendnebel erhoben hatte, war jetzt über die höchsten Ausdünstungen der Erde gestiegen und strahlte nieder, mit seiner gewohnten bleichen Farbe angethan, am Nachthimmel. Allmälig, aber doch wahrnehmbar, rollte sich eine Dunstschicht nach der andern von den hohen Zinnen der römischen Paläste und die höchst gelegenen Orte der mächtigen Stadt begannen, so zu sagen, in dem weichen, friedlichen, geheimnißvollen Lichte aufzudämmern, während die niedriger stehenden Abtheilungen der Mauern, die verödeten Vorstädte und ein Theil des gothischen Lagers, noch in die Dunkelheit des Nebels getaucht, in einem großartigen finsteren Kontraste mit dem glänzend erleuchteten Bilde, welches fast über ihnen zu schweben schien, dalagen. Erhöhte, offene Orte hinter dem Zelte Hermanrich’s begannen stellenweise sichtbar zu werden und von Zeit zu Zeit vernahm man jetzt aus der Ferne von den einzeln stehenden Bäumen her den Gesang der Nachtigall. Die Natur versprach, nach welcher Richtung hin man sie auch beobachten mochte, eine wolkenlose stille Nacht des herbstlichen Klima’s im alten Italien.

Hermanrich war der Erste, welcher zur Betrachtung der Außenwelt zurückkehrte. Er bemerkte, daß die noch neben seinem Zelte lodernde Fackel sich, seit sich der Mond erhoben und die Dünste zerstreut hatte, nutzlos geworden war, schritt auf dieselbe zu und löschte sie aus und blickte darauf über die langsam vor ihm aufdämmernde Ebene hin. Er war erst kurze Zeit damit beschäftigt gewesen, als er eine menschliche Gestalt in geringer Entfernung langsam über eine theilweise erleuchtete hügelige Stelle hinschreiten zu sehen glaubte. Es war unmöglich, daß dieselbe zu seinen Leuten gehören konnte —— sie waren alle an ihren Posten versammelt und er wußte, daß sein Zelt an der äußersten Grenze des Lagers vor dem Pincischen Thore liege.

Er blickte wieder hin. Die Gestalt kam immer noch näher, befand sich aber in zu großer Entfernung, um ihm in dem ungewissen Lichte, welches ihn umgab, ihre Nation, ihr Geschlecht oder Alter entdecken zu lassen. Das Herz pochte ihm, als er seines Goiswintha gegebenen Versprechens gedachte und die Möglichkeit vor Augen sah, daß es ein armer Sklave sei, den die Flüchtlinge, die am Morgen aus den Vorstädten geflohen waren, seinem Schicksale überlassen hatten und der sich jetzt als letztes Auskunftsmittel seinen Feinden im Lager nähere, um bei ihnen Gnade und Schutz zu suchen. Er wendete sich, als die Idee seinen Geist durchzuckte, Goiswinthen zu und bemerkte, daß sie noch immer in Gedanken versunken war. Durch ihren Anblick überzeugt, daß sie die Flüchtlingsgestalt noch nicht bemerkt hatte, lenkte er seine Blicke wieder mit einem Uebermaße von Besorgniß, welches er sich kaum zu erklären vermochte, der Gegend zu, wo er sie zuerst bemerkt hatte, aber sie war nicht mehr zu sehen. Sie hatte sich entweder in einen Versteck zurückgezogen oder näherte sich durch eine Baumgruppe, womit der Abhang bekleidet war, immer noch seinem Zelte.

Die Minuten schleppten sich langsam hin und noch immer war nichts wahrzunehmen. Endlich, als Hermanrich schon zu zweifeln begonnen, ob ihn nicht seine Sinne in dem, was er bisher zu sehen geglaubt, getäuscht hatten, kam die flüchtige Gestalt plötzlich unter den Bäumen hervor, eilte schwankenden Ganges über die ebene, bethaute Stelle, welche sie noch von dem jungen Gothen trennte, erreichte sein Zelt und fiel dann mit einem schwachen Schrei ohnmächtig zu seinen Füßen aus den Boden nieder.

Der Schrei, so schwach er auch war, erregte Goiswinthens Aufmerksamkeit. Sie wendete sich augenblicklich um, stieß Hermanrich bei Seite und hob die Fremde in ihren Armen auf. Die leichte, schlanke Gestalt, die schöne Hand und der weiße Arm, welche bewegungslos herabhingen, die langen, tiefschwarzem von der feuchten Nachtluft schweren Locken verriethen augenblicklich das Geschlecht und Alter des Flüchtlings. Es war ein junges Mädchen.

Goiswintha gab Hermanrich ein Zeichen, die verlöschte Fackel an seinem nahen Wachtfeuer wieder anzuzünden und trug das noch bewußtlose Mädchen in sein Zelt. Als ihr der Gothe schweigend gehorchte, zuckte ein unbestimmter plötzlicher Argwohn, dem er Worte zu verleihen schaudern, durch seinen Geist. Seine Hand zitterte so stark, daß er kaum die Fackel anzuzünden vermochte und so kühn und kräftig er auch war, schwankten doch seine Glieder unter ihm, als er langsam in das Zelt zurückkehrte.

Als er in das Innere seiner zeitweiligen Wohnung gelangte, beschien das Licht seiner Fackel eine seltsame, eindrucksvolle Scene.

Goiswintha saß auf einem rohen Eichenkasten, hielt die Gestalt des jungen Mädchens aus ihren Knieen und blickte mit dem Ausdrucke der innigsten, alle ihre Gedanken fesselnden Interessen auf sein blasses, eingefallenes Gesicht. Das zerissene Gewand, welches bisher den Flüchtling umhüllt hatte, war zurückgesunken und zeigte das weiße Kleid, aus dem allein ihre sonstige Bedeckung bestand. Gesicht, Hals und Arme hatten von der Kälte die reine, weiße Färbung des Marmors angenommen. Ihre Augen waren geschlossen und ihre feinen, zarten Züge befanden sich in starrer Ruhe.

Wenn nicht ihr rabenschwarzes Haar gewesen, welches das gespenstische Aussehen ihres Gesichts noch erhöhte, so hätte man sie, als sie so in den Armen des Weibes dalag, für eine köstlich gemeißelte Statue der Jugend im Tode halten können.

Als die so erzeugte Gruppe sich um die Gestalt des jungen Krieger, der in seiner Rüstung mit offenbarer Verwunderung und Besorgniß neben dem bewußtlosen Mädchen stand, vermehrte —— als Goiswinthens hoher, kräftiger, in dunkle Gewänder gekleideter und über die zarte Figur und das weiße Kleid der Flüchtigen gebeugter Körper durch den wilden flackernden Schein der Fackel erleuchtet wurde, —— als die gerötheten Wangen, abgemagerten Züge und der begierige Ausdruck des Weibes hier beschattet, dort erhellt, in den nächsten Kontrast mit dem blassen, jugendlichen, ruhevollen Antlitz des Mädchens traten, entstand ein solches Zusammentreffen von blendenden Lichtern und tiefen Schatten, daß die ganze Scene einen zugleich geheimnißvollen und erhabenen Charakter erhielt. Sie zeigte eine harmonische Abwechselung ernster Farben, die durch die unübertreffliche Kunst der Natur zu einer großartigen, aber einfachen Anordnung der Formen verbunden wurden. Es war ein von Rembrands Hand ausgeführtes und von Raphaels Geiste gedachtes Gemälde.

Plötzlich schrak Goiswintha von ihrer langen, eindringlichen Betrachtung der Fremden auf und begann Mittel anzuwenden, um ihren bewußtlosen Schützling in’s Leben zurückzurufen. So lange sie damit beschäftigt war, verharrte sie in ununterbrochenem Schweigen. Eine athemlose Erwartung, die alle ihre Sinne nur nach einer Richtung hin in Anspruch nahm, schien sich ihres Herzens bemächtigt zu haben. Sie mühte sich in ihrer Arbeit mit der mechanischen, ununterbrochenen Energie Derjenigen, deren Aufmerksamkeit mehr von ihren Gedanken, als von ihren Handlungen in Anspruch genommen wird. Langsam und widerstrebend dämmerte die erste schwache Morgenröthe wiederkehrenden Lebens in der zartesten Farbe auf der bleichen Wange des Mädchens auf. Allmälig begann ihr Athem eine dünne Haarlocke welche über ihr Gesicht gefallen war, zu bewegen. Noch ein Weilchen und die geschlossenen friedlichen Augen öffneten sich plötzlich und warfen mit einem wilden Ausdruck von Verwirrung und Schrecken einen scharfen Blick im Zelte umher. Als Goiswintha sodann aufstand und sie auf einen Sitz zu bringen versuchte, riß sie sich von ihr los, blickte sie einen Moment schreckensvoll und spähend an, sank dann zu ihren Füßen nieder und murmelte mit klagender Stimme:

»Erbarme Dich meiner, ich bin von meinem Vater verstoßen, ich weiß nicht warum. Die Thore der Stadt sind mir verschlossen. Meine Wohnung in Rom ist mir für immer versperrt!«

Sie hatte diese wenigen Worte kaum gesprochen, als sich auf Goiswinthens Gesicht eine ominöse Veränderung zeigte. Sein früherer Ausdruck glühender Neugier verwandelte sich in einen Blick boshaften Triumphes, ihre Augen hefteten sich mit stierer, wie von einem Zauber gefesselten Betrachtung auf das erhabene Antlitz des Mädchens. Sie hielt das hilflose Geschöpf fest, wie das Raubthier seine Beute. Ihre Gestalt dehnte sich aus, auf ihre Lippen trat ein hämisches Lächeln, in ihren Wangen stieg eine heiße Röthe auf und von Zeit zu Zeit flüsterte sie leise vor sich hin:

»Ich wußte, daß sie eine Römerin war! aha, ich wußte, daß sie eine Römerin war!«

Hermanrich war die ganze Zeit über stumm geblieben. Sein Athem kam in kurzen, vollen Stößen, sein Gesicht erbleichte und sein Auge wanderte, nachdem es eine Minute auf dem Weibe und dem Mädchen geruht, langsam und ängstlich im Zelte umher. In der einen Ecke desselben lag eine schwere Streitaxt; er blickte mit dem heftigsten Schrecken von der Waffe auf Goiswintha, schritt dann langsam durch das Zelt, und bemächtigte sich mit fester, wiewohl bebender Hand des Todeswerkzeuges.

Als er wieder aufsah, näherte sich ihm Goiswintha. In der einen Hand hielt sie den blutigen Helmschmuck, während sie mit der andern auf die zusammengesunkene Gestalt des Mädchens deutete. Ihre Lippen trugen noch jenes unnatürliche Lächeln und sie flüsterte leise dem Gothen zu:

»Gedenke Deines Versprechens! —— gedenke Deiner Verwandten! —— gedenke des Blutbades von Aquileja!«

Der junge Krieger antwortete nicht. Er trat schnell um ein paar Schritte vorwärts und winkte dem jungen Mädchen, hastig durch die Thüre zu entfliehen. Es war jetzt aber durch seinen Schrecken aller Wahrnehmungs- und Fassungskraft beraubt. Es blickte wie blödsinnig zu Hermanrich auf und kauerte dann, heftig schaudernd, in einen Winkel des Zeltes nieder. Während der kurzen, jetzt eingetretenen Stille hörte sie der Gothe frösteln und seufzen, als er so mit ängstlicher Besorgniß Goiswinthens sich verdunkelndes Gesicht beobachtete.

»Sie ist eine Römerin —— sie ist die erste Bewohnerin der Stadt, die vor Dir erscheint —— gedenke Deines Versprechens! —— gedenke Deiner Verwandten! —— gedenke des Blutbades von Aquileja!« sprach das Weib in wilden, gepreßten, zischenden Tönen.

»Ich gedenke, daß ich ein Krieger und ein Gothe bin!« erwiederte Hermanrich geringschätzig; »ich habe Dich zu rächen versprochen, aber mein Versprechen muß an einem Manne erfüllt werden —— an einem gerüsteten Manne, der mit den Waffen in der Hand auftreten kann —— an einem starken, muthigen Manne, den ich vor Deinen Augen im Zweikampf erschlagen werde! Das Mädchen ist zu jung zum Sterben, zu schwach, um angegriffen zu werden.«

Keine Silbe seiner Rede war unbeachtet an der Flüchtigen vorübergegangen. Jedes Wort schien ihre erstarrten Geisteskräfte neu zu beleben. Sobald er schwieg, stand sie auf und lief mit dem schnell erweckten Instinkte des Schreckens zu dem jungen Gothen heran. Hierauf ergriff sie seine Hand —— die Hand, welche immer noch die Streitaxt gefaßt hielt, kniete nieder und küßte sie und stieß, dieselbe an ihren Busen pressend, hastige, gebrochene Worte aus, die durch das Beben ihrer Stimme vollkommen unverständlich wurden.

»Haben die Römer meine Kinder für zu jung zum Sterben, oder für zu schwach, um angegriffen zu werden, gehalten?« rief Goiswintha. »Bei dem Herrn des Himmels! sie mordeten sie um so lieber, weil sie jung, und hieben um so grimmiger auf sie ein, weil sie schwach waren! Mein Herz hüpft vor Freuden, wenn ich auf das Mädchen blicke! Ich bin doppelt gerächt, wenn ich an einem unschuldigen jugendlichen Wesen gerächt werde. Ihre Gebeine sollen auf den Ebenen von Rom verwesen wie die meiner Kinder auf der von Aquileja! Vergieße mir ihr Blut! Gedenke Deines Versprechens! Vergieße mir ihr Blut!«

Sie schritt mit ausgestreckten Armen und funkelnden Augen auf die Flüchtige zu. Sie rang nach Athem, ihr Gesicht nahm plötzlich eine leichenartige Blässe an, der Fackelschein fiel auf ihre verzerrten Züge, sie sah in jenem furchtbaren Augenblicke gespenstisch aus, aber der Gott der Gnade hatte jetzt die Entschlossenheit des jungen Gothen für alle Fälle gestählt. Sein helles, festes Auge zuckte nicht, als er dem rasenden Blicke der vor ihm stehenden Furie begegnete. Mit der einen Hand hielt er Goiswinthen zurück, die andere konnte er nicht von dem Mädchen losmachen, welches sie jetzt eifriger als je umfaßt hielt und küßte.

»Du thust dies nur, um mich zum Zorne zu reizen,« sagte Goiswintha, indem sie ihr Benehmen mit plötzlicher, sichtbarer Schlauheit veränderte, welche für die Flüchtige gefahrverkündender war. als die bisher kund gegebene Wuth. »Du scherzest mit mir, weil ich es an Geduld habe mangeln lassen, wie ein Kind! Aber Du wirst ihr Blut vergießen —— Du bist ein Mann von Ehre und wirst Dich an Dein Versprechen halten! Du wirst ihr Blut vergießen!«

»Und ich,« fuhr sie triumphierend fort und setzte sich, ihre geballten Fäuste auf ihre Kniee legend, auf den eichenen Kasten, welchen sie früher eingenommen hatte, nieder. »Ich werde warten, bis ich es sehe!«

In diesem Augenblicke vernahm man Stimmen und Schritte vor dem Zelte. Hermanrich hob schnell das zitternde Mädchen auf, unterstützte es mit seinem Arme und schritt vor, um den Grund der Störung zu ermitteln. Ein alter Krieger von hohem Range, der zu Alarich’s Umgebungen gehörte, stand mit einer kleinen Abtheilung gemeiner Soldaten aus dem Lager vor ihm.

»Zu den Frauen, die der König für diese Nacht bestimmt hat, die Kranken und auf dem Marsche Verwundeten zu pfegen, gehört Goiswintha, die Schwester Hermanrich’s. Wenn sie hier ist, so möge sie hervorkommen und mir folgen!« sprach der Anführer mit gebieterischem Tone, während er am Eingange des Zeltes stehen blieb.

Goiswintha erhob sich. Sie stand einen Augenblick unentschlossen da. Hermanrich in einem solchen Augenblicke zu verlassen, war ein Opfer, welches ihr wildes Herz zerriß; aber sie kannte die Strenge von Alarich’s Disciplin; sie sah die Bewaffneten, welche sie erwarteten,und wich nach heftigem Kampfe der gebieterischen Notwendigkeit, dem Befehle des Königs Gehorsam zu leisten. Vor unterdrücktem Zorn und bitterem Unmuth bebend, flüsterte sie Hermanrich im Vorübergehen zu:

»Du kannst sie nicht retten, wenn Du es auch willst, Du wagst sie nicht der Obhut Deiner Gefährten anzuvertrauen; sie ist zu jung und schön, um ihrem zweifelhaften Schutze überlassen zu werden. Du kannst nicht mit ihr fliehen, denn Du mußt hier an Deinem Posten auf Wache bleiben. Du wirst sie nicht allein gehen lassen, denn Du weißt, daß sie, ehe der Morgen erscheint, vor Kälte und Hunger umkommen würde. Wenn ich morgen zurückkehre, so werde ich sie im Zelte sehen. Du kannst Deinem Versprechen nicht ausweichen, Du kannst es nicht vergessen —— Du mußt ihr Blut vergießen!«

»Die Befehle des Königs,« sagte der alte Krieger, indem er seiner Abtheilung das Zeichen gab, sich mit Goiswinthen, die jetzt in erzwungener Fassung dastand und ihre Leitung erwartete, zu entfernen, »werden früh dem Häuptling Hermanrich mitgetheilt werden. Erinnere Dich,« fuhr er leise fort, indem er verächtlich auf das zitternde Mädchen deutete, »daß die Wachsamkeit, welche Du im Aufstellen Deiner Abtheilung vor jenem Thore bewiesen hast, keine Nachlässigkeit entschuldigen wird, zu der Dich Dein Fang dort jetzt veranlassen könnte! Genieße Deine jugendlichen Freuden, wie Du willst, aber erinnere Dich Deiner Pflichten! Lebe wohl!«

Nachdem der Veteran diese Worte mit strengem, ernstem Tone gesprochen, entfernte er sich. Bald verklangen die letzten Töne der Schritte seiner Begleiter und Hermanrich war mit der Entflohenen im Zelte allein.

Während der Anrede des alten Kriegers hatte sich das Mädchen schweigend von ihrem Beschützer losgemacht und hastig nach dem Innern des Zeltes entfernt. Als sie sah, daß sie wieder allein waren, schritt sie zaudernd auf den jungen Gothen zu und blickte mit stummer Frage in sein Gesicht auf.

»Ich bin sehr elend,« sagte sie nach einer Pause mit weichen, klaren, wehmüthigen Tönen. »Wenn Du mich jetzt verlässest, so muß ich sterben —— und ich habe erst so kurze Zeit auf Erden verlebt, ich habe so wenig Glück und Liebe gekannt, daß ich zum Sterben noch nicht geeignet bin, aber Du wirst mich beschütze. Du bist gut und tapfer; ein starker Mann mit Waffen in der Hand und von Mitleid erfüllt. Du hast mich vertheidigt und gütig von mir gesprochen —— ich liebe Dich wegen des Mitleids, das Du mir bewiesen hast!«

Ihre Sprache und Bewegung waren trotz ihrer Einfachheit für Hermanrich, dessen Erfahrungen über ihr Geschlecht sich fast völlig auf die Frauen seines eigenen, strengen, kalten Volkes beschränkt harten, doch so neu, daß er, als, die Bittende auf seine Antwort wartete, ihr nur eine kurze Versicherung seines Schutzes geben konnte. Vor seinen Augen war ein neues Blatt in der Geschichte der Menschheit aufgeschlagen und er blickte forschend und in verwunderter Stille, aus dasselbe.

»Wenn das Weib zurückkehren sollte,« fuhr das Mädchen, ihre dunkeln, beredten Augen»auf das Gesicht des Gothen heftend, fort, »so führe mich schnell an einen Ort, wohin sie nicht kommen kann. Das Herz erstarrt mir, wenn ich sie anblicke. Sie wird mich tödten, wenn sie mir wieder nahen kann! Der Zorn meines Vaters ist sehr furchtbar, aber der ihre entsetzlich —— entsetzlich —— entsetzlich! Horch, ich höre sie schon zurückkommen —— laß uns gehen —— ich werde Dir folgen, wohin Du willst —— laß uns aber nicht zögern, solange wir noch Zeit haben, uns zu entfernen. Sie wird mich umbringen, wenn sie mich jetzt sieht, und ich kann noch nicht sterben! O mein Retter, mein mitleidiger Beschützer, ich kann noch nicht sterben!«

»Es soll Dir Niemand ein Leides thun —— es soll Dir diese Nacht Niemand nahen, Du bist in meinem Zelte vor allen Gefahren sicher,« sagte der Gothe, indem er sie mit unverhohlenem Staunen und Bewunderung anblickte.

»Ich will Dir sagen, weshalb der Tod mir so furchtbar ist,« fuhr sie fort, und ihre Stimme nahm jetzt einen Ton wehmüthigen Ernstes an, welcher bei einem so jungen Geschöpfe einen seltsamen Eindruck machte; »ich habe so viel allein gelebt und keine Gefährten gehabt als meine Gedanken und den Himmel, zu dem ich aufblicken, und die Dinge auf Erden, die ich beobachten konnte. Wenn ich den heitern Himmel und die grünen Felder gesehen und den Duft der Blumen eingesogen und die Stimmen der fernen Singvögel gehört habe, so wunderte ich mich, warum derselbe Gott, der alles dies gemacht und mich dazu geschaffen, auch Kummer und Schmerz und die Hölle —— die furchtbare, ewige Hölle, von der mein Vater in seinen Predigten spricht, geschaffen hat. Wenn ich auf den Sonnenschein blickte, oder aus dem Schlafe erwachte, um die fernen Sterne zu betrachten und an sie zu denken, sehnte ich mich stets, etwas zu lieben, was meine Freude anhören könne. Aber mein Vater verbot mir, glücklich zu sein, er runzelte die Stirn, selbst als er mir meinen Blumengarten gab, und Gott hat doch die Blumen gemacht. Er zerschlug meine Laute und Gott hat doch die Musik gemacht. Mein Leben ist ein einsames Sehnen nach Freundesstimmen gewesen. Mein Herz hat mir in der Brust gebebt, weil ich, wenn ich im Garten umherwandelte und auf die Felder und Wälder und hohen, grünen Berge, die mich umgaben, schaute, das Bewußtsein hatte, daß ich sie allein liebe! Weißt Du nun, weshalb ich noch nicht sterben darf? Weil ich erst das Glück finden muß, welches Gott, wie ich fühle, für mich gemacht hat, weil ich leben muß, um diese schöne, wundervolle Welt mit Andern, die sie genießen, wie ich es könnte, zu preisen! weil meine Heimath unter Denjenigen gewesen ist, welche seufzen, aber nie unter Denen, welche lächeln! Deshalb fürchte ich mich vor dem Tode. Ich muß Gefährten finden, deren Gebete singend und freudig gehalten werden, ehe ich in das furchtbare Jenseits gehe, vor welchem sich Alle entsetzen. Ich darf noch nicht sterben! ich darf noch nicht sterben!«

Bei diesen letzten Worten begann sie bitterlich zu weinen. Der junge Gothe war vor Erstaunen und Mitleid stumm. Er blickte auf die kleine, weiche Hand hinab, die sie während ihrer Rede aus seinen Arm gelegt hatte und sah, daß sie zitterte, er drückte sie und fühlte, daß sie kalt war und in dem ersten Antriebe des Mitleids, welches diese Bewegung hervorrief, fand er die Fähigkeit der Rede, nach welcher er bis jetzt umsonst gerungen hatte.

»Du zitterst und siehst bleich aus,« sagte er, »an der Thür des Zeltes soll ein Feuer angezündet werden. Ich will Dir Kleider bringen, die Dich wärmen und Nahrung, die Dir Kraft bringen soll, Du sollst schlafen und ich werde Dich bewachen, damit Dir Niemand etwas zu Leide thut.«

Das Mädchen blickte hastig auf. Ein Ausdruck unaussprechlicher Dankbarkeit trat auf das kummervolle Gesicht desselben. Sie murmelte mit gebrochener Stimme:

»O wie barmherzig —— wie barmherzig Du bist!« und dann bedeckte sie, nach einem deutlich wahrnehmbaren Kampfe mit sich selbst, ihr Gesicht mit den Händen und brach von Neuem in Thränen aus.

Mehr und mehr verlegen, machte sich Hermanrich mechanisch damit zu thun, von denjenigen seiner Untergebenen, welche nicht mit Dienstpflichten beschäftigt waren, Feuer, Nahrung und Kleidung, wie er es versprochen hatte, herbeibringen zu lassen. Sie nahm die Gewänder an, näherte sich der lodernden Flamme und genoß begierig die einfachen Erquickungen, welche ihr der junge Krieger bot. Hierauf saß sie eine Zeitlang still in tiefes Nachdenken versunken und zusammengekauert am Feuer, ohne, wie es schien, die Neugier, womit sie der Gothe immer noch betrachtete, zu bemerken.

Endlich blickte sie plötzlich auf, nahm wahr, daß er seine Augen auf sie geheftet hatte, erhob sich und winkte ihm aus den Sitz neben sich.

»Wenn Du wüßtest, wie gänzlich verlassen ich bin, so würdest Du Dich nicht so wundern, daß ich, eine Fremde und eine Römerin, Dich in dieser Weise aufgesucht habe. Ich habe Dir erzählt, wie einsam meine Heimath war, aber doch war für mich diese Heimath eine Freistätte und ein Schutz bis zum Morgen des langen, jetzt vergangenen Tages, wo ich für immer daraus verstoßen wurde! Ich wurde plötzlich in meinem Bette aufgeweckt —— mein Vater trat zornig ein —— er nannte mich ——

Sie zauderte, erröthete und hielt dann schon im Anfange ihrer Erzählung inne. So unschuldig sie auch war, sprachen die natürlichen Instinkte ihres Geschlechts mit räthselhaftem, aber doch warnendem Tone in ihrem Herzen und legten ihr ein Schweigen auf, dessen Gründe sie weder erforschen noch erklären konnte; sie faltete ihre zitternden Hände auf ihrem Busen, wie um dessen Wogen zu unterdrücken, schlug die Augen nieder und fuhr mit leiser Stimme fort:

»Ich vermag Dir nicht zu sagen, weshalb mich mein Vater aus seinem Hause getrieben hat. Er ist gegen mich immer schweigsam und betrübt gewesen, hat mir lange Aufgaben in traurigen Büchern gestellt, mir verboten, die Grenzen seiner Wohnung zu überschreiten und zu ihm zu sprechen, wenn ich ihn mitunter gebeten habe, mir etwas von meiner längst verlorenen Mutter zu erzählen. Aber er hat mir nie gedroht, mich nie von seiner Seite vertrieben, außer an dem Morgen, von welchem ich Dir erzählt habe. Da war sein Grimm entsetzlich, seine Augen blitzten, seine Stimme war drohend! Er gebot mir zu gehen und ich gehorchte ihm mit Schrecken, denn ich glaubte, daß er mich tödten würde, wenn ich bliebe! Ich floh aus dem Hause, ohne zu wissen, wohin ich ging, und lief durch jenes Thor, welches dicht bei unserer Wohnung ist. Als ich in die Vorstädte kam, traf ich große Menschenmengen, die alle nach Rom hereineilten. Ich war vor Furcht und der mich umgebenden Verwirrung ganz von Sinnen, erinnere mich aber doch, daß man mir laut zurief, nach der Stadt zu fliehen, ehe die Thore vor dem Angriffe der Gothen gesperrt werden würden. Und andere stießen mich an und verspotteten mich, als sie vorüber kamen und mich in den dünnen Nachtgewändern sahen, in welchen ich aus meinem Hause verbannt worden war.«

Hier hielt sie inne und lauschte einige Augenblicke hindurch. Jedes zufällige Geräusch, welches sie vernahm, erweckte in ihr die Besorgniß vor Goiswinthens Rückkehr. Durch Hermanrich und ihre eigene Beobachtung des vor dem Zelte Vorgehenden wieder beruhigt, nahm sie nach einiger Zeit ihre Erzählung wieder auf und sprach jetzt mit festerer Stimme:

»Ich dachte, daß mir das Herz brechen würde,« fuhr sie fort, »als ich ihnen zu entfliehen suchte. Vor meinen Augen drehte sich Alles im Kreise. Ich konnte nicht sprechen —— ich konnte nicht stehen bleiben, —— ich konnte nicht weinen. Ich floh und floh, ohne zu wissen, wohin, bis ich erschöpft an der Thür eines kleinen Hauses am äußersten Rande der Vorstadt niedersank; dann rief ich um Hilfe, aber Niemand vernahm meine Stimme. Ich kroch in das Haus —— denn ich konnte nicht mehr stehen. Es war leer. Ich blickte aus den Fenstern, aber keine menschliche Gestalt durchschritt die schweigenden Straßen. Von den Mauern der Stadt erhob sich immer noch das Brausen einer ungeheuren Verwirrung, aber ich hörte dasselbe allein von Außen an. Im Hause sah ich einige Brodstücke und ein altes Gewand auf dem Boden umherliegen. Ich nahm Beides, stand dann auf und entfernte mich, denn die Stille des Ortes war mir furchtbar und ich gedachte der Felder und Wiesen, auf die ich einst so gern hinausgeschaut hatte, und dachte, vielleicht dort die Zuflucht zu finden, welche mir in Rom versagt worden war. Ich brach also von Neuem auf und als ich auf das weiche Gras gelangte, und mich neben den schattigen Bäumen niedersetzte und die glänzend auf die Erde fallenden Sonnenstrahlen sah, wurde mir das Herz schwer und ich weinte bei dem Gedanken an meine Einsamkeit und bei der Erinnerung an den Zorn meines Vaters.

»Ich war noch nicht lange an meinem Rastorte, als ich in der Ferne Trompetengeschmetter vernahm und beim hinaus blicken weither über die Ebene eine ungeheure Menschenmenge mit in der Sonne blitzenden Waffen herbeikommen sah. Ich versuchte bei ihrem Anblicke aufzustehen und selbst zu den Vorstädten, deren Einsamkeit mich erschreckt hatte, zurückzukehren, aber die Glieder versagten mir den Dienst; ich sah eine kleine, von den Bäumen rund umher versteckte Vertiefung, ich trat in dieselbe und lag dort den einsamen Tag hindurch verborgen. Ich hörte das lang anhaltende Marschiren als Euer Heer auf den Wegen unterhalb an mir vorüber kam und dann nach jenen Stunden der Furcht stellten sich die langen Stunden der Einsamkeit ein!

»O, jene einsamen —— einsamen —— einsamen Stunden! Ich habe ohne Gefährten gelebt, aber jene Stunden waren mir furchtbarer, als die ganzen Jahre meines früheren Lebens. Ich wagte nicht, meinen Versteck zu verlassen, ich wagte nicht, zu rufen! —— Völlig allein in der Welt, lag ich in meiner Zufluchtsstätte, bis die Sonne unterging. Dann kam der Nebel und die Dunkelheit und die Kälte. Der schneidende Nachtwind durch fröstelte meinen ganzen Körper. Die einsame Finsterniß um mich. her schien von Gespenstern erfüllt zu sein, die ich nicht erblicken konnte, die mich anrührten und über meine Haut hinraschelten, —— sie machten mich halb wahnsinnig. Ich stand auf, um mich zu entfernen, um meinen zornigen Vater oder dem Heere, das an mir vorübergegangen war, oder der Einsamkeit auf den kalten, hellen Wiesen —— welchen, war mir gleichgültig —— entgegen zu treten, als ich das Licht Deiner Fackel im Augenblicke vor ihrem Erlöschen bemerkte. So finster es auch damals war, fand ich doch Dein Zelt. Und jetzt weiß ich, daß ich noch mehr gesunden habe —— einen Gefährten und einen Freund.«

Sie blickte bei diesen Worten mit demselben dankbaren Ausdrucke, welcher sich schon auf ihrem Gesicht gezeigt hatte, zu dem jungen Gothen aus, diesmal waren ihre Augen aber nicht von Thränen getrübt, schon hatte ihr Gemüth, so gering auch die Aussicht auf Glück war, welche jetzt vor ihr lag, mit fast kindlicher Veränderlichkeit die stärkenden Einflüsse heiterer Empfindungen zurückgespiegelt. Schon begann die kurze Ruhe der Gegenwart ihren verwischenden Zauber über die Aufregungen der Vergangenheit zu erstrecken. Die Verzweiflung gehörte nicht zu den Empfindungen, welche um jenes kindergleiche Herz keimten, Schmach, Frucht und Schmerz ließen, wie sehr sie es auch auf eine Zeitlang überschatten mochten, keine Spur ihrer Gegenwart auf seiner hellen, schönen Oberfläche zurück. Zart, für jedes Gefühl wahrhaft gefahrvoll empfänglich, dankbar wie sie von Natur war, hatte sie die Einsamkeit, zu welcher sie verurtheilt gewesen, trotz ihrer Jugend, mit Märtyrerstandhaftigkeit und stoischer Geduld im Schmerze begabt.

»Traure jetzt nicht um mich,« unterbrach sie sanft einige Worte des Mitleids, welche von den Lippen des jungen Gothen fielen; »wenn Du barmherzig gegen mich bist, so werde ich Alles, was ich gelitten habe, vergessen. Ist auch Dein Volk in Feindschaft mit dem meinen, so fürchte ich doch nichts, so lange Du mein Freund bleibst. Ich kann jetzt Deine große Gestalt, Dein schwarzes Schwert und Deine schwere Rüstung ohne Zittern anblicken. Du gleichst nicht den Soldaten Rom’s —— Du bist größer, stärker, herrlicher angethan, wie sie! Du gleichst der Statue einem griechischen Krieger, die ich einst gesehen habe. Dein Blick fordert Gehorsam und Deine Gestalt ist gebietend!«

Sie schaute die männliche, kräftige Gestalt des jungen Kriegers und die Rüstungsstücke, mit welchen er angethan war, in kindischer Theilnahme und Erstaunen an, fragte ihn nach dem Namen und Zwecke aller Theile derselben, welche ihre Aufmerksamkeit erregten und erkundigte sich endlich begierig nach seinem Namen.

»Hermanrich! wiederholte sie, als er ihr denselben gesagt hatte, die rauhen gothischen Silben mit einiger Mühe aussprechend; »Hermanrich! das ist ein strenger, ernster Name, —— ein Name, wie er einem Krieger und Manne geziemt! Nach einem solchen klingt der meine werthlos, er heißt nur Antonina!«

So tiefen Antheil Hermanrich auch an jedem von dem Mädchen ausgesprochenen Worte nahm, konnte er doch nicht länger die deutlichen Spuren von Erschöpfung unbemerkt lassen, welche sich jetzt in allen ihren Bewegungen zeigten. Er holte aus einer Ecke des Zeltes einige Felle, bereitete neben dem Feuer eine Art von rohem Lager, häufte frisches Brennmaterial auf die Flamme und rieth ihr dann sanft, ihre erschöpften Kräfte durch Ruhe zu stärken. In seinem Benehmen lag etwas so Offenes, in den Tönen seiner Stimme etwas so Aufrichtiges, als er der Fremden, welche bei ihm Zuflucht gesucht hatte, dieses einfache Anerbieten der Gastlichkeit machte, daß das mißtrauischste Weib es mit eben so geringem Zaudern angenommen haben würde, wie Antonina, die sich dankbar und ohne weiteres Besinnen auf das Bette niederlegte, welches er ihr zu ihren Füßen ausgebreitet hatte.

Sobald er sie sorgfältig mit einem Mantel bedeckt und ihr Lager so geordnet hatte, daß sie die volle Wärme des Feuers erhielt, zog sich Hermanrich auf die andere Seite desselben zurück und überließ sich, auf sein Schwert gelehnt, den neuen tiefen Gedanken, welche die Gegenwart des Mädchens natürlicher Weise erweckte. Er dachte nicht an die Pflichten, welche ihm die Blockade auferlegte, er entsann sich weder der wüthenden, zornigen Scene, die der Umgehung seines leichtsinnigen Versprechens gefolgt war, noch der wilden Entschlossenheit welche Goiswintha kundgegeben hatte, als sie ihn für die Nacht verließ. Die Sorgen und Mühen, welche ihm der nächste Morgen bringen und die ihn nöthigen mußten, den Flüchtling der Tücke ihrer rachsüchtigen Feindin auszusetzen, die tausend Zufälle, welche die Verschiedenheit ihres Geschlechts, ihres Volkes und Lebens der Fortdauer des Schutzes, welchen er ihr versprochen hatte, entgegensetzen konnte, verursachten ihm keine ahnenden Vorgefühle Antonina —— Antonina allein nahm jede Fähigkeit seines Geistes und jedes Gefühl seines Herzens in Anspruch. In ihrem Namen schon lag für sein Ohr ein weicher, melodischer Klang!

Er war früh schon mit der lateinischen Sprache bekannt geworden, hatte aber die ganze Rundung ihres Tones und der Eleganz ihrer Wortfügung nicht eher entdeckt, als bis er sie von Antonina sprechen hörte. Er ging in seinem Geiste Wort für Wort ihre verschiedenartigen, natürlichen und glücklichen Wendungen des Ausdrucks durch, rief sich dabei die beredten Blicke, die schnellen Gestikulationen, die wechselnden Töne, welche diese Worte begleitet hatten, zurück, und dachte über den weiten Unterschied zwischen dieser jungen Tochter Rom’s und den kalten, schweigsamen Frauen seines Volkes nach. Selbst das ihre Geschichte umhüllende Geheimnis, welches den Argwohn oder die Verachtung civilisirterer Männer erregt haben würden, erweckte in ihm keine Empfindung als die der Bewunderung und des Mitleids. Kein Gefühl niederer Art, als diese, regte sich in seinem Herzen für das Mädchen. Sie war sicher unter dem Schutze des Feindes und des Barbaren, nachdem sie die Einwirkung des Römers und Senators in’s Verderben gestürzt hatte.

Für den einfachen Geist des Gothen war die Entdeckung so vielen Verstandes im Verein mit so großer Jugend, so vieler zu so vollkommener Einsamkeit verurtheilter Schönheit, die Entdeckung eines geistigen Wesens, welches ihn blendete, nicht die eines Weibes, weiches ihn bezaubern, Er hätte nicht einmal die Hand des hilflosen Geschöpfes, welches jetzt unter seinem Zelte ruhte, berühren können, wenn es dieselbe nicht freiwillig nach ihm ausstreckte Er konnte nur mit einem Entzücken, dessen Uebermaß selbst abzuschätzen er weit entfernt war, an das einsame, geheimnißvolle Wesen denken, welches zu ihm gekommen war, um Schutz und Hilfe zu suchen, welches in ihm bereits neue Quellen der Empfindung erweckt hatte und sich in seiner Einbildungskraft plötzlich für immer mit dem Schicksal seines künftigen Lebens verwebt zu haben schien.

Er war noch in tiefe Gedanken versunken, als ihn eine plötzlich auf seinen Arm gelegte Hand aus demselben aufschreckte. Er blickte auf und sah, daß Antonina, die, wie er geglaubt hatte, auf ihrem Lager schlief, an seiner Seite stand.

»Ich kann nicht eher einschlafen,« sagte das Mädchen mit leiser, ängstlicher Stimme, »als bis ich Dich gebeten habe, meines Vaters zu schonen, wenn Du nach Rom kommst. Ich weiß, daß Ihr hier seid, um die Stadt zu verheeren, und werdet sie vielleicht schon diese Nacht stürmen und Verwüsten. Willst Du Versprechen, mir es zu sagen, ehe die Mauern bestürmt werden? Ich werde Dir dann den Namen und die Wohnung meines Vaters mittheilen und Du wirst seiner schonen, wie Du mich gnädig verschont hast. Er hat mir seinen Schutz versagt, aber er ist immer noch mein Vater und ich erinnere mich, ihm einmal ungehorsam gewesen zu sein, als ich mir den Besitz einer Laute verschaffte. Willst Du mir versprechen, seiner zu schonen? Meine Mutter, die ich nie gesehen habe und die daher todt sein muß, wird mich vielleicht in jener Welt lieben, weil ich für meines Vaters Leben gebeten habe.«

Hermanrich beschwichtigte mit wenigen Worten ihre Besorgnisse, indem er ihr die Natur und den Zweck der gothischen Blockade erläuterte, und sie kehrte stumm auf das Lager zurück. Nach kurzer Zeit verkündete ihr leises, regelmäßiges Athmen dem jungen Krieger, welcher neben dem Feuer wachte, daß sie endlich das Unglückserbtheil des Tages über der willkommenen Ruhe des Schlafes vergessen hatte.


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