Wilkie Collins - Logo - Klicken, um Navigationsmenü einzublenden
 

Antonina oder der Untergang Roms



Kapitel III.
Das Banket des Hungers.

Von allen Prophezeihungen trifft wohl keine seltener ein, als die, welche wir uns am leichtesten erlauben, wenn wir die Einwirkung äußerer Ereignisse auf den Charakter der Menschen vorher sagen wollen. Keine Form unserer Vermuthungen trügt häufiger, als solche Bemühungen, im Voraus den Einfluß der Umstände auf das Benehmen nicht nur Anderer, sondern sogar unserer selbst abzuschätzen. Das Ereigniß tritt ein und Menschen, die wir aus dem Gesichtspunkte betrachten, welcher uns unsere frühere Beobachtung derselben gewährt, handeln unter dem Einflusse desselben, wie lebende Widersprüche ihres eignen Charakters. Der Freund unsers täglichen, geselligen Verkehrs im Leben und der Lieblingsheld unserer historischen Studien, setzen uns glei sehr in Erstaunen, übertreffen oder täuschen unsere Erwartungen gleich stark. Wir erkennen es als eben so vergeblich, für die willkürlichen Widersprüche in dem Charakter der Menschen einen Grund vorauszusehen, wie demselben eine Grenze anzuweisen.

Wiewohl aber, das Aufstellen von Vermuthungen über das künftige Benehmen Anderer unter bevorstehenden Ereignissen nur zu oft an den Tag legt, wie trügerisch unsere weisesten Erwartungen sind, so ist doch die Betrachtung der Art dieses Benehmens nachdem es stattgefunden hat, ein nützlicher Gegenstand unserer Wißbegier und kann vielleicht sogar zu einer fruchtbaren Quelle von Belehrungen gemacht werden. Gleichartige Ereignisse, die einander in verschiedenen Perioden folgen, werden durch die stets wechselnden Wirkungen, welche sie auf den menschlichen Charakter ausüben, von Einförmigkeit befreit und erlangen durch dieselben neue Wichtigkeit. So finden wir in Bezug auf das große Ereigniß, auf welches sich unsere Erzählung gründet, in der Belagerung von Rom, als einen bloßen historischen Vorfall betrachtet, nur wenig, wodurch es sich bedeutend von irgend einer frühem Belagerung der Stadt unterschiede —— dasselbe Streben nach Ruhm und Rache, Reichthum und Gewalt, welches Alarich vor die Mauern der Stadt führte, hatte vor ihm auch andere Eroberer hergezogen. Beobachten wir aber die Wirkung des gothischen Einfalles in Italien auf die Bewohner seiner Hauptstadt, so finden wir reichlichen Stoff zu neuen Betrachtungen und unbegrenztem Erstaunen.

Wir erblicken als überraschendes Beispiel der Widersprüche im menschlichen Charakter, das Schauspiel eines ganzen, bereits von dem höchsten Gipfel des Nationalruhmes, zu den niedrigsten Tiefen der Nationalentartung, herabgesunkenen Volkes, welches an seiner Thür von einem übermächtigen fremden Einfalle bedroht wird und doch trotz allem was die weit verbreitete Niedrigkeit seines früheren Charakters uns hätte erwarten lassen sollen, seinen Feinden, um der Ehre des römischen Namens willen, den es seit Jahrhunderten entehrt hatte, mit unbeugsamer Hartnäckigkeit Widerstand leistet. Wir sehen Männer, die bisher selbst das Wort Patriotismus verlacht haben, jetzt entschlossen für ihr Vaterland dem Hungertode entgegen gehen; die vor keiner Schurkerei zurückbebten, um Reichthum zu erlangen, jetzt anstehen, ihren übel erworbenen Gewinn zum Erkaufen des wichtigsten aller Genüsse —— ihrer eignen Sicherheit und des Friedens anzuwenden. Man könnte aus allen Klassen, von den niedrigsten bis zu den höchsten, Beispiele der unahnbaren Wirkung ziehen, welche das Ereigniß der Belagerung Roms auf die Bewohner der Stadt übte, wenn wir dieselben aber hier mittheilen wollten, würde der Fortgang unserer gegenwärtigen Erzählung eine zu lange Unterbrechung erleiden müssen. Wenn wir über einen solchen Gegenstand auf Einzelheiten eingehen sollen, so darf es nur in einem Falle geschehen, welcher mit den wirklichen Erfordernissen unserer Geschichte im klaren Zusammenhange steht und ein solcher Fall ist gegenwärtig in dem Benehmen des Senators Vetranio unter dem Einflusse der äußersten Leiden, von welchen die Blockade Roms durch die Gothen begleitet wurde, zu finden.

Wer, könnte man fragen, —— wenn man den früheren Charakter dieses Mannes, seine Frivolität, sein üppiges Verlangen nach ununterbrochenen Genuß und Behag1ichkeit, seinen Schrecken vor der leisesten Annäherung des Schmerzes oder Unglücks kennt, —— könnte sich ihn als fähig vorstellen, geringschätzig alle Aussichten auf gegenwärtige Sicherheit und künftiges Wohlseim die ihm seine unbegrenzte Macht und sein ungeheurer Reichthum selbst in einer von Hungersnoth verheerten Stadt hätte verschaffen können, von sich zurückzuweisen und plötzlich mit dem Entschlusse das Leben in dem Augenblicke als werthlos aufzugeben, wo es nichts mehr den ruhigen Fortgang früherer Jahre besaß, den höchsten Gipfelpunkt der verbrecherischen Verzweiflung zu besteigen! Und doch war er jetzt zu diesem Entschlusse gelangt und hatte, was noch außerordentlicher erscheint, andere patricische Standesgenossen gefunden, die sich ihm bei der Ausführung desselben anschlossen.

Der Leser wird sich seiner phantastischen Ankündigung von der bevorstehenden Orgie gegen den Präfekten Pompejanus, während des ersten Theiles der Belagerung entsinnen, diese Ankündigung sollte jetzt ausgeführt werden.

Vetranio hatte seine Gäste zum Banket des Hungers geladen. Eine auserwählte Anzahl von den Senatoren der großen Stadt wollten ihren Muth dadurch an den Tag legen, daß sie als die Genußmenschen starben, als welche sie gelebt hatten, daß sie verächtlich alle Aussichten auf das Verhungern, wie der gemeine Haufen, an einer täglich geringer werdenden Quantität widerlicher Nahrung von sich warfen, daß sie in Weinfluthen ertränkt und von dem Feuer des reichsten Palastes von Rom beschienen, triumphierend ein beengtes, genußloses Leben verließen.

Man hatte die Absicht gehabt, über diesen rasenden Entschuß das tiefste Geheimniß zu bewahren, die ungeheure Katastrophe gleich einem Wunder des Himmels auf die noch übrigen Bewohner der Stadt hereinbrechen zu lassen, aber die mit der Organisation des Selbstmörderbankets beauftragten Sklaven, waren mit Wein zu ihrer Aufgabe geneigt gemacht worden und hatten in der Sorglosigkeit des Rausches, das innerhalb der Palastmauern Gehörte mitgetheilt. Die Neuigkeit ging von Mund zu Mund. Die Aussicht, den brennenden Palast und den trunkenen Selbstmord seiner verzweifelten Gäste zu erblicken, war hinreichend, um selbst die erstarrte Neugier des verhungernden Pöbels zu beleben.

Am angesetzten Abend schleppte das Volk seine matten Glieder aus allen Theilen der Stadt dem Monte Pincio zu. Viele starben unterwegs, Viele gaben den Entschluß, sich bis ans Ziel des Weges zu begeben, auf und suchten mürrisch in den leeren Häusern am Wege ein Obdach, Viele fanden Gelegenheit zum Raube und Verbrechen, welche sie von ihrem Bestimmungsorte ablockten, —— aber Viele verharrten in ihrem Vorsatze und die Lebenden schleppten die Sterbenden mit, die Verzweifelten trieben die Feigen in boshaftem Scherze vor sich hin, bis sie vor die Palastthore gelangten. Ihre, von der Straße aufsteigenden, Stimmen hatten die dem Erlöschen nahen Geisteskräfte Antoninens aufgeschreckt, wenn auch nicht belebt, und dort auf den breiten Pflastersteinen lagen diese Bürger einer fallenden Stadt, eine Gemeinde der Pest und Sünde —— eine verhungernde, grausige Schaar.

Der durch die zunehmende Finsterniß glänzender hervortretende Mond erleuchtete jetzt die Straßen vollkommen und enthüllte auf engem Raume ein wechselndes, eindrucksvolles Schauspiel.

Die eine Seite der Straße, in welcher Vetranio’s Palast stand, war an beiden Enden, so weit das Auge bei Nacht reichen konnte, mit den Hainen und Nebengebäuden, die zur Wohnung des Senators gehörten, besetzt. Die Gärten des Palastes gingen am höheren, von dem Pincischen Thore entfernteren Theile der Straße auf einem breiten Bogen über dieselbe und dehnten sich nach rückwärts bis zu den Bäumen des kleinen Gartens am Hause Numerian’s hin. Mit diesem Hause in einer Linie, aber durch einen schmalen Zwischenraum getrennt, stand eine lange Reihe von Gebäuden, die stockwerkweise an verschiedene Bewohner vermiethet waren und sieh zu einer ungeheuren Höhe erhoben, denn im alten Rom, wie im modernen London, konnten die Baumeister in Folge der hohen Bodenpreise einer übervölkerten Stadt einem Hause nur dadurch Geräumigkeit verschaffen, daß sie seine Höhe unbehaglich vergrößerten. Jenseits dieser Miethshäuser sah man die Bäume, welche einen andern Patrizierpalast umgaben und über dieselben hinaus machte die Straße einen plötzlichen Bogen und es war in gerader Linie außer den nebeligen, unbestimmten Gegenständen der Fernsicht nichts mehr zu erblicken.

Das ganze Aussehen der Straße vor Vetranio’s Palast würde, wenn die zurückstoßenden Gruppen, die sich jetzt darin gebildet hatten, weggefallen wären, zu der Stunde, von welcher wir jetzt schreiben, ausnehmend schön gewesen sein. Die herrliche symmetrische Fronte des Palastes selbst, mit ihrer graziösen Reihe von langen Säulenhallen und kolossalen Statuen, im Contraste mit dem malerisch unregelmäßigen Aeußern der gegenüberliegenden Wohnung Numerian’s und der hohen Häuser, in deren Nähe die weichen undeutlichen Laubmassen, welche an den oberen Enden der Straße mit einander parallel dahin liefen und durch den schwebenden Garten über dem Wege, auf welchem eine Gruppe hoher Pinien ihre gigantischen Häupter gegen den durchsichtigen Himmel abzeichneten, begrenzt und verbunden waren, das glänzende Licht, welches aus den bunt behangenen Fenstern Vetranio’s auf die Straße herabströmte und im unmittelbaren Gegensatz der ruhige Mondschein, von welchem die Fernsicht erhellt wurde —— alles dies zusammengenommen bildete ein Gewölbe, in welchem sich Natur und Kunst in den köstlichsten Proportionen mischten, —— ein Gemälde, dessen unaussprechliche Poesie und Schönheit in jeder anderen Nacht das Auge hätte bezaubern und den leichtsinnigsten Geist erheben können. Jetzt aber, wo es von hohläugigen, hungerbetagten und von Krankheit entstellten Volksgruppen überdeckt, wo es in dumpfen Zwischenräumen durch Schreie der Bitte, der Herausforderung und Verzweiflung belebt wurde, schienen seine glänzendsten Schönheiten der Natur und Kunst nur mit bitterem Spott das menschliche Elend, welches ihr Glanz erblicken ließ, zu beleuchten.

