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Antonina oder der Untergang Roms



Kapitel II.
Der Tempel und die Kirche.

Es war Ulpius. Der Heide hatte sich in der Haltung und im Gesicht eben so sehr verändert, wie in seiner Kleidung. Er stand fester und straffer da. Eine bräunliche Farbe hatte sein Gesicht überzogen, seine sonst so eingesunkenen und glanzlosen Augen waren jetzt weit offen und von dem grellen Scheine des Wahnsinns erhellt. Es schien als ob seine Körperkräfte sich neu gestählt hätten, während sich seine Geistesfähigkeiten dem Untergange zuneigten.

Kein Menschenauge hatte je erblickt, durch welche geheimen widerlichen Mittel er die Hungersnoth überlebt, mit welcher Unnatürlichen Kost er die Forderungen des unerbittlichen Hungers befriedigt hatte, aber dort in seinem düsteren Asyle hatte der Wahnsinnige und Auswürfling gelebt und sich bewegt und plötzlich und seltsam gestärkt, nachdem die Bewohner der Stadt alle ihre vereinten Hilfsquellen erschöpft, vergeblich alle ihre vereinten Reichthümer verschwendet hatten und zu Tausenden um ihn her dahin gewelkt und gestorben waren.

Es vergingen mehrere Minuten und immer noch standen ihm Vater und Tochter stumm gegenüber, blickten ihn immer noch mit stieren, unbewegten Augen an. Seine Gegenwart übte auf sie einen lähmenden Zauber. Die bei Antoninen, als sie ihre übel gewählte Zufluchtsstätte betraten, gelähmte Bewegungskraft war jetzt auch bei Numerian unterdrückt, aber bei ihm hatte kein Gedanke an die Feindin auf der Straße in diesem Augenblicke an dem unwiderstehlichen Einflusse Theil, welcher ihn vor dem Feinde im Tempel bewegungslos erhielt. Es war ein Gefühl tieferen Entsetzens, denn jetzt, wo er die häßlichen Züge des Heiden erblickte, wo er das Priestergewand und die Binde, die längst schon durch die feierlichsten Gesetze verboten waren, sah, nahm er nicht nur den Verräther wahr, der so erfolgreich gegen das Glück seines Hauses complottirt hatte, sondern auch den Wahnsinnigen —— den Moralisch-Aussätzigen, der ganzen menschlichen Familie, —— den lebenden Körper und die todte Seele, —— den des göttlichen Lichtes des Lebens, welches der sterbliche Mensch mit den Engeln Gottes theilt, beraubten.

Er hielt Antoninen noch immer fest, aber es geschah vollkommen mechanisch. Allem äußern Anscheine nach war er eben so hilflos, wie sein hilfloses Kind, als Ulpius langsam seine Hand von Beider Schulter nahm, sie trennte, ihre Hände mit seinen kalten knochigen Fingern umschloß und zu sprechen begann.

Seine Stimme war tief und feierlich, aber seine Worte schienen in ihrem harten wechsellosen Tone keine menschliche Empfindung auszudrücken. Seine Augen versanken, statt sich, während er redete zu erhellen, wieder in dumpfe, geistesleere Bewußtlosigkeit. Bei ihm schien die Verbindung zwischen der Rede und der sie begleitenden und erläuternden Thätigkeit des Blickes, welche man bei allen Menschen bemerkt, verloren zu sein. Es war furchtbar, das todtenähnliche Gesicht zu erblicken und in demselben Moment die lebende Stimme zuhören.

»Sieh da, die Frommen kommen in den Tempel!« murmelte der Heide, »die guten Diener der mächtigen Religion versammeln sich auf den Ruf des Priesters. Aus den fernen Provinzen, wo die Feinde der Götter die geheiligten Haine entweihen, versammelt sich das zerstreute Volk des Nachts, um zum Tempel des Serapis zu reisen. Anbetende Tausende knieen in den hohen Vorhallen, während im Innern in der geheimen Halle, wo das Licht dämmerig ist, wo die Luft um die athmenden Götter auf ihren goldenen Fußschemeln bebt, liest der Hohepriester Ulpius die Geschicke der Zukunft, die vor seinem Auge aufgerollt sind, gleich einem Buche.«

Als er schwieg und ohne die Hände seiner Gefangenen loszulassen, dieselben fest anblickte, erglänzten seine Augen von Neuem, drückten aber keine Wiedererkennung des Vaters oder der Tochter aus. Das Delirium seiner Einbildungskraft hatte ihn nach dem Tempel in Alexandrien geführt, die Tage waren aufs Neue erschienen, wo sein Ruhm den Gipfelpunkt erreicht hatte, wo die Christen vor ihm als ihrem grimmigsten Feinde bebten und die Heiden ihn als ihre letzte Hoffnung umgaben.

Die Opfer seines frühem, vergessenen Verraths waren für ihn nur zwei von der Menge der Andächtigen, die durch den Ruf seiner Beredtsamkeit, durch die triumphierende Notorietät seiner Macht, die Anhänger des alten Glaubens zu beschützen, angelockt wurden.

Aber nicht immer gab sich sein Wahnsinn auf diese Weise kund. Es gab Augenblicke, wo er sich bis zu Entsetzen erregender Raserei erhob. Dann bildete er sich ein, daß er wieder die stürmenden Christen von den Mauerzinnen des belagerten Tempels herabschleudere —— in jener längst vergangenen Zeit, wo das Heiligthum des Serapis von dem Bischof von Alexandrien der Zerstörung geweiht worden war. Sein Wuthgeschrei. seine rasenden Verwünschungen des Trotzes waren weithin durch die feierliche Stille des pestgeschlagenen Rom zu hören. Diejenigen, welche während der schrecklichsten Tage der gothischen Blockade verhungert auf dem Steinpflaster vor dem kleinen Tempel niedersanken, wenn sie daran vorüber zu gehen versuchten, boten einige grausige Wirklichkeit des Todes, die die Träume des Wahnsinnigen von Schlacht und Kampf verkörperten. Die das Leben verhauchenden Opfer des Hungers auf der Straße hörten über ihnen seine Stimme, die sie als Christen mit rasenden Flüchen überschüttete, über sie als von seiner Hand gefallene, besiegte Feinde triumphierte und seine eingebildeten Anhänger ermahnte, die eben Erschlagenen auf die Todten unterhalb zu schleudern, bis die Leichen der Tempelbelagerer als Schranken gegen ihre lebenden Kameraden um die Mauern aufgehäuft sein würden. Zuweilen verherrlichte er in seinem Delirium die blutigen Ceremonien des heidnischen Aberglaubens, dann entblößte er seine Arme und schrie laut nach dem Opfer, er beging dunkle, namenlose Abscheulichkeiten, denn auch jetzt lagen die Todten und Sterbenden vor ihm, um die Schatten seiner schlimmen Gedanken zu verkörpern und Pest und Hunger lieferten ihm wie Geschöpfe seines Willens das Opfer für den Altar in die Hände.

Zu anderen Zeiten, wenn der Anfall der Tobsucht vorüber war, und er keuchend in der finstersten Ecke des Tempels lag, nahm sein Wahnsinn eine andere trauernde Form an. Seine Stimme wurde leise und klagend, die Trümmer seines umherschweifenden Gedächtnisses schwammen weit, weit zurück auf dem dunkeln Gewässer der Vergangenheit und seine Zunge sprach Fragmente von Worten und Phrasen aus, die er an den Knieen seines Vaters gemurmelt —— kindische Abschiedswünsche, die er in seiner Mutter Ohr gehaucht —— unschuldige besorgte Fragen, die er an Macrinus den Hohenpriester gerichtet hatte, als er zu Alexandrien in den Dienst der Götter getreten war. Seine jugendlichen Träumereien —— die sanfte Redeweise und die Poesie der Gedanken seiner ersten Jugendtage wurden jetzt durch die unerforschlichen, unwillkürlichen Einflüsse seiner Krankheit in seinen gebrochenen Worten neu belebt, in seinem trostlosen Greisenalter des Wahnsinns und Verbrechens erneuert, in unbewußtem Spotte von seinen Lippen ausgehaucht, während noch der Schaum an ihnen hing und die letzten Blitze der Raserei noch seine Augen erhellten.

Diese unnatürliche Ruhe der Sprache und Lebhaftigkeit der Erinnerung, dieser verrätherische Schein nachdenklicher wehmüthiger Fassung dauerte oft ununterbrochen lange Perioden hindurch fort, aber früher oder später stellte sich die plötzliche Veränderung ein, die trügerische Kette der Gedanken zerriß in einem Augenblicke, das Wort blieb unbeendet, die müden Glieder schnellten krampfhaft zu erneuter Thätigkeit auf, und wie der Traum der Gewaltthätigkeit zurückkehrte, und der Traum des Friedens verschwand, schwelgte der Wahnsinnige von Neuem in seiner Wuth und wanderte, wie ihn seine Visionen führten, in seinem Tempelheiligthume umher und wenn die Nacht am dunkelsten und der Tod in Rom am geschäftigsten war unter den Sterbenden in verödeten Häusern und den Leblosen auf den stummen Straßen herum.

Aber es gab andere spätere Ereignisse seiner Existenz, die sich nie in seinem Innern belebten. Das alte vertraute Bild des Serapis, welches ihn, als er wieder nach Rom kam, in den Tempel gezogen hatte, zehrte in sich und in den mit ihm verknüpften Erinnerungen alles was noch von seinen gelähmten Geisteskräften in Thätigkeit geblieben war, auf. Seine Verrätherei in Numerians Hause, sein Durchbrechen der geborstenen Mauer, seine zermalmende Zurückweisung im Zelte Alarich’s beschäftigte seine umherschweifenden Gedanken auf keinen Augenblick. Die Wolken, welche seinen Geist umschleierten, öffneten sich, um ihm kurze Blicke auf die Mühen und Triumphe seiner frühem Laufbahn zu gewähren, aber sie umhüllten alle späteren Tage seines traurigen Lebens mit undurchdringlicher Finsterniß. Dies war das Wesen, dessen Willen durch ein räthselhaftes Schicksal Vater und Kind jetzt verfallen waren —— dies die einsame hoffnungslose Abscheu erregende Existenz des schlauen, mitleidslosen Verräthers ihrer früheren Tage!

Seit er zu sprechen aufgehört hatte, war der kalte leichenähnliche Druck seiner Hand allmälig stärker geworden und er hatte angefangen, langsam und forschend von einer Seite zur andern zu blicken. Wenn diese Veränderung die nahe Rückkehr seines Tobparoxismus bezeichnet hätte, so würde Numerians und Antoninens Leben im nächsten Augenblicke verloren gewesen sein, aber er verkündete weiter nichts als die Erneuerung der hohen unbestimmten Ideen von Berühmtheit und Erfolg, von priesterlicher Ehre und Einfluß, von dem Glanze und der Herrlichkeit der Götter, welche ihm seine letzten Worte eingegeben hatte. Er machte eine plötzliche Bewegung und zog die Opfer seiner gefährlichen Laune um einige Schritte tiefer in das Innere des Tempels, und führte sie dann dicht zu der hohen Zusammenhäufung von Gegenständen, welche Numerians Augen beim Eintritt in das Gebäude zuerst auf sich gelenkt hatten.

