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Antonina oder der Untergang Roms



Kapitel IV.
Die Hunnen.

Mehr als eine Stunde, nachdem Hermanrich das Lager verlassen hatte, trat eiligen Schrittes ein Mann in das von dem jungen Häuptling bewohnte Haus. Er machte keinen Versuch ein Licht oder Feuer anzuzünden, sondern setzte sich in dem Hauptgemache nieder und flüsterte von Zeit zu Zeit Worte einer fremden barbarischen Sprache vor sich hin.

Er war erst kurze Zeit in Besitz seiner unbehaglichen Einsamkeit gewesen, als ein Troßknecht mit einer kleinen Lampe und dicht hinter ihm ein Weib eintrat, das sich, als er aufsprang, und ihr entgegenging, als Hermanrich’s Schwester zu erkennen gab und begierig den Gothen zu sprechen verlangte.

So hager und bleich es auch durch lange Leiden und Aufregung geworden war, erschien doch das Gesicht Goiswinthens, denn diese war es, geradezu anziehend, wenn man es jetzt im Lampenscheine mit dem Gesichte und der Gestalt des von ihr angeredeten Individuums verglich. Eine platte Nase, eine schwärzlichbraune Haut, lange, straffe, verworrene Locken von kohlschwarzem Haar, ein bartloses, zurückweichendes Kinn und kleine, wilde, tiefliegende Augen verliehen der Physiognomie des Mannes fast etwas Thierisches. Seine breiten, musculösen Schultern hingen über einer Gestalt, die von eben so geringer Höhe, wie athletischer Bauart war, wenn man ihn anblickte, so sah man die Muskeln eines Riesen in den Körper eines Zwerges gespannt. Und doch war dieser ungestaltete Herkules kein einzelnes Versehen der Natur, keine ungewöhnliche Ausnahme von seinen Nebenmenschen, sondern der Typus einer ganzen eben so verwachsenen und zurückstoßenden Race wie er, er war ein Hunne.

Dieses wilde Volk, welches selbst der Schrecken seiner barbarischen Nachbarn war und ohne Regierung, Gesetze oder Religion lebte, besaß mit dem Menschengeschlechte nur ein Gefühl in Gemeinschaft, den Instinkt des Krieges. Seine historische Laufbahn begann mit seinen frühesten Eroberungen in China und nahm ihren Fortgang mit seinen ersten Siegen über die Gothen, welche die hunnischen Krieger als Dämonen betrachteten sind bei ihrer Annäherung flohen. Die so begonnenen Feindseligkeiten zwischen den beiden Völkern gingen endlich durch die zeitweilige Verbindung des besiegten Volkes mit dem römischen Reiche in einen Waffenstillstand über und hörten später bei der allmäligen Verschmelzung der Interessen Beider zu einem gemeinschaftlichen Gefühle —— dem Abscheu gegen Rom —— gänzlich auf.

Durch dieses Verbrüderungsband wurden die Gothen und Hunnen öffentlich verknüpft, blieben aber insgeheim in Feindschaft mit einander, —— denn die eine Nation erinnerte sich eben so lebhaft an ihre früheren Niederlagen, wie die andere an ihre frühem Siege. In einem Wechsel von Niederlagen, Uneinigkeiten und Siegen, verfolgten sie ihre Laufbahn des Kampfes und der Plünderung, bald getrennt, bald zusammen, bis zur Zeit unserer Erzählung, wo Alarich’s Belagerungsheer unter den Reihen seiner barbarischen Hilfstruppen auch eine Abtheilung von Hunnen zählte, die, nur widerstrebend mit dem Titel von Verbündeten der Gothen beehrt, in untergeordneten Stellungen im Heere verstreut waren und unter denen das oben beschriebene Individuum einer von denjenigen war, welche man verächtlich durch Beförderung zu einer niedern Befehlshaberstelle unter Hermanrich, als einem gothischen Anführer begünstigt hatte.

Ein Ausdruck der Abneigung aber nicht des Schreckens zog über Goiswinthens abgemagertes Gesicht, als sie sich dem Barbaren näherte und wiederholt den Wunsch aussprach, vor Hermanrich geführt zu werden. Auch auf das zweite Mal gab der Mann ihr jedoch keine Antwort; er brach in ein kreischendes, kurzes Lachen aus und zuckte seine ungeheuren Achseln mit ungeschicktem Spott. Das Gesicht des Weibes röthete sich auf einen Augenblick und nahm dann wieder eine gelbliche Blässe an, als sie fortfuhr:

»Ich bin nicht hierhergekommen, um von einem Barbaren verspottet, sondern um von einem Gotten bewillkommnet zu werden. Ich frage Dich nochmals, wo ist mein Bruder, Hermanrich!«

»Fort!« —— rief der Hunne, und sein Gelächter wurde noch wilder und mißtöniger.

Goiswinthens Körper durchzuckte eins plötzliches Beben, als sie das Benehmen des Barbaren bemerkte und, seine Antwort hörte. Sie unterdrückte mit Schwierigkeit ihren Zorn und ihre Aufregung und fuhr mit besorgten Blicken und bittenden Tönen fort.

»Wohin ist er gegangen? Weshalb hat er sich entfernt? —— Ich weiß, daß die Stunde, welche ich für unsere Besprechung hier bestimmt hatte, längst vorüber ist, aber ich habe viele Wochen lang krank darnieder gelegen, und als ich mich diesen Abend; zum Fortgehen anschickte, schienen plötzlich meine verschwundenen Leiden zurückzukehren. Ich wurde in mein Bett getragen, wiewohl aber die Weiber, welche mir Beistand leisteten, sagten, daß ich dableiben und ausruhen solle, so fand ich doch in der Nacht Kraft genug, um ihnen zu entrinnen und durch Stimm- und Finsterniß allein hierher zu kommen, —— denn ich war entschlossen, wenn ich auch dafür umkommen sollte, Hermanrich aufzusuchen, wie ich es durch meine Boten versprochen hatte. Du, der Du der Gefährte seiner Wache bist, mußt wissen wohin er sich begeben hat. Geh zu ihm und berichte ihm, was ich gesagt habe, ich werde hier aus seine Rückkehr warten.«

»Sein Geschäft ist geheim! spöttelte der Hunne, »er hat sich entfernt, aber ohne mir zu sagen, wohin, woher sollte ich Barbar den Aufenthaltsort eines vornehmen Gothen kennen? Mir geziemt es nicht, seine Handlungen zu wissen, sondern seinen Worten zu gehorchen.«

»Spotte nicht über Deinen Gehorsam,« entgegnete Goiswintha mit athemlosem Eifer; »ich sage Dir nochmals, Du weißt, wohin er gegangen ist und mußt mir sagen, zu welchem Zwecke er sich entfernt hat. Du gehorchst ihm —— da ist Geld, um Dich zum Gehorsam gegen mich zu bewegen.«

»Als ich sagte, daß sein Geschäft geheim sei, habe ich nicht gelogen,« antwortete der Hunne, indem er gierig die Münzen, welche sie ihm zuwarf, aufhob, »aber er hat es nicht vor mir geheim gehalten! Die Hunnen sind schlau! häßlich und schlau!

Der Argwohn ihres sündigen Herzens war in diesem Augenblicke schon halb genügend, um Goiswinthen die Nachricht, welche sie noch erhalten sollte, errathen zu lassen. Es entfloh ihr jedoch kein Wort, während sie dem Barbaren ein Zeichen gab, weiter zu sprechen.

»Er ist nach einem Bauernhause im Freien jenseits der Vorstadt hinter uns gegangen. Er wird erst mit Tagesanbruch zurückkommen!« fuhr der Hunne fort, indem er das Geld in seinen großen hornigen Händen klappern ließ.

»Hast Du ihn gehen sehen?« stöhnte das Weib.

»Ich habe ihn bis zu dem Hause verfolgt,« erwiederte der Barbar »Viele Nächte lang habe ich ihn beobachtet und in Verdacht gehabt; diese Nacht habe ich ihn fortgehen sehen. Erst seit kurzen bin ich wieder zurück. Die Finsterniß hat mich nicht getäuscht, der Ort ist an der Landstraße von den Vorstädten aus —— der erste Nebenweg nach Westen führt an das Gartenthor —— ich weiß es, ich habe sein Geheimniß entdeckt! ich bin schlauer als er.!«

»Zu welchem Zwecke hat er das Bauernhaus bei Nacht besucht?« fragte Goiswintha nach einiger Zeit, während welcher sie, wie es schien, stumm die letzten Worte des Mannes in ihr Gedächtniß geheftet hatte. »Bist Du schlau genug, um mir das zu sagen.«

»Wozu wagen die Männer ihre Sicherheit und ihr Leben, ihr Geld und ihren Ruhm?« lachte der Barbar, »für die Weiber! In dem Bauernhause befindet sich ein Mädchen. Ich sah es an der Thür als der Häuptling hineinging.«

Er schwieg. Goiswintha antwortete aber nicht.

Wir erinnern uns, daß sie von einem Frauengeschlecht abstammte, welches seine verwundeten Gatten, Söhne und Brüder mit eigenen Händen erschlug, wenn es dieselben durch eine Niederlage entehrt nach der Schlacht aufsuchte; wir erinnern uns, daß das Feuer der alten Wildheit dieser Vorfahren noch in ihrem Herzen glühte, wir erinnern uns aller Hoffnungen, die sie auf Hermanrich gesetzt, alles Hasses, welchen sie gegen Antonina gehegt, und sind, den Eindruck der jetzt erhaltenen Nachricht nach seiner vollen Stärke ermessend, eben so abgeneigt wie unfähig, ihre Empfindungen in diesem Augenblicke zu beschreiben. Auf einige Zeit wurde die Stille des Zimmers durch keinen Ton unterbrochen, als das Rollen des Donners draußen, das schnelle convulsivische Athmen Goiswinthens und das Klimpern des Geldes, welches der Hunne mechanisch aus einer Hand in die andere zu werfen fortfuhr.

»Ich werde nach dem Werke der heutigen Nacht eine gute Ernte von Gold und Silber erhalten,« fuhr der Barbar fort, indem er plötzlich die Stille unterbrach, »Du hast mir Geld gegeben um zu sprechen, wenn der Häuptling nach Hause kommt und hört, daß ich ihn entdeckt habe, so wird er mir Geld geben, damit ich schweige. Ich werde morgen, wenn ich auch ein Hunne bin, doch mit dem besten im Heere um die Wette trinken können.«

Er kehrte mit diesen Worten»auf seinen Sitz zurück und begann den Refrain eines beliebten Trinkliedes im eintönigen Takte mit einem seiner Geldstücke auf der Klinge seines Schwertes zu klopfen, während Goiswintha bleich und athemlos an der Thür des Gemaches stand und mit unverwandten, aber ausdruckslosen Augen auf ihn stierte. Endlich rang sich ein tiefer Seufzer aus ihrer Brust. ihre Hände ballten sich unwillkürlich, ihre Lippen bewegten sich mit einem bitteren Lächeln und darauf verließ sie, ohne weiter ein Wort an den Hunnen zu richten, leise das Zimmer.

Sobald sie sich entfernt hatte, trat eine plötzliche Veränderung im Benehmen des Barbaren ein. Er sprang auf, ein Ausdruck wilden Hasses und Jubels zeigte sich auf seinem häßlichen Gesicht und er schritt im Zimmer auf und ab, wie ein wildes Thier in seinem Käfig.

»Endlich werde ich ihn vom Gipfel seiner Gewalt herabreißen!« flüsterte er ingrimmig vor sich hin, »wegen dessen, was ich ihr jetzt erzählt habe, wird ihn seine Schwester hassen —— ich wußte es, während sie sprach! Für das Verlassen seines Postens kann ihn Alarich entehren, ihn verbannen, ihn hängen! Sein Schicksal liegt in meiner Hand, ich werde mich trefflich von ihm und seinen Befehlen frei machen! Ich hasse diesen Gothen ärger, als sein ganzes übriges Volk! Ich will dabei sein, wenn sie ihn an den Baum schleppen und ihm seine Schande vorwerfen, wie er mir meine Mißgestalt vorgeworfen hat.« Hier lachte er in selbstgefälliger Billigung seines Projekts, schritt schneller hin und her und erging sich schon im Voraus in der barbarischen Freude seines Triumphes.

Seine geheimen Betrachtungen hatten ihn so noch einige Zeit beschäftigt, als Schritte vor der Thür vernehmlich wurden. Er erkannte den Tritt augenblicklich und rief der sich vor der Thür befindenden Person leise zu, sich zu nähern. Auf seinen Ruf trat ein Mann ein, der weniger athletisch als er, aber an Ungestalt sein wahres Spiegelbild war. Jetzt begann folgendes Gespräch zwischen den beiden Hunnen:

»Bist Du ihm bis an die Thür gefolgt?« fragte der Neuangekommene.

»Bis an die Schwelle. Dann ist sein Sturz sicher. Ich habe Alarich gesehen.«

»Wir werden ihn unter unsere Füße treten! Den Knaben, der über uns, die wir älter sind als er, gesetzt worden ist, weil er ein Gothe ist und wir Hunnen sind! Aber was sagt Alarich? Wie hast Du bei ihm Gehör erlangt?«

»Die Gothen um sein Zelt verspotteten mich als Wilden und schworen, daß ich von einem Dämon und einer Hexe gezeugt sei, aber ich gedachte der Zeit, wo die Prahler aus ihren Niederlassungen flohen, wenn unsere Stämme ihre schwarzen Rosse bestiegen und sie wie wilde Thiere jagten. Damals waren ihre Lippen blaß von Furcht.«

»Rede von Alarich — unsere Zeit ist kurz!« unterbrach ihn Jener zornig.

»Ich antwortete keine Silbe auf ihren Spott,« fuhr sein Genosse fort, »sondern rief laut, daß ich ein gothischer Verbündeter sei, daß ich Nachrichten für Alarich überbringe und das Recht der Audienz so gut habe, wie Andere. Meine Stimme drang zu den Ohren des Königs, er blickte aus seinem Zelte und winkte mir, herein zu kommen. Ich sah seinen Haß gegen unser Volk in seinem Auge glühen, als wir uns einander anblickten, aber ich sprach unterwürfig und mit sanfter Stimme. Ich erzählte ihm, daß der Anführer, den er über uns gesetzt, insgeheim seinen Posten verlasse, ich erzählte ihm, daß wir seinen begünstigten Krieger seit vielen Nächten nach den Vorstädten gehen gesehen hätten, daß er sich auch diese Nacht, wie viele andere, aus dem Lager gestohlen habe und daß Du ihm nachgegangen seiest, um ihn bis zu seinem Versteck zu verfolgen.«

»War der Tyrann zornig?«

»Sein Gesicht röthete sich und seine Augen blitzten und seine Finger zitterten an der Scheide seines Schwertes, während ich sprach? Als ich zu Ende war, sagte er, daß ich lüge und verfluchte mich als einen ungläubigen Hund, der einen christlichen Häuptling verleumdet habe. Er drohte mir mit dem Hängen. Ich rief, daß er Boten nach unserem Quartiere senden möge, um die Wahrheit zu erforschen, ehe er mich tödte. Er befahl einem Krieger, hierher mit mir zurückzukehren. Als wir herkamen, war der allerchristlichste Anführer nirgends zu sehen —— kein Mensch wußte, wohin er gegangen sei. Wir gingen wieder nach dem Zelte des Königs zurück, sein Soldat, den er ehrte, sprach zu ihm dieselben Worte, wie der Hunne, den er verachtete, da erhob sich Alarich grimmig. —— Noch diese Nacht, rief er, gebot ich ihm mit meinen eignen Lippen, meine Befehle mit Wachsmkeit an seinem angewiesenen Posten zu erwarten. Ich würde solchen Ungehorsam an meinem eignen Sohne bestrafen. Geh, nimm Andere von Deiner Schaar mit, —— Dein Kamerad, der ihm gefolgt ist, wird Euch zu seinem Versteck führen —— bringe ihn gefangen in mein Zelt! —— Dies waren seine Worte. Unsere Kameraden warten draußen auf uns —— laß uns ohne Säumen ausbrechen, damit er uns nicht entgehe.«

»Und wenn er uns Widerstand leisten sollte!« rief der Andere, indem er eilig auf die Thüre zuschritt, »was sagte der König, wenn er uns Widerstand leisten sollte?«

»Erschlagt ihn mit Euren eignen Händen!«


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