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Antonina oder der Untergang Roms



Kapitel III.
Liebeszusammenkünfte.

Wer hat nicht, wenn er zu einem drohenden, stürmischen Himmel aufblickte, Freude darüber gefühlt, wenn er unerwartet noch eine kleine heiter blaue Stelle unter den Gewitterwolken entdeckte. Je unlieber das Auge über das düstere Gewölbe des übrigen Firmaments gewandert ist, desto freudiger ruht es endlich auf der kleinen Oase des Lichtes, das seinen müden Blicken begegnet und, wenn es über den ganzen Himmel ausgebreitet gewesen, vielleicht nur nachlässig und vorübergehend betrachtet worden wäre.

Durch den Kontrast mit den dunkeln traurigen Farben rund umher nimmt selbst diese kleine blaue Stelle allmälig die Kraft an, die weitere, trübere Aussicht mit einem gewissen Interesse und Leben zu bekleiden, welches sie vorher nicht besaß, bis der Geist in der sie umgebenden Sturmatmosphäre einen Gegenstand erblickt, welcher der Aussicht Abwechselung gewährt, ein Schauspiel, dessen Traurigkeit eben so gut Antheil erwecken, wie zurückstoßen kann.

Mit solchen Empfindungen —— nur daß wir sie direkt auf den Geist, statt auf das Auge anwendeten, schrieben wir die wenigen Seiten nieder, welche das Schlußkapitel des ersten Buches beenden. Das dort beschriebene Glück schien den stürmischen Fortgang unserer Erzählung zu durchstrahlen, wie die blaue Stelle die Dunkelheit der sich zusammenziehenden Wolken. Es erhob sich gleich einem Garten der Ruhe hinter der Wüste wilder Aufregungen, die uns auf den vorhergehenden Seiten umgeben hatten. Es ermuthigte uns zum Betreten des Feldes von düsterem Interesse, welches ihm, wie wir wußten, folgen mußte, und uns so, durch seine Abwechselung als Kontrast mit dem Vorhergegangenen, einladen, statt uns durch eine Eintönigkeit des Schmerzes traurig stimmen würde.

Erinnert sich der Leser der Scene in dem Bauernhause jenseits der Vorstädte mit solchen Empfindungen? Wenn sie ihn so berührt hat, so wird er uns jetzt nicht eine kurze Abschweifung von Ulpius und der von Hungersnoth gequälten Stadt zu Antoninen und dem stillen, einsamen Lande versagen.

Während der Zeit, welche, seit wir sie verließen, verstrichen ist, hat Antonina sicher in ihrer Einsamkeit, glücklich in ihrem gutgewählten Versteck gewohnt. Die wenigen, umherschweifenden Gothen, welche in seltenen Zwischenräumen die Nachbarschaft ihres Heiligthums besuchtem drängten sich nie in dessen friedlichen Bezirk ein. Der Anblick der verheerten Felder und geleerten Scheunen, des verlassenen kleinen Gutes genügte stets, um ihre raubsüchtigen Schritte einer andern Richtung zuzuwenden. Ein Tag nach dem andern verstrich ruhig und schnell für die liebliche Bewohnerin des verlassenen Hauses, die enge Runde seiner Gärten und schützenden Haine Umfaßte für sie den ganzen Kreis der Freuden und Beschäftigungen ihres neuen Lebens.

Die einfachen, im Hause zurückgebliebenen Vorräte die Früchte und Gemüse welche sie im Garten einsammelte, waren für ihren Unterhalt vollkommen hinreichend. Die unschuldige Einsamkeit des Ortes besaß einen ruhigen, träumerischen Zauber, eine Neuheit, einen nie ermüdenden Reiz nach der strengen Einsamkeit, welcher ihre frühere Existenz in Rom unterworfen gewesen war. Und wenn der Abend kam und die Sonne die Wipfel der westlichen Bäume zu vergolden begann, dann stellte sich nach den ruhigen Empfindungen des einsam verlebten Tages die Stunde sie gänzlich in Anspruch nehmender Sorgen und froher Erwartungen ein, die stets die gleichen, aber stets gleich entzückend und neu waren. Dann wurden die rohen Fensterläden sorgfältig geschlossen, die offene Thür verriegelt, das kleine, jetzt der äußern Welt unsichtbare Licht freudig angezündet und dann ergab sich die Herrin und Urheberin aller dieser Vorbereitungen mit froher Aengstlichkeit in die Erwartung des Gastes, zu dessen Bewilllommnung dieselben bestimmt waren.

Und nie erwartete sie das Kommen jenes ersehnten Gefährten vergebens. Hermanrich erinnerte sich seines Versprechens, fortwährend nach dem Bauernhause zu kommen, und erfüllte es mit aller Veständigkeit der Liebe und allem Enthusiasmus der Jugend. Wenn die Wachen unter seinem Befehl für die Nacht ausgestellt waren und das Vertrauen, welches ihm seine Vorgesetzten schenkten, seine Handlungen während der Stunde der Finsterniß von Beaufsichtigung befreiten, so verließ er das Lager, eilte durch die verödete Vorstadt nach dem Gebäude, wo ihn die junge Römerin erwartet und kehrte von dort vor Tagesanbruch zurück, um die Mittheilungen entgegen zu nehmen, die ihm zu dieser Stunde regelmäßig der zunächst unter ihm Befehlende machte.

So suchte er, seiner Nation untreu, aber treu gegen die neue Egeria seiner Gedanken und Handlungen —— ein Verräther gegen die Pflichten der Rache und des Krieges, aber doch den Interessen der Ruhe und Liebe gehorsam, allabendlich Antonina’s Gegenwart auf. Seine Leidenschaft brachte, wiewohl sie ihm seine Kriegerpflichten unmöglich machte, doch keine herabwürdigende Veränderung in seinem Charakter hervor. Alles, was sie in ihm veränderte, veredelte sie. Sie brachte Abwechselung in seine rohen Empfindungen und erhob dieselben, denn sie wurde nicht bloß von der Schönheit und Jugend, die er sah, eingeflößt, sondern von den reinen Gedanken der unschuldigen Beredsamkeit, die er hörte, belebt. Und sie, die verstoßene Tochter, die Quelle, aus welcher der nordische Krieger jene neueren, höheren Gefühle schöpfte, die ihn jetzt zum ersten Male belebten —— betrachtete ihren Beschützer, ihren ersten Freund und Gefährten, wie ihre erste Liebe mit einer Hingebung, welche sich der Geist in ihrem gemischten enthusiastischen Wesen vorstellen, die aber die Feder nur unvollkommen nieder zeichnen kann. Es war eine von Unschuld und Dankbarkeit, Freude und Schmerz, Besorgniß und Hoffnung erzeugte Ergebenheit, sie war zu frisch, hatte zu wenig mit der Welt gemein, um Vorwürfe anerzogener Scham oder künstlichen Anstandes zu kennen. Sie glich in ihrem Wesen, wenn auch nicht in ihrer Anwendung, der Hingebung der ersten Töchter der Menschen für ihre Mitherren der Schöpfung.

Was würde es aber nützen, wenn wir noch länger bei solchen Beschreibungen verweilten? Die höheren Leidenschaften in ihrer vollen Kraft und Thätigkeit sprechen zu der menschlichen Phantasie und verschmähen die gemeine Verdollmetschung durch menschliche Worte. Das Maß des Guten und Bösen in der Liebe Hermanrichs und Antoninens wird das Herz des Lesers besser abwägen, als die Feder des Schriftstellers. Er möge ihr Alter, ihre Lage und ihre Gelegenheiten bedenken und seine Phantasie dann innerhalb der Grenzen der breiten Umrisse, die wir bereits gegeben haben, spielen lassen, sie mit der bunten Gluth der leidenschaftlichen Worte des Liebhabers färben, mit den glänzenden Lichtern ihrer Augenblicke entzückter Seligkeit erleuchten, mit den sanften Schatten ihrer Stunden üppiger Ruhe abdunkeln. So werden die Liebesscenen in dem Bauernhause den Erwartungen Aller entsprechen und —— ein noch glücklicheres Schicksal —— die Vorurtheile, Keines beleidigen!

Was uns betrifft, so ist es jetzt Zeit, zu dem Gange unserer Erzählung zurückzukehren, wiewohl es, ehe wir wieder in die rüstige, bewegte Gegenwart treten, noch auf einen Augenblick nöthig sein wird, nach einer andern Seite hin auf die ereignißreiche Vergangenheit zurückzuschauen. Aber nicht auf Frieden, Schönheit und Freude, heftet sich jetzt unser Blick, wir wenden uns zu Zorn Krankheit und Verbrechen, zu der unversöhnlichem unweiblichen Goiswintha.

Seit dem Tage, wo die Gewaltsamkeit der in ihr kämpfenden Gefühle sie des Bewußtseins beraubt hatte, in dem Augenblicke ihres entscheidenden Triumphs über die Bedenklichkeiten Hermanrich’s und das Schicksal Antoninens, war ihr von einem hitzigen Fieber ein Theil der bitteren Leiden zugefügt worden, welche sie gern Andern auferlegt hätte, bald lag sie in einem rasenden Delirium, bald in hilfloser Erschöpfung da. Welche Form aber auch ihre Krankheit annehmen mochte, so vergaß sie doch nie den grausamen Zweck, bei dessen Verfolgung sie sich dieselbe zugezogen hatte. Langsam und ungewiß kehrte endlich ihre Kraft zurück und zugleich mit ihr verstärkte sich und wuchs die grimmige Rachsucht, welche selbst ihre leisesten Gedanken erfüllte und ihre gleichgültigsten Handlungen beherrschten

Das Gerücht theilte ihr die neue Stellung in der Blockadelinie mit, in welcher sich Hermanrich befand, und zählte als Gefährten seines dortigen Aufenthalts nur die unter seinem Befehle stehenden Krieger auf. Wenn aber auch so von der Trennung Antoninens und des Gothen überzeugt, nagte doch ihre Unwissenheit über das Schicksal des Mädchens ununterbrochen an ihrem wilden Herzen. Im Zweifel, ob sie Hermanrich auf die Dauer für die Interessen der Rache und des Blutvergießens gewonnen, im unbestimmten Argwohn, daß er sich während ihrer Abwesenheit mit Antoninens Zufluchtsort bekannt gemacht habe, fortwährend entschlossen auf den Tod ihres Opfers sinnend, wohin sich dasselbe auch begeben haben würde, erwartete sie mit zitternder Begier den Tag der Wiedererlangung ihrer Kräfte, welche sie in den Stand setzen würde, ihren Einfluß auf den Gothen wieder zu erlangen und ihre Ränke gegen das geflüchtete Mädchen fortzusetzen. Ihre lange erhoffte völlige Genesung war an dem Tage vor der bereits beschriebenen stürmischen Nacht eingetreten, und der erste Gebrauch, welchen sie von ihrer erneuten Thatkraft machte, bestand darin, daß sie dem jungen Gothen ihre Absicht mittheilen ließ, ihn vor Einbruch des Abends ans seinem Posten zu besuchen.

Diese Mittheilung war es, welche die zu Anfang des vorigen Kapitels erwähnte Unruhe Hermanrich’s verursacht hatte. Der dort geschilderte Abend war der erste, welcher ihn durch den angedrohten Besuch Goiswinthens der Aussicht beraubt hatte, wie er gewohnt war, unter dem Schutze der Nacht zu Antonina zu gehen, da er sich durch die Mißachtung der ominösen Botschaft seiner Verwandten der verderblichsten Entdeckung ausgesetzt haben würde. Im Vertrauen auf die trügerische Sicherheit, welche ihm ihre Krankheit gewährte, hatte er bis jetzt die unwillkommene Erinnerung an ihre Existenz aus seinen Gedanken verbannt, jetzt aber, wo sie erneuter Thätigkeit und Verbrechen fähig war, fühlte er, daß er, um das Geheimniß des Verstecks Antoninens und das Leben seiner Geliebten zu bewahren, dableiben und wenn ihn Goiswintha auf seinem Posten besuchte, Gewalt gegen Gewalt und List gegen List anwenden müsse, selbst auf die Gefahr hin, durch sein Ausbleiben dem einsamen Mädchen alle Qualen der Angst und Besorgniß aufzuerlegen.

In solche Gedanken versunken, sich nach der Entfernung sehnend, aber doch zum Bleiben entschlossen, erwartete er ungeduldig Goiswinthens Erscheinen, bis das Aufsteigen des Gewitters, mit seiner räthselhaften, ihn völlig in Anspruch nehmenden Reihe von Ereignissen, seine Gedanken und Handlungen in ein neues Bett leitete. Sobald jedoch seine Gespräche mit dem Fremden und dem gothischen Könige vorüber und er dem erhaltenen Befehle gemäß auf seinen Posten zurückgekehrt war, nahmen seine auf eine Zeitlang vertriebenen aber nicht völlig vernichteten alten Besorgnisse wieder ihren Einfluß auf ihn an. Er fragte seine Kameraden begierig, ob Goiswintha in seiner Abwesenheit gekommen sei und erhielt von Allen die gleiche verneinende Antwort.

Während er jetzt auf das Pfeifen des Windes, den immer lauter werdenden Donner und das schrille Geschrei der fernen Nachtvögel, welche ihren Zufluchtsorten zueilten, lauschte, nahmen trübe, traurige Empfindungen von seinem Herzen Besitz. Er wunderte sich jetzt, daß irgend ein Ereigniß, wie unerwartet es auch kommen und wie ungewöhnlich es auch sein mochte, die Gewalt besitzen konnte, seinen Geist auf einen Augenblick von den traurigen Gedanken abzulenken, welche ihn am Schlusse des Tages erfüllt hatten. Er dachte an die einsame, hilflose Antonina, die erschreckt in den Sturm hinaushorchte und vergebens auf sein lange hinausgeschobenes Nahen wartete. Seine Phantasie stellte vor ihm ein Heer von Gefahren, Complotten und Verbrechen, die mit allen entsetzlichen Mißgestalten eines Traumes bekleidet waren, vor ihm auf. Selbst das schnelle eintönige Tröpfeln des Regens vor dem Hause erweckte in ihm dunkle, unerklärliche Ahnungen von Unheil. Die Leidenschaft, welche ihm bis jetzt neue Freuden geschaffen. hatte, erfüllte jetzt die andere Hälfte ihrer irdischen Sendung, und verursachte ihm neue Schmerzen.

In dem Maße, wie der Sturm zunahm, wie die langsamen Augenblicke schwer und trübe vorüberschlichen, wie die Finsterniß tiefer und immer tiefer wurde, wuchs auch seine Unruhe, bis sie endlich den letzten schwachen Widerstand seiner schwankenden Kraft besiegte. Er überredete sich, daß Goiswintha, nachdem sie so lange gezögert, sich jetzt enthalten würde, ihn vor dem Morgen zu besuchen, und daß alle Mittheilungen von Alarich, wenn deren abgesendet worden wären, ihm längst schon hätten zugekommen sein müssen, unfähig, länger seine Besorgnisse wegen Antoninens Sicherheit zu bekämpfen, entschlossen, es lieber aus die schlimmsten Möglichkeiten ankommen zu lassen, als zu einer solchen Zeit des Sturmes und der Gefahr von dem Hause seiner Geliebten fern zu bleiben, machte er einen letzten Besuch auf den Standpunkten der wachsamen Posten und verließ das Lager.


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