»Kniet nieder und betet an!« rief der Wahnsinnige heftig, indem er seine Hände wieder auf ihre Schultern legte und sie auf den Boden niederdrückte. »Ihr steht vor den Göttern, Ihr befindet Euch vor ihrem Hohenpriester!«

Der Kopf des Mädchens sank vorwärts und sie verbarg ihr Gesicht in den Händen, aber ihr Vater blickte zitternd an der Zusammenhäufung hinaus. Seine Augen hatten sich unmerklich an das Dämmerlicht des Tempels gewöhnt und er sah jetzt die Gegenstände, welche die sich vor ihm erhebende Masse bildeten, deutlicher. Hunderte von Götterbildern aus Gold, Silber und Holz, —— viele aus dem letzteren Material von mehr als Lebensgröße, Thronhimmel, Gewänder, Möbel, Werkzeuge, Alle von altheidnischer Form waren unordentlich durch einander, volle fünfzehn Fuß hoch zusammengehäuft. In dem Aussehen der Masse lag etwas zugleich Abschreckendes und Groteskes. Die monströsen Gestalten der Götzen mit ihren roh geschnitzten Draperien und symbolischen Waffen lagen in der wildesten Verschiedenartigkeit der Stellung da und zeigten die auffallendsten Ungewöhnlichkeiten der Umrisse, besonders in den höheren Theilen der Masse, wo sie offenbar durch die Hand, welche den Haufen zusammengebracht hatte, vom Boden aus hinaufgeworfen worden waren. Die mit den Bildern und dem Hausrath vermengten Draperien waren bald schlangenartig um sie gewickelt, bald hingen sie auf den Boden nieder und bewegten sich langsam und feierlich in den Winden, welche durch die Tempelthür hiereindrangen. Die unregelmäßig in der Masse verstreuten kleineren goldenen und silbernen Gegenstände schimmerten aus derselben hervor wie glühende Augen, während der Haufen selbst an einem solchen Orte im dämmernden Lichte erblickt, wie ein großes, mißgestaltetes Ungeheuer«— die düstere Verkörperung des blutigsten Aberglaubens des Heidenthums, das Erzeugniß feuchter Lüfte und geil wuchernden Ruins, des Schattens und der Finsterniß verfluchter pesthauchender Einsamkeit —— aussah!

Selbst in ihrer Lage besaß die Zusammenhäufung so gut wie in den Gegenständen, aus welchen sie zusammengesetzt war, ein Unheil verkündendes Aussehen, ihre nach dein Gipfel zu breiter werdende Masse hing gegen die Thür hin furchtbar über, es schien als könne eine einzige Hand sie aus ihrem ungewissen Gleichgewichte bringen und sie augenblicklich in einer zusammenhängenden Masse zu Boden stürzen.

Es waren viele mühselige Stunden vorübergegangen und lange geheime Arbeit daraus verwendet worden, um diese schwankende, gespenstische Masse aufzurichten, aber sie war das Werk einer einzigen Hand. Allnächtlich war der Heide in die verlassenen Tempel der umliegenden Straßen gedrungen und hatte sie ihres Inhalts beraubt, um sein Lieblingsheiligthum zu bereichern. Die Entfernung der Statuen von ihren bestimmten Orten, die bei einem Geringern Heiligthumsschändung gewesen sein würde, war in seinen Augen das hohe Privilegium des Hohenpriesters allein. Er hatte schwere Lasten getragen und starke Befestigungsmittel auseinandergerissen und stundenlang durch dieselben finsteren Straßen gekeucht, ohne bei seiner Ausgabe zu verziehen. Er hatte Schätze und Statuen über einander gehäuft, er hatte die Basis dieser kostbaren, geheiligten Masse verstärkt und ihren Gipfel erhöht. Er hatte mit einer Geduld und Ausdauer, die kein Mißlingen, keine Ermüdung zu überwältigen vermochte, diesen neuen babylonischen Thurm, den er sich bis zum Olympus des Tempeldaches zu führen sehnte, ausgebessert und neugebaut, wenn derselbe zerfallen und zusammengestürzt war. Es war der liebste Zweck seiner heidnischen Träume, sich mit unzähligen Gottheiten zu umgeben, so wie unzählige Andächtige zu versammeln, das Heiligthum seiner Wohnung zu einem mächtigen Pantheon, so wie zu einem Punkte der Vereinigung für die verstreuten Gemeinden der heidnischen Welt zu machen. Dies war der grenzenlose Ehrgeiz, in welchem sich sein Wahnsinn zum wüthendsten Fanatismus anschwellte, und als er jetzt neben seinen knieenden Gefangenen aufrecht dastand, blickten seine flammenden Augen mit ehrerbietiger Scheu auf seine Idole, er erhob seine Arme in feierlichem verzückten Triumphe und ergoß an dem barbarischen Altare, welchen seine ununterstützten Kräfte errichtet hatten, in leisen Tönen seine wilden durcheinander gemengten, fragmentarischen Gebete aus.

Welche Wirkung seine verwirrten wilden Ausrufungen auch auf Numerian machen mochten, so blieben sie doch von Antonina unbemerkt, ja selbst ungehört, denn jetzt, wo die Stimme des Wahnsinnigen sich zu einem Flüstern herabsenkte und während sie alle Gegenstände um sich her, vor ihren Augen verbarg, erwachten ihre Sinne zu Tönen im Tempel, die sie noch nie wahrgenommen hatte.

Der schnelle Strom des Tiber bespülte die Grundmauern auf der einen Seite des Gebäudes, in welchem das einschläfernde Rieseln des Wassers mit merkwürdiger Deutlichkeit zu hören war. Außerdem schlug aber noch ein anderer lauterer Ton an das Ohr. An dem Dache des Tempels hingen noch Reihen von kleinen vergoldeten Glöckchen, die ursprünglich theilweise zur Zierde, theilweise aber auch dazu dort angebracht worden waren, um durch das Geräusch, welches sie, wenn sie vom Winde bewegt wurden, machten, die Vögel am Niederlassen auf dem geweihten Gebäude abzuhalten. Die Klänge dieser Glöckchen waren silbern und hoch; bald, wenn der Wind stark war, klangen sie munter und anhaltend zusammen, bald, wenn er sank, waren ihre Töne schwach, einzeln und unregelmäßig und in ihrer reinen metallischen Weichheit fast klagend. Wie sich aber auch ihr Ton unter dem launischen Einflusse des Windes verändern mochte, so schien er doch stets innerhalb des Tempels wunderbar mit dem leisen ewigen Rauschen des Flusses gemischt zu sein, welches selbst die geringsten Pausen in dem angenehmen Läuten der Glöckchen ausfüllte und selbst während derselben seine sanfte monotone Harmonie hörbar werden ließ.

In dieser ungewohnten Combination von Klängen, lag, wenn man sie in dem gewölbten Innern des kleinen Gebäudes vernahm, etwas seltsam Einfaches, Bezauberndes und Geistiges. Je länger man sie anhörte, desto vollkommener verlor der Geist die Erinnerung an ihren eigentlichen Ursprung und bildete sich allmälig immer wildere und wildere Phantasien aus ihnen, bis die Glöckchen mit ihrem leisen Geläute seligen Stimmen eines himmlischen Stromes zu gleichen, leicht auf seinen klaren Wellen dahin getragen zu werden und über die ihnen zumurmelnden Gewässer zu jubeln schienen.

Trotz der Gefahr ihrer Lage und des Schreckens, welcher sie noch sprachlos an den Boden heftete, war auf Antoninen der Eindruck der seltsamen gemischten Musik des Flusses und der Glöckchen, da sie dieselben zum ersten Male hörte, mächtig genug, um alle ihre übrigen Empfindungen in momentaner Verwunderung und Zweifel aufzulösen. Sie zog ihre Hände vom Gesicht und blickte mechanisch nach der Thür als ob sie sich einbilde, daß die Klänge von der Straße kämen.

Eben als sie dorthin blickte, überzog die untergehende Sonne zwischen zweien von den äußeren Säulen, die den Tempel umgaben, hereinfallend, die glatten Fließen vor dem Eingange mit einem hellen Glanze. In dem warmen milden Lichte flog müde ein Schwarm von Insekten umher und ihr schwaches, eintöniges Summen ließ das über allen äußeren Dingen ruhende vollkommene Schweigen eher noch tiefer erscheinen, als daß es dasselbe unterbrochen hätte. Bald aber sollte eine Veränderung in der Ruhe des stillen Ortes eintreten, es war während Antonina noch hinschaute, kaum eine Minute vergangen, als sie über das sonnige Pflaster einen dunkeln Schatten herangleiten sah, denselben Schatten, den sie erblickt hatte, als sie auf ihrer Flucht stehen geblieben war, um sich in der leeren Straße umzusehen. Zuerst wurde er langsam länger und immer länger, dann blieb er stehen, dann entfernte er sich und verschwand eben so allmälig, wie er herangekommen war, und dann war es dem Mädchen als höre sie einen schwachen Ton von Schritten, die sich in dem seitlichen Säulengange, nach dem den Fluß überschauenden Theile des Gebäudes, zurückzogen.

Ein leiser Schreckensschrei rang sich von ihren Lippen, als sie gegen ihren Vater hin zurücksank, aber er blieb unbeachtet. Die Stimme des Heiden hatte in der Zwischenzeit ihren hohlen lauten Ton wieder angenommen, er hatte Numerian vom Boden erhoben, sein starker, kalter Griff, der bis in das Herz des Greises zu dringen schien und ihn wie mit einem bösen Zauber hilf- und bewegungslos festhielt, war an seinem Arme ——

»Hört es! »Hört es!« rief der Wahnsinnige, indem er seine freie Hand ausstreckte, als rede er eine große Menschenmenge an. »Ich befördere diesen Mann zu einem Diener des Hohenpriesters! Er ist aus einem fernen Lande nach dem Heiligthume gekommen, er ist vor dem Altare der Götter gelehrig und gehorsam, das Los seines künftigen Lebens ist geworfen, seine Wohnung soll bis zum Tage seines Todes im Tempel sein. Er soll vor mir in weißen Gewändern dienen und das dampfende Rauchfaß schwingen und das Opfer zu meinen Füßen tödten.«

Er hielt inne. Ein düsterer, entsetzlicher Ausdruck trat in seine Augen, als das Wort Opfer über seine Lippen ging. Er murmelte zweifelnd vor sich hin:

»Das Opfer! ist die Stunde des Opfers schon gekommen?« und sah sich nach der Eingangsthüre um.

Die Sonne schien noch hell auf das äußere Steinpflaster, die Insekten kreisten noch langsam in dem milden Lichte, kein Schatten war jetzt sichtbar, man hörte keine fernen Schritte, man vernahm nichts als die frohe Musik des rieselnden Wassers und der läutenden Silberglöckchen. Einige Augenblicke lang schaute der Heide ängstlich nach der Straße hinaus, ohne ein Wort zu sprechen oder einen Muskel zu bewegen. Die Tobwuth war nahe daran, sich seiner wieder zu bemächtigen als der Gedanke an das Opfer durch seinen verdunkelten Geist zuckte, aber das Eintreten derselben verzögerte sich abermals. Er wendete langsam den Kopf nach dem Innern des Tempels.

»Noch scheint die Sonne hell in den äußeren Höfen,« murmelte er leise; »noch ist die Stunde des Opfers nicht erschienen! komm!« fuhr er lauter fort, indem er Numerians Arm schüttelte; »es ist Zeit, daß der Diener des Tempels die Opferstätte erblickt und vor Sonnenuntergang das Opfermesser schärft! Steh auf Sklave und folge mir!«

Bis jetzt hatte Numerian weder gesprochen noch einen Fluchtversuch gemacht. Die bisherigen Ereignisse waren, wiewohl es eine Zeitlang gedauert hat, sie zu beschreiben, in einer so kurzen Periode vorübergegangen, daß er sich noch nicht von dem ersten betäubenden Schrecken der Begegnung mit dem Heiden hatte erholen können. Jetzt aber fühlte er trotz seiner Verschüchterung, daß der Augenblick des Ringens um Freiheit gekommen war.

»Laß mich los! Wir wollen gehen! —— zwischen uns kann keine Gemeinschaft mehr existieren!« rief er mit dem rücksichtslosen Muthe der Verzweiflung, indem er Antoninens Hand ergriff und sich von dem Wahnsinnigen loszumachen rang. Die Anstrengung war aber vergeblich —— Ulpius hielt ihn nur um so fester und lachte triumphierend.

»Was!« rief er, »der Diener des Tempels ist vor dem Hohenpriester in Schrecken! und fürchtet sich an der Opferstätte zu wandeln? Fürchte nichts, Sklav!

Der Mächtige, der über Leben und Tod und Zeit und Zukunft herrscht, ist freundlich gegen den Diener seiner Wahl! Vorwärts! vorwärts! nach dem Orte der Finsterniß und des Todes, wo ich allein allmächtig bin und alle anderen Geschöpfe, die zittern und gehorchen! An Deine Aufgabe Schüler! Mit Sonnenuntergang muß das Opfer gekrönt sein!«

Er blickte auf Numerian, als er sich anschickte ihn vorwärts zu ziehen und ihre Augen begegneten einander. In seiner stolz gebietenden Gebärde und dem wilden Triumph seines Blickes sah der Vater nur in noch phantastischerer Form denselben Ausdruck und dieselbe Stellung wiederholt, welche er am Morgen, wo er sein Kind verloren, an dem Heiden erblickt hatte. Alle Umstände jener Unglücksstunde, das leere Schlafgemach, die verbannte Tochter, —— der Triumph des Verräthers —— die Qual des Verrathenen stürmten auf seinen Geist herein und erhoben sich vor seinen Augen mit den lebhaften Farben eines Gemäldes; er rang nicht weiter, seine geistigen und körperlichen Widerstandskräfte waren gleich zermalmt. Er machte einen Versuch Antoninen von sich zu stoßen, als wollte er, des verborgenen Feindes außerhalb vergessend, sie zur Flucht durch die offene Thür anspornen, so lange noch die Aufmerksamkeit des Wahnsinnigen nicht auf sie gelenkt war. Außer dieser letzten Anstrengung des starken Instinktes der Vaterliebe schien aber jeder andere Gedanke in ihm erstorben zu sein.

Umsonst hatte er sich bemüht, das Kind von dem Schicksale zu befreien. welches dem Vater bevorstehen mochte —— für sie war die Furcht vor dem dunkeln Schatten auf dem Pflaster stärker als alle übrigen Besorgnisse. Sie schmiegte sich jetzt noch dichter an ihren Vater und hielt seine Hand noch fester. Als der Heide also in das Innere des Tempels schritt, war es nicht bloß Numerian, der ihm nach der Opferstätte folgte, sondern auch Antonina.

Sie begaben sich hinter die aufgehäuften Götterbilder. Auf der Rückseite der Masse zeigte sich eine hohe Zwischenwand von vergoldetem und eingelegtem Holze, die bis zur Decke hinaufreichte und den äußern Raum des Tempels von dem inneren trennte. Eine niedrige Oeffnung, die durch geschnitzte Thüren gleich denen auf der Vorderseite des Gebäudes geschützt wurde, war in der Abtheilungswand angebracht, durch diese trat jetzt Ulpins mit seinem Gefangenen in den Raum jenseits derselben.

Dieses Gemach war bedeutend kleiner als die erste Halle des Tempels, welche sie so eben verlassen hatten. Die Decke wie der Boden gingen schief hinab und hier war das Rieseln der Tiberwellen ihnen deutlicher hörbar als in der äußeren Abtheilung des Gebäudes. In dem Augenblicke, wo sie hineintraten, war der Ort sehr finster, der Haufen von Götterbildern fing sogar das wenige Licht auf, welches durch den schmalen Eingang hätte fallen können, aber die dichte Finsterniß wurde bald zerstreut. Ulpins zog Numerian hinter sich nach der linken Seite der Abtheilung, er warf eine Art von hölzernen Laden zurück und augenblicklich strömte ein blendender Lichtstrahl durch eine kleine in diesem Theile des Tempels angebrachte kreisförmige Oeffnung.

Jetzt wurde am untern Ende des Gemachs eine weit aufklaffende Höhlung in der Mauer sichtbar, die hoch genug war, um einen Menschen aufrecht einzulassen, die aber fast perpendikular zu einer unteren Räumlichkeit hinabführte, welche man nicht zu sehen vermochte, da kein Licht von diesem steilen, künstlichen Abgrund heraufkam, in dessen Dunkelheit sich das Auge verlor, nachdem es auf einige Fuß von der Oeffnung eingedrungen war.

Am Fuße des so sichtbar gewordenen Raumes sah man den Anfang einer Treppe, welche offenbar tief in die Höhlung hinabführte. Auf den steil abfallenden Wänden, die sie von allen Seiten umgrenzten, waren in den glänzenden Farben der alten Fresken Darstellungen der Gottheiten der Mythologie gemalt. Sie befanden sich alle in Stellungen, als ob sie in die Höhlung hinabstiegen und Allen folgten Nymphengestalten mit Blumenguirlanden in den Händen, schöne Vögel und andere ähnliche Bestandtheile der Opferceremonien des Heidenthums. Der abstoßende Contrast zwischen den glänzenden und graziösen Gestalten der Fresken und dem gefährlichen, düsteren Aussehen der Höhle, welche sie zierten, erhöhte die entsetzliche Bedeutsamkeit des Charakters des ganzen Gebäudes auf das Merkwürdigste. Seine frühere sündige Anwendung schien unverlöschlich auf jedem Theile davon eingeschrieben zu sein, wie vergangene Verbrechen und Qualen unverwischbar auf dem menschlichen Antlitz verzeichnet bleiben, der Geist sog davon Schrecken erregende Ideen von tödtlichem Verrath, von geheimen Abscheulichkeiten, von furchtbaren Verfeinerungen der Tortur, die kein uneingeweihtes Auge je erblickt hatte und denen Widerstand zu leisten, keine menschliche Entschlossenheit je kräftig genug gewesen war.

Aber die so empfangenen Eindrücke wurden nicht bloß durch das, was man in der Höhle und um dieselbe erblickte, sondern auch durch das, was die Ohren dort vernahmen, hervorgebracht. Der Wind drang in einiger Entfernung und durch eine Oeffnung, welche nicht zu sehen war, herein und wurde, wie es schien auf seinem Wege aufgefangen, denn er pfiff in schrillen langgezogenen Tönen nach dem Eingange des Schlundes herauf, zuweilen brachte er aber auch einen andern und noch näheren Ton hervor, der dem Klirren von einer Menge kleiner, heftig gegen einander schlagender, metallischer Substanzen glich. Das Geräusch des Windes, sowie das Rauschen des Tiber schienen aus einer größeren Entfernung zu kommen, als mit dem geringen Umfange des hinteren Tempeltheiles und der Nähe des Flusses an seinen niedrigen Grundmauern verträglich war. Offenbar erreichte die Höhlung erst dann ihren Ausgang, nachdem sie rückwärts unter dem Gebäude in seltsam verwickelten Gängen oder Kellerlabyrinthen hingegangen war, die in alten Zeiten als Kerker für Lebende- oder Gräber für Tode erbaut sein mochten.

»Die Opferstätte —— aha! die Opferstätte! rief der Heide triumphierend, als er Numerian an den Eingang der Höhle zog und feierlich in das Dunkel hinab deutete.

Der Vater blickte in den finsteren Schlund hinab, ohne sich jetzt weiter zu Antoninen umzuwenden, ohne sich zu bewegen, um den Freiheitskampf zu erneuern. Die irdischen Neigungen und Hoffnungen beginnen in seinem Herzen zu verbleichen —— er betete. Die feierlichen Worte der christlichen Gottesanrufung fielen in leisen murmelnden Tönen am Orte des Götzendienstes und Blutvergießens von seinen Lippen und mischten sich mit den unzusammenhängenden Ausrufungen des Wahnsinnigen, der ihn gefangen hielt und jetzt seine glimmenden Augen auf die Höhlung heftete und in dem düsteren fesselndem Zauber, welchen sie selbst auf ihn übte, beinahe die Gefangenen, die er noch an ihrer Mündung festhielt, vergaß.

Der einzige Lichtstrahl, den die kreisförmige Oeffnung in der Mauer hereinließ, fiel wild und phantastisch auf die sehr verschiedenen Gestalten der Drei, als dieselben so vereint vor dem unter ihnen aufgähnenden Abgrunde standen. Rund um sie her lag Alles im Schatten. An dem Orte des Unheils herrschte kein Licht, als der eine helle Strahl, welcher auf die gespenstische Gestalt des Ulpius, der noch in die Dunkelheit hinab deutete, auf die starren Züge Numerian’s der in der Bitterkeit der Todeserwartung betete, und über die zarte jugendliche Gestalt Antoninens hereinströmte die sich zitternd an ihren Vater schmiegte. Es war ein feierliches Schauspiel, an welchem die Erde keinen Theil zu haben schien.

Unterdessen zeigte sich der Schatten, welchen das Mädchen auf dem Pflaster vor der Tempelthür bemerkt hatte, dort wieder von Neuem, aber nicht um sich zurückzuziehen, wie das erste Mal, denn im Augenblicke darauf trat Goiswintha leise in das äußere Gemach des Gebäudes, welches die ersten Eingetretenen verlassen hatten. Sie schlich um die Aufhäufung von Götzens bildern, blickte in den inneren Raum des Tempels und sah die drei Gestalten dort in dem Lichtstrahle düster und bewegungslos vor der Mündung des Abgrundes stehen. Ihr erster Blick heftete sich auf den Heiden, dem sie instinkmäßig mißtraute und ihn fürchtete und dessen Zweck bei der Gefangenhaltung des Vaters und der Tochter sie nicht zu errathen vermochte. Der zweite fiel auf Antoninen.

Die Stellung des Mädchens war eine geschützte. Noch immer ihres Vaters Hand haltend, war sie theilweise durch seinen Körper gedeckt und stand, ohne es zu bemerken, unter dem Arme des Heiden, den derselbe erhoben hatte, um Numerians Schulter zu erfassen. Goiswintha bemerkte dies, erinnerte sich daran, daß Antonina ihr schon zweimal entgangen war, sie zauderte einen Augenblick und begann darauf mit vorsichtigem Schritte und gerunzelter Stirn wieder nach der Eingangsthür des Tempels sich zurückzuziehen.

»Noch nicht —— die Zeit ist noch nicht gekommen!« murmelte sie, als sie sich wieder in ihren frühem Versteck begab, »sie stehen, wo das Licht auf ihnen ruht —— das Mädchen ist bewacht und geschützt —— die beiden Männer sind noch neben ihr. Der Augenblick der That ist noch nicht gekommen —— der Streich des Messers muß sicher und fest sein! Fest, denn diesmal muß sie von meiner Hand sterben! —— sicher, denn ich habe außer der Rache an ihr noch andere zu üben! Ich, die ich seit der Nacht, wo ich von Aquileja entrann, geduldig und schlau gewesen bin, will geduldig und schlau bleiben. Wenn sie über die Schwelle tritt, so tödte ich sie im Herausgehen, wenn sie im Tempel bleibt ——«

Bei dem letzten Worte hielt Goiswintha inne und blickte nach oben. —— Die untergehende Sonne warf ihren feurigen Glanz auf ihr hageres Gesicht und ihr Auge strahlte wild in dem vollen Lichte.

»Die Dunkelheit ist nahe!« fuhr sie fort, »in den finsteren Hallen des Tempels wird die Nacht dicht und schwarz sein, ich werde sie sehen, während sie mich nicht erblicken soll! —— Die Dunkelheit naht, die Rache ist sicher! Sie preßte die Lippen auf einander, hüllte sieh enger in ihr Gewand und fuhr fort zu wachen und zu warten, wie sie bisher entschlossen gewacht und gewartet hatte.

Der Römer und die Gothin, die Gegensätze im Geschlecht, in der Nation und dem Schicksal —— der Wahnsinnige, der im Tempel von dem blutigen Aberglauben des Heidenthums träumte, und die Mörderin, die außerhalb über den Aussichten auf Blutvergießen brüte, waren jetzt zu einer von Beiden umgekehrten, geheimnißvollen Gleichheit der Erwartung verbunden —— die Stunde, wo die Sonne vom Himmel verschwand, war für Beide die Stunde des Opfers.

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Im Gange der Ereignisse ist jetzt eine momentane Pause eingetreten. Später zu erzählende Vorfälle machen es nöthig, den Zwischenraum zu benutzen, um den Leser mit der eigentlichen Natur und dem Zwecke der Höhlung in der Tempelwand, deren äußeres Aussehen wir bereits beschrieben haben, bekannt zu machen.

Die bezeichnende Eigenthümlichkeit im Gebäude der heidnischen Religion läßt sich am Passendsten mit der bezeichnenden Eigenthümlichkeit mit dem Bau der heidnischen Tempel bezeichnen. Beide waren dazu bestimmt, das Auge nur durch den äußern Effekt anzuziehen, welcher bei beiden die falsche, trügerische Abspiegelung des inneren Wesens war. Im Tempel ließ man dem Volke, wenn es unter dem langen Säulengange anbetete, oder von der Straße aus die hohen Vorhallen erblickte, sich die entsprechende Majestät und Symmetrie des Innern des Gebäudes denken, und gestattet es ihm nicht, zu entdecken, wie sehr es die glänzenden Erwartungen täuschte, welche das Aeußere einzuflößen so sehr geeignet war, wie wenig die dunkeln engen Hallen der Idole die geheimen Gewölbe und düsteren Raume im Stillen die Versprechungen der hohen Treppen, des breiten Pflaster, der massiven, im Sonnenglanze leuchtenden Säulen des Aeußeren erfüllte. So wurde auch in der Religion der Andächtige durch den Glanz von Prozessionen, die Pracht der Augurien, die Poesie des Glaubens angelockt, welcher seine heimathlichen Wälder mit scherzenden Dryaden und die Quellen, aus denen er trank, mit ihren schützenden Najaden bevölkern, der dem Berge und See, der Sonne, dem Monde und den Sternen, allen Dingen um und über ihm ihre phantastische Allegorie oder ihre anmuthige Legende von Schönheit und Liebe verlieh. Ueber dies hinaus ließ man aber seine erste Bekanntschaft mit seiner Religion nicht gehen, hiermit endete seine Einweihung. Man ließ ihn in Unwissenheit über die dunkeln, gefahrvollen Tiefen, welche unter der glatten anziehenden Oberfläche lauerten; man ließ ihn glauben, daß das, was gezeigt wurde, nur das Vorspiel der künftigen Entdeckung der Schönheit, die in den Gebräuchen des Heidenthums verborgen lag, sei; man ließ ihm nicht die erbärmlichen Betrügereien, die abscheulichen Orgien, die widerlichen Beschwörungen, die blutigen, insgeheim ausgeführten Menschenopfer erblicken, die das wahre Wesen der schönen äußern Gestalt bildeten. Der erste Anblick des Tempels täuschte sein Auge nicht weniger, als sein erster Eindruck von der Religion seinen Geist verblendete.

Mit den verborgenen, schuldbefleckter Mysterien des Heidenthums stand die Höhlung, vor welcher sich jetzt Ulpius mit seinen Gefangenen befand, in genauer Verbindung.

Die Menschenopfer, welche bei den Römern gebracht wurden, waren von zwei Arten, öffentliche und geheime. Die ersteren kamen in den frühen Jahren der Republik jährlich vor, wurden später verboten, von Augustus, der seine Kriegsgefangenen am Altare des Julius Cäsar opferte, wieder belebt und dann —— wiewohl unter nachfolgenden Regierungen zu besonderen Zwecken zuweilen erneuert, in der letzten Periode des Kaiserreichs als Theile der Ceremonien des Heidenthums gänzlich aufgegeben.

Die geheimen Opfer, welche mit den Mysterien der Mythologie in Verbindung standen und vor der beaufsichtigenden Regierung verborgen gehalten wurden, blieben weit länger im Gebrauche und dauerten wahrscheinlich bis zum allgemeinen Erlöschen des Heidenthums in Italien und den Provinzen. Es waren eine, Menge von den verschiedenartigsten Behältnissen zur Darbringung menschlicher Opfer in den verschiedenen Theilen des Reiches vorhanden, in den menschenerfüllten Stadien so gut wie in seinen einsamen Wäldern —— und eines von den merkwürdigsten und am längsten bewahrten war die große Höhlung in der Mauer des Tempels, welche Ulpius zu seinem Versteck in Rom gewählt hatte.

Das kellerartige Gewölbe war nicht bloß als versteckter Ort für die Handlung des Opfers und die Leiche des Geopferten erbaut worden. Die Art seiner Konstruktion war durch einen blutigen Kunstgriff verwickelter gemacht worden, indem man in der Höhlung selbst das Werkzeug der Opferung anbrachte, indem man es so zu sagen nicht bloß zum Behälter, sondern auch zum Verschlingen seiner menschlichen Beute machte. Am Fuße der hinableitenden Treppe —— von welcher, wie wir bereits erwähnt haben, nur der obere Theil von dem Eingange im Tempelgemach aus sichtbar war, hatte man die eherne Gestalt eines Drachen angebracht.

Der Körper des Ungeheuers, der der Treppe gegenüber fast im rechten Winkel aus der Mauer hervorragte, wurde nach allen Richtungen hin durch stählerne Federn bewegt, welche mit einer der unteren Stufen und mit einem im Rachen der Gestalt angebrachten Schwerte, welches die Zunge des Drachen darstellte, in Verbindung standen. Die Wände rückten um die Stufen, wenn man sich dem Drachen näherte, so zusammen, daß sie kaum einen menschlichen Körper hindurch ließen. Beim leisesten Drucke auf die Stufe, mit welcher die Feder zusammenhing, schoß der Körper des Ungeheuers vorwärts und das Schwert drang aus seinem Rachen augenblicklich in einer solchen Höhe über den Stufen hervor, daß es die hinabsteigende Person an einer tödtlichen Stelle durchbohren mußte. Die hierauf durch ihre eigene Schwere vom Schwerte herabfallende Leiche stürzte durch eine, röhrenartige Oeffnung unter dem Drachen, die in den Stufen oberhalb entgegengesetzter Richtung hinlief, hinab und gelangte an ein von den Wellen des Tiber, der unter den gewölbten Grundlagen des Tempels hinströmte, bespültes Eisengitter. Zu diesem Gitter gelangte man durch einen geheimen, von der Vorderseite des Gebäudes hinabführenden unterirdischen Gang, in welchem der Opferpriester sich der Leiche bemächtigen, Gewichte daran beseitigen, das Gitter öffnen und sie in den Fluß stürzen konnte, wo sie nie wieder von menschlichen Augen erblickt wurde.

In den Tagen, wo dieses Zerstörungswerkzeug zu dem Zwecke diente, wofür der furchtbare Scharfsinn ihrer Erfinder sie erbaut hatte, waren ihre hauptsächlichsten Opfer junge Mädchen. Mit Blumen bekränzt und in weiße Gewänder gekleidet, wurden sie dadurch verlockt, daß man sie mit reichen Opfergaben versah und ihnen sagte, daß der einzige Zweck, weshalb man sie die Stufen hinab sende der sei, die die Wände zierenden Bilder, welche wir einige Seiten weiter oben beschrieben haben, zu verwirklichen, indem sie ihre Gaben am Altare des Gottes unten, darbrächten.

Zur Zeit, von welcher wir schreiben, war der Drache schon seit vielen Jahren —— seit dem ersten Verbote des Heidenthums nicht mehr mit seiner gewohnten Beute genährt worden. Die seinen Körper bildenden Schuppen verrosteten allmählig und wurden von der Feuchtigkeit locker gemacht und brachten, wenn sie von dem Winde bewegt wurden, der von unten zu ihnen herauf drang, das klirrende Geräusch hervor, welches, wie wir bereits erwähnt haben, von Zeit zu Zeit am Munde der Höhlung hörbar wurde. Da aber die Federn, welche die tödtliche Wirkung der ganzen Maschine verursachten innerhalb derselben und bedeckt angebracht waren, so hatten sie der langsamen Einwirkung der Zeit und Vernachlässigung widerstanden und waren immer noch eben so vollkommen wie sonst geeignet, den tödtlichen Zweck, für welchen sie bestimmt waren, zu erfüllen.

Das endliche Schicksal des ehernen Drachen war das Schicksal der Religion, deren blutigsten Aberglauben er verkörperte, er fiel vor den unwiderstehlichen Fortschritten des Christenthums.

Kurz nach der Zeit unserer Erzählung wurde, da das Innere des Gebäudes, in welchem er sich befand, durch einen später zu erzählenden Vorfall gelitten hatte, das Aeußere abgetragen, um in seinen Säulen Materialien für eine Kirche zu liefern. Die Höhlung in der Mauer wurde von einem Mönche untersucht, der beider Zerstörung anderer heidnischer Tempel zugegen gewesen war und sich erboten hatte, ihren Inhalt zu entdecken. Mit einer Fackel in der einen Hand und einer eisernen Stange in der andern, stieg er die Treppe hinab und sondirte unterwegs die Wände und Stufen vor sich her. Zum ersten und letzten Male drang das Schwert unschädlich aus dem Rachen des Ungeheuers, als der Mönch mit seiner Eisenstange die verderbliche Stufe berührte, ehe er auf dieselbe trat. An demselben Tage noch wurde die Maschine zerschlagen und in den Tiber geschleudert, wohin ihre Opfer in früherer, Zeit geworfen worden waren.

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Es sind einige Minuten vergangen, seit wir den Vater und die Tochter neben dem Heiden vor dem Eingange der Höhlung verlassen haben und bis jetzt scheint noch keine Veränderung in der Lage der Drei eingetreten zu sein. Schon aber wird, während Ulpius in die Höhlung zu seinen Füßen hinabblickt, seine Stimme lauter und seine Worte werden vernehmlicher. Grausige Erinnerungen, die mit dem Orte in Verbindung stehen, beginnen sein träges Gedächtnis aufzuregen, die Finsterniß des Vergessens von seinen Gedanken zu heben.

»Sie gehen hier hinab, tief hinab!« rief er, in die Tiefen der Höhlung deutend, »und steigen nie wieder zum Lichte über der Erde auf. Unten wacht der große Vernichter und erblickt ihr Nahen in der Finstersniß! Horch, das Zischen seines Athems gleicht dem Klirren von Waffen in einem tödtlichen Kampfe!«

In diesem Augenblicke bewegte der Wind die lockeren Schuppen des Drachen. Auf einen Moment blieb Ulpius stumm und lauschte dem von ihnen hervorgebrachten Geräusche. Zum ersten Male zeigte sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck des Schreckens. Sein Gedächtniß belebte von Neuem dunkel die Umstände seiner Entdeckung der tödtlichen Maschinerie in dem Gewölbe, als er seinen einsamen Aufenthalt im Tempel genommen, als er mit der verworrenen Erinnerung an die mysteriösen Gebrauche und Beschwörungen, die geheimen Opfer, die er in Alexandrien mit angesehen und ausgeführt hatte, erfüllt, den unterirdischen Gang, welcher zu dem eisernen Gitter unterhalb des Drachen führte, gefunden und verfolgt hatte.

Als sich der Wind wieder legte und damit das Klirren des Metalls aufhörte, begann er diesen Erinnerungen in Worten Ausdruck zu verleihen und sie in langsamen feierlichen Tönen vor sich hin zu erzählen.

»Ich habe den Vernichter gesehen. Der Unsichtbare hat sich mir offenbart,« murmelte er. »Ich stand an den eisernen Gittern, die ruhelosen Wellen rangen und kämpften unter meinen Füßen, als ich hinauf in den Ort der, Finsterniß blickte. Eine Stimme rief mir zu: —— Nimm Licht und siehe mich von oben! Nimm Licht! nimm Licht! Sonne, Mond und Sterne gaben dort kein Licht! aber in der Stadt brannten Lampen in den Häusern der Todten, als ich bei nächtlicher Weile an ihnen vorüberging, und die Lampe gab Licht, als Sonne, Mond und Sterne keines gaben!

Von den obersten Stufen blickte ich hinab und sah den Gewaltigen in seinem goldenen Glanze und näherte mich nicht, sondern schaute und lauschte in Furcht. Dann ertönte wieder die Stimme! —— ich vernahm wieder die Worte: Opfere mir insgeheim, wie Deine Brüder opfern! Gib mir die Lebenden, wo die Lebenden sind, und die Todten, wo die Todten! Die Luft kam kalt herauf und die Stimme schwieg, und die Lampe glich Sonne, Mond und Sternen, sie gab kein Licht in der Stätte der Finsterniß.«

Während er noch sprach, klirrten wieder die metallenen Schuppen in der Höhlung, denn der Wind war mit dem vorrückenden Abend stärker geworden.

»Horch! Das Zeichen zum Opfer« rief der Heide plötzlich, gegen Numerian gewendet, »Horch, Sklave, die Lebenden und die Todten sind in unserm Bereich. Der Athem des Unsichtbaren trifft sie auf der Straße und im Hause —— sie schwanken auf den Wegen und fallen auf den Tempelstufen nieder. Wenn die Stunde kommt, so wollen wir hinausgehen und sie suchen. Unter meiner Hand gehen sie in das Gewölbe hinab, gleichviel, ob todt oder lebend, sie fallen hindurch auf das eiserne Gitter, wo das Wasser springt und sich freut, sie zu empfangen. Es ist mein Amt, sie oben zu opfern, und das Deine, sie unten zu erwarten, das Gitter aufzuheben und sie dem Flusse zum Verschlingen zu geben. Die Todten fallen zuerst, die Lebenden, die von dem Vernichter getödtet werden, folgen ihnen!«

Hier hielt er plötzlich inne. Sein Auge siel jetzt zum ersten Mal wieder auf Antoninen, deren Dasein er bisher völlig vergessen zu haben schien. Ein widerliches Lächeln der Schlauheit und Zufriedenheit veränderte augenblicklich den ganzen Charakter seines Gesichts, als er sie ansah und sich dann bedeutsam nach der Höhlung umschaute.

»Hier ist Eine!« flüsterte er Numerian zu, indem er sie am Arme ergriff —— »halte sie fest —— die Stunde ist nahe!«

Numerian hatte während seiner Reden achtlos dagestanden, als er aber Antoninen berührte, war schon die Gebärde genug, um den Vater von Neuem zu, wenn auch hoffnungslosem, Widerstande aufzustacheln. Er schüttelte Ulpius Hand von dem Arme des Mädchens und zog sich mit ihr athe1nlos, wachsam zweifelnd, nach der Seitenwand hinter ihm zurück.

Der Heide lachte mit stolzer Zufriedenheit.

»Mein Sklave gehorcht mir und ergreift die Gefangene —— er erinnert sich, daß die Stunde nahe ist, und läßt sie nicht los. Komm fuhr er fort; »komm hinaus in die Vorhalle! —— Es ist Zeit, daß wir auf noch mehrere Opfer warten, bis die Sonne untergeht. Der Vernichter ist mächtig und muß Gehorsam finden.«

Er ging zu der Thür, welche in den ersten Raum des Tempels führte, und wartete dann auf Numerian, der jetzt zum ersten Male, von Ulpius getrennt, an der Stelle, welche er zuletzt eingenommen hatte, verharrte und sich ängstlich umsah. Es war keine Aussicht des Entrinnens zu erblicken —— die Mündung der Höhle auf der einen Seite und die Thür in der Scheidewand auf der andern, waren die einzigen Ausgänge des Gemaches. Er hatte keine Hoffnung weiter, als die, dem Heiden in die große Halle des Tempels zu folgen, sich sorgfältig von ihm entfernt zu halten und eine Gelegenheit zur Flucht durch die Hauptthür abzuwarten. »Die, als er sie das letzte Mal erblickt hatte, so verödete Straße konnte jetzt mehr Beweise davon, daß sie bewohnt war, gewähren. Es konnten Bürger oder Soldaten. vorbeigehen und in den Tempel gerufen werden —— es konnte Hilfe in der Nähe sein.

Als er mit Antoninen hinaus ging, zogen dergleichen Gedanken schnell durch den Geist des Vaters, ohne in diesem Augenblicke von der Erinnerung an die Fremde, die ihnen vom Pincischen Thore her gefolgt war, oder die Apathie des hungernden Volkes, wenn es zur Hilfe eines Andern aufgefordert wurde, begleitet zu werden. Da der Wahnsinnige sah, daß man ihm folgte, wie er es befohlen hatte, ging er vor ihnen auf die zusammengehäuften Götzenbilder zu; jetzt aber trat eine seltsame, plötzliche Veränderung in seiner Haltung ein. Er war bisher mit dem Schritte eines jungen, kräftigen, entschlossenen Mannes gegangen, jetzt aber schleppte er einen Fuß hinter dem andern so langsam und peinlich her, als ob er eine tödtliche Wunde erhalten hätte. Er schwankte mit größerer Gebrechlichkeit, als sie seinem Alter eigenthümlich war, der Kopf sank ihm auf die Brust und er stöhnte und murmelte unartikuliert in leisem, langgezogenem Winseln.

Er war bis neben die Zusammenhäufung auf halbem Wege nach der Thüre des Tempels gelangt, als Numerian, der mit spähenden Augen die plötzliche Veränderung seines Benehmens beobachtet hatte, die Verstellung vergaß, welche noch von der größten Wichtigkeit sein konnte, sich seinem ersten Antriebe hingab, hastig mit Antoninen vorwärts eilte und den Versuch machte, an dem Heiden vorüber-zueilen und zu entfliehen. In demselben Augenblicke blieb aber Ulpius stehen, taumelte, streckte convulsivisch seine Hände aus, ergriff Numerian am Arme und schwankte mit ihm gegen die Seitenwand des Tempels. Die Finger des gequälten Elenden schlossen sich, als ob sie sich nie wieder öffnen sollten —— schlossen sich wie mit dem letzten starren Griffe eines Ertrinkenden.

Seit vielen Tagen und Nächten hatte er sich unablässig unter der unbarmherzigen Tyrannei seines Wahnsinns abgemüht, seinen Götteraltar höher und höher aufgebaut und an der Opferstätte seine heidnischen Gebete gesprochen, und jetzt, in dem Augenblicke, wo er in seinem grausamen Zwecke am triumphierendsten war, wo sein eingebildeter Sklave und sein eingebildetes Opfer ihm am hilflosesten zu Befehl waren —— jetzt, wo sich seine aufs Aeußerste gespannten Fähigkeiten bis zum höchsten Gipfelpunkte erhoben hatten, bemächtigte sich seiner der lange ausgebliebene Paroxismus, der der Vorläufer seiner Ruhe, seiner einzigen Ruhe war, die ihm sein furchtbares Schicksal gestattete —— einer Veränderung —— der bereits beschriebenen wehmüthigen Veränderung —— in der Form seines Wahnsinns. In den seltenen Zeiträumen, wo er schlief, war sein Schlummer weder Bewußtlosigkeit noch Ruhe, es war eine Anhäufung von häßlichen Träumen —— seine Zunge sprach, seine Glieder bewegten sich, wenn er schlummerte, so gut, wie wenn er wachte. Nur wenn seine Visionen von dem Stolze der Macht, den wüthenden Kämpfen und kühnen Entschlüssen seiner reiferen Jahre, seinen dämmernden, stillen, wachen Träumen von seinen Jugendtagen wichen, ruhten seine müden Geisteskräfte und sein Körper mit ihnen in der bewegungslosen Ermattung völliger Abspannung. Dann, wenn seine Lippen noch Worte murmelten, glichen sie dem Murmeln eines glücklichen Kinderschlafes, denn die unschuldigen Reden seiner Kindheit, welche sie dann neu belebten, schienen auf eine Zeit lang die schuldlose Ruhe seiner Kindheit mit zu bringen.

»Geh! geh! —— fliehe, so lange Du noch kannst!« —— flüsterte Numerian indem er Antoninens Hand los ließ und nach der Thür deutete; aber zum zweiten Male weigerte sich das Mädchen, einen Schritt vorwärts zu thun. Kein Schrecken, keine Gefahr im Tempel vermochte auch nur auf einen Augenblick die Erinnerung an die Nacht im Bauernhause in der Vorstadt zu verbannen. Sie wendete fortwährend den Kopf dem offenen Eingange zu, heftete ihre Augen in der unablässigen Wachsamkeit des Entsetzens auf denselben und flüsterte verstört:

»Goiswintha! Goiswintha!«

Die Finger des Heiden hielten ihn noch starr und todtenähnlich umfaßt, er lehnte an der Wand, als ob das Leben und die Bewegung ihm für immer entflohen seien. Der Paroxismus war vorüber; sein erst vor einem Augenblicke noch verzerrtes Gesicht befand sich jetzt in Ruhe, aber es war eine Ruhe, die man nur mit Scheu anblicken konnte. Thränen flossen langsam aus seinen halbgeschlossenen Augen über seine runzeligen Wangen hinab, Thränen, die nicht der Ausdruck geistiger Pein waren —— denn auf seinen Lippen spielte ein bedeutungsleeres, unveränderliches Lächeln —— sondern der bloße mechanische Ausbruch der physischen Schwäche, welche die so eben vergangene Krisis zurückgelassen hatte. Auf seinen Zügen war nicht die leiseste Spur des Denkens oder der Wahrnehmung zu erblicken, sein Gesicht war das eines Blödsinnigen.

Numerian, der ihn auf einen Augenblick betrachtet hatte, schauderte zusammen und wendete, vor dem sich ihm bietenden Schauspiele zurückbebend, die Augen ab. Es stand ihm jedoch eine noch schwerere Prüfung seiner Festigkeit bevor, die er nicht vermeiden konnte.

In Kurzem wurde die Stimme des Heiden von Neuem hörbar; jetzt aber waren ihre Töne schwach, kläglich, fast kindisch, und die Worte, welche sie aussprachen, ruhige Worte voll Liebe und Sanftmuth, die von solchen Lippen und an einem solchen Orte furchtbar zu hören waren.

Der Tempel und Alles, was sieh darin befand, verschwand aus seinen Augen wie aus seinem Gedächtnisse. Von den furchtbaren übernatürlichen Einwirkungen seiner Krankheit beherrscht, schritt der Wahnsinnige in einem Augenblicke durch das dunkle Thal der Pilgerschaft seines Lebens nach dem lange verlassenen Gebiet seiner Jugendheimath zurück. Während er körperlich als Auswürfling der Vernunft und Menschheit an dem Schauplatze seiner letzten Verbrechen stand, lag er im Geiste in den Armen seiner Mutter, wie er dort gelegen hatte, ehe er nach dem Tempel von Alexandrien gegangen war, und sein Herz sprach mit dem ihren, und seine Augen blickten auf sie, wie sie geblickt hatten, ehe der verderbliche Ehrgeiz seines Vaters Mutter und Kind anf ewig getrennt hatte.

»Mutter! —— komm zurück, Mutter!« flüsterte er! »ich habe nicht geschlafen, ich sah Dich, als Du herein tratest und an meinem Bette saßest und über mir weintest, als Du mir den Kuß gabst. Kommt zurück und bleibe bei mir sitzen; ich gehe fort, weit fort, und werde Deine Stimme vielleicht nie wieder hören! —— Wie glücklich würden wir sein, Mutter, wenn ich immer bei Dir bleiben könnte, aber mein Vater will, daß ich nach dem Tempel in einem andern Lande gehe und dort lebe, um Priester zu werden und seinem Willen muß ich gehorchen. Ich komme vielleicht nie wieder zurück, aber wir werden einander nicht vergessen. Ich werde Deiner Worte gedenken, die Du sprachest, wenn wir glücklich zusammen zu reden pflegten«, und Du wirst Dich meiner erinnern.«

Ulpius hatte kaum die ersten Worte gesprochen, als Antonina plötzlich fühlte, wie der ganze Körper ihres Vaters an ihrer Seite erbebte. Sie lenkte ihr Auge von der Thüre ab, auf welche es bisher geheftet gewesen war, und blickte ihn an. Die Hand des Heiden war von seinem Arme herabgesunken, es stand ihm frei, sich zu entfernen, zu fliehen, wie er sich vor wenigen Minuten noch gesehnt hatte, und doch bewegte er sich nicht. Seine Tochter berührte ihn, redete ihn an, aber er wendete sich weder um, noch antwortete er. Es war nicht bloß das Erstaunen über den plötzlichen Uebergang von der Raserei des Verbrechens zu dem Murmeln der Liebe in der Rede des Heiden —— es war nicht bloß die Ueberraschung, von ihm in seinem Wahnsinn Enthüllungen über sein früheres Leben zu hören, die in den Tagen seiner verrätherischen Dienstbarkeit im Hause auf dem Monte Pincio nie über seine Lippen gekommen waren, die Numerians Inneres so mit heiliger Scheu erfüllte und seinen Gliedern die Bewegung raubte, es lag in Allem, was er hörte, mehr als dies. Diese Worte schienen für immer sein Schicksal bestimmt zu haben. Seine voll auf das Gesicht des Wahnsinnigen gerichteten Augen waren vom Entsetzen weit ausgerissen, seine tiefen, stöhnenden, convulsivischen Athemzüge mischten sich während des darauf folgenden Augenblickes der Stille mit dem Lauten der Glöckchen über ihm und dem Rieseln des Wassers unter ihm der beschwichtigenden Musik des Tempels, die am heitern Schlusse des Tages ihre frohe Abendhymne spielte.

»Wir werden uns daran erinnern, Mutter —— wir werden uns daran erinnern und in unserer Erinnerung glücklich sein!« fuhr Ulpius leise fort. »Mein Bruder, der mich liebt, wird Dich lieben, wenn ich fort bin, Du wirst in meinem kleinen Garten wandeln und an mich denken, wenn Du die Blumen anblickst, die wir in den Abendstunden zusammen gepflanzt und begossen haben, wenn der Himmel herrlich anzuschauen und die Erde um uns her in stiller Ruhe war! Höre, Mutter, und küsse mich! Wenn ich nach dem fernen Lande komme, so werde ich dort einen Garten machen, wie meinen Garten hier, und dieselben Pflanzen pflanzen, die wir hier gepflanzt haben, und des Abends werde ich hinausgehen und ihnen zu der Stunde Wasser geben, wo Du daheim hinausgehst, um meine Blumen zu begießen, und so wird es, wenn wir einander auch nicht wieder sehen, doch eben so gut sein, als ob wir zusammen im Garten arbeiten, wie wir es jetzt thun.«

Das Mädchen heftete immer noch ihren aufmerksamen Blick auf ihren Vater. Seine Augen zeigten noch den gleichen starren Ausdruck des Entsetzens, aber er wischte jetzt mit eigenen Händen mechanisch und wie seiner unbewußt, den Schaum ab, welchen der Paroxismus an den Lippen des Wahnsinnigen zurückgelassen hatte, und unter den Seufzern, die ihm entstehen, konnte sie Worte hören wie: »Gott und Herr! —— Barmherzigkeit! Gott und Herr! Du, der mir ihn so zurückgegeben hast —— so —— schlimmer als todt! —— Gnade! Gnade!«

Das Licht auf dem Steinpflaster der Vorhalle des Tempels wurde sichtlich schwächer —— die Sonne war untergegangen.

Zum dritten Male sprach der Wahnsinnige, aber seine Töne verloren ihre Weichheit, sie wurden klagend, unaussprechlich wehmüthig, seine Träume aus der Vergangenheit veränderten sich bereits:

»Lebe wohl, Bruder, lebe wohl auf Jahre, auf Jahre« rief er; »Du hast mir nicht die Liebe gegeben, die ich Dir gab, nicht an mir lag die Schuld, daß mich unser Vater am meisten liebte und mich ausgewählt hat, um nach dem Tempel gesendet und ein Priester am Altar der Götter zu werden. Nicht an mir lag die Schuld, daß ich nicht an Deinen Lieblingsspielen theilnahm und mich nicht den Gefährten anschloß, die Du aussuchtest —— es war unsers Vaters Wille, daß ich nicht leben sollte, wie Du lebtes und ich gehorchte ihm! Du hast im Zorne mit mir gesprochen und Dich in Geringschätzung von mir abgewendet, aber lebe wohl, Cleander, lebe nochmals wohl in Verzeihung und Liebe!«

Er würde vielleicht noch mehr gesprochen haben, aber seine Stimme wurde von einem langen Schmerzensschrei erstickt, der aus Numerians Lippen drang und mißtönig im Tempel widerhallte, als er mit dem Gesicht nach dem Boden zu den Füßen des Heiden niedersank.

Das dunkle, entsetzliche Geschick hatte sich erfüllt! Der Enthusiast für das Rechte und der Fanatiker für das Unrecht, Derjenige der sich gemüht hatte, die Kirche zu reformieren, und Der, welcher sich gemüht hatte, den Tempel wieder herzustellen, der Herr, der den Diener in seinem Hause aufgenommen und ihm vertraut, und der Diener, der in jenem Hause das Vertrauen des Herrn verrathen hatte, die beiden Charakter, die bisher in dem hohen Widerspruche des Guten und Bösen von einander getrennt gewesen waren, schlugen jetzt in entsetzlicher Berührung zusammen als Brüder, die ihr Leben aus einer Quelle gesogen, die als Kinder unter dem gleichen Dache gelebt hatten! Nicht in der Stunde, wo der gute Christ dem heimathlos in Rom umherwandernden verlassenen Heiden beigestanden hatte, enthüllte sich das Geheimniß, kein zufälliges Wort, welches dasselbe verrathen hätte, wurde ausgesprochen, als der Betrüger den Wohlhäter, den er zu täuschen complottirte, die erlogene Geschichte seines Lebens erzählte oder als am ersten Morgen der Belagerung die Macinationen des Dieners über das Vertrauen des Herrn den Sieg davon trugen —— es war aufgespart geblieben, um in den Worten des Deliriums, in den Greisenjahren des Wahnsinns enthüllt zu werden, wo Derjenige, welchem er es entdeckte, dessen, was er sprach, völlig unbewußt, und seine Augen für das wahre Wesen alles dessen, was er sah, blind geworden waren, wo die irdischen Stimmen, die ihn einst vielleicht zur Reue, zum Erkennen und zur Liebe hätten zurückrufen können, für diese Laute geworden waren, die, keine Bedeutung besaßen, wo durch ein furchtbares, entsetzliches Schicksal die ganze zermalmende Last der Enthüllung auf den Bruder fiel, der für den wahren Glauben gearbeitet hatte, eher von demjenigen getheilt zu werden, der für den falschen gewirkt!

Aber die in der Zeit gesprochenen Urtheile gehen von dem Tribunal jener Ewigkeit aus, auf welche die Geheimnisse des Lebens gerichtet sind und in welcher sie offenbar werden sollen —— sie warten weder auf menschliche Gelegenheiten, noch halten sie sich an die menschliche Gerechtigkeit, sondern sprechen zur Seele in der Sprache der Unsterblichkeit, die in der jetzigen Welt vernommen und in der künftigen ausgelegt wird.

Auf einen Augenblick selbst für die Erinnerung todt, daß Goiswintha noch außerhalb des Tempels auf eine günstige Gelegenheit warten könne, Verzweifelnd ihren Vater rufend und sich vergebens bemühend, ihn vom Boden aufzuheben, entsann sich Antonina in der sie zu Boden beugenden Prüfung des Augenblickes der Enthüllungen aus Numerians früheren Leben nicht, die ihr in den Tagen, wo die Hungersnoth in Rom auf ihrem höchsten Gipfel stand, gemacht worden waren. Der Name Cleander, welchen damals ihr Vater als denjenigen genannt, welchen er abgelegt hatte, als er sich von den Genossen seiner sündigen Wahl getrennt, ging unbeachtet an ihrem Ohr vorüber, als ihn der Heide in seiner Bewußtlosigleit aussprach. Sie erblickte in dem ganzen Auftritte nur eine neue Drohung der Gefahr, eine nene Vision des Schreckens, die Unheil verkündender war, als alle, welche sie bisher wahrgenommen hatte.

So dicht auch die Finsterniß war, mit welcher die beschwichtigenden, unwillkürlichen Erinnerungen an die Vergangenheit die Wahrnehmungskraft des Heiden umhüllt hatten, so schien sie doch der durchdringende Schmerzensschrei des Vaters wie ein plötzlicher Lichtstrahl durchdrungen zu haben. Die halbgeschlossenen Augen des Wahnsinnigen öffnen sich plötzlich und heften sich Anfangs träumerisch auf den Altar der Götzen. Er bewegte seine Hände vor sich hin und her, als theile er die Falten eines schweren Schleiers, welcher seine Sehkraft verdunkeln, aber seine umherschweifenden Gedanken nahmen bis jetzt noch nicht ihre alte Richtung auf die Grausamkeit und das Verbrechen an. Als er wiederum sprach, wurden ihm seine Worte zwar noch von den Träumen aus seinem frühem Leben eingeflößt, jetzt aber von seinem früheren Leben im Tempel von Alexandrien. Seine Ausdrücke waren abgerissener, unzusammenhängender als früher, dessen ungeachtet aber fuhren sie fort, dieselben Beweise der geheimnißvollen instinktmäßigen Lebhaftigkeit der Erinnerung zu entwickeln, welche das Resultat der plötzlicher Veränderung der Natur seines Wahnsinns war.

Seine Reden schweiften immer noch, als ob die Worte absichtslos und seiner unbewußt herauskamen über den Ereignissen seiner jugendlichen Einweihung in den Dienst der Götter hin und verwirrten zwar ihre Reihenfolge, bewahrten aber doch ihr Wesen, wie sie bereits im ersten Buche in der Geschichte seiner Lehrzeit im Tempel erzählt worden sind.

Bald blickte er in seiner Einbildung wieder von dem Gipfel des Serapistempels auf die schimmernde Fläche des Nil und das weit ausgedehnte Land um denselben. Bald schritt er stolz neben seinem Oheim Macrinus, dem Hohenpriester, durch die Straßen von Alexandrien; bald wanderte er bei Nacht in Neugier und Schauern durch die dunkeln Kellergewölbe und unterirdischen Gänge des Heiligthums, bald lauschte er erfreut auf die freundlichen Begrüßungen das ermuthigende Lob des Macrinus bei ihrer ersten Zusammenkunft. Aber bei diesem Punkte und während er auf diesem Anlasse verweilte, verdunkelte sich seine Erinnerung von Neuem, sie bemühte sich vergebens die Umstände wieder zurückzurufen welche das höchste Zeugniß der Theilnahme des Hohenpriesters an seinem Schüler und des Wunsches, ihn völlig mit seinem neuen Beschützer und seinen neuen Pflichten eins zu machen, begleiteten, als er diese Gefühle dadurch kundgegeben hatte, daß er dem zitternden Knaben die Auszeichnung eines seiner eigenen Namen verlieh.

Und hier müssen wir uns des Hauptgliedes in der räthselhaften Kette von Ereignissen erinnern, welche sich verbunden hatte, um die Brüder als Brüder getrennt zu halten, nachdem sie einander als Männer begegnet waren —— daß Beide aus weit verschiedenen Gründen im späteren Leben die Namen abgelegt, welche sie im Vaterhause getragen hatten, daß während der Eine sich durch seine eigene That und zu seinen besonderen Zwecken aus Cleander, dem Genossen der Leichtsinnigen und Verbrecherischen, in Numerian den Prediger des Evangeliums und Reformator der Kirche verwandelt, der Andere durch das ausdrückliche aufmunternde Gebot seines Lehrers Macrinus, des Hohenpriesters, aus dem Knaben Emilius der Schüler Ulpius geworden war.

Während sich der Heide noch fruchtlos bemühte sich die Ereignisse, welche sich auf seine Namensveränderung nach der Ankunft in Alexandrien bezogen, in’s Gedächtniß zurückzurufen und gegen die Wucht der Vergessenheit, welche auf seinen Gedanken lastete, ankämpfend, zum ersten Male bemühte, sich von der Wand zu entfernen, an der er bisher gelehnt hatte, während sich Antonina noch vergebens bestrebte, ihren Vater zur Erinnerung an die furchtbaren Erfordernisse des Augenblicks zurückzurufen und er ausgestreckt zu den Füßen des Heiden dalag —— wurde der Eingang des Tempels von Neuem durch die Gestalt Goiswinthens verdunkelt. Sie stand, eine dunkle unbestimmte Gestalt, in dem schwächer werdenden Lichte auf der Schwelle und blickte spähend in das von tiefen Schatten umhüllte Innere des Gebäudes. Als sie die veränderten Stellungen des Vaters und der Tochter bemerkte, stieß sie einen unterdrückten Ruf des Triumphes aus. Ehe aber noch der Laut ihren Lippen entflohen war, hörte sie ein Geräusch auf der Straße hinter ihr, oder glaubte sie ein solches zu vernehmen. Selbst jetzt wurde sie nicht von ihrer Wachsamkeit und Schlauheit, ihrem tödtlichen berechnenden Entschlusse, mit unerschütterlicher Geduld die gelegene Zeit zu erwarten, um überlegt und ungestraft den Streich führen zu können, verlassen Sie wendete sich augenblicklich zurück, trat auf die oberste Stufe der Tempeltreppe, blieb dort auf einige Augenblicke stehen und schaute wachsam auf dem freien Raume vor ihm umher.

Aber in jenen wenigen Augenblicken hatte sich die Scene im Gebäude abermals verändert.

Während der Wahnsinnige noch zwischen dem Rückfall in die Tobwuth und dem Verharren unter dem Einflusse der ruhigeren Stimmung, in welcher er vorzeitig gestört worden war, schwankte, erblickte er Goiswintha, als ihre Annäherung plötzlich den Eingang des Tempels verdunkelt. So schnell vorübergehend auch ihre Gegenwart war, so gab sie doch für ihn die Anwesenheit einer Gestalt ab, die er noch nicht erblickt hatte, die in einer fremdartigen Stellung zwischen dem Schatten im Innern und dem schwachen Lichte von Außen stand. Es war eine neue Gestalt, die sich seinen Augen bot, während sie sich anstrengten, ihre gewohnte Beobachtungsfähigkeit wieder zu erlangen, und die Macht dieses neuen Anblickes auf ihn war von augenblicklicher allgewaltiger Wirkung.

Er schrak verwirrt auf, wie Einer, der plötzlich aus einem tiefen Schlafe erwacht; auf einen Augenblick lief ein heftiger Schauder durch seinen ganzen Körper, dann spannte sich derselbe wieder in seiner früheren unnatürlichen Kraft an, der Dämon wüthete in seinem Innern mit erneuter Gewalt, als er sein Gewand, das von den zu seinen Füßen liegenden Numerian festgehalten wurde, aus dessen schwacher Hand losriß und auf die über einander gehäuften Idole zuschreitend, seine Hände in feierlicher Entschuldigung ausstreckte.

»Der Hohepriester hat vor dem Altar der Götter geschlafen,« rief er laut; »aber sie haben mit ihrem Geliebten Geduld gehabt; ihr Donner hat ihn nicht für sein Verbrechen getroffen. Jetzt kehrt der Diener zu seinem Dienste zurück —— die Mysterien des Serapis beginnen.«

Numerian lag noch gebrochenen Geistes ausgestreckt da. Er faltete langsam seine Hände, und seine Stimme wurde jetzt vernehmlich, als er in leisen erstickten Tönen nach oben flehte, als ob seine letzte Hoffnung auf Bewahrung seiner eigenen Vernunft in unablässigem Gebete liege.

»Gott, Du bist der Gott der Gnade, sei gnädig gegen ihn!« murmelte er. »Du, der Du die Reue annimmst, gewähre ihm Reue. Wenn ich Dir zu irgend einer Zeit ohne Tadel gedient habe, so rechne ihm den Dienst an, schütte die Gefäße Deines Zornes über mich aus! ——

»Horch, die Trompete bläst zum Opfer!« unterbrach ihn die kreischende Stimme des Heiden, als dieser sich vom Altar abwendete und seine Hände in rasender Inspiration ausstreckte. »Das Rauschen der Musik und die Stimme des Jubels steigen von den höchsten Berggipfeln auf. Der Weihrauch dampft und die Tänzer kreisen unter den Säulen des Tempels und rund um dieselben her! Der Opferstier ist fleckenlos, seine Hörner sind vergoldet, Kranz und Binde schmücken sein Haupt, der Priester steht bis auf den Gürtel nackt vor ihm —— er schüttet die Libation aus dem Becher, das Blut strömt über den Altar! Auf, aus, reißt mit dampfenden Händen das Herz heraus, so lange es noch warm ist. Die Zukunft liegt in den zuckenden Eingeweiden vor Euch, blickt sie an und lest! lest!’«

Während jener Worte war Goiswintha in den Tempel getreten, die Straße war noch einsam, es war keine Hilfe nahe!

Sie schritt nicht sogleich auf Antoninen zu, sondern verbarg sich in die Nähe der Thür hinter einem Vorsprunge des Haufens der Götterbilder und wartete, bis Ulpius sich von Antoninen, vor der er in diesem Augenblicke stand, abwenden würde. Sie war aber nicht unbemerkt eingetreten, Antonina hatte sie wieder erblickt und jetzt kam die Bitterkeit des Todes, wenn Junge unbeschützt in ihrer Jugend sterben, über das Mädchen und sie rief an Numerians Seite knieend mit leiser klagender Stimme:

»Ich muß sterben, Vater, ich muß sterben wie Hermanrich gestorben ist. Siehe auf zu mir und sprich zu mir, ehe ich sterbe.« Ihr Vater betete immer noch, er hörte nichts, denn sein Herz blutete noch zur Sühne am Altar seiner Jugend Heimath, und seine Seele sprach noch mit ihrem Schöpfer. Die Stimme, welche auf die ihre folgte, war die Stimme des Ulpius.

»O schön sind die Gärten um die heiligen Altäre und schön die Bäume, die die glänzenden Heiligthümer beschatten!« rief er entzückt in seinen neuen Visionen. »Sieh, der Morgen steigt herauf, die Geister des Lichts werden mit einem Opfer bewillkommnet. Die Sonne geht hinter dem Berge unter und die Strahlen des Abends zittern unter dem Messer des anbetenden Priesters. Der Mond und die Sterne scheinen hoch oben am Firmamente und die Genien der Nacht werden in den stillen Stunden mit Blut begrüßt.«

Als er innehielt, hörte man wieder die Klage Antoninens, in immer leiser werdenden Tönen:

»Ich muß sterben! Vater, ich muß sterben!« und mit ihr murmelten die stehenden Klänge Numerians.

»Gott der Gnade, erlöse die Hilflose und verzeihe den Bekümmerten! Herr des Gerichts, verfahre mild mit Deinen Dienern, die gesündigt haben! und mit Beiden in widersprechender Verbindung verbreitete die seltsame Musik des Tempels noch immer ihre beschwichtigenden Klänge —— das Rieseln des laufenden Wassers und das leise Lauten der Glöckchen.

»Betet an!«— Kaiser, Armen, Völker! verherrlicht und betet mich an!« schrie der Wahnsinnige in Donnertönen des Triumphes und Befehls, als sein Auge zum ersten Male die zu seinen Füßen ausgestreckte Gestalt Numerians erblickte. »Betet den Halbgott an, der mit den Göttern durch den Menschen unbekannte Sphären zieht. Ich habe das Stöhnen der Unbegrabenen gehört, die an den Ufern des Sees der Todten umherwandeln —— betet an! Ich habe auf den Fluß geblickt, dessen schwarzer Strom in seinem Laufe durch die Höhlen ewiger Nacht braust und brüllt! —— betet an! - Ich habe die Furien von Schlangen auf den runzeligen Hälsen peitschen sehen, und bin ihnen gefolgt, da sie ihre Fackeln über die leidenden Geister schwangen. Ich habe unbewegt in dem Orkanaufruhr der Hölle gestanden —— betet an! betet an! betet an!«

Er wendete sich wieder nach dem Altare der Idole um und forderte seine Götter auf, seine Gottwerdung zu verkünden, und in dem Augenblicke, wo er sich bewegte, sprang Goiswintha vorwärts.

Antonina kniete mit von der Thüre abgewendetem Gesicht da, als sie die Meuchlerin an ihrem langen Haar ergriff und das Messer in ihren Hals stieß. Die stöhnenden Töne des Mädchens, welches sein nahes Schicksal beklagte, schlossen mit einem schwachen Aechzen, es streckte seine Arme aus und fiel vorwärts über den Körper seines Vaters.

Im wilden Triumph des Augenblickes erhob Goiswintha den Arm, um den Stoß zu wiederholen, aber in diesem Moment sah sich der Wahnsinnige um.

»Das Opfer! das Opfer!« schrie er und sprang mit einem Satze wie ein wildes Thier nach ihrer Kehle. Sie stieß, ohne ihn zu treffen, mit den Messer nach ihm, während er seine langen Nägel in ihr Fleisch einschlug und sie rückwärts auf den Boden schleuderte. Dann stieß er ein rasendes Triumphgeschrei aus, stellte seinen Fuß auf ihre Brust und spie die unter ihm Liegende an.

Die Berührung der Leiche des Mädchens, als sie auf ihn niederfiel, der kurze aber furchtbare Tumult des Angriffes, welcher fast über hinwegging —— das schrille betäubende Geschrei des Wahnsinns erweckte Numerian aus seinem Traume verzweifelnder Erinnerung, riß ihn aus seinem stehenden Gebete —— er blickte auf.«

Das Schauspiel, welches seinen Augen begegnete, war eines von denjenigen, welche jede Fähigkeit, außer der des mechanischen Handelns erstickt, vor welcher der Gedanke aus dem Geiste des Menschen verschwindet, das Wort auf seinen Lippen erstirbt, der Ausdruck auf seinem Gesicht gelähmt wird. Der Anblick der entsetzlichen Katastrophe schien Grabeskälte auf Numerians Gestalt zu hauchen, seine Augen waren verglast und geistesleer, seine Lippen geöffnet und starr, selbst die Erinnerung an die Entdeckung seines Bruders schien in seinem Innern verschwunden zu sein, als er sich über seine Tochter herabbeugte und ein abgerissenes Stück ihres Kleides um ihren Hals band. Die seelenlose, gedankenlose, gespenstische Stille des Todes schien sich auf seine Züge geprägt zu haben, als er, ohne sich jetzt seiner Schwäche oder seines Alters zu erinnern, mit ihr in seinen Armen sich erhob, einen Augenblick bewegungslos vor der Thür stand und sich langsam nach Ulpius umsah. Dann ging er mit schweren regelmäßigen Schritten vorwärts. Der Fuß des Heiden stand immer noch auf Goiswinthens Brust, als der Vater an ihm vorüberkam, sein Blick war immer noch auf sie geheftet. Aber sein Triumphgeschrei hatte sich gestillt, er lachte und murmelte unzusammenhängend vor sich hin.

Der Mond erhob sich sanft, hell und ruhig über der stillen Straße, als Numerian mit seiner Tochter in den Armen die Tempeltreppe hinabstieg und nach einer kurzen Pause der Verwirrung und des Zweifels instinktmäßig seinen langsamen Weg auf der verlassenen Straße hin nach Hause einschlug. Bald darauf erblickte er im Mondlichte am Ende der langen Straße eine kleine Gruppe von Menschen, die in einem ruhigen regelmäßigen Zuge auf ihn zuschritten. Als sie näher kamen, sah er, daß Einer von ihnen ein offenes Buch hielt, daß ein Anderer an seiner Seite ein Crucifix trug und daß Andere ihm mit gefalteten Händen und niedergeschlagenen Augen folgten und dann nach einiger Zeit trug ihm der Abendwind die langsam und ehrerbietig gesprochenen Worte zu:

»Wisse denn, daß Gott weniger von Dir verlangt, als Deine Missethat verdient?«

»Kannst Du durch Suchen Gott finden? Kannst Du den Allmächtigen erforschen?«

Jetzt wurde der Wind schwächer und die Worte undeutlich, aber der Zug bewegte sich immer noch vorwärts. Als er näher und näher kam, hörte man wieder deutlich die Stimme des Lesers:

»Wenn Gottlosigkeit in Deiner Hand ist, so wirf sie von Dir, und laß sie nicht! in Deinen Hütten wohnen.«

»Denn dann wirst Du Dein Gesicht ohne Flecken erheben, ja, Du wirst beständig sein und keine Furcht haben.«

»Denn dann wirft Du Deine Noth vergessen und ihrer gedenken wie Flüsse, die verrinnen.«

»Und Dein Alter soll heller sein als der Mittag, Du sollst leuchten, Du sollst sein wie der Morgen.«

Der Leser hielt inne und schloß das Buch, denn jetzt war Numerian auf sie gestoßen und sie sahen ihn stumm im hellen Mondscheine vor sich stehen, wie er seine Tochter in seinen Armen trug und ihr Kopf über seine Schulter herabhing.

Unter denjenigen, welche sich um ihn versammelt hatten, befanden sich Einige, deren Züge er zu einer andern Zeit als die der noch lebenden Mitglieder seiner früheren Gemeinde erkannt haben würde. Die Prozession, welcher er begegnet war, bestand aus den wenigen aufrichtigen Christen in Rom, die sich nach der Veröffentlichung der Nachricht, daß Alarich die Friedensbedingungen bewilligt habe, versammelt hatten, um eine Wallfahrt durch die Stadt anzustellen, und den hoffnungslosen Versuch zu machen, durch Vorlesen aus der Bibel und Ermahnungen das leichtsinnige Volk zu einem Gefühl der Zerknirschung über seine Sünden in frommer, Dankbarkeit für seine nahe Erlösung von den Schrecken der Belagerung zu erwecken.

Jetzt aber, als Numerian vor ihnen stand, ließ er weder durch ein Wort, noch durch einen Blick merken, daß er einen von den ihn Umgebenden kenne. Auf alle an ihn gerichteten Fragen antwortete er durch hastige Bewegungen, welche Niemand begreifen konnte. Alle Versprechungen der Hilfe und des Schutzes, womit ihn seine frühem Anhänger im ersten Ausbruche ihres Kummers und Mitleids überhäuften, erwiderte er nur mit dem gleichen dumpfen gedankenlosen Blicke. Erst als sie ihn von seiner Last befreiten und sich sanft anschickten, das bewußtlose Mädchen nach ihrem Vaterhause zurückzutragen, begann er zu sprechen, und bat sie in schwachen, stehenden Tönen, ihm unterwegs ihre Hand halten zu lassen, damit er der Erste sei, der ihren Puls fühlen könnte —— wenn er sich noch bewegte.

Sie kehrten aus dem Wege, aus welchem sie gekommen waren, zurück, —— es war ein bekümmerter langsamer Zug! Unterwegs öffnete der Leser das heilige Buch von Neuem und dann erhoben sich durch die beschwichtigende himmlische Ruhe »der ersten Nachtstunde die Worte:

»Selig ist der Mensch, den Gott strafet; darum weigere Dich der Züchtigung des Allmächtigen nicht;

»Denn er verletzet und verbindet, er verwundet und seine Hand heilet.«


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