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Antonina oder der Untergang Roms



Kapitel II.
Zwei Unterredungen.

Die Zeit ist der Abend des ersten Tages der Blockade durch die Gothen, der Ort Vetranio’s Palast in Rom. In einem von den Privatgemächern seines Hauses, befindet sich der feingebildete Eigenthümer, endlich von der langen Sitzung erlöst, welche der Senat in Bezug auf die unerwartete Belagerung der Stadt gehalten bat. Wiewohl trotz der Gefahr, welche jetzt in Rom Reiche und Arme bedroht, noch dieselbe vollkommene Disciplin, dieselbe elegante Regelmäßigkeit und der gleiche üppige Pomp, wodurch sich der Palast des Senators in den Zeiten der Sicherheit auszeichnete, darin herrschen, scheint Vetranio selbst doch weit entfernt zu sein, die Ruhe seiner patricischen Haushaltung zu theilen. Sein Wesen hat eine ungewöhnliche Strenge und sein Gesicht einen bei ihm ganz neuen Unmuth angenommen, während er so mit seinen stummen Gedanken beschäftigt und gegen Alles, was um ihn her vorgeht, völlig achtlos dasitzt. Zwei Damen, welche seine Gesellschafterinnen im Zimmer bilden, bieten alle ihre Lockungen auf, um ihn wieder zur Heiterkeit zurückzuführen, aber vergebens. Die Dienste seiner aufmerksamen Musiker werden nicht in Anspruch genommen, die Delikatessen auf seinem Tische bleiben unberührt und selbst das »unschätzbare Kätzchen von der bei den alten Egyptern am höchsten verehrten Race,« springt unbeachtet und unbelobt zu seinen Füßen umher. Es liegt klar am Tage, daß, für jetzt wenigstens, der gewohnte philosophische Gleichmuth aus dem Geiste des Senators gewichen ist.

Eine Zeitlang hatte das Schweigen —— bisher in den Gemächern des Palastes etwas Fremdartiges —— ununterbrochen in demselben geherrscht, als der Freigelassene, Carrio, Vetranio’s Gedanken unterbrach und die bei ihm befindlichen Damen in die Flucht schlug, indem er mit wichtiger Stimme meldete, daß der Präfekt Pompejanus eine Privatunterredung mit dem Senator Vetranio wünsche.

Im nächsten Augenblicke trat die erste Magistratsperson von Rom in das Zimmer. Es war ein kurzer, dicker, würdeloser Mann. Trägheit und Ungewißheit waren leserlich seinem Aeußern und Gesichtsausdrucke ausgeprägt. Man sah augenblicklich, daß sein Geist wie ein Spielball durch die Kräfte Anderer nach jeder Richtung hin getrieben werden könne, für sich selbst aber des Wollens völlig unfähig sei. Es war uns ein einziges Beispiel im Leben des Präfekten Pompejanus vorhanden, wo derselbe ohne Beistand zu einem positiven Entschlusse gekommen war —— nämlich bei einem hitzigen Streite zwischen einem Bischofe und einem Generale über die relativen Vorzüge zweier rivalisierender Seitänzer von gleicher Berühmtheit.

»Ich komme, mein geliebter Freund« sagte der Präfekt mit bewegter Stimme, »um in dieser Zeit entsetzlicher Verantwortlichkeit für uns Alle nach Deiner Ansicht über den Operationsplan zu fragen, welchen der Senat bei der heutigen Sitzung vorgeschlagen hat. Zuerst aber,« fuhr er hastig fort, da er mit dem unfehlbaren Instinkte eines alten Gastronomen wahrnahm daß die einladenden Erfrischungen auf Vetranio’s Tische unberührt geblieben waren, »zuerst gestatte mir, meine erschöpften Kräfte durch eine Heimsuchung Deiner stets delikaten Tafel zu starken. Ach, mein Freund, wenn ich an den jetzigen furchtbaren Mangel an Mundvorräthen in der Stadt und die Länge der Zeit, welche diese fluchwürdige Blockade dauern kann, denke, so bin ich zu der Ansicht geneigt, daß nur die Götter wissen —— ich meine St. Peter —— wie lange wir noch unsere Verdauungskräfte anwenden und unsern Köchen werden Beschäftigung geben können.