Mehr als hundert Menschen, —— meist aus den untersten Volksklassen, waren vor der dem Untergang geweihten Wohnung des Senators zusammengedrängt. Einige von ihnen gingen langsam in der Straße auf und ab und ihre Gestalten glitten schattenhaft und feierlich durch das sie umgebende Licht, aber bei weitem die größte Zahl lag aus dem Steinpflaster vor Numerians Palaste und den Thorwegen der hohen Häuser in seiner Nähe. Von dem grellen Lichte aus den Palastfenstern beleuchtet, nahmen diese in den verzerrten Stellungen des Leidens und der Verzweiflung zusammengedrängten Gruppen ein furchtbares, gespensterhaftes Aussehen an. Ihre eingeschrumpften Gesichter, ihre zerrissene Kleidung, ihre hier am Boden liegenden, dort halb erhobenen hagern Gestalten waren in ein gleichmäßiges rothes Licht getaucht. Hoch über ihnen an den Fenstern der hohen jetzt in jedem Stockwerke von Todten erfüllten Häuser zeigten sieh einige Gestalten —— die erkauften Hüter der Sterbenden in den Gemächern —— die sich vorwärts beugten, um auf den Palast gegenüber zu schauen, und deren abgemagerte Gesichter vom hellen Mondlichte mit einem bleichen Glanze übergossen wurden. Zuweilen hörte man ihre Stimmen spöttisch der Volksmasse unter ihnen zurufen, die festen, stählernen Thore des Palastes aufzubrechen und den vollen Weinbecher von den Lippen seines Herrn zu reißen. Zuweilen antworteten die auf der Straße Befindlichen mit Verwünschungen, die im wilden Gemisch mit den Wehklagen von Frauen und Kindern, dem Stöhnen der von der Pest ergriffenen und der Bitten der Verhungerten um Almosen und Hilfe an die hinter den Palastgittern hin und her gehenden Sklaven, emporstiegen.

In den Pausen, wo der Tumult der schwachen Stimmen theilweise schwieg, hörte man ein dumpfes, regelmäßiges, klopfendes Geräusch, welches diejenigen hervorbrachten, welche auf ihrem Wege nach dem Palaste trockene Knochen gefunden hatten und sie an geschützten Stellen auf dem Pflaster zerpochten, um dieselben zur Nahrung zu verwenden. Der Wind, welcher den Tag über erfrischend gewesen war, hatte mit Sonnenuntergang umgeschlagen und fegte jetzt in heißen, schwachen Stößen pestbeladen von Osten her langsam über die Straße hin.

Theile der zerlumpten Kleidung, von auf dem Boden liegen den Gestalten, die ihm am meisten ausgesetzt waren, schwebten langsam hin, und her, wie vom Tode auf der dem Ergeben nahen Citadelle des Lebens aufgepflanzte Paniere. Er zog heiß und mephitisch, wie von dem Hauche der wüthenden und schlechten Worte, welche er in die Bankethalle der leichtsinnigen Gäste des Senators trug, vergiftet, durch die offenen Fenster des Palastes. Ueber solche Scenen, wie die sich jetzt unter ihm ausbreitenden, getrieben, nahm er von ihnen eine Unheil verkündende Bedeutsamkeit an —— er schien, wie eine aus den glühenden Tiefen des Erdmittelpunktes hervorgetriebene Atmosphäre zu wehen, und düstere Verkündigungen einer ungeheuren Convulsion in dem ganzen Gebäude der Natur über die Menschen erfüllte, traurige Straße zu hauchen.

So sah es vor dem Palaste aus und dies waren die Zuschauer, welche sich in düsterer Erwartung des Unterganges der Wohnung des Senators versammelt hatten. Mittlerweile nahte im Innern des Gebäudes der Anfang der Todesorgie.

Die Sklaven, die während der Noth in der belagerten Stadt mit vollkommener Straflosigkeit in ihrem gewohnten unbedingten Gehorsam gegen ihren Herrn erschlafft waren, hatten sich ausbedungen, daß es ihnen, sobald ihre vorbereitenden Arbeiten beendigt sein würden, freistehen solle, ihre eigene Sicherheit zu Rathe zu ziehen und den dem Verderben geweihten Palast zu verlassen.

Schon konnte man einige von den Schwächsten und Furchtsamsten von ihnen durch die Hinterthüren in den Garten hinaus eilen sehen, wie Ingenieure, die eine Pulverleitung angezündet hatten und entflohen, ehe die Explosion ausbrach. Diejenigen von den Dienstleuten welche noch im Palaste geblieben waren, beschäftigten sich noch größentheils mit Trinken aus den Weingefäßen, die man ihnen vorgesetzt hatte, um ihre Kräfte bis zum letzten Augenblicke zu bewahren.

Der Hohn des Festes war selbst bis auf ihre Gewänder ausgedehnt worden. Grüne, von kirschrothen Gürteln zusammengehaltene Livreen bekleideten ihre abgezehrten Körper. Sie tranken im tiefsten Schweigen. Unter ihren Reihen war nicht der mindeste Schein von Lustigkeit oder Berauschung zu erblicken. Verwirrt, zusammengehäuft, wie um sich gegenseitig Schutz zu gewähren, warfen sie von Zeit zu Zeit scharfe Blicke des Argwohns und der Besorgniß auf sechs bis acht von den höheren Dienern des Palastes, die am äußern Ende der von ihren Kameraden eingenommenen Halle auf und ab gingen, und von Zeit zu Zeit bis an die Vorderthüren des Gebäudes schritten, wo sie verstohlene Zeichen mit einigen Mitgliedern der Menge auf der Straße austauschten. Es waren unbestimmte Gerüchte von einer geheimen Verschwörung im Umlaufe, die einige von den ersten Sklaven, und eine Anzahl von Bösewichtern unter dem Volke, eingegangen sein sollten, um alle Bewohner des Palastes zu ermorden, sich der Schätze desselben zu bemächtigen, den Gothen die Stadtthore zu öffnen und in der Verwirrung beim Plündern von Rom mit ihrer Beute zu entfliehen.

Bis jetzt war noch nichts Bestimmtes entdeckt, aber die wenigen Diener, die sich von den Uebrigen abgesondert hielten, wurden von allen ihren Kameraden beargwöhnt, und jetzt von diesen beim Weine mit ängstlichen Augen beobachtet. So verschieden auch die Scene unter den noch im Palaste gebliebenen Sklaven von dem Anblicke des auf der Straße befindlichen Volkes war, verkündete doch das Eine, wie das Andere, in seiner Art mit gleicher Düsterkeit ein bevorstehendes Unglück.

Die große Bankethalle des Palastes war jetzt zwar zum Feste gerüstet, hatte aber ein verändertes Unheil verkündendes Aussehen angenommen.

Die massiven Tische liefen noch immer von üppigen Ruhebetten umgeben, wie in früheren Zeiten durch die ganze Länge des Zimmers, auf ihrer glänzenden Oberfläche war aber keine Spur von Speise zu erblicken. Kostbare Vasen, Flaschen und Trinkbecher bedeckten mit Wein gefüllt allein die festliche Tafel. Von der Decke hingen tief zehn große Lampen herab, die der Anzahl der versammelten Gäste, der einzigen, herbeizuschaffenden Vertreter der Hunderte von Festgenossen, welche in den jetzt auf ewig vergangenen glänzenden Nächten auf Vetranio’s Kosten geschmaust hatten, entsprachen. An dem unteren Ende des Zimmers, der Hauptthür gegenüber, hing ein dicker schwarzer Vorhang, der zum Verbergen eines dahinter befindlichen geheimnißvollen Gegenstandes bestimmt zu sein schien. Vor dem Vorhange brannte eine kleine, gelbe Glaslampe auf einer hohen vergoldeten Stange und rund umher war an den Wänden und über einen Theil des Tisches eine bunte, wirre Masse von kostbaren. Gegenständen aufgehäuft; die Alle von mehr oder weniger brennbarer Natur und mit wohlriechenden Oelen besprengt waren. Hunderte von Ellen prächtig bunter Stoffe, Rollen über Rollen von Manuskripten glänzende Kleidungen von jeder Farbe, Spielereien, Werkzeuge, unzählige Hausrathgegenstände von seltenen schön eingelegten Hölzern, waren nachlässig durch einander an den Wänden des Zimmers hingeworfen worden und erhoben sich bis nahe an die Decke.

Auf allen Theilen der Tische, welche nicht von den Weingefäßen eingenommen waren, lagen goldene, Juwelen besetzte Zierrathen, die das Auge durch ihren Strahlenglanz blendeten, während in außerordentlichem Contrast mit der so grenzenlos entwickelten Pracht in einer der oberen Ecken der Halle ein alter hölzerner, mit einem groben Tuche bedeckter Tisch erschien, auf welchem ein paar Schüsseln von gemeinem Töpfergeschirr gestellt waren, die ein Gemisch von gekochter Kleie und eingesalzenem Pferdefleisch enthielten. Der widerliche Geruch, welcher sich aus diesem seltsamen Gemisch hätte erheben können, war von den verschiedenen im Zimmer verbreiteten Wohlgerüchen verdrängt, die im Verein mit dem durch die Fenster von der Straße hereinkommenden heißen Winde, eine so drückende und schwächende Atmosphäre erzeugten, daß sie trotz ihrer künstlichen Lockungen für den Geruchssinn der Luft eines Kerkers oder den Ausdünstungen eines Sumpfes glich.

Die auffallende Veränderung in dem gegenwärtigen Aussehen der Bankethalle war nur ein schwaches Abbild der Verschlimmerung in dem Aeußern des Festgebers und seiner Gäste. Vetranio lag in einen Scharlachmantel gehüllt, an der Spitze der Tafel. Eine gestickte Serviette mit purpurnen Quasten und Franzen, die durch goldene Ringe mit einander verbunden waren, hing über seine Brust und seine Arme waren von silbernen und elfenbeinernen Armbändern umschlossen. Die Gewänder waren jedoch Alles, was man noch von dem früheren Menschen erblickte. Sein Kopf war wie altersschwach vorwärts gebeugt, seine abgezehrten Arme schienen kaum das Gewicht der an ihnen schimmernden Zierrathen tragen zu können. Seine Augen hatten einen wilden unstäten Ausdruck angenommen und eine Todtenblässe überzog die einst runden jovialen Wangen, welche in früheren Zeiten so viele Frauen mit eigennützigem Entzücken geküßt hatten. Sowohl dem Gesicht, wie dem Benehmen nach, war der elegante Genußmensch seit der Bekanntschaft, die wir am Hofe von Ravenna mit ihm gemacht haben, gänzlich zum Schlimmeren verändert. Von den übrigen acht Patriziern, die auf den Ruhebetten theilweise ausgelassen und leichtsinnig, theilweise düster und abgestumpft, um ihren veränderten Wirth lagen, hatten Alle ohne Ausnahme, gleich ihm, in der Prüfung der Belagerung, der Hungersnoth und Pest gelitten. Dies waren die Mitglieder der Versammlung, welche durch neun der von der Decke herabhängenden brennenden Lampen vertreten wurden. Die zehnte und letzte Lampe verkündete die Anwesenheit noch eines Gastes, der von den übrigen etwas entfernt lag.

