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Antonina oder der Untergang Roms



Band 2

Zweites Buch.

Was kommt? der Tod, der schreckenvolle Tod.
Voltaire.

Kapitel I.
Die Hungersnoth.

Das Ende des November naht sich. Seit den im vorigen Kapitel erwähnten Ereignissen ist fast ein Monat vergangen, aber die gothischen Linien ziehen sich immer noch um die Stadtmauern Rom, welches wir stolz und üppig verlassen haben, selbst während es an seinen Thoren mit Verderben bedroht war, hat nun eine furchtbare, warnende Veränderung erlitten. Jetzt, wo wir uns ihm wieder nahen, sind Pein, Schrecken und Verödung bereits ausgezogen, um seine hohen Paläste zu beschatten und seine Prächtigen Straßen zu verdunkeln.

Ueber dem Prunke, der es mit Füßen von sich stieß, über der Freude, die ihm Trotz bot, über der Fülle, die es auf seinen geheimen Rundgängen verscheuchte, hat sich endlich das Gespenst des Hungers triumphierend erhoben. Tag für Tag sind die Nahrungsmittel der Stadt spärlicher zugemessen worden, höher und höher ist der Werth der gröbsten und einfachsten Nahrung gestiegen. Die aufgespeicherten Vorräthe, welche Mitleid und Nächstenliebe bereits dem erliegenden Volke ausgetheilt, haben ihre äußersten Grenzen erreicht. Für den Reichen ist noch Korn in der Stadt vorhanden —— Schätze der Speise, die für Schätze an Gold ausgetauscht werden, für den Armen gibt es die natürliche Nahrung des Menschen nicht mehr; die Zeit der abstoßenden Mahle der Hungersnoth, die ersten Tage der Aufopferung der Vorliebe für die Noth haben finster und unwiederbringlich begonnen.

Es ist Morgen. Eine traurige, geräuschlose Menge schreitet über die kalten Steine des»großen Platzes vor der Basilika des heiligen Johannes-Lateran dahin. Die Schwachen weinen, die Starken sind düster, Alle bewegen sich mit langsamem, mattem Gange und halten in ihren Armen ihre Hunde oder andern Hausthiere. An den Säumen der Menge marschieren die hungerschwachen Hüter der Stadt und halten in ihren rauhen Händen seltene Lieblingsvögel von prächtigem Gefieder und melodischem Gesang und ihnen folgen Kinder und junge Mädchen, welche vergebens flehen und bitten, ihnen ihre Lieblinge wieder zu geben.

Dieser seltsame Zug hält endlich vor einem ungeheuren Kessel, der über einem großen Feuer in der Mitte des Platzes hängt und um welchen die Fleischer der Stadt mit blitzenden Messern und die zuverlässigsten Leute der römischen Legionen mit drohenden Waffen stehen.

Hierauf wird eine Proklamation verlesen, welche denjenigen im Volke, die kein Geld besitzen, um Nahrung zu kaufen, gebietet, ihre Hausthiere herbeizubringen, damit diese auf dem öffentlichen Heerde zusammengekocht werden und zum öffentlichen Unterhalte beitragen können.

In der nächsten Minute gehen, diesem Edikte gemäß, die stummen Lieblinge der Menge aus der liebkosenden Hand des Eigenthümers in die Faust des Fleischers über. Die schwachen Schreie der Thiere, welche halb verhungert waren, wie ihre Herren vermischten sich auf einige Augenblicke mit dem Schluchzen und Wehklagen der Frauen und Kinder, denen der größte Theil derselben gehörte. Auf dieser ersten Stufe seiner Noth war das Nagen des Hungers, welches das Mitleid zum Verlöschen bringt und den Schmerz unterdrückt, dem Volke noch unbekannt, und obgleich es schon den Muth zu verlieren begann, war es doch noch nicht bis zu der Tiefe wilder Verzweiflung gesunken, welche sich allerdings schon unsichtbar unter ihm zu öffnen begann. In den kurzen Augenblicken der Trennung zwischen Beschützer und Schützling wurden tausend Schmerzen gefühlt, tausend Trauerspiele aufgeführt. Das Kind küßte den Vogel, welcher über seinem Lager gesungen hatte, zum letzten Male, der Hund warf seinen letzten um Schutz stehenden Blick auf die Herrin, welche ihn sonst nie ohne Liebkosung empfangen hatte. Dann kam der kurze Zwischenraum des Schmerzes und Todes, dann stieg der Dampf aus dem gierigen Kessel auf und das Volk zerstreute sich auf eine Zeitlang, die Bekümmertem um in der Nähe des Feuers zu verweilen, und die Hungrigen, um ihre Ungeduld durch einen Besuch in der nahen Kirche zu stillen.

Die Marmorhallen der herrlichen Basilika enthielten eine trübe Gemeinde. Auf dem Hochaltare brannten nur drei kleine Kerzen. Keine süßen Stimmen sangen melodische Lobgesänge oder jubelnde Loblieder, die Mönche intonierten mit heiseren Tönen und einförmiger Harmonie die Bußpsalmen. Hier und da kniete eine in Trauergewänder gehüllte und in stummes Gebet versunkene Gestalt, aber unter der Mehrzahl der Versammelten herrschte entweder öde Entmuthigung oder dumpfe Unaufmerksamkeit.

Als die letzten Klänge des letzten Psalms in den hohen Wölbungen der Kirche verklungen waren, erschien an der Thür eine Prozession von frommen Christen und schritt langsam auf den Altar zu. Sie bestand aus barfüßigen in schwarze Gewänder gekleideten Männern und Frauen, die über ihr zerrauftes Haar Asche gestreut hatten. Aus ihren Augen strömten Thränen und sie schlugen sich auf die Brust, während sie ihre Stirnen auf das Marmorpflaster der Altarstufen niederbeugten.

Dieser demüthige öffentliche Ausdruck der Bußfertigkeit in dem Unglück, welches jetzt über die Stadt hereingebrochen war, beschränkte sich jedoch nur auf ihre wenigen, wahrhaft religiösen Bewohner und fand weder Theilnahme noch Aufmerksamkeit bei der herzlosem halsstarrigen Bevölkerung von Rom. Einige gaben sich immer noch der trügerischen Hoffnung auf Beistand von dem Hofe zu Ravenna hin, Andere glaubten, daß die Gothen bald ungeduldig ihre lange Blockade aufgeben würden, um ihre Verheerungen in die reichen, unbeschützten Gefilde von Süd-Italien zu tragen. Aber dasselbe blinde Vertrauen auf den verschwundenen Schrecken des Römernamens, dieselbe wilde, rücksichtslose Entschlossenheit, den Gothen bis auf den letzten Augenblick Trotz zu bieten, hielt den sinkenden Muth der großen Masse des leidenden Volkes aufrecht und unterdrückte die Muthlosigkeit desselben von dem Bettler an, der nach Abfällen umhersuchte, bis zu dem Patrizier, welcher über seine unwillkommene Nahrung von einfachem Brod seufzte.

Während die Büßer, welche die oben beschriebene Prozession bildeten, noch mit der Ausübung ihrer unbeachteten und ungetheilten Pflichten der Buße und des Gebets beschäftigt waren, bestieg ein Priester die Hauptkanzel der Basilika, um die undankbare Ausgabe zu versuchen, der hungrigen Menge zu seinen Füßen Geduld und Frömmigkeit zu predigen.

Er begann seine Predigt damit, daß er die Hauptereignisse, welche seit dem Beginn der Blockade durch die Gothen in Rom stattgefunden hatten, in das Gedächtniß der Menge zurückrief. Er berührte vorsichtig das erste Ereigniß, welches die Annalen der Stadt befleckt hatte. Die Hinrichtung der Wittwe des römischen Generals Stilicho auf den unbegründeten Verdacht hin, daß sie in verräterischem Verkehr mit Alarich und dem feindlichen Heere stehe. Er verbreitete sich ausführlich über die Besprechungen von Beistand, welche nach jener unglückverkündenden That von Ravenna her übersendet worden waren. Er sprach mit Bewunderung von der Geschicklichkeit, welche die Regierung dadurch bewiesen hatte, daß sie augenblicklich die nöthige Verminderung in dem täglichen Verbrauch von Speisen eintreten ließ. Er beklagte den furchtbaren Mangel, welcher diesen von der Zeit gebotenen Einschränkungen nur zu unvermeidlich gefolgt war. Er hielt eine beredte Lobrede auf die edle Mildthätigkeit Läta’s, der Wittwe des Kaisers Gratian, die mit ihrer Mutter die durch ihre kaiserlichen Einkünfte erlangten Mundvorräthe dazu anwendete, in diesem wichtigen Augenblicke die hungernden und entmuthigten Armen zu unterstützen. Er gestand die neue Noth zu, welche auf die Zersplitterung von Läta’s Vorräthen gefolgt war, klagte über die gegenwärtige Nothwendigkeit, die Hausthiere der Bürger aufzuopfern, verdammte die ungeheuren Preise, welche jetzt für die letzten Ueberbleibsel an gesunder Nahrung, welche noch in der Stadt vorhanden waren, gefordert wurden, verkündete es als die feste Ueberzeugung eines Jeden. daß in wenigen Tagen von Ravenna Hilfe kommen werde, und endete damit, daß er seiner Zuhörerschaft mittheilte, sie könne, da sie schon so viel gelitten habe, geduldig noch ein wenig länger leiden und würde, wenn sie nach dem so unglücklich wäre, ihrer Noth zu erliegen, einen edlen Trost darin finden, daß sie für das katholische und apostolische Rom sterbe und sicherlich von der nächsten Generation der Frommen in dem ersten Zwischenraume des Friedens als Heilige und Märtyrer kanonisiert werden würde.

So geläufig auch die Beredtsamkeit dieser Predigt war, besaß sie doch nicht die Macht, auch nur einen von Denjenigen, an welche sie gerichtet war, zum Vergessen des Gefühls seiner gegenwärtigen Leiden zu bewegen und seine Aufmerksamkeit aus die künftigen, vortheilhaften Aussichten, welche der wortreiche Priester allen seinen Zuhörern bot, zu heften. Mit demselben Murren zänkischer Klage und denselben Ausdrücken ohnmächtigen Hasses und Trotzes gegen die Gothen, welche ihr entfallen waren, als sie in die Kirche trat, entfernte sieh jetzt die. Menge aus derselben, um von den Händen der städtischen Beamten das kärgliche Maß widerlicher Nahrungsmittel zu empfangen, welches in dem Kessel aus dem öffentlichen Platze zur Stillung ihres Hungers bereitet worden war.

Und siehe, schon drängen sich von anderen Orten des benachbarten Stadttheils von Rom ihre Mitbürger auf das gegebene Signal herbei, um sich Denjenigen, welche um den Kessel herstehen, anzuschließen. Die matte Schildwache wendet, von ihrem Posten abgelöst, ihren Blick von der traurigen Aussicht aus das gothische Lager ab und eilt, ihren Antheil an dem öffentlichen Mahle entgegenzunehmen Der Bäcker springt vom Schlafe auf seinem leeren Ladentische auf der Bettler erhebt sieh von seinem Lager in dem unbenutzten Schlachthause des Fleischers, der Sklave verläßt seinen Posten an dem glimmenden Küchenfeuer —— Alle eilen herbei, um die Zahl der zu dem elenden Mahle geladenen Gäste zu verstärken. Schnell und allgemein strömt die Gemeinde der Basilika durch ihre hohen Pforten, die Priester und Büßer entfernen sich von dem Fuße des Altars und in der großen Kirche, welche vor wenigen Augenblicken noch so menschenvoll gewesen war, ist jetzt nur noch die Gestalt eines einzigen Mannes vorhanden.

Seit dem Beginn des Gottesdienstes ist dieses einsame Wesen weder angeredet, noch beobachtet im Kreise der Gemeinden umhergeschwankt und hat lange und sehnsuchtsvolle Blicke auf die sich seinen Augen bietenden Gesichter geworfen. Seht, wo die Predigt zu Ende ist und der letzte Zuhörer die Kirche verlassen hat, wendet er sich von der Stelle ab, wo er ängstlich die verschiedenen Mitglieder der sich entfernenden Menge beobachtet hat und knieet schwach am Fuße einer nahen Säule nieder. Seine Augen sind hohl und seine Wangen bleich, seine dünnen, grauen Haare hängen unordentlich um seinen greisen Kopf. Er macht keinen Versuch, der Menge zu folgen und an ihrer Nahrung Theil zu nehmen, es ist Niemand zurückgeblieben, um ihn dazu zu treiben, es kehrt Keiner zurück, um ihn zu der öffentlichen Mahlzeit zu führen. Wiewohl schwach und alt, ist er in seiner Einsamkeit doch völlig verlassen, in seinem Schmerze völlig ungetröstet, seine Freunde haben jede Spur von ihm verloren, seine Feinde haben jetzt aufgehört, ihn zu fürchten oder zu hassen. Wie er so allein an der Säule knieet, bedeckt er seine Stirn mit den abgezehrten, zitternden Händen, seine trüben Augen füllen sich mit bitteren Thränen und in den Zwischenräumen seiner tiefen Seufzer hört man Ausdrücke wie diese:

»Ein Tag nach dem anderen —— ein Tag nach dem andern! und die Verlorene findet sich nicht, meine Geliebte und Gekränkte ist mir nicht wiedergegeben! Antonina! Antonina!«

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»Einige Tage nach der öffentlichen Vertheilung von Lebensmitteln auf dem St. Johannes Lateranplatze konnte man Vetranio’s Lieblings-Freigelassenen traurig und langsam auf dem Heimwege nach den Palaste seines Herrn sehen.

Nicht ohne Grund war der Schritt des klugen Carrio langsam, wie bei einem Leichenbegräbnisse und der Ausdruck seines Gesichts untröstlich. Selbst während der kurzen Periode, welche seit der bereits beschriebenen Scene in der Basilika verflossen war, hatte sich die Lage der Stadt furchtbar verschlimmert. Die Hungersnoth rückte mit Riesenschritten vorwärts, jede Stunde begabte sie mit neuer Kraft, jeder Versuch, sie zurückzuweisen, diente nur dazu, ihren sich verbreitenden Alles überwältigenden Einfluß zu vermehren. Eins nach dem andern nahmen die Vergnügungen und die Beschäftigungen der Stadt unter dem traurigen Drucke des allgemeinen Uebels ab, bis der Geist des Publikums in Rom unter allen Klassen gleichmäßig von einem düsteren Gedanken beherrscht wurde —— dem verzweifelnden den Trotz gegen die Hungersnoth wie gegen die Gothen.

Der Freigelassene trat, von den einst unterwürfigen Sklaven im Pförtnergemache weder begrüßt, noch bewillkommnet, in den Palast seines Herrn. Weder Harfen noch Sängerknaben, weder das schallende Gelächter der Frauen, noch die bacchische Lustigkeit von Männern erweckte jetzt das Echo in den einsamen Hallen. Der Puls der Freude schien in dem düsteren, verwandelten Hause Vetranio’s seinen letzten Schlag gethan zu haben. Carrio beschleunigte beim Eintreten in das Haus seine Schritte und begab sich in das-Gemach, wo ihn der Senator erwartete.

Auf zwei durch einen kleinen Tisch getrennten Ruhebetten lehnten der Herr des Palastes und seine Schülerin und Gefährtin .von Ravenna, die einst muntere Camilla. Vetranio’s offene Stirn hatte einen bewölkten, strengen Ausdruck angenommen, und er betrachtete weder seine Besucherin, noch redete er sie an, während diese ihrerseits eben so schweigsam und traurig, wie er selbst, war. Jede Spur von den früheren Kennzeichen des heitern, eleganten Wollüstlings und des munteren geschwätzigen Mädchens schien gänzlich verschwunden zu sein. Auf dem Tische zwischen ihnen stand eine große Flasche mit, Falerner Wein und ein Gefäß mit einer kleinen Quantität wässeriger Suppe, in deren Mitte ein winziger Teigkuchen schwamm, der kärglich mit gemeinen Kräutern gewürzt war. Was den gewöhnlichen Zubehör von Vetranio’s üppigem Privatleben betraf, so war, er nirgends zu sehen. Gedichte, Gemälde, Juwelen, Lauten, kurz Alles war verschwunden, selbst die unschätzbare Katze von der Zucht, welche die alten Egypter am höchsten verehrten, war nicht mehr zu erblicken. Sie war von einem entlaufenen Sklaven gestohlen, gekocht und verzehrt und ihr Rubinenhalsband gegen einen magern Papagei und die ungebratene Hälfte eines geschlachteten Hundes vertauscht worden.

»Ich beklage es gestehn müssen, werthgeschätzter Patron, aber meine Sendung ist mißlungen,« bemerkte Carrio, indem er mehrere Säcke mit Geld und Kisten mit. Juwelen unter seinem Mantel hervorzog und die selben vorsichtig auf den Tisch niedersetzte. Der Präfekt hat selbst der Durchsuchung der öffentlichen und Privatmagazine beigewohnt und ist zu der Ueberzeugung gelangt, daß in der Stadt keine Handvoll Getreide mehr existirt.Ich habe öffentlich, auf dem Marktplatze fünftausend Sesterzien für einen lebenden Hahn und eine Henne geboten, aber die Antwort erhalten, daß das Geschlecht längst ausgerottet sei und da für Geld keine Nahrung mehr erlangt werden könne, selbst für den ärmsten Bettler von Rom das Geld nichts Wünschenswerthes mehr an sich habe. Sogar von dem Heu, welches ich gestern kaufte, ist jetzt auch für die freigebigste Bezahlung nichts mehr zu erlangen. Diejenigen, welche noch einen geringen Vorrath an Lebensmitteln besitzen, bewahren und verbergen denselben mit der eifersüchtigsten Sorgfalt. Ich habe weiter nichts thun können, als mir für den Bedarf der wenigen noch im Hause gebliebenen Sklaven diesen kleinen Vorrath von Hundefellen zu verschaffen, welche vor einigen Tagen bei der öffentlichen Vertheilung auf dem St. Johannes Lateranplatze zurückbehalten worden waren.«

Und der Freigelassene zeigte bei diesen Worten mit einem Gemisch von Triumph und Ekel seinen Vorrath von schmutzigen Häuten.

»Was für Mundvorräthe befinden sich noch in unserm Besitz!« fragte Vetranio, nachdem er einen tiefen Zug von dem Falerner gethan hatte, indem er seinem Diener einen Wink gab, ihm seine kostbare Last aus den Augen zu schaffen.

»Ich habe, da ich nicht weiß, wie bald der Hunger die Sklaven zum ungehorsam bringen kann, an einem sichern Orte sieben Säcke Heu, drei Körbe mit eingesalzenen Pferdefleisch, eine Confirurenschachtel mit Hafer und eine zweite mit getrockneter Petersilie versteckt. Die seltenen indianischen Singvögel befinden sich noch unverletzt im Vogelhause und überdies haben wir noch einen großen Vorrath von Gewürzen und einige Flaschen von der Nachtilgallensauce.«

»Wie sieht es jetzt in der Stadt aus?« unterbrach ihn Vetranio ungeduldig.

»Rom ist düster wie ein unterirdisches Grabmal,« antwortete Carrio schaudernd. »Das Volk versammelt sich in stummen, hungrigen Gruppen an den Thüren feiner Häuser und den Ecken der Straßen. Die Schildwachen der Mauern schwanken auf ihren Posten. Weiber und Kinder schlafen erschöpft auf dem Steinpflaster der Kirchen, die Theater sind eben so leer von Zuschauern, wie von Schauspielern, die Bäder hallen vom Geschrei nach Nahrung und Flüchen auf die Gothen wieder; schon werden in den offenen unbewachten Läden Diebstähle begangen und die Barbaren bleiben unbeweglich in ihrem Lager, ohne daß sich ihnen die versprochenen Legionen von Ravenna nähern, und greifen uns weder in unserer Schwäche an, noch bereiten sie sich darauf vor, die Blockade aufzuheben. Unsere Lage wird immer gefahrvoller —— ich habe große Hoffnung auf unsere Mundvorräthe, aber ——«

»Wirf Deine Hoffnungen dem Hofe von Ravenna und Dein Viehfutter dem heulenden Pöbel vor!« rief Vetranio mit plötzlicher Energie. »Es ist jetzt zu spät, um nachzugehen. Wenn uns nicht die paar nächsten Tage Hilfe bringen, so wird die Stadt ein menschliches Schlachthaus werden, und denkst Du, daß ich, der ich bereits bei dieser öffentlichen Aufhebung der geselligen Freuden meine Vergnügungen, meine Beschäftigungen und meine Gefährten verloren habe, ruhig auf dem langsamen, gemeinen Tod warten werde, der dann uns Alle bedrohen muß? Nein, es darf nicht gesagt werden, daß ich mit der Heerde verhungert sei, wie ein Sklave, den sein Herr verlassen hat! Wenn auch die Schüsseln meiner Festhalle jetzt leer sein müssen, so sollen doch meine Vasen und Weinbecher noch für meine Gäste funkeln. Im Keller befindet sich noch Wein und in der Vorrathskammer Gewürze und Wohlgerüche! Ich will meine Freunde zu einem letzten Gastmahle, einer Saturnalie in einer ausgehungerten Stadt, einem Banket des Todes einladen, welches durch die erheiternden Bemühungen Silens und seiner Faunen geliefert werden soll! Obgleich die Parzen mir das Schicksal eines Hundes gesponnen haben, so ist es doch die, Hand des Bacchus, welche den Faden durchschneiden soll!«

Seine Wangen waren erhitzt, seine Augen funkelten, die ganze wahnsinnige Energie seines Entschlusses wurde bei diesen Worten auf seinem Gesichte erkennbar, er war nicht mehr der leichte, liebenswürdige, glattzüngige Stutzer, sondern ein mürrischer, rücksichtsloser, verzweifelter Mensch, der sich um keine Pflicht und Beschäftigung mehr kümmerte, welche bisher auf die ruhige Oberfläche seines Patrizierlebens Einfluß geübt hatte. Camilla, welche bis jetzt ein trauriges Schweigen bewahrt, eilte mit entsetzen Blicken und strömenden Thränen auf ihn zu. Carrio starrte in verblüfftem Erstaunen auf das verstörte Gesicht seines Herrn, vergaß sein Bündel von Hundefellen und ließ dasselbe unbeachtet auf den Boden fallen. Es trat eine kurze Pause ein, welche plötzlich durch das ungemeldete Eintreten einer vierten blassen, zitternden, athemlosen Person unterbrochen wurde, die kein Anderer war als Vetranio’s früherer Besucher, der Präfekt Pompejanus.

»Ich heiße Dich zu meinem bevorstehenden Gastmahle überströmender Weinbecher und leerer Schüsseln willkommen!« rief Vetranio, indem er den funkelnden Falerner in sein leeres Glas schüttete. »das letzte Gastmahl, welches vor der Vernichtung der Stadt in Rom gegeben wird, soll das meine sein. Die Gothen und die Hungersnoth sollen an meinen letzten Augenblicken keinen Theil haben! —— Die Freude soll bei meinem Tode den Vorsitz führen, wie sie es mein ganzes Leben lang gethan hat! Ich werde sterben, wie Sardanapal, von meinen Geliebten und Schätzen umgeben und der letzte meiner Gäste, welcher bei unserem Feste nüchtern bleibt, soll meinen Palast anzünden, wie der königliche Assyrier den seinen

»Wir leben in keiner Zeit zum Scherze!« rief der Präfekt, indem er sich mit verwirrten Blicken und farblosem Gesicht umsah. »Unser Elend beginnt erst jetzt! In der nächsten Straße liegt die Leiche eines Weibes und —— eine entsetzliche Vorbedeutung! um ihren Hals haben sich Schlangen gewickelt! Wir haben keinen Begräbnißplatz, um sie und die Tausende zu beerdigen, welche gleich ihr sterben können, ehe uns Hilfe zu Theil wird! Die städtischen Grabmäler vor den Mauern befinden sich in den Händen der Gothen. Das Volk steht, von Entsetzen überwältigt, um die Leiche her, denn es hat jetzt eine furchtbare Wahrheit entdeckt, die wir ihm gern verborgen haben würden ——«

Hier hielt der Präfekt inne, blickte seine Zuhörer schreckensvoll an und fügte mit leiser, bebender Stimme hinzu:

»Die Bürger liegen verhungert auf den Straßen von Rom!«



Kapiteltrenner

Kapitel II.
Die Stadt und die Götter.

Wir kehren wieder zu dem gothischen Lager in der Vorstadt, östlich vom Pincischen Thore, und zu Hermanrich und den Kriegern unter seinem Befehl zurück, welche sich noch in jenem Theile des großen Kreises der Blockcade befinden.

Die Bewegungen des jungen Häuptlinge von einem Posten zum andern ließen in ihrer Verschiedenartigkeit und Schnelligkeit die Unruhe, welche seinen Geist bewegte, erkennen. Er blickte häufig, von den ihn umgebenden Kriegern nach dem abgelegenen Theile der Vorstadt und wendete von Zeit zu Zeit seine Blicke dem westlichen Horizonte zu, als ob er mit Aengstlichkeit das Nahen einer bestimmten Stunde der bevorstehenden Nacht erwarte. Endlich müde geworden, Beschäftigungen fortzusetzen, welche seine Ungeduld offenbar mehr reizten als beschäftigten, wendete er sich plötzlich von seinen Leuten ab, schritt auf die Stadt zu und ging langsam auf dem freien Raume zwischen der Vorstadt und den Mauern von Rom hin und her.

Von Zeit zu Zeit fuhr er fort, das ihn umgebende Schauspiel zu betrachten. Man kann sich kaum auf der Erde oder am Himmel etwas Traurigeres denken, als die Aussicht, welche ihm jetzt zu Theil wurde. Der trübe, sonnenlose Tag näherte sich seinem Ende und der Himmel versprach eine stürmische Nacht. Dichte, schwarze Schichten von formlosen Wolken hingen über dem ganzen Firmament, mit Ausnahme des Westens, wo ein Streifen blassen, gelben Lichtes lag, der auf allen Seiten von den festen, unabgestuften, unregelmäßigen Rändern der düsteren Dunstmassen rund umher eingeschlossen war.

In der ganzen Atmosphäre herrschte tiefe Stille, selbst der Wind säuselte nicht mehr in den Bäumen. Die Bewegung und Thätigkeit in der Existenz der Natur und dem Leben des Menschen schien völlig gefesselt, unterdrückt, erstickt zu sein. Die Luft war mit einer drückenden Hitze geschwängert und alle belebten und leblosen Dinge auf Erden fühlten die Last, welche die höheren Elemente auf sie warfen. Das Volk, welches nach Athem keuchend in der von Hungersnot gepeinigten Stadt lag, war diesem schwächenden Drucke eben so sehr unterworfen, wie die Grashalme, welche verschmachtend auf dem dürren Rasen vor den Mauern welkten.

Als die Stunden allmälig vergingen und die Nacht langsam heranschlich, überzog eine monotone Dunkelheit, die Hermanrich von der einsamen Stelle, an welcher er sich befand, sichtbaren Gegenstände einen nach dem andern. Bald verschwamm die Stadt zu einem ungeheuren, undurchdringlichen Schatten, während die Vorstädte und das niedere Land um sie her in der dichten Finsterniß verschwand, welche sich wahrnehmbar über der Erde sammelte; und jetzt war der einzige deutlich sichtbare Gegenstand die Gestalt einer müden Schildwache, welche auf der drohenden Zinne unmittelbar über der gespaltenen Mauer postiert war und auf ihre Waffe gestützt einen harten Abstich gegen den drinnen, einsamen Lichtstreifen bildete, welcher noch in der kalten Wolkenwüste des Westhimmels schimmerte.

Als die Nacht noch weiter vorrückte, verbleichte und verschwand aber auch dieser eine Lichtstreifen und mit ihm die Schildwache samt der Mauer, auf welcher sie postiert war. Die Herrschaft der Finsterniß wurde jetzt allgemein. Dicht und schnell überzog sie die ganze Stadt mit erschreckender Plötzlichkeit, als habe das furchtbare Schicksal, welches sich jetzt in Rom erfüllte, die äußeren Eigenthümlichkeiten der Nacht zur Harmonie mit seiner eigenen Wehe verkündenden Natur gezwungen.

Als der junge Gothe noch auf seinem beobachten Posten verharrte, wurde das lange, leise, bebende Rollen fernen Donners großartig hörbar. Es schien aus fast unberechenbarer Ferne zu kommen; vom-seiner Wiege im eisigen Norden zu erklingen; an den einsamen Polen um seine mit Eis umgürteten Gemächer zu ziehen. Es machte die traurige, geheimnißvolle Stille der Atmosphäre eher noch tiefer, als daß es sie unterbrochen hätte. Auch die Blitze besaßen eine sommerliche Weichheit in ihrem geräuschlosen, häufigen Aufleuchten. Es war nicht das zackige Blitzen des Winters, sondern eine flackernde, warme Helle, die, in ihrer leichten, schnellen Wiederkehr fast bezaubernd und mit der Gluth des Himmels, nicht aber mit dem grellen Schein der Hölle gefärbt war.

Es herrschte weder Wind noch Regen und die Luft war so still, als schlafe sie in der Kindheit einer neuen Schöpfung über dem Chaos.

Unter den Gegenständen, die auf Augenblicke den Augen Hermanrich’s durch die Blitze sichtbar wurden, ließ sich keiner leichter und deutlicher erkennen, als die breite, ununterbrochene Oberfläche der gespaltenen Mauer. Die großen lockern Steine, welche hier und da an ihrem Fuße verstreut waren und die überhangende Decke ihrer breiten Zinne erschienen deutlich, wenn auch nur vor übergehend, in den kurzen Augenblicken ihrer Erleuchtung. Die Blitze hatten eine Zeitlang um die Festungswerke und den sich unmittelbar jenseits derselben erstreckenden nackten Boden gespielt, als die platte Fläche, welche man so auf Augenblicke sah, plötzlich durch eine Flucht von Vögeln unterbrochen wurde, welche an einer der unteren Abtheilungen der Mauer erschien und unruhig an einem Punkte vor derselben hin- und her flatterten.

Wie einen Augenblick nach dem andern die Blitze schimmerten, wurden auch die schwarzen Formen der Vögel dem geübten Auge des Gothen sichtbar, sie wirbelten wie Feuerfunken oder Schneeflocken verwirrt und anhaltend um die Stelle, von welcher sie offenbar durch eine unbekannte Unterbrechung verscheucht worden waren. Nach einiger Zeit verschwanden sie endlich ebenso plötzlich wie sie sich gezeigt hatten, mit schrillen Tönen der Furcht, die selbst über das anhaltende Rollen des Donners hervor klangen und unmittelbar darauf in einem dunkeln Zwischenraume erblickte Hermanrich an dem Theile der Mauer, wo die Vögel zuerst gestört worden waren, einen kleinen rothen Schimmer, gleich seinem in der Oberfläche des Gehäu’s angebrachten Feuerfunken. Dann verschwand auch dieser, eine längere Dunkelheit als gewöhnlich herrschte in der Atmosphäre und als der Gothe begierig durch die zunächst folgenden Blitze hinblickte, zeigten sie ihm momentan die undeutliche Gestalt eines Menschen, welcher aus den Steinen am Fuße der Mauer aufrecht dastand.

Hermanrich schrak erstaunt zusammen. Von Neuem hatte das Blitzen aufgehört. In der fruchtlosen Hoffnung, die ihn umgebende Dunkelheit zu durchdringen, strengte er seine Augen auf’s Aeußerste an, um mehr von jener Erscheinung zu erblicken. Die Dunkelheit schien endlos gu sein. Wieder leuchteten die Blitze glänzend auf, er schaute gierig nach der Mauer hin —— die Gestalt befand sich immer noch daselbst.

Sein Herz pochte schnell, als er unentschlossen auf dem Punkte verharrte, welchen er eingenommen hatte, seit das erste Rollen des Donners sein Ohr traf. Waren das Licht und der Mensch —— das eine nur auf einen Augenblick gesehen, der andere immer noch wahrnehmbar —— bloße Gespenster seines irrenden Auges, welches durch die schnelle Wiederholung der atmosphärischen Phänomene geblendet worden war, oder erblickte er unbezweifelt eine menschliche Gestalt und hatte er wirklich ein Licht beobachtet?

In der belagerten Stadt brütete vielleicht eine seltsame Verrätherei, ein gefährliches Geheimniß, was zu beobachten und zu enthüllen seine Pflicht gebot. Er zog sein Schwert und schritt, auf die Gefahr hin, von der Schildwache auf der Mauer durch die Blitze wahrgenommen und durch die tausend Donner gehört zu werden, entschlossen bis an den Fuß der Festungswerke des feindlichen Rom’s vor.

Er hörte kleinen Laut, bemerkte kein Licht, gewahrte keine Gestalt, als er nach mehreren erfolglosen Versuchen die Stelle, wo sie lagen, zu erreichen, endlich an den losen Steinen stehen blieb, welche, wie er wußte, am Fuße der Mauer zusammengehäuft waren.

Im nächsten Augenblicke befand er sich so dicht an derselben, daß er mit der Schwertspitze über Theile ihrer rauhen Oberfläche hinziehen konnte. Er hatte kaum auf diese Art einen mehr als zehn Schritte breiten Raum untersucht, als seine Waffe auf eine scharfe, gezähnte Kante stieß und ihm augenblicklich ein plötzliches Vorgefühl verkündete, daß er die Stelle gefunden, wo er das momentane Licht erblickt, und auf demselben Steine stand, wo sich früher die Gestalt des Mannes befunden hatte.

Nach kurzem Zaudern wollte er eben auf den losen Steinen höher steigen und die so eben in der Mauer entdeckte Unregelmäßigkeit näher untersuchen, als ein ungewöhnlich lange anhaltender, heller Blitz ihn kaum einen Schritt vor sich die bereits von der Ebene aus erblickte Gestalt zeigte.

Es lag etwas unaussprechlich Furchtbares in der unsichtbaren Nähe, in welcher er sich die nächsten dunkeln Augenblicke hindurch bei dieser schweigenden, räthselhaften Gestalt befand, die so unwillkommen durch den Blitz erleuchtet worden war.

Jeder Puls in dem Körper des Gothen schien zu stocken, als er mit bereit gehaltener Waffe dastand, in die undurchdringliche Dunkelheit hinaussah und auf den folgenden Blitz wartete. Er kam und zeigte, ihm die Augen des Mannes, welche fest auf sein Gesicht herab stierten —— ein zweites Leuchten und er sah, wie Jener einen dürren Finger zum Zeichen des Schweigens an die Lippen legte —— ein dritter und er gewahrte den Arm der Gestalt, der nach der Ebene hinter ihm deutete und dann, in der jetzt erfolgenden Finsternis, schlug ein heißer Athem an sein Ohr und eine Stimme flüsterte ihm nährend einer Pause im Rollen des Donners zu:

»Folge mir!«

Im nächsten Augenblicke fühlte Hermanrich eine momentane Berührung von dem Körper des Mannes als dieser mit geräuschlosen Schritte über die Steine hinweg an ihm vorbeikam. Es war keine Zeit zur Ueberlegung oder zu Zweifeln vorhanden. Er folgte dem Fremden dicht auf dem Fuße und bemerkte seine dunkle Gestalt vor sich, wenn das Blitzen auf einen Augenblick Licht in die Scene brachte, bis sie an eine Baumgruppe gelangten, die nicht weit von der durch die Gothen unter seinem Befehle besetzt gehaltenen Häusern der Vorstadt war.

Hier blieb der Fremde vor dem Stamme eines Baumes stehen, welcher sich zwischen der Stadtmauer und ihm befand und zog unter seinem zerlumpten Mantel eine sorgfältig mit einem Tuche bedeckte Laterne hervor, welche er jetzt enthüllte und das Licht hoch über seinem Kopfe haltend, den Gothen mit ängstlichem Forschen betrachtete.

Hermanrich wollte ihn zuerst anreden, aber das Aeußere des Mannes war, obgleich man es im schwachen Lichte seiner Laterne nur undeutlich erblickte, doch so zurückstoßend und abschreckend daß die halbgebildeten Worte aus seinen Lippen erstarben. Das Gesicht des Fremden war von gespenstischer Blässe, seine hohlen Wangen waren von tiefen Runzeln durchfurcht und seine Augen glommen mit einem Ausdrucke von wildem Argwohn. Einer von seinen Armen war mit alten von geronnenem Blute steifen Bandagen bedeckt und hing gelähmt an seiner Seite herab. Die das Licht haltende Hand zitterte so, daß die Laterne, in welcher sich dasselbe befand, beständig hin und her schwankte. Seine Glieder waren mager und fast bis zur Verkrüppelung verschrumpft und man sah, daß es ihm Mühe machte, aufrecht zu stehen. Jedes Glied seines Körpers schien von einem allmäligen Tode verzehrt zu werden, während seinem glühenden, gebieterischen Auge alle Energie des Mannesalters und alle Kühnheit der Jugend ausgeprägt zu sein schien.

Es war Ulpius! Die Mauer war durchbrochen! —— der Durchgang erzwungen.

Nach anhaltender Betrachtung des Gesichts und der Kleidung Hermanrich’s redete ihn der Mann mit gebieterischem Ausdruck, der im seltsamen Kontraste gegen seine hohle, schwankende Stimme stand, an.

»Du bist ein Gothe?«

»Ja,« entgegnete der junge Häuptling »Und Du?«

»Ein Freund der Gothen!« lautete die schnelle Antwort.

Es erfolgte eine momentane Pause, nach welcher der Fremde das Gespräch wieder begann.

»Was hat Dich allein an den Fuß der Mauer geführt?« fragte er, indem ein Ausdruck unwillkürlicher Besorgniß aus seinen Augen schoß.

»Ich sah die Gestalt eines Mannes im Leuchten der Blitze,« antwortete Hermanrich; »ich näherte mich ihr, um mich zu überzeugen, daß meine Augen mich nicht betrogen, um zu entdecken ——«

»Es gibt in Deinem Volke nur einen Einzigen, der entdecken soll, woher ich gekommen bin und was ich wünsche!« unterbrach ihn der Fremde hastig; »und der Mann ist Alarich, Dein König.«

Ueberraschung, Entrüstung und Verachtung zeigten sich in den Zügen des Gothen, als er diese Erklärung von dem hilflosen Auswürflinge vor sich vernahm. Der Mann bemerkte es, winkte ihm zu schweigen und sprach weiter.

»Höre«- rief er, »ich habe dem Anführer Eurer Streitkräfte eine Entdeckung zu machen, die einem Jeden in Eurem Lager das Herz pochen lassen wird, wenn Ihr das Geheimniß erfahrt, nachdem es Euer König von meinen Lippen gehört hat! Weigerst Du Dich noch immer, mich nach seinem Zelte zu führen?«

Hermanrich lachte verächtlich.

»Sieh mich an,« fuhr der Mann fort, indem er sich vorwärts beugte und seine Augen mit wilder Eindringlichkeit auf das Gesicht seines Zuhörers heftete; »ich bin allein, alt, verwundet, schwach —— Deinem Volke ein Fremder, ein halb verhungerter, hilfloser Mann! Glaubst Du, daß ich mich ohne Grund in Euer Lager wagen —— mich der Gefahr aussetzen würde, von Deinen Kameraden als Römer umgebracht zu werden, dem Grimme Deines stolzen Herrschers Trotz bieten würde?«

Er hielt inne und fuhr dann mit immer noch auf den Gothen gehefteten Augen mit leiseren und bewegteren Tönen fort:

»Wenn Du mir Deine Hilfe verweigerst, so werde ich das Lager durchwandern bis ich Deinen König finde. Kerkerst Du mich auch ein, so wird Deine Gewaltthätigkeit meine Lippen doch nicht öffnen. Erschlägst Du mich, so wirst Du nichts durch meinen Tod gewinnen. Stehst Du mir aber bei, so wirst Du bis zum letzten Augenblicke Deines Lebens über die That triumphiren! Ich habe Worte von furchtbarer Wichtigkeit für Alarich’s Ohr —— ein Geheimniß für dessen Erlangung ich diesen Preis gezahlt habe.«

Er deutete auf seinen verwundeten Arm. Die Feierlichkeit seiner Stimme, die rauhe Energie seiner Worte, die finstere Entschlossenheit seines Gesichts, die sie umgebende Dunkelheit der Nacht, der rollende Donner, welcher sich ihrem Gespräche anzuschließen schien, die Räthselhaftigkeit ihrer Begegnung unter den Stadtmauer —— alle diese Dinge begannen ihre mächtigen, verschiedenartigen Einflüsse aus den Geist des Gothen zu üben und veränderten allmälig die Gefühle, welche ihm anfangs die Mittheilungen des Mannes eingeflößt hatten.

Er war unschlüssig und blickte zweifelhaft nach den Linien des Lagers.

Es entstand eine lange Stille, welche wieder von dem Fremden unterbrochen wurde.

»Bewache mich, kette mich an, verspotte mich, wenn Du willst!« rief er mit erhobener Stimme und blitzenden Augen, »aber führe mich zu Alarich’s Zelt! Ich schwöre Dir bei dem über unsern Häuptern rollenden Donner, daß die Worte, welche ich mit ihm sprechen will, in seinen Augen kostbarer sein werden, als das herrlichste Juwel, welches er aus den Schatzkammern von Rom rauben könnte.«

Wiewohl der Mann einen unverkennbaren Eindruck auf ihn gemacht hatte, zauderte Hermanrich doch immer noch.

»Zögerst Du noch?« rief der Mann mit verächtlicher Ungeduld. »Laß mich vorüber, ich will allein in das Herz Eures Lagers dringen! Ich habe meinen Plan allein begonnen, ich werde seine Erfüllung ohne Hilfe bewerkstelligen. Laß mich durch!«

Und er schritt an Hermanrich in der Richtung nach der Vorstadt vorüber, während auf seinen verwelkten Zügen derselbe Ausdruck stolzer Energie lag, welche sie im Beginne seines ungewöhnlichen Gesprächs mit dem jungen Häuptling so auffallend markiert hatte!

Die kühne Hingebung an, seinen Zweck, das rücksichtslose Streben nach einem gefahrvollen, ungewissen Erfolge, welches sich in den Worten und Handlungen eines so schwachen, hilflosen Mannes, wie der Fremde war, kundgab, erweckte in dem Gothen das Gefühl unwiderstehlicher Bewunderung, welches die Verbindung von moralischem mit physischem Muth unfehlbar erzeugt. Außer dem hierin liegendem Reize, dem Manne beizustehen, erfüllte sich Hermanrich’s Geist mit einer brennenden Neugier, sein Geheimniß zu entdecken, und machte ihn weiter geneigt, seinen entschlossenen Gefährten vor Alarich zu führen, da er nur durch dieses Verfahren nach der festen Erklärung des Mannes, daß er sich Keinem als dem Könige mittheilen würde, endlich den Gegenstand seines räthselhaften Vorsatzes zu erforschen hoffte. Von diesen Motiven beseelt, rief er also dem Fremden zu, daß er anhalten möge und theilte ihm in kurzen Worten seine Bereitwilligkeit mit, ihn sofort vor den gothischen König zu führen.

Der Mann gab ihm durch ein Zeichen zu erkennen, daß er sein Anerbieten annehme. Offenbar waren seine physischen. Kräfte nahe daran, ihn zu verlassen, dessen ungeachtet schwankte er mühsam mit ihm dem Hauptquartiere des Lagers zu, wobei er fast unablässig vor sich hin murmelte und gestikulierte. Unterwegs redete er seinen Führer nur ein einziges Mal an, indem er den jungen Gothen mit dem heftigsten Argwohn und Verdacht fragte, ob er vor dieser Nacht schon die Stadtmauer untersucht habe.

Hermanrich antwortete verneinend und von da an schritten sie im tiefsten Schweigen weiter.

Ihr Weg führte durch die westliche Lagerlinie und wurde nur unvollkommen hier und dadurch die Flamme einer Fackel oder die Gluth eines fernen Wachtfeuers erleuchtet. Das, Donnern war weniger häufig, dabei aber stärker geworden. Von Westen erhoben sich einige schwache Windstöße und schon fielen einzelne Regentropfen auf die durstige Erde nieder. Die nicht geradezu an den verschiedenen Beobachtungsposten zur Wache aufgestellten Krieger hatten sich in den Schutz ihrer Zelte zurückgezogen, von den tausend Müssiggängern und Troßknechten der großen Armee« war keiner an seinem gewohnten Orte zu sehen, selbst die wenigen Stimmen, welche man vernahm, erklangen leise und wie aus der Ferne.

Das nächtliche Schauspiel hier in den Reihen der Eroberer von Italien war eben so düster und wenig anziehend wie das auf der einsamen Ebene vor den Mauern von Rom.

Der Fremde bemerkte bald, daß sie einen Theil des Lagers erreicht hatten, welcher dichter bevölkert sorgfältiger erleuchtet, stärker befestigt war, wie die bereits passierten, und das Rauschen des Tiber drang jetzt in sein argwöhnische, aufmerksames Ohr. Sie gingen noch einige Schritte weit vorwärts und blieben dann plötzlich vor einem Zelte stehen, welches von vielen andern dicht umgeben und an allen seinen Zugängen von Gruppen reich bewaffneter Krieger besetzt war. Hier blieb Hermanrich stehen, um mit einer Schildwache zu sprechen, die nach kurzem Verzug die äußere Decke des Zelteinganges aufhob und einen Augenblick darauf stand der römische Abenteurer neben seinem Führer vor dem gothischen Könige.

Das Innere von Alarich’s Zelt war mit Häuten ausgeschlagen und von einer kleinen an die das Dach desselben stützende Mittelstange befestigten Lampe erleuchtet. Der einzige Hausrath bestand aus einigen nachlässig auf den Boden geworfenen Holzbündeln und einem großen roh geschnitzten hölzernen Kasten, auf welchem ein zu einer Art von ungeschicktem Weinbecher ausgehöhlter polierter Menschenschädel stand. Das geräumige Zelt besaß ein wahrhaft gothisches graues Ansehen, eine majestätische nordische Einfachheit, die sich nicht nur in seinem dichten Schatten, seinen ruhigen Lichtern und seiner Freiheit von Prunk und Schimmer sondern selbst in dem Aeußern und der Beschäftigung seines auffallenden Bewohners zeigten.

Alarich saß allein auf dem schon beschriebenen hölzernen Kasten und betrachtete mit gerunzelter Stirn und zerstreutem Blicke einige altrunische Zeichen die auf der verzierten Oberfläche eines volle fünf Fuß hohen aus Erz und Silber bestehenden Schildes, der an der Seite des Zeltes lehnte, eingegraben waren. Das auf die polierte Oberfläche der Schutzwaffe, welche durch die dunkeln Häute hinter derselben doppelt glänzend wurde, fallende Lampenlicht wurde auf die Gestalt des Häuptlings zurückgeworfen. Es schimmerte auf seinem breiten Harnisch, es enthüllte seine festen durch einen Ausdruck verächtlichen Triumphs leicht gekräuselten Lippen, es zeigte die großartige Muskelbildung seines Armes, welcher in eng anschließendes Leder gekleidet auf seinem Knie ruhte, es erleuchtete theilweise sein kurzes, helles Haar, und blitzte stetig in seinen auf den einen Punkt gehefteten, gedankenvollen, männlichen Augen, die unter dem theilweisen Schatten seiner gerunzelten Brauen nur eben sichtbar waren, während es den unteren Theil seines Körpers und seine rechte Hand, die auf dem Kopfe eines zu seinen Füßen liegenden großen zottigen Hundes ruhte, fast völlig von den dicken Fellen beschatten ließ, die verwirrt an den Seiten des hölzernen Kastens aufgehäuft waren. Er war so vollkommen in die Betrachtung der Runenzeichen auf seinem ungeheuren Schilde versunken, daß er das Eintreten Hermanrich’s und des Fremden nicht eher bemerkte, als bis ihn das Knurren des wachsamen Hundes plötzlich in seiner Beschäftigung störte. Er blickte rasch auf, sein scharfes, durchdringendes Auge ruhte momentan auf dem jungen Häuptling und verweilte dann fest und forschend auf der schwachen verkrüppelten Gestalt seines Gefährten.

An die militärische Kürze und Schnelligkeit gewöhnt, welche sein Befehlshaber bei allen von seinen Untergebenen an ihn gerichteten Mittheilungen forderte, erzählte Hermanrich kurz, ohne auf eine Frage zu warten oder eine Vorrede oder Entschuldigung seiner Darstellung zu versuchen, das Gespräch, welches zwischen dem Fremden und ihm auf der Ebene bei dem Pincischen Thore stattgefunden hatte und schwieg dann ehrerbietig, um das Lob oder den Tadel des Königs entgegenzunehmen, wie es eben der Zufall des Augenblickes entscheiden mochte.

Nachdem Alarich seine Augen wieder streng und forschend auf die Gestalt des Römers geheftet hatte, redete er den jungen Krieger in gothischer Sprache an:

»Laß den Mann bei mir —— kehre auf Deinen Posten zurück und erwarte dort die Befehle, die ich Dir heute Nacht zu senden für nothwendig erachten werde.«

Hermanrich entfernte sich augenblicklich, worauf der gothische Anführer, zum ersten Male zu dem Fremden gewendet, in lateinischer Sprache diesem kurz und bedeutsam mittheilte, daß sie jetzt allein seien.

Die vertrockneten Lippen des Mannes bewegten sich, öffneten sich, bebten, seine wilden, hohlen Augen funkelten, er schien jedoch unfähig zu sein, ein Wort zu sprechen, seine Züge verzogen sich in furchtbaren Krämpfen, um seine Lippen sammelte sich Schaum, er schwankte vorwärts und würde zu Boden gefallen sein, wenn ihn nicht der König augenblicklich mit starkem Arme erfaßt und auf den hölzernen Kasten gesetzt hätte, welchen, er bis jetzt selbst eingenommen hatte.

»Kann ein verhungernder Römer aus der belagerten Stadt entronnen sein?« murmelte Alarich, indem er den Schädelbecher nahm und einen Theil des darin enthaltenen Weines in den Mund des Fremden schüttete.

Die Flüssigkeit hatte augenblicklich die Wirkung, den Zügen des Mannes wieder Fassung und seinem Geiste Bewußtsein zu verleihen; er erhob sich von dem Sitze, wischte den kalten Schweiß, welcher seine Stirn überzog, ab und stand aufrecht vor dem Könige da, der einsame, machtlose Greis vor, dem thatkräftigen Herrn von Tausenden in der Mitte, seiner Krieger, ohne daß sein festes Auge gebebt, oder über seine stolze Lippe eine Bitte um Schutz gekommen wäre.

»Ich ein Römer,« begann er, »komme von Rom, gegen das der Eroberer mit der Waffe des Hungers Krieg führt, um die Stadt, ihre Bewohner ihre Paläste und Schätze in die Hände Alarich’s des Gothen zu liefern.«

Der König schrak auf, sah den Redner einen Augenblick an und wendete sich dann mit Unmuth und Verachtung von ihm ab.

»Ich lüge nicht!« fuhr der Enthusiast mit einer ruhigen Würde fort, welche selbst auf den abgehärteten Charakter des gothischen Heiden einen gewissen Eindruck übte.

»Betrachte mich wieder! konnte ich, so verhungert, zusammengeschrumpft, verwelkt, von irgend einem Orte als Rom kommen? —— Seit ich die Stadt verlassen habe, ist, kaum eine Stunde vergangen und auf dem Wege, über welchen ich aus ihr gekommen bin, können sie die Streitkräfte der Gothen noch diese Nacht betreten.«

»Die Güte der Ernte beruht auf der Menge des Korns, nichts auf der Zunge des Ackermannes —— zeige mir Deine offenen Thore und ich werde glauben, daß Du die Wahrheit gesprochen hast,« erwiderte der König mit rauhem Lachen.

»Ich verrathe die Stadt!« fuhr Jener finster fort, »aber nur unter einer Bedingung, wenn Du sie mir bewilligst —— so ——«

»Ich will Dir Dein Leben bewilligen,« unterbrach ihn Alarich hochfahrend.

»Mein Leben!«, rief der Römer, und seine zusammengeschrumpfte Gestalt schien sich auszudehnen und seine zitternde Stimme in der Bitterkeit seiner Verachtung fest und bestimmt zu werden als er sprach: »Mein, Leben! ich verlange es nicht von Deiner Macht. Die Trümmer, meines Körpers besitzen kaum Kraft genug, um mir es einen einzigen Tag zu bewahren. Ich habe keine Heimath, keine Geliebten, keine Freunde, keine Güter! —— Ich lebe in Rom allein, in der Mitte der Menge, als Heide in eine Stadt von Abtrünnigen. Was ist das Leben für mich? Ich liebe es nur um des Dienstes der Götter willen, zu deren Rachewerkzeugen gegen das Volk, welches, sie verleugnete, ich Dich und Deine Heerschaaren machen möchte. Wenn Du mich tödtest, so ist es mir ein Zeichen von ihnen, daß ich für ihre Sache werthlos bin, und ich werde zufrieden sterben.«

Er schwieg. Das Benehmen des Königs verlor allmälig die Sorglosigkeit, welche es bisher charakterisiert hatte, und nahm eine Aufmerksamkeit und einen Ernst an, wie sie seinem hohen Stande und seiner wichtigen Verantwortlichkeit eher geziemten. Er begann den Fremden nicht als einen gewöhnlichen Renegaten, einen gemeinen Spion, einen geringfügigen Betrüger zu betrachten, der geringschätzig aus seinem Zelte getrieben werden kann, sondern als einen Mann, der wichtig genug war, um Gehör zu verdienen, und ehrgeizig genug, um Mißtrauen zu erregen. Er ließ sich daher wieder auf den Kasten, von welchem er sich während des Gesprächs erhoben hatte, nieder und forderte ruhig seinen neuen Verbündeten auf, die Bedingung zu erklären, von deren Zugeständniß sein versprochener Verrath Rom’s abhinge.

Die schmerzgefurchten, muthlosen Züge des Heiden belebten sich mit triumphierender Gluth, als er die plötzliche Milde und Mäßigung der Frage des Königs hörte. Er erhob stolz den Kopf und that einige Schritte vorwärts, indem er laut und kurz abgebrochen fortfuhr:

»Sichere mir den Umsturz der christlichen Kirche, die Ausrottung der christlichen Priester und die allgemeine Wiederbelebung der Verehrung der Götter zu, und noch diese Nacht soll Dich zum Herrn der Hauptstadt des Reiches machen, welches zu stürzen Du Dich bemühst.«

Die Kühnheit, die Umfänglichkeit, die wahnsinnige Gottlosigleit eines solchen Vorschlages aus solcher Quelle setzte Alarich in solches Erstaunen, daß er für den Augenblick nicht zu sprechen vermochte. Ulpius brach, als er seine vorübergehende Unfähigkeit, ihm zu antworten, bemerkte, das jetzt eingetretene Schweigen und fuhr fort:

»Ist meine? Bedingung eine schwere? Ein Eroberer ist allmächtigt er kann die Religion eines Volkes umstürzen, wie die Regierung desselben. Was kümmert es Dich, welche Gottheiten das Volk anbetet, so lange die Herrschaft, der Ruhm und die Schätze desselben Dir gehören? Ist es ein hoher Preis für eine leichte Eroberung, eine Veränderung zu bewirken, die weder Deine Macht, Deinen Ruhm noch Deinen Reichthum bedroht? Wundert es Dich, daß ich eine solche Revolution von Dir verlange? Ich bin für die Götter geboren, in ihrem Dienste habe ich Rang und Ruf und Berühmtheit erlangt, für ihre Sache habe ich Herabwürdigung und Schmerz erlitten, für ihre Wiederherstellung will ich Pläne schmieden, kämpfen, sterben! Versichere mir also eidlich, daß Du mit der neuen Regierung die alte Religion einführen willst, und ich werde durch meinen geheimen Zugang Gothen genug in die Stadt bringen, um mit Sicherheit die Wachen an den Thoren zu, tödten und Rom Deiner ganzen Armee zu öffnen. Verachte nicht die Hilfe eines schutzlosem unbekannten Mannes. Die Bürger werden sich Deiner Blockade nie ergeben, Du zagst vor den Gefahren eines Sturmes! Es heißt, daß die Legionen von Ravenna nach Rom unterwegs sind —— so einzeln ich auch dastehe, sage ich Dir doch hier inmitten Deines Lagers, daß die schnellste Gewißheit des Erfolges für Dich auf meiner Entdeckung und, mir beruht.«

Der König sprang plötzlich von seinem Sitze auf.

»Welcher Narr oder Wahnsinnige!«« rief er, seine Augen mit zorniger Verachtung und Entrüstung auf das Gesicht des Fremden heftend, »schwatzt mir da von den Legionen von Ravenna und den Gefahren eines Sturmes! Denkst Du, Renegat, daß Deine Stadt mir hätte widerstehen können, wenn ich sie am ersten Tage, wo ich mein Lager vor ihr aufschlug, stürmen gewollt hätte? Weißt Du, daß Eure verweichlichten Soldaten die Rüstungen Eurer Vorfahren deshalb abgelegt haben, weil ihre schwächlichen Körper zu schwach sind, um die Last derselben zu tragen, und daß die Hälfte meines Heeres hier die ganze Anzahl der Besatzung von Rom um das Dreifache aufwiegt! jetzt, während. Du, hier stehst, brauche ich bloß einen Befehl zu geben und die Stadt wird mit Feuer und Schwert vernichtet, ohne daß mich dabei einer von der Verrätherbande unterstützt, welche im Schutze ihrer schlecht vertheidigten Mauern liegt!«

Bei diesen Worten Alarich’s schien eine unsichtbare Macht den Elenden, welchen er anredete, an Körper und Geist zu erdrücken. Das Entsetzen über die Antwort welche er jetzt hörte, schien ihn blödsinnig zu machen, wie sein Blitzstrahl Denjenigen, welchen er trifft, blind macht. Er betrachtete den König, mit verblüfftem, stierem Blicke, bewegte zitternd seine Hand vor seinem Gesichte hin und her, wie um eine eingebildete Dunkelheit von seinen Augen hinwegzuwischen und dann sank sein Arm hilflos an seiner Seite nieder, der Kopf fiel ihm auf die Brust und er stöhnte mit leisem, bedeutungsvollem Tone:

»Die Wiederherstellung der Götter —— das ist die Bedingung der Einnahme —— die Wiederherstellung der Götter!«

»Ich bin nicht hierher gekommen, um das Werkzeug einer rasenden, vergessenen Priesterschaft zu werden,« rief Alarich geringschätzig. »Wo ich Deine verfluchten Götzen treffe, werde ich sie zu Rüstungen für meine Krieger und Hufeisen für meine Pferde zusammenschmelzen. Ich werde Eure Tempel in Magazine verwandeln und Deine hölzernen Bildsäulen zu Klötzen für die Wachtfeuer meines Heeres zerhacken lassen.«

»Tödte mich, aber schweige« stöhnte der Heide, an die Wand des Zeltes zurück schwankend und unter den erbarmungslosen Worten des Gothen zusammenzuckend, wie ein Sklave unter der Peitsche.

»Ich überlasse das Vergießen solchen Blutes, wie das Deine, Deinen römischen Genossen,« antwortete der König; »sie allein sind der That würdig.«

Den Lippen des Fremden entrang sich keine Silbe und nach einer stummen Pause fuhr Alarich in Tönen, die ihrer frühem zornigen Aufregung entkleidet und mit einem feierlichen Ernst erfüllt waren, welcher jedem seiner Worte unwiderstehliche Würde und Kraft verlieh, fort:

»Sieh die dort eingegrabenen Zeichen,« sagte er, auf den Schild deutend; »sie verkünden den Fluch, welchen Odin gegen die große Unterdrückerin Rom ausgesprochen hat. Einst bildeten diese Worte einen Theil der Religion unserer Väter. Die Religion ist längst schon geschwunden, aber die Worte sind geblieben; sie besiegeln den ewigen Haß des Nordländers gegen den Bewohner des Südens, sie enthalten den Geist des großen Schicksals, welches mich vor die Mauern von Rom geführt hat. Bürger eines stürzenden Reiches, das Maß Eurer Verbrechen ist voll! Die Stimme eines neuen Volkes fordert durch mich die Freiheit der Erde, die für die Menschen und nicht bloß für die Römer geschaffen ist! Die Herrschaft, welche Deine Väter durch Kraft erlangten, sollen ihre Nachkommen nicht durch Betrug behaupten. Zweihundert Jahre lang haben unhaltbare, hohle Waffenstillstände zwischen Deinem Volke und dem meinen mit langen, blutigen Kriegen abgewechselt.In der Erinnerung daran, in der Erinnerung an das, den Gothen in ihren thracischen Niederlassungen wiederfahrene Unrecht, an die Ermordung der gothischen Jünglinge in den Städten Asiens, an die Niedermetzelung der gothischen Geißeln in Aquileja komme ich, von den übernatürlichen Rathschlüssen des Himmels erwählt, um die Freiheit meines Volkes zu sichern und seinen Zorn zu beschwichtigen, indem ich die Macht des tyrannischen Rom zu seinen Füßen demüthige. Nicht um des Kampfes und Blutvergießens willen bin ich hier vor jenen Mauern gelagert, sondern um durch Hungersnoth und Leiden den Stolz Deines Volkes und den Muth Deiner Herrscher zur Erde zu drücken, um Euch Euren versteckten Reichthum zu entreißen und Euch der Ehre, womit Ihr prahlt, zu entkleiden, um durch Bedrückung die Bedrücker der Welt zu stürzen, Euch den Ruhm des Widerstands zu versagen und Euch die Schande der Unterwerfung aufzuerlegen. Dazu enthalte ich mich jetzt des Sturmes auf Eure Stadt und umgehe sie mit einer undurchdringlichen Blockade.«

Während sich die Erklärung seiner großen Sendung so von den Lippen des gothischen Königs drängte, schien sich der Geist seines hohen Ehrgeizes über seine äußere Form zu verbreiten. Seine edle Gestalt, seine schönen Verhältnisse, seine gebietenden Züge bekleideten sich mit einer einfachen, ursprünglichen Größe. In seinem jetzigen Kontrast mit der zusammengesunkenen Figur des entmuthigten Fremden sah er fast erhaben aus.

Ein lang anhaltender Schauder zuckte durch den Körper des Heiden, aber dieser sprach weder, noch weinte er. Die nutzlose Vertheidigung des Serapistempels, die vereitelte Revolution in Alexandrien und die mißlungene Intrigue mit Vetranio stiegen jetzt in seiner Erinnerung auf, um das Entsetzen seiner gegenwärtigen schlimmsten Niederlage zu erhöhen. Jeder Umstand seines verzweifelten Durchbruches der Mauerspalte stellte sich mit furchtbarer Lebendigkeit vor seinen Geist. Er erinnerte sich an alle Empfindungen seiner ersten nächtlichen Arbeit in der Finsterniß, an alles Elend der Qualen seiner zweiten Nacht unter dem gestürzten Mauerwerk, an alle Schmerzen, Gefahren und Muthlosigkeiten, die seine späteren Arbeiten begleitet hatten, und denen zum Trotz er bei allen Hemmnissen eines hungergeschwächten Körpers und hilflosen Armes in seinen Bemühungen verharrt hatte, bis er im trügerischen Triumph das letzte Hinderniß des mühsamen Durchbruches überwunden. Diese verbannten Erinnerungen kehrten eine nach der andern in sein Gedächtniß zurück, während er Alarich’s tadelnden Worten lauschte, rissen alte Wunden von Neuem auf, belebten frühere Gebrechen, zerfleischten ihn von Neuem. Außer dem Schauder, welcher immer noch seinen Körper durchschüttelte, verrieth aber kein äußeres Zeichen die ihn bestürmenden inneren Qualen. Es war für menschliche Worte zu stark, für menschliches Mitgefühl zu entsetzlich. Er erlitt es in dumpfem Schweigen. So monströs auch sein Plan sein mochte, war doch die moralische Strafe seiner versuchten Ausführung schwer genug, um des beabsichtigten Verbrechens werth zu sein.

Nachdem Alarich den Mann noch einige Minuten lang mit einem Blicke mitleidloser Geringschätzung beobachtet hatte, rief er einen von den dienstthuenden Kriegern herbei; trug ihm auf, den Wachen den Durchlaß des Fremden durch das Lager zu gebieten, und wendete sich dann zum letzten Male zu ihm:

»Kehre durch das Loch, aus dem Du wie eine Schlange gekrochen bist, nach Rom zurück und nähre Deine verhungernden Mitbürger mit den Worten, die Du im Zelte des Barbaren gehört hast!«

Der Herbeigerufene näherte sich, führte ihn vom Könige hinweg, gab den Wachen die nöthigen Weisungen und überließ ihn sich selbst. Einmal erhob er die Augen verzweifelnd zum Himmel, welcher über seinem Haupte drohte, aber es entfloh ihm kein Wort, keine Thräne, kein Seufzer. Er schritt langsam durch die dichte Finsterniß, wendete der Stadt den Rücken und betrat, gleich gültig, wohin er gerathen möchte, die Straßen der öden, entvölkerten Vorstädte.



Kapiteltrenner

Kapitel III.
Liebeszusammenkünfte.

Wer hat nicht, wenn er zu einem drohenden, stürmischen Himmel aufblickte, Freude darüber gefühlt, wenn er unerwartet noch eine kleine heiter blaue Stelle unter den Gewitterwolken entdeckte. Je unlieber das Auge über das düstere Gewölbe des übrigen Firmaments gewandert ist, desto freudiger ruht es endlich auf der kleinen Oase des Lichtes, das seinen müden Blicken begegnet und, wenn es über den ganzen Himmel ausgebreitet gewesen, vielleicht nur nachlässig und vorübergehend betrachtet worden wäre.

Durch den Kontrast mit den dunkeln traurigen Farben rund umher nimmt selbst diese kleine blaue Stelle allmälig die Kraft an, die weitere, trübere Aussicht mit einem gewissen Interesse und Leben zu bekleiden, welches sie vorher nicht besaß, bis der Geist in der sie umgebenden Sturmatmosphäre einen Gegenstand erblickt, welcher der Aussicht Abwechselung gewährt, ein Schauspiel, dessen Traurigkeit eben so gut Antheil erwecken, wie zurückstoßen kann.

Mit solchen Empfindungen —— nur daß wir sie direkt auf den Geist, statt auf das Auge anwendeten, schrieben wir die wenigen Seiten nieder, welche das Schlußkapitel des ersten Buches beenden. Das dort beschriebene Glück schien den stürmischen Fortgang unserer Erzählung zu durchstrahlen, wie die blaue Stelle die Dunkelheit der sich zusammenziehenden Wolken. Es erhob sich gleich einem Garten der Ruhe hinter der Wüste wilder Aufregungen, die uns auf den vorhergehenden Seiten umgeben hatten. Es ermuthigte uns zum Betreten des Feldes von düsterem Interesse, welches ihm, wie wir wußten, folgen mußte, und uns so, durch seine Abwechselung als Kontrast mit dem Vorhergegangenen, einladen, statt uns durch eine Eintönigkeit des Schmerzes traurig stimmen würde.

Erinnert sich der Leser der Scene in dem Bauernhause jenseits der Vorstädte mit solchen Empfindungen? Wenn sie ihn so berührt hat, so wird er uns jetzt nicht eine kurze Abschweifung von Ulpius und der von Hungersnoth gequälten Stadt zu Antoninen und dem stillen, einsamen Lande versagen.

Während der Zeit, welche, seit wir sie verließen, verstrichen ist, hat Antonina sicher in ihrer Einsamkeit, glücklich in ihrem gutgewählten Versteck gewohnt. Die wenigen, umherschweifenden Gothen, welche in seltenen Zwischenräumen die Nachbarschaft ihres Heiligthums besuchtem drängten sich nie in dessen friedlichen Bezirk ein. Der Anblick der verheerten Felder und geleerten Scheunen, des verlassenen kleinen Gutes genügte stets, um ihre raubsüchtigen Schritte einer andern Richtung zuzuwenden. Ein Tag nach dem andern verstrich ruhig und schnell für die liebliche Bewohnerin des verlassenen Hauses, die enge Runde seiner Gärten und schützenden Haine Umfaßte für sie den ganzen Kreis der Freuden und Beschäftigungen ihres neuen Lebens.

Die einfachen, im Hause zurückgebliebenen Vorräte die Früchte und Gemüse welche sie im Garten einsammelte, waren für ihren Unterhalt vollkommen hinreichend. Die unschuldige Einsamkeit des Ortes besaß einen ruhigen, träumerischen Zauber, eine Neuheit, einen nie ermüdenden Reiz nach der strengen Einsamkeit, welcher ihre frühere Existenz in Rom unterworfen gewesen war. Und wenn der Abend kam und die Sonne die Wipfel der westlichen Bäume zu vergolden begann, dann stellte sich nach den ruhigen Empfindungen des einsam verlebten Tages die Stunde sie gänzlich in Anspruch nehmender Sorgen und froher Erwartungen ein, die stets die gleichen, aber stets gleich entzückend und neu waren. Dann wurden die rohen Fensterläden sorgfältig geschlossen, die offene Thür verriegelt, das kleine, jetzt der äußern Welt unsichtbare Licht freudig angezündet und dann ergab sich die Herrin und Urheberin aller dieser Vorbereitungen mit froher Aengstlichkeit in die Erwartung des Gastes, zu dessen Bewilllommnung dieselben bestimmt waren.

Und nie erwartete sie das Kommen jenes ersehnten Gefährten vergebens. Hermanrich erinnerte sich seines Versprechens, fortwährend nach dem Bauernhause zu kommen, und erfüllte es mit aller Veständigkeit der Liebe und allem Enthusiasmus der Jugend. Wenn die Wachen unter seinem Befehl für die Nacht ausgestellt waren und das Vertrauen, welches ihm seine Vorgesetzten schenkten, seine Handlungen während der Stunde der Finsterniß von Beaufsichtigung befreiten, so verließ er das Lager, eilte durch die verödete Vorstadt nach dem Gebäude, wo ihn die junge Römerin erwartet und kehrte von dort vor Tagesanbruch zurück, um die Mittheilungen entgegen zu nehmen, die ihm zu dieser Stunde regelmäßig der zunächst unter ihm Befehlende machte.

So suchte er, seiner Nation untreu, aber treu gegen die neue Egeria seiner Gedanken und Handlungen —— ein Verräther gegen die Pflichten der Rache und des Krieges, aber doch den Interessen der Ruhe und Liebe gehorsam, allabendlich Antonina’s Gegenwart auf. Seine Leidenschaft brachte, wiewohl sie ihm seine Kriegerpflichten unmöglich machte, doch keine herabwürdigende Veränderung in seinem Charakter hervor. Alles, was sie in ihm veränderte, veredelte sie. Sie brachte Abwechselung in seine rohen Empfindungen und erhob dieselben, denn sie wurde nicht bloß von der Schönheit und Jugend, die er sah, eingeflößt, sondern von den reinen Gedanken der unschuldigen Beredsamkeit, die er hörte, belebt. Und sie, die verstoßene Tochter, die Quelle, aus welcher der nordische Krieger jene neueren, höheren Gefühle schöpfte, die ihn jetzt zum ersten Male belebten —— betrachtete ihren Beschützer, ihren ersten Freund und Gefährten, wie ihre erste Liebe mit einer Hingebung, welche sich der Geist in ihrem gemischten enthusiastischen Wesen vorstellen, die aber die Feder nur unvollkommen nieder zeichnen kann. Es war eine von Unschuld und Dankbarkeit, Freude und Schmerz, Besorgniß und Hoffnung erzeugte Ergebenheit, sie war zu frisch, hatte zu wenig mit der Welt gemein, um Vorwürfe anerzogener Scham oder künstlichen Anstandes zu kennen. Sie glich in ihrem Wesen, wenn auch nicht in ihrer Anwendung, der Hingebung der ersten Töchter der Menschen für ihre Mitherren der Schöpfung.

Was würde es aber nützen, wenn wir noch länger bei solchen Beschreibungen verweilten? Die höheren Leidenschaften in ihrer vollen Kraft und Thätigkeit sprechen zu der menschlichen Phantasie und verschmähen die gemeine Verdollmetschung durch menschliche Worte. Das Maß des Guten und Bösen in der Liebe Hermanrichs und Antoninens wird das Herz des Lesers besser abwägen, als die Feder des Schriftstellers. Er möge ihr Alter, ihre Lage und ihre Gelegenheiten bedenken und seine Phantasie dann innerhalb der Grenzen der breiten Umrisse, die wir bereits gegeben haben, spielen lassen, sie mit der bunten Gluth der leidenschaftlichen Worte des Liebhabers färben, mit den glänzenden Lichtern ihrer Augenblicke entzückter Seligkeit erleuchten, mit den sanften Schatten ihrer Stunden üppiger Ruhe abdunkeln. So werden die Liebesscenen in dem Bauernhause den Erwartungen Aller entsprechen und —— ein noch glücklicheres Schicksal —— die Vorurtheile, Keines beleidigen!

Was uns betrifft, so ist es jetzt Zeit, zu dem Gange unserer Erzählung zurückzukehren, wiewohl es, ehe wir wieder in die rüstige, bewegte Gegenwart treten, noch auf einen Augenblick nöthig sein wird, nach einer andern Seite hin auf die ereignißreiche Vergangenheit zurückzuschauen. Aber nicht auf Frieden, Schönheit und Freude, heftet sich jetzt unser Blick, wir wenden uns zu Zorn Krankheit und Verbrechen, zu der unversöhnlichem unweiblichen Goiswintha.

Seit dem Tage, wo die Gewaltsamkeit der in ihr kämpfenden Gefühle sie des Bewußtseins beraubt hatte, in dem Augenblicke ihres entscheidenden Triumphs über die Bedenklichkeiten Hermanrich’s und das Schicksal Antoninens, war ihr von einem hitzigen Fieber ein Theil der bitteren Leiden zugefügt worden, welche sie gern Andern auferlegt hätte, bald lag sie in einem rasenden Delirium, bald in hilfloser Erschöpfung da. Welche Form aber auch ihre Krankheit annehmen mochte, so vergaß sie doch nie den grausamen Zweck, bei dessen Verfolgung sie sich dieselbe zugezogen hatte. Langsam und ungewiß kehrte endlich ihre Kraft zurück und zugleich mit ihr verstärkte sich und wuchs die grimmige Rachsucht, welche selbst ihre leisesten Gedanken erfüllte und ihre gleichgültigsten Handlungen beherrschten

Das Gerücht theilte ihr die neue Stellung in der Blockadelinie mit, in welcher sich Hermanrich befand, und zählte als Gefährten seines dortigen Aufenthalts nur die unter seinem Befehle stehenden Krieger auf. Wenn aber auch so von der Trennung Antoninens und des Gothen überzeugt, nagte doch ihre Unwissenheit über das Schicksal des Mädchens ununterbrochen an ihrem wilden Herzen. Im Zweifel, ob sie Hermanrich auf die Dauer für die Interessen der Rache und des Blutvergießens gewonnen, im unbestimmten Argwohn, daß er sich während ihrer Abwesenheit mit Antoninens Zufluchtsort bekannt gemacht habe, fortwährend entschlossen auf den Tod ihres Opfers sinnend, wohin sich dasselbe auch begeben haben würde, erwartete sie mit zitternder Begier den Tag der Wiedererlangung ihrer Kräfte, welche sie in den Stand setzen würde, ihren Einfluß auf den Gothen wieder zu erlangen und ihre Ränke gegen das geflüchtete Mädchen fortzusetzen. Ihre lange erhoffte völlige Genesung war an dem Tage vor der bereits beschriebenen stürmischen Nacht eingetreten, und der erste Gebrauch, welchen sie von ihrer erneuten Thatkraft machte, bestand darin, daß sie dem jungen Gothen ihre Absicht mittheilen ließ, ihn vor Einbruch des Abends ans seinem Posten zu besuchen.

Diese Mittheilung war es, welche die zu Anfang des vorigen Kapitels erwähnte Unruhe Hermanrich’s verursacht hatte. Der dort geschilderte Abend war der erste, welcher ihn durch den angedrohten Besuch Goiswinthens der Aussicht beraubt hatte, wie er gewohnt war, unter dem Schutze der Nacht zu Antonina zu gehen, da er sich durch die Mißachtung der ominösen Botschaft seiner Verwandten der verderblichsten Entdeckung ausgesetzt haben würde. Im Vertrauen auf die trügerische Sicherheit, welche ihm ihre Krankheit gewährte, hatte er bis jetzt die unwillkommene Erinnerung an ihre Existenz aus seinen Gedanken verbannt, jetzt aber, wo sie erneuter Thätigkeit und Verbrechen fähig war, fühlte er, daß er, um das Geheimniß des Verstecks Antoninens und das Leben seiner Geliebten zu bewahren, dableiben und wenn ihn Goiswintha auf seinem Posten besuchte, Gewalt gegen Gewalt und List gegen List anwenden müsse, selbst auf die Gefahr hin, durch sein Ausbleiben dem einsamen Mädchen alle Qualen der Angst und Besorgniß aufzuerlegen.

In solche Gedanken versunken, sich nach der Entfernung sehnend, aber doch zum Bleiben entschlossen, erwartete er ungeduldig Goiswinthens Erscheinen, bis das Aufsteigen des Gewitters, mit seiner räthselhaften, ihn völlig in Anspruch nehmenden Reihe von Ereignissen, seine Gedanken und Handlungen in ein neues Bett leitete. Sobald jedoch seine Gespräche mit dem Fremden und dem gothischen Könige vorüber und er dem erhaltenen Befehle gemäß auf seinen Posten zurückgekehrt war, nahmen seine auf eine Zeitlang vertriebenen aber nicht völlig vernichteten alten Besorgnisse wieder ihren Einfluß auf ihn an. Er fragte seine Kameraden begierig, ob Goiswintha in seiner Abwesenheit gekommen sei und erhielt von Allen die gleiche verneinende Antwort.

Während er jetzt auf das Pfeifen des Windes, den immer lauter werdenden Donner und das schrille Geschrei der fernen Nachtvögel, welche ihren Zufluchtsorten zueilten, lauschte, nahmen trübe, traurige Empfindungen von seinem Herzen Besitz. Er wunderte sich jetzt, daß irgend ein Ereigniß, wie unerwartet es auch kommen und wie ungewöhnlich es auch sein mochte, die Gewalt besitzen konnte, seinen Geist auf einen Augenblick von den traurigen Gedanken abzulenken, welche ihn am Schlusse des Tages erfüllt hatten. Er dachte an die einsame, hilflose Antonina, die erschreckt in den Sturm hinaushorchte und vergebens auf sein lange hinausgeschobenes Nahen wartete. Seine Phantasie stellte vor ihm ein Heer von Gefahren, Complotten und Verbrechen, die mit allen entsetzlichen Mißgestalten eines Traumes bekleidet waren, vor ihm auf. Selbst das schnelle eintönige Tröpfeln des Regens vor dem Hause erweckte in ihm dunkle, unerklärliche Ahnungen von Unheil. Die Leidenschaft, welche ihm bis jetzt neue Freuden geschaffen. hatte, erfüllte jetzt die andere Hälfte ihrer irdischen Sendung, und verursachte ihm neue Schmerzen.

In dem Maße, wie der Sturm zunahm, wie die langsamen Augenblicke schwer und trübe vorüberschlichen, wie die Finsterniß tiefer und immer tiefer wurde, wuchs auch seine Unruhe, bis sie endlich den letzten schwachen Widerstand seiner schwankenden Kraft besiegte. Er überredete sich, daß Goiswintha, nachdem sie so lange gezögert, sich jetzt enthalten würde, ihn vor dem Morgen zu besuchen, und daß alle Mittheilungen von Alarich, wenn deren abgesendet worden wären, ihm längst schon hätten zugekommen sein müssen, unfähig, länger seine Besorgnisse wegen Antoninens Sicherheit zu bekämpfen, entschlossen, es lieber aus die schlimmsten Möglichkeiten ankommen zu lassen, als zu einer solchen Zeit des Sturmes und der Gefahr von dem Hause seiner Geliebten fern zu bleiben, machte er einen letzten Besuch auf den Standpunkten der wachsamen Posten und verließ das Lager.



Kapiteltrenner

Kapitel IV.
Die Hunnen.

Mehr als eine Stunde, nachdem Hermanrich das Lager verlassen hatte, trat eiligen Schrittes ein Mann in das von dem jungen Häuptling bewohnte Haus. Er machte keinen Versuch ein Licht oder Feuer anzuzünden, sondern setzte sich in dem Hauptgemache nieder und flüsterte von Zeit zu Zeit Worte einer fremden barbarischen Sprache vor sich hin.

Er war erst kurze Zeit in Besitz seiner unbehaglichen Einsamkeit gewesen, als ein Troßknecht mit einer kleinen Lampe und dicht hinter ihm ein Weib eintrat, das sich, als er aufsprang, und ihr entgegenging, als Hermanrich’s Schwester zu erkennen gab und begierig den Gothen zu sprechen verlangte.

So hager und bleich es auch durch lange Leiden und Aufregung geworden war, erschien doch das Gesicht Goiswinthens, denn diese war es, geradezu anziehend, wenn man es jetzt im Lampenscheine mit dem Gesichte und der Gestalt des von ihr angeredeten Individuums verglich. Eine platte Nase, eine schwärzlichbraune Haut, lange, straffe, verworrene Locken von kohlschwarzem Haar, ein bartloses, zurückweichendes Kinn und kleine, wilde, tiefliegende Augen verliehen der Physiognomie des Mannes fast etwas Thierisches. Seine breiten, musculösen Schultern hingen über einer Gestalt, die von eben so geringer Höhe, wie athletischer Bauart war, wenn man ihn anblickte, so sah man die Muskeln eines Riesen in den Körper eines Zwerges gespannt. Und doch war dieser ungestaltete Herkules kein einzelnes Versehen der Natur, keine ungewöhnliche Ausnahme von seinen Nebenmenschen, sondern der Typus einer ganzen eben so verwachsenen und zurückstoßenden Race wie er, er war ein Hunne.

Dieses wilde Volk, welches selbst der Schrecken seiner barbarischen Nachbarn war und ohne Regierung, Gesetze oder Religion lebte, besaß mit dem Menschengeschlechte nur ein Gefühl in Gemeinschaft, den Instinkt des Krieges. Seine historische Laufbahn begann mit seinen frühesten Eroberungen in China und nahm ihren Fortgang mit seinen ersten Siegen über die Gothen, welche die hunnischen Krieger als Dämonen betrachteten sind bei ihrer Annäherung flohen. Die so begonnenen Feindseligkeiten zwischen den beiden Völkern gingen endlich durch die zeitweilige Verbindung des besiegten Volkes mit dem römischen Reiche in einen Waffenstillstand über und hörten später bei der allmäligen Verschmelzung der Interessen Beider zu einem gemeinschaftlichen Gefühle —— dem Abscheu gegen Rom —— gänzlich auf.

Durch dieses Verbrüderungsband wurden die Gothen und Hunnen öffentlich verknüpft, blieben aber insgeheim in Feindschaft mit einander, —— denn die eine Nation erinnerte sich eben so lebhaft an ihre früheren Niederlagen, wie die andere an ihre frühem Siege. In einem Wechsel von Niederlagen, Uneinigkeiten und Siegen, verfolgten sie ihre Laufbahn des Kampfes und der Plünderung, bald getrennt, bald zusammen, bis zur Zeit unserer Erzählung, wo Alarich’s Belagerungsheer unter den Reihen seiner barbarischen Hilfstruppen auch eine Abtheilung von Hunnen zählte, die, nur widerstrebend mit dem Titel von Verbündeten der Gothen beehrt, in untergeordneten Stellungen im Heere verstreut waren und unter denen das oben beschriebene Individuum einer von denjenigen war, welche man verächtlich durch Beförderung zu einer niedern Befehlshaberstelle unter Hermanrich, als einem gothischen Anführer begünstigt hatte.

Ein Ausdruck der Abneigung aber nicht des Schreckens zog über Goiswinthens abgemagertes Gesicht, als sie sich dem Barbaren näherte und wiederholt den Wunsch aussprach, vor Hermanrich geführt zu werden. Auch auf das zweite Mal gab der Mann ihr jedoch keine Antwort; er brach in ein kreischendes, kurzes Lachen aus und zuckte seine ungeheuren Achseln mit ungeschicktem Spott. Das Gesicht des Weibes röthete sich auf einen Augenblick und nahm dann wieder eine gelbliche Blässe an, als sie fortfuhr:

»Ich bin nicht hierhergekommen, um von einem Barbaren verspottet, sondern um von einem Gotten bewillkommnet zu werden. Ich frage Dich nochmals, wo ist mein Bruder, Hermanrich!«

»Fort!« —— rief der Hunne, und sein Gelächter wurde noch wilder und mißtöniger.

Goiswinthens Körper durchzuckte eins plötzliches Beben, als sie das Benehmen des Barbaren bemerkte und, seine Antwort hörte. Sie unterdrückte mit Schwierigkeit ihren Zorn und ihre Aufregung und fuhr mit besorgten Blicken und bittenden Tönen fort.

»Wohin ist er gegangen? Weshalb hat er sich entfernt? —— Ich weiß, daß die Stunde, welche ich für unsere Besprechung hier bestimmt hatte, längst vorüber ist, aber ich habe viele Wochen lang krank darnieder gelegen, und als ich mich diesen Abend; zum Fortgehen anschickte, schienen plötzlich meine verschwundenen Leiden zurückzukehren. Ich wurde in mein Bett getragen, wiewohl aber die Weiber, welche mir Beistand leisteten, sagten, daß ich dableiben und ausruhen solle, so fand ich doch in der Nacht Kraft genug, um ihnen zu entrinnen und durch Stimm- und Finsterniß allein hierher zu kommen, —— denn ich war entschlossen, wenn ich auch dafür umkommen sollte, Hermanrich aufzusuchen, wie ich es durch meine Boten versprochen hatte. Du, der Du der Gefährte seiner Wache bist, mußt wissen wohin er sich begeben hat. Geh zu ihm und berichte ihm, was ich gesagt habe, ich werde hier aus seine Rückkehr warten.«

»Sein Geschäft ist geheim! spöttelte der Hunne, »er hat sich entfernt, aber ohne mir zu sagen, wohin, woher sollte ich Barbar den Aufenthaltsort eines vornehmen Gothen kennen? Mir geziemt es nicht, seine Handlungen zu wissen, sondern seinen Worten zu gehorchen.«

»Spotte nicht über Deinen Gehorsam,« entgegnete Goiswintha mit athemlosem Eifer; »ich sage Dir nochmals, Du weißt, wohin er gegangen ist und mußt mir sagen, zu welchem Zwecke er sich entfernt hat. Du gehorchst ihm —— da ist Geld, um Dich zum Gehorsam gegen mich zu bewegen.«

»Als ich sagte, daß sein Geschäft geheim sei, habe ich nicht gelogen,« antwortete der Hunne, indem er gierig die Münzen, welche sie ihm zuwarf, aufhob, »aber er hat es nicht vor mir geheim gehalten! Die Hunnen sind schlau! häßlich und schlau!

Der Argwohn ihres sündigen Herzens war in diesem Augenblicke schon halb genügend, um Goiswinthen die Nachricht, welche sie noch erhalten sollte, errathen zu lassen. Es entfloh ihr jedoch kein Wort, während sie dem Barbaren ein Zeichen gab, weiter zu sprechen.

»Er ist nach einem Bauernhause im Freien jenseits der Vorstadt hinter uns gegangen. Er wird erst mit Tagesanbruch zurückkommen!« fuhr der Hunne fort, indem er das Geld in seinen großen hornigen Händen klappern ließ.

»Hast Du ihn gehen sehen?« stöhnte das Weib.

»Ich habe ihn bis zu dem Hause verfolgt,« erwiederte der Barbar »Viele Nächte lang habe ich ihn beobachtet und in Verdacht gehabt; diese Nacht habe ich ihn fortgehen sehen. Erst seit kurzen bin ich wieder zurück. Die Finsterniß hat mich nicht getäuscht, der Ort ist an der Landstraße von den Vorstädten aus —— der erste Nebenweg nach Westen führt an das Gartenthor —— ich weiß es, ich habe sein Geheimniß entdeckt! ich bin schlauer als er.!«

»Zu welchem Zwecke hat er das Bauernhaus bei Nacht besucht?« fragte Goiswintha nach einiger Zeit, während welcher sie, wie es schien, stumm die letzten Worte des Mannes in ihr Gedächtniß geheftet hatte. »Bist Du schlau genug, um mir das zu sagen.«

»Wozu wagen die Männer ihre Sicherheit und ihr Leben, ihr Geld und ihren Ruhm?« lachte der Barbar, »für die Weiber! In dem Bauernhause befindet sich ein Mädchen. Ich sah es an der Thür als der Häuptling hineinging.«

Er schwieg. Goiswintha antwortete aber nicht.

Wir erinnern uns, daß sie von einem Frauengeschlecht abstammte, welches seine verwundeten Gatten, Söhne und Brüder mit eigenen Händen erschlug, wenn es dieselben durch eine Niederlage entehrt nach der Schlacht aufsuchte; wir erinnern uns, daß das Feuer der alten Wildheit dieser Vorfahren noch in ihrem Herzen glühte, wir erinnern uns aller Hoffnungen, die sie auf Hermanrich gesetzt, alles Hasses, welchen sie gegen Antonina gehegt, und sind, den Eindruck der jetzt erhaltenen Nachricht nach seiner vollen Stärke ermessend, eben so abgeneigt wie unfähig, ihre Empfindungen in diesem Augenblicke zu beschreiben. Auf einige Zeit wurde die Stille des Zimmers durch keinen Ton unterbrochen, als das Rollen des Donners draußen, das schnelle convulsivische Athmen Goiswinthens und das Klimpern des Geldes, welches der Hunne mechanisch aus einer Hand in die andere zu werfen fortfuhr.

»Ich werde nach dem Werke der heutigen Nacht eine gute Ernte von Gold und Silber erhalten,« fuhr der Barbar fort, indem er plötzlich die Stille unterbrach, »Du hast mir Geld gegeben um zu sprechen, wenn der Häuptling nach Hause kommt und hört, daß ich ihn entdeckt habe, so wird er mir Geld geben, damit ich schweige. Ich werde morgen, wenn ich auch ein Hunne bin, doch mit dem besten im Heere um die Wette trinken können.«

Er kehrte mit diesen Worten»auf seinen Sitz zurück und begann den Refrain eines beliebten Trinkliedes im eintönigen Takte mit einem seiner Geldstücke auf der Klinge seines Schwertes zu klopfen, während Goiswintha bleich und athemlos an der Thür des Gemaches stand und mit unverwandten, aber ausdruckslosen Augen auf ihn stierte. Endlich rang sich ein tiefer Seufzer aus ihrer Brust. ihre Hände ballten sich unwillkürlich, ihre Lippen bewegten sich mit einem bitteren Lächeln und darauf verließ sie, ohne weiter ein Wort an den Hunnen zu richten, leise das Zimmer.

Sobald sie sich entfernt hatte, trat eine plötzliche Veränderung im Benehmen des Barbaren ein. Er sprang auf, ein Ausdruck wilden Hasses und Jubels zeigte sich auf seinem häßlichen Gesicht und er schritt im Zimmer auf und ab, wie ein wildes Thier in seinem Käfig.

»Endlich werde ich ihn vom Gipfel seiner Gewalt herabreißen!« flüsterte er ingrimmig vor sich hin, »wegen dessen, was ich ihr jetzt erzählt habe, wird ihn seine Schwester hassen —— ich wußte es, während sie sprach! Für das Verlassen seines Postens kann ihn Alarich entehren, ihn verbannen, ihn hängen! Sein Schicksal liegt in meiner Hand, ich werde mich trefflich von ihm und seinen Befehlen frei machen! Ich hasse diesen Gothen ärger, als sein ganzes übriges Volk! Ich will dabei sein, wenn sie ihn an den Baum schleppen und ihm seine Schande vorwerfen, wie er mir meine Mißgestalt vorgeworfen hat.« Hier lachte er in selbstgefälliger Billigung seines Projekts, schritt schneller hin und her und erging sich schon im Voraus in der barbarischen Freude seines Triumphes.

Seine geheimen Betrachtungen hatten ihn so noch einige Zeit beschäftigt, als Schritte vor der Thür vernehmlich wurden. Er erkannte den Tritt augenblicklich und rief der sich vor der Thür befindenden Person leise zu, sich zu nähern. Auf seinen Ruf trat ein Mann ein, der weniger athletisch als er, aber an Ungestalt sein wahres Spiegelbild war. Jetzt begann folgendes Gespräch zwischen den beiden Hunnen:

»Bist Du ihm bis an die Thür gefolgt?« fragte der Neuangekommene.

»Bis an die Schwelle. Dann ist sein Sturz sicher. Ich habe Alarich gesehen.«

»Wir werden ihn unter unsere Füße treten! Den Knaben, der über uns, die wir älter sind als er, gesetzt worden ist, weil er ein Gothe ist und wir Hunnen sind! Aber was sagt Alarich? Wie hast Du bei ihm Gehör erlangt?«

»Die Gothen um sein Zelt verspotteten mich als Wilden und schworen, daß ich von einem Dämon und einer Hexe gezeugt sei, aber ich gedachte der Zeit, wo die Prahler aus ihren Niederlassungen flohen, wenn unsere Stämme ihre schwarzen Rosse bestiegen und sie wie wilde Thiere jagten. Damals waren ihre Lippen blaß von Furcht.«

»Rede von Alarich — unsere Zeit ist kurz!« unterbrach ihn Jener zornig.

»Ich antwortete keine Silbe auf ihren Spott,« fuhr sein Genosse fort, »sondern rief laut, daß ich ein gothischer Verbündeter sei, daß ich Nachrichten für Alarich überbringe und das Recht der Audienz so gut habe, wie Andere. Meine Stimme drang zu den Ohren des Königs, er blickte aus seinem Zelte und winkte mir, herein zu kommen. Ich sah seinen Haß gegen unser Volk in seinem Auge glühen, als wir uns einander anblickten, aber ich sprach unterwürfig und mit sanfter Stimme. Ich erzählte ihm, daß der Anführer, den er über uns gesetzt, insgeheim seinen Posten verlasse, ich erzählte ihm, daß wir seinen begünstigten Krieger seit vielen Nächten nach den Vorstädten gehen gesehen hätten, daß er sich auch diese Nacht, wie viele andere, aus dem Lager gestohlen habe und daß Du ihm nachgegangen seiest, um ihn bis zu seinem Versteck zu verfolgen.«

»War der Tyrann zornig?«

»Sein Gesicht röthete sich und seine Augen blitzten und seine Finger zitterten an der Scheide seines Schwertes, während ich sprach? Als ich zu Ende war, sagte er, daß ich lüge und verfluchte mich als einen ungläubigen Hund, der einen christlichen Häuptling verleumdet habe. Er drohte mir mit dem Hängen. Ich rief, daß er Boten nach unserem Quartiere senden möge, um die Wahrheit zu erforschen, ehe er mich tödte. Er befahl einem Krieger, hierher mit mir zurückzukehren. Als wir herkamen, war der allerchristlichste Anführer nirgends zu sehen —— kein Mensch wußte, wohin er gegangen sei. Wir gingen wieder nach dem Zelte des Königs zurück, sein Soldat, den er ehrte, sprach zu ihm dieselben Worte, wie der Hunne, den er verachtete, da erhob sich Alarich grimmig. —— Noch diese Nacht, rief er, gebot ich ihm mit meinen eignen Lippen, meine Befehle mit Wachsmkeit an seinem angewiesenen Posten zu erwarten. Ich würde solchen Ungehorsam an meinem eignen Sohne bestrafen. Geh, nimm Andere von Deiner Schaar mit, —— Dein Kamerad, der ihm gefolgt ist, wird Euch zu seinem Versteck führen —— bringe ihn gefangen in mein Zelt! —— Dies waren seine Worte. Unsere Kameraden warten draußen auf uns —— laß uns ohne Säumen ausbrechen, damit er uns nicht entgehe.«

»Und wenn er uns Widerstand leisten sollte!« rief der Andere, indem er eilig auf die Thüre zuschritt, »was sagte der König, wenn er uns Widerstand leisten sollte?«

»Erschlagt ihn mit Euren eignen Händen!«



Kapiteltrenner

Kapitel V.
Das Bauernhaus.

Je weiter die Nacht vorrückte, desto stärker wurde der Sturm. Im Freien war seine Heftigkeit am deutlichsten erkennbar. Hier drangen keine lebenden Stimmen mit dem Grollen der Elemente, keine Fackelflammen kämpften mit der tiefen Finsterniß oder ahmten die grellen Blitze nach. Der Donner spielte ununterbrochen seine Sturmsymphonie und die Windsbraut begleitete ihn zu wilder Harmonie anschwellend, wenn sie durch die Bäume brauste, als ob sie in deren rauschenden Zweigen die Saiten einer mächtigen Harfe anschlüge.

In dem kleinen Zimmer des Bauernhauses saßen Hermanrich und Antonina beisammen und lauschten in sprachloser Aufmerksamkeit dem zunehmenden Aufruhr des Sturmes.

Das Zimmer und die darin Befindlichen wurden nur halb durch die Flamme eines glimmenden Holzfeuers erleuchtet. Die kleine irdene Lampe hing an ihrem gewöhnlichen Platze von der Decke herab, aber ihr Oel war erschöpft und ihr Licht erloschen. Eine Schüssel mit Obst lag zerbrochen neben dem Tische, von welchem sie unbeachtet auf den Boden herabgestürzt war. Sonst waren in dem Zimmer keine weiteren Verzierungen oder Hausrathgegenstände zu sehen. Hermanrichs niedergeschlagenen Augen und trüben Züge verriethen die düstere Zerstreuung, in welche er versunken war. Mit der einen Hand die seine umfassend und die andere mit ihrem Kopfe auf seine Schulter gelegt, lauschte Antonina aufmerksam dem abwechselnden Steigen und Fallen des Windes. Ihre Schönheit war während ihres Aufenthaltes in dem Bauernhause frischer und frauenhafter geworden. Heiterkeit und Hoffnung schienen endlich den vollen Antheil an ihrem Wesen erlangt zu haben, welchen ihnen bei ihrer Geburt die Natur angewiesen hatte.

Selbst in diesem Augenblicke des Sturmes und der Finsterniß lag in ihrem Ausdruck mehr Verwunderung und Ehrfurcht, als Aufregung und Schrecken, während sie mit erröthender Wange und leuchtendem Auge auf die Fortschritte des Sturmes lauschte.

So von ihren Gedanken erfüllt, saßen Hermanrich und Antonina in ihrem kleinem Gemache schweigend beisammen, bis die Träumereien Beider plötzlich durch das Zerbrechen des hölzernen Riegels unterbrochen wurden, welcher die Thür des Zimmers verschloß und deren Drängen in den wiederholten Windstößen das vermoderte Holz nicht mehr zu ertragen vermochte. Es lag etwas unaussprechlich Trauriges in der Fluth von Regen, Wind und Finsterniß, welche sich augenblicklich durch die offene Thür zu ergießen schien, als dieselbe heftig in ihren morschen Angeln zurückflog.

Antonina erbleichte und zitterte unwillkürlich, als Hermanrich hastig aufstand und die Thür wieder schloß, indem er die Klinke aus der Schlinge losmachte, welche sie hielt, wenn sie nicht benutzt wurde. Er sah sich hierbei im Zimmer um, ob er nicht einen Ersatz für den zerbrochenen Riegel finden könne, aber sein Auge begegnete keinem zu diesem Zwecke geeigneten Gegenstande und er murmelte unmuthig, auf seinen Sitz zurückkehrend:

»So lange wir hier sind, um sie zu beobachten, reicht die Klinke aus, sie ist neu und fest.«

Er schien wieder in seinen früheren Trübsinn versinken zu wollen, als die Stimme Antoninens seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und ihn für den Augenblick aus seinen Gedanken erweckte.

»Steht es in der Macht des Sturmes, Dich, einen Krieger aus einem Heldengeschlecht, so betrübt und traurig zu machen?« fragte sie mit Tönen sanften Vorwurfs, »selbst ich kann, wenn ich auf diese Wände blicke, die mein Glück so beredt verkünden. und neben Dir sitze, dessen Gegenwart dieses Glück bildet, dem brausenden Sturme lauschen, ohne mein Herz bedrückt zu fühlen. Was liegt in dem Sturme für Dich oder mich, daß er uns mit Trübsinn belasten sollte, kommt nicht der Donner der Winternacht von demselben Himmel, wie der Sonnenschein des Sommertages? Du bist so jung, so großmüthig, so tapfer, Du hast mich geliebt und bemitleidet und mir beigestanden —— warum sollte also die nächtliche Sprache des Himmels solche Trauer und solches Schweigen über Dich werfen?«

»Ich bin nicht aus Trübsinn schweigsam,« antwortete Hermanrich mit erzwungenem Lächeln, »sondern aus Ermüdung vom vielen Arbeiten im Lager.« Er erstickte bei diesen Worten einen Seufzer. Sein Kopf kehrte in seine alte gesenkte Lage zurück. Der Kampf zwischen seiner angenommenen Sorglosigkeit und seiner wahren Unruhe war offenbar ein ungleicher. Das Mädchen blickte ihn fest mit dem wachsamen Auge der Liebe an und ihr Gesicht trübte sich mit dem seinen. Sie schmiegte sich enger an seine Seite und sprach mit ängstlichen, bittenden Tönen weiter:

»Ist es vielleicht der Kampf zwischen unsern beiden Nationen, der uns bereits getrennt hat und uns wieder trennen kann, welcher Dich so bedrückt?«. sagte sie; »aber denke, wie ich, an den Frieden, welcher kommen muß, und nicht an den Krieg, der jetzt vorhanden ist. Denke an die Freuden unserer früheren Tage und das Glück unserer gegenwärtigen Augenblicke, wo wir so vereint und liebend, so für einander lebend und hoffend, und Du wirst dann, gleich mir, nicht mehr an der sich für uns Beide vorbereitenden Zukunft zweifeln.

Die Zeit der Ruhe kehrt vielleicht mit dem Frühling zurück. Der heitere Himmel wird dann auf ein ruhiges Land und ein glückliches Volk herableuchten und wird es dann in jenen Tagen des Sonnenscheins und Friedens unter dem ganzen frohen Volke freudigere Herzen geben, als die unseren?«

Sie schwieg einen Augenblick. Ein plötzlicher Gedanke oder eine in ihr aufsteigende Erinnerung ließ sie erröthen und zaudern, ehe sie weiter sprach. Endlich wollte sie fortfahren, als ein lauterer Donnerschlag als alle ihm vorhergegangenen, drohend über dem Hause dahinrollte und die ersten Töne ihrer Stimme erstickte. Der Wind ächzte laut, der Regen plätscherte gegen die Thüre, die Klinke klapperte lange und scharf in ihrer Befestigung. Hermanrich stand wieder auf, trat an das Feuer und legte ein frisches Scheit auf die verglimmenden Kohlen. Seine Niedergeschlagenheit schien sich jetzt Antoninen mitgetheilt zu haben und als er sich von Neuem neben ihr hinsetzte, redete sie ihn nicht wieder an.

Im Geiste des Gothen erhoben sich traurigere und schmerzlichere Gedanken als alle die ihn noch beschäftigt hatten. Seine Unruhe in dem Vorstadtquartiere war im Vergleich mit der Düsterheit, welche ihn jetzt bedrückte, die Ruhe selbst. Alle Pflichten seiner Nation, seiner Familie und seines Berufes, denen er ausgewichen war, alle unterdrückten Erinnerungen an die kriegerischen Beschäftigungen, die er gering geschätzt, und die kriegerische Feindseligkeit, welcher er entsagt hatte, belebten sich jetzt rächend in seinem Gedächtnisse von Neuem. So lebhaft aber auch diese Erinnerungen waren, schwächten sie doch keines von den Gefühlen leidenschaftlicher Hingebung gegen Antoninen, durch welche ihr Einfluß in seinem Innern bisher unterdrückt worden war. Sie existierten neben ihnen —— die alten Erinnerungen neben den neuen Empfindungen —— der strenge Tadel, der Natur des Kriegers mit den besorgten Ahnungen des Herzens des Liebenden. Und jetzt begann seine räthselhafte Begegnung mit Ulpius, Goiswinthens unerwartete Genesung und das dumpfe Aufsteigen und der wüthende Ausbruch des nächtlichen Sturmes auf seinen abergläubischen Geist den Eindruck einer Reihe ungewöhnlicher, bedeutsamer Vorfälle zu machen, die dazu bestimmt waren, die Unglück weissagende Rückkehr des Einflusses seiner Verwandten auf seine Handlungen und Antoninens Schicksal zu bezeichnen.

Mit bis in’s Einzelnste gehender Ausführlichkeit belebte sein Gedächtniß von Neuem jeden Umstand, der seine verschiedenen Zusammenkünfte mit dem römischen Mädchen begleitet hatte, von der ersten Nacht, wo sie sich in sein Zelt verirrt, bis zu dem letzten glücklichen Abend, den er mit ihr in dem verlassenen Bauernhause zugebracht hatte. Hierauf verfolgte er den Lauf seiner Existenz weiter rückwärts und stellte sich sein Zusammentreffen mit Goiswinthen in den italienischen Alpen, seine Anwesenheit bei dem Tode ihres letzten Kindes und sein feierliches Versprechen vor, sie mit seinen eignen Händen an den Römern zu rächen, nachdem sie ihm das Blutbad von Aquileja erzählt hatte. Durch diese einander entgegengesetzten Bilder der Vergangenheit erweckt, bevölkerte seine Phantasie die Zukunft mit Vorstellungen von neuen Gefahren, Bekümmernissen und Verstoßungen Antoninens, mit Visionen von dem ungeduldigen Heere, welches endlich, zu wilder Thätigleit angespornt, das römische Volk gänzlich niedermetzelte und ihn auf ewig wieder in seine rächenden Reihen zurückzukehren zwang. Er konnte weder zu einem Entschlusse des Widerstandes, noch zur Ergebung in die Flucht gelangen, Ungewißheit, Verzweiflung und Besorgniß übten eine ungehinderte Herrschaft auf seine leicht erregbaren, aber trägen Geisteskräfte. Die Nacht selbst war, als er in sie hinausblickte, nicht finsteren; der wilde Donner, welchen er hörte, nicht grausiger, der Name Goiswinthens, wenn er an sie dachte, nicht Unheil verkündender, als die finsteren Visionen, welche jetzt seine Phantasie durchzogen und seinen müden Geist bedrückten.

In der Lage Hermanrichs und Antoninens, wie sie so als die einzigen Glieder ihrer Nationen, welche in Liebe und Frieden verbunden waren, in dem einsamen Bauernhause dasaßen, lag etwas unbeschreiblich Einsames, Rührendes und Beredetes. Beide Hände des Mädchens waren auf Hermanrichs Schulter gefaltet und ihr Kopf ruhte auf ihnen, von der Thür des Zimmers gewendet, und ließ so ihr volles, schwarzes Haar in aller seiner Ueppigkeit erblicken. Der Kopf des Gothen war immer noch auf seine Brust: gesunken, als ob er in tiefen Schlaf gehüllt sei, und seine Hände ruhten nachlässig neben einander auf der Scheide seines auf seinen Knieen liegenden Schwertes. Das Feuer flackerte nur in Zwischenräumen in die Höhe, da der frische Klotz, welchen er darauf gelegt hatte, noch nicht vollkommen angebrannt war. Zuweilen spielte das Licht auf dem glänzenden Harnisch Hermanrichs, den dieser abgenommen und neben sich auf den Boden gelegt hatte, zuweilen auf seinem Schwerte und den darauf ruhenden Händen, aber es war nicht kräftig oder dauernd genug, um das Zimmer zu erhellen, dessen Wände und Ecken es in fast völliger Finsterniß ließ.

Der Donner rollte immer noch, aber Regen und Wind hatten sich theilweise gelegt. Die Stunden der Nacht waren schneller vorwärts gegangen, als unsere Erzählung von den dieselben ausfüllenden Ereignissen.

Es war jetzt Mitternacht.

Aus dem Zimmer drang kein Ton zu Antoninens Ohren, als das scharfe Klappern der Thürklinke, welche von dem Winde in ihrer Befestigung erschüttert wurde. Sie ließ ihre klirrenden Töne so regelmäßig vernehmen, als würde sie von den fortschreitenden Augenblicken bewegt, und hielts mit ihnen Schritt. Allmälig bemerkte das Mädchen, daß sie auf diesen scharfen, mißtönigen Klang mit aller Aufmerksamkeit horchte, welche sie zu andern Zeiten dem Rieseln eines fernen Wassers oder den beschwichtigenden Harmonieen einer Laute geschenkt haben würde; plötzlich aber, gerade als es sich ihren Sinnen am ruhigsten zu fügen schien, hörte es auf und im nächsten Augenblicke wehte ihr ein Windstoß, gleich demjenigen, welcher durch die offene Thür gekommen war, als der morsche Riegel derselben brach, das Haar über ihr Gesicht weg und bewegte die Falten ihres leichten, lockeren Kleides. Sie erhob den Kopf und flüsterte Hermanrich bebend zu:

»Die Thür ist wieder offen —— der Riegel ist gewichen!«

Der Gothe schrak aus seinen Träumen auf und blickte hastig in die Höhe. In diesem Augenblicke begann das Klappern der Klinke eben so plötzlich wieder, als es aufgehört hatte, und die Luft des Zimmers nahm ihre frühere Stille wieder an.

»Beruhige Dich, Geliebte,« sagte Hermanrich sanft; »Deine Phantasie hat Dich getäuscht —— die Thür ist wohl verwahrt.«

Er strich ihr bei diesen Worten liebkosend das Haar aus dem Gesichte. Unfähig, das geringste von seinen Lippen fallende Wort zu bezweifeln, und keinen verdächtigen und ungewöhnlichen Ton im Zimmer vernehmend, machte sie keinen Versuch, ihren Verdacht zu rechtfertigen. Als sie wieder die Hand auf seine Schulter legte, beängstigte eine unbestimmte Befürchtung ihr Herz und entlockte ihr einen unwillkürlichen Seufzer, aber sie verlieh ihrer Besorgniß keinen Ausdruck in Worten. Nachdem der Gothe noch einen Augenblick gelauscht hatte, um sich zu überzeugen, daß die Klinke wirklich gehörig verwahrt sei, nahm er unmerklich wieder die Betrachtungen auf, aus welchen er gestört worden war, von Neuem senkte sich sein Kopf, von Neuem kehrten seine Hände mechanisch in ihre frühere, gleichgültige Lage neben einander auf der Scheide seines Schwertes zurück.

Die schwache, flackernde Flamme stieg und sank immer noch, die Klinke klapperte scharf in ihrer Dille, der Donner ließ immer noch sein mürrisches Rollen vernehmen, aber der Wind legte sich jetzt zu schwächeren Stößen und der Regen begann leiser und immer leiser an die Fensterläden zu schlagen. Für die in dem Bauernhause Wachenden hatte sich, was das Auge betras, nichts, und was das Ohr anlangte, nur wenig verändert. Verderbliche Sicherheit!

Die letzten wenigen Minuten hatten ihr künftiges Geschick verderblich bestimmt, —— sie waren in ihrem geliebten Zufluchtsorte jetzt nicht mehr allein.

Sie hörten keinen leisen Schritt um ihre Wohnung schleichen, sie sahen kein blitzendes Auge durch eine Ritze der Fensterläden in das Innere des Zimmers spähen, sie bemerkten keine dunkle, durch die leise und schnell geöffnete Thür in den finstersten Winkel des Zimmers gleitende Gestalt. Während sie jetzt neben einander saßen und ihre jungen, traurigen Herzen stumm mit einander verkehrten, stand jedoch die drohende Gestalt Goiswinthens, in ihre Verwandte Finsterniß gehüllt, unter ihrem schützenden Dache und in ihrem geliebten Dache, still und stumm fast dicht neben ihnen.

Wiewohl die Gluth ihres Fiebers wieder in ihren Adern gewüthet, wiewohl erschreckende Visionen der Mordthaten von Aquileja blitzähnlich vor ihren Augen gezuckt hatten, war sie doch durch die Vorstädte und auf der Landstraße und den schmalen Pfad zur Thür des Bauernhauses hinab, ohne sich nur ein einziges Mal zu verirren oder zu zaudern, geeilt. Achtlos gegen die Finsterniß und den Sturm war sie um das Haus geschlichen, hatte die Klinke erhoben, auf einen lauten Donnerschlag gewartet, ehe sie durch die Thür trat und sich gespenstergleich in den dunkelsten Winkel des Zimmers geschlichen, wobei sie eine Geduld und Entschlossenheit entwickelte, die sich durch nichts stören ließ. Und jetzt, wo sie am Ziele ihrer schlimmsten Wünsche stand, selbst jetzt, wo sie auf die beiden Wesen hinabblickte, die ihre Absichten vereitelt und sie betrogen hatten, verließ sie ihre wilde Fassung nicht, ihre Lippen bebten über ihren verbissenen Zähnen, ihr Busen pochte über ihren durchnäßten Gewändern, aber sie ließ sich weder Seufzer noch Flüche, noch selbst ein Lächeln des Triumphes oder eine Bewegung des Zornes entschlüpfen.

Sie warf keinen Blick auf Antonina. Ihre Augen schweiften keinen Moment von Hermanrich’s Gestalt hinweg. Dem vorübergehendsten, schwächsten Feuerscheine, welcher auf demselben spielte, folgte ihr begieriger Blick eben so schnell, wie jener selbst. Bald heftete sich ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf seine über der Scheide seines Schwertes liegenden Hände und dann erhob sich langsam und dunkel ein neuer verderben schwangerer Entschluß in ihrem Innern. Die sich auf ihrem Gesichte abzeichnendem verschiedenartigen Bewegungen lösten sich in einen boshaften Ausdruck auf, und ohne die Augen von dem Gothen zu verwenden, zog sie langsam aus den Busenfalten ihres Gewandes, ein langes, scharfes Messer.

Das Feuer zitterte abwechselnd hell auf und versank wieder in Dunkelheit wie anfänglich. Hermanrich und Antonina verharrten von ihren Gedanken und sich selbst erfüllt, in ihrer früheren Lage und Goiswintha blieb unbeweglich mit dem Messer in der Hand wachsam, fest, stumm wie bisher stehen.

Aber unter der Hülle ihrer äußerlichen Ruhe wüthete ein Kampf, in dem sich ihr Geist verdunkelte und ihr Herz zuckte. Zweimal brachte sie das Messer in seinen früheren Versteck zurück und zweimal zog sie es wieder hervor. Ihre Wangen wurden bleicher und bleicher, sie preßte ihre geballte Hand convulsivisch auf ihren Busen und lehnte sich matt an die Wand hinter ihr.

An diesem Kampfe geheimer Bewegungen hatte kein Gedanke an Antoninen Theil, ihr Grimm hatte zu viel Schmerzliches an sich, um Zorn gegen einen Fremden und Feind sein zu können.

Nach wenigen Augenblicken war ihre Kraft zurückgekehrt, ihre Festigkeit gestählt Die letzten Spuren des Kummers und der Verzweiflung, die sich bisher in ihren Augen gezeigt hatten, verschwanden plötzlich aus denselben. Grimm, Rache, Grausamkeit glühten in ihnen, als sie leise bis dicht zu dem Gothen heranschlich und als der nächste Schimmer des Feuers auf ihn spielte, das Messer scharf über die Rückseite seiner beiden Hände zog. Der Schnitt war richtig geführt, kräftig und schnell er theilte die Sehnen von der ersten bis zur letzten der Gothe war auf lebenslang verkrüppelt.

In diesem Augenblicke hatte das Feuer das Herz des darauf gelegten Klotzes ergriffen, er prasselte munter, er loderte hell auf. Das ganze Zimmer war glänzend erleuchtet.

Das warme heitere Licht zeigte dem Gothen die Gestalt derjenigen, welche ihn verstümmelt hatte, ehe noch der erste Schrei der Pein auf seinen Lippen erstorben, ehe noch das erste Zacken ununterdrückbaren Entsetzens in seinem Körper vorüber war. Das Geschrei seiner unglücklichen Gefährtin als die ganze Scene der Rache, Verrätherei und Verstümmelung in einem furchtbaren Augenblicke vor ihr vorüber blitzte, schien nicht einmal seine Ohren zu erreichen. Einmal blickte er auf seine hilflosen Hände nieder, als das Schwert schwer aus denselben auf den Boden rollte, dann haftete sein Blick unbeweglich auf Goiswinthen, die in geringer Entfernung von ihm, mit ihrem blutigen Messer, eben so stumm wie er selbst dastand.

In seinen Zügen war, als er jetzt auf sie blickte, keine Muth, kein Trotz, nicht einmal die vorübergehende Verzerrung physischer Leiden zu erblicken, als er sie so anschaute; starres Entsetzen —— thränenlose, stumme, hilflose Verzweiflung schien den Ausdruck seines Gesichts in eine ewige unjugendliche, hoffnungslose Form gepreßt zu haben, als ob er von Kindheit auf eingekerkert gewesen wäre und eine Stimme ihm jetzt von den Gittern seiner Kerkermauern aus die Freuden der Freiheit vorhalte. Selbst als Antonina, aus ihrer ersten Schmerzensqual erwachend, ihre convulsischen Küsse auf seine kalte Wange drückte und ihn anflehte, sie anzuschauen, wendete er weder den Kopf von Goiswinthens Gestalt ab, noch lenkte er selbst seine Augen von ihr hinweg.

Endlich wurden die tiefen festen Töne der Stimme des Weibes in dem öden Schweigen hörbar.

»Ein Verräther in Wort und Gedanken magst Du noch sein —— aber ein Verräther in Thaten zu sein, hast Du für immer aufgehört!« begann sie mit ihrem Messer aus seine Hände deutend. »Die Hände, welche ein römisches Leben beschützt haben, sollen nie ein römisches Schwert halten, nie wieder durch ihre Berührung eine gothische Waffe beflecken! Ich erinnerte mich, als ich Dich in, der Finsterniß beobachtete, wie die Frauen meines Stammes einst ihre feigen Krieger bestraften, wenn sie von einer Niederlage zu ihnen flohen —— so habe ich Dich bestraft! Der Arm, der nicht der Sache der Schwester und ihrer Kinder —— des Königs und des Volkes gedient hat, soll keiner andern dienen. Ich bin jetzt, wo ich mich an Dir gerächt habe, schon halb für die Morde von Aquileja gerächt. Geh, fliehe mit der Römerin, die Du Dir ausgewählt hast, nach der Stadt ihres Volkes. Dein Leben als Krieger ist zu Ende.«

Er gab ihr keine Antwort, —— es gibt Empfindungen —— die letzten eines Lebens —— die von der Natur die stärksten Schranken hinwegreißen, welche die Gewohnheit aufgerichtet hat, um sie zu unterdrücken, die die verborgene Existenz des ersten rohen Socialgefühls der ursprünglichen Tage einer großen Nation in der Brust ihrer fernsten Nachkömmlinge verrathen, wie weit sie auch durch ihre Kenntnisse, ihr Glück und ihre Veränderungen moralisch von ihren Vorfahren getrennt zu sein scheinen mögen. Dies waren die Empfindungen, welche jetzt in dem Herzen des Gothen erwachten.

Sein Christenthum, seine Liebe, das Bewußtsein hoher Bestrebungen und seine Erfahrung neuer Ideen versanken und verließen ihn, als ob er sie nie gekannt habe. Er dachte an seine gelähmten Hände und in seinem Innern regte sich kein anderer Geist, als der alte gothische, früherer Jahrhunderte, der seiner Nation ihre ersten nordischen Gesänge und nordischen Thaten eingab, der des Ruhmes, des Muthes, der Herrschaft und der Oberherrlichkeit der Kraft.

Umsonst sehnte sich Antonina in der Verzweiflung, welche sich ihrer bemächtigt hatte, nach einem Worte von seinen Lippen oder einem Blicke aus seinen Augen, umsonst stillten ihre zitternden Finger, nachdem sie ihr Kleid zerrissen, um Bandagen daraus zu machen, das Blut seiner verwundeten Hände, umsonst rief ihm ihre Stimme zu, daß er fliehen und von seinen Kameraden im Lager Hilfe herbeirufen möge —— sein Geist war in weiter Ferne bei den Legenden von den Schlachtfeldern seiner Vorfahren und erinnerte sich, wie sie sich selbst am Tage des Sieges tödteten, wenn sie in der Schlacht gelähmt worden waren, wie sie es verschmähten zu andern Zwecken als denen des Kampfes zu leben, wie sie Verräther verstümmeltem wie Goiswintha ihn verstümmelt hatte!

Dies waren die Gegenstände, welche seine inneren Fähigkeiten gefesselt hielten, während seine äußern Sinne noch von dem furchtbaren Zauber umstrickt waren, welcher für ihn in der Gegenwart seiner Lähmerin neben ihm bestand. Sogar das Bewußtsein des Lebens schien aufgehört zu haben, obgleich er athmete und sich bewegte.

»Du dachtest mich in meiner Krankheit zu betrügen, Du hofftest von meinem Tode Vortheil zu ziehen,« fuhr Goiswintha fort, indem sie verächtlich den Blick ihres Opfers erwiderte. »Du vertrautest auf die Nacht und die Dunkelheit und den Sturm —— Du warst sicher in Deiner Kühnheit, in Deiner Kraft, in dem Geheimnisse dieses Verstecks, den Du für Deinen Verrath gewählt hast, aber Deine List und Deine Erwartungen sind fehlgeschlagen! In Aquileja habe ich gelernt, eben so listig und wachsam zu sein, wie Du! Ich habe entdeckt, daß Du die Krieger und das Lager verließest, ich bin bis zu Deinem Verstecke gedrungen, ich bin eben so leise in dasselbe getreten, wie ich einst das Haus verließ, wo meine Kinder getödtet worden waren.

»In meiner gerechten Rache habe ich Dich eben so verrätherisch behandelt, wie Du mich behandelt haben würdest. Erinnere Dich Deines ermordeten Schwagers, erinnere Dich des Kindes, das ich verwundet in Deine Arme gelegt und todt aus ihnen empfangen habe, erinnere Dich Deiner gebrochenen Eide und vergessenen Versprechungen, und gewähre Deinem Volke, Deinen Pflichten und mir die Vergütung, die einzige und letzte Vergütung, welche ich noch in Deiner Macht gelassen habe —— die Vergütung durch den Tod.«

Von Neuem schwieg sie, aber wieder wurde ihr keine Antwort zu Theil. Der Gothe bewegte sich weder noch sprach er und Antonina, die, ohne es selbst zu wissen, auf dem jetzt für ihn auf ewig unbrauchbaren Schwerte kniete, fuhr fort das Blut an seinen Händen mit einem mechanischen Eifer zu stillen, welcher die Betrachtung jedes andern Gegenstandes von ihren Augen auszuschließen schien. Die Thränen strömten unablässig über ihre Wangen herab, aber sie wendete sich nie zu Goiswinthen, ließ nie in ihrer Beschäftigung nach.

Unterdessen loderte das Feuer immer noch prasselnd auf dem warmen, hellen Heerde, aber der Sturm ließ schnell nach, als verschmähe er das Amt, die menschlichen Schrecken der Seene im Bauernhause zu erhöhen. Der Donner rollte weniger häufig und weniger laut, der Wind sank zu Zwischenräumen geräuschloser Stille herab und von Zeit zu Zeit ergoß sich der Mondschein durch die zerrissenen Ränder der sich schnell zerstreuenden Wolken. Der Hauch des stillen Morgens zog bereits über das Firmament der stürmischen Nacht.

»Besitzt das Leben noch seinen alten Zauber für Dich?« fuhr Goiswintha in Tönen mitleidlosen Vorwurfs fort: »hast Du mit dem Muthe Deines Volkes den Zweck vergessen, für welchen Deine Vorfahren lebten? Liegt nicht das Schwert zu Deinen Füßen? Ist nicht das Messer in meiner Hand? Bieten Dir nicht die Wellen des dort der See zuströmenden Tiber das Grab der Vergessenheit, welches Alle suchen können? Stirb also! sei in Deiner letzten Stunde ein Gothe, selbst für die Römer bist Du jetzt werthlos. Schon haben Deine Kameraden Deine Desertion entdeckt —— willst Du warten bist Du als Rebell gehängt wirst? Willst Du leben, um die Gnade Deiner Feinde anzuflehen, oder entehrt und hilflos zu entrinnen versuchen. Du gehörst zu dem Blute meiner Familie, aber nochmals sage ich Dir, stirb!«

Seine bleichen Lippen bebten, er sah sich zum ersten Male nach Antoninen um, aber seine Stimme kämpfte auch jetzt vergebens gegen die Verzweiflung. Er schwieg.

Goiswintha wendete sich geringschätzig von ihm ab, näherte sich dem Feuer und setzte sich vor demselben nieder, indem sie ihr hageres Gesicht über die schimmern den Flammen beugte. Einige Minuten lang blieb sie in ihre schlimmen Gedanken versunken, aber es entfloh ihr kein artikulierter Laut und als sie endlich das Schweigen wieder plötzlich unterbrach, geschah es nicht, um den Gothen anzureden, oder ihre Augen wie früher aus ihn zu heften.

Immer noch über das Feuer gebeugt, dem Anscheine nach für die Gegenwart der beiden Wesen, deren Glück sie jetzt auf ewig vernichtet hatte, so achtlos, als ob sie nie existirt hätten, begann siein feierlichen, gemessenen, singenden Tönen eine Legende aus dem dunkelsten, frühesten Zeitalter der gothischen Geschichte zu recitiren, wobei sie mit dem Messer, welches sie noch in der Hand hielt, den Takt dazu schlug. Die Bosheit ihres Ausdruckes verrieth, während sie ihre Beschäftigung fortsetzte, den herzlosen Zweck, welchen sie dabei hatte, fast eben so beredet, als die Worte des Liedes, welches sie jetzt sprach:

»Die Schwingen des Sturmgotts den Himmel umzieh’n,
»Die Wellen vor dem Sturme flieh’n
Und Odins Säle erzittern vom Schwall
Der brausenden Wogen am Felsenwall,
Allein auf den klippigen Küstenhöh’n
Siehst Du bei Jung Agnar Sionen steh’n.
Von Thränen benetzt ist des Mädchens Gesicht,
Wie leise die Stimme des Helden spricht.

»Schlimmer noch, als wenn gefallen
Ich im wilden Kampfe wär’,
Schwach, gelähmt, kann ich vor Allem
Nie mehr ziehen mit dem Heer.
Mit der Schlacht die heut’ gewonnen,
Agnars Leben ist verronnen.

»Will der Leib vor Schwache beben,
Wenn Du sollst zum Kampfe zieh’n,
Wenn der Arm nicht mehr Dein Leben
Schützen kann im blut’gen Müh’n,
Wenn die Hand nicht mehr beim Ringen
Kann das schneid’ge Schlachtschwert schwingen,
Dann ist’s schmachvoll, fort zu leben,
Dann mußt Du den Tod Dir geben.
Dies ist Odins mäch'ger Wille,
Den ich heute noch erfülle.«

Bei dieser Stelle hielt sie inne, und wendete sich plötzlich zu Hermanrich, um die Wirkung, welche das Lied auf ihn machte, zu beobachten. Die ganze entsetzliche Anwendbarkeit desselben auf ihn zuckte durch sein Herz. Der Kopf sank ihm auf die Brust und ein leises Stöhnen rang sich von seinen Lippen. Aber selbst dieser Beweis des Leidens, welches sie ihm auferlegte, vermochte die eiserne Bösartigkeit Goiswitithens nicht zu erschüttern.

»Erinnerst Du Dich des Todes Agnars?« rief sie. »Als Du ein Kind warst, sang ich Dich damit in den Schlaf und Du schworst, wenn Du es hörtest, daß Du, einst Mann geworden, wenn Du s eine Wunden erleiden solltest, seinen Tod sterben würdest. Er wurde beim Siege gelähmt, aber doch tödtete er sich am Tage seines Triumphes, —— Du bist in Deiner Verrätherei gelähmt worden und hast die Ehre Deiner Knabenzeit vergessen und willst in der Finsterniß Deiner Schmach leben. Hast Du die Erinnerung an das alte Lied verloren? Du hast es von mir am Morgen Deiner Jahre gehört, Du sollst es jetzt bis zu Ende hören, es ist das Trauerlied Deines nahen Todes.«

Sie fuhr fort:

»Klag’ nicht, denn dort, wohin ich geh’,
Fühlt Keiner mehr der Erde Weh!
Der Helden Schwerter lustig klirren,
Die Pfeile durch die Lüfte schwirren,
Die Wunde ungepflegt sich schließt,
Eh’ noch die Schlacht vorüber ist,
Jungfrau’n mit ewig grünen Kränzen
Den Helden goldnen Meth kredenzen.

»Doch denke nicht, daß unbewegt
Mein Schicksal mich von hinnen trägt.
In Dir verlier ich allzumal
Der ird’schen Freuden süße Zahl.

»Sieh’, die schwarzen Wolken zieh’n
Ueber’s Mondesantlitz hin;
Odins Helden warten hehr’
An dem erdumzieh’nden Meer,
Der Wellen Ruf ertönet hohl
Noch ein —— das letzte —— Lebewohl!

»Mit Lächeln stellt er sich zum Sprung,
Vom Felsen flog er mit Vogelschwung,
Laut brüllend das Meer seine Beute verschlang,
Allein stand das Mädchen am Klippenhang
Und die Geier sie, schrie’n um den Helden gut,
Der sie nun nicht mehr zum Leichenmahle lud.«

Als Goiswintha langsam und mit gemessenem Nachdruck die letzten Zeilen des Gedichtes sprach, trat sie wieder zu Hermanrich. Aber die Augen des Gothen suchten sie nicht mehr auf, sie hatte die Gefühle, welche sie zu erregen hoffte, zur Ruhe gebracht. Von der letzten Abtheilung ihrer Ballade hatte nur der Theil, welcher von Liebe sprach, die Aufmerksamkeit des gelähmten Kriegers erregt und die abgestumpften Gefühle seines Herzens erlangten, während er ihnen zuhörte, ihren früheren Adel wieder. Ein tiefernstes Gemisch von Liebe, Schmerz und Mitleid zeigte sich in dem Blicke, welchen er jetzt auf das verzweifelnde Gesicht des Mädchens lenkte. Jahre voll guter Gedanken, ein ganzes Leben liebevoller Fürsorge, eine Ewigkeit jugendlicher Hingebung sprachen aus diesen entzückten, momentanen, beredten Blicken und prägten seinen Zügen einen unaussprechlich schönen und ruhigen Charakter, —— einen Adel ein, der über dem Menschlichen stand und sich dem Engelhaften und Göttlichen näherte. Goiswintha folgte instinktmäßig der Richtung seiner Augen und blickte, gleich ihm, auf das Gesicht des Mädchens. Ein Ausdruck grimmigen Hasses trat an die, Stelle des Hohnes, welcher bis jetzt ihr leidenschaftliches Gesicht verzerrt hatte. Mechanisch zuckte ihre Hand wieder das Messer und die Töne ihrer zornerfüllten Stimme unterbrachen wieder das heilige Schweigen der Liebe und des Schmerzes. »Möchtest Du noch für das Mädchen dort leben?« rief sie finster; »mir ahnte es, Du Feigling, als ich Dich zuerst erblickte, —— ich war darauf gerüstet, als ich Dich verwundete! Ich machte mich sicher, daß, wenn mein Zorn wieder diese neue Beherrscherin Deiner Gedanken und Lenkerin Deiner Handlungen bedrohen sollte, Du die Macht verloren haben würdest, ihn nochmals von ihr abzulenken! Denkst Du, daß meine Rache an ihr aufgegeben ist, weil meine Geringschätzung sie verschoben hat! Schon lange habe ich Dir zugeschworen, daß sie sterben müsse, und ich werde an meinem Entschlusse festhalten! Dich habe ich bestraft, sie werde ich tödten! Kannst Du sie diese Nacht vor dem Streiche beschützen, wie Du sie in Deinem Zelte beschützt hast, Du bist vor mir schwächer als ein Kind.«

Sie hielt plötzlich inne, da in diesem Augenblicke das Geräusch herbeieilender Schritte und streitender Stimmen vor dem Hause laut wurde. Als sie es vernahm, vertrieb eine gespenstische Blasse die Zornröthe von ihrem Gesicht. Mit der Schnelligkeit der Furcht riß sie Hermanrich’s Schwert unter Antoninen hervor und schob es durch die Haspem welche zur Aufnahme des Thürriegels bestimmt waren. Im nächsten Augenblicke erschallten die Schritte auf dem Gartenwege und dann wurde an die Thür geschlagen.

Das gute Schwert hielt fest, aber die schwache Schranke, welche es aufrecht erhalten sollte, gab bei dem zweiten Stoße nach, und fiel zersplitternd in das Zimmer. Augenblicklich verdunkelte sich der Raum der Thür durch menschliche Gestalten und der Schein des Feuers beleuchtete die zurückstoßenden Gesichter zweier Hunnen, welche in voller Rüstung und mit entblößten Schwertern die Eindringenden anführten.

»Gieb Dich auf Alarich’s Befehl gefangen!« rief Einer von den Barbaren, »wenn Du nicht als Deserteur auf der Stelle umgebracht sein willst!«

Der Gothe war aufgesprungen, als die Thür eingebrochen wurde, die Ankunft seiner Verfolger schien ihm seine verlorene Energie wieder zu geben, ihn plötzlich von einem schweren Joche zu erlösen. Auf seinen festen Zügen schimmerten Triumph und Trotz, als er die Aufforderung des Hunnen hörte. Auf einen Augenblick beugte er sich zu Antoninen, die ohnmächtig an ihm hing, nieder. Sein Mund zuckte und sein Auge schimmerte, als er ihre kalte Wange küßte. In diesem Augenblicke stellte sich seinem Geiste die ganze Hoffnungslosigkeit seiner Lage, die ganze Werthlosigkeit seines verdorbenen Lebens, die ganze Schmach, welche ihn bei der Rückkehr nach dem Lager erwartete, vor. In diesem Augenblicke bestürmten ihn die schlimmsten Schrecken des Scheidens und Todes; die heftigsten Foltern der Liebe und Verzweiflung vermochten ihn jedoch nicht zu überwinden. In diesem Augenblicke zahlte er der Neigung den letzten Tribut und spannte zum letzten Male seinen Geist zu männlicher Unerschrockenheit und spartanischer Entschlossenheit an.

Im nächsten riß er sich aus den Armen des Mädchens, der alte Heldengeist seiner kriegerischen Nation erfüllten jeden Nerv seines Körpers, sein Auge erhellte sich wieder mit seinem verlorenen Heldenglanze, seine Glieder wurden fest, sein Gesicht war ruhig; er winkte die Hunnen mit gebieterischer Miene und verächtlichem Lächeln heran und, während er ihnen seine schutzlose Brust bot, war in seiner Stimme nicht das geringste Beben hörbar, als er mit herausforderndem Tone rief:

»Stoßt zu! ich ergehe mich nicht!«

Die Hunnen stürmten mit wildem Geschrei heran und begraben ihre Schwerter in seinem Körper. Sein warmes, junges Blut sprudelte auf den Fußboden des Hauses nieder, welches der Liebesaltar des dasselbe ausströmenden Herzens gewesen war. Ohne Seufzer, ohne Zucken auf seinem Gesicht sank er todt zu den Füßen seiner Feinde nieder, aller Muth seines Charakters, alle Milde seines Herzens. Alle Schönheit seiner Gestalt war in einem kurzen Augenblicke zu einer gefühllosen, bewegungslosen Masse aufgelöst.

Antonina erblickte den Mord, wurde aber mit dem Ausblicke des ihm folgenden Todes verschont, sie fiel bewußtlos neben ihrem jungen Krieger nieder, ihre Kleidung wurde mit seinem Blute bespritzt, ihre Gestalt war bewegungslos wie die seine.

»Laßt ihn hier verfaulen! Der Stolz auf seine Ueberlegenheit wird ihm jetzt nichts mehr helfen, nicht einmal zu einem Grabe!« rief der Hunne höhnisch seinem Genossen zu, als er sein dampfendes Schwert an den Gewändern der Leiche abtrocknete.

»Und dieses Weib?« fragte einer von seinen Kameraden, »soll es freigelassen oder festgenommen werden?«

Er deutete bei diesen Worten auf Goiswinthen.

Während der kurzen Mordscene schienen alle ihre Geistes- und Körperkräfte in Erstarrung gerathen zu sein, sie hatte kein Glied bewegt, kein Wort gesprochen.

Der Hunne erkannte sie als das Weib, welches ihn im Lager ausgefragt und bestochen hatte.

»Sie ist mit dem Verräther verwandt und ohne Urlaub von den Zelten abwesend,« antwortete er. »Führt sie gefangen zu Alarich; sie wird uns bezeugen, daß wir gehandelt haben, wie er es uns gebot. Was das Mädchen betrifft,« fuhr er fort, indem er auf das Blut blickte, womit Antoninens Kleid befleckt war und ihre Gestalt nachlässig mit seinem Fuße bewegte, »so wird das wohl auch todt sein, denn es bewegt sich weder, noch spricht es und kann, wie sein Beschützer, unbegraben liegen bleiben, wo es ist. Für uns ist es Zeit aufzubrechen, der König liebt den Verzug nicht.«

Als sie Goiswinthen rauh aus dem Hause führten, zuckte sie zusammen und versuchte, als sie an dem Leichnam des Gothen vorüberkam, auf einen Augenblick stehen zu bleiben. Der Tod, der eben so gut Feindschaft verlöschen, wie Liebe trennen kann, erhob sich furchtbar vor ihr, als sie den legten Blick auf ihren ermordeten Bruder warf. Aus ihren Augen floß keine Thräne, aus ihrer Brust drang kein Seufzer, aber ihr Herz durchzuckte ein letzter vorübergehender Kummer und Mitleidschmerz, als sie, während sie fortgezogen wurde, rief:

»Aquileja! Aquilejal Habe ich Dich darum überlebt!«

Die Soldaten entfernten sich. Einige Minuten lang herrschte ununterbrochenes Schweigen in dem Gemache, wo das bewußtlose Mädchen noch neben Allem was ihr von dem Gegenstande ihrer ersten Jugendliebe geblieben war, lag. Bald aber näherten sich der Thüre des Bauernhauses neue Schritte und zwei Gothen, die zu der den Hunnen gegebenen Escorte gehört hatten, traten zu der Leiche des jungen Häuptlings Sie hoben sie schnell und stumm auf ihre Schultern und trugen sie in den Garten. Dort scharrten sie mit ihren Schwertern eine seichte Grube in den frischen, blumengezierten Rasen, bedeckten die Leiche, nachdem sie dieselbe dort niedergelegt, hastig mit Erde und entfernten sich schnell, ohne nach dem Hause zurückzukehren.

Diese Männer hatten bei der unter Hermanrich’s Befehlen stehenden Abtheilung gedient. Der junge Häuptling hatte durch eine Menge von Beweisen der Großmuth und ihnen gewährten Aufmunterungen ihre rauhe Zuneigung erlangt. Sie betrauerten sein Schicksal, wagten es aber nicht, den Urtheilsspruch zu hemmen, noch sich der That, durch welche derselbe ausgeführt wurde, zu widersetzen. Auf ihre eigne Gefahr hatten sie insgeheim die sich entfernenden Reihen ihrer Kameraden verlassen, um das letzte Recht der Menschenliebe zu benutzen, und dem letzten Gebote derselben zu gehorchen, —— und sie dachten nicht an das einsame Mädchen, welches sie jetzt hilflos zurückließen, und eilten davon, um wieder ihre angewiesenen Plätze einzunehmen, ehe es zu spät war.

Der Rasen schmiegte sich liebkosend um die Gestalt des jungen Kriegers; seine zertretenen Blumen preßten sich mild an dessen kalte Wangen, der Duft des neuen Morgens wehte seinen reinen Wohlgeruch sanft um dessen einfaches Grab! Um ihn her blühten die zarten Pflanzen, welche Antoninens Hand gezogen hatte, um sein Auge zu erfreuen. Neben ihm stand das Haus, welches dem ersten und letzten Kusse, den er auf ihre Lippen gedrückt hatte, geheiligt war, und um ihn her erhoben sich auf allen Seiten Felder und Wälder, welche, nebst seinem Bilde, alle ihre theuersten Gedanken umfaßt hatten. Er lag in seinem Tode inmitten des Zauberkreises der schönsten Freuden seines Lebens! Es war für die irdischen Ueberbleibsel jenes heitern, edlen Geistes ein passenderer Begräbnißort, als die Grube auf dem blutigen Schlachtfelde oder die öden Gräber eines nordischen Landes!



Kapiteltrenner

Kapitel VI.
Der wiedergefundene Hüter.

Das frische Grab bleibt nicht lange unbewacht, der feierlichen Obhut der Einsamkeit und Nacht überlassen. Kaum sind einige Minuten, seit es gegraben ward, verflossen und schon drücken menschliche Tritte seine nachgiebige Oberfläche und ein menschlicher Blick forscht aufmerksam auf seinem kleinen einfachen Hügel umher. Aber es ist nicht Antonina, die er geliebt, es ist nicht Goiswintha, deren Rachsucht ihn eine Verderben gestürzt hat und die jetzt die Erde über der Leiche des jungen Kriegers betrachtet. Es ist ein Fremder und Auswürfling, es ist ein verlorener, entehrtet, sündiger Mann, es ist der einsame, aller Hoffnungen beraubte Ulpius, der jetzt mit gleichgültigen Augen den friedlichen Garten und das beredte Grab betrachtet.

In die Schicksale des Weh’s, welche die Nacht mit sich geführt hat, ist auch der Heide zu seinem Verderben eingeschlossen gewesen. Die Vernichtung, welche den Körper des jungen Mannes, der in der Erde lag, getroffen, hatte den Geist des alten Mannes, welcher auf seinem einfachen Grabe stand, ergriffen. Der Körper des Ulpius mit allen seinen Gebrechen war noch vorhanden, aber der von grausamer Geduld und unbesiegbarer Kühnheit erfüllte Geist, welcher ihn großartig in seinen Ruinen erhellt hatte, war verschwunden. Ueber die lange Qual seines schmerzerfüllten Lebens hatte sich für immer der Schleier des Vergessens seiner selbst gedeckt!

Er war von Alarich entlassen worden, aber nicht nach der Stadt zurückgekehrt, wie man ihm geboten hatte. Die Nacht hindurch war er in den einsamen Vorstädten umhergewandert und hatte unter geheimen entsetzlichen Leiden um die Herrschaft des Geistes gerungen. Dort entfaltete sich die Niederlage aller seiner Hoffnungen von deu Gothen schnell zur Niederlage des ganzen Geistes, welcher seine Bestrebungen erzeugt hatte. Dort hatte endlich die Vernunft die Bande gebrochen, durch welche sie so lange gefesselt, zu falschen Zwecken verwendet, entwürdigt worden war.

Und jetzt hatte er hierhin und dorthin wandernd, den hilflosen Körper, welcher nicht mehr Besitz des gefährlichen Geistes war, nach dem Garten des Bauernhauses geschleppt, in welchem er jetzt stand, und abwechselnd auf den umgeworfenen Rasen des Grabes des Häuptlings und den rothen Schein des Feuers blickte, welches durch die Oeffnung der gesprengten Thür aus dem öden Zimmer herüber leuchtete.

Seine Geistesfähigkeiten wären eher auf immer in Unordnung gerathen, als gänzlich vernichtet; sein Scharfsinn, seine Festigkeit und Schlauheit waren verschwunden, aber ein nutzloses und unlenkbares Ueberbleibsel des Gedächtnisses, eine gewisse Fähigkeit zu vorübergehenden Beobachtungen war ihm noch geblieben. Der schmähliche Umsturz seiner Hoffnungen in dem Zelte Alarich’s, welcher seine Geisteskräfte zu Boden geschmettert hatte, war ihm wie ein nie geschehenes Ereigniß verschwunden, aber er erinnerte sich noch an Bruchstücke seiner früheren Existenz, er bewahrte noch ein unbestimmtes Bewußtsein des Zweckes, welcher sein ganzes Leben beherrscht hatte.

Diese ungeborenen, unzusammenhängenden und ununterstützten Reflexionen schwebten vor seinem verfinsterten Geiste hin und her, wie leuchtende Ausdünstungen über einem Sumpfe, —— steigend und sinkend, harmlos und trügerisch, flackernd und unregelmäßig. Was er noch von der Vergangenheit wußte, daran erinnerte er sich gleichgültig und betrachtete es mit so bedeutungsleerer Neugier, als ob es das im Traume erblickte Schauspiel der Kämpfe und des Unglücks der Hoffnungen eines Andern sei, und handelte unter dem geheimnisvollen Einflusse desselben, dessen Ende und Grund zu entdecken er sich nicht kümmerte. Was die Zukunft betraf, so war sie ein vollkommen leerer Raum für seine Gedanken. Die Gegenwart war eine mißtönige Verbindung körperlicher Müdigkeit mit geistiger Ruhe.

Er zitterte, als er obdachlos unter freiem Himmel dastand. Die Kälte welcher er in den Gewölben der durchspaltenen Mauer Trotz geboten hatte, durch fröstelte in dem Garten des Bauernhauses seinen ganzen Körper. Seine Glieder, die auf dem schwierigen Gange von Rom nach dem Lager der Gothen der Müdigkeit widerstanden hatten, zitterten so, daß er sie auf dem Boden ausruhen lassen mußte. Eine kurze Zeit lang starrte er mit blöden erschreckten Augen auf das offene Gebäude vor ihm, als ob er sich in dasselbe zu treten sehne, aber es nicht wage. Endlich schien die Lockung des rothen Feuerscheines seine Unentschlossenheit zu besiegen, er erhob sich mit Mühe und trat langsam und zaudernd in das Haus.

Er war erst einige-Schritte weit mit leisem Diebsgange geschlichen, er hatte auf einen Augenblick die willkommene Wärme des Zimmers gefühlt, als sein Auge den Körper Antoninens, welcher immer noch bewußtlos auf der Erde lag, erblickte. Er näherte sich ihm mit eifriger Neugier, erhob das Mädchen in seinen Armen und blickte es mit langem strengen Forschen an.

Einige Augenblicke hindurch ging über seine Lippen, erschien auf seinem Gesichte kein Ausdruck des Wiedererkennens, während er mit einer mechanischen, kindlichen Gebärde der Zärtlichkeit ihr verwirrtes Haar auf der Stirn glättete. Während er so beschäftigt war, während die Ueberbleibsel seiner sanften Kindheit sich so entsetzlich im Wahnsinn seines Greisenalters neu belebten, fiel eine Musiksaite, die« um ein Stückchen vergoldeten Holzes gewunden war, aus ihrem Versteck am Busen des Mädchens. Er riß sie vom Boden auf —— es war das Bruchstück ihrer zerbrochenen Laute, welches sie seit der Nacht, wo sie in ihrem unschuldigen Schmerze, in ihrer jungfräulichen Kammer darüber weinte, nie verlassen hatte.

So klein und unbedeutend es auch war, berührte dieses geringfügige Erinnerungszeichen doch die Saite im Geiste des Heiden, welche die allberedte Gestalt und das Antlitz seiner unglücklichen Herrin nicht zu, erreichen vermocht hatte, sein Gedächtniß flog augenblicklich zu dem Garten aus dem Monte Pincio und seinen früheren Pflichten in Numerian’s Hause zurück, sagte ihm jedoch nichts von dem Unglück, welches er seit jener Zeit seinem vertrauensvollen Herrn bereitet hatte. Seine Phantasie zeigte ihm in diesem Augenblicke nur ein Bild, seine Dienstbarkeit im Hause des Christen und als er jetzt auf das Mädchen blickte, konnte er sich nur in dem Lichte ihres wiedergefundenen Hüters betrachten.

»Was thut sie hier mit ihrer Musik?« flüsterte er besorgt. »Dies ist nicht das Haus ihres Vaters und der Garten dort steht nicht auf der Höhe des Hügels.«

Als er neugierig im Zimmer umhersah, erregten plötzlich die rothen Flecken auf dem Boden seine Aufmerksamkeit. Er schien augenblicklich von einem panischen, wahnsinnigen Schrecken ergriffen zu werden. Er stand mit einem Entsetzensschrei auf und eilte mit dem Mädchen in seinem Arme zitternd und athemlos in den Garten hinaus, als ob ihn die Waffe eines Mörders aus dem Hause verscheucht habe.

Die Einwirkung ihrer rauhen Entfernung, der plötzliche Einfluß der frischen, kalten Luft brachte Antoninen wieder in’s Leben und Bewußtsein, als Ulpius, der sie nicht länger zu tragen vermochte, sie gegen den kleinen Erdhaufen legte, welcher das Grab des jungen Häuptlings bezeichnete, ihre Augen öffneten sich wild, ihr erster Blick heftete sich auf die zersprengte Thür und das leere Zimmer. Sie erhob sich vom Boden, that einige Schritte auf das Haus zu, blieb dann starr, athemlos, stumm stehen, wendete sich langsam um und betrachtete den ausgeworfenen Rasen. Das Grab verkündete beredt, wen es enthielt. Sein Harnisch, den die Soldaten mit dem Körper, welchen er in früheren Tagen vertheidigt, zu begraben gedacht hatten, war in der Eile seiner geheimen Beerdigung übersehen worden und lag theilweise mit Erde bedeckt, theilweise dem Anblicke freigegeben —— ein einfaches Denkmal auf einem einfachen Grabe da.

Ihre thränenlosen, weit offenen Augen blickten darauf nieder, als wollten sie jeden Grashalm, jede Erdscholle, womit es umgeben war, zählen. Ihr Haar wehte müssig um ihre Wangen, als es von dem leichten Winde bewegt wurde, über ihr Gesicht zog aber kein Ausdruck, ihre Glieder machten nicht die leiseste Bewegung. Ihr Geist rang und bebte, wie von einer feurigen Last zu Boden gedrückt, aber ihr Herz besaß keine Stimme, und ihr Körper war stumm.

Ulpius war unbemerkt neben ihr stehen geblieben. In diesem Augenblicke bewegte er sich so, daß er gerade vor sie zu stehen kam, und sie blickte plötzlich zu ihm auf. Ein momentaner Ausdruck der Verwirrung und des Argwohns durchhellte die schwere, dumpfe Verzweiflung, welche aus ihren Augen die natürliche weibliche Sanftmuth verscheucht hatte. Sie wendete sich von dem Heiden ab, knieete neben dem Grabe nieder und preßte Gesicht und Busen an den kleinen Rasenaufwurf unter ihr.

Keine Stimme tröstete, kein Arm liebkoste sie, als ihr Geist jetzt die Geheimnisse des Unglücks der langen Nacht zu durchdringen, ihre dunkelsten Tiefen zu erforschen begann. Ununterstützt und unerquickt knieete sie, während die wenigen verbleichenden Sterne von ihren Plätzen am Himmel auf sie herabflimmerten, während sich die erhabene Stille der ruhigen Natur um sie her ausbreitete, an dem Altar des Todes nieder und erhob ihre mit ihrem heiligen Opfer menschlichen Schmerzes beladene Seele zu dem großen Himmel über ihr!

So verharrte sie lange, und als sie sich endlich vom Boden erhob, als sie sich dem Heiden nähernd, ihre thränenlosen, traurigen Augen auf ihn heftete, zuckte er vor ihrem Blicke zusammen, während seine abgestumpften Geisteskräfte vergebens wagen, die frühere mittheilende Kraft, welche sie jetzt für immer verloren hatten, wieder zu erhalten.

Es lebte in seinem Innern weiter nichts mehr, als die Erinnerung, welche der erste Anblick des Lautenbruchstücks erweckt hatte und er flüsterte ihr mit leisem, bittendem Tone zu:

»Komm heim! komm heim! Dein Vater kann vor uns zurückkehren —— komm heim!«

Als die Worte »heim« und »Vater,« jene Penaten der frühesten Existenz des Herzens das Ohr des Mädchens berührten, zuckte mit elektrischer Plötzlichkeit eine Veränderung über das ganze Aeußere desselben.

Sie erhob ihre blassen Hände zum Himmel, ihre ganze weibliche Zärtlichkeit bemächtigte sich wieder ihres Herzens, und als sie nochmals auf dem Grabe niederknieete, stieg ihr Schluchzen hörbar durch die ruhige, duftige Luft auf.

Mit Hermanrich's Leiche unter ihr, mit dem blutbesprengten Zimmer hinter ihr, mit seinem feindlichen Heere und einer von Hungersnoth verwüsteten Stadt vor ihr, gelang es ihr nur durch einen Thränenstrom der heilenden Erleichterung des bedrückten Herzens, sich über die vervielfältigten Schrecken ihrer Lage gerade in dem Augenblicke zu erheben, wo ihre Geisteskräfte und ihr Leben denselben zu erliegen schienen. Sie weinte reichlich und bitterlich auf die liebevolle Muttererde, den geduldigen, freundlichen Boden, welcher einst die leichten Schritte des Ersten eines Geschlechts getragen hatte, das nicht zum Tode erschaffen ist; welcher jetzt in seinen schützenden Armen die Geliebten hält, welche wir dort trauernd zum Schlafe niederlegen, welcher noch bis in seine entferntesten Tiefen aufspringen wird, wenn die sonnenhellen Gestalten wiederkehrender Geister auf seine erneuerte Form herab scheinen und die Liebe in Engelvollkommenheit an dem Punkte wieder aufgenommen wird, wo sie der Tod in sterblicher Schwäche unterbrochen hatte.

»Komm heim! Dein Vater erwartet Dich, komm heim!« wiederholte der Heide, indem er sich langsam entfernte.

Beim Tone seiner Stimme schrak sie auf, Umfaßte seinen Arm mit ihren zitternden Fingern, um ihn zurückzuhalten, und blickte erschreckt in sein runzeliges, geistesleeres Gesicht auf. Jetzt schien sie ihn erst wieder zu erkennen. Furcht und Erstaunen vermischten sich in ihrem Gesicht mit Schmerz und Verzweiflung, als sie zu seinen Füßen niedersank und in Tönen schneidender Bitte stöhnte:

»O Ulpius, —— wenn Du Ulpius bist, habe Mitleid für mich und bringe mich zu meinem Vater! Mein Vater! mein Vater! in der ganzen einsamen Welt habe ich Keinen mehr, als meinen Vater!«

»Warum weinst Du gegen mich über Deine zerbrochene Laute!« antwortete Ulpius mit stumpfsinnigem Lächeln; »ich habe sie nicht zerschlagen.«

»Sie haben ihn erschlagen!« schrie sie untröstlich, ohne auf die Antwort des Heiden zu achten.«Ich sah wie sie gegen ihn ihre Schwerter zogen. Sieh, sein Blut ist an mir, —— an mir! —— an Antoninen, die er beschützt und geliebt hat! Ich habe ihn seitdem nie wieder gesehen, —— er ist unten —— dort unten! unter den Blumen, die ich gezogen um sie für ihn zu pflücken! Sie haben ihn erschlagen und ihn begraben, als ich es nicht wußte! —— oder Du —— Du hast ihn begraben! Du hast ihn unter der kalten Gartenerde verscharrt. Er ist fort! —— ach fort! fort! —— für immer dahin!«

Und sie warf sich wieder mit rücksichtsloser Heftigkeit auf das Grab nieder. Ulpius näherte sich ihr, nachdem er einen Augenblick fest auf sie herabgesehen hatte, und hob sie von der Erde auf.

»Komm!« rief er zornig, »die Nacht schreitet vorwärts, Dein Vater wartet!«

»Die. Mauern von Rom sperren mich von meinem Vater ab! ich werde Hermanrich und meinen Vater nie wieder sehen!« rief sie in Tönen bitterer Pein, als sie steh des ganzen Elends ihrer Lage vollkommener erinnerte und rang, um sich von den Händen des Heiden frei zu machen.

»Die Mauern von Rom!«

Bei diesen Worten öffnete sich der Geist des Heiden einer Fluth dunkler Erinnerungen und die Traumgebilde, welche ihn bis jetzt erfüllt hatten, verschwanden. Er lachte triumphierend.

»Die Mauern von Rom beugen sich meinem Arme,« rief er mit jubelnder Stimme; »ich habe sie mit meiner guten Eisenstange durchbrochen. Ich habe mich mit meiner Laterne durch sie gewunden! Geister schrieen mich an und schlugen mich zu, Boden und grinsten mich in der dichten Finsterniß an, aber ich bin durch die Mauer gelangt! Der Donner rollte um mich, als ich durch die gewundenen Spalten kroch, aber ich habe mich durch sie hingekämpft! Ich bin auf der andern Seite als Sieger herausgetreten! Komm, komm, komm, komm! wir wollen zurückkehren. Ich weiß den Weg selbst in der Finsterniß. Ich wache besser als die Schildwachen. Du sollst auf dem Pfade wandeln, den ich durch das Mauerwerk gebrochen habe!«

Die Züge des Mädchens verloren auf einen Moment ihren Ausdruck des Schmerzes und wurden schreckensstarr, als sie auf seine glühenden Augen blickte und den furchtbaren Verdacht seines Wahnsinns in ihren Geist ziehen fühlte. Sie stand kraftlos, zitternd, widerstandslos da, ohne einen Versuch zu machen, ihn zur Entfernung zu locken oder zum Verweilen zu bewegen.

»Weshalb habe ich meinen Weg durch die Mauer gebrochen,« murmelte der Heide mit leiser, ungewisser Stimme, indem er sich plötzlich zurückhielt, als er eben einen Schritt vorwärts thun wollte, »warum habe ich das starke Mauerwerk niedergerissen und bin hinaus in die dunkle Vorstadt gegangen?«

Er schwieg und rang auf einige Augenblick mit seinen unzusammenhängenden, verwirrten Gedanken, aber eine öde Finsterniß und Vernichtung überdeckte Alarich und das gothische Lager und er mühte sich umsonst, sie zu zerstreuen. Er seufzte bitterlich vor sich hin:

»Es ist fort!« und zog Antoninen, deren Hand er nicht losgelassen hatte, hinter sich nach dem Gartenthore.

»Laß mich los!« schrie sie, als er in den nach der Landstraße führenden Weg bog. »O sei barmherzig und laß mich sterben, wo er gestorben ist!«

»Ruhig! sonst zerreiße ich Dich Glied um Glied, wie ich die Steine aus der Mauer gerissen habe, als ich durch sie ging!« flüsterte er ihr grimmig zu, als sie rang, um ihm zu entgehen, Du sollst mit mir nach Rom zurückkehren, Du sollst den Weg betreten, den ich in dem durchspaltenen Gemäuer gemacht habe.«

Entsetzen, Angst, Erschöpfung überwältigten ihre schwachen Anstrengungen, ihre Lippen bewegten sich halb bittend, und halb nach einem Schrei ringend, aber sie sprach kein hörbares Wort, während sie sich mechanisch vom Heiden an der Hand vorwärts führen ließ.

Sie schritten in dem verbleichenden Sternenscheine auf der kalten, einsamen Straße dahin und durch die öde, verlassene Vorstadt. Starr, gehorsam, willenlos und wie im Traume bewegte sich das geknickte Mädchen neben seinem kaum menschlichen Führer dahin.

Von den Lippen des Heiden strömten unzusammenhängende Ausrufungen, die entsetzlich zwischen kindischer Einfalt und wilder Lasterhaftigkeit wechselten, aber er sprach nicht weiter zu seiner schreckensstarren Gefährtin. So gelangten sie mit schnellem Schritte bis zu den gothischen Linien, wo der Wahnsinnige seinen Schritt langsam werden ließ und gleich einem wilden Thiere, welches sich den Wohnungen der Menschen nähert, stehen blieb, um sich umzuschauen.

Ohne von Antoninen, deren Wahrnehmungskraft selbst hier, im Bereich der zweifelhaften Hilfe der Feinde ihres Volkes, von ihren Schrecken zu vollkommener Unthätigkeit versteinert worden war, gehindert zu werden, schlich der Heide durch die einsamsten Stellen des Lagers und entging, von der geheimnißvollen List der elenden Gefährten seines Leidens geführt, glücklich der Beobachtung der schläfrigen Wachen. Nie von der Finsterniß behindert, obgleich der Mond untergegangen war, stets von dem mit seiner Krankheit verknüpften thierischen Instinkt geleitet, schritt er über den freien Raum zwischen dem feindlichen Lager und der Stadt und gelangte triumphierend an den Steinhaufen, welcher seinen Eingang zu der Mauerspalte bezeichnete.

Einen Augenblick blieb er stehen, wendete sich zu dem Mädchen und deutete stolz auf die dunkle, niedrige Höhlung, in welche er zu dringen im Begriff war. Hierauf zog er ihre halbohnmächtige Gestalt dichter an seine Seite, blickte aufmerksam zu den Zinnen empor, und betrat mit geräuschlosem Fuße, als ob er auf Rasen hinwandelte, mit seinem hilflosen Schützling die düstere Spalte.

Als sie in dem Grunde der Mauer verschwanden, erreichte die Nacht —— die stürmische, ereignißreiche, Verderben bringende! —— ihre letzte Grenze und der halb verhungerte Wächter auf den Festungswerken der belagerten Stadt erhob sich aus den traurigen Gedanken, in die er versunken war, denn er sah, daß der neue Tag im Osten dämmerte.



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