»Ich habe bemerkt,« fuhr der Präfekt nach einiger Zeit fort, indem er mit von gedämpftem Pfau angefülltem Munde sprach, »ich habe, mein werthgeschätzter College, die Traurigkeit Deinen Wesens und Dein heutiges, absolutes Schweigen bei unsern Berathungen bemerkt. Haben wir Deiner Ansicht nach einen irrigen Beschluß gefaßt? Es ist nicht unmöglich. Unsere Verwirrung bei diesem unerwarteten Erscheinen der Barbaren kann unsern gewohnten Scharfsinn geblendet haben. Wenn Du vielleicht von unsern Plänen abweichen solltest, so bitte ich Dich, mir es rückhaltslos mitzutheilen.«

»Ich weiche von nichts ab, weil ich nichts gehört habe,« antwortete Vetranio mürrisch. »Ich wurde während der Sitzung des Senats von einer wichtigen Privatsache so in Anspruch genommen, daß ich für dessen Berathungen taub war. Ich weiß, daß uns die Gothen belagern; warum werden sie nicht von den Mauern fortgetrieben?«

»Für unsere Berathungen taub? —— Die Gothen von den Mauern forttreiben!« —— wiederholte der Präfekt mit schwacher Stimme; »kannst Du in einem solchen Augenblicke noch an eine Privatsache denken, —— kennst Du unsere Gefahr! —— weißt Du, daß unsere Freunde über dieses entsetzliche Unglück so erstaunt sind, daß sie wie halb im Traume liegende Menschen umhergehen? —— Hast Du nicht die Straßen mit entsetzten, entrüsteten Menschen angefüllt gesehen? —— Hast Du nicht die Wälle erstiegen und die zahllose Menge von unbarmherzigen Gothen erblickt, die uns auf allen Seiten umgeben, unsere Zufuhr vom Lande abschneiden und uns mit einer baldigen Hungersnoth bedrohen, wenn nicht unsere gehofften Befreier von Ravenna ankommen.

Weißt Du nicht, daß die Legionen, die wir in der Stadt haben; nicht hinreichend sind, um mehr als die Hälfte der Mauern zu bewachen. Hat Dir Niemand mitgetheilt, daß es, wenn der Anführer der Barbaren Lust haben sollte, seine Blockade in einen Sturm zu verwandeln, mehr als wahrscheinlich ist, daß wir ihm nicht mit Erfolg widerstehen können? Taub für unsere Berathung, wenn Dir morgen Dein Palast über dem Kopfe angezündet werden kann, wenn wir ausgehungert wenn wir zum Abschließen eines« Friedens gezwungen, ewiger Schmach geweiht werden können? Taub für unsere Berathungen, wenn ein so unerwartetes Unglück wie dieser Einfall, einem Donnerkeile gleich, dicht vor unsern Mauern niedergefallen ist! Du setzest mich in Erstaunen! Du bringst mich vom Verstande! Du entsetzest mich!«

Und der verblüffte Präfekt verließ im Uebermaß der Verwunderung sogar seinen gedämpften Pfau und trat mit dem Weinbecher in der Hand auf seinen unbeweglichen Wirth zu, um dessen Züge näher zu betrachten.

»Wenn wir nicht stark genug sind, um die Gothen aus Italien zu vertreiben,« erwiderte Vetranio kaltblütig, »so weißt Du und der Senat, daß wir Reichthümer genug besitzen, um ihre Entfernung bis an die entlegensten Grenzen des Reiches zu erkaufen. Wenn wir nicht Schwerter genug zum Fechten zu haben, so ist doch Gold und Silber genug zum Bezahlen da.«

»Du scherzest! Bedenke doch unsere Ehre und die Hilfstruppen, welche wir noch von Ravenna hoffen,« sagte der Präfekt tadelnd.

»Das Wort Ehre hat jetzt die Bedeutung verloren, welche es in der Zeit der Cäsaren besaß,« entgegnete der Senator, »Unsere Kampfestage sind vorüber. Wir haben für unsern Ruhm Helden genug gehabt. Was die Hilfstruppen betrifft, auf welche Du noch immer hoffst, so wirst Du keine erhalten! So lange sich der Kaiser in Ravenna sicher befindet, wird er sich nicht um die schlimmste Noth kümmern, die dem römischen Volke zustoßen kann.«

»Aber Du vergissest Deine Pflichten,« drängte der erstaunte Pompejanus vom Tadel zu Vorstellungen übergehend »Du vergissest, daß wir in einer Zeit leben, in welcher alle Privatinteressen aufgegeben werden müssen! Du vergissest, daß ich hierher gekommen bin, um Dich um Rath zu fragen, daß ich durch tausend mir von allen Seiten aufgedrungene Pläne zur gehörigen Regierung der Stadt, während der Blockade, verblüfft bin, daß ich von Dir als Freunde und Mann von Ruf Hilfe zur Entscheidung über die mir heute im Senate gegebenen zahlreichen Rathschläge erwarte! Willst Du mich wirklich überreden, daß Du nicht weißt, daß alle unsere Wachen auf den Mauern schon verdoppelt sind. Willst Du ernsthaft gegen mich behaupten, daß Du den, Plan des Saturninus, die täglichen Rationen unbemerklich zu vermindern, nicht gehört hast? oder die Empfehlung des Emilianus, daß das Volk vom Denken an die es jetzt bedrohenden Gefahren und Nöthe durch unablässig, öffentliche Vergnügungen in den Theatern und Rennbahnen abgehalten werden soll? Bist Du wirklich gegen die Schrecken unserer jetzigen Lage gleichgültig? —— Bei den Seelen der Apostel, Vetranio, ich fange zu denken an, daß Du nicht an die Gothen glaubst.«

»Ich habe Dir bereits gesagt, daß mich jetzt Privatangelegenheiten so in Anspruch nehmen, daß ich von öffentlichen nichts wissen will,« sagte Vetranio unmuthig, »debattiert wie Ihr wollt,«— billigt, welche Pläne Ihr wollt«— ich ziehe mich von aller Einmischung in Eure Berathungen zurück!«

»Dies,« murmelte der zurückgeschlagene Präfekt vor sich hin, als er wieder mechanisch seinen Platz am Tische einnahm, »dies ist das Ende und der höchste Gipfel des Unglücks! Jetzt, wo Rath und Beistand für mich kostbarer sind als Juwelen, erhalte ich keines von Beiden. Ich erlange von Keinem die weisen, rettenden Rathschläge, welche ich als erste Amtsperson dieser kaiserlichen Stadt von Allen zu verlangen das Recht habe, und derjenige, auf den ich mich am meisten verließ, ist der, welcher mich am ersten verläßt! Aber höre mich noch einmal an, Vetranio,« fuhr, er zu dem Senator gewendet fort; »wenn unsere Gefahren außerhalb der Mauern Dich nicht berühren, so ist doch soeben innerhalb derselben eine gewichtige Sache ausgemacht worden, welche Dich bewegen muß. Nachdem Du den Senat verlassen hattest, wurde Serena, Stilicho’s Wittwe, wie schon ihr Gatte vor ihr, des geheimen verrätherischen Verkehrs mit den Gothen angeklagt, und ist, wie früher ihr Gatte, zur Todesstrafe verurtheilt worden. Ich selbst sah keine Beweise vor mir, um sie zu überführen, aber der Pöbel schrie in allgemeiner Raserei, daß sie schuldig sei, daß sie sterben müsse und daß die Barbaren, wenn sie die ihrer geheimen Anhängerin auferlegte Strafe erführen, sich entsetzt von Rom zurückziehen würden. Dies war ebenfalls ein streitiger Punkt, über welchen ich umsonst eine Entscheidung zu geben versuchte, aber der Senat und das Volk waren klüger als ich, und Serena wurde verurtheilt, morgen vom Henker erwürgt zu werden. Sie war früher ein Frauenzimmer von gutem Rufe und ist die adoptierte Mutter des Kaisers. Viele bezweifeln jetzt, ob Stilicho, ihr Gatte, je des Einverständnisses mit den Gothen, dessen er angeklagt wurde, schuldig gewesen sei und ich meinerseits bin sehr unschlüssig, ob Serena die Todesstrafe an uns verdient hat. Ich flehe Dich an, Vetranio, mich wenigstens in diesem Punkte durch Deine Ansicht zu erleuchten.«

Der Präfekt wartete ängstlich auf eine Entgegnung, aber Vetranio blickte ihn weder an, noch ließ er ihm eine Erwiderung zu Theil werden. Offenbar hatte der Senator kein Wort von seinen Reden gehört.

Diese Aufnahme seiner letzten Bitte um Beistand brachte auf den Bittsteller die Wirkung, welche dadurch vielleicht beabsichtigt wurde, hervor; der Präfekt Pompejanus verließ verzweiflungsvoll das Zimmer.

Er war noch nicht lange fort, als Carrio wieder eintrat und zu seinem Herrn sagte:

»Es ist mir schmerzlich, verehrter Patron, Dir mittheilen zu müssen. daß Deine Sklaven ohne Resultat von der Nachsuchung zurückgekehrt sind.«

»Gib die Beschreibung des Mädchens einer frischen Abtheilung von denselben und laß sie ihre Bemühungen die Nacht hindurch nicht nur auf den Straßen, sondern auch an allen öffentlichen Orten der Stadt fortsetzen, Sie muß in Rom sein und gefunden werden!« sagte der Senator düster.

Carrio verbeugte sich tief und wollte sich eben entfernen, als ihn die Stimme seines Herrn an der Thür festhielt.

»Wenn ein alter Mann, der sich Numerian nennt, mich zu sehen wünschen sollte, so lasse ihn augenblicklich ein!«

»Sie hatte das Zimmer erst kurze Zeit verlassen, als ich sie zurückzubringen versuchte,« fuhr der Senator vor sich hinsprechend fort, »und doch war sie, als ich in’s Freie gelangte, nirgends zu sehen. Sie muß sich unabsichtlich unter die Menge gemischt haben, welche die Gothen in die Stadt trieben und so meiner Beachtung entgangen sein! So jung und so unschuldig! Sie muß gefunden werden! sie muß gefunden werden!« Er hielt wieder, in tiefes, trübes Nachdenken versunken, inne. Nach einem langen Zwischenraum wurde er durch den Ton von Schritten auf dem Marmorfußboden aus seiner Zerstreuung geweckt. Er blickte auf.

Die Thür war, ohne daß er es bemerkte, geöffnet worden und ein alter Mann trat mit langsamen, schwankenden Schritten auf sein Lager zu. Es war der verlassene, unglückliche Numerian.

»Wo ist sie? — hat sie sich gefunden?« fragte der Vater, sich ängstlich im Zimmer umschauend, als habe er seine Tochter dort zu finden erwartet.

»Meine Sklaven suchen immer noch nach ihr!« sagte Vetranio trübe.

»Ach, wehe! —— wehe —— wehe! —— Wie habe ich ihr Unrecht gethan! wie habe ich ihr Unrecht gethan! rief der Greis, sich zur Entfernung wendend.

»Höre mich an, ehe Du gehst,« sagte Vetranio, indem er ihn sanft zurückhielt, »Ich habe Dir großes Unrecht gethan, aber ich werde es noch wieder gut machen, indem ich Dir Dein Kind aufsuche! So lange es noch Weiber gab, die in meiner Bewunderung ihren Triumph gefunden haben würden, hätte ich keinen Versuch machen sollen, Dich Deiner Tochter zu berauben! Erinnere Dich, wenn Du sie wieder erhältst —— und Du sollst sie wieder erhalten, —— daß sie von der Zeit an, wo ich sie zuerst verlockte, meiner Laute zuzuhören, bis zu der Nacht, wo mich Dein verrätherischer Diener in ihr Schlafgemach geführt hat, in dieser übel angesehenen Sache unschuldig gewesen ist. Ich allein bin der Schuldige. Sie war kaum erwacht, als Du sie in meinen Armen entdecktest, und mein Erscheinen in ihrer Kammer kam ihr eben so unerwartet wie Dir. Ich war noch von den Dünsten des Weines und dem Erstaunen über Dein plötzliches Erscheinen verwirrt, sonst würde ich sie vor Deinem Zorne gerettet haben, ehe es zu spät war! Die Ereignisse dieses Morgens haben mich, so verworren sie auch gewesen sind, doch überzeugt, daß ich mich in Euch Beiden getäuscht hatte. Ich weiß jetzt, daß Dein Kind zu rein war, um für meine Bewerbung geeignet zu sein, und glaube, daß Deine Absicht aufrichtig war, als Du sie so, wie Du es gethan hast, abschlossest, wie übel berathen Du auch dabei erscheinen mochtest! Ich habe während meines ganzen Strebens nach Vergnügen nie einen verderblicheren Irrthum begangen, als das Eintreten in Dein Haus!«

Vetranio drückte durch diese Worte nur die Gefühle aus, von welchem sie ihm wirklich eingegeben wurden. Wie schon bemerkt, war er zwar aus Leichtsinn in der ihm durch seine sociale Stellung gestatteten Freiheit ausschweifent, aber weder herzlos, noch von Natur böse. Väter hatten wohl gewüthet, aber seine Freigebigkeit sie bisher stets beschwichtigt, Töchter hatten geweint, aber bei allen bisherigen Anlässen im Glanze seines Palastes und der Liebenswürdigkeit seines Charakters Trost gefunden. Als er daher die Entführung Antoninens versuchte, hatte er sich zwar auf ungewöhnliche Hindernisse gefaßt gemacht, aber von seiner neueren Eroberung keine schlimmeren Resultate erwartet, als diejenigen, welche bisher seinen früheren Galanterien gefolgt waren. Als er sich jedoch in der Einsamkeit seines Hauses und im vollen Besitz seiner geistigen Fähigkeiten, alle Umstände seines Versuches von der Zeit an, wo er sich zu dem schlummernden Mädchen geschlichen, bis zu dem Augenblicke, wo sie aus dem Hause geflohen war, in’s Gedächtniß rief, als er sich an den strengen auf einen Punkt zusammengezogenen Zorn Numerian’s und die Qual und Verzweiflung Antoninens erinnerte, als er an die Reue des zu Boden gedrückten, betrogenen Vaters und die Flucht der mißhandelten Tochter dachte, kam er sich wie ein Mann vor, der nicht bloß eine Indiskretion begangen, sondern sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatte —— er wurde überzeugt, daß er die furchtbare Verantwortlichkeit auf sich geladen, das Glück eines Vaters, der wirklich tugendhaft, und das eines Kindes, welches wahrhaft unschuldig, war, vernichtet zu haben. Für einen Mann, dessen ganzes Leben sich nur damit beschäftigte, sich ungetrübte Freuden zu verschaffen, dessen einziger Trieb es war, nie verfeinerte Sinnlichkeit, welche die Gewohnheit eines ganzen Lebens zu dem Material, aus welchem sein Herz bestand, gemacht hatte, durch Verbreitung von Ueppigkeit und Erweckung von Lächeln, wohin er nur immer seine Schritte wendete, zu nähren, war die bloße, geistige Unruhe, welche dem Mißlingen seines Versuches auf Numerian’s Tochter folgte, in ihrem Einfluss e eben so peinlich wie die bitterste Reue, welche einen Mann von höheren Grundsätzen hatte quälen können. Er stellte also jetzt die Forschungen nach Antonina an und gab ihrem Vater seine Zerknirschung in der echten Ueberzeugung zu erkennen, daß nichts als die vollkommenste Entschädigung für den von ihm begangenen Irrthum ihm die üppige Ruhe wieder geben könne, deren Verlust ihn, wie er es selbst ausdrückte, taub für die Berathung des Senates und achtlos gegen. den Einfall der Gothen gemacht hatte.

»Sage mir,« fuhr er nach einer Pause fort, »wohin sich Ulpius begeben hat. Ist es nöthig, ihn aufzusuchen? Er könnte uns vielleicht über Antoninens Zufluchtsort aufklären. Er soll festgenommen und ausgefragt werden.«

»Er hat mich plötzlich verlassen. Ich sah ihn sich, als ich das Fenster verließ, unter die Menge auf der Straße mischen, weiß aber nicht, wohin er sich begeben hat,« entgegnete Numerian, und sein ganzer Körper erbebte, als er von dem unbarmherzigen Heiden sprach.

Wiederum herrschte eine kurze Stille. Der Schmerz des zu Boden gedrückten Vaters besaß in seiner Demuth und Verzweiflung eine tadelnde Stimme, vor welcher der Senator, so sorglos und ausschweifend er auch war, instinktmäßig bebte. Er bemühte sich, eine Zeitlang umsonst den mißbilligenden Einfluß zu bekämpfen, welchen die bloße Gegenwart des schmerzbekümmerten Mannes, dem er so unwiderbringliches Unrecht zugefügt, hervorgebracht hatte. Endlich erlangte er wieder Fassung genug, um einige weitere Ausdrücke des Trostes und der Hoffnung an Numerian zu richten, aber er sprach zu Ohren, welche ihn nicht hörten. Der Vater war wieder in seine trübe Zerstreuung versunken und als der Senator inne hielt, murmelte er er die Worte vor sich hin:

»Sie ist verloren! leider ist sie für immer verloren!«

»Nein, sie ist nicht für immer verloren!« rief Vetranio warm. »Ich besitze Vermögen und Macht genug, um sie bis an’s Ende der Welt suchen zulassen Ulpius soll festgenommen und verhört —— wenn es nöthig ist, eingekerkert und gefoltert werden. Deine Tochter muß sich wieder finden, es giebt für einen Senator von Rom nichts Unmögliches.«

»Ich wußte nicht eher, daß ich sie liebte, als bis zu dem Morgen, wo ich sie vertrieb und ihr so großes Unrecht that. Ich habe alle Spuren von meinen Eltern und meinem Bruder verloren —— meine Gattin ist auf ewig von mir getrennt —— ich habe weiter nichts als Antonina, und jetzt ist sie ebenfalls fort!« sprach der alte Mann noch immer vor sich hin. »Selbst mein Ehrgeiz, den ich einst für mein Alles in Allem hielt, ist kein Trost für meine Seele, denn ich liebte ihn —— liebte ihn leider, meiner unbewußt, in meinem Kinde. Ich zerschlug ihre Laute —— ich hielt sie für schamlos —— ich trieb sie aus meinem Hause! O, wie sehr habe ich ihr Unrecht gethan! wie sehr habe ich ihr Unrecht gethan!«

»Bleibe hier und ruhe in einem von den Schlafgemächern aus, bis meine Sklaven morgen früh zurückkehren werden. Du sollst dann ohne Verzug das Resultat ihrer nächtlichen Forschungen erfahren,« sagte Vetranio mit freundlichem, mitleidigem Tone.

»Es wird finster —— finster!« stöhnte der Vater, indem er nach der Thür schwankte, »aber das ist nichts, das Tageslicht selbst gleicht für mich jetzt der Finsterniß! Ich muß gehen, ich habe Pflichten in der Kapelle zu erfüllen. Für Dich bringt die Nacht Ruhe —— für mich bringt sie Pein und Gebet!«

Er entfernte sich mit diesen Worten. Langsam schritt er durch die nach seiner Kapelle führenden Straßen und blickte mit durchdringendem Auge auf jeden Bewohner der belagerten Stadt, welcher unterwegs an ihm vorüberkam. Es kostete ihm einige Mühe, an seinen Bestimmungsort zu gelangen, denn Rom war noch von Bewaffnetem welche hin und her eilten, und mit Haufen von tumultuösen Bürgern gefüllt, die sich überall, wo Raum genug für sie vorhanden war, versammelten. Das Gerücht von dem ihm zugestoßenen Unglück hatte sich bereits unter seinen Hörern verbreitet und sie flüsterten besorgt mit einander, als er in die einfache, schwach erleuchtete Kapelle trat und langsam auf die Kanzel stieg, um den Gottesdienst durch Lesung des Bibelkapitels, welches für diesen Abend angesetzt war und zufällig im fünften des Evangelium St. Marci bestand, zu eröffnen.

Seine Stimme bebte, sein Gesicht war mit gespenstischer Blässe überzogen und seine Hände zitterten merklich, als er begann, aber er las in leisen. gebrochenen Tönen und mit offenbarer Pein und Mühe weiter, bis er zu dem Verse kam, welcher die Worte enthielt: —— »Meine Tochter liegt in den letzten Zügen.« —— Hier hielt er plötzlich inne, strengte sich einige Minuten an, weiter zu lesen, aber vergebens, bedeckte darauf sein Gesicht mit den Händen, sank in der Kanzel nieder und schluchzte laut. Seine bekümmerten, erschreckten Zuhörer sammelten sich augenblicklich um ihn, richteten ihn in ihren Armen auf und wollten ihn nach seiner Wohnung führen. Als sie jedoch an die Thür der Kapelle gelangten, forderte er sie sanft auf, ihn zu verlassen und ohne ihn zu dem Gottesdienste zurückzukehren.

Stets selbst seinen leisesten Wünschen gehorsam, leisteten ihm die Personen seiner kleinen Gemeinde, durch den Anblick der Leiden ihres Lehrers zu Thränen bewegt, Folge, und zogen sich schweigend auf ihre früheren Plätze zurück. Sobald er fand, daß er allein war, schritt er über die Schwelle und flüsterte vor sich hin:

»Ich muß mich Denen, die sie suchen. anschließen, ich muß ihnen selbst bei der Nachsuchung beistehen,« und mischte sich wieder unter die sich auf den finsteren Straßen drängenden Bürger.


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