Dieser sehnte war bucklig, sein knochiges, mageres Gesicht stand in einem abstoßenden Mißverhältnisse mit seinem winzigen Körper, der in ein weites, grellfarbiges Gewand gehüllt, doppelt verächtlich aussah. Der niedrigsten Hefe des Pöbels entsprungen, hatte er sich allmälig durch seine Geschicklichkeit in groben Possenreissereien und seine Bereitwilligkeit, den schlimmsten Lastern Aller zu fröhnen, die sich seiner zu bedienen Lust hatten, in die Gunst Höherstehender gedrängt. Da er während der Belagerung den größten Theil seiner Gönner verloren hatte, und sich von allen Seiten dem Hungertode Preis gegeben sah, war er jetzt als letztes Hilfsmittel um die Erlaubniß eingekommen, an dem Banket des Hungers Theil zu nehmen, es durch eine letzte Schaustellung seiner Lustigmacherei zu erheitern und mit seinen Herrn zu sterben, wie er mit ihnen gelebt hatte, als der Sklave der Schmarotzer und der Nachahmer ihrer niedrigsten Laster und schlimmsten Verbrechen.

Zu Anfange der Orgie hörte man außer dem Klappern der Weinbecher, dem leisen unterbrochenen Flüstern der Zecher und den von der Straße durch das Fenster heraufdringenden undeutlichen Stimmen des Volkes nur wenig. Die Gäste wurden jetzt durch das Verzweifelte ihres Bundes, da die Ausführung desselben wirklich begonnen hatte, unwillkürlich in Beklemmung versetzt. Als endlich ein Verstummen aller Töne eingetreten war —— als sich eine vorübergehende Ruhe über den äußern Lärm gebreitet hatte, —— als die Weinbecher geleert und auf einen Augenblick niedergesetzt worden waren, ehe sie wieder gefüllt wurden, —— stand Vetranio schwach auf, verkündete mit einem spöttischen Lächeln, daß er im Begriff sei, eine Leichenrede über seine Freunde und sich selbst zu halten, und deutete auf die Wand unmittelbar hinter sich, als einen zur Erweckung des Erstaunens oder der Heiterkeit seiner mürrischen Gäste geeigneten Gegenstand.

An dem obern Theile der Wand waren verschiedene kleine Statuen von Bronce und Marmor befestigt, die alle den Eigenthümer des Palastes darstellten und mit goldenen Platten behängt waren. Unter ihnen erblickte man das Verzeichniß der Einkünfte seiner Güter in verschiedenartigen Farben auf weißes Pergament geschrieben und unter diesem war in schwachen unregelmäßigen Zügen kein geringerer Gegenstand als seine eigene Grabschrift auf den Marmor eingegraben. Sie kann folgendermaßen übersetzt werden:

Steh Wanderer!
Wenn Du ehrerbietig die Freuden des Geschmack« ge-
nossen hast,
so verweile bei den Ruinen dessen was einst ein Palast
War.
Und lies mit Achtung auf diesem Steine
die Grabschrift
des Senators Vertranio.

Er war der Erste, der eine gute Nachtigallensauce erfand,
Sein kühner und schaffender Geist vervollkommnete
die Kochkunst
und würde sie noch mehr vervollkommnet haben.
Aber zum Unglück für die Interessen der Wissenschaft
lebte er in den Tagen, wo die gothischen Barbaren
die kaiserliche Hauptstadt
belagern.

Der Hunger
ließ ihm keine Stoffe mehr zu Experimenten des
Geschmackes
und die Pest beraubte ihn der Köche, die er hätte auf-
klären können.
Auf allen Seiten von der Gewalt widriger Umstände
gehemmt,
fand er sein Leben von keinem weiteren Nutzen
für
die kulinarischen Interessen Roms;

Er rief seine erwählten Freunde zum Beistande herbei,
trank gewissenhaft jeden Tropfen Wein, der noch in
seinem Keller war,
entzündete den Scheiterhaufen für sich und seine Gäste
in der Bankethalle seines eigenen Palastes
und starb, wie er gelebt hatte,
als ein patriotischer
Cato
der Gastronomie seines Vaterlandes!

»Seht« rief Vetranio, indem er triumphierend auf die Grabschrift deutete, —— »seht in jeder Zeile jener beredten Worte zugleich das Siegel meiner entschlossenen Anhänglichkeit an das uns hier vereinigende Bündniß und die Begründung meines gerechten Anspruches auf die Ehrerbietung der Nachwelt, für die nützlichste der Künste, die ich zum Wohle meines Geschlechts geübt habe! Lest, Freunde —— Brüder —— Mitmärtyrer des Ruhms -— und freut Euch, während Ihr lest, mit mir über die Stunde unsers Scheidens von dem entweihten Schauplatze, der es nicht mehr verdient, daß man auf ihm die Spiele des Lebens feiert! Hört mich jedoch, ehe das Fest seinen Fortgang nimmt, an, —— ich halte meine letzte Rede, als Richter unserer Leichenspiele, als Wirth bei dem Banket des Hungers!«

»Wer möchte gemein unter dem langsamen Drucke des Hungers erliegen, oder den Untergang von dem blitzenden Stahl des Schwertes der barbarischen Eroberer finden, wenn sich seiner Wahl ein Tod, wie der unsrige, bietet? Wenn der Wein schimmernd fließt, um das Gefühl in Vergessenheit zu begraben und ein Palast mit seinen Schätzen zugleich die Schaubühne des Gelags und den glänzenden Scheiterhaufen darbietet? Die großen Philosophen von Indien, die begeisterten Gymnosophisten —— starben, wie wir sterben werden! Calanus vor Alexander, Zamarus vor Augustus zündeten das Feuer an, welches sie verzehren sollte. Wir wollen ihr ruhmvolles Beispiel befolgen! An unsern Körpern werden keine Würmer zehren, bei unsern Begräbnissen werden keine gemietheten Klageweiber ein mißtöniges Geheul erheben, von dem ewigen Feuer gereinigt, werden wir Feinden und Freunden triumphierend entschwinden —— als Wunder für die Erde, als herrliche Vision für die Götter selbst!«

»Ist jetzt ein Lebenstag mehr oder weniger für uns von Wichtigkeit? Nein, unsere Bestrebungen können sich nur dem leichtesten und herrlichsten Tode zuwenden.«

»Unter unserer Zahl befindet sich jetzt kein Einziger, der sich noch weiter mit den Sorgen der Existenz befassen möchte! —— «

»Hier, zu meiner Rechten, liegt mein schätzbarer Genosse bei tausend früheren Festen, Furius Balburius Placidus, der, wenn wir auf dem Lucriner See fuhren, sich über unerträgliche Leiden zu beklagen pflegte, wenn sich eine Fliege anf seinen vergoldeten Sonnenschirm niederließ, der sich nach einem Lande Kimmerischer Finsterniß sehnte, wenn ein Sonnenstrahl die seidenen Schirmdächer seiner Gartenterrasse durchdrang und der sich jetzt mit dem geringsten seiner Sklaven, um einen Bissen Pferdefleisch balgt und die prächtigsten von seinen Villen für einen Korb mit erbärmlichen Broden dahingehen würde!«

»O, Furius Balburius Placidus, was kann Dir das Leben noch weiter nützen?«

»Dort, zu meiner Linken, erkenne ich das veränderte, wiewohl noch ausdrucksvolle Gesicht des entschlossenen Thascius —— desjenigen, der einen Sklaven mit hundert Peitschenhieben züchtigt, wenn ihm nicht augenblicklich, nachdem er es befohlen, sein warmes Wasser gebracht wurde, —— er, der durch seine erhabene Verachtung gegen jedes Mitglied des Menschengeschlechts, mit Ausnahme seiner selbst, einst zu den größten Philosophen gehörte —— selbst er wandert jetzt unbedient in seinem Palaste umher und fällt dem Plebejer, der ihm ein Maß erbärmlicher Kleie verkauft, schmeichelnd zu Füßen!«

»O, bewundernswürdiger Freund, o, richtig berechnender Thascius, sage, ob es in Rom noch etwas gibt, wodurch Du Deine Reise nach den elisäischen Feldern noch verschieben möchtest.«

»Weiterhin am Tische sehe ich, während meiner Rede mit heftigem Trinken beschäftigt, Deine einst volle, runde Gestalt, o, Marcus Moecius Moemmius! Du, der Du einst gewohnt warst, Dich über die Länge Deines Namens zu freuen, weil er Deine Freunde in den Stand setzte, um so mehr zu trinken, wenn sie einen Becher auf jeden Buchstaben desselben leeren wollten. Sage mir, welche Bankethalle Dir außer dieser jetzt noch offen steht? und was sollte Dich, der Du so trostlos in der Stadt Deiner Triumphe zurückgeblieben bist, abgeneigt machen unser festliches Beisammensein als Dein letztes Gelage auf Erden zu betrachten!«

»Auch Du, spaßhafter Buckliger, Fürst der Schmarotzer, unskrupulöser Reburrus, wo kann Dir Deine Lustigmacherei jetzt noch einen Trunk erquickenden Weins verschaffen, außer bei diesem Banket? Deine Herren haben Dich dem Düngerhaufen, auf dem Du geboren bist, wieder überlassen! Du wirst nicht mehr für sie schmeicheln, wenn sie borgen, oder grob sein, wenn sie bezahlen.«

»Du wirst keine Anklagen der Giftmischerei oder Zauberei mehr schmieden, um ihre lästigen Gläubiger ins Gefängniß zu bringen. O, dienstfertiger Sykophant, Deine Beschäftigung ist zu Ende.«

»Trinke, so lange Du kannst und überlaß dann Deinen Cadaver dem Kothe in welchen er gehört.«

»Und Ihr, meine fünf übrigen Freunde, die ich da es mich nicht nach weiterer Zögerung gelüstet, zusammen anreden will —— denkt an die Tage, wo der Verdacht einer ansteckenden Krankheit, bei irgend einem Eurer Gefährten hinreichend war, um Euch selbst von dem Liebsten derselben loszureißen, wo die Sklaven, die aus ihren Palasien zu Euch kamen, lange Waschungen bestehen mußten, ehe sie sich Euch nähern durften und bedenkt bei der Erinnerung daran, daß die meisten von uns, vielleicht wir Alle, die wir heute hier zusammen kommen, schon von der Pest angesteckt sind und dann sagt, welchen Vortheil es gewährt, sich nach der Verlängerung eines Lebens zu sehnen, welches Euch nicht mehr gehört?«

»Nein, meine Freunde, meine Brüder im Banket, Ihr fühlt, daß es Thorheit wäre, fortzuleben, wenn das Leben werthlos geworden ist, Ihr könnt nicht vor dem erhabenen Entschlusse. durch welchen wir mit einander verbunden sind, zurückbeben —— ich thue Euch schon durch den Zweifel Unrecht!«

»Erlaubt mir jeßt vielmehr Eure Beachtung auf einen würdigern Gegenstand zu lenken, —— auf die Nennung der festlichen Ceremonien, welche den Gang des Bankets bezeichnen werden. Sobald diese Aufgabe erfüllt ist, schließe ich mich Euch wieder zu der letzten Huldigung vor der Gottheit unseres geselligen Lebens, dem Gotte des Weines an!«

»Es ist Euch, die Ihr in den Tischgebräuchen des Alterthums gelehrt seid, nicht unbekannt, daß es bei Einigen von den Alten gewöhnlich war, daß ein Meister der Philosophie, als Lehrer, wie als Gast, bei ihren Festen den Vorsitz führte. Ich habe dafür Sorge getragen. diesen Gebrauch wieder zu beleben, und wie diese unsere Versammlung in ihrer heroischen Absicht nicht ihres Gleichen hat, so war es auch mein Bestreben zu ihr eine, sowohl als Lehrer, wie als Gast unvergleichliche Person einzuladen. Durch eine originelle Idee angefeuert, von meinen Sklaven unbemerkt, und nur von meinem Sängerknaben dem treuen Glyco, unterstützt, ist es mir gelungen, hinter jenen schwarzen Vorhang einen Genossen unseres Gelags zu bringen, wie Ihr noch keinen gehabt habt —— dessen Erscheinen im rechten Augenblicke Euch unwiderstehliches Erstaunen einflößen muß, und dessen Reden —— nicht bloß menschlicher Weisheit —— von den mitternächtlichen Geheimnissen der Gruft eingegeben sein werden. Neben mir auf diesem Pergamente liegt das Formular der Fragen, welche Reburrus, sobald der Vorhang zurückgezogen sein und, an das Orakel der Mysterien anderer Sphären richten soll!«

»Vor Euch seht Ihr in diesen Gefäßen Alles, was noch von dem Inhalte meiner einst wohlversehenen Keller enthalten ist und was ich dem Gaumen meiner Gäste bieten kann! Wir sitzen bei dem Banket des Hungers und an der bachanalischen Tafel findet kein gröberer Genuß, als der des begeisternden Weines Zulaß. Sollte aber Einer von uns in seinen letzten Augenblicken schwach genug sein, seine Lippen mit Nahrung zu beflecken, wie sie nur des Gewürmes der Erde würdig ist, so möge er den erbärmlichen kleinen Tisch, das Sinnbild der erbärmlichen kargen Speise, welche ihn bedeckt, dort in der Dunkelheit hinter mir aufsuchen. Dort wird er —— im Ganzen kaum für das ärmlichste Mahl eines Menschen hinreichend —— die letzten Bissen der erbärmlichsten Nahrung finden, wie sie noch im Palaste vorhanden sind. Was mich betrifft, so steht mein Entschluß fest, —— nur der köstliche Weinbecher soll sich meinen Lippen nähern! Ueber mir sind die zehn Lampen, die der Anzahl meiner hier versammelten Freunde entsprechen. Eines nach dem andern, wie uns der Wein überwältigt, werden diese brennenden Bilder des Lebens von den Gästen verlöscht werden, welche der Flüssigkeit noch nicht erlegen sind und der Letzte von ihnen wird seine Fackel an der letzten Lampe anzünden und das Banket zu Ende bringen und seinen glänzenden Schluß feiern, indem er den Scheiterhaufen meiner Schätze, welcher dort an meinen Palastmauern aufgehäuft ist, in Brand steckt.«

»Wenn mich meine —— Kräfte eher verlassen sollten, als Euch die Eueren, so schwört —— mir, daß derjenige, welcher von Euch noch im Stande sein wird, den Becher an seine Lippen zu erheben, nachdem er den Händen der Uebrigen entfallen ist, den Scheiterhaufen anzünden will! Schwört es bei Eueren verlorenen Geliebten, Eltern verlorenen Freunden, Eueren verlorenen Schätzen und bei Eueren eigenen, den Freuden des Weines und der Reinigung des Feuers geweihten Leben.«

Als Vetranio mit blitzenden Augen und geröthetem Gesicht auf sein Lager zurücksank, erhoben sich seine Genossen, von dem bereits getrunkenem Weine angefeuert den Becher in der Hand und wendeten sich ihm zu. Ihre mißtönig gemischten Stimmen sprachen zusammen den Eid aus und dann wendeten sich, als sie ihre früheren Lagen wieder annahmen, ihre Augen in glühender Erwartung dem schwarzen Vorhange zu.

Sie hatten den düsteren sarkastischen Ausdruck im Auge Vetranio’s, als derselbe von seinem versteckten Gaste sprach, bemerkt, sie wußten, daß der Bucklige Reburrus unter seinen übrigen belustigenden Fähigkeiten noch die Bauchrednerei verstand, und sie vermutheten die Gegenwart der häßlichen und grotesken Bildsäule eines heidnischen Gottes oder Dämons in der verborgenen Nische, welchen die Gauckelei des Parasiten mit der Kraft der Rede begaben sollte. Sie erwarteten gotteslästerliche Kommentare über Leben, Tod und Unsterblichkeit. Vetranio bemerkte das allgemeine Verlangen nach dem Zurückziehen des Vorhanges, er winkte den Gästen mit der Hand Schweigen zu und rief gebieterisch:

»Die Stunde ist noch nicht gekommen, es muß mehr getrunken werden, es müssen mehr Libationen verschüttet worden sein, ehe das Geheimniß des Vorhangs offenbart wird.«

»He, Glyco,« fuhr er zu dem Sängerknaben gewendet, der schweigend in das Zimmer getreten« war, fort; »jetzt ist der Augenblick gekommen. Stimme Deine Leier und singe meine letzte Ode, die ich an Dich gerichtet habe. Die Reize der Dichtkunst mögen den Vorsitz über das Fest des Todes führen.«

Der Knabe trat zitternd vor. Sein einst von der Röthe der Gesundheit strahlendes Gesicht war farbloß und eingefallen, seine Augen hefteten sich mit einem Blicke starren Entsetzens auf den starren Vorhang, seine Züge zeigten deutlich die Gegenwart einer geheimen furchtbaren Erinnerung an, die alle seine übrigen Fähigkeiten und Wahrnehmungskräfte erstickt hatte. Er wendete fortwährend und fast wie schuldbewußt sein Gesicht von dem seines Herrn ab und stand —— ein schwaches gefallenes Wesen, ein trauriges Schauspiel schlecht an gewandter Gelehrigkeit und entwürdigter Jugend, —— an Vetranio’s Lager.

Den Pflichten seines Berufes getreu, ließ er jedoch seine magern zitternden Finger über die Leier streifen und spielte mechanisch die Einleitung der Ode. Während der aufmerksamen Stille, die jetzt eingetreten war, drang jedoch das wirre Geräusch von dem Volke auf der Straße deutlicher in den Banketsaal und in diesem Augenblicke erhob sich über Alle —— rauh, rasend, entsetzlich —— die Stimme eines Mannes.

»Sprecht mir nicht von aus dem Palaste kommenden Wohlgerüchen!« schrie sie —— »faule Dünste strömen daraus herab! —— Seht, sie senken sich erstickend über mich. Sie baden Himmel und Erde und die Menschen, die sich um uns bewegen, in grausigem, grünen Lichte!«

Hierauf unterbrachen ihn andere schrille, wilde Männer- und Weiberstimmen: ——

»Ruhe, Darus, Du erweckst die Todten um Dich her! verbirg Dich in der Finsterniß, Du bist von der Pest getroffen, Deine Haut ist verschrumpft, Dein Zahnfleisch ist zahnlos. Wenn der Palast angezündet wird, so sollst Du in die Flammen geworfen werden. Damit Dein verfaulter Leichnam gereinigt wird.«

»Singe!« rief Vetranio wüthend, als er den Schauder bemerkte, welcher den Körper des Knaben durchlief und ihn sprachlos erhielt —— »schlage die Leier an, wie Timotheus vor Alexander! ersticke das Bellen der Köter, die auf der Straße auf unsern Abfall warten, durch wohlklingende Töne!«

Der entsetzte Knabe begann schwach und mit häufigen Unterbrechungen sein Lied, zu dessen heidnischer Philosophie das wilde anhaltende Gelärme der stöhnenden Stimmen vor dem Hause eine schaurige Begleitung lieferte. Er lautete ungefähr so:

An Glyco.

Was, Glyco, soll Dein Blumenkranz
Wie bald verbleicht sein bunter Glanz
Zu Staub und todtem Wust.
Doch schneller noch verweht im Wind
Das erdgebor’ne Himmelskind,
Die Freud’ in unsrer Brust!

Die Wolke, die am Himmel zieht,
Die warm im Sonnenschein erglüht,
Und plötzlich dann vergeht;
Sie ist des Menschenlebens Bild,
Das heut das Wohlsein fröhlich schwillt
Und morgen schon verweht!

Wie Blinde tappen wir umher,
Beherrscht vom blinden ungefähr,
Das spöttisch uns verlacht.
Doch zu verlassen diese Welt,
Wenn sie uns einst nicht mehr gefällt,
Das steht in unsrer Macht!

Ist der wohl klug, der träge sinnt
Bis seines Lebens Sand verrinnt,
Wenn’s seine Lust verliert?
Nein, wenn der äußre Glanz verschwand,
So werft das Spielzeug aus der Hand,
So leicht wie Ihr’s geführt!

»Auf Glycos Gesundheit! einen vollen Becher auf den Sänger, der vom Himmel auf die Erde herabgekommen ist!« riefen die Gäste, sobald die Ode zu Ende war, indem sie ihre Weinbecher ergriffen und dieselben bis auf den letzten Tropfen leerten.

Ihr trunkener Beifallsruf drang jedoch nicht bis in das Ohr, für welches derselbe bestimmt war. Die Stimme des Knaben hatte beim Singen des letzten Verses der Qde plötzlich einen schrillen, fast schaurigen Ton angenommen, war dann plötzlich wieder bei den letzten wenigen Roten fast unhörbar geworden und jetzt, als die Zuhörer sich ihm mit beifälligen Blicken zuwendeten, sahen sie ihn kalt, starr und tonlos vor sich stehen. Im nächsten Augenblicke verzerrten sich seine Züge, sein ganzer Körper sank, wie von einem inneren Krampf zerrissen, zusammen —— er fiel schwer auf den Boden nieder. Die Gäste näherten sich ihm mit schwankendem Gange und hoben ihn in ihren Armen auf. Seine Seele hatte die Fesseln des Lasters zersprengt, in welche sie von andern geschlagen worden war, die Stimme des Todes hatte dem Sklaven der großen Despotin, Sünde, zugeflüstert: »sei frei!«

»Wir haben den Schwan seine eigne Leichenhymne singen hören,« sagte der Patrizier Placidus, indem er mit trunkenem Mitleid von der Leiche des Knaben zu dem Gesichte Vetranio’s aufblickte, welches jetzt einen unwillkürlichen Ausdruck von Schmerz und Reue wahrnehmen ließ.

»Unser Wunder der Schönheit und Götterknabe der Melodie ist vor uns nach den elisäischen Feldern gegangen!« murmelte der bucklige Reburrus in rauhen sarkastischen Tönen.

Während der kurzen Stille, die jetzt eintrat, wurden die Stimmen von der Straße, an welche sich nun das Geräusch nahender Schritte auf dem Pflaster schloß, wieder deutlich hörbar.

»Etwas Neues! etwas Neues!« riefen die frischen Hilfstruppen, der schon vor dem Palaste versammelten Schaar. »Haltet Euch zusammen, wenn Ihr auf Euer Leben noch Werth legt! Es sind einzelne Bürger von fremden Männern in einsame Straßen gelockt worden und nie wieder zum Vorschein gekommen. In einem Fleischerladen hat man Krüge von frischgesalzenem Fleisch gefunden, die von keinem Thiere in der Stadt kommen konnten, da keines mehr lebt. Bleibt bei einander! bleibt bei einander!«

»Die Leiche meines armen Knaben soll von keinem Kannibalen unter dem Pöbel entweiht werden»rief Vetranio, der sich jetzt aus seiner kurzen Lethargie des Schmerzes aufraffte. »Komm, Thascius! Marcus! die Ihr noch stehen könnt, wir wollen ihn auf den Scheiterhaufen tragen. Er ist zuerst gestorben, seine Gebeine sollen zuerst zu Asche werden!«

Der Körper wurde nach dem unteren Ende des Zimmers getragen und quer über den Tisch, an den schwarzen Vorhang und zwischen die Haufen von gewebten Stoffen und Hausrath gelegt, die dort an den Wänden aufgethürmt waren. Als die Gäste wieder aus ihre Plätze zurück schwankten, rief Vetranio, der an der Seite des Leichnams zurückgeblieben war, indem er ein kleines Weingefäß in seine zitternden Hände nahm, in Tönen wilden Triumphes:

»Die Stunde ist gekommen, das Banket des Hungers ist zu Ende, das Banket des Todes hat begonnen! Aus die Gesundheit des Gastes hinter dem Vorhange! Schenkt ein! Trinkt! seht!«

Er that einen tiefen Zug aus der Vase und zog die schwarze Draperie über sich bei Seite. Den berauschten Gästen entfloh ein Schrei des Schreckens und Erstaunens, als sie, in dem jetzt vor ihre Augen tretenden Raume, die weißgekleidete Leiche eines alten Weibes auf einem hohen schwarzen Throne, mit ihnen zugekehrtem Gesicht und künstlich unterstützten, wie strafend über den Bankettisch ausgestreckten Armen, erblickten.

Die gelbe Glaslampe, welche hoch über dem Körper brannte, warf ein grelles flackerndes Licht auf denselben. Die Augen standen! offen, die Kinnlade war herabgefallen das lange graue Haar hing schwer zu beiden Seiten der weißen hohlen Wangen herunter.

»Seht!« rief Vetranio auf die Leiche deutend, »seht meinen geheimen Gast! Wer eignet sich besser zum Vorsitze beim Banket des Todes, als die Todten? Ich habe Glyeo zur Hilfe gezwungen, von der freundlichen Nacht umhüllt, mich der ersten Leiche bemächtigt, die auf der Straße vor mir lag, und dort, von Allen ungeahnt, das passend sie Idol unserer Verehrung und den Philosophen bei unserm Feste hingesetzt! —— Noch eine Gesundheit auf die Königin des Todesgelages, auf die Lehrerin der Geheimnisse unsichtbarer Welten, die davon erlöst, unbegraben zu verwesen, mit den Senatoren von Rom in den geweihten Flammen untergehen wird! Auf die Gesundheit der Todten ehe sie die mystischen Enthüllungen beginnt! Schenkt ein —— trinkt!«

Durch das Beispiel ihres Wirthes angefeuert, von ihrem vorübergehenden Grausen zurückgekommen und durch die tolle Lustigkeit des Gelages bereits entflammt, sprangen die Gäste von ihren Ruhebetten auf und entsprachen Vetranio’s Aufforderung mit bachantischem Geschrei.

Die Seene näherte sich in diesem Augenblicke dem Uebernatürlichen. Die wilde Unordnung der schätzebeladenen Tische, der aus umgestürzten Gefäßen auf den Boden strömende Wein, die hell und ruhig die Verwirrung unter ihnen beleuchtenden Lampen, die feurigen Gebärden, die erhitzten Gesichter der Zechen wie dieselben in rasendem Triumphe die juwelenbesetzten Pokale über ihren Köpfen schwangen und dabei der entsetzliche grausige Anblick am unteren Ende des Saales, —— der schwarze Vorhang, das einsam auf seiner hohen Stange brennende Licht, die auf dem festlichen Tische liegende Knabenleiche, neben der der Herr des Hauses stand und gleich einem bösen Geiste spöttisch aufwärts nach dem weißgekleideten Körper des Weibes deutete, der sich in seiner Unnatürlichen Lage über Alle erhob, mit seinen ausgestreckten dürren Armen, mit seinen sich zu bewegen scheinenden Zügen, über die das schwache flackernde Licht der Lampe spielte —— Alles dies zusammen-genommen, bildete eine Combination von Gegenständen, welche aussahen, als ob sie kaum der Erde angehörten und deren Wirkung man eher malen, als beschreiben kann. Es war die Verkörperung der Vision eines Zauberers, —— eine Apokalypse der über die letzten Ueberreste der Sterblichkeit in den Hallen des Todes triumphierenden Sünde.

»An Deine Aufgabe, Reburrus!« rief Vetranio, als der Lärm sich gelegt hatte; »gehe unverzüglich an Deine Fragen! sieh den Lehrer, mit dem Du zu sprechen hast! lies das Pergament in Deiner Hand sorgfältig durch —— frage! frage laut —— Du sprichst zu einer apathischen Leiche.«

Der Buckelige hatte schon vor dem Sichtbarwerden des Leichnams eine Zeitlang an dem einen Ende des Banketsaales, dem schwarz verhangenen Raume gegenüber, gesessen und die Liste von Fragen und Antworten durchgesehen, die den Dialog bildeten, welchen er mit Hilfe seiner Bauchrednerkunst, mit der geschändeten Todten halten sollte. Als der Vorhang zurückgezogen wurde, hatte er aufgeblickt und das Schauspiel, welches sich hinter demselben aufthat, mit einem Lachen brutalen Spottes begrüßt, worauf er sofort zu der Durchsicht des ihm anvertrauten blasphemistischen Formulars zurückgekehrt war. In dem Augenblicke, wo Vetranio seinen Befehl an ihn richtete, stand er auf, schwankte der Leiche zu, eröffnete, als er in ihre Nähe gekommen war, das Gespräch und begann in lauten höhnischen Tönen:

»Sprich, erbärmliches Ueberbleibsel gebrechlicher Sterblichkeit.«

Er hielt, nachdem er das letzte dieser Worte gesprochen, inne, und blickte, da er eine Stellung eingenommen, von wo das Licht der Lampe die steinernen Züge des Leichnams deutlich erkennen ließ, trotzig zu demselben auf. Plötzlich aber kam eine furchtbare Veränderung über ihn, das Manuscript entsank seiner Hand, sein mißgestalteter Körper zitterte und schwankte und ein kreischender Schrei des Wiedererkennens, der eher dem Heulen eines wilden Thieres, als einer Menschenstimme glich, entfloh seinen Lippen.

Im nächsten Augenblicke, als die Gaste aufsprangen, um ihn zu befragen oder zu verspotten, wendete er sich ihnen langsam entgegen.«So verzweifelt und berauscht sie auch waren, schreckte sie doch sein Blick in das tiefste Schweigen. Sein Gesicht war eben so bleich, wie das der Leiche über ihm —— große Schweißtropfen rannen auf demselben herab, wie Regen —— seine trockenen, glühenden Augen schweiften wild über die entsetzten Gesichter vor ihm, er streckte seine geballten Fäuste gegen sie aus und murmelte mit einem tiefen, stöhnenden Flüstern:

»Wer hat das gethan? —— meine Mutter! meine Mutter!«

Als diese wenigen Worte, von furchtbarer Bedeutung, wenn auch einfacher Form, in die Ohren derjenigen, welche er anredete, fielen, blickten die noch nicht ganz in Gefühllosigkeit Versunkenen einander für den Augenblick fast ernüchtert und sprachlos an. Jetzt hörte man nicht einmal mehr das Klappern der Weinbecher auf dem Bankettische, —— man vernahm nichts, als die noch immer bald anschwellenden, bald leiser werdenden Töne der Stimmen des Schreckens, des Spottes und der Pein von der Straße her und die heiseren convulsivischen Laute des Buckeligen, der noch von Zeit zu Zeit ausrief: »Meine Mutter! meine Mutter!«

Endlich redete Vetranio, der sich zuerst wieder erholte, den entsetzten und entarteten Elenden vor sich in Tönen an, die unwillkürlich bebten und gezwungen herauskamen:

»Wie, Reburrus!« rief er, »bist Du schon bis zum Wahnsinn betrunken, daß Du die erste Leiche, die ich zufällig auf der Straße gefunden und hierher gebracht habe, Deine Mutter nennst? War es, um von Deiner Mutter zusprechen, die wir, mag sie nun todt oder lebend sein, weder kennen, noch um die wir uns kümmern, daß Du hier zugelassen bist? Sohn der Dunkelheit und Erbe der Lumpen, was gehen uns Deine plebejischen Eltern an?« fuhr er fort, indem er seinen Becher wieder füllte und sich zu erheucheltem Zorn aufreizte. »Geh ohne Säumen an Dein Gespräch, wenn Du nicht aus dem Fenster geworfen werden willst, damit Du Dich unter den Pöbel, zu dem Du gehörst, mischen kannst.«

Der Buckelige beantwortete die Drohungen des Senators weder mit einem Worte, noch mit einem Blicke. Für ihn war die Stimme der Lebenden durch die Gegenwart der Todten erstickt. Die Vergeltung, welche ihm zu Theil geworden war, hatte sein moralisches Leben getroffen, wie ein Blitz sein physisches niedergeschmettert haben würde. Seine Seele rang in Folterqualen, als er an das furchtbare Schicksal dachte, welches die todte Mutter zum Gerichte über den entarteten Sohn herbeigeführt —— welches die Hand des Senators gelenkt hatte, ahnungslos die Leiche der mißhandelten Mutter zum Gegenstande der verbrecherischen Lustigmacherei des ruchlosen Sohnes gerade am Ende seiner sündigen Laufbahn zu machen. Sein früheres Leben stieg vor ihm zum ersten Male, wie ein häßliches Gespenst, wie ein Alp des Schreckens, der Schmach und des Verbrechens vor ihm auf. Er schwankte, sich an der Wand hintastend, als ob mitternächtliche Finsterniß seine Augen geschlagen hatte, das Zimmer entlang und kauerte an dem offenen Fenster nieder. Unter ihm erhoben sich die Unheil verkündenden Stimmen von der Straße, um ihn breitete sich der dem Verderben geweihte Prunk seiner Herren aus. Vor ihm stand die strafende Erscheinung der Leiche.«

Er würde nur kurze Zeit an seinem Zufluchtsorte unbelästigt geblieben sein, wenn die Aufmerksamkeit Vetranio’s und seiner Gäste nicht durch ein neues Ereigniß von ihm abgelenkt worden wäre. Sie hatten heftig getrunken, um jede Erinnerung an die so eben gesehene Katastrophe zu ertränken, und drei von den Zechern waren bereits den schlimmsten Folgen eines Excesses, welchen ihre geschwächten Körper nicht mehr ertragen konnten, erlegen. Einer nach dem Andern fiel in kurzen Zwischenräumen bewußtlos auf sein Ruhebett zurück und in dem Maße, wie sie kampfuntüchtig wurden, verlöschte man die drei ihnen zunächst brennenden Lampen. Für ihre übrigen Gefährten, mit Ausnahme Vetranio’s und der beiden zu seiner Rechten und Linken lehnenden Patrizier schien die gleiche, schnelle Beendung der Orgie in Aussicht zu stehen. Jene drei bewahrten noch den Schein der Fassung, auf ihren Gesichtern war jedoch bereits eine ominöse Verwandlung eingetreten. Der Ausdruck wilder Lustigkeit und Leichtsinnigkeit war von ihren Zügen verschwunden —— sie beobachteten einander schweigend mit wachsamen argwöhnischen Augen und Jeder berührte, wenn er seinen Weinpokal füllte, bedeutsam die Fackel, mit welcher der letzte Trinker den Scheiterhaufen anzünden sollte. Mit dem Abnehmen der Zahl ihrer Rivalen und dem Verlöschen einer Lampe nach der andern, erlangte auch der Wettstreit um die höchste selbstmörderische Würde ein mächtiges Interesse, über welchem alle übrigen Zwecke und Absichten in Vergessenheit geriethen. Die Leiche am Fußende des Bankettisches und der in seiner Verzweiflung am Fenster kauernde Elende blieben jetzt gleich unbeachtet. In dem verwirrten und verthierten Geiste der Gäste herrschte nur noch ein Gefühl, —— die bange Erwartung, welche dem Ausgange eines tödtlichen Kampfes vorangeht.«

Bald aber wurde von dem Buckeligen die Aufmerksamkeit erweckt, welche ihm sonst vielleicht nie wieder zu Theil geworden sein würde, als er, von dem Geiste der Reue in seinem Innern bewegt, mit stöhnender Stimme eine seltsame Beichte der Entartung und Sünde ablegte, die an Keinen gerichtet, von seinem Bewußtsein oder Willen unabhängig, aus den Tiefen seiner zu Boden gedrückten Seele hervordrang. Er richtete sich halb auf und heftete seine eingesunkenen Augen auf die Leiche, während von seinen Lippen die Worte fielen:

»Es war das letzte Mal, daß ich sie lebend erblickte, als sie sich mir einsam und schwach und arm auf der Straße näherte und mich anflehte, in den Tagen ihres Greisenalters und ihrer Einsamkeit zu ihr zurückzukehren und mich zu erinnern, wie sie mich in meiner Kindheit gerade meiner Mißgestalt wegen geliebt, wie sie mich auf den Straßen von Rom bewacht hatte, damit mich Keiner unterdrücken oder verspotten möge! Die Thränen liefen über ihre Wangen herab, sie kniete auf dem harten Pflaster vor mir nieder und ich, der ich sie wegen ihrer Armuth verlassen hatte, um mich in Palästen zum Sklaven der verfluchten Reichen zu machen, warf ihr Geld zu, wie einer Bettlerin, die mich langweilte, und ging weiter! Sie starb trostlos —— ihr Körper lag unbegraben da, und ich wußte es nicht! Der Sohn, der die Mutter verlassen hatte, sah sie nicht eher wieder, als bis sie sich dort vor ihm erhob —— rächend, entsetzlich, leblos! ein Anblick des Todes, welcher ihn nie wieder verlassen wird! Wehe, wehe dem in seiner Mißgestalt Verfluchten, dem durch die Leiche seiner Mutter Verfluchten!«

Er schwieg und fiel sprachlos wieder zu Boden. Der tyrannische Thascius betrachtete ihn mit von trunkenem Zorne verfinstertem Gesicht, ergriff eine leere Vase, und schwang sie in seiner geschwächten Hand, um sie auf die am Boden liegende Gestalt des Buckeligen zu schleudern, als sich wieder ein einzelner Schrei —— der eines Weibes, über den zunehmenden Stimmenaufruhr auf der Straße erhob und kreischend und durchdringend den Banketsaal durchschallte. Der Patrizier verschob, als er hinhörte, die Ausführung seiner Absicht und lauschte mechanisch mit der halb verdummten, halb schlauen Aufmerksamkeit des Rausches.

»Hilfe! Hilfe!« kreischte die Stimme unter den Palastfenstern. »Er folgt mir immer noch, er hat mein todtes Kind in meinen Armen angefallen! Als ich mich auf den Boden darüber warf, sah ich ihn die Gelegenheit abwarten, um es bei den Gliedern unter mir vorzuziehen! —— Hunger und Wahnsinn waren in seinen Augen —— ich trieb ihn zurück —— ich floh —— er folgt mir immer noch! —— rettet uns! rettet uns!«

In diesem Augenblicke wurde ihre Stimme plötzlich durch wildes Geschrei und heranstürmende Schritte erstickt, woraus ein furchtbarer Lärm von schweren Schlägen folgte, die an mehreren Punkten gegen die Stahlgitter vor dem Palastthoren gerichtet waren. Zwischen den Schlägen, die in regelmäßigen Zwischenräumen langsam und gleichzeitig geführt wurden, konnte man die wüthenden Bösewichter, die ihre letzten Kräfte dazu aufs Aeußerste anstrengten, einander athemlos zuschreien hören: —— »Schlagt stärker! schlagt länger! die Hinterthore werden vor uns von unseren Kameraden bewacht, die an unserer Stelle zur Plünderung des Palastes eingelassen worden sind. Wer an der Beute Theil haben will, möge kräftig zuschlagen! Die Steine sind zu Euern Füßen, die Eingangsthüren geben nach.«

Mittlerweile wurde ein wirrer Lärm von schwer auffallenden Füßen und streitenden Stimmen aus den unteren Gemächern des Palastes vernehmlich. Thüren wurden mit Heftigkeit geschlossen und geöffnet —— Geschrei und Verwünschungen hallten in den hohen steinernen Gängen wieder, die von den Sklavengemächern nach der Haupttreppe führten; der Verrath zeigte sich in dem Gebäude eben so offen, wie sich von Außen in dem Sturme auf die Thore noch die Gewaltthätigkeit wahrnehmen ließ. Die ersten Sklaven waren nicht ohne Grund von ihren Genossen beargwöhnt worden, die Banden der Plünderung und des Mordes hatten sich in dem Hause der Ausschweifung und des Todes organisiert, ihre auserwählten Anhänger von der Straße waren insgeheim durch die Gartenthüren eingelassen worden und hatte sie zum Schutz vor dem Eindringen Anderer verbarrikadiert und Wachen daran gestellt —— den dem Tode geweihten Senatoren nahte ein anderes Ende, als das, welches sie sündiger Weise für sich selbst bereitet, von den Sklaven, die sie bedrückt und den Plebejern, die sie verachtet hatten.

Beim ersten Lärme des Sturmes von Außen und der ersten Wahrnehmung der Verrätherei im Innern sprangen Vetranio, Thascius und Marcus von ihren Ruhebetten auf, während die übrigen Gäste, zum Denken, wie zum Handeln gleich unfähig, in stumpfer Bewußtlosigkeit daliegend, ihr Schicksal erwarteten. Diese drei waren die Einzigen, welche die sie bedrohende Gefahr begriffen und forderten, vom Weine zum Wahnsinn getrieben, in ihrer rasenden Verzweiflung, den ihnen drohenden Tod heraus.

»Horcht, er kommt! der Pöbel, der sich gegen unsere Herrschaft aufgelehnt hat!« rief Vetranio verächtlich. »Er will das Leben nehmen, welches wir verschmähen, und die Schätze, die wir aufgegeben haben. Die Stunde ist gekommen! ich werde hingehen und den Scheiterhaufen anzünden, der unsere Mörder der gemeinschaftlichen Vernichtung mit uns weiht!«

»Halt!« rief Thascius, indem er ihm die Fackel aus der Hand riß; »zuerst muß der Eingang geschützt werden, wenn nicht die Sklaven hier sein sollen, ehe die Flammen entzündet sind! Laßt uns alles Bewegliche, Ruhebetten, Tische, Leichen vor die Thür werfen!«

Mit diesen Worten stürzte er auf die schwarz verhangene Nische zu, um durch das Ergreifen der Weiberleiche seinen Genossen das Beispiel zu geben, er hatte jedoch kaum die Hälfte des Zimmers durchmessen, als der Buckelige, der ihm unbemerkt gefolgt war, von hinten auf ihn einsprang, mit einem kreischenden Schrei seine Finger in die Kehle des Patriziers schlug und ihn zerfleischt und besinnungslos auf den Boden schleuderte.

»Wer wagt es den Körper, der mein ist, anzurühren!« kreischte der mißgestaltete Elende, indem er sich von seinem Opfer erhob und mit seinen blutbefleckten Händen Vetranio und Marcus bedrohte, die verblüfft und für den Augenblick unschlüssig, ob sie zuerst ihren Kameraden rächen oder die Thür verbarrikadieren sollten. »Der Sohn wird die Mutter retten! Ich gehe um sie zu begraben! Buße! Buße!«

Er sprang bei diesen Worten auf den Tisch, zerriß mit unwiderstehlicher Kraft die Stricke, womit die Leiche an den Tisch befestigt war, nahm sie in seine Arme und befand sich im folgenden Augenblicke an der Thür. Mit wildem, unartikulirtem Geschrei, halb der Pein und halb des Trotzes riß er sie auf und wollte eben hinabsteigen, als ihm am oberen Ende der Treppe die Mörderbande begegnete, welche mit blanken Schwertern und lodernden Fackeln zu ihrem Raub und Mordwerke heraneilte. Er stand vor ihnen —— seine verzerrten Glieder waren so fest gegen den Boden gestemmt, als rüste er sich mit einem Satze bis an den Fuß der Treppe hinabzuspringen —— die Leiche war hoch erhoben, ihre gespenstischen Züge waren ihnen zugewendet und ihre nackten Arme noch ausgestreckt, wie sie es über den Bankettisch gewesen waren, ihr graues Haar flatterte rückwärts und vermischte sich mit dem seinen —— in dem ungewissen Licht der Fackeln, welches roth und flackernd auf ihm und seiner furchtbaren Last spielte, sah es aus, als ob die Todte und der Lebende in eine monströse Gestalt zusammengefügt wären.

Die Mörder standen einen Augenblick zusammengedrängt bewegungslos auf der Treppe; das Rache- und Wuthgeschrei erstarb auf ihren Lippen und sie starrten mechanisch mit stieren Blicken auf das grausige Bollwerk, welches sich ihrem Eindringen auf die Opfer, die sie so leicht überraschen zu können, erwartet hatten, entgegenstellte —— im nächsten Augenblick bemächtigte sich ihrer ein abergläubischer Schrecken, als der Buckelige sich plötzlich auf sie zu bewegte, um hinabzusteigen, schien die Leiche, wie es ihren von Entsetzen geblendeten Augen vorkam, auf dem Punkte zu stehen, sich einen Weg Durch ihre Reihen zu brechen. Mit ihrem Eindringen in den Palast unbekannt, und mit neubelebter, sklavischer Furcht glaubend, daß sie das gespenstische Erzeugniß der magischen Beschwörungen der Senatoren über ihnen sei, wendeten sie sieh wie von einem Entschlusse getrieben und flohen die Treppe hinab. Der Lärm ihrer Schreie wurde schwächer und schwächer, als sie durch die geheimen Pforten auf der Rückseite des Gebäudes dem Garten zueilten dann wurde das schwere regelmäßige Auftreten des Buckeligen, als er ihnen durch die einsamen Gänge mit seiner Todeslast nachschritt, in entsetzlicher Deutlichkeit hörbar, dann verklang und erstarb auch dieser Ton und man hörte in dem Banketsaale nur noch das scharfe Klirren der immer noch von der Straße aus gegen die Stahlgitter geführten Streiche.

Jetzt wiederholten sich aber auch diese immer seltener, das feste Metall widerstand siegreich den äußersten Anstrengungen des erschöpften Pöbels, welcher es bestürmte, die Streiche wurden schnell schwächer und die Zahl derjenigen, welche sie führten, geringer; bald verminderten sie sich bis auf drei einander nach langen Pausen folgende, bald auf einen von tiefen verzweifelten Verwünschungen begleiteten und dann senkte sich eine Grabesstille auf den Palast und die Straße, wo vor wenigen Augenblicke noch solcher Lärm und Verwirrung das nächtliche Echo aufgeschreckt hatte.

Im Banketsaale ging diese schnelle Reihenfolge von Ereignissen, —— die auf einige Minuten zusammengedrängten Wunder —— an Vetranio und Marcus vorüber, wie Visionen, welche ihre Augen erblickten, die aber von ihrem Geiste weder aufgenommen noch begriffen wurden. Starr in ihrer hartnäckigen Gleichgültigkeit verharrend, von dem Schauspiele der ihnen drohenden, aber unschädlichen, entsetzlichen aber schnell vorübergehenden Gefahren, die sie umgaben, betäubt, bewegte von den Senatoren keiner eine Muskel, sprach Keiner ein Wort und diese Stille dauerte von der Periode an, wo Thascius dem Angriffe des Buckeligen unterlegen war, bis zu dem, wo der letzte Streich gegen die Palastgitter und die letzte Stimme aus der Straße verstummt waren. Dann lenkte sich der wilde Strom trunkenen Jubels, welcher während dieses kurzen Zwischenraumes unterbrochen gewesen war, wieder doppelt heftig in sein altes Bett. Sobald die warnenden, entsetzlichen Scenen, die sie erblickt hatten, vorüber waren, für dieselben bewußtlos, wendete sich Einer dem Andern mit einem Blicke triumphierender Leichtfertigkeit zu:

»Horcht!« rief Vetranio, »der Pöbel draußen ist bis zum letzten Augenblicke schwach und feig und gibt seine erbärmlichen Anstrengungen, meine Palastthore zu erbrechen, auf. Seht, unser Bankettisch ist immer noch vor dem Eindringen der empörten Sklaven geheiligt und mein Gast von den Todten hat sie vor sich hingetrieben, wie ein Hund die Heerde Schafe! Sprich Marcus, habe ich nicht wohl daran gethan, die Leiche an den Fuß unseres Bankettisches zu bringen? Welche Wunder hat sie nicht gethan, als sie der rasende Reburrus wie ein Panier der Heerschaaren des Todes vor uns her gegen die feigen Sklaven trug, deren passendstes Erbtheil die Unterdrückung und deren einziges Gefühl die Furcht ist! Seht, es steht uns frei das Banket, wie wir es beabsichtigt hatten, fortzusetzen und zu beenden! Die Götter selbst sind eingeschritten, um uns in Sicherheit über die übrigen Sterblichen, die wir verachten, zu erheben! Noch eine Gesundheit auf unsern geschiedenen Gast, der unter den Auspicien des allmächtigen Zeus das Werkzeug unserer Erlösung war.«

Von allen Zechern entsprach Marcus allein Vetranio’s Aufforderung. Diese beiden, —— die letzten noch kampffähigen Streiter des Gelages, gingen, nachdem sie ihre Pokale auf die vorgeschlagene Gesundheit geleert hatten, langsam zu beiden Seiten des Zimmers hinab, blickten verächtlich auf ihre bewußtlosen Genossen nieder und verlöschten alle Lampen, bis auf die beiden über ihren Ruhebetten brennenden. Hierauf kehrten sie wieder nach dem oberen Ende des Tisches zurück und nahmen ihre Plätze wieder ein, um sie nicht eher zu verlassen, als bis der Todeskampf entschieden und der Augenblick zum Anzünden des Scheiterhaufens gekommen sein würde.

Die Fackel lag zwischen ihnen, und neben ihnen standen die letzten Gefäße mit Wein. Die tiefe wieder im Palast herrschende Stille wurde durch kein Wort von ihren Lippen unterbrochen. Mit düster forschend auf einander gehefteten Augen leerten sie langsam und regelmäßig ihre Becher. Die Orgie, welche bisher ein Schauspiel brutaler Entartung und wilder Lust geboten hatte, nahm jetzt, wo sie sich bloß auf zwei Männer beschränkte, an denen die eben erlebten Schreckensscenen gleich eindruckslos vorübergegangen waren und die mit einander wetteiferten, wem der höchste Grad der Entartung zu Theil werden sollte, —— ein Aussehen kaum menschlichen Frevels an, sie wurde zu einem Kampfe um eine satanische Ueberlegenheit in der Sünde.

Eine Zeitlang war auf den Gesichtern der Nebenbuhler um den Selbstmord nur geringe Veränderung zu erblicken. Sie waren aber jetzt bis zu dem äußersten Punkte des Excesses gelangt, wo der Wein entweder als sein eigenes Gegengift wirkt, oder die Pulse des Lebens todtähnlich erstickt. Für beide nahte die Krisis des Kampfes und der Erste, über welchen sie hereinbrach, war Marcus. Vetranio bemerkte wie eine dunkle purpurne Röthe sein bisher blasses, fast farbloses Gesicht überzog. Seine Augen dehnten sich plötzlich weit auf, er rang nach Athem. Die Weinvase, aus der er mit einer letzten Anstrengung seinen Becher zu stillen versuchte, rollte aus seiner Hand auf den Boden. Er richtete sich halb auf und blickte seinen Genossen leichenstarr an, im nächsten Momente aber sank er ohne Wort oder Seufzer rückwärts auf sein Lager nieder.

Der Kampf der Nacht war entschieden. Der Wirth des Bankets und Herr des Palastes blieb allein aufgespart, um das Eine zu beenden und den Andern anzuzünden.

Ein boshaft triumphierendes Lächeln zog über Vetranio’s Lippen, als er jetzt aufstand und die letzte außer seiner eignen noch brennenden Lampe verlöschte. Sobald dies geschehen war, ergriff er die Fackel. Seine Augen schweiften, als er dieselbe erhob, träumerisch über seine prunkend aufgestellten Schätze und die Gestalten seiner todten oder bewußtlosen patrizischen Zechgenossen, die durch seine That im Feuer untergehen sollten. Das Bewußtsein seiner feierlichem nächtlichen Einsamkeit in seinem, dem Verderben geweihten Palaste begann wechselnde, lebhafte Eindrücke auf seinen Geist hervorzubringen, der jetzt unter der physischen Reaktion, die eben das Ausschweifende des nächtlichen Excesses in ihm hervorbrachte, wieder einen Theil seines gewohnten Scharfsinns erlangt hatte. Sein Gedächtniß begann in wirrer Reihenfolge die Scenen heraufzurufen, mit welchen das Gebäude, das er eben zu vernichten im Begriff stand, zu weit oder nahe zurückliegenden Perioden verbunden gewesen war. In dem einen Augenblicke stellte sich der Pomp früherer Gelage, die joviale Versammlung von seitdem entfernten oder gestorbenen Gästen vor ihn hin, in dem andern schien er wieder seine geheime Entfernung aus seinem Palaste in der Nacht von seinem letzten Feste, seine verstohlene Rückkehr mit der aus der Straße heraufgeschleppten Leiche, seine Mühe beim Aufrichten derselben hinter dem schwarzen Vorhange und dem Schreiben des Dialogs, der von dem Buckeligen hatte gesprochen werden sollen, durchzuspielen. Bald wendeten sich seine Gedanken den geringfügigsten Umständen der Verwirrung und dem Schrecken unter den Mitgliedern seiner Haushaltung zu, als sich die erste Noth der Stadt fühlbar zu machen begann; bald kehrten sie ohne deutlichen Zusammenhang oder Grund plötzlich zu dem Morgen zurück, wo er die einsamsten Pfade seines Gartens durcheilt hatte, um mit dem Verräther Ulpius an Numerian’s Gartenthür zusammenzutreffen. Von Neuem wurde das Bild Antoninens, das sich, seit das Original seinen Augen entschwunden war, so oft vor seine Einbildungskraft gestellt hatte, deutlich und wie handgreiflich vor ihm sichtbar. Er dachte an sie, wie sie zu seinen Knieen dem Klange seiner Laute lauschte —— wie sie verwirrt und entsetzt in seinen Armen erwachte —— wie sie verzweifelnd vor dem Grimme ihres Vaters floh wie sie jetzt nur zu gewiß todt in ihrer Schönheit und Unschuld unter den tausend Opfern der Hungersnoth und Pest dalag.

Diese und andere Gedanken, welche einander mit Sturmeseile in seinem Geiste folgten, brachten in der Todesabsicht, die sie aufhielten, keine Veränderung hervor. Sein Zögern beim Anzünden der Fackel war der bewußtlose Verzug des in seinem Entschlusse festen Selbstmörders, ehe er den Giftbecher an seine Lippen hebt, —— wo das Leben als etwas Vergangenes vor ihm aufsteigt, und er einen furchtbaren Augenblick lang auf der dunkeln Schwelle zwischen der Gegenwart und Zukunft steht —— nicht mehr der Pilger der Zeit, —— noch nicht der Erbe der Ewigkeit.

So stand der einsame Herr des großen Palastes in der dämmernd erleuchteten Halle, umgeben von den Opfern, die er vor sich dem Tode zu gejagt hatte, und so sprachen die geheimnißvollen Stimmen seiner letzten irdischen Gedanken in seinem Innern. Allmälig wurden sie leiser, endlich hörten sie ganz auf und Stille und Oede legten sich wie dunkle Schleier über seinen Geist. Er schrak wie aus einem Traume erweckt auf, er fühlte wieder die Fackel in seiner Hand und von Neuem wurde in seinen Augen der Ausdruck wilder Verzweiflung sichtbar, als er dieselbe, ohne zu beben, an der Lampe über sich anzündete.

Der Thau sank rein auf die befleckte Erde nieder, der leichte Morgenwind sang seine leise Dämmerhymmne im Laube an die Macht, welche ihn hervorgerufen; die Nacht war verblichen und der Morgen bereits aus ihr geboren, als Vetranio mit der brennenden Fackel in der Hand auf die angehäuften Brennstoffe zuschritt.

Schon hatte er den größten Theil des langen Zimmers durchmessen, als plötzlich ein schwaches Geräusch von Schritten die eine nach dem Palastgarten führende und mit dem unteren Ende der Bankethalle durch eine kleine Thür mit eingelegtem Elfenbein in Verbindung stehende Treppe heraufstiegen, seine Aufmerksamkeit erregte. Er zauderte in seinem Todesbeginnen und lauschte auf den langsam und regelmäßig näher kommenden Ton, der so schwach er auch war, doch in dem öden Schweigen, welches ihn umgab, geheimnißvoll eindringlich an sein Ohr schlug. Mit hoch über den Kopf, gehaltener Fackel heftete er seine Augen in gespannter Erwartung auf die Thür, sie öffnete sich und vor ihm stand die Gestalt eines jungen weißgekleideten Mädchens. Auf einen Moment blickte er es mit verwirrten Augen an, im nächsten sank die Fackel aus seiner Hand und glimmte unbeachtet auf dem Marmorboden fort —— es war Antonina.

Ihr Gesicht war von einer seltsamen durchsichtigen Blässe überzogen —— ihre einst weichen runden Wangen hatten ihre mädchenhafte Schönheit der Form verloren, ihr unaussprechlich wehmüthiger, hoffnungsloser, milder Ausdruck warf eine einfache geistige Feierlichkeit über ihre ganze Erscheinung. Sie war für den ausschweifenden Senator eine ganz Andere, furchtbar Andere geworden, als das Wesen seiner früheren Bewunderung, aber in ihren verzweifelten Augen war noch genug von dem alten Blicke der Sanftmuth und Geduld vorhanden, der alle Qual und Furcht überlebt hatte, um sie selbst so, wie sie jetzt war, mit ihrem früheren Wesen in Verbindung zu erhalten. Sie stand als ein schwaches hilfloses Geschöpf in dem Gemache der Ausschweifung und des Selbstmordes, zwischen dem Scheiterhaufen und dem verzweifelten Manne, der ihn anzuzünden gelobt hatte, aber gewaltig war der Einfluß ihrer Gegenwart in einem solchen Augenblicke und in einer solchen Gestalt, als rettender, tadelnder, mit der Allmacht des Himmels zur Umschmelzung der Pläne des Menschen bewaffneter Geist.

Eingeschüchtert und mit Erstaunen, als erblicke er eine Erscheinung des Grabes, schaute Vetranio auf das junge Mädchen, welches er mit der am wenigsten selbstsüchtigen Leidenschaft, die er je gehegt, geliebt hatte, die mit dem aufrichtigsten Kummer, den er je gefühlt, schon längst als verloren und todt beklagt worden war, die er jetzt in dem Augenblicke, wo er sich dem Tode weihen wollte, verändert, trostlos, flehend —— mit Empfindungen die ihn in sprachloser Verwunderung und selbst Furcht erhielten, vor sich stehen sah.

Während er noch stumm auf sie blickte, hörte er sie in leisen wehmüthigen, stehenden Tönen zu sich sprechen, die nach den Stimmen des Schreckens und der Verzweiflung, die sich die Nacht über um ihn erhoben hatten, auf sein Ohr fielen, wie Töne, die noch nie an dasselbe gerichtet worden waren.

»Numerian, mein Vater, erliegt dem Hunger,« begann sie; »wenn ihm keine Hilfe gewährt wird, so stirbt er vielleicht noch vor Sonnenaufgang. Du bist reich und mächtig. Ich komme zu Dir, da ich außer seinem Leben jetzt nichts mehr habe, wofür ich leben möchte, um Nahrung für ihn zu erbitten!«

Sie hielt, für den Augenblick unfähig weiter zu sprechen, inne und heftete ihre Augen sehnsüchtig auf des Senators Gesicht. Dann, als sie sah, daß er sich umsonst bemühte ihr zu antworten, senkte sich ihr Kopf auf ihre Brust nieder und ihre Stimme sank noch leiser, indem sie fortfuhr.

»Ich habe die lange Nacht hindurch, die jetzt vergangen ist, unter Kummer und Schmerz nach Geduld gerungen; meine Augen waren schwer und mein Geist war schwach; ich würde gern in meiner Einsamkeit und Schwäche meinen Geist an Gott, der ihn geschenkt, zurückgegeben haben, wäre es nicht meine Pflicht gewesen, jetzt für mein und meines Vaters Leben zu ringen, da ich ihm, nachdem ich alles Andere verloren, zurückgegeben bin! Ich konnte weder denken noch mich bewegen, noch weinen als ich auf Deinen Palast herauf schaute und die Stunden der Finsterniß durchwachte und durchharrte, aber als der Morgen graute, wurde Last auf meinem Herzen leichter. Ich gedachte, daß der Palast, den ich vor mir sah, der Deine war, und wenn auch die Thore geschlossen waren, wußte ich doch, daß ich ihn durch Deinen Garten, der an meines Vaters Land stößt, erreichen konnte. Ich hatte in Rom Keinen, bei dem ich um Mitleid zu bitten wußte, als Dich und ich habe mich daher schnell aufgemacht, ehe mich meine Schwäche überwältigte. Ich gedachte, daß ich von Deinen Händen viel Elend erlitten, aber hoffte, daß Du mich um das, was ich geduldet, bedauern würdest, wenn Du mich wieder sähest. Ich bin müde und matt durch den Garten gekommen. Es dauerte lange, ehe ich mich hierher fand, willst Du mich eben so hilflos, wie ich gekommen bin, wieder zurücksenden? Du hast mir zuerst gelehrt, meinem Vater ungehorsam zu sein, indem Du mir die Laute gabst, wirst Du Dich jetzt weigern mir zu helfen und ihn zu unterstützen? Er ist Alles, was mir in der Welt geblieben ist! Habe Erbarmen mit ihm! habe Erbarmen mit mir

Von Neuem blickte sie in Vetranio’s Gesicht auf, seine bebenden Lippen bewegten sich, aber noch immer drang aus ihnen kein Laut. Auf seinen Zügen herrschte noch immer der Ausdruck der Verwirrung und der Verschüchterung, als er langsam nach dem oberen Ende des Bankettisches deutete. Für sie war diese einfache Handlung beredter, als es alle Reden gewesen sein würden. Sie lenkte ihre schwachen Schritte augenblicklich der von ihm angedeuteten Richtung zu.

Er sah sie im Lichte der einzigen noch brennenden Lampe stark in der beschirmenden Begeisterung ihrer guten Absicht zwischen den Körpern seiner Selbstmordgenossen hindurchgehen, ohne auf ihrem Pfade zu verweilen. Als sie an das obere Ende des Zimmers gelangt war, nahm sie eine Flasche Wein von dem Tische und von dem hölzernen Gestell dahinter die Schüssel mit Nahrung, welche die Gäste des Todesbankets verschmäht hatten. Hierauf kehrte sie augenblicklich wieder zu der Stelle zurück, wo Vetranio noch immer stand. Hier hielt sie einen Augenblick an, als wolle sie noch einmal sprechen, ihre Stimme wurde aber von ihren Empfindungen erstickt. Aus den Quellen, die die Verzweiflung und das Leiden vertrocknet hatte, flossen die lange eingekerkerten Thränen, auf das Gebot der Dankbarkeit und Hoffnung, noch einmal wieder hervor. Sie blickte eben so stumm wie der Senator zu ihm auf, und der Ausdruck, welchen sie in diesen« Augenblicke zeigte, war dazu bestimmt, —— in seinem Gedächtnisse zu bleiben, so lange er dieses selbst noch hatte. Darauf entfernte sie sich mit schwankenden, hastigen Schritten auf dem Wege, den sie beim Kommen eingeschlagen hatte, und er blieb von Neuem in dem großen Palaste, den sein schlimmer Einfluß über den Willen Anderer zu einem Gebeinhause gemacht hatte, allein.

Er machte keinen Versuch, ihr zu folgen oder sie zurückzuhalten, als sie ihn verließ. Die Fackel glimmte noch neben ihm aus dem Boden, aber er beugte sich nicht hinab, um sie aufzuheben; er sank von dem, was er erblickt hatte, betäubt auf ein leeres Ruhebett nieder. Das, was weder Bitten noch Drohungen, noch grimmiger, gewaltsamer Widerstand bei ihm zu bewirken vermocht haben würden, hatte das Erscheinen Antoninens hervorgebracht Es hatte ihn gezwungen, in dem Augenblicke der Ausführung seines Todesplanes innezuhalten. Er erinnerte sich, wie sie von dem ersten Tage an, wo er sie gesehen, einen geheimnißvollen Einfluß auf seinen ganzen Lebensgang geübt, wie sein Streben, sie zu besitzen, seine Beschäftigungen geändert und seine Unterhaltungen unterbrochen hatte, wie alle seine Energie und sein ganzer Reichthum nicht im Stande gewesen waren, sie zu entdecken, als sie aus ihres Vaters Hause floh, wie die ersten Gefühle der Reue, die er je gekannt hatte, durch sein Bewußtsein des Antheils, den er an der Herbeiführung ihres unglücklichen Schicksals gehabt, verursacht worden waren. Als er sich Alles dies ins Gedächtniß zurückrief, als er bedachte, daß sie, wenn sie sich ihm zeitiger genähert haben würde, von dem trunkenen Lärm seiner Genossen erschreckt, zurückgetrieben worden sein würde, und wäre sie später gekommen, seinen Palast in Flammen gefunden hätte. Als er zu gleicher Zeit an ihre plötzliche Gegenwart in dem Banketsaale dachte, während er sie für todt gehalten hatte, und wo ihr Erscheinen in dem Augenblicke des Anzündens des Palastes den unwiderstehlichsten Einfluß auf seine Handlungen geübt hatte, durchbebte ihn das unbestimmte Gefühl abergläubischer Furcht, welches instinktmäßig im Geiste aller Menschen existiert, aber bis her in dem seinen noch nie erweckt worden war. Seine Augen hefteten sich auf die Thür, durch die sie sich entfernt hatte, als erwarte er ihre Rückkehr. Ihr Schicksal schien bedeutsam mit dem seinen verflochten zu sein, —— sein Leben schien sich auf ihr Gebot zu bewegen, sein Tod auf dasselbe zu warten. In den Empfindungen, welche jetzt seine Körperkräfte unthätig erhielten, lag keine Reue, keine moralische Reinigung, —— er war für den Augenblick von einer geistigen Lähmung geschlagen.

Die rastlosen Augenblicke zogen weiter und weiter und immer noch verschob er die Vollendung des Verderbens, welches die Orgie der Nacht begonnen hatte. Allmälig wurde es heller und das Licht des Tages beschien in warmer Schönheit die kalten, in der stummen Halle ausgestreckt daliegenden Körper und trübte den schwachen Schein der verglimmenden Lampe, kein schwanzer Rauch, keine rothe, verzehrende Feuergluth stieg auf, um den hellen Schein des Morgens zu verdunkeln, kein Flammengebraus unterbrach die murmelnde Ruhe der Natur, oder schreckte die auf dem Straßenpflaster liegenden, erschöpften Auswürflinge aus ihrem schweren Schlafe auf. Der herrliche Palast stand in seinen festen Grundlagen noch unerschüttert da, die Zierrathen seiner Säulenhallen und seine Statuen schimmerten, wie vor Alters, in den Strahlen der aufgehenden Sonne, und immer noch hing die Hand des Herrn, welcher geschworen hatte, ihn zu vernichten, wie sich selbst, müßig ohne die Fackel, die bereits zu unschädlicher Asche zu seinen Füßen ausgeglimmt war, herab.


